04.02.2018 Aufrufe

Heimat-Rundblick Winter 2017/18, Nr.123

Magazin für Geschichte, Kultur und Natur

Magazin für Geschichte, Kultur und Natur

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

Einzelpreis € 4,50<br />

4/<strong>2017</strong> · 30. Jahrgang<br />

ISSN 2191-4257 Nr. 123<br />

RUNDBLICK<br />

AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER<br />

GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />

I N H A L T<br />

unter anderem:<br />

Die Mackensen-Eiche in Worpswede<br />

Die gemeine <strong>Winter</strong>libelle<br />

Die Erweiterung des Fleckens Osterholz 1760<br />

Die Osterholzer Ziegelei<br />

Museumsanlage<br />

Osterholz-Scharmbeck<br />

Vor 100 Jahren<br />

Lotte Loebinger<br />

Bremens „gute Stube“<br />

I N H A L T


Anzeige<br />

Bestellcoupon<br />

Ja, ich möchte den HEIMAT-RUNDBLICK abonnieren.<br />

Zum Jahresvorzugspreis von € <strong>18</strong>,– einschl. Versand.<br />

Datum<br />

Unterschrift<br />

Siebdruck<br />

Digitaldruck<br />

Außenwerbung<br />

Wilbri GmbH<br />

Gutenbergstraße 11<br />

28 865 Lilienthal<br />

Tel. 04298-2706 0<br />

www.wilbri.de<br />

Name / Vorname<br />

Straße / Hausnummer<br />

PLZ / Ort<br />

Bezahlung:<br />

Überweisung auf Kto. 1 410 007 528<br />

Kreissparkasse Lilienthal (BLZ 291 523 00)<br />

IBAN: DE27 2915 2300 1410 0075 28 · BIC: BRLADE21OHZ<br />

Abbuchung von meinem Konto Nr.<br />

Bank:<br />

IBAN:<br />

Lesenswert<br />

Lesenswert<br />

Jahrbuch für den Landkreis Verden 20<strong>18</strong>,<br />

Hrsg. Landkreis Verden,<br />

396 Seiten, Paperback,<br />

ISBN: 978-3-9801638-2-8,<br />

Preis: 9,00 Euro<br />

Im 61. Jahrgang erscheint dieser für die Region Achim - Oyten -<br />

Verden historisch und politisch vielseitige und gut recherchierte<br />

Band mit Artikeln, von denen ich hier nur wenige nennen kann:<br />

– „Ich wollte sie selber brennen!“,<br />

Martin Luther und die<br />

Verdener Hexen<br />

– „Landfriedensbruch“ in<br />

Hemelingen 1930-1932<br />

(Hemelingen gehörte bis<br />

1939 zum Landkreis Verden),<br />

Auseinandersetzungen zwischen<br />

Kommunisten und<br />

Nazis<br />

– Hitlers willige Helfer; die Achimer<br />

NSDAP-Gruppenleiter<br />

– zur Geschichte Oytens: Backsberg<br />

– zur Geschichte der Arbeiterund<br />

Gewerkschaftsbewegung<br />

in Verden, Teil 6.<br />

Dazu kommen Hinweise auf<br />

Publikationen zur Regionalforschung<br />

und <strong>Heimat</strong>pflege, Erzählungen und Gedichte, allgemeine<br />

Informationen usw.<br />

Ein Muss für alle an unserer Region Interessierte!<br />

Jürgen Langenbruch<br />

Redaktionssitzung<br />

Reinhard Sturm, „Reine Rache“,<br />

Bremen Krimi. Schünemann-Verlag Bremen, <strong>2017</strong>,<br />

292 Seiten, Paperback,<br />

ISBN 978-3-96047-007-6,<br />

Preis: 14,90 Euro.<br />

Der 1950 in Nordhausen geborene pensionierte Studiendirektor<br />

für Geschichte, Politik und Englisch Reinhard Sturm hat einen<br />

spannenden Kriminalroman geschrieben, den man ungern vor<br />

dem Ende beiseite legt - auch<br />

wenn die beschriebenen Einzelheiten<br />

der Mordfälle nichts für<br />

sensible Gemüter sind. Die Bremenkenner<br />

werden immer wieder<br />

an bekannte Orte, Straßen<br />

und Plätze geführt, wahrscheinlich<br />

sucht man dort<br />

unwillkürlich nach Spuren der<br />

grausamen Vorkommnisse.<br />

Sturm hat sich akribisch um<br />

praktische Erkenntnisse<br />

bemüht, so bei der Mordkommission<br />

Bremen, der KTU (kriminaltechnische<br />

Untersuchung)<br />

Bremen, dem Institut<br />

für Rechtsmedizin, einer Hundetrainerin<br />

und auch bei einem<br />

Fachmann für Wohnmobile.<br />

Ein solides Gerüst für eine spannende Erzählung - und richtig für<br />

einen hier nicht seltenen grauen und verregneten Spätnachmittag.<br />

Jürgen Langenbruch<br />

Die nächste Redaktionssitzung findet statt am 27. Januar 20<strong>18</strong>, um 15.00 Uhr,<br />

im Overbeck-Museum, Alte Hafenstraße 30, 28757 Bremen.<br />

Wir beginnen mit einer Führung durch das Museum.<br />

Ab ca. 16.00 Uhr treffen wir uns zur Sitzung im Café „Erlesenes“, Alte Hafenstraße 30, 28757 Bremen.


Aus dem Inhalt<br />

Aktuelles<br />

Prof. Dr. Jürgen Teumer<br />

Die Mackensen-Eiche<br />

in Worpswede Seite 4 – 6<br />

BRAS e. V.<br />

Köksch un Qualm Seite 12<br />

Monika Fricke<br />

Museumsanlage<br />

Osterholz-Scharmbeck Seite 13<br />

Jürgen Langenbruch<br />

Redaktionssitzung Seite 27<br />

<strong>Heimat</strong>geschichte<br />

Wilhelm Berger<br />

Die Erweiterung des Fleckens<br />

Osterholz 1760 Seite 8 – 9<br />

Wilhelm Berger<br />

Die Osterholzer Ziegelei Seite 10 – 12<br />

Hermann Röttjer<br />

Sein Name bleibt unvergessen Seite <strong>18</strong><br />

Herbert Peschel<br />

Die Geschichte von der<br />

„naturbelassenen Milch“ Seite 19<br />

Rudolf Matzner<br />

Bremens „gute Stube“ Seite 24 – 27<br />

Kultur<br />

Dr. Katja Pourshirazi<br />

„Abbau“ Seite 16 – 17<br />

Daniela Platz<br />

Fotobuch „Mühle“<br />

von Jost Wischnewski Seite 17<br />

Daniela Platz<br />

Lotte Loebinger Seite 20 – 21<br />

Natur<br />

Maren Arndt<br />

Die gemeine <strong>Winter</strong>libelle Seite 7<br />

Susanne Eilers<br />

Unsere gefiederten Freunde Seite 22<br />

Serie<br />

Peter Richter<br />

Fast vergessen Seite 9<br />

Vor 100 Jahren Seite 14 – 15<br />

Bauernregeln Seite 22<br />

‘n beten wat op Platt Seite 23<br />

Jan Brünjes<br />

Lach- und Torfgeschichten Seite 23<br />

Redaktionsschluss für die nächste<br />

Ausgabe: 15. Februar 20<strong>18</strong><br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

die ersten Tage des neuen Jahres, für<br />

das ich Ihnen alles Gute, Gesundheit<br />

und viel Glück wünsche, sind schon hinter<br />

uns und das familiäre Beisammensein,<br />

aber auch die vorweihnachtliche<br />

Hektik, geraten bereits in Vergessenheit.<br />

Personelle Engpäße und Krankheitsfälle<br />

haben leider dazu geführt, dass diese<br />

Ausgabe recht spät erscheint - ich bitte<br />

um Verständnis.<br />

Was haben wir zu bieten? Wir erzählen<br />

von einem sehr alten Baum, der<br />

„Mackensen-Eiche“, die um 1650<br />

gepflanzt wurde und sicher viel berichten<br />

könnte - wenn sie denn sprechen<br />

würde. Ein Herbststurm hat ihr den<br />

Garaus gemacht, was bleibt, sind Bilder<br />

und die Erinnerung.<br />

Maren Arndt berichtet von der „<strong>Winter</strong>libelle“,<br />

die wie viele andere Tierarten,<br />

in ihrer Existenz bedroht ist - durch<br />

Monokultur, Insektizide und fehlende<br />

geschützte Stellen. Wilhelm Berger,<br />

unser Spezialist für historische Karten,<br />

dokumentiert die Erweiterung des<br />

Fleckens Osterholz im Jahre 1760. Nach<br />

etwas Lyrik lesen Sie einen weiteren Beitrag<br />

von Wilhelm Berger über die Osterholzer<br />

Ziegelei, die uns ebenfalls in das<br />

<strong>18</strong>. Jh. zurückführt. Nochmals Osterholz:<br />

Totgesagte leben länger, heißt es -<br />

so ergeht es der Museumsanlage Osterholz,<br />

wo umtriebige Mitstreiter(innen)<br />

für neues Leben sorgen.<br />

Vor 100 Jahren - eine beliebte Rubrik -<br />

die uns in die letzten Jahre des grausamen<br />

1. Weltkriegs führt. Im Teufelsmoor<br />

war es keineswegs so idyllisch,<br />

wie es uns viele Gemälde aus der<br />

Anfangszeit Worpswedes glauben<br />

machen wollen - dies zeigt uns Katja<br />

Pourshirazi auf und zeigt Bilder von<br />

Overbeck und Fotos von Jost Wischnewski.<br />

Hermann Böttjer erinnert an<br />

den 300. Geburtstag von J. Chr. Findorff,<br />

der so überaus wichtig für die Entwicklung<br />

vieler Dörfer unser Region ist.<br />

Etwas Erbauliches bietet uns ein Beitrag<br />

von Herbert A. Peschel - die „naturbelassene<br />

Milch“. Daniela Platz forscht<br />

nach der Beschäftigung mit einer Widmung<br />

von Lotte Loebinger an ihre<br />

Großmutter „Mascha“ in den verworrenen<br />

Geschehnissen der 20er und 30er<br />

Jahre nach den Kontakten und Beziehungen<br />

Lotte Loebingers zu vielen<br />

bekannten Persönlichkeiten der kommunistischen<br />

Bewegung - sehr lesenswert!<br />

Nicht alle Künstler haben sich mit<br />

dem Nazi-Regime arrangiert...<br />

Vögel gibt es immer weniger - das<br />

haben Sie vielleicht auch gemerkt; die<br />

Gründe werden deutlich genannt. Aber<br />

Sie können dazu beitragen, die Vogelwelt<br />

zu erhalten - tun Sie es!<br />

Es muß nicht alles ernst sein - amüsieren<br />

Sie sich auf plattdeutsch mit den<br />

Geschichten von Jan Brünjes. Und wenn<br />

Sie mal wieder in Bremen auf dem<br />

Marktplatz stehen wollen, sollten Sie<br />

vorher den Artikel von Rudolf Matzner<br />

lesen - dann wissen Sie mehr von den<br />

Gebäuden, die Sie dort sehen können.<br />

Ich danke den Redakteuren für die hervorragende<br />

Arbeit und wünsche Ihnen<br />

eine anregende Lektüre.<br />

Ihr Jürgen Langenbruch<br />

Impressum<br />

Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG<br />

(haftungsbeschränkt), Scheeren 12, 28865 Lilienthal,<br />

Tel. 04298/46 99 09, Fax 04298/3 04 67, E-Mail<br />

info@heimat-rundblick.de, G eschäftsführer: Jürgen<br />

Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode 202140.<br />

Redaktionsteam: Wilko Jäger (Schwanewede),<br />

Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz (Teufelsmoor),<br />

Peter Richter (Lilienthal), Manfred Simmering<br />

(Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes (Worps wede).<br />

Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird<br />

keine Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten. Die<br />

veröffentlichten Beiträge werden von den Autoren selbst<br />

verantwortet und geben nicht unbedingt die Meinung<br />

der Redaktion wieder. Wir behalten uns das Recht vor,<br />

Beiträge und auch Anzeigen nicht zu veröffentlichen.<br />

Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.<br />

Korrektur: Helmut Strümpler.<br />

Erscheinungsweise: vierteljährlich.<br />

Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement <strong>18</strong>,– € jährlich<br />

frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen;<br />

bitte Abbuchungsermächtigung beifügen. Kündigung<br />

drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.<br />

Bankverbindungen: Für Abonnements: Kreissparkasse<br />

Lilienthal IBAN: DE27 2915 2300 1410 0075 28,<br />

BIC: BRLADE21OHZ.<br />

Für Spenden und Fördervereins-Beiträge: Volksbank<br />

Osterholz eG, IBAN: DE66 2916 2394 0732 7374 00,<br />

BIC: GENODEF1OHZ.<br />

Druck: Langenbruch, Lilienthal.<br />

Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.<br />

Der HEIMAT-RUNDBLICK ist erhältlich:<br />

Bremen: Böttcherstraße/Ecke Andenkenladen<br />

Worpswede: Buchhandlung Netzel, Aktiv-Markt, Barkenhoff.<br />

Titelbild:<br />

Die „Mackensen-Eiche“ im <strong>Winter</strong><br />

Foto: Maren Arndt<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

3


Die Mackensen-Eiche in Worpswede<br />

Ein Nachruf<br />

Es war ein Schock. Aus den Medien war<br />

am Freitag, dem 6. Oktober <strong>2017</strong>, zu<br />

erfahren, wie verheerend der tags zuvor<br />

über Norddeutschland hinweggebrauste<br />

Sturm Xavier gewirkt hatte. Sämtliche<br />

Zugverbindungen waren eingestellt, in<br />

Berlin war sogar der Ausnahmezustand<br />

ausgerufen worden. Die Rettungsdienste,<br />

allen voran die Feuerwehren und die Polizei,<br />

konnten den in die Abertausende<br />

gehenden Hilferufen gar nicht nachkommen.<br />

Und das Schlimmste: Auch Menschenleben<br />

waren zu beklagen. Sieben<br />

Menschen waren von umstürzenden Bäumen<br />

erschlagen worden.<br />

Baum fiel „Xavier“<br />

zum Opfer<br />

In Worpswede waren glücklicherweise<br />

keine Menschen zu Schaden gekommen.<br />

Dennoch hat mich – und mit mir sicher<br />

viele andere in Worpswede und umzu –<br />

sehr traurig gemacht, aus den Medien in<br />

Berichten und Bildern erfahren zu müssen,<br />

dass Xavier auch hier Spuren hinterlassen<br />

hatte. Seinem Wüten war ein Naturdenkmal<br />

zum Opfer gefallen, die sogenannte<br />

Mackensen-Eiche. Menschen, die diese<br />

Eiche kannten, sprechen von einem der<br />

schönsten Bäume in der Teufelsmoorregion.<br />

Damit ist ein Stück Worpsweder<br />

Geschichte unwiederbringlich vernichtet<br />

worden. Was bleibt, sind die Erinnerungen<br />

an einen wunderschönen, die Landschaft<br />

am Rande des Weyerberges prägenden<br />

Baum. Das Unglück ist zugleich die Gelegenheit<br />

und (implizite) Verpflichtung, auf<br />

Was der Sturm „Xavier“ von der Mackensen-Eiche übrigließ<br />

Die Mackensen-Eiche in voller Pracht - und bei scheinbarer Gesundheit<br />

sein Leben und seine Geschichte zurückzuschauen.<br />

Botanisch betrachtet gehörte die<br />

Mackensen-Eiche zu den Traubeneichen<br />

mit dem wissenschaftlichen Namen Quercus<br />

petraea. Die Bäume aus dieser Familie<br />

werden auch <strong>Winter</strong>eichen genannt, weil<br />

die Blätter oft bis zum Frühjahr am Baum<br />

verbleiben. Weitere Merkmale dieser Spezies<br />

sind u.a. Wuchshöhen von 25 bis 30<br />

Metern, manchmal sogar 40 Meter sowie<br />

ein Stammdurchmesser von bis zu zwei<br />

Metern, ferner eine ausladende, hoch<br />

gewölbte Krone mit strahlenförmig abgehenden<br />

Ästen. Ihre Früchte, die Eicheln,<br />

treten gehäuft an kurzen Stielen auf, also<br />

Foto: Jürgen Teumer<br />

fast traubenartig dicht - daher der Name<br />

des Baumes (im Vergleich zur sogenannten<br />

Stieleiche, bei der die Eicheln an längeren<br />

Stielen sitzen).<br />

Neben diesen Informationen aus dem<br />

Gebiet der Botanik ist im Internet (vgl.<br />

Wikipedia) noch zu erfahren, dass Traubeneichen<br />

ein Höchstalter von 800 bis<br />

1000 Jahren erreichen können und sie<br />

durch ihre kräftige Pfahlwurzel angeblich<br />

als äußerst sturmfest gelten - was jedoch<br />

im speziellen Fall leider durch Xavier widerlegt<br />

wurde. Alle Fakten zusammengenommen,<br />

wozu auch die große wirtschaftliche<br />

Bedeutung zählt, hat das Kuratorium der<br />

zuständigen Stiftung die Traubeneiche im<br />

Jahre 2014 zum „Baum des Jahres“ ausgerufen.<br />

Eiche wurde<br />

ca. 370 Jahre alt<br />

Foto: Gabi Anna Müller<br />

Die besonderen Merkmale der Mackensen-Eiche<br />

in Worpswede waren: Ihre<br />

Wuchshöhe betrug ca. 20 Meter, ihr<br />

Stammdurchmesser in der Höhe von einem<br />

Meter beachtliche zwei Meter, das Alter -<br />

vergleichsweise „bescheidene“ - etwa 370<br />

Jahre. Da sie aber relativ frei am Rande der<br />

Feldflur stand, hatte sie einen recht dicken,<br />

kurzen Stamm mit einer breiten, ausladenden<br />

Krone und einem Kronendurchmesser<br />

von immerhin ca. 32 Metern.<br />

Doch so nüchtern kann und will ich diesen<br />

Baum und sein Schicksal nicht betrachten.<br />

Seitdem ich in Worpswede wohne,<br />

habe ich übers Jahr verteilt ungezählte Male<br />

bei ihm verweilt. Eine Bank, die früher dort<br />

stand, lud zusätzlich dazu ein. Häufig war<br />

ich nicht allein, seine Pracht, das wunder-<br />

4 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


are Farbspiel seines Blatt- und Astwerks in<br />

den Jahreszeiten zu bestaunen. Besonders<br />

schön fand ich sein prachtvolles Herbstlaub,<br />

wenn die Baumkrone, einem riesigen<br />

gelben bzw. rotbraunen Ball gleich, den<br />

Blick gefangen hielt. Auch im <strong>Winter</strong> konnte<br />

er sein filigranes Geäst, wenn der Raureif bei<br />

ihm eingekehrt war, derart zum Glitzern<br />

bringen, dass die Augen den Glanz und das<br />

Funkeln kaum verkrafteten. Seine Bewunderer,<br />

darunter manche Touristen, aber<br />

auch viele Worpsweder, suchten immer<br />

wieder nach passenden Beschreibungen,<br />

um diesem Naturwunder und seinem Reiz<br />

gerecht zu werden. Und als begehrtes Fotoobjekt<br />

diente er allemal.<br />

Pilz hatte sich<br />

am Stamm angesiedelt<br />

Aber, und das muss an dieser Stelle auch<br />

geschrieben werden, es gab seit Jahren<br />

Anzeichen, dass das Leben dieses Baumes<br />

gefährdet sein könnte. Untrügliche Symptome<br />

waren erkennbar: Der sogenannte<br />

Eichen-Feuerschwamm (Phellinus robustus),<br />

ein Pilz, siedelte sich mit seinen<br />

Fruchtkörpern am Stamm an. Er sorgt<br />

gemeinhin dafür, dass zunächst das lebenswichtige<br />

Splintholz des Baumes angegriffen<br />

und er dann von innen im Kernholz zersetzt<br />

wird. Es gab auch Hinweise, dass der<br />

Stamm bereits von innen hohl sein könnte.<br />

Ein vom Landkreis Osterholz in Auftrag<br />

gegebenes Schalltomogramm erbrachte<br />

dann im Jahre 2007 tatsächlich einen diesbezüglichen<br />

Nachweis. Die Konsequenzen<br />

waren Sanierungsmaßnahmen, Bemühungen<br />

und Versuche, das langsame Sterben<br />

aufzuhalten.<br />

Für alle Besucher folgten daraus Maßnahmen<br />

zu ihrem wohlverstandenen<br />

Schutz: Der Spazierweg, der vormals direkt<br />

am Baum vorbeiführte, wurde in einem<br />

Sicherheitsabstand um den Baum herumgelegt.<br />

Zusätzlich wurden ein Zaun gezogen<br />

und Informationen angebracht mit<br />

warnenden Hinweisen. Die ganze Brisanz<br />

über den wahren Zustand des Baumes<br />

wurde für jedermann sichtbar, als im Jahre<br />

2009 ein Hauptast abbrach. Er senkte sich<br />

auf den Boden und blieb deshalb noch mit<br />

dem Baum verbunden, wurde von ihm also<br />

noch versorgt und daher auch nicht entfernt.<br />

Immerhin aber öffnete die Bruchstelle<br />

damit für Menschen, die sich über die<br />

Warnhinweise hinwegsetzten, noch deutlicher<br />

den Blick auf das beschädigte Innere<br />

des Baumes. Allen war nun endgültig klar,<br />

dass der Tod längst in diesem Naturdenkmal<br />

wohnte.<br />

Der Sturm Xavier, in der Fachterminologie<br />

der Meteorologen ein sogenannter<br />

Schnellläufer, der sich auf dem Atlantik<br />

kurzfristig aufgebaut hatte und mit mehr als<br />

120 Stundenkilometern über das Land<br />

fegte, hat nun das Schicksal dieses herrlichen<br />

Baumes noch schneller als befürchtet<br />

besiegelt. Worpswede wurde damit um<br />

eines seiner Wahrzeichen, wohl seines ältesten<br />

Lebewesens, beraubt. Zu dem Zeitpunkt,<br />

da ich diesen Beitrag schreibe (Oktober<br />

<strong>2017</strong>), ist noch nicht letztgültig entschieden,<br />

wie die Zuständigen mit diesem<br />

zerstörten Naturdenkmal umgehen werden.<br />

Wird es abgetragen, beseitigt, entsorgt?<br />

Oder bleiben der massive Baumstumpf,<br />

der Torso, sowie die Starkäste mahnend,<br />

erinnernd erhalten – auch aus ökologischen<br />

Gründen?<br />

Bei meinen zahlreichen Begegnungen<br />

mit dieser erhabenen Gestalt habe ich mir<br />

oft gewünscht, sie könnte mir aus ihrem<br />

Leben erzählen. Ich hätte ihre Erzählungen<br />

gerne aufgeschrieben, vielleicht in einem<br />

Kinderbuch, um den Kindern die Natur, die<br />

<strong>Heimat</strong>- und (wie wir gleich noch sehen<br />

werden) die Weltgeschichte näherbringen<br />

zu können. Denn was hätte sie nicht alles<br />

berichten können? Und nebenbei: Auch<br />

uns <strong>Heimat</strong>forscher hätten ihre Berichte<br />

wenigstens teilweise von der Mühsal der<br />

zuweilen nicht gerade lustvollen Arbeit in<br />

den Archiven entlasten können. Ihre Mitteilungen<br />

wären - wie man heutzutage so<br />

gerne wünscht - authentisch gewesen. So<br />

aber bin ich verwiesen auf das hier in<br />

Worpswede Bekannte. Aber keine Sorge:<br />

Ich werde aus dem (aus Menschensicht)<br />

langen Leben dieses großartigen Baumes<br />

nur zwei Stationen auswählen, zunächst<br />

diejenige mit weltgeschichtlicher, später<br />

diejenige mit eher privater Bedeutung.<br />

Sein Leben begann nach<br />

dem 30-jährigen Krieg<br />

Falls die Berichte und damit das wiederholt<br />

mitgeteilte Alter des Baumes von inzwischen<br />

etwa 370 Jahren stimmen, führt uns<br />

seine Geschichte nämlich zurück in die<br />

Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Katastrophen<br />

und Wirren des 30-jährigen Krieges<br />

waren gerade vorüber, als das Leben des<br />

Baumes begonnen haben soll. Es heißt<br />

nämlich, dieser Baum sei Teil eines riesigen<br />

Aufforstungsprogrammes gewesen, das<br />

etwa um 1650 herum am und auf dem<br />

Weyerberg stattgefunden habe. Initiator<br />

dieses Programms sei der Landgraf Friedrich<br />

von Hessen-Eschwege (1617-1655)<br />

gewesen, auch bekannt unter den Beinamen<br />

„toller Fritz“ bzw. „der Fliegende“,<br />

verheiratet mit Eleonora Katharina (1626-<br />

1692), Schwester des Schwedenkönigs<br />

Karls X. Gustav. Der Landgraf hatte die<br />

Klöster in Osterholz und Lilienthal sowie die<br />

dazugehörigen Liegenschaften (und damit<br />

auch Worpswede) von den Schweden zum<br />

Lehen erhalten - als Ausgleich für die Kriegsverluste<br />

in seinem Stammland Hessen-<br />

Eschwege (vgl. Teumer 2007).<br />

Nachgewiesen ist, dass sich jener lebenslustige<br />

Landgraf mit der festen Absicht trug,<br />

auf dem Weyerberg (an einem Platz, wo<br />

heute das Findorff-Denkmal steht) ein<br />

„Lustschloss“, in der heutigen Sprache: ein<br />

Sommer- und Jagdhaus zu bauen. Und am<br />

Abhang des Berges sollte zusätzlich ein Tiergarten<br />

eingerichtet werden, worauf aktuell<br />

noch der Wegename „Thiergarten“ in seiner<br />

alten Schreibweise erinnert. Und da sich<br />

Tiere nun mal am liebsten im Wald und<br />

unter Bäumen aufhalten, benötigte das<br />

Areal, das zuvor im Zuge des 30-jährigen<br />

Krieges abgeholzt worden war, dringend<br />

eine Aufforstung. Was der Landgraf aber<br />

nicht benötigt hätte, war seine Teilnahme<br />

als Generalmajor der Kavallerie am schwedisch-polnischen<br />

Krieg (1655-1661), denn<br />

dort kam er bereits im Jahre 1655 zu Tode.<br />

Der begonnene Schlossbau erreichte deshalb<br />

lediglich das Stadium eines Rohbaus,<br />

der später allerdings wieder abgetragen<br />

wurde (vgl. Teumer 2007). Immerhin<br />

wurde das andere Vorhaben aber wohl<br />

durchgeführt. Die wunderschöne Eiche soll<br />

Teil dieser Aufforstung gewesen sein und<br />

etwa den Rand des geplanten Tiergartens<br />

markiert haben.<br />

Warum der Name<br />

„Mackensen-Eiche“?<br />

Nun noch der oben angekündigte private<br />

Bezug zur Geschichte dieses Baumes, in<br />

dem es um seinen Namen geht: Mackensen-Eiche.<br />

Worpswede-Kenner werden wissen,<br />

dass der Maler Fritz Mackensen (<strong>18</strong>66-<br />

1953) unbestritten als Entdecker und Gründer<br />

der Künstlerkolonie Worpswede gilt.<br />

Über ihn ist, zuletzt aus Anlass seines 150.<br />

Geburtstages, viel geschrieben worden.<br />

Seine Persönlichkeit, sein Werk, natürlich<br />

auch sein politischer Standort, d.h. vor<br />

allem seine Einbindung und Nähe zum Dritten<br />

Reich, sind kritisch befragt worden.<br />

Unabhängig aber davon ist er in der<br />

Gemeinde nach wie vor an mehreren Stellen<br />

sehr präsent: Seine Grabstätte auf dem<br />

Worpsweder Friedhof, seine recht groß<br />

geratene Villa am Hang des heutigen Findorffberges,<br />

nicht zuletzt der Spazierweg<br />

unterhalb der Villa, der nach wie vor seinen<br />

Namen trägt. Und wer diesem Wege folgt,<br />

wird zu jenem Baum gelangen, der ebenfalls<br />

nach ihm benannt worden ist und dessen<br />

Zerstörung hier mit Wehmut betrachtet<br />

wird.<br />

Was hat es mit dieser Namensgebung auf<br />

sich? Nun, so genau weiß ich das auch<br />

nicht. Die Tatsache, dass die Eiche in Sichtweite<br />

seines Hauses stand, kann sicher nicht<br />

allein ausschlaggebend dafür gewesen sein.<br />

Auch nicht, dass er sie markant in seine verschiedenen<br />

Pastellstudien der „Bergpredigt“<br />

(um <strong>18</strong>98; 1907) einfügte, deren Ort<br />

und Geschehen er bekanntlich an den Weyerberg<br />

und unter eine (diese?) Eiche verlegt<br />

hatte. Möglicherweise entscheidend für die<br />

ihm zugewiesene Namenspatenschaft aber<br />

könnte gewesen sein, dass sich der Maler<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts vehement für<br />

den Erhalt des Baumes eingesetzt haben<br />

soll, als Bauern versucht hätten, Äste zu<br />

Zaunpfählen zu verarbeiten. So wenigstens<br />

wird es im Internet dargestellt. Wenn das<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

5


Die Mackensen-Eiche in Wennebostel<br />

Foto: Jürgen Teumer<br />

zutrifft, so kann man Fritz Mackensen nicht<br />

dankbar genug sein!<br />

Zweite „Mackensen-Eiche“<br />

in Wennebostel<br />

Aber wussten Sie, verehrte Leserinnen<br />

und Leser, dass es in Deutschland einen<br />

zweiten Baum gibt, der genau diesen<br />

Namen trägt? Eine zweite Eiche, in diesem<br />

Fall eine Stieleiche, die genauso wie die<br />

Worpsweder, also Mackensen-Eiche heißt?<br />

Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als<br />

ich im Internet auf der Suche nach Hinweisen<br />

über „unsere“ Mackensen-Eiche war<br />

und dabei auf eine Eiche gleichen Namens<br />

in Wennebostel stieß, einem Ortsteil der<br />

Gemeinde Wedemark, nördlich von Hannover<br />

gelegen.<br />

Meine Recherchen ergaben, dass jener<br />

Eiche ebenfalls ein Alter zwischen 300 und<br />

400 Jahren zugeschrieben wird, sie also in<br />

etwa dasjenige ihrer Worpsweder Halbschwester<br />

aufweist. Und noch etwas von<br />

Belang haben die beiden (leider) gemeinsam:<br />

Ähnliche, um nicht zu sagen, gleiche<br />

Krankheitssymptome und Verlaufsformen;<br />

d.h. Pilzbefall und unabweisliches Zersetzen<br />

des Kernholzes mit der Gefahr des<br />

Umstürzens. Im Jahre 2014 war deshalb<br />

sogar daran gedacht worden, den Baum zu<br />

fällen. Ein Baumgutachten, das Engagement<br />

Einzelner und nicht zuletzt drastische<br />

Einkürzungen der Krone, Ausästungen und<br />

Halteseile verhinderten dies - wenigstens<br />

bisher (vgl. diverse Zeitungsbeiträge).<br />

Ich wollte über diesen Baum, seine<br />

Geschichte und vor allem über seinen<br />

Namenspatron unbedingt mehr erfahren,<br />

nahm deshalb Verbindung zur Gemeinde,<br />

zu seinem Mitbesitzer sowie zu einigen<br />

<strong>Heimat</strong>forschern in Wedemark auf. Die<br />

Besichtigung des Baumes vor Ort in dem<br />

schönen Bauerndorf Wennebostel löste<br />

große Freude und Bewunderung aus. Die<br />

dortige Mackensen-Eiche, seit 1969 als<br />

Naturdenkmal ausgewiesen, steht am<br />

Rande eines bezaubernden Anwesens, des<br />

geschichtsträchtigen Forsthofs mit einem<br />

Fachwerkgebäude aus dem Jahre 1744.<br />

Name nach<br />

August von Mackensen<br />

Der prachtvolle Forsthof in Wennebostel von 1744<br />

Wie aber ist nun dieser Eichbaum zu seinem<br />

Namen gekommen? Vorweg, mit<br />

„unserer“ Namensgebung hat es in diesem<br />

Falle bestenfalls mittelbar zu tun. Zwei <strong>Heimat</strong>bücher<br />

(vgl. Brandt 1980; Hahn et al.<br />

2014) geben genauere Auskunft: Demnach<br />

gelangte der besagte Forsthof (einschließlich<br />

der wunderschönen Eiche) im Jahre<br />

1908 nach Verlegung der Forstverwaltung<br />

in den Besitz eines Fliesenfabrikanten<br />

namens Peinemann. Dieser wiederum hatte<br />

einen berühmten Vetter, den Generalfeldmarschall<br />

August von Mackensen (<strong>18</strong>49-<br />

1945). Zu dessen Ehre und anlässlich des<br />

65. Geburtstages Mackensens, also 1914,<br />

wurde die Eiche zur „Mackensen-Eiche“.<br />

Und auf dem Setzbalken des Gebäudes<br />

wurde mit Bezug auf die Eiche - sprachrhythmisch<br />

zwar etwas holprig - vermerkt:<br />

„Der Eichbaum, der zum Himmel strebt,<br />

der soll uns offenbaren, daß der allmächt‘ge<br />

Gott dort lebt und schützt uns<br />

vor Gefahren“.<br />

Am Rande noch dies: Ob jener Generalfeldmarschall<br />

August von Mackensen -<br />

angesichts der äußerst weitgefächerten<br />

Mackensenfamilien in Deutschland - entfernt<br />

mit der Linie „unserer“ Mackensenfamilie<br />

verwandt ist, will und muss ich hier<br />

offenlassen. Abgesichert ist aber immerhin,<br />

dass Fritz Mackensen (wie auch sein Bruder<br />

Albert in Bremen) und der Generalfeldmarschall<br />

miteinander in einem brieflichen Austausch<br />

standen, freilich nicht über Eichen,<br />

sondern über die politischen Verhältnisse<br />

nach dem Ersten Weltkrieg, die sie übereinstimmend<br />

(negativ) beurteilten (vgl. Briefwechsel<br />

1919/1920).<br />

Und eines will ich ganz am Schluss nicht<br />

unerwähnt lassen: Mit Sicherheit bin ich in<br />

der nahen Vergangenheit schon an der<br />

Wennebosteler Mackensen-Eiche mehrmals<br />

vorbeigefahren, als ich liebe Freunde in<br />

einem anderen Ortsteil der Gemeinde<br />

Wedemark besucht habe. Da die aber wie<br />

ich bislang keine Kenntnis von diesem<br />

Baum und seiner Geschichte hatten, habe<br />

ich ihnen jetzt - zu ihrer Freude - ein wenig<br />

heimatkundliche Nachhilfe leisten dürfen.<br />

Kurzum, die verbindende Kraft der <strong>Heimat</strong>forschung<br />

hat sich wieder einmal bewährt!<br />

Prof. Dr. Jürgen Teumer<br />

Quellen:<br />

- August von Mackensen – Wikipedia.org<br />

- Brandt, Richard: Die Gemeinde Wedemark,<br />

das Tor zur Südheide. Wedemark 1980<br />

- Briefwechsel Fritz Mackensen – August von<br />

Mackensen. Weihnachten 1919 und<br />

29.01.1920 (privat)<br />

- Eichen-Feuerschwamm – Wikipedia.org<br />

- Hahn, Hellmuth; Thümler, Friedrich und<br />

Lüddecke, Friedrich: Familien- und Hofgeschichten.<br />

Wennebostel, Band II. Wedemark<br />

2014<br />

- Mackensen-Eiche in Worpswede – baumkunde.de/baumregister<br />

- Mackensen-Eiche in Worpswede – Google.de<br />

- Teumer, Jürgen: Friedhof und Kirche in<br />

Worpswede. Stade 2007<br />

- Traubeneiche – Wikipedia.org<br />

- Wennebostel – Wikipedia.org<br />

- Zeitungsbeiträge aus der regionalen Presse<br />

der Wedemark<br />

Foto: Jürgen Teumer<br />

6 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


Die gemeine <strong>Winter</strong>libelle<br />

sympecma fusca<br />

Bekanntermaßen endet ein Libellenleben<br />

gegen Ende des Sommers, spätestens<br />

wenn es im herbstlichen Oktober die<br />

ersten Nachtfröste gibt. Eine Ausnahme<br />

bilden die <strong>Winter</strong>libellen. Es gibt zwei<br />

Arten <strong>Winter</strong>libellen. Die bei uns relativ<br />

häufige gemeine <strong>Winter</strong>libelle (hier auf<br />

dem Bild) und die in unseren Breiten sehr<br />

seltene sibirische <strong>Winter</strong>libelle. Beide Libellen<br />

sind für den Laien nur schwer voneinander<br />

zu unterscheiden und zumindest<br />

die sibirische <strong>Winter</strong>libelle gilt als gefährdet.<br />

Die <strong>Winter</strong>libellen gehören zur<br />

Gruppe der Kleinlibellen, genauer gesagt,<br />

zur Gruppe der Teichjungfern und bilden<br />

dort eine eigene Gattung. Diese Kleinlibellen<br />

sind mit ihrem unauffällig braun-beigen<br />

Look längst nicht so farbenprächtig,<br />

wie ihre schillernde fliegende Verwandtschaft.<br />

Das hat seinen Grund, denn diese<br />

Libellenart überwintert als vollentwickelte<br />

Libelle an Land. Sie ist die einzige Libellenart,<br />

die als flugfähiges Insekt den <strong>Winter</strong><br />

an Land verbringt und nicht als Ei oder<br />

Larve im Wasser.<br />

Im Spätherbst, wenn die ersten Fröste<br />

kommen, machen sich die <strong>Winter</strong>libellen<br />

auf die Suche nach geschützte Stellen im<br />

Wald oder Gebüsch. Dort überstehen sie<br />

an Zweigen oder Grashalmen hängend<br />

den <strong>Winter</strong>. Sie suchen sich ihr Plätzchen<br />

zum Überwintern oft weit entfernt von<br />

ihren Schlupfgewässern. Zu entdecken<br />

sind sie nur sehr schwer, farblich unterscheiden<br />

sich die Tiere kaum von den braunen<br />

<strong>Winter</strong>gräsern. Von Schnee und Raureif<br />

bedeckt warten sie auf die ersten warmen<br />

Sonnenstrahlen. Bereits im Februar<br />

an sonnigen Tagen unterbrechen sie ihre<br />

Ruhephase und jagen nach Mücken. Das<br />

brachte ihnen den Namen <strong>Winter</strong>libelle<br />

ein. Die Hauptflugzeit dieser einzigartigen<br />

Kleinlibellen liegt im April und Mai und ist<br />

auch die Fortpflanzungsphase. Es sind die<br />

ersten Libellen, die man im Frühjahr an<br />

den Gewässern antreffen kann. Im Juli und<br />

August schlüpft dann die nächste Generation<br />

und der Kreislauf des Lebens setzt sich<br />

fort. Die Fotos wurden aufgenommen im<br />

Niedersandhauser Moor. Aber auch im<br />

Huvenhoopsmoor und im Hamberger<br />

Moor ist die <strong>Winter</strong>libelle anzutreffen.<br />

Text und Fotos: Maren Arndt<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

7


Die Erweiterung des Fleckens Osterholz 1760<br />

Seitdem Osterholz zum Kurfürstentum<br />

Hannover gehörte, wobei der Kurfürst<br />

zugleich englischer König war, setzten Entwicklungen<br />

ein, die die Wirtschaft des<br />

Ortes und der Region voranbringen sollten.<br />

Augenfälligstes Beispiel für neue<br />

Impulse ist die Ziegelei am Heidkamp, mit<br />

der Osterholz einen Betrieb bekommen<br />

hatte, der im produzierenden Sektor neue<br />

Maßstäbe setzte und zu Umwälzungen bei<br />

der wirtschaftlichen Struktur und der<br />

Bevölkerung sorgte.<br />

Um Platz für eine wachsende Bevölkerung<br />

zu schaffen, verfolgte der Amtmann<br />

Conrad Friedrich Meiners die Idee, ein<br />

Gebiet nördlich des alten Ortskerns von<br />

Osterholz zu erschließen und mit 25 Stellen<br />

zu besiedeln. Dazu hatte Jürgen<br />

Christian Findorff bereits im Jahre 1759 im<br />

Auftrag o. g. Amtmanns einen Plan<br />

gezeichnet. 1) 12 dieser Stellen waren vorgesehen<br />

im Rübe-Camp, die restlichen 13<br />

im Kurtzen Camp. Mit Ausnahme der Nr.<br />

17 waren für jede Stelle 1<strong>18</strong> Quadratruten<br />

vorgesehen, das wären knapp 1 Morgen,<br />

in etwa 0,25 ha.<br />

Plan eines neuen Anbaues… von Findorff 1759 NLA Stade, Rep. 74 Osterholz Nr. 1333<br />

„Charte vom Flecken Osterholtz… von Findorff 1773“ NLA Stade, Karten Neu Nr. 12934<br />

An dieser Größe erkennt man bereits,<br />

dass es sich hier nicht um landwirtschaftliche<br />

Stellen handelte, sondern außer dem<br />

Platz für das Haus nur Gartenland zur Verfügung<br />

stehen konnte.<br />

Der Rübe-Camp gehörte 1756 zu den<br />

Flächen des Amtes Osterholz, umfasste<br />

knapp 12 Morgen und wurde ackerbaulich<br />

genutzt; der westlich davon gelegene<br />

Korte-Camp war etwa 13,5 Morgen groß. 2)<br />

Besiedelt waren beide bis dahin nicht.<br />

Allerdings waren die Flächen verpachtet,<br />

und zwar der erstgenannte an den Amtmann<br />

C. F. Meiners, der zweite an Johan<br />

Friedrich Gefcken, beide zusammen für<br />

über 27 Reichsthaler. 3) Meiners selbst hat<br />

diese Angaben in einem Schreiben an die<br />

Königliche und Kurfürstliche Kammer mit<br />

Datum vom 4. Februar 1760 gemacht und<br />

dabei beide Flächen als wenig ertragreich<br />

geschildert; deshalb „verlohnet es kaum<br />

der Mühe daß solche bestellet werden.“<br />

Andererseits sei der Bedarf an neuen<br />

Wohnplätzen vorhanden, so dass für die<br />

vorgesehenen 25 Plätze bereits fast vollzählig<br />

Bewerber namentlich bekannt<br />

seien. Diese sollten teils Handwerker, teils<br />

Tagelöhner sein, da besonders für diese ein<br />

Bedarf, insbesondere zur Erntezeit,<br />

bestehe.<br />

Um der Herrschaft den Plan schmackhaft<br />

zu machen, hat Meiners die durch die<br />

Abgaben künftig zu erzielenden Einnahmen<br />

aufgelistet und ihr darin Mehreinnahmen<br />

von über 43 Rth. in Aussicht gestellt,<br />

8 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


die Entscheidung aber „unterthänigst“ in<br />

„Höchstderoselben Ermeßen“ gestellt.<br />

Diese Entscheidung ist sehr zügig bereits<br />

am 12. März erfolgt, so dass sich dann am<br />

16. April 1760 die Amtsbediensteten des<br />

Amts Osterholz zusammen mit den Bewerbern<br />

versammelt haben, um das Procedere<br />

der Besiedlung festzulegen. Dies ist vor Ort<br />

von Amtmann Meiners protokolliert worden.<br />

Das Protokoll enthält sieben Bestimmungen;<br />

u. a. heißt es darin, dass die<br />

neuen Stellen nach dem Lose vergeben<br />

und bis Michaelis (29. Sept.) 1761 mit<br />

einem Wohnhaus bebaut werden sollen.<br />

Andererseits gehe das Meyerrecht, nach<br />

dem die Siedler behandelt werden sollten,<br />

verloren.<br />

Nach Einverständnis der Stellenbewerber<br />

kam es zur Verlosung, bei der 23 der 25<br />

Plätze vergeben wurden. Bei vier Namen<br />

fehlt eine Berufsangabe, ursprünglich<br />

favorisiert waren ja Tagelöhner und Handwerker.<br />

Tagelöhner finden sich jedoch nur<br />

zwei in der Auflistung, dafür aber zumeist<br />

Handwerker. Davon allein vier Schuster.<br />

Neben einigen Handwerkern aus dem<br />

Baugewerbe noch ein Tuchmacher und ein<br />

Schneider. Aus anderen Sektoren vervollständigen<br />

zwei Torfgräber und bemerkenswerte<br />

vier Schiffer das Verzeichnis.<br />

Im Jahr 1773 hat J. C. Findorff eine<br />

„Charte vom Flecken Osterholtz und der<br />

umliegenden Gegend…“ 4) erstellt. Der<br />

hier präsentierte Ausschnitt zeigt Bekanntes,<br />

nämlich den Flecken Osterholz mit<br />

den kräftig rot gezeichneten kirchlichen<br />

und amtlichen Gebäuden sowie den hellrot<br />

gezeichneten Privathäusern mit den<br />

zugehörigen Nebengebäuden. Ferner die<br />

Siedlung Muscau und einen Teil von<br />

Ahrensfelde.<br />

An den Flecken schließen sich die neu<br />

besiedelten Gebiete an, deren regelhafte<br />

Fast<br />

vergessen …<br />

Stimmungsbilder aus Moor und<br />

Heide im Spiegel der Dichtkunst<br />

An Naturlyrik von hohem Rang erinnern<br />

wir mit dem folgenden Gedicht von<br />

Nikolaus Lenau. Der österreichische<br />

Dichter wurde am 13. August <strong>18</strong>02 im<br />

Süden des damaligen Königreiches<br />

Ungarn geboren. Schon als Jugendlicher<br />

versuchte er sich in der Dichtkunst. Im<br />

Jahre <strong>18</strong>22 begann Lenau an der Universität<br />

Wien, Philosophie, Landwirtschaft<br />

und Medizin zu studieren. Es folgten<br />

einige Jahre des Studiums in Pressburg.<br />

Nach dem Tode seiner Mutter versank er<br />

in Schwermut, was auch seine lyrischen<br />

Werke maßgeblich beeinflusste. Die<br />

Liebe zur Natur führte ihn zwischen <strong>18</strong>32<br />

und <strong>18</strong>44 zur Blüte seiner kreativen<br />

Zwei Häuser in der Rübhofstraße, die auf die Ansiedlung von 1760 zurückgehen dürften<br />

Anlage sich deutlich vom alten Kern<br />

abhebt. Alle 25 Plätze sind bebaut. Die<br />

Häuser finden sich an zwei neu angelegten<br />

bzw. ausgebauten Wegen oder Straßen;<br />

an der westlichen stehen die Häuser in<br />

einer Doppelreihe.<br />

Gegenüber der ursprünglichen Planung<br />

gab es nur geringfügigen Änderungen. 19<br />

Ansiedler erhielten tatsächlich die geplanten<br />

1<strong>18</strong> Quadratruten und hatten dafür 3<br />

Rthl. <strong>18</strong> gr. Zinß-Gelder zu zahlen; bei Nr.<br />

6 und Nr. 17 war es weniger, während die<br />

Stellen 13, 14, 15 und 16 mit 122 Quadratruten<br />

geringfügig mehr Land bekamen<br />

und demzufolge etwas mehr zahlen<br />

mussten.<br />

Laut Karte ist die nördlich gelegene<br />

Pferde Weide zu der Zeit noch bewaldet;<br />

das sich weiterhin anschließende Hoge<br />

Feld wird ausschließlich ackerbaulich<br />

genutzt und ist gänzlich unbesiedelt.<br />

In den Akten sind noch Gesuche aus der<br />

Zeit um 1760 enthalten, in denen die<br />

Schaffensphase. Nikolaus Lenau verstarb<br />

am 22. August<strong>18</strong>50 in Oberdöbling,<br />

Österreich. „Himmelstrauer“ ist ein typisches<br />

Beispiel seiner melancholischromantischen<br />

Gedichte.<br />

Himmelstrauer<br />

Peter Richter<br />

Am Himmelsantlitz wandelt ein Gedanke,<br />

die düstre Wolke dort, so bang, so schwer;<br />

wie auf dem Lager sich der Seelenkranke,<br />

wirft sich der Strauch im Winde hin und her.<br />

Vom Himmel tönt ein schwermattes Grollen,<br />

die dunkle Wimper blinzet manches Mal,<br />

- so blinzen Augen, wenn sie weinen wollen,<br />

und aus der Wimper zuckt ein schwacher Strahl.<br />

Nun schleichen aus dem Moore kühle Schauer<br />

und leise Nebel übers Heideland;<br />

der Himmel ließ, nachsinnend seiner Trauer,<br />

die Sonne lässig fallen aus der Hand.<br />

Zuweisung von Plätzen beantragt wird.<br />

Diese zeigen, dass die ausgewiesenen<br />

Flächen durchaus begehrt waren.<br />

Heute sind die Flächen Teil von Osterholz,<br />

durch die Rübhofstraße und Neue<br />

Straße eingefasst und die später entstandene<br />

Malletstraße nochmals geteilt. An die<br />

Ursprünge erinnert nur noch wenig.<br />

Wilhelm Berger<br />

Anmerkungen<br />

1) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz Nr. 1333.<br />

Für Anregungen und wertvolle Hinweise<br />

danke ich Herrn Hans Siewert, Willich,<br />

sehr.<br />

2) Karte und Tabelle s. HRB Nr. 122, S. 5<br />

bzw. 4.<br />

3) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz Nr 1333,<br />

Textteil<br />

4) NLA Stade, Karten Neu Nr. 12934<br />

Nikolaus Lenau<br />

Foto: Friedrich Amerling<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

9


Die Osterholzer Ziegelei<br />

Wie es zur Errichtung des Betriebes gekommen ist<br />

War der Flecken Osterholz bislang durch<br />

die kirchliche und amtliche Funktion<br />

geprägt, der der landwirtschaftliche Sektor<br />

mit etwas Handel und Handwerk zugeordnet<br />

war, so erhielt der Ort eine ganz neue<br />

zusätzliche Funktion im gewerblichen Sektor<br />

durch die Gründung einer Ziegelei. Der<br />

Betrieb hatte um 1750, wie man anhand<br />

der Karten 1) erkennen kann, eine beachtliche<br />

Größe erreicht und stellte den mit<br />

Abstand größten produzierenden Betrieb<br />

des Ortes dar, wenn auch betont wurde,<br />

dass die Lage „beym Flecken Osterholtz“<br />

und nicht im Ort sei. Neben den o. a. Karten<br />

existieren detaillierte Pläne, die nur<br />

den Ziegelei-Komplex zum Gegenstand<br />

haben.<br />

Der Umfang der Anlage, die Größe der<br />

Gebäude sowie die differenzierte Aufgabenzuweisung<br />

lassen die Anlage als etwas<br />

ganz Besonderes erscheinen, über die bis<br />

jetzt so gut wie nichts bekannt ist. Hier soll<br />

also erstmals der Versuch unternommen<br />

werden, die Errichtung der Anlage anhand<br />

des vorhandenen Quellenmaterials aufzuzeigen.<br />

Bereits erwähnt wurde, dass Ende 1730<br />

erste Vorschläge zur Errichtung einer Ziegelei<br />

nahe dem damaligen Flecken Osterholz<br />

durch den Drost von Schwanewede<br />

gemeinsam mit dem Amtschreiber Anton<br />

Friedrich Meiners der Kammer in Hannover<br />

unterbreitet worden waren. 2) Bereits zu<br />

Anfang mit Blick auf Bremen, wo „nur<br />

Bremen und sein Landgebiet; Heinbach-Plan 1748<br />

Plan der Herrschaftlichen Ziegelei zu Osterholtz NLA Stade, Karten Neu Nr. 12938<br />

zwey Stein backereyen nahe vor Bremen<br />

vorhanden sind.“ 3) Es handelt sich dabei<br />

um die Anlagen bei der Waller Brake am<br />

Gröpelinger Deich, die etwa zeitgleich wie<br />

der Osterholzer Betrieb kartiert worden<br />

sind, so dass sie sich ganz gut zu einem<br />

Vergleich eignen. 4)<br />

Diese Bestandsaufnahme bezieht sich<br />

allerdings auf eine Zeit, in der die Osterholzer<br />

Ziegelei bereits etwa 20 Jahre existierte.<br />

Wie war es bis dahin?<br />

Verhandlungen zwecks<br />

Errichtung einer Ziegelei<br />

Die beiden o. g. Beamten wollten zur<br />

Verbesserung der Moorkultur ihren Beitrag<br />

leisten und sich dafür – auch finanziell –<br />

engagieren. Deshalb auch das Angebot,<br />

die Anlage ggf. auf eigene Kosten zu<br />

errichten. Damit ginge dann auch eine<br />

unternehmerische Tätigkeit der Staatsbediensteten<br />

einher.<br />

Um diese und weitere Fragen zu klären,<br />

wurde seitens der Kammer in Hannover<br />

der Oberamtmann Voigt aus dem Amt<br />

Westen 5) als Mittelinstanz zwischengeschaltet,<br />

so dass sich ein Schriftwechsel<br />

zwischen Osterholz, Westen und Hannover<br />

ergab. Zunächst signalisierte Hannover<br />

aber noch mit Datum vom 23. Dez. 1730<br />

direkt nach Osterholz, dass man dem<br />

Ansinnen gegenüber nicht abgeneigt sei,<br />

aber Auskunft über die zu erwartenden<br />

Kosten begehre. 3)<br />

In der Antwort vom <strong>18</strong>. Jan. 1731 erfahren<br />

wir erstmals auch etwas über die zu<br />

errichtenden Gebäude. In Anschlag werden<br />

gebracht ein Ofen von <strong>18</strong> Fuß im Quadrat<br />

bei einer Höhe von 28 Fuß; ferner eine<br />

1100 Fuß lange und 25 Fuß breite Hütte<br />

sowie eine kleine Wohnung für den Ziegelmeister.<br />

„Wie inzwischen aber 700 f hütten<br />

vor erst und zwar die beyde negste Jahre<br />

genug seyn können, so geruhen Ew. Excell.<br />

und Hochwohlgeb. aus dem beygefügten<br />

anschlage zu ersehen daß dieselbe sammt<br />

dem Brenn Ofen und was sonst das werck<br />

zum Stande zu bringen erforderlich ist<br />

ohne den forst zinß vor das Eichen holtz<br />

10 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


Wiki-de.genealogy.net/Ziegelei_(Handwerk)<br />

ohngefähr 1626 Rthl. 2 gl zu stehen kommen<br />

werde;“<br />

Die entscheidende Wende erhielt der<br />

Vorgang dann durch die Stellungnahme<br />

des Oberamtmanns Voigt, der der Kammer<br />

am 6. Feb. 1731 empfahl, a) die Brennerei<br />

durch die Beamten auf eigene Kosten<br />

errichten zu lassen, den Betrieb nach 5 Jahren<br />

ohne weitere Erstattung zu übernehmen<br />

und an die Beamten gegen jährlich<br />

250 Rthl. zu verpachten; b) ihnen das<br />

benötigte Holz zu bewilligen; c) den<br />

weißen Torf unentgeltlich stechen zu lassen;<br />

d) einen Platz zum Lehmgraben auszuweisen.<br />

Da mit Weißtorf keine hinreichenden<br />

Erfahrungen vorlägen und an dessen Eignung<br />

noch Zweifel bestünden, solle ein<br />

Probebrand durchgeführt werden, um zu<br />

klären, ob damit ein profitabler Betrieb<br />

möglich sei. Man hatte dabei an einen herkömmlichen<br />

Feldbrandofen gedacht, wie<br />

er üblicherweise Verwendung fand, aber<br />

Ziegel unterschiedlicher Qualität lieferte.<br />

Jedoch v. Schwanewede und Meiners<br />

waren da schon weiter und ließen eine<br />

Hütte mit einem Ofen errichten, der zum<br />

einen – im Gegensatz zum Feldbrand –<br />

mehrmaligen Gebrauch zuließ, zum anderen<br />

weniger Brennmaterial benötigte und<br />

damit kostensparender zu betreiben war.<br />

Vermutlich auch eine gleichmäßigere Steinqualität<br />

lieferte. Um sich davon zu überzeugen,<br />

wurde Oberamtmann Voigt zur<br />

Inspektion nach Osterholz eingeladen.<br />

Mehrere Probebrände von jeweils 13 000<br />

bis <strong>18</strong> 000 großen Mauersteinen wurden<br />

im Sommer und Herbst 1731 durchgeführt.<br />

Die Osterholzer Beamten waren mit den<br />

Ergebnissen sehr zufrieden; auch der aus<br />

Westen zeigte sich in seinem Bericht nach<br />

Hannover vom 2. Okt. 1731 grundsätzlich<br />

überzeugt, äußerte aber noch Bedenken<br />

hinsichtlich der Tonvorkommen. Diese<br />

seien für eine in Aussicht genommene<br />

Dauer von 24 Jahren möglicherweise nicht<br />

ausreichend; auch seien sie zu sehr von kleinen<br />

Kieseln durchsetzt, so dass der Lehm zu<br />

Ziegelsteinen zwar gut geeignet sei, nicht<br />

aber zu den ebenfalls vorgesehenen Dachpfannen<br />

und man hierfür nach anderen<br />

Vorkommen Ausschau halten solle.<br />

Voigt hatte ansonsten keine Bedenken<br />

mehr gegen einen Vertrag zwischen den<br />

Osterholzer Beamten und der Kammer in<br />

Hannover. Diese forderte jene aber am 8.<br />

Okt. 1731 auf, sich zunächst noch mit dem<br />

Oberforstmeister Graf von Oeynhausen<br />

wegen des Eingriffs in das Klosterholz<br />

abzustimmen.<br />

Vertragliche Genehmigung<br />

zur Aufnahme der<br />

Produktion<br />

Nun schien aber alles zufrieden stellend<br />

geklärt zu sein, so dass am 19. Dez. 1731<br />

in Bremen ein Vertrag zwischen den Herren<br />

v. Schwanewede und Meiners einerseits<br />

und Voigt andererseits aufgesetzt<br />

wurde. Dieser Contract umfasst allein 13<br />

Seiten handschriftlichen Text und gliedert<br />

sich in 11 Punkte. Zusammengefasst beinhalten<br />

diese das Folgende:<br />

1. Die Osterholzer Beamten errichten<br />

Gebäude mit einer Kapazität von<br />

<strong>18</strong>0 000 Mauersteinen pro Jahr. Einiges<br />

Holz, dazu ein Schiff, wird<br />

„ohnentgeltlich zur Beyhülffe gegeben“;<br />

alle anderen Baumaterialien<br />

sowie die Arbeitskräfte müssen von<br />

den Pächtern auf eigene Kosten getragen<br />

werden. Dies gilt für die gesamte<br />

Pachtdauer.<br />

2. Pächter stellen Ziegeleiarbeiter an und<br />

bezahlen diese.<br />

3. Zum Lehmgraben wird ein Platz „in<br />

der Holtzung“ von 4 Morgen Größe<br />

angewiesen, ein Morgen für jeweils<br />

6 Jahre.<br />

4. Die Lehmgruben sollen flach gehalten<br />

werden, um Vieh und Menschen vor<br />

Schaden zu schützen.<br />

5. Die Pächter dürfen im „so genandten<br />

Königsmohr“ 6 ) auf eigene Kosten,<br />

jedoch ohne hierfür eine Gebühr entrichten<br />

zu müssen, den obersten<br />

weißen und den folgenden gelben<br />

Torf stechen und abfahren. Der untere<br />

braune und schwarze Torf bleiben hingegen<br />

„zu Königl. Cammer disposition“.<br />

6. Diese Schichten sollen zu Gunsten der<br />

Cammer verkauft werden.<br />

7. Die Pächter verkaufen ihre Steine auf<br />

eigene Rechnung, erhalten aber von<br />

der Cammer keine Abnahmegarantie.<br />

8. Zu Ende der Pachtdauer sollen alle<br />

Steine verkauft sein; ein Rest von max.<br />

<strong>18</strong>0 000 Steinen werde toleriert.<br />

9. Die Pachtdauer ist auf 24 Jahre ausgelegt;<br />

zunächst werden aber erst einmal<br />

16 Jahre verabredet.<br />

10. Die Pacht beträgt 250 Rthl. pro Jahr<br />

und wird erstmals zu Michaelis 1732<br />

fällig. Für den Zeitraum von 1731 bis<br />

1737 wird der Betrag jedoch zurück<br />

erstattet, weil die Beamten die Ziegelei<br />

auf eigene Kosten anlegen.<br />

11. Der Contract gilt auch für die Erben<br />

der Pächter. Zur Sicherheit haften sie<br />

mit ihrem gesamten Hab und Gut; ferner<br />

benennen sie die zwei Bürgen Hinrich<br />

Schröder zu Scharmbeck und Hinrich<br />

Gebecken zu Osterholtz.<br />

www.technikatlas.de Ziegeleimuseum Westerholt<br />

Dieser Entwurf ist dann – mit kleinen<br />

Änderungen und Anmerkungen durch<br />

Voigt – nach Hannover übermittelt worden.<br />

Der Rat Hardenberg teilte jenem<br />

dann am 31. Dez. 1731 mit, dass er nichts<br />

zu erinnern finde und den Vertrag daher<br />

ratifizieren wolle.<br />

Dies scheint dann im Februar 1732 auch<br />

passiert zu sein, so dass der Bau und die<br />

Inbetriebnahme der Ziegelei vermutlich<br />

noch in diesem Jahr erfolgen konnten.<br />

Erster Gebäudebestand<br />

Was dann tatsächlich passiert ist, lässt<br />

sich nicht durch Kartierungen belegen.<br />

Auch die vorliegenden Texte vermitteln<br />

nur einen ungefähren Eindruck vom<br />

anfänglichen Bestand und späteren Erweiterungen.<br />

Nicht schwer war ein geeigneter Platz zu<br />

finden im Übergang von der Geest zur<br />

Hammeniederung, der verkehrsmäßig gut<br />

erschlossen war. Er lag in der „so genandten<br />

Landsecke“, den „die zeitige beambte<br />

zur Schweineweide“ nutzten und so für ihre<br />

Vorhaben problemlos zur Verfügung stellen<br />

konnten. Auch die Entfernung zu den<br />

Lehmvorkommen war noch akzeptabel und<br />

betrug laut den damaligen Angaben 600<br />

Schritt bzw. 120 Ruthen (rund 550 m).<br />

Erste Angaben über den zu errichtenden<br />

Gebäudebestand lassen sich dem Contract<br />

vom 19. Dez. 1731 entnehmen. Unter<br />

Punkt 1 verpflichten sich die Beamten<br />

darin, „die zur Steinbrennerey nötige<br />

Gebäude, alß den Brenn-Ofen mit einem<br />

Schauer,…trocken hütten, zwey mit Bohlen<br />

außgeschlagene räumliche Leim-<br />

Kümpe…nebst einer convenablen Wohnung<br />

vor den Ziegelmeister“ zu errichten.<br />

Der geplante Ofen sollte <strong>18</strong> Fuß im Quadrat<br />

messen bei einer Höhe von 28 Fuß.<br />

Hinsichtlich der veranschlagten Kosten<br />

sahen die Antragsteller durchaus noch<br />

Einsparpotential, z. B. durch Verwendung<br />

von Feldsteinen und selbst hergestellten<br />

Ziegeln. (Schreiben vom <strong>18</strong>. Jan. 1731)<br />

Außerdem „sind in den Kirchen zu Lilienthal<br />

und hier an die 7 bis 8 tausend alte<br />

Mühl- oder Schottpfannen von denen vormahligen<br />

Closter Gebäuden vorhanden“,<br />

die man gerne verwenden würde. (Schreiben<br />

vom 10. Feb. 1731)<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

11


Die Produktion ist offenbar gut angelaufen.<br />

Bauten in Osterholz<br />

Dass die Betreiber der Ziegelei das<br />

Bestreben hatten, ihre Erzeugnisse auch<br />

vor Ort abzusetzen, liegt auf der Hand.<br />

Dafür kamen zu Beginn in erster Linie die<br />

öffentlichen Gebäude in Frage. Und in der<br />

Tat lässt sich in den 1730er Jahren eine<br />

Neubautätigkeit beobachten. So sind der<br />

Bau der Wohnung für den Amtmann, seine<br />

Amtstube, ein neues Schulhaus und ein<br />

Gefängnis zu nennen. 7) Bauwerke, ganz<br />

offensichtlich errichtet mit den Steinen aus<br />

der neuen Osterholzer Ziegelei!<br />

Wilhelm Berger<br />

Dessein von einem neuen Ambthause zu Osterholtz NLA Stade, Karten Neu Nr. 13060<br />

Unter dem Datum vom 4. März 1733<br />

findet sich dann ein Bericht aus Osterholz,<br />

der Urheber ist jedoch unklar. Anliegend<br />

finden sich Beschreibungen; eine Grundriss-Zeichnung,<br />

auf die hingewiesen wird,<br />

ist nicht mehr vorhanden, nur noch die<br />

Legende. Ob diese tatsächlich aus dem<br />

Jahre 1733 stammt, ist nicht zu belegen.<br />

Es fällt jedoch auf, dass zu Beginn noch<br />

keine Pfannenherstellung realisiert werden<br />

konnte, diese jetzt aber Bestandteil der<br />

Aufstellung ist. Drei Komplexe werden<br />

genannt: 1. die Pfannen-Hütte mit Mühle,<br />

Torfhütten und Kammer, 2. Hütten zum<br />

Streichen der Steine, 3. der Brennofen für<br />

die Mauersteine.<br />

Anmerkungen<br />

1) S. HRB Nr. 122, S. 6.<br />

2) ebd., S. 6 – 8<br />

3) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz Nr. 799<br />

4) Bremen und sein Landgebiet, von Johann<br />

Daniel Heinbach 1748. Dokumente zum<br />

abgebildeten Bremer Ziegelei-Komplex<br />

finden sich im Staatsarchiv Bremen, Sign.<br />

Nr. 2-Ss.5.b.44.b.<br />

5) gelegen am Unterlauf der Aller; der Ort<br />

Westen liegt südlich von Verden.<br />

6) in zeitgenössischen Karten nicht verzeichnet;<br />

vermutliche Lage in Richtung der Ortschaft<br />

Teufelsmoor<br />

7) zur Lage der Gebäude und ihren Grundbzw.<br />

Aufrissen s. Wilhelm Berger, Jürgen<br />

Christian Findorff in Osterholz, Teil 1; in:<br />

HRB Nr. 1/<strong>2017</strong>, S. 22 – 25<br />

Köksch un Qualm – mehr als ein Museum<br />

Donnerstagsprogramm bietet für jeden etwas in der Stader Landstraße 46<br />

Donnerstag, 26.1.<strong>18</strong>, um 15.00 Uhr<br />

Frühjahrsputz mit Essig, Soda und Co.!<br />

(Anmeldung erforderlich!)<br />

Donnerstag, 1.2.<strong>18</strong>, um 14.00 Uhr<br />

Bombeisges – Der schöne Kuss. Bombeisges<br />

leitet sich von „bon baiser“ (schöner<br />

Kuss) ab. (Anmeldungen erforderlich)<br />

Donnerstag, 8.2.<strong>18</strong>, um 15.30 Uhr<br />

Die Revolution des Frl. Mindermann. Christine<br />

Bongartz, alias Gesine von Katenkampp,<br />

liest aus dem gleichnamigen<br />

Roman von Truxi Knieriem. (Anmeldung<br />

erforderlich!)<br />

Donnerstag, 8.2.<strong>18</strong>, um 14.00 Uhr<br />

Traumfänger basteln mit Kindern – besser<br />

einschlafen und schöne Träume haben.<br />

(Kosten nach Materialaufwand) (Anmeldung<br />

erforderlich!)<br />

Donnerstag, 22.2.<strong>18</strong>, um 15.00 Uhr<br />

Der Frühjahrsmüdigkeit auf den Pelz<br />

rücken! Wir haben Mo Hedge, eine Heilexpertin<br />

und Kräuterfrau, für Sie eingeladen.<br />

(Anmeldungen erforderlich)<br />

Donnerstag, 1.3.<strong>18</strong>, um 15.30 Uhr<br />

Das Brot der armen Leute – Bier! An diesem<br />

Nachmittag möchte unsere Köksch<br />

Metta Ihnen zeigen, wie einfach die Zubereitung<br />

der Bremer Biersuppe ist und bei<br />

der Verköstigung verrät sie bestimmt den<br />

einen oder anderen Kniff. (Anmeldung<br />

erforderlich)<br />

Donnerstag, 8.3.<strong>18</strong>, um 15.30 Uhr<br />

„… die Welt ist so, wie wir sie machen!“<br />

Christine Bongartz, alias Gesine von Katenkampp,<br />

liest Auszüge aus „Maddo Clüver“<br />

von Tami Oelfken, eine streitbare Frau aus<br />

Blumental. (Anmeldung erforderlich!)<br />

Donnerstag, 15.3.<strong>18</strong>, um 14.00 Uhr<br />

Dekorative Osterkränze selber gestalten<br />

(Kosten nach Materialaufwand.) (Anmeldung<br />

erforderlich)<br />

Donnerstag, 22.3.<strong>18</strong>, um 15.00 Uhr<br />

Die Hasenschule. Wir laden Groß und Klein<br />

ein, sich diese Geschichte vorlesen zu lassen<br />

und sich an den Bildern zu erfreuen.<br />

Anschließend gibt es eine Bastelstunde.<br />

Donnerstag, 29.3.<strong>18</strong>, um 14.00 Uhr<br />

Zu Besuch im Köksch un Qualm (Anmeldung<br />

erforderlich!)<br />

Eintritt für das Donnerstagsprogramm 3,00<br />

€; inklusive szenischer Museumsführung<br />

durch die Ausstellung in Kombination mit<br />

dem jeweiligen Hauptprogramm/ ggf. zzgl.<br />

Materialkosten (je nach Veranstaltungsart),<br />

wie tagesaktuell ausgewiesen. Ermäßigungen<br />

bitte an der Kasse erfragen! Kaffee-<br />

Menü: 3,80 € / Kinder 1,50 €. Barrierefreiheit<br />

ist bei uns gewährleistet!<br />

Anmeldung unter:<br />

Telefon 0421 636958-66 oder<br />

E-Mail zigarrenfabrik@brasbremen.de<br />

www.koeksch-un-qualm.de<br />

12 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


Museumsanlage Osterholz-Scharmbeck<br />

Hier wird das ehemalige Leben im Teufelsmoor lebendig<br />

Osterholz-Scharmbeck. Die Museumsanlage<br />

Osterholz-Scharmbeck mit dem<br />

Norddeutschen Vogelmuseum bietet dem<br />

Besucher vielfältige Einblicke in die heimatliche<br />

Kultur rund um das Teufelsmoor.<br />

Ausstellungen und Veranstaltungen, wie<br />

Konzerte, Kunsthandwerker- und Antikmärkte<br />

ergänzen das Kulturprogramm<br />

der Museumsanlage.<br />

Eine der Besonderheiten ist das Norddeutsche<br />

Vogelmuseum mit der Sammlung<br />

des Initiators Dr. Walther Baumeister.<br />

(Separater Artikel folgt).<br />

Zur Museumsanlage Osterholz- Scharmbeck,<br />

dem <strong>Heimat</strong>museum des Landkreises<br />

Osterholz, gehören das Findorffhaus,<br />

ein Niedersächsisches Bauernhaus, eine<br />

Hofscheune, in dem sich das Mitmachmuseum<br />

befindet. Zum historischen Ensemble<br />

gehören eine Flechtwerkscheune<br />

mit bäuerlichen Geräten sowie ein Backhaus.<br />

Rundherum sind ein Göpelwerk,<br />

Mühlsteine, Ziehbrunnen und Bienenschauer<br />

mit Bienenkörben aus Stroh und<br />

Lehm zu betrachten.<br />

Als Keimzelle des <strong>Heimat</strong>museums zählt<br />

das Findorffhaus. Moorkommissar Jürgen<br />

Christian Findorff (1720-1792) erweiterte<br />

1753 das ehemalige Amtshaus des Klostervogts,<br />

um von hier aus die Vermessung<br />

und Kolonisierung des Teufelsmoores zu<br />

betreiben.<br />

Matthias Mahnke (s. Foto) führt die Museumsbesucher<br />

in der Kluft des Moorkommissars<br />

durch das Torfschiffmuseum und<br />

schildert anschaulich das Leben der ersten<br />

Moorsiedler.<br />

Lebendige Zeitreisen in die vergangenen<br />

Jahrzehnte sind beim Milchbauerdiplom<br />

oder Torfschifferpatent möglich.<br />

Kinder können hier ihre Geburtstage mit<br />

Aktionsangeboten feiern. Museumskränzchen<br />

in der Mitmachscheune sind weitere<br />

kulturelle Angebote von lebendiger und<br />

lehrreicher Unterhaltung im Kultur-Lernort.<br />

Hier sollen sich Kinder und Erwachsene<br />

wohlfühlen.<br />

Heute befinden sich im Findorffhaus verschiedene<br />

Schauräume. In ihnen spiegeln<br />

sich die bürgerliche Wohnkultur und die<br />

Industriegeschichte der Region wider.<br />

Charakteristische gewerbliche Zweige, wie<br />

die Tuchmacherzunft, die Stellmacher,<br />

Stielmacher, Seiler, Imker, Reepschläger<br />

und Zimmerleute werden anschaulich vorgestellt.<br />

Es gibt eine Zigarrenmacher- und<br />

eine Schuhmacherwerkstatt.<br />

Niedersächsisches<br />

Bauernhaus<br />

Es stand ursprünglich im Nachbarort<br />

Scharmbeckstotel und gehörte der Familie<br />

Schröder. Dort musste es 1976 dem<br />

Straßenbau weichen und wurde hier wieder<br />

aufgebaut.<br />

Seit 1978 zeigt es bäuerliche Einrichtungen<br />

und Geräte des <strong>18</strong>. und 19. Jahrhunderts.<br />

Das reetgedeckte Rauchhaus von<br />

1701 verdeutlicht mit seiner reichen<br />

Sammlung an Einrichtungs- und<br />

Gebrauchsgegenständen die Lebensweise<br />

der bäuerlichen Bevölkerung. In der Diele<br />

mit Stallungen und Flett und dem kleinen<br />

Wohnbereich (Dönz) mit Stube und Kammer<br />

wird das Leben von Mensch und Tier<br />

unter einem Dach, das über 200 Jahre charakteristisch<br />

für die Bauern im Teufelsmoor<br />

war, wieder lebendig. Das dreiflügelige<br />

Haupttor (Grootdör) dient zugleich als<br />

Abzug für Rauch vom offenen Herdfeuer,<br />

dem Flett.<br />

Mitmachmuseum<br />

Bei dem 1984 auf dem Gelände der<br />

Museumsanlage errichteten Mitmachmuseum<br />

handelt es sich um eine ehemalige<br />

Hofscheune aus Bilohe, einem Ortsteil von<br />

Ohlenstedt im Landkreis Osterholz. Die<br />

Scheune, die aus dem Jahre 1906 stammt,<br />

wurde auf das Doppelte verlängert.<br />

Die Inschrift im Türbalken lautet: B.H.<br />

ELILINORIA KATRINE BALKEN WW. ANNO<br />

1758 DEN 17. MAI M.H.B.M. Seit 1985<br />

wird sie als Mitmachmuseum genutzt. Vor<br />

allem Kinder und Jugendliche, aber auch<br />

Erwachsene, haben hier die Möglichkeit,<br />

unter museumspädagogischer Anleitung<br />

heimisches Handwerk und Lebensformen<br />

der Vergangenheit kennenzulernen.<br />

Bastelkurse zu jahreszeitlichen Themen<br />

und Sonderveranstaltungen sind bei den<br />

kleinen und großen Besuchern sehr<br />

beliebt.<br />

Museum für Schifffahrt<br />

und Torfabbau<br />

Außerhalb des historischen Teils des<br />

Museumsgeländes wurde im Jahr 1985<br />

diese Scheune umgesetzt, restauriert und<br />

neu eingerichtet. Sie war zuvor Teil einer<br />

Hofanlage in Ritterhude. Eine Sammlung<br />

historischer Boots- und Schiffstypen, die<br />

früher im Teufelsmoor gebräuchlich waren,<br />

sind hier untergebracht. Eine besondere<br />

Attraktion ist eine zwanzig Meter<br />

lange, vor etwa 60 Jahren gesunkene und<br />

aus dem Moor geborgene „Torfschute“,<br />

die für große Lastentransporte genutzt<br />

wurde. Sie wurde 1984 aus einem Moorkanal<br />

bei Bargschütt geborgen. Danach<br />

folgte eine jahrelange Konservierung in<br />

einem großen Tauchbecken. Heute ist es<br />

trockengelegt zu betrachten.<br />

Neben der großen Schute sind weitere<br />

Boots- und Schiffstypen zu sehen, die über<br />

lange Zeit wichtige Transportmittel waren,<br />

um den Torf in das Umland zu bringen.<br />

Gestochen und getrocknet wurde der Torf<br />

als Brennmaterial bis zum Beginn des vergangenen<br />

Jahrhunderts.<br />

Über die verschiedenen Arten, die Entstehung<br />

und Bearbeitung dieses einzigen<br />

„Bodenschatzes” der Region, über seinen<br />

Wert als spärliche Einnahmequelle der<br />

Anwohner, berichten die Objekte der<br />

Sammlung und viele historische Fotos.<br />

Die Museumsanlage Osterholz-Scharmbeck,<br />

Bördestraße 42, ist sonnabends und<br />

sonntags in der Zeit von 10 bis 17 Uhr<br />

geöffnet.<br />

Telefon: 04791/13105<br />

www.museumsanlage-osterholz-scharmbeck.de<br />

Monika Fricke<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

13


Vor 100<br />

Jahren ...<br />

<strong>Heimat</strong>-Rückblick:<br />

Wie sich der Erste Weltkrieg<br />

in der hiesigen Presse<br />

widerspiegelt<br />

Der Krieg geht in das fünfte Jahr. Kriegsmüdigkeit<br />

macht sich an der Front breit,<br />

aber auch in der <strong>Heimat</strong>. Wenn auch mit<br />

Russland Frieden geschlossen und damit<br />

die Kämpfe im Osten beendet wurden,<br />

beeinflusst der Kriegseintritt der USA die<br />

Lage im Westen wesentlich. Eine Frühjahrsoffensive<br />

der deutschen Truppen im März<br />

19<strong>18</strong> verspricht zunächst erfolgreich zu<br />

sein, doch nach weiteren verlustreichen<br />

Kämpfen wird das Kriegsgeschehen wieder<br />

vom Stellungskrieg bestimmt. Das<br />

Sterben im Schützengraben geht unvermindert<br />

weiter, ein Verständigungsfrieden<br />

ist ausgeschlossen...<br />

Das Reichsgebiet wird nun in der Presse<br />

oft als „<strong>Heimat</strong>front“ bezeichnet. Das<br />

offenbart den Lesern, welche Bedeutung<br />

auch dem Durchhalten der Bevölkerung in<br />

diesen schwierigen Kriegszeiten zukommt.<br />

Tagtäglich werden in der Zeitung neue<br />

Bestimmungen und Verordnungen veröffentlicht,<br />

die den Mangel auf allen Gebieten<br />

deutlich werden lassen. Heute ist es kaum<br />

vorstellbar, was die Menschen in jenen Jahren<br />

durchleiden und welchen Verzicht sie<br />

hinnehmen müssen. Am Beispiel der Milchversorgung<br />

wird dies besonders spürbar.<br />

Genaueste Vorschriften<br />

beim Milchverkauf<br />

„Vollmilch darf entgeltlich oder unentgeltlich<br />

nur gegen Milchkarten an Verbraucher<br />

abgegeben und von diesen<br />

bezogen werden.“ So heißt es in einer<br />

halbseitigen Anordnung zu Beginn des<br />

Jahres 19<strong>18</strong>, die bis ins kleinste Detail den<br />

Bezug von Milch und Milchprodukten<br />

regelt. Bis ins Detail wird definiert, was als<br />

Milch, Magermilch, Rahm, Käse, Quark<br />

oder Sahne bezeichnet werden darf und<br />

wieviel jeweils davon wem zusteht. Die<br />

Menge richtet sich unterschiedlich nach<br />

Geschlecht und Alter, Erzeuger oder Bezieher,<br />

Kranken oder Gesunden.<br />

„Wer im Besitze einer Milchkarte ist, kann<br />

sich bei einem beliebigen Kuhhalter oder<br />

einer Molkerei, die zur entgeltlichen Abgabe<br />

von Vollmilch bereit sind, oder wenn<br />

gewerbliche oder gemeinnützige Milchverkaufsstellen<br />

eingerichtet, bei diesen zur<br />

Milchkundenliste anmelden. Bei der Anmeldung<br />

ist die Milchkarte und das Lebensmittelbuch<br />

vorzulegen. Die Milchlieferungsstelle<br />

hat die Eintragung in die Milchkundenliste<br />

in dem Lebensmittelbuch zu vermerken<br />

und zwar unter Angabe der laufenden<br />

Nummer, unter der der Bezieher eingetragen<br />

ist. Sie hat ferner ein Verzeichnis ihrer<br />

Milchkunden zu führen, in dem lfd. Nummer,<br />

Name, Wohnort und die nach der Zahl<br />

der Milchkarten zu beziehende tägliche<br />

Milchmenge einzutragen sind.“ (...)<br />

Waschbare Papierkleider –<br />

Konfirmationskleider<br />

überflüssig<br />

Doch nicht nur bei der Versorgung der<br />

Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gibt es<br />

große Probleme, auch die Bekleidungsindustrie<br />

leidet zunehmend unter dem Mangel<br />

an Grundstoffen. „Not macht erfinderisch!“<br />

- Diese Erkenntnis führt zu überraschenden<br />

Forschungsergebnissen:<br />

„Aus Kreisen der Papierindustrie verlautet,<br />

daß im 'Deutschen Forschungsinstitut<br />

für Textilersatzstoffe', das seit Jahresfrist in<br />

Karlsruhe eingehende Studien über die<br />

Papiergarnindustrie treibt, wichtige Verbesserungen<br />

gefunden worden sind. Man kann<br />

Gewebe aus Papiergarn jetzt so herstellen,<br />

daß sie gut waschbar sind. Die Festigkeit der<br />

bisherigen Papierstoffe litt bekanntlich<br />

durch Feuchtigkeit. Dieser wesentliche<br />

Mangel ist jetzt beseitigt. Bemerkenswert ist<br />

auch ein anderes Verfahren, durch das ganz<br />

weiche und geschmeidige Garne für Trikotstoffe<br />

herstellbar sind. Diese Garne geben<br />

angenehm zu tragende Stoffe. Kürzlich hat<br />

das Institut auch ein Veredelungsverfahren<br />

für Papiergewebe gefunden, durch das die<br />

Gewebe annähernd so weich wie Baumwollstoffe<br />

werden und sich für Bekleidungszwecke<br />

eignen.“<br />

Den folgenden Text fanden die Leser<br />

unter der Rubrik „Lokales und Provinzielles“:<br />

„-Konfirmationskleider sind unnötig! -<br />

Im Hinblick auf die Maßnahmen der<br />

Reichsbekleidungsstelle zur notwendigen<br />

Streckung der Vorräte an Web-, Wirk-,<br />

Strick- und Schuhwaren wird darauf hingewiesen,<br />

daß es für die Konfirmation keineswegs<br />

nötig ist, in neuen Kleidern zur<br />

Konfirmationsfeier zu erscheinen. Es<br />

14 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


genügt durchaus, bereits getragene Kleider<br />

anzulegen, wenn sie nur sauber und<br />

ordentlich sind. Unbedingt geboten ist es,<br />

allen Kleiderluxus fernzuhalten, schon mit<br />

Rücksicht auf den Ernst der Zeit und auch<br />

mit Rücksicht auf die weniger bemittelte<br />

Bevölkerung. Gerade in allem, was mit<br />

Religiosität zusammenhängt, sollte für solche<br />

Äußerlichkeit kein Platz sein. Jetzt, da<br />

die harte Notwendigkeit zu vielen einschneidenden<br />

Maßnahmen zwingt, ist am<br />

wenigsten Prunk am Platze.“<br />

Die Frauen und der<br />

Lebensmittelnotstand<br />

Die Rolle der Frau in dieser von unglaublichen<br />

Entbehrungen gekennzeichneten<br />

Zeit wertet ein besonders von Emotionen<br />

und „Moralin“ getragener, zum Nachdenken<br />

anregender Beitrag:<br />

„ Was Hunger ist, das weiß besonders<br />

die Frau. Es ist ihr Ehrenamt, den Hunger<br />

der Familie, besonders der Kinder, zu stillen.<br />

'Mutter, ich habe Hunger,' wieviel<br />

Glück liegt in dem Worte, wenn die Mutter<br />

in der Lage ist, den Hunger zu stillen;<br />

wieviel Weh, wenn sie es nicht kann, wenn<br />

sie für ihre Kinder nichts zu essen hat! Eine<br />

rechte Mutter kann für sich selbst Hunger<br />

leiden, wenn nur die Ihrigen nicht hungern.<br />

Darum ist Hungersnot herzzerreißend,<br />

vor allem für die Mutter.<br />

Haben wir Hungersnot? Wenn es nach<br />

England ginge, längst. England wollte uns<br />

von Anfang an durch Hunger niederzwingen.<br />

Unsere eigenen Vorräte und Landeserzeugnisse<br />

mußten uns vor der Hungersnot<br />

bewahren und haben uns auch davor<br />

bewahrt. Wir mussten uns gewöhnen an<br />

die Rationen, die uns die Regierung vorschrieb.<br />

Das ist nicht viel. Oft verlangen die<br />

Kinder mehr. Die Mutter kann es ihnen<br />

nicht immer geben. Ihr Herz blutet. Die<br />

deutsche Hausfrau und Mutter mußte<br />

zweierlei miteinander verbinden: Das Heldentum<br />

des Duldens und das Heldentum<br />

der Tat. Zum Dulden gehört Kraft. Darum<br />

ist Entbehren etwas Großes.<br />

Das, was wir haben, und sei es noch so<br />

wenig, müssen wir würdigen. Wir müssen<br />

es auch richtig nützen. Darum ist es heute<br />

auch eine große Kunst, Hausfrau zu sein.<br />

Gerade das karg bemessene Maß fordert<br />

die größte Kunst der Hausfrau heraus. -<br />

Wenn Frauen früher zusammenkamen, so<br />

tauschten sie Neuigkeiten aus. Heute spielt<br />

die Magenfrage die größte, wenn nicht die<br />

einzige Rolle in ihren Gesprächen. Da ist es<br />

nutzlos, sich gegenseitig etwas vorzujammern<br />

und zu klagen. Miteinander zu überlegen<br />

und voneinander zu lernen, ist tapfer<br />

und deutscher Frauen würdig.<br />

Arbeit und Opfer sind die Hauptwaffen<br />

der Frau, mit denen sie den Sieg erringen<br />

hilft. Gerade jetzt im <strong>Winter</strong> ist die Lebensmittelversorgung<br />

schwieriger, wenn auch<br />

nicht so schwer wie im dritten Kriegswinter.<br />

Es ist eine lange Fastenzeit, die unserem<br />

Volke auferlegt wird. Die kluge Frau<br />

murrt darüber nicht, verhärmt oder vergrämt,<br />

sondern hilft mit, sie so leicht wie<br />

möglich zu machen. Riesenopfer müssen<br />

gebracht werden, aus Pflichtgefühl und<br />

Opfersinn. In der Pflichterfüllung findet die<br />

Frau Trost und innere Befriedigung. So lebt<br />

sie dem Kriege, freut sich über erkämpfte<br />

Erfolge und nimmt Anteil am heißerstrittenen<br />

Siege.<br />

Jammerbriefe an die Männer schreiben,<br />

sich nicht um die Erziehung der Kinder<br />

kümmern und das Geschäft des abwesenden<br />

Gatten einfach laufen zu lassen, wie es<br />

läuft, das ist unwürdig einer deutschen<br />

Frau. Die Arbeit unserer Frauen und ihre<br />

schweren Opfer sind heute Gemeinschaftssache<br />

geworden.<br />

Wenn dann die Männer heimkehren,<br />

werden unsere Frauen sie leuchtenden<br />

Auges empfangen und ihnen sagen: Wir<br />

waren auch dabei! Auch wir haben unsere<br />

Pflicht erfüllt! Und die Männer werden es<br />

ihnen herzlich danken.“<br />

Welch ein Schlüssel-Einblick in die<br />

damalige Gefühlslage...<br />

Peter Richter<br />

Anmerkung: In den Originaltexten wurde die<br />

damals gültige Rechtschreibung beibehalten.<br />

Quelle: Zeitungsarchiv des <strong>Heimat</strong>vereins<br />

Lilienthal e.V.<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

15


„Abbau“<br />

Das Teufelsmoor als Wirtschaftslandschaft – fotografiert von Jost Wischnewski<br />

Das Teufelsmoor ist längst zum Mythos<br />

geworden. Kräftig dazu beigetragen<br />

haben natürlich die Worpsweder Maler,<br />

der seit mehr als 120 Jahren anhaltende<br />

Ruhm der Künstlerkolonie, die nicht<br />

abreißenden Touristenströme und die Vielzahl<br />

beeindruckender Gemälde, die das<br />

Teufelsmoor zur düsteren und doch malerisch-schönen<br />

Sehnsuchtslandschaft stilisieren.<br />

Aber auch als der Maler Fritz Overbeck,<br />

erst 22-jährig, im Sommer <strong>18</strong>92 das<br />

Teufelsmoor zum ersten Mal mit eigenen<br />

Augen sah, hatte er längst schon übersteigerte<br />

Vorstellungen davon im Kopf. So<br />

begeistert hatten ihm seine Studienkollemenschlicher<br />

Thätigkeit. Aber ein freundliches<br />

Bild bieten sie hier nicht. Wir treffen auf<br />

Bezirke, wo metertief der Boden ausgehoben<br />

ist, und der Torf, in langen Reihen zu regelmäßigen<br />

Pyramiden oder Kegeln geschichtet,<br />

an Luft und Sonne trocknet. Dazwischen liegen<br />

verstreut, weißschimmernd wie Todtengebeine,<br />

Baumstümpfe mit groteskem Wurzelgeflecht,<br />

die Reste vormaliger Wälder,<br />

jetzt nach Tausenden von Jahren bestimmt,<br />

das Feuer des Torfbauern zu unterhalten. 2 )<br />

Mit diesen Sätzen unternahm Fritz Overbeck<br />

<strong>18</strong>95 den Versuch, in einem öffentlichen<br />

„Brief aus Worpswede“ einem größeren<br />

Publikum die Reize des Teufelsmoors<br />

Fotografien von Jost Wischnewski mit diesen<br />

Worten und mit den Gemälden Fritz<br />

Overbecks vergleicht, wird feststellen, dass<br />

die Ähnlichkeit groß ist. Die Baumstümpfe<br />

mit groteskem Wurzelgeflecht, weißschimmernd<br />

wie Todtengebeine, gibt es auch<br />

heute noch, und in Wischnewskis Fotografien<br />

entfalten sie genau jene groteske Wirkung,<br />

die Overbeck schon in ihnen erkannt<br />

hatte.<br />

Jost Wischnewski dokumentiert seit Jahren<br />

den bis heute betriebenen Torfabbau<br />

in der Region. Mit der Kamera begleitet er<br />

die Veränderungen, die sich in die Landschaft<br />

einschreiben, wenn sechs Meter<br />

Jost Wischnewski: aus der Serie: Die Fläche, 2015 Fritz Overbeck: Torfstich, um <strong>18</strong>98<br />

gen Otto Modersohn und Fritz Mackensen<br />

vorgeschwärmt von dem gottbegnadeten<br />

WORPSWEDE, dass er dieser Landschaft<br />

nicht ohne hohe Erwartungen begegnen<br />

konnte. Es genügt das eine Wort: Worpswede,<br />

das sagt dir alles. --------- 1 ) schrieb<br />

Modersohn mit neun bedeutungsschwangeren<br />

G edankenstrichen an Overbeck.<br />

Geprägt von ihrem Kunststudium an der<br />

Düsseldorfer Akademie und von ihren Idolen<br />

aus der deutschen und französischen<br />

Malerei, sahen die jungen Maler – von<br />

denen nicht einer in Worpswede geboren<br />

oder aufgewachsen ist – im Teufelsmoor<br />

nicht einfach eine Landschaft, sondern vor<br />

allem eine willkommene Projektionsfläche<br />

für ihre hochfliegenden künstlerischen<br />

Ideale.<br />

Ein Hauch leiser Schwermut liegt ausgebreitet<br />

über der Landschaft. […] Bis an den<br />

Horizont, wo die blauen Hügel der Geest<br />

ansteigen, dehnt sich weithin das Moor,<br />

schnurgerade durchschnitten von Kanälen<br />

und Fahrdämmen, die wiederum rechtwinklig<br />

von anderen gekreuzt werden. […] Doch<br />

ob es gleich einsam ist im weiten Umkreise,<br />

so verlassen uns doch nicht die Spuren<br />

zu vermitteln. Sehr einladend klingt es<br />

nicht. Schonungslos macht er den Lesern<br />

deutlich, dass hier keine unberührte Natur,<br />

sondern vielmehr eine Großbaustelle zu<br />

finden ist: Bezirke, wo metertief der Boden<br />

ausgehoben ist. Assoziationen wie Todtengebeine<br />

und Schwermut, Adjektive wie grotesk<br />

machen es nicht besser. Hier wird eine<br />

Landschaft evoziert, die jedem klassischen<br />

Schönheitsideal zuwiderläuft.<br />

Nur in Einzelfällen hat der auch damals<br />

schon großflächige Torfabbau direkten<br />

Eingang in die Gemälde der ersten Worpsweder<br />

Künstlergeneration gefunden, etwa<br />

in Fritz Overbecks Studie „Torfstich“ oder<br />

in dessen großem Leinwandgemälde<br />

„Zwischen Moorwänden“. Oft genug<br />

dominieren Moorkanäle und Birkenalleen,<br />

reetgedeckte Hütten und Wolkengebirge<br />

die Bilder, sodass wir heutigen Betrachter<br />

geneigt sind, aus den Gemälden eine<br />

Idylle herauszulesen: ohne Autos und<br />

asphaltierte Straßen, ohne Maschinen, oft<br />

genug auch ohne Menschen.<br />

Doch idyllisch liest sich Overbecks<br />

Beschreibung ganz und gar nicht. Und wer<br />

die in den letzten Jahren entstandenen<br />

hohe Moorwände bis auf zwei Meter abgetragen<br />

werden. Dabei zeigt er auch das,<br />

was uns die Gemälde der Worpsweder<br />

Maler vorenthalten: die Bahngleise und<br />

Maschinen, die Reifenspuren auf den<br />

Flächen, die G erätschaften auf dem<br />

Betriebsgelände. Das alles ist Teil der Kulturlandschaft<br />

Teufelsmoor, die seit rund<br />

250 Jahren eine menschengemachte<br />

Landschaft ist.<br />

Damals wie heute faszinieren die kargen<br />

Flächen des abgebauten Moores, reduziert<br />

sich die Natur hier auf Weniges, das dann<br />

umso intensiver auf den Betrachter einwirkt.<br />

Es ist ein Sichtbarmachen der Langsamkeit,<br />

ja, des Stillstands, das sich in<br />

Wischnewskis Fotografien zeigt, eine Konzentration<br />

auf Linien und Flächen, auf<br />

zurückhaltende und doch fein nuancierte<br />

Farben. Die Menschenleere der Bilder fällt<br />

ebenso ins Auge wie die dennoch überall<br />

sichtbaren Spuren menschlichen Handelns.<br />

Und darin zeigt sich eine große<br />

Nähe zu den Gemälden Fritz Overbecks,<br />

der in einer anderen Zeit und unter anderen<br />

Voraussetzungen ganz Ähnliches in seinem<br />

Werk auszudrücken suchte. Gerade<br />

16 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


Jost Wischnewski: aus der Serie: Der Betrieb, 2016 Fritz Overbeck: Birken vor Kornfeld, um <strong>18</strong>94<br />

dort, wo er sich in kühnen Ausschnitten<br />

und irritierenden Perspektiven dem Torfstich<br />

zuwandte und den sich auftürmenden<br />

Wolken über der kargen Ebene, da<br />

scheint sich die Kluft von 125 Jahren zu<br />

schließen, die zwischen den Arbeiten Fritz<br />

Overbecks und denen von Jost Wischnewski<br />

liegt.<br />

Die Ausstellung „ABBAU – Interpretation<br />

einer Wirtschaftslandschaft“ im Overbeck-<br />

Museum in Bremen-Vegesack stellt mehr<br />

als 30 Fotografien von Jost Wischnewski<br />

motivähnlichen Ölgemälden von Fritz<br />

Overbeck und Hermine Overbeck-Rohte<br />

gegenüber. Im direkten Vergleich zeigt<br />

sich das Teufelsmoor als ein noch heute<br />

beeindruckender Mythos, den es jedoch<br />

kritisch zu hinterfragen gilt. Es werden faszinierende<br />

Gemeinsamkeiten zwischen<br />

den Fotografien und Gemälden, in ihrer<br />

Unterschiedlichkeit aber auch Spuren von<br />

Zeit und Fortschritt sichtbar.<br />

Die Ausstellung, zu der auch ein Katalog<br />

erschienen ist, läuft vom 12. November<br />

<strong>2017</strong> bis zum 28. Januar 20<strong>18</strong>.<br />

Dr. Katja Pourshirazi<br />

1) Otto Modersohn und Fritz Overbeck – Der<br />

Briefwechsel, hrsg. von Katja Pourshirazi<br />

et al., 2014. S. 34<br />

2) F. Overbeck: Brief aus Worpswede, in: Fritz<br />

und Hermine Overbeck – Ein Worpsweder<br />

Künstlerpaar, 2002, S. 137f.<br />

Lesenswert<br />

Fotobuch „Mühle“ von Jost Wischnewski<br />

Im Dezember <strong>2017</strong> erscheint im Verlag<br />

Worpswede-Fineart das Fotobuch „Mühle“<br />

von Jost Wischnewski.<br />

Ausgangspunkt ist die Worpsweder<br />

Mühle, die wohl meistgemalte Mühle<br />

Deutschlands. Seit 1700 prägt sie mit ihrem<br />

hoch hinausragenden Flügelkreuz die<br />

Ansicht des Dorfes aus Richtung Osterholz.<br />

In den Landschaftsbildern Fritz Overbecks,<br />

Otto Modersohns und Hans am Endes<br />

erkennt man sie vor der Silhouette des Weyerberges<br />

und verortet so das Bild in der<br />

Worpsweder Region. Immer wieder findet<br />

sich auch der umgekehrte Blick von der<br />

Höhe des Berges in die Hammeniederung,<br />

wo zunächst der Blick an den Flügelspitzen<br />

der Mühle und dann an der zarten Linie des<br />

Flusslaufs mit seinen kleinen schwarzen Torfschiffersegeln<br />

hängen bleibt.<br />

Mit viel Engagement ist es einigen Worpsweder<br />

Bürgern gelungen, die Mühle mit<br />

ihren vollständigen Mahlfunktionen zu<br />

erhalten. Heute drehen sich die Flügel der<br />

Mühle jedoch nur zu Vorführungen an einzelnen<br />

Wochenenden und Mühlentagen.<br />

Dieses technische Wunderwerk, das früher<br />

ganz ohne Strom auskam, interessiert Besucher<br />

heute oft nur noch als Erinnerungsanker<br />

für früher Erlebtes oder zumindest als<br />

Grußkartenmotiv.<br />

Mit den hier vorgelegten fotografischen<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

Arbeiten holt Jost Wischnewski die Mühle<br />

aus der musealen Ecke und belebt sie, indem<br />

er sie von ihrem inneren Kontext her befragt.<br />

Technische Konstruktionen im Innenraum<br />

und prägnante Details an der Außenhaut<br />

des Erdholländers finden sein besonderes<br />

Interesse. Da passt es sehr gut, dass der vielseitig<br />

studierte und zum „freiwilligen Müller“<br />

ausgebildete Mathias Wais einen ausgesprochen<br />

kenntnisreichen Text über die<br />

Lebens- und Arbeitswelt im Müllerhandwerk<br />

verfasst hat. Er geht nicht nur auf die spezielle<br />

örtliche Mühlengeschichte und die<br />

Funktionalität ein, sondern erläutert auch<br />

die kulturellen Zusammenhänge. „Alles ist in<br />

Bewegung und jede Bewegung eines einzelnen<br />

Teiles ist abhängig von der Bewegung<br />

und Beweglichkeit der anderen Teile. Die<br />

senkrecht gelagerte Königsachse greift über<br />

ihr Stirnrad in ein Korbrad [in der Worpsweder<br />

Mühle über Keilriemen]. Dieses sitzt auf<br />

dem Spill, einer dicken Spindel, die an ihrem<br />

unteren Ende auf einer „Haue“ den rotierenden<br />

Stein trägt. … Dieser so robust und elementar<br />

wirkende Organismus, der gleichzeitig<br />

so sensibel ist, schließt das Korn auf,<br />

damit Mensch und Vieh die Leben erhaltenden<br />

Nährstoffe, die Mineralien, Vitamine,<br />

Fette und das Eiweiß in ihren Organismen<br />

verarbeiten können. Wischnewskis Fotografien<br />

des Innenlebens der Mühle schlagen<br />

Orientierungsvektoren vor, nach denen man<br />

selbst das Zusammenspiel in diesem Organismus<br />

erkunden, sich aufschließen kann.“<br />

Worpswedes Bürgermeister Stefan<br />

Schwenke, der ein Nachkomme des Müllers<br />

Johann Heinrich Schwenke ist, schreibt in<br />

seinem Grußwort: „Ich freue mich, dass das<br />

Buch passend zur 800-Jahr-Feier Worpswedes<br />

erscheinen kann. Möge es die Neugier<br />

der Worpsweder Bevölkerung wecken, zu<br />

erfahren, was im Inneren „ihrer“ Mühle zu<br />

erleben ist, ebenso der Mühleninteressierten<br />

in Nah und Fern.“<br />

Das Buch „Mühle“ von Jost Wischnewski<br />

erscheint im Verlag Worpswede-Fineart<br />

und ist dort direkt zu bestellen<br />

(info@worpswede-fineart.de) oder über den<br />

Buchhandel erhältlich. Softcover, 54 Seiten,<br />

9,90 €, ISBN 978-3-9819128-0-7.<br />

Daniela Platz<br />

17


Sein Name bleibt unvergessen<br />

300. Geburtstag des Moorkommissars Jürgen Christian Findorff / Ideen sind gefragt für das Findorff-Jahr 2020<br />

Es gibt wohl keine Landschaft Deutschlands,<br />

deren Entstehung so mit dem Wirken<br />

einer Person verbunden ist, wie die<br />

Moore an Wümme, Hamme und Oste mit<br />

dem Namen Jürgen Christian Findorffs.<br />

Noch heute ist die Erinnerung an ihn in<br />

allen Bevölkerungsschichten und Altersgruppen<br />

der von ihm gegründeten Dörfer<br />

in einem Maße lebendig, wie sie selten<br />

einer Person zuteil wird.<br />

Initiative geht von<br />

Iselersheim aus<br />

Findorffs Geburtstag jährt sich am 22.<br />

Februar 2020 zum 300. Mal. Dieses Ereignis<br />

soll Anlass für ein „Findorff-Jahr 2020“<br />

sein. Die Initiative dazu geht von Iselersheim<br />

aus, wo Findorff begraben liegt.<br />

Hermann Röttjer hat als Leiter des „Findorff-Hauses“<br />

in Iselersheim im Oktober<br />

<strong>2017</strong> einen kleinen Kreis von Interessierten<br />

aus dem Findorff-Gebiet zwischen Bremervörde<br />

und Worpswede eingeladen, um<br />

Vorüberlegungen für die Gestaltung eines<br />

Findorff-Jahres anzustellen. So könnte das<br />

Jubiläumsjahr mit einer zentralen Auftaktveranstaltung<br />

beginnen. Alle Dörfer, Vereine<br />

und Gruppen mit Findorff-Bezug sind<br />

aufgerufen, sich an der Gestaltung des<br />

Festjahres mit eigenen Veranstaltungen zu<br />

beteiligen. Gerne kann das auch zusammen<br />

mit benachbarten Vereinen und<br />

Gemeinden geschehen. Der Fantasie sind<br />

in dieser Hinsicht und auch inhaltlich keine<br />

Grenzen gesetzt. Es können Gedenkveranstaltungen<br />

sein, aber genauso Kunstaktionen.<br />

Schön wären sicher auch Theateraufführungen,<br />

gibt es im Findorff-Gebiet<br />

doch zahlreiche Laienspielgruppen.<br />

Könnte vielleicht jemand für diesen Anlass<br />

ein Bühnenstück mit Findorff-Bezug oder<br />

Bezug zu den Moorsiedlungen in der<br />

Region schreiben?<br />

Die Findorff-Siedlungen mit ihrer ganz<br />

eigenen, besonderen Reihenstruktur sind<br />

heute zwar immer noch mehr oder weniger<br />

gut erhalten, jedoch hat sich gerade in<br />

den letzten Jahrzehnten vieles verändert.<br />

Die Zahl der Bauernhöfe ist stark zurückgegangen.<br />

Wo leben heute noch mehrere<br />

Generationen auf einer Anbaustelle? Oft<br />

haben die Kinder das Dorf verlassen, für<br />

das Studium oder auf der Suche nach<br />

einem attraktiven Arbeitsplatz. Gibt es eine<br />

Möglichkeit der Nachnutzung für die auf<br />

den Höfen noch vorhandenen alten<br />

Gebäude? Die Einwohnerzahl ist in vielen<br />

Dörfern zurückgegangen. Vielerorts haben<br />

zeitgemäße Neubauten die typischen Bauernhäuser<br />

ersetzt und so das Bild der Siedlungen<br />

verändert. Und auch die dörfliche<br />

Struktur hat sich stark verändert, mit der<br />

Porträt des Moorkommissars Findorff: Es handelt<br />

sich hier um ein Ölgemälde von Günter Bornemann,<br />

welches 1789 entstanden ist.<br />

Schließung von Geschäften, Gastwirtschaften<br />

und Schulen. Was muss sich<br />

ändern? Wie kann die Zukunft gestaltet<br />

werden?<br />

Lebendige Dörfer<br />

sind gewünscht<br />

Einen Wunsch haben sie alle: Sie wünschen<br />

sich lebendige Dörfer mit einer<br />

guten Dorfgemeinschaft. Alle sind hier<br />

gefragt, die Einwohner mit Ideen und<br />

Initiativen, aber auch die Verwaltungen<br />

und Politiker in den Gemeinden, Städten<br />

und Kreisen mit Unterstützungsmaßnahmen<br />

und Geldmitteln.<br />

Es sind diese Fragen, die die Menschen<br />

hier bewegen. Und diese Themen werden<br />

sicher auch bei den hoffentlich vielen<br />

Aktionen und Veranstaltungen des Findorff-Jahres<br />

2020 eine Rolle spielen. Der<br />

Blick wird sicher nicht nur rückwärts<br />

gewandt sein, auf Findorffs Zeit und die<br />

oftmals schwere und entbehrungsreiche<br />

Zeit der nachfolgenden Generationen von<br />

Moorbauern.<br />

Treffend beschreibt es der Titel der Wanderausstellung<br />

der „Arbeitsgruppe Findorff-Siedlungen<br />

beim Landkreis Osterholz“:<br />

Kulturerbe Findorff-Siedlungen,<br />

gestern und heute - und morgen?<br />

Die Ideen sollten bis 1. März 20<strong>18</strong> Hermann<br />

Röttjer (hermann-roettjer@gmx.de)<br />

erreichen. Denn bei einem nächsten Treffen<br />

des Initiativkreises am 13. März 20<strong>18</strong><br />

um 19 Uhr in der Gaststätte „Zur Kreuzkuhle“<br />

in Karlshöfenermoor werden die<br />

Eingänge gesichtet und beraten, wie es<br />

weitergehen soll. Gäste und aktive Mitgestalter<br />

sind zu diesem Treffen willkommen!<br />

Wir hoffen auf viele gute Ideen!<br />

Hermann Röttjer<br />

Neuendamm 38<br />

27432 Bremervörde-Iselersheim<br />

Tel. 04769-1023<br />

Moorkommissar<br />

Jürgen Christian Findorff<br />

geb. am 22. Februar 1720 in Lauenburg<br />

a. d. Elbe<br />

gest. am 31. Juli 1792 in Bremervörde<br />

begr. am 3. August 1792 in Iselersheim<br />

Dieses Original-Gemälde des aus Göttingen<br />

stammenden und zeitweise in<br />

Hamburg lebenden Porträtmalers Johann<br />

Günther Bornemann (1757-<strong>18</strong>15) soll,<br />

wie auf der Rückseite vermerkt ist, im<br />

Jahre 1789 nach dem Leben gemalt worden<br />

sein. Es entspricht also dem tatsächlichen<br />

Aussehen des Moorkommissars.<br />

Die Existenz dieses Gemäldes war bis<br />

zum Jahre 2012 völlig unbekannt. Bis<br />

dahin war nur das identische Porträt<br />

im Bremervörder Bachmann-Museum<br />

bekannt. Es galt als absolut einmalig.<br />

Hermann Röttjer aus Iselersheim entdeckte<br />

das hier ausgestellte Gemälde im<br />

August 2012 beim Internet-Auktionshaus<br />

EBAY, wo es zur Versteigerung angeboten<br />

wurde. Dass ein weiteres Gemälde auftauchte,<br />

kann zu Recht als Sensation<br />

gesehen werden.<br />

Mit etwas Glück erhielt er mit dem<br />

Auktionsende den Zuschlag und konnte<br />

es so für den <strong>Heimat</strong>verein Iselersheim<br />

erwerben!<br />

Das Bild war ohne Rahmen und wies<br />

kleinere Beschädigungen und Verschmutzungen<br />

auf. Restauratorin Sonja<br />

Toeppe aus Worpswede richtete es wieder<br />

her und ließ es mit einem passenden<br />

Rahmen versehen.<br />

Das im Bachmann-Museum befindliche<br />

Porträt war eine Auftragsarbeit für<br />

den Weggefährten und Freund Findorffs,<br />

den Ottersberger Oberamtmann Hintze.<br />

Auch dieses Gemälde dürfte eine Auftragsarbeit<br />

gewesen sein. Aber für wen?<br />

Diese Frage bleibt vorerst unbeantwortet<br />

wie auch die Frage, wo sich das Bild in<br />

den letzten gut 200 Jahren befunden<br />

haben mag.<br />

Hermann Röttjer, Iselersheim<br />

<strong>18</strong> RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


Die Geschichte von der „naturbelassenen“ Milch<br />

Sommerfrische Bremer Kaufmannsfamilien<br />

Nur eine halbe Tagesreise mit der Kutsche,<br />

dort lagen die bevorzugten Sommersitze der<br />

Bremer Kaufmanns- und Reeder-Familien in<br />

der heutigen „Bremer Schweiz“. Namen wie<br />

Knoop, Kulenkampff, Wätjen und Lahusen<br />

sind noch vielen Lesern im Gedächtnis.<br />

Knoops Park im heutigen St. Magnus, Wätjens<br />

Park im heutigen Blumenthal, das ehemalige<br />

Gut und Schloss Lahusen in Löhnhorst<br />

sind gut zu verorten. Auch die ehemalige<br />

Albrecht-Villa in Leuchtenburg erinnert an<br />

diese Familiendynastien und unsere derzeitige<br />

Verteidigungsministerin, die ja eine<br />

geborene Albrecht ist. Etwas schwieriger wird<br />

die Erinnerung an Rösing, Melchers und<br />

Schellhass, doch wer sich als Leser näher mit<br />

den Konzerten „Sommer in Lesmona“<br />

befasst, oder sich gar von den Spuren der bittersüßen<br />

Liebesgeschichte „Sommer in Lesmona“<br />

von Marga Berck (Pauli) hat verzaubern<br />

lassen, wird auch diese Familien wieder<br />

im Gedächtnis haben und dem heutigen Bremer<br />

Norden zuordnen können.<br />

Aber nur wenige Menschen werden sich<br />

heute noch an die Bremer Kaufmanns- und<br />

Reederfamilie Vietor erinnern oder wissen,<br />

dass es in Bremens Bahnhofs-Vorstadt eine<br />

Vietorstraße gibt. Nun ja, die Vietorstraße<br />

erinnert an die Familie des J.K. Vietor (Johann<br />

Karl) oder daran, dass die ehrbaren Kaufleute<br />

der „frommen Firma“, wie die Vietor-Afrika-<br />

Firmen auch wegen der Nähe zur Bremer<br />

Mission genannt wurden, der Familie Vietor<br />

gehörte. Hier, in der damals preußischen<br />

Gemeinde Leuchtenburg am Rande Bremens<br />

und heute inmitten der so genannten „Bremer<br />

Schweiz“, hatte die Familie Vietor ihren<br />

Sommersitz zwischen 1019 -1922 auf dem<br />

kleinen gepachteten Hof des Bauern Johann<br />

Hinrich Seedorf (* 19.09.<strong>18</strong>49 in Leuchtenburg<br />

- 26.10.1934 in Löhnhorst). Im Buch<br />

„Ausgewandert und zurückgekommen“<br />

berichtet Wiebke Hoffmann, wird jedoch aus<br />

Briefen von Hedwig Vietor dokumentiert,<br />

dass Seedorf auch als Verwalter von 1908 –<br />

1913 für die Vietors wirkte. Es kann also<br />

davon ausgegangen werden, dass Vietor den<br />

Hof Seedorf schon vor 1919 gepachtet oder<br />

gemietet hatte. Auch in den Tagebüchern der<br />

Missionare Carl Paul, Juli <strong>18</strong>81-Okt. <strong>18</strong>83,<br />

und in den Lebenserinnerungen des Stadt-<br />

Missionars Philipp Schmidt an der Neustädter<br />

St. Pauli Gemeinde tauchen die Ortsbezeichnungen<br />

Leuchtenburg und Hof Seedorf<br />

für größere Einladungen bei Vietor ganz versteckt<br />

auf.<br />

Noch weniger Zeitgenossen werden wissen,<br />

dass der Autor selbst, in den 1970ger<br />

Jahren gemeinsam mit Wilhelm Vietor (*1910<br />

– † 2006) einen Hof in der Wildeshauser<br />

Geest gepachtet hatte und dort gemeinsam<br />

ihrem Hobby, der Pferdezucht und der Jagd-<br />

Reiterei, frönten. Aus dieser Zeit stammt die<br />

nachfolgende Anekdote, wie ich sie hier<br />

nacherzählen werde.<br />

„Frühlingserwachen lag in der Luft, als ich<br />

von einer Geschäftsreise wieder auf dem Hof<br />

angelangte, der Abend senkte sich herab und<br />

Willem hatte am Nachmittag seine, in großen<br />

Kübeln vorgezogenen, Sommerblumen in<br />

den Garten gepflanzt. Nun saß er, auf der<br />

Schreibmaschine klappernd, an seinem<br />

Schreibtisch im Büro. „Du, Herbert, bist du<br />

das? Hest mol eben ´n beten Tied, ich schrief<br />

up, wat fröer up´n Dörp los ´wesen is“.<br />

Ja, diese Begrüßung kannte ich schon,<br />

denn so wurde ich häufig empfangen. Mit<br />

den Worten „Jo, Jo“, fingerte ich meinen<br />

Aktenkoffer auf und entnahm ihm eine Flasche<br />

„Bullenschluck“, den ich auf dem Rückweg<br />

in der Sulinger Apotheke erstanden<br />

hatte. Eigentlich war er als Kundengeschenk<br />

vorgesehen, aber nun war ich daheim und<br />

wir konnten uns zu diesem doch wohl längerem<br />

Gespräch auch einen Lütten gönnen.<br />

Oh je, Willem erzählt wieder Geschichten<br />

aus seiner Afrikazeit. Nein, Willem hatte heute<br />

eine ganz andere Geschichte auf Lager, wie<br />

mir jetzt klar wurde. Im Jahre 1969 war im<br />

Schünemann Verlag erstmals sein Buch<br />

„Unter der Speckflagge“ erschienen, welches<br />

er in Händen hielt. Viele kleine Geschichten<br />

aus diesem Buch kannte ich, hatte ich doch<br />

so manche im Entstehen miterlebt.<br />

Die Geschichte spielt in der Zeit, als die<br />

Familie Vietor den kleinen Seedorfschen Bauernhof<br />

in Leuchtenburg in der heutigen „Bremer<br />

Schweiz“ als Sommerhaus gepachtet<br />

hatte, also lange bevor sie dann später<br />

ganzjährig im eigenen „Grashaus“ in Hude<br />

auf der Stedinger Weserseite lebte.<br />

Die Geschichte von der<br />

„naturbelassenen“ Milch<br />

Verschmitzt begann Willen to vertellen:<br />

Enkel kamen zum ersten Mal aus der Stadt auf<br />

den Hof im dörflichen Leuchtenburg. „Ja, das<br />

gab´s auch früher schon“, erläuterte Willem,<br />

„die Lütten hatten noch nie ein Schwein<br />

gesehen, geschweige denn eine Kuh“. Neugierig<br />

gingen die Enkel den Geräuschen im<br />

Stall nach, wo die Magd Hanni (*1) auf dem<br />

einbeinigen Hocker unter der Kuh saß und<br />

molk. Mit geübten Fingern molk sie und die<br />

warme Milch spritzte aus dem Euter in den<br />

darunter stehenden Eimer. Mit großen<br />

Augen, sich einander an den Händen haltend,<br />

sahen die Kinder dieser noch nie gesehenen<br />

Tätigkeit zu.<br />

Milch von Kühen? „Was machst du da?“<br />

fragte der Ältere der beiden. „Ich melke“, antwortete<br />

Hanni, „und hier im Eimer ist die<br />

gute Milch, die ihr doch am Morgen immer<br />

so gerne trinkt“. Die beiden standen immer<br />

noch staunend, als die Kuh den Schwanz hob<br />

und ein deutliches klack, klack, klack das leise<br />

Schnaufen und Rascheln der anderen Kühe<br />

übertönte. Erschrocken blickten die beiden<br />

und der ältere der Buben hatte ein Grausen<br />

im Blick, als er fragte: „Das soll die schöne<br />

Milch sein“, die, die sie morgens aus der gelben<br />

Steingut-Kanne mit dem schwarzen<br />

Hahn bekamen? Die Milch, die morgens so<br />

schön warm war, wenn sie auf den Frühstückstisch<br />

kam?<br />

„Kommt da wirklich die Milch heraus?“<br />

fragte er gruselnd und betrachtete das dicke<br />

Euter und die grünen Fladen neben dem<br />

Eimer. „Ja, das ist die Milch, die du so liebst“,<br />

sagte Magd Hanni. „Dann will ich im Leben<br />

keine Milch mehr“, erwiderte der kleine<br />

Knirps, wandte sich ab und zog seinen kleinen<br />

Bruder fast von den Beinen. Bestürzt über<br />

diese neue Entdeckung verdrückten sich<br />

beide aus dem Stall. Igitt!<br />

Verschmitzt sagte Willem: „Wollen wir wetten,<br />

dass die heutigen Knirpse aus der Stadt<br />

auch meinen, die Milch käme aus der Fabrik<br />

oder wäre von Natur im Wachskarton verpackt?<br />

Wenn die wüssten, dass die Hühnereier<br />

ähnlich auf die Welt kommen, dann wäre<br />

denen die Geschichte mit dem Osterhasen<br />

nicht mehr schmackhaft zu machen.“<br />

Unser Carlos, der Rottweiler, lag wie immer<br />

zufrieden zu unseren Füßen und stimmte mit<br />

einem tiefen „Wuff, wuff“ der Geschichte zu.<br />

Einen „Bullenschluck“ zum Abschluss gönnten<br />

wir uns noch, wobei wir zu der Erkenntnis<br />

kamen, dass der Bullenschluck nicht nur<br />

zur äußerlichen Anwendung geeignet ist, da<br />

hat der Apotheker recht.<br />

Mit freundl. Genehmigung von Frau Ute Vietor<br />

(†), Dötlingen bei Wildeshausen, nacherzählt<br />

von Herbert A. Peschel.<br />

Verwendete Quellen und Anmerkung:<br />

(*1) (vermutlich meinte Wilhelm die damalige<br />

Magd Anni, die damals bei den Vietors in Stellung<br />

war.<br />

- Erinnerung des Autoren Herbert A. Peschel an<br />

die Wohngemeinschaft mit Wilhelm Vietor auf<br />

„Wohlde Hof 6“ bei Wildeshausen.<br />

- „Unter der Speckflagge“, Anekdoten aus einer<br />

bremischen Familie, von Wilhelm Vietor,<br />

erschienen bei Carl Schünemann, Bremen,<br />

1969.<br />

- Beiträge von Herbert A. Peschel im SENIOREN-<br />

LOTSEN bei bremen-online unter dem Titel<br />

„Us Willem vertellt“ Teil 1 und 2, aus dem<br />

Jahre 2008.<br />

- Carl Paul Tagebuch von Juli <strong>18</strong>81 bis Oktober<br />

<strong>18</strong>83 und Philipp Schmidt, Stadtmissionar an<br />

der St. Pauli-Gemeinde in der Neustadt in seinen<br />

Lebenserinnerungen.<br />

- Briefe und Gespräche mit der Witwe Frau Ute<br />

Vietor, Dötlingen, in 2009.<br />

- „Es begann in Lesmona“ von Bernd W. Seiler<br />

im Döll Verlag, 1993/99.<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

19


Lotte Loebinger<br />

Ein Schauspielerporträt von Heinrich Vogeler<br />

Wer Heinrich Vogelers eindrucksvolles<br />

Porträt von Lotte Loebinger (1905 – 1999)<br />

in den letzten Jahren im Barkenhoff in<br />

Worpswede sah, hat sich vielleicht gefragt,<br />

wer diese Person gewesen ist. Was verbindet<br />

Vogeler mit dieser Schauspielerin?<br />

Ich stellte mir die Frage erst kürzlich wieder<br />

einmal, als ich im Nachlass meiner<br />

Großmutter Martha Schnaars-Vogeler,<br />

genannt Mascha, eine kleine Fotografie<br />

mit einer Widmung von Lotte Loebinger<br />

fand, die mir Rätsel aufgab.<br />

Hier heißt es: „Unserer lieben teuren<br />

Mascha zum Andenken an unseren Besuch<br />

in ihrem erinnerungsschweren Haus im<br />

Schluh. Lotte Loebinger 1190 Berlin Britzerstr.<br />

19, Plastik von Robert Riehl Foto von<br />

Ines Schiffbauer Hannover 3000 Aachenerstr.<br />

11.“<br />

Ein Datum ist nicht vermerkt. Da ich seit<br />

1990 mit meiner Großmutter bis zu ihrem<br />

Tode unter einem Dach im Haus im Schluh<br />

lebte, kann ich jedenfalls sagen, dass Lotte<br />

Loebinger vor dem Herbst 1990 in<br />

Worpswede zu Besuch gewesen sein muss.<br />

Es berührt mich auf eine besondere Weise,<br />

dass sie sich wohl mit weit über 80 Jahren<br />

auf den Weg nach Worpswede machte,<br />

um den Ort kennenzulernen, in dem Heinrich<br />

Vogeler als junger Künstler gelebt<br />

hatte. Vermutlich nutzte sie die neue Reisefreiheit<br />

nach dem Mauerfall, um den<br />

Westen Deutschlands zu bereisen.<br />

Bedeutende Schauspielerin<br />

in der ehemaligen DDR<br />

Da sie in der DDR eine bedeutende<br />

Schauspielerin im Theater und Film war,<br />

lässt sich über sie einiges recherchieren.<br />

Sie wird am 10.10.1905 in Kattowitz/<br />

Oberschlesien geboren und tritt schon als<br />

junge Frau dem Kommunistischen Jugendverband<br />

bei. 1925 beginnt sie in Breslau<br />

ihre Schauspielkarriere, kurze Zeit später<br />

zieht es sie jedoch in die Metropole Berlin.<br />

Hier lernt sie Erich und Kreszentia (Zenzl<br />

genannt) Mühsam kennen. Er war Herausgeber<br />

der anarchistischen Zeitschrift<br />

„Fanal“ und engagierte sich in der KPDnahen<br />

Roten Hilfe Deutschlands.<br />

Im Mai 1925 zieht Heinrich Vogeler mit<br />

Sonja Marchlewska und dem gemeinsamen<br />

Sohn Jan nach Groß Lichterfelde bei<br />

Berlin. Ein Atelier in einem Gartenhaus in<br />

der Elisabethstraße 33 wird ihr neues kleines<br />

Heim. Bis Ende April 1927 werden sie<br />

dort wohnen und von hier aus zu drei Reisen<br />

in die Sowjetunion aufbrechen. Dann<br />

beziehen sie ein Reihenhaus in der Onkel-<br />

Bräsig-Straße 138 in der Hufeisensiedlung<br />

Britz. Da Leberecht Migge als Gartenarchitekt<br />

für die Außenanlagen dieses vorbild-<br />

Gemälde Heinrich Vogeler, Frau im Lehnstuhl<br />

(Lotte Loebinger), 1937/1938, Staatliche Museen<br />

zu Berlin, Neue Nationalgalerie (Inv.-Nr. A III 267),<br />

Dauerleihgabe an die Barkenhoff-Stiftung Worpswede.<br />

Foto: Barkenhoff-Stiftung Worpswede<br />

haften sozialen Wohnungsbauprojektes<br />

von Bruno Taut und Martin Wagner verantwortlich<br />

war, kann es durchaus sein,<br />

dass Heinrich Vogeler durch ihn den Hinweis<br />

bekam, sich für eine Wohnung zu<br />

bewerben. Migge war Grundstücksnachbar<br />

in Worpswede gewesen und hatte dort<br />

mit seinen Gartentipps die Arbeitskommune<br />

von Vogeler bei der Umnutzung des<br />

Jugendstilgartens in eine gartenbauliche<br />

Nutzfläche unterstützt. Die finanzielle<br />

Situation Heinrich Vogelers ist so angespannt,<br />

dass er ab Sommer 1927 in der<br />

Berliner Arbeitsgemeinschaft für Werbung<br />

und Messebau „Die Kugel“ arbeitet. Initiator<br />

und Kopf der Gruppe ist der spätere<br />

Widerstandskämpfer Herbert Richter.<br />

Heinrich Vogeler wird Mitglied in der<br />

„Arbeitsgemeinschaft Kommunistischer<br />

Künstler“. Er arbeitet in der 29. KPD-<br />

Straßenzelle in Neukölln mit und organisiert<br />

Kinderfeste und -umzüge.<br />

Nur wenige Straßen weiter ziehen 1927<br />

Erich und Zenzl Mühsam in ein ähnliches<br />

Haus. Käthe Kollwitz beschreibt in ihren<br />

Tagebüchern die Zusammenkünfte in<br />

Mühsams Wohnung, die durch heftige<br />

politische Diskussionen, Satire und Spaß<br />

geprägt waren. Sie begegnet hier auch<br />

Herbert Wehner, Sonja Marchlewska und<br />

Heinrich Vogeler. Schriftsteller Theodor<br />

Plievier und seine Frau Maria Stoz gehören<br />

zum Freundeskreis. Lotte Loebinger lernt<br />

hier den kämpferischen Herbert Wehner<br />

kennen, verliebt sich in den ein Jahr jüngeren<br />

Mann und heiratet ihn im selben Jahr.<br />

Sonja Marchlewska beschreibt in ihrem<br />

autobiografischen Buch „Eine Welle im<br />

Meer“ wie sie mit Heinrich Vogeler regelmäßig<br />

die Vorführungen in der Volksbühne<br />

am Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz)<br />

besuchen und sich mit Erwin<br />

Piscator und seinen Schauspielerinnen und<br />

Schauspielern anfreunden. 1927 gründet<br />

Piscator seine eigene Bühne am Nollendorfplatz.<br />

Erich Mühsam wird Mitglied im<br />

künstlerischen Beirat der Piscator-Bühne.<br />

1931: Tournee und<br />

erste Tonfilmrollen<br />

Lotte Loebinger erhält 1929 ein Engagement<br />

im Piscator-Kollektiv und geht 1931<br />

mit ihm auf eine Tournee durch Deutschland<br />

und Österreich, um das Stück „§ 2<strong>18</strong>“<br />

(Frauen in Not) aufzuführen. Bei Piscator<br />

begegnet sie u.a. dem Schauspieler Heinrich<br />

Greif (1907 Dresden - 1946 Berlin),<br />

der ein Jahr vorher zum Theater-Kollektiv<br />

dazugestoßen war.<br />

Im Mai 1929 kommt das Theaterstück<br />

„Kolonne Hund“ von Friedrich Wolf auf die<br />

Bühne des Arbeiter-Theater-Bundes in der<br />

Hasenheide zur Uraufführung. Thema des<br />

Stücks Vogelers Kommune Experiment<br />

Barkenhoff, Regie und Hauptrolle Gustav<br />

von Wangenheim, Bühnenbilder Heinrich<br />

Vogeler. Es gibt in der Roten Hilfe Deutschland<br />

und der KPD heftige Richtungskämpfe.<br />

Da Vogeler dazu am III. Reichskongress<br />

der Roten Hilfe Deutschland Stellung<br />

nimmt, wird er im Oktober 1929 aus<br />

der KPD und der RHD ausgeschlossen. Er<br />

galt als ein Anhänger der Kommunistischen<br />

Partei-Opposition, Wilhelm Pieck<br />

nennt ihn öffentlich einen „Verbrecher“<br />

und „Feind der Roten Hilfe“.<br />

1931 bekommt Lotte Loebinger das<br />

Angebot, erstmals in einem Kinotonfilm<br />

mitzuspielen. In „M – Eine Stadt sucht<br />

einen Mörder“ von Fritz Lang spielt sie eine<br />

kleinere Nebenrolle. Dann folgt 1932 der<br />

Film „Das erste Recht des Kindes“ und<br />

1933 „Eine Stadt steht Kopf“.<br />

Schon 1931 gibt es Großrazzien in Berlin,<br />

bei denen man nach unliebsamen politisch<br />

aktiven Menschen sucht. Im Juni<br />

nimmt Heinrich Vogeler einen Auftrag in<br />

einem Komitee für die Standardisierung<br />

des Bauwesens in der Sowjetunion an und<br />

verlässt Deutschland. Sonja und Jan folgen<br />

im Frühjahr 1932. Friedrich Lengnik, ein<br />

sehr enger Mitarbeiter von Lenin und<br />

Julian Marchlewski, vermittelt ihm diesen<br />

Auftrag. Der Russe Lengnik hatte Vogeler<br />

in Berlin besucht und ihm diese Arbeit vorgeschlagen,<br />

als er die soziale Not des<br />

Künstlers sah. 1934 wird Vogeler offiziell<br />

20 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


Bild links:<br />

Fotografie einer Plastik von Robert Riehle, Fotografin:<br />

Ines Schiffbauer, aus dem Nachlass von<br />

Martha Schnaars-Vogeler<br />

Bild oben:<br />

Widmung von Lotte Loebinger auf der Rückseite<br />

der Fotografie<br />

aus Deutschland ausgebürgert. Eine Rückkehr<br />

ist nicht mehr möglich.<br />

Kurz nach der sogenannten Machtergreifung<br />

der Nationalsozialisten wird Erich<br />

Mühsam inhaftiert und am 10. Juli 1934<br />

von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg<br />

ermordet. Zenzl Mühsam flüchtet<br />

nach dem Tod ihres Mannes nach<br />

Moskau, obwohl sie ihr Mann davor ausdrücklich<br />

noch gewarnt hatte und wird<br />

dort erstmals 1936 wegen „konterrevolutionärer<br />

trotzkistischer Tätigkeit“ inhaftiert.<br />

Nach verschiedenen Lageraufenthalten<br />

kommt sie erst 1954 frei und darf in die<br />

DDR ausreisen.<br />

Flucht mit Herbert Wehner<br />

nach Moskau<br />

In letzter Minute flüchten Herbert Wehner<br />

und Lotte Loebinger 1936 nach<br />

Moskau. Sie werden mit anderen Exildeutschen<br />

im Hotel Lux einquartiert, wo politische<br />

Schulung und Verhöre zu ihrem Alltag<br />

gehören. Sie nehmen Kontakt zu ihren<br />

Freunden aus Berlin auf, die inzwischen in<br />

Moskau leben. Heinrich Vogeler war mit<br />

seiner Familie inzwischen im Haus der<br />

Regierung, das gegenüber dem Kreml an<br />

der Moskwa liegt, einquartiert. Sonja und<br />

Lotte treffen sich regelmäßig. Im selben<br />

Jahr entsteht der Film „Kämpfer“ mit dem<br />

Regisseur Gustav von Wangenheim. Viele<br />

Hauptrollen waren mit deutschen Exillanten<br />

besetzt. Zum Beispiel Lotte Loebinger<br />

als Mutter Lemke, Gregor Gog als Peters,<br />

Heinrich Greif als SA-Mann Eickhoff, Ada<br />

von Bastinella als Frau des Gefängnisaufsehers,<br />

Else Wolf als Nachbarin, Konrad Wolf<br />

als ihr Sohn. Heinrich Vogeler wird zusammen<br />

mit Teo Otto für die Bühnenarchitektur<br />

beschäftigt, Helen van Dongen ist Filmeditorin.<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

Im August beginnt der erste stalinistische<br />

Schauprozess in Moskau gegen Regimegegner,<br />

weitere folgen 1937 und 1938.<br />

Im Umfeld Vogelers werden immer mehr<br />

Männer und Frauen verhaftet, verschwinden<br />

und werden ermordet.<br />

Etwa 1937/1938 porträtiert Vogeler<br />

Lotte Loebinger in seiner Wohnung, so hat<br />

sie selbst es in ihren Erinnerungen geschildert.<br />

Sie beschreibt den alten Freund als<br />

schweigsamen verschlossenen Menschen.<br />

Heinrich Greif sitzt ihm vermutlich in der<br />

selben Zeit für ein Porträt Modell. Greif<br />

war über Paris und Zürich nach Moskau<br />

emigriert und wurde von 1935 bis 1945<br />

Chefsprecher der deutschsprachigen Sendungen<br />

von Radio Moskau. Dann kehrt er<br />

nach Berlin zurück und stirbt nach einer<br />

missglückten Operation ein Jahr später.<br />

Trennung von<br />

Herbert Wehner<br />

Lotte Loebingers Mann Herbert Wehner<br />

nutzt 1941 die Gelegenheit, dass er von<br />

der Partei nach Schweden geschickt wird,<br />

um sich dort abzusetzen. Sie überlässt ihm<br />

für die Flucht eine goldene Familienbrosche,<br />

die er in Goldzähne umarbeitet,<br />

damit es bei der Grenzkontrolle nicht auffiel.<br />

1945 geht sie zurück nach Berlin und<br />

spielt an verschiedenen Berliner Bühnen<br />

und wirkt in diversen Filmen mit. Am Ende<br />

ihres Lebens hatte sie in 77 Filmen und<br />

unzähligen Theaterstücken mitgewirkt.<br />

Von ihrem Mann lässt sie sich erst 1952<br />

scheiden. Seine Geschichte als einer der<br />

bedeutenden Nachkriegspolitiker Westdeutschlands<br />

ist hinlänglich bekannt und<br />

in dem zweiteiligen Doku-Drama von<br />

Heinrich Breloer 1993 verfilmt.<br />

Das Ölgemälde „Lotte Loebinger“ von<br />

Heinrich Vogeler befindet sich seit einigen<br />

Jahren, gemeinsam mit einigen weiteren<br />

Werken aus dem Nachlass Heinrich Vogelers,<br />

im Bestand der Staatlichen Museen zu<br />

Berlin und ist 2004 von dort als Dauerleihgabe<br />

nach Worpswede gegeben worden.<br />

Jan Jürgen Vogeler war es 1953 gelungen,<br />

die Werke aus dem Nachlass seines Vaters<br />

in die Nationalgalerie in Berlin-Ost in<br />

Obhut zu geben. Ein Jahr später präsentiert<br />

die Deutsche Akademie der Künste die<br />

Ausstellung „Heinrich Vogeler – Werke seiner<br />

letzten Jahre“ mit 35 Ölgemälden und<br />

diversen Zeichnungen. Im Katalog zur Ausstellung<br />

ist auch das Porträt „Lotte Loebinger“<br />

verzeichnet.<br />

Daniela Platz<br />

Quellen:<br />

– Hrsg. Manfred Bruhn: Heinrich Vogeler<br />

<strong>18</strong>72-1942, Ein Leben in Bildern mit einem<br />

aktuellen Werkkatalog der Gemälde von<br />

Rena Noltenius. Fischerhude 2013.<br />

– Bernd Stenzig: Worpswede Moskau, Das<br />

Werk von Heinrich Vogeler, 3. Auflage.<br />

Worpsweder Verlag 1991.<br />

– Heinrich Vogeler: Werden, Erinnerungen<br />

Mit Lebenszeugnissen aus den Jahren<br />

1923-1942. Berlin 1989<br />

– Karl-Robert Schütze: Die Kugel in: Berlin in<br />

Geschichte und Gegenwart, Jahrbuch des<br />

Landesarchivs Berlin 2016.<br />

– Deutsche Akademie der Künste, Berlin:<br />

Heinrich Vogeler, Werke seiner letzten<br />

Jahre. Berlin 1955.<br />

– Lotte Loebinger. Wikipedia abgerufen am<br />

5.11.<strong>2017</strong><br />

– Lotte Loebinger in Internet Movie Database<br />

http://www.imdb.com/name/nm0517234<br />

/ am 5.11.<strong>2017</strong> abgerufen.<br />

– Theodor Plievier. Wikipedia abgerufen am<br />

5.4.<strong>2017</strong><br />

– Otto Karl Heinrich Greif. Wikipedia abgerufen<br />

am 7.11.<strong>2017</strong><br />

21


Unsere gefiederten Freunde<br />

Ganzjährig Vögel füttern ist überlebenswichtig<br />

Warum?<br />

Was hat sich geändert?<br />

Wenn wir uns vor Augen führen, dass es<br />

eigentlich die Ordnung war, dass die in<br />

freier Wildbahn lebenden Vögel ihre Nahrung<br />

in Feld und Flur fanden, dann ist diese<br />

Situation noch gar nicht so lange her. Bis<br />

vor 200 Jahren hatten die meisten Vögel in<br />

ihren noch weitgehend natürlichen<br />

Lebensräumen viele Insekten, Samen tragende<br />

Kräuter und reich mit Beeren<br />

behangene Büschen und Bäumen ausreichend<br />

Futter auch den <strong>Winter</strong> durch.<br />

Seit den 1960er Jahren wurde die Landschaft<br />

durch die Landwirtschaft extrem<br />

etwas zurückgeben. Das können wir mit<br />

einer Ganzjahresfütterung tun. Denn Fakt<br />

ist, dass es unseren Vögeln das ganze Jahr<br />

über an Nahrung fehlt und die Bestände<br />

sich dramatisch reduzieren.<br />

Warum denn auch im<br />

Sommer füttern?<br />

Haben die Vögel einen Partner gefunden<br />

und sorgen ihrer Natur entsprechend<br />

für Nachwuchs, so ist die schwierigste Zeit<br />

die Fütterung der Vogelküken. Bis zu 200<br />

Mal fliegen zum Beispiel Blaumeisen zu<br />

ihrem Nest, um die Jungen mit Insekten zu<br />

füttern. Ihr Energiebedarf ist in dieser Zeit<br />

besonders hoch. Da beansprucht es die<br />

trocken anbieten. Der Vorteil von kleinen<br />

Schälchen ist, dass die Vögel das Futter<br />

nicht mit Kot beschmutzen. Alle Meisenarten,<br />

Kleiber, Buntspechte hängen sich<br />

gerne an Futterglocken, Meisenringe oder<br />

Meisenknödel. Sie kann man auch ohne<br />

kleine grüne Netze kaufen und in Drahtsilos<br />

anbieten, so dass die Knödel nicht verschleppt<br />

werden können. Für Erdnüsse, die<br />

sehr energiereich sind, gibt es ebenso Futtersilos.<br />

Darüber hinaus biete ich auch<br />

geschälte Erdnüsse in einem Blumenuntersetzer<br />

an, sodass sich die Vögel ohne große<br />

Mühe bedienen können. Sonnenblumenkerne<br />

mit oder ohne Schalen – eine Frage<br />

des Geldes – sind ebenso heiß begehrt.<br />

Auch bei Eichhörnchen . . .<br />

verändert. Unsere „Kultur“-Landschaft<br />

wird auf Feldern und Wiesen zu einer<br />

Monokultur- und Nutzlandschaft. Zusätzlich<br />

werden „Un“-Geziefer und „Un“-Kräuter<br />

mit Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden<br />

verfolgt. Eine Überdüngung<br />

bewirkt ein Übriges. Dadurch gibt es<br />

immer weniger blühende Pflanzen für die<br />

Insekten. Um großflächige Äcker und Wiesen<br />

maximal schnell bewirtschaften zu<br />

können, werden Hecken und Bäume vernichtet.<br />

Somit fehlt der Lebensraum vieler<br />

Vögel und das entsprechende Nahrungsangebot<br />

wird massiv eingeschränkt.<br />

Da wir Menschen unseren gefiederten<br />

Freunden immer mehr weggenommen<br />

haben, müssen wir ihnen als verantwortungsvolle<br />

Naturfreunde auch wieder<br />

Januar<br />

Ist der Jänner gelinde,<br />

folgen im Frühjahr raue Winde.<br />

Foto: www.storchenelke.de Grünfinken am Futterspender Foto: Ingo Ludwichowski<br />

Elternvögel enorm, auch noch für sich<br />

selbst Insekten zu suchen. Wenn sie sich<br />

dann an einem Futterplatz schnell stärken<br />

können, so ist die Wahrscheinlichkeit groß,<br />

dass ihre Jungen überleben können.<br />

Was können wir füttern?<br />

Grundsätzlich gibt es die Fütterung auf<br />

dem Boden und in den Zweigen. Amseln,<br />

Rotkehlchen, Zaunkönig, Heckenbraunellen<br />

und auch die Buchfinken lieben es, auf<br />

dem Boden nach Futter zu suchen. Für sie<br />

kann man Haferflocken mit einem guten<br />

Öl mischen, Rosinen dazugeben und alles<br />

in kleine Schälchen oder Blumenuntersetzer<br />

schütten und in einem Bodenfutterhaus<br />

oder unter einem Dachvorsprung<br />

Bauernregeln<br />

Januar – Februar – März<br />

Februar<br />

Hat der Hornung die Kälte gebracht,<br />

uns nun bald die Sonne lacht.<br />

Die Futterstellen sollten recht sauber<br />

gehalten werden. Dazu nimmt man ausschließlich<br />

heißes Wasser und bürstet die<br />

Fläche frei. Dass die Vögel auch im <strong>Winter</strong>,<br />

wenn es gefroren ist, Wasser brauchen,<br />

überrascht vielleicht den einen oder anderen.<br />

Bitte keine Essensreste verfüttern: Sie<br />

sind gesalzen und gewürzt, was die kleinen<br />

Piepmätze nicht vertragen können.<br />

Betrachten Sie die Ideen zum Füttern als<br />

Anregungen. Es gibt darüber hinaus jede<br />

Menge Möglichkeiten – ob gekauft oder<br />

auch selbst gemacht – wie man den<br />

Vögeln das Leben erleichtern kann. Allemal<br />

ist es eine Freude zu beobachten, wie<br />

schnell verschiedene Vogelarten an die<br />

Futterstellen kommen.<br />

Susanne Eilers<br />

März<br />

Märzenwinde, Aprilenregen,<br />

verheißen im Mai großen Segen.<br />

Wenn im Januar der Frost nicht kommen will,<br />

so kommt er im Märzen und April.<br />

Gibt' s im Februar viel Sterne,<br />

dann legen auch die Hühner gerne.<br />

Ist Kunigunde (3.3.) regenschwer,<br />

dann bleibt gar oft die Scheune leer.<br />

22 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


Lach- und Torfgeschichten<br />

„In’n Sneestorm“<br />

Dat gifft jo mennigmol so wunnerbore<br />

Soken, dor denkt man bloots: „Wie kannt<br />

angohn?“ So is mi dat uck posseert. Vor<br />

gor nich lange Tied hebb ik 9 Upsätze ut<br />

min Schooltied von Swoger Hartmut kregen,<br />

al de Originole von 1964 bit 1966. De<br />

harr ik emm in junge Johrn mol utlehnt un<br />

he hett se fein behott upwort. Dor, no<br />

mehr at fofftig Johrn, nochmol in to lesen<br />

un to stöbern, weer mi een reinet Vorgnögen.<br />

De Upsatz Nr. 9 mmit Dotum 24.<br />

Febr. 1966 hett mi dat andoon un ik schrief<br />

emm nochmol neet up, nu ober up plattdüütsch.<br />

He heet „In’n Sneestorm“ un is so<br />

posseert bi us in Düwelsmoor in’n Februar<br />

1966.<br />

An’n vorgangen Dingesdag weih een<br />

scharpen un sneidigen Ostwind. Dat weer<br />

ieskolt un he dreef grode Sneemassen vor<br />

sick her. Morgens, at ik mit Rad no School<br />

föhr, harr ik den Sneestorm liek von vorne.<br />

Mennigmal wirbeln mi de Flocken in’ne<br />

Ogen un ik kunn slecht vorruut kieken,<br />

kööm toletzt ober good in de School an. In<br />

de Pausen bleben wi in de warme Klass,<br />

buten weer dat to kolt un de Flocken susen<br />

an de Fenster vorbi. Middogs harr ik den<br />

Wind up’n Puckel un bruus mit min Rad<br />

dör de Sneebulten, de stööf man so bisiet.<br />

Dat snee den ganzen Nomdaag un de<br />

Nacht hendör. Annern Mor’n, at ik<br />

upstünnt un ut’n Fenster kieken wull, keek<br />

ik jegen een Sneemüer de bit an us Strohdaak<br />

recken deer. As ik bi Oma an’n Kökendisch<br />

seet un hitte Melk drunk, hör’n wie<br />

in’n Radio, dat eenige Bundesstroten<br />

sperrt weern, de Sneebarge legen to hoch.<br />

In Bremen kunnen enkelte Strotenbohnen<br />

un Busse nich mehr föhrn. „Dor kann ik mi<br />

jo al mol up wat instellen“, segg ik to Oma<br />

un keek up de Kökenklock. De dicken Steven<br />

antogen, de Pudelmutz ober de Ohr’n,<br />

de Schooltasch ut de Eck un los güng dat<br />

in’n Snee. Mi’n Rad leet ik gliek in’n Huus<br />

un stapp los no de lüttje Reeg. Ut’n Hüddel<br />

kömen twee Lichter jümmer nöger, dat<br />

weer „Jan Fofftein“ mit sien Deutz un de<br />

Melkwogen, um de Kannen aftoholen.<br />

„Moin Jan“, rööp ik luut. „Moin Jan“, wullt<br />

du mit us köömt torüch von’n Trecker. Ik<br />

klatter bi Jan un Gerda Wendelken up eer’n<br />

Deutz. Beter güng dat nicht, so kööm ik<br />

fein dör den dicken Snee no us School. Dor<br />

weer een mannshogen Sneebarg tohoopweiht.<br />

Wie Jungs schüppen de Döör free<br />

un groben Gänge un Höhlen in den Barg.<br />

Eenige Schoolkinner weern ober uck nicht<br />

dörkomen. In de grode Paus toben wie<br />

in’n Snee un rullen dicke Kugeln tohoop,<br />

dormit bo’en wie in’n Schoolgorden an’ne<br />

Dorpstraat ee’n stattlichen Sneemann.<br />

Middogs weih de Snee jümmer noch tosomen,<br />

an’n Nomdag schüppen min Papa<br />

Hinnerk un ik usen Huusdamm woller free.<br />

Dat hör ganz langsom up to snee’n. In de<br />

School harr min Kumpel Hermann Wellbrock<br />

mi vortellt, dat gustern up een<br />

Moorweid boben an’n Bargschütt een lüttjet<br />

belgisches Sportflugzeug notlandt<br />

weer. De Pilot harr in den Sneestorm sien<br />

lieken Weg verlorn. He weer mit sien Fleeger<br />

up de Nees flogen, de Propeller weer<br />

total vorbögt. De Pilot harr veel Dusel<br />

harrt, he weer dor heel bi bleben un tofoot<br />

bi Wellbrocks up’n Hoff ankomen. Dor<br />

harrn se de Polizei anropen un emm een<br />

Taxi no’n Bremer Fleegerhoben bestellt. Se<br />

snacken een beten englisch un mit Hann<br />

un Fööt tohoop. Sien Fleeger leeg boben<br />

in’n Moor an de Torfkant. Anner’n Morgen<br />

föhr ik woller mit Rad no School, de Stroten<br />

weer freerüümt worn, man kunn woller<br />

vorkehrn. De Sunn keek uck dör de Wulken<br />

un us Schoolmester Steffens wull mit<br />

sien Schöler tofoot no’n Bargschütt lopen.<br />

So’n Utflüge hebbt wie foken mol mokt,<br />

wenn in’n Dorp wat to kieken geef. No de<br />

tweete Stunn sünnt wie loslopen, jümmer<br />

de Dorpstroot lang un bi Wellbrock den<br />

Moorweg hoch. Dor leegen noch hoge<br />

Sneebulten un wie harrn us Steveln bald<br />

vull. No een lüttje Stunn kömen wie an de<br />

Weid mit den twei’en Sportfleeger an, de<br />

harr een rot un witte Lackierung. Beide Fluken<br />

weern anknickt un de Propeller wör<br />

vorbogen. Torfeer un Snee hungen dor<br />

andool. De Döör weer open, wie Jungs<br />

kunnen rinklattern. Wenn wie an den<br />

Stüerknüppel tögen, beweeg sick achtern<br />

dat Höhenruder. An’n leevsten wörn wie<br />

wol dormit losflogen, dat weer wat for de<br />

Schoolkinner ut Düwelsmoor. Up’n<br />

Trüchweg funnen wie noch Spor’n von<br />

grode Steveln in’n Snee, de weern von de<br />

beiden Polizisten ut Osterholt. Middags<br />

woller to Huus an’n Kökendisch geef dat<br />

vor mi ornlich war Nee’s to vortellen. Min<br />

natten Strump un Steveln drögen al an’n<br />

Kökenherd un de Fööt worn langsom uck<br />

woller warm.<br />

Jan (Johann) Brünjes<br />

‘n beten wat<br />

op Platt<br />

Redensarten unserer<br />

engeren <strong>Heimat</strong><br />

Oh Mudder, wat is de Welt doch grot,<br />

sä de Jung, do keek he achtern Backoben<br />

owern Tun.<br />

Dat Nödigste toeerst, sä de Mann, do<br />

knubbel he sien Wief.<br />

Ick strof mien Froo mit Gott's Wort, sä<br />

de Buur, do smeet he eer de Bibel an'n<br />

Kopp.<br />

De Week fangt jo good an, sä de Spitzboow,<br />

do ward he an'n Sonndagmorgen<br />

ophangt.<br />

Is doch wenigstens wat, sä Jan, do<br />

schoot he na'n Hasen un dröp een<br />

Muus.<br />

Dat Kruut kenn ick, sä de Düwel, do<br />

sett he sick in de Brennnetteln.<br />

Is doch good, wenn een'n unner Dack<br />

un Fack is, do harr he sick in'n Goosstall<br />

sleeken.<br />

(aus „<strong>Heimat</strong>bote“, Osterholz, 1926)<br />

Peter Richter<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

23


Bremens „gute Stube“<br />

Kleine Geschichten rund um den Bremer Marktplatz<br />

Wollte man über die schönen Häuser<br />

und über das historische alte Bremer Rathaus<br />

am Marktplatz schreiben, dann erinnert<br />

man sich sofort an die vielen Bücher,<br />

die zu diesem Thema bereits geschrieben<br />

worden sind. So gibt man sich zufrieden,<br />

in einem kurzen Beitrag die Besonderheiten<br />

hervorzuheben.<br />

Täglich lassen sich zahlreiche Touristengruppen<br />

von ortskundigen Gästeführerinnen<br />

bzw. von Gästeführern besonders die<br />

kunstvoll gestaltete Rathausfassade und<br />

auch das Haus der Bremer Handelskammer,<br />

als Schütting bekannt, erklären.<br />

Natürlich gehört auch der zeigenswerte<br />

Roland dazu. Die Bildungsreisenden<br />

hören, dass die Stadt 782 erstmals als Bremen<br />

erwähnt worden und dass der steinerne<br />

Riese der älteste, der schönste und<br />

der größte seiner 27 noch erhaltenen<br />

Namensvettern ist. Er steht nun seit 1404<br />

auf dem Bremer Marktplatz. Erwähnt wird<br />

auch das Alte Rathaus, das in den Jahren<br />

1405 bis 1410 erbaut wurde. Spitzbübisch<br />

und ein wenig stolz wird darauf hingewiesen,<br />

dass Bremen schon bevor Amerika<br />

1492 entdeckt worden ist, seinen Roland<br />

und sein Rathaus besaß.<br />

Das Hanseatenkreuz<br />

Den schönsten Blick auf das Alte Rathaus<br />

gewinnt man, wenn man mitten auf dem<br />

Hanseatenkreuz steht. Von hier sieht man<br />

jedoch nur das Alte Rathaus, aber nicht das<br />

dahinterliegende Neue Rathaus, das von<br />

dem Architekten Gabriel von Seidl geplant<br />

und von 1903 bis 1907 erbaut wurde.<br />

Auf dem Pflaster des Bremer Marktplatzes<br />

befindet sich seit <strong>18</strong>63 das in farbigem<br />

Stein gearbeitete Hanseatenkreuz. Dieses<br />

Ehrenkreuz ist in seiner Form verwandt mit<br />

dem Eisernen Kreuz. Das große Hanseatenkreuz<br />

soll an die Völkerschlacht bei Leipzig<br />

erinnern. Fünfzig Jahre danach wurde vor<br />

dem alten Bremer Rathaus das Hanseatenkreuz<br />

als Pflasterarbeit eingepasst.<br />

Schon <strong>18</strong>13 stifteten die Hansestädte für<br />

die Teilnehmer an den Freiheitskriegen ein<br />

entsprechendes Ehrenzeichen. Dieser<br />

Orden war für die Bremer Krieger rot<br />

lackiert und hatte in der Mitte ein rundes<br />

Medaillon mit dem Bremer Wappen.<br />

Später nutzten Bremer Reedereien und<br />

namhafte Unternehmen das Hanseatenkreuz<br />

als ihr Markenzeichen.<br />

Der Roland<br />

Unübersehbar und als Wahrzeichen Bremens<br />

gilt der Roland auf dem Marktplatz.<br />

Hier trifft man sich zu Verabredungen und<br />

wenn in früheren Zeiten Bremer Kaufleute<br />

Der Roland auf dem Bremer Marktplatz<br />

Foto: pixabay.com<br />

Das Hanseatenkreuz auf dem Bremer Marktplatz<br />

Foto: © Jürgen Howaldt - wikimedia.org<br />

zu einer weiten Reise aufbrachen, dann<br />

verabschiedete man sich vom Roland.<br />

Doch schon vor 1404 besaßen die Bremer<br />

einen Roland, doch der war aus Holz<br />

und so wurde er auf Geheiß des Erzbischofs<br />

Adalbert II 1366 von den Landsknechten<br />

des Erzbischofs verbrannt. Nach<br />

dem Grundsatz „Stein kann nicht brennen“,<br />

wurde 38 Jahre später ein steinerner<br />

Roland aufgestellt, der nun seinen Blick<br />

zum Bischofssitz richtet.<br />

Manches ist rätselhaft an dem steinernen<br />

Riesen, seine Größe, sein geheimnisvoller<br />

Blick, sein Schwert und vieles mehr.<br />

Zumindest geht man davon aus, dass<br />

Roland – ein Neffe von Kaiser Karl – bei<br />

einem Nachhutgefecht gegen die Sarazenen<br />

in den Pyrenäen im Jahre 778 ums<br />

Leben kam.<br />

Für Bremen zählt der steinerne Recke als<br />

Schutzpatron, er ist das Symbol für Recht<br />

und Freiheit.<br />

Seine Größe vom Sockel bis zum Kopf<br />

misst 5,55 m und bis zur Spitze des Baldachins<br />

sind es 10,21 m. Der Abstand der<br />

Kniespitzen zueinander ist das Maß der<br />

Bremer Elle und die ist mit 1/10 der Körpergröße<br />

= 55,5 cm angegeben. Doch<br />

sieht man den Roland genau an, dann<br />

möchte man auf so manche Frage noch<br />

eine Antwort haben, die ich hier nun zu<br />

erklären versuche.<br />

Als Zeichen der Stadtfreiheit trägt<br />

Roland den doppelköpfigen Reichsadler als<br />

Zeichen, dass Bremen die Reichsunmittelbarkeit<br />

beansprucht. Alles an ihm hat<br />

einen symbolischen Charakter.<br />

24 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


Die handschuhbeschützenden Hände<br />

bedeuten Marktgerechtigkeit und Marktfrieden.<br />

Das Schwert ist ein Zeichen der<br />

Gerichtsbarkeit über Hals und Hand und<br />

das bloße, unbedeckte Haupt symbolisiert<br />

den Respekt der Bremer vor dem Kaiser<br />

und seinem Stand.<br />

Obwohl ich davon ausgehe, dass die<br />

Einwohner Bremens den in Niederdeutsch<br />

geschriebenen Spruch mehrmals gelesen<br />

haben, der den inneren Rand des Rolandschildes<br />

schmückt, möchte ich ihn in<br />

hochdeutscher Sprache wiederholen.<br />

FREIHEIT VERKÜNDE ICH EUCH; DIE<br />

KAISER (KARL) UND MANCHER FÜRST<br />

FÜRWAHR DIESER STADT GEGEBEN HAT.<br />

DAFÜR DANKET GOTT, DAS IST MEIN RAT.<br />

Abschließend zu diesem Thema sei noch<br />

daran erinnert, dass der Bremer Roland am<br />

5. November Geburtstag hat. Und dann<br />

legen die Damen vom hiesigen Touristikverein<br />

jährlich zu Füßen des Rolands<br />

Blumen nieder. Diese liebgewordene Tradition<br />

geht auf den deutschstämmigen<br />

Kosaken-General Karl Freiherr von Tettenborn<br />

zurück, der <strong>18</strong>13 die Stadt von den<br />

Franzosen befreit hat. Aus diesem Anlass<br />

wurde in Bremen eine Straße nach ihm<br />

benannt und der Generalmajor von Tettenborn<br />

wurde dadurch Ehrenbürger der<br />

Stadt.<br />

Und zu Füßen des Rolands befindet sich<br />

der steinerne Kopf eines Krüppels, der<br />

angeblich mit der Gräfin Emma von Lesum<br />

in Verbindung gebracht wird. Danach sollten<br />

die Bremer Bürger die Gräfin gebeten<br />

haben, von ihrem Besitz Land abzugeben,<br />

das als Viehweide für ihre Tiere dienen<br />

könnte. Gräfin Emma zeigte sich freigiebig<br />

und war bereit, so viel Land den Bürgern<br />

zu überlassen, wie ein Mensch von Sonnenaufgang<br />

bis Sonnenuntergang umrunden<br />

könne. Ihr Schwager allerdings, der<br />

um sein Erbteil bangte, bestimmte für<br />

diese Aufgabe einen am Straßenrand sitzenden<br />

Krüppel. Das ist zwar eine hübsche<br />

Geschichte, die die Lesumer wohl gerne<br />

hören und auch erzählen, und doch<br />

gehört sie in das Land der Sagen.<br />

Die Lesumer jedoch haben am Aufgang<br />

zur Lesumer evangelischen St. Martini-Kirche<br />

zu Ehren der wohltätigen Gräfin Emma<br />

ein lebensgroßes Denkmal setzen lassen.<br />

Die Künstlerin, Christa Baumgärtel, ließ<br />

das Denkmal so aufstellen, dass die adlige<br />

Dame die Kirchenbesucher anschaut und<br />

nicht ihren Blick in die vielbefahrene Hindenburgstraße<br />

richtet.<br />

Der Schütting<br />

Bevor wir uns dem Rathaus zuwenden,<br />

schauen wir uns den Schütting an, dem<br />

Haus der Bremer Handelskammer. Auf Einwand<br />

der Ratsherren steht das Gebäude<br />

nicht genau dem Rathaus gegenüber, sondern<br />

nach den Mittelachsen beider Häuser<br />

ausgerichtet, befindet sich der Schütting<br />

beachtliche Meter weiter nach rechts.<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

Der Schütting<br />

Damit sahen die Ratsherren die von ihnen<br />

empfundene Rangfolge nicht beeinträchtigt.<br />

Es ist ein Haus, in dem die Gelder der<br />

Kaufmannsgilde „zusammengeschüttet“<br />

wurden. In den Jahren 1537/38 wurde das<br />

repräsentative Gebäude von dem Antwerpener<br />

Baumeister Johann de Buschener<br />

errichtet. Hier gingen die Elterleute zu<br />

ihren Beratungen täglich ein und aus. In<br />

den unteren Räumen befand sich eine<br />

Trinkstube für ehrbare Bürger und für Reisende,<br />

doch wer in der Gesellschaft durch<br />

Trunkenheit den Frieden störte, der landete<br />

im „Engelken Gatt“, ein Raum, um<br />

sich auszunüchtern.<br />

Im großen Saal im Obergeschoss bewirtete<br />

man Grafen, Fürsten und auch den<br />

russischen Zaren.<br />

Seit dem Jahre <strong>18</strong>99 ist der von dem<br />

Bürgermeister Otto Gildemeister erdachte<br />

Spruch „BUTEN UN BINNEN, WAGEN<br />

UN WINNEN“ an der Außenfassade zu<br />

lesen.<br />

Genauso interessant sind die Wappen<br />

folgender Hansestädte, die ebenfalls an<br />

der Schauseite zu erkennen sind.<br />

Sie sind von links wie folgt aufgereiht:<br />

der Hansestadt Hamburg (Stadttor<br />

unter Türmen),des Kontors in Bergen (halber<br />

Doppeladler/gekrönter Stockfisch), in<br />

Brügge (Doppeladler mit Stern auf der<br />

Brust), in London (Doppeladler mit einem<br />

Kronreif um den Hals), Nowgorod (halber<br />

Doppeladler mit Schlüssel) und das Wappen<br />

der Stadt Lübeck.<br />

Das Schüttingwappen über dem Portal<br />

nimmt verständlicherweise einen besonderen<br />

Platz ein.<br />

Foto: © A. Savin wikimedia.org<br />

Von <strong>18</strong>11 bis <strong>18</strong>13 diente das Haus als<br />

Justizpalast. Am 6.10.1944 brannte der<br />

Schütting bis auf die Grundmauern aus.<br />

Der Wiederaufbau der Außenfront in alter<br />

Form und der Innenräume war 1956 abgeschlossen.<br />

In einem Vorwort in einer Schrift zum<br />

450-jährigen Bestehen des Schüttings<br />

heißt es: „Als der heutige Schütting –<br />

bereits der Dritte seiner Art – in in den Jahren<br />

1537/38 gegenüber dem Rathaus<br />

errichtet wurde, geschah das aus gutem<br />

Grund. Er war von Beginn an Ausdruck des<br />

Selbstbewusstseins Bremischer Kaufleute<br />

und Zentrum der wirtschaftlichen Selbstverwaltung.<br />

Es sind die Elterleute des<br />

Schüttings gewesen, die unserem Gemeinwesen<br />

schon vor mehr als 300 Jahren die<br />

ersten Impulse gaben und damit den<br />

Grundstein für die älteste noch fortbestehende<br />

Stadtrepublik der Welt legten.“<br />

Kaum vorstellbar, über „Bremer Marktplatzgeschichten“<br />

zu schreiben, ohne das<br />

1405/1410 erbaute Rathaus zu erwähnen.<br />

Bereits 1229 wird von einem Rathaus<br />

berichtet, das als „Domus Theatralis“<br />

bezeichnet wurde. Es befand sich zwischen<br />

der Liebfrauenkirche und der Sögestraße.<br />

Doch das war natürlich den Ratsherren auf<br />

Dauer nicht angemessen und so wurde<br />

beraten und entschieden, das in der Nähe<br />

befindliche Haus der Lohgerber zu erwerben.<br />

Und weil diese Handwerksgilde sich<br />

mit dem Senat gütlich geeinigt hatte,<br />

beschloss der Hohe Rat, dass die Lohgerber<br />

einen besonderen Stammtisch im neu zu<br />

schaffenden Ratskeller bekommen sollten.<br />

Der heutige Bacchuskeller zählte zu<br />

Beginn noch nicht zum ursprünglichen<br />

25


es sich hier um Nachbildungen handelt,<br />

schmälert kaum den historischen Wert,<br />

denn sie gehören zum Bild des Rathauses<br />

als besonderer Blickpunkt. Es versteht sich<br />

von selbst, dass es sich bei den Personen<br />

um Darstellungen ehemaliger Würdenträger<br />

handelt, ohne dass auf Bildnisse oder<br />

Eigenschaften der betreffenden Menschen<br />

zurückgegriffen werden konnte.<br />

Doch wer verbirgt sich nun hinter der<br />

steinernen Prominenz? Zuerst sehen wir<br />

den Kaiser, danach den Erzbischof von<br />

Trier, ihm folgt der Erzbischof von Köln<br />

und Erzkanzler des Heiligen Römischen<br />

Reiches in Italien. Der König von Böhmen<br />

führt die weltlichen Fürsten an, daneben<br />

der Kurfürst von der Pfalz, jetzt noch der<br />

Kurfürst von Sachsen und der Kurfürst von<br />

Brandenburg schließt die Reihenfolge ab.<br />

Von den Bremern wird berichtet, dass sie<br />

stets den zum Kaiser gewählt haben, dessen<br />

Amtssitz am weitesten entfernt war.<br />

An der östlichen, zum Dom weisenden<br />

Rathausseite, befinden sich neben Apostel<br />

Das Rathaus<br />

Foto: Pixabay.com<br />

Ratskeller, denn der gehörte zu der i.J.<br />

1621 erbauten alten Börse und der Kellerraum<br />

diente als Weinlager und zur Aufbewahrung<br />

der Akten.<br />

Vor Baubeginn des Rathauses wurden<br />

alle wahlberechtigten Bürger der Stadt<br />

durch das Herdentor auf die Bürgerweide<br />

gebeten, um auf recht anschauliche Weise<br />

die Größe des zu bauenden Rathauses zu<br />

bestimmen. Alle mussten sich im Karree<br />

aufstellen und danach wurden Pfähle in<br />

den Boden eingeschlagen und mit Tauen<br />

wurde der innere Raum eingegrenzt.<br />

Damit war die Größe des Rathauses festgelegt;<br />

nämlich 13 x 40 mtr.<br />

Es entstand in den Jahren 1405 bis 1410<br />

ein Backsteinbau in Gotik-Architektur.<br />

Doch gut 200 Jahre später wurde der<br />

holländische Baumeister Lüder von Bentheim<br />

beauftragt, die Marktseite im Stil der<br />

Weser-Renaissance zu erneuern. Die Backsteine<br />

an der Fassade des alten Rathauses<br />

wurden in der Weise verarbeitet, dass wir<br />

heute noch eine Reihe Rauhputz und dann<br />

eine Reihe glasierte Steine erkennen. Nun<br />

hatten die Bremer Ratsherren ein repräsentatives,<br />

schönes Haus, das heute noch<br />

bei den Besuchern Bewunderung hervorruft.<br />

Unter den Arkaden, dort wo Sitzbänke<br />

auf müde Spaziergänger warten, befindet<br />

sich in der Wand eine auswechselbare<br />

Sandsteinplatte. Hierauf wurde das jeweils<br />

vom Rat verkündete Todesurteil in Stein<br />

gemeißelt. Das letzte hier kundgetane<br />

Urteil stammt vom 28. 9.1787 und danach<br />

ist die Tafel mit dem Datum so in der Rathauswand<br />

verblieben. Bei dem Übeltäter<br />

handelte es sich um einen Borgfelder Bauernsohn,<br />

der seine Schwägerin ermordet<br />

haben soll. Spätere Urteile, wie z.B. über<br />

die Giftmörderin Gesche Gottfried (<strong>18</strong>31),<br />

wurden nicht mehr in der Weise veröffentlicht.<br />

Doch wenn Schulkinder sich die Rathausfassade<br />

erklären lassen, dann kommt<br />

von den Kleinen zuerst die Frage „und wo<br />

ist die Gluckhenne?“. Auch die bekommen<br />

sie zu sehen, im Zwickel am zweiten Bogen<br />

von links erblickt man die Glucke mit ihren<br />

Küken, die als Sinnbild der Fruchtbarkeit<br />

angesehen werden.<br />

Die übergroßen Sandsteinfiguren an der<br />

Schauseite des alten Bremer Rathauses<br />

geben dem unbedarften Betrachter<br />

zunächst einige Rätsel auf. Die etwa zwei<br />

Meter großen Figuren aus gotischer Zeit<br />

stellen, von links beginnend, den Kaiser<br />

und die sieben Kurfürsten dar. Selbst die<br />

Tatsache, dass die Originale sich seit geraumer<br />

Zeit im Fockemuseum befinden und<br />

Die auswechselbare Sandsteinplatte unter den<br />

Arkaden des Rathauses. Foto: Rudolf Matzner<br />

Die „Gluckhenne“ am Rathaus<br />

Foto: Rudolf Matzner<br />

Petrus, ein weiterer Schutzpatron der<br />

Stadt, dann ein Würdenträger der als „Der<br />

Doktor“ bezeichnet wird, wie mündlich<br />

und schriftlich überliefert ist. Vielleicht soll<br />

es einer der beiden Brüder Kosmas und<br />

Damianus sein, zwei wunderbegabte, heilig<br />

gesprochene Ärzte aus dem 3.Jahrhundert.<br />

Dem Doktor folgt ein steinerner<br />

Moses, das ist zwar eine Vermutung, aber<br />

die Gestalt entspricht durchaus dem mittelalterlichen<br />

Mosestypus. Als Vierter darf<br />

König Salomo unter den Weisen der Welt<br />

nicht fehlen.<br />

Von der Westseite des Rathauses<br />

schauen vier „Klassiker“ der Antike auf den<br />

Bürger herab. Auch hier beginnen wir mit<br />

der linken Figur. Platon, Schüler Sokrates<br />

und Lehrer Alexanders des Großen, führt<br />

die Reihe an. Ihm folgt Aristoteles, Lehrers<br />

Alexanders des Großen. Bei diesem „Weisen“<br />

hat der Steinmetz ursprünglich auf<br />

dem Schriftband am Oberkörper ein i vergessen<br />

und mit diesem Schreibfehler ist<br />

26 RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong>


die Nachbildung auch und als Arstoteles<br />

erhalten geblieben. Ihm folgt Demostenes,<br />

der war der größte Redner der Antike und<br />

schließlich beendet Marcus Tullius Cicero,<br />

als Roms größter Redner bekannt, den Reigen<br />

der sechzehn steinernen Prominenten.<br />

Doch wie unvollständig wäre die ganze<br />

Aufzählung, wenn nicht die Harjesschen<br />

Pferde an der Ostseite des alten Rathauses<br />

Erwähnung fänden. Ursprünglich standen<br />

die metallenen Rösser während der Weltausstellung<br />

im Jahre 1900 vor dem deutschen<br />

Pavillon in Paris. Ein Bremer Bankier<br />

namens Harjes lebte zu der Zeit in Paris<br />

und nach dem Ende der Weltausstellung<br />

erwarb er die beiden Pferde und schenkte<br />

sie seiner Vaterstadt Bremen. Bis zum<br />

Zweiten Weltkrieg standen sie vor dem<br />

Ostportal des alten Rathauses, doch aus<br />

Sicherheitsgründen wurden sie bei Kriegsbeginn<br />

in einem Luftschutzbunker verwahrt.<br />

Nach Ende des Krieges wurden die<br />

Pferde im Park der Egestorff-Stiftung aufgestellt.<br />

Nach gründlicher Restaurierung<br />

stehen sie nun an ihrem ursprünglichen<br />

Standort, wo sie auch hingehören.<br />

Anschließend kehren wird noch einmal<br />

zum Marktplatz zurück und beachten die<br />

sechzehn schönen Laternen. Wer weiß<br />

heute noch, dass sie zu DDR-Zeiten in<br />

Magdeburg aufgekauft worden sind und<br />

nun so wirken, als hätten sie von Beginn an<br />

dort gestanden. 1971 wurde ein Teil von<br />

einem Bremer Kaufmann gestiftet und<br />

1977 spendierte die Bremer Lagerhausgesellschaft<br />

anlässlich ihres 100-jährigen<br />

Jubiläums die zweite Hälfte der passenden<br />

Marktplatzbeleuchtung.<br />

Unser leider schon verstorbener Redaktionsfreund<br />

Hermann Gutmann berichtete<br />

mir von einer Begebenheit während einer<br />

großen internationaler Konferenz in Bremen,<br />

wo über eine neue Währungsbezeichnung<br />

diskutiert wurde. In der Pause<br />

ging ein englischer Journalist mehrmals<br />

bedächtig über den Marktplatz und sagte<br />

oftmals vor sich hin „Gott sei Dank“. Von<br />

Hermann Gutmann darauf angesprochen<br />

erklärte der Engländer, dass er während<br />

des letzten Krieges als Bomberpilot den<br />

Auftrag hatte, seine Bombenlast über den<br />

Bremer Marktplatz abzuwerfen. Der Pilot<br />

aber entschied sich, über den Grünflächen<br />

der Wesermarsch die Bomben abzuladen.<br />

Möge dieser Bericht bei den Leserinnen<br />

und Lesern Interesse an den Besonderheiten<br />

an Bremens „guter Stube“ wecken.<br />

Rudolf Matzner<br />

Quellenangabe:<br />

H. Adamitz. Das Bremer Rathaus<br />

R. Stein. Das vergangene Bremen<br />

H. Adamitz. Kunstgeschichtliche Bedeutung<br />

des Rathauses<br />

H. Schwarzwälder. Das große Bremen-Lexikon<br />

P. Hahn. 450 Jahre Schütting<br />

Eigenes Zeitungsarchiv<br />

Redaktionssitzung<br />

Dort, wo sich am Rande Worpswedes<br />

Fuchs und Hase gut Nacht wünschen, dort<br />

findet man nach etwas Umherirren das<br />

„Café Däumlingsdorf“, liebevoll betrieben<br />

von Anke und „Didi“ Stelljes. Das Café ist,<br />

ausgestattet mit vielen musealen Gegenständen,<br />

in den letzten Jahren aufgebaut<br />

worden, als originelle Krönung sind dort<br />

die miniatuarisierten Nachbauten bekannter<br />

Gebäude aus der Umgebung plaziert,<br />

die früher im „Däumlingsdorf“ Heinrich<br />

Geffkens in Lilienthal-Lüninghausen viel<br />

Zuspruch erhielten. „Didi“, wie er von<br />

allen freundlich genannt wird, führte die<br />

Anwesenden kenntnisreich durch sein ausgedehntes<br />

Reich, bis Jürgen Langenbruch<br />

an die geplante Arbeit der Redaktionskonferenz<br />

erinnerte und sich alle um den<br />

wohlgedeckten Tisch versammelten. Zu<br />

aller Freude konnte er neben den bekannten<br />

Redakteur(inn)en einige Gäste<br />

begrüßen, die sich zwischenzeitlich auch<br />

schon aktiv mit Beiträgen für den „<strong>Heimat</strong>-<br />

<strong>Rundblick</strong>“ verdient gemacht haben. Er<br />

bedankte sich bei dem Hausherrn und seiner<br />

Frau für die Gastfreundschaft und bei<br />

den Anwesenden für die geleistete redaktionelle<br />

Arbeit bei der letzten Ausgabe. Jürgen<br />

Langenbruch wies darauf hin, dass der<br />

„<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>“ sich nicht nur mit<br />

historischen Themen befasst, sondern<br />

auch offen ist für kritische Abhandlungen,<br />

die sich mit der Entwicklung unserer<br />

Region befassen - es geht um die <strong>Heimat</strong><br />

der Zukunft oder die Zukunft der <strong>Heimat</strong>.<br />

Nach Diskussion der aktuellen Ausgabe<br />

folgte wie immer die Themensammlung<br />

für das neue Heft - auch diesmal gibt es<br />

dazu wieder genug Material. Herr Teumer<br />

brachte eine Landkarte aus dem 17. Jh.<br />

mit, die die Ortskundigen mit Interesse<br />

inspizierten. Der Verleger bedankte sich<br />

bei allen Anwesenden, die noch einige Zeit<br />

nach Ende der Sitzung auf dem Hofgelände<br />

Gespräche führten und sich umsahen.<br />

Adresse des Café Däumlingsdorf:<br />

Zu den Höfen 17, 27726 Worpswede<br />

Telefon: 04792 1364<br />

Text: Jürgen Langenbruch<br />

Fotos: Maren Arndt<br />

Die „fröhliche Runde“ - leider passten nicht alle auf das Bild<br />

Verleger auf dem Weg zum „Worpsweder Bahnhof“<br />

RUNDBLICK <strong>Winter</strong> <strong>2017</strong><br />

27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!