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THEATER KULTUR JOKER 3<br />

Von Kunst und Politik<br />

Mit schönster Ensembleleistung: Ewelina Marciniaks „Ein Sommernachtstraum“ am Theater Freiburg<br />

„Ihr wollt ein fertiges Schauspiel?“,<br />

fragt Puck in die Runde<br />

der Vorsprechenden. Dabei<br />

deutet im Großen Haus nur wenig<br />

darauf hin, dass es gleich<br />

losgehen wird. Das Saallicht<br />

ist an und das Publikum unter<br />

Beobachtung. Die spielfreudige<br />

Laiengruppe nicht weniger, die<br />

mit ihrer Pyramus und Thisbe-<br />

Aufführung die Hochzeit von<br />

Theseus bereichern will. Aber<br />

noch streitet sich vorm geschlossenen<br />

Vorhang die bunte<br />

Truppe, die die streng gekleidete<br />

Regisseurin (Anja Schweitzer)<br />

umringt, um die Rollen. Und da<br />

gibt es Empfindlichkeiten, der<br />

eine will keinen Text, der andere<br />

alle Hauptrollen und Schnock<br />

(Angela Falkenhan) könnte<br />

„ganz gut“ eine Frau spielen,<br />

schließlich ist sie ja eine, muss<br />

dann aber den Löwen mimen.<br />

Es gibt Gründe, dass Ewelina<br />

Marciniak das Vorsprechen der<br />

Handwerker in ihrer Freiburger<br />

Inszenierung von Shakespeares<br />

„Ein Sommernachtstraum“ als<br />

eine Art Vorspiel vorangestellt<br />

hat. Das Spiel im Spiel verweist<br />

auf den grundsätzlichen Kunstcharakter<br />

von Theater. Das Thema<br />

wird sich wie ein roter Faden<br />

durch die gut dreistündige<br />

Inszenierung der polnischen Regisseurin<br />

ziehen. Variiert wird<br />

es einerseits durch künstlerische<br />

Manifeste, die in die Spielvorlage<br />

(Magda Kupryjanowicz,<br />

Ewelina Marciniak und Michael<br />

Billenkamp) eingeflossen<br />

sind, andererseits durch lebende<br />

Bilder. Botticellis „Geburt<br />

der Venus“ ist das Vorbild für<br />

den Auftritt von Titania (Janna<br />

Horstmann) mitsamt Jakobsmuscheln<br />

sowie Wasserfläche.<br />

Es wird mit seiner opulenten<br />

Sinnlichkeit und Schönheit die<br />

Ästhetik der Inszenierung bestimmen<br />

(glänzend: Bühne,<br />

Kostüme und Light Design von<br />

Katarzyna Borkowska). Auch<br />

dies ist nicht grundlos gewählt,<br />

steht die Renaissance doch für<br />

Marciniak für den Moment, in<br />

dem etwas Archaisches wie die<br />

antike Liebesgöttin zur Kunst<br />

und zugleich zum Sinnbild<br />

der Kunst wird. Ihre Erotik ist<br />

immer schon sublimiert. Symbolisch<br />

ist da auch, dass Zettel<br />

(Lukas Hupfeld) nicht in einen<br />

Esel verwandelt wird, sondern<br />

in einen balkanischen Kukeri,<br />

ein phallisches langhaariges<br />

Fellwesen, das sich mit Titania<br />

in der Muschel amüsiert. Es ist<br />

der archaische Wilde, der ihre<br />

schwärmerische Illusionsästhetik<br />

geduldig und verständnisvoll<br />

auf den Boden der Tatsachen<br />

holt. Ewelina Marciniaks Inszenierung<br />

folgt gleichermaßen der<br />

Schau- als auch der Denklust.<br />

Doch das Athen Shakespeares<br />

ist kein Elysium, es wird vom<br />

Tyrannen Theseus (Henry<br />

Meyer) beherrscht, die patriarchalischen<br />

Strukturen setzen<br />

sich in den Familien fort. Da<br />

sind die Töchter Eigentum der<br />

Väter und ob sie noch Jungfrauen<br />

sind, wird ziemlich<br />

handgreiflich überprüft. Das<br />

Liebespaar Hermia (Rosa Thormeyer)<br />

und Lysander (Dominik<br />

Paul Weber) turteln auf einer<br />

der Muscheln. Die beiden sind<br />

frisch verliebt, wie auch Helena<br />

(Laura Angelina Palacios), doch<br />

Demetrius (Thieß Brammer)<br />

hat sich von ihr abgewandt und<br />

freit stattdessen um Hermia.<br />

Es könnte alles gut sein, hätte<br />

Hermias Vater Egeus (Michael<br />

Schmitter) nicht diese Ehe gegen<br />

die Neigung seiner Tochter<br />

arrangiert. Das eigentliche Thema<br />

dieses „Ein Sommernachtstraum“<br />

ist die Gewalt und dies<br />

so sehr, dass später die Verfolgung<br />

Helenas durch die beiden<br />

verzauberten jungen Männer<br />

so gar nichts Burleskes haben<br />

will. Es ist eine Gewalt gegen<br />

die Frauen – wie sich noch in<br />

der Tanzszene vor der Hochzeit<br />

zwischen Theseus und Titania<br />

zeigen wird, die nichts anderes<br />

als eine Unterwerfung ist. Aber<br />

es ist auch eine Gewalt gegen die<br />

Körper, die sich einmal in dieser<br />

besonderen Nacht ihre Freiheit<br />

nehmen, die Kleidung abwerfen<br />

und sich lustvoll ineinander<br />

verknäueln. Zu denken geben<br />

sollte, dass die athenischen<br />

Herrscherstrukturen sich auch<br />

im Paar Oberon und Titania<br />

spiegeln, die ebenfalls mit Henry<br />

Meyer und Janna Horstmann<br />

besetzt sind.<br />

Das Komödiantische ist in<br />

Ewelina Marciniaks „Ein Sommernachtstraum“<br />

vor allem dem<br />

Zwischenspiel der Handwerker<br />

zugeordnet. Da wird aus einem<br />

Zollstock der Mond und man<br />

macht sich über den Lärm von<br />

Toilettenspülungen Gedanken.<br />

Die Strukturen, auf denen die<br />

Macht in Athen baut, sind derart<br />

verderbt, dass einem das glückliche<br />

(?) Ende nur schal vorkommen<br />

kann. Der Kunst bleibt nicht<br />

viel mehr als dies zu bebildern.<br />

Die Inszenierung hat minimal<br />

Längen und es dann gegen Ende<br />

sehr eilig. Doch sie ist ein Statement<br />

und sie zeigt, welches Potential<br />

im Ensemble steckt.<br />

Weitere Vorstellungen: 1./8.<br />

und 23. Februar im Großen<br />

Haus des Theater Freiburg.<br />

Annette Hoffmann<br />

Mit viel Gefühl zelebriertes Kraftritual<br />

Das Tanz- und Theaterprojekt „Die Krone an meiner Wand“ feierte im Werkraum des Theater Freiburg Premiere<br />

Entspannt und vom Publikum<br />

scheinbar unbeeindruckt<br />

sitzen sie auf den Bühnenpodesten,<br />

begrüßen jede der<br />

dazu kommenden Tänzerinnen<br />

mit Augenkontakt und<br />

freundlichem Lächeln. Wenig<br />

später laufen sie ganz auf sich<br />

konzentriert kreuz und quer,<br />

bis eine stehen bleibt und sich<br />

um dieses Zentrum wie per<br />

Magnetismus blitzschnell ein<br />

Schwarm formiert: Jede der<br />

24 Frauen legt ihren Nachbarinnen<br />

eine Hand auf die<br />

Schulter, wie aus einem Mund<br />

atmen sie tief zusammen aus,<br />

werden zu einem tönenden Organismus<br />

mit vielen Gliedern,<br />

der sanft wie ein Getreidefeld<br />

im Wind zu wogen beginnt.<br />

Ein Kraftritual, mit viel Gefühl<br />

und Aufmerksamkeit<br />

füreinander zelebriert. Es gibt<br />

Laura Angelina Palacios, Janna Horstmann, Lukas Hupfeld<br />

viele solcher starker Momente<br />

im Tanz- und Theaterprojekt<br />

„Die Krone an meiner Wand“,<br />

das im Werkraum des Theater<br />

Freiburg Premiere feierte (Regie<br />

und Choreografie: Gary<br />

Joplin, Monica Gillette). Und<br />

weil jede für sich eine tapfere<br />

Königin ist, kommen dann<br />

wirklich Pappkronen von einer<br />

Deckenschiene herunter<br />

geschwebt.<br />

Krebs ist unsichtbar, existentiell<br />

und in unserer Gesellschaft<br />

noch immer ein Tabu.<br />

Alle Akteurinnen zwischen<br />

17 und 74 Jahren haben Erfahrungen<br />

mit dieser Krankheit<br />

gemacht, am eigenen<br />

Leib oder als Freundin oder<br />

Angehörige. „Das Krasseste<br />

ist der Einstieg – zu sagen,<br />

ich habe Krebs“, erzählt eine<br />

in den von Benedikt Grubel<br />

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Günterstalstraße 20<br />

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art<br />

parallel gedrehten und berührenden<br />

Interview-Videos,<br />

die als thematische Klammer<br />

zwischen den Tanzsequenzen<br />

an die Wand projiziert werden:<br />

Es sind sehr persönliche<br />

Erfahrungen mit Diagnose,<br />

Reaktionen und Endlichkeit,<br />

die hier geteilt werden. Und<br />

weil es jeden und jede treffen<br />

domani_AZ_45x45_rz.indd 1 12.01.18 13:05<br />

Foto: Birgit Hupfeld<br />

kann, führen die Tänzerinnen<br />

immer wieder einzelne Zuschauer<br />

zu den Podesten auf<br />

der Bühne: Da sitzen sie dann<br />

mitten im Geschehen.<br />

Sich stützen, schützen, bergen<br />

oder auf Händen tragen<br />

– in exakt getanzten Gruppenchoreografien<br />

mit perfektem<br />

Timing werden diese Bilder<br />

konkret umgesetzt. Sehr dynamisch<br />

und geschmeidig entwickeln<br />

sich so aus individuellen<br />

Bewegungssprachen Loops und<br />

immer wieder Synchronizität.<br />

In einem Moment verschmelzen<br />

die Tänzerinnen zum homogenen<br />

Verband, im nächsten<br />

lösen sie sich wieder und fließen<br />

in neue Figuren. Im Kontext<br />

mit Videos und Texten entwickelt<br />

sich so ein Kaleidoskop<br />

unterschiedlichster Gefühle<br />

und für das Publikum eine intensive<br />

Assoziationsreise: Man<br />

sieht Schmerz, Trauer und das<br />

Ringen um Körperbewusstsein,<br />

aber auch wilde Lebenslust und<br />

stille Freude.<br />

Es ist nicht nur die große<br />

Offenheit und Durchlässigkeit,<br />

die beeindruckt, sondern<br />

auch die tänzerische Qualität,<br />

die hier seit März erarbeitet<br />

wurde. Berührend ist dieser<br />

Abend, Betroffenheitskultur<br />

im üblichen Sinne aber trotz<br />

Tränen bei weitem nicht – vielmehr<br />

wird hier mit Mut und<br />

Kraft, Sinnlichkeit und Solidarität<br />

ein Tabu in viele Facetten<br />

aufgebrochen. Sehenswert und<br />

ein Erlebnis.<br />

Weitere Aufführungen: 1./4.<br />

Februar sowie 2./4./17. März.<br />

Werkraum, Theater Freiburg,<br />

jeweils 19 Uhr.<br />

Marion Klötzer

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