soziologie heute Oktober 2009
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6 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>Oktober</strong> <strong>2009</strong><br />
„Out”<br />
für die Kirche<br />
Über das Zweite Vatikanum,<br />
Kirchenvolksbegehren und<br />
Religions<strong>soziologie</strong><br />
?<br />
Paul Michael Zulehner im Interview<br />
<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Herr Professor Zulehner,<br />
Sie wuchsen im Zeichen des<br />
Nationalsozialismus auf. Hatten Sie<br />
eine glückliche Kindheit und Jugend,<br />
gibt es einzelne Eindrücke, die Sie im<br />
Nachhinein als besonders prägend<br />
ansehen?<br />
Zulehner: Ich lebte als Kind am Ende<br />
der NS-Unzeit an der bayerisch-österreichischen<br />
Grenze. Meine Tante hatte<br />
ein Wirthaus. Ich erinnere mich, wie<br />
die russischen Soldaten kamen. Eines<br />
Tages saß ich am Fenster, vor mir ein<br />
Schulbuch mit einer Hakenkreuzabbildung.<br />
Da kam ein junger russischer<br />
Soldat, nahm eine Stricknadel und<br />
radierte damit das Hakenkreuz aus.<br />
Mir ist seine Herzlichkeit zu mir als<br />
Kind ebenso in Erinnerung wie dieser<br />
„Schlussstrich“ unter eine Vergangenheit,<br />
die meine Eltern ablehnten. Meine<br />
Mutter nahm das ihr angebotene „Mutterkreuz“<br />
für ihre vier Söhne nicht an.<br />
<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Ihre Ausbildung<br />
zum katholischen Priester fiel in die<br />
vorkonziliare Zeit. Was machte die<br />
katholische Kirche für einen jungen<br />
Mann damals interessant?<br />
Die heutige Kirche trägt durch strukturelle Unbeholfenheit und blauäugigen<br />
Modernismus wie bockbeinigen Fundamentalismus zur eigenen Korrosion<br />
bei: In einer Zeit, wo Kirchen biographienahe zu sein haben, entfernen<br />
sich die zu wenigen SeelsorgerInnen immer mehr von den Menschen.<br />
Das Image der Kirche bei der nachwachsenden Generation ist deutlich gesunken.<br />
Bei ihr gilt die Kirche – nach Zulehner angesichts der enormen<br />
Leistungen im intellektuellen, moralischen und karitativen Bereich zu Unrecht<br />
– als frauenfeindlich, undemokratisch, sexualneurotisch, vormodern<br />
und ist - kurz bezeichnet - „out”.<br />
<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> befragte den Theologen, Priester und Religionssoziologen<br />
Paul M. Zulehner zu seinen Ansichten über das Zweite Vatikanum, das Kirchenvolksbegehten<br />
und seine Visionen.<br />
Foto: Sven Hoppe, Wikimedia Commons. Weltjugendtag 2005<br />
Zulehner: Es war vielleicht gar nicht<br />
„die Kirche“ mit ihrer rigiden Moral,<br />
die ich insbesondere über meine<br />
Mutter lernte. Maßgeblich waren<br />
für mich das Ministrieren bei den<br />
Jesuiten in der Kirche am Hof und<br />
die Begegnung mit großen Jesuiten,<br />
wie beispielsweise dem später so<br />
tragisch verunglückten P. Joseph<br />
Strangfeld oder auch dem Chef der<br />
Marianischen Kongregation P. Rudolf<br />
Jarosch. Zugleich war ich Chorknabe<br />
im Schottenstift unter P. Benedikt<br />
Popp, zusammen mit inzwischen<br />
prominenten Leuten wie Wolfgang<br />
Schüssel oder Peter Planeavsky. Ich<br />
habe also bei den Jesuiten denken<br />
und bei den Benediktinern singen<br />
gelernt. Nach der Matura wollte ich<br />
außerdem zuerst Dirigent werden.<br />
Dann hat aber doch die Theologie<br />
gewonnen.<br />
<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Worin sehen Sie<br />
die wichtigen positiven Ergebnisse<br />
des Zweiten Vatikanischen Konzils?<br />
Welche der damals gefällten Entscheidungen<br />
halten Sie für schlecht<br />
oder problematisch?<br />
Zulehner: Mich hat insbesondere<br />
die kirchliche Aufbruchstimmung