ÖBVaktiv Nr. 88
Aktuelle Themen: Wie Sinnsuche unser Leben beeinflusst, Die stillen Helden vom Flughafen Wien, Supertramps: Menschen in ungewöhnlichen Berufen u.v.m
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KULTUR<br />
KULTUR<br />
Hermann Josef Painitz zeigt seinen aktuellen Bilderzyklus<br />
TETRAKTYS im ÖBV Atrium.<br />
Er ist der geniale Einzelkämpfer unter den österreichischen Künstlern der<br />
Nachkriegsavantgarde. Während expressive und informelle Tendenzen die nach<br />
1945 wiedererwachende Kunstszene Österreichs dominierten, verfolgte Hermann<br />
J. Painitz als singuläre Erscheinung bereits ab der ersten Hälfte der 1960er-Jahre<br />
einen konzeptuellen, logisch-analytischen Ansatz, der die „visuelle Forschung“<br />
samt objektiven Bildfindungskriterien versus Subjektivität und Emotionalität im<br />
Gestus zur Prämisse erhob.<br />
„Logische Kunst“ war dann 1978 auch der Titel jener<br />
Ausstellung in der Wiener Secession, mit der Hermann<br />
J. Painitz (*1938 in Wien) als damaliger Präsident der<br />
Künstlervereinigung und diesen Terminus prägender<br />
Künstler einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.<br />
An der von Painitz organisierten, programmatischen<br />
Gruppenausstellung nahmen u.a. zwei Künstlerpersönlichkeiten<br />
teil, die dem ÖBV Publikum noch gut von<br />
ihren jeweiligen Personalien im Atrium in Erinnerung<br />
sein dürften: der Bildhauer und Grafiker Walter Angerer-<br />
Niketa (2012) sowie der Maler Thomas Reinhold (2017).<br />
Während jedoch Angerer-Niketa seine künstlerische<br />
© Karl Grabherr<br />
Hermann Josef Painitz, „Die Teile des Ganzen“,<br />
Acryl auf Leinwand, 200 x 135 cm, 6-teilig, 2015<br />
Drei Werke aus der Serie TETRAKTYS.<br />
1+2+3+4=10 oder: Neues vom<br />
Meister der „Logischen Kunst“<br />
Sprache unverändert beibehielt, wandte sich Reinhold in<br />
den 1980er-Jahren vorerst der neo-expressiven Malerei<br />
zu und ist heute Urheber von wahrnehmungsreflexiven<br />
Schüttbildern, wovon man sich erst im vergangenen<br />
Frühjahr in den Räumlichkeiten der Grillparzerstraße<br />
überzeugen konnte. Bereits rund zehn Jahre vor der<br />
Ausstellung in der Secession hatte Hermann J. Painitz –<br />
gelernter Gold- und Silberschmied und als bildender<br />
Künstler eher an der Philosophie Ludwig Wittgensteins<br />
und des Wiener Kreises denn an akademischen Übungen<br />
geschult – in den für die österreichische Kunst nach 1945<br />
essentiellen Institutionen „Galerie im Griechenbeisl“<br />
© Karl Grabherr<br />
Die Vernissage fand großen Anklang .<br />
Der Gitarrist und Komponist Burkhard Stangl ließ sich von den Kunstwerken Painitz‘<br />
musikalisch inspirieren.<br />
Thomas Mark, Galerist, Mag. a Maria Holter, Kunsthistorikerin, Burkhard Stangl, Komponist<br />
und Gitarrist, Sarah Painitz, Assistenzprofessorin Butler University/Indiana USA und Tochter<br />
des Künstlers, Josef Trawöger, Vorstandsvorsitzender ÖBV, Jacqueline Chanton, Kuratorin,<br />
Astrid Valek, MAS, MBA, Leiterin Marketing und Unternehmenskommunikation ÖBV (v.l.)<br />
und „Galerie nächst St. Stephan“ vorgezeigt, was unter<br />
„Logischer Kunst“ zu verstehen sei: Die Vermeidung jeder<br />
malerischen Geste und Beschränkung auf wenige elementare<br />
Formen (vorzugsweise konzentrische Kreise und<br />
Annäherungen an das Quadrat), die Anwendung serieller<br />
Prinzipien und das strenge Befolgen eines Programms,<br />
das der jeweiligen inneren Logik eines bilderzeugenden<br />
Gedankens verpflichtet ist. Dem Wittgenstein’schen<br />
Diktum „Das logische Bild der Tatsache ist der Gedanke“<br />
© Karl Grabherr © Karl Grabherr<br />
© Karl Grabherr<br />
wird Painitz bis zum heutigen Tag in seiner Kunst gerecht.<br />
Seine Werke sind visuelle Beschreibungsversuche der<br />
Welt, denen Zahlen, das Alphabet und Piktogramme als<br />
abstrahierte Chiffren der Realität zugrundeliegen. „Die<br />
im Bild selbst gefundene Lösung folgt einem Plan, einer<br />
Methode, einem Konzept. Es benötigt kein Verständnis,<br />
es ist selbstverständlich. Die Bilder TETRAKTYS sind<br />
nur einige Möglichkeiten, die mit Hilfe methodischen<br />
Planens hervorgebracht werden können“, sucht Hermann<br />
J. Painitz seine aktuelle Serie sprachlich zu erhellen.<br />
Hier liegt auch der Anknüpfungspunkt zur experimentellen<br />
Musik des Avantgarde-Gitarristen und Komponisten<br />
Burkhard Stangl. Stangl, der bereits mit heimischen und<br />
internationalen Größen der Neuen Musik und des zeitgenössischen<br />
Jazz wie Olga Neuwirth, Franz Koglmann,<br />
Steve Lacy und Anestis Logothetis kooperierte, ließ sich<br />
am Vernissagenabend von Painitz‘ Serie TETRAKTYS zu<br />
Gitarren-Miniaturen inspirieren, die die eigenen kompositorischen<br />
Gesetzmäßigkeiten mit jenen der Bilder von<br />
Hermann J. Painitz improvisatorisch verbanden.<br />
Der im ÖBV Atrium erstmals in einer umfassenden<br />
Ausstellung in Wien präsentierte Zyklus TETRAKTYS<br />
(griech. „Vierheit“) bezieht sich auf die Summe aus<br />
den Zahlen 1, 2, 3 und 4, welche 10 ergibt und im<br />
vierreihigen Punktediagramm als gleichseitiges Dreieck<br />
darstellbar ist. In der Tetraktys sah man nach der<br />
pythagoreischen Lehre den Schlüssel zum Verständnis<br />
des Kosmos. In Painitz‘ Bildern findet diese Denkfigur<br />
jedoch nicht allein als Dreieck ihren Niederschlag,<br />
sondern in Form konzentrischer Kreise. Die unterschiedlich<br />
großen, variabel eingefärbten und nach eigenen Gesetzen<br />
angeordneten Kreise und Ringfelder visualisieren in<br />
Painitz‘ schier unendliche Variationsmöglichkeiten<br />
bietenden Acrylgemälden, Zeichnungen und Montagen<br />
die besagten Zahlenverhältnisse aus der Sicht eines nach<br />
„logischer Kunst“ und der Poesie der Empirik strebenden<br />
Künstlers.<br />
Apropos Poesie: An der gläsernen Stirnwand des ÖBV<br />
Atriums hing der Eyecatcher „Die Teile des Ganzen“<br />
von 2014, der auch Painitz‘ bislang umfassendste<br />
Retrospektive in der Shedhalle St. Pölten im Rahmen<br />
von „Zeit-Kunst-Niederösterreich“<br />
zierte. Die sechsteilige Arbeit ist<br />
nicht nur in ihrer sichtbaren Ästhetik<br />
einprägsam, sondern birgt in der<br />
aufgemalten Buchstabenfolge – wie<br />
nicht selten bei Hermann J. Painitz’<br />
Werken – einen verschlüsselten Text<br />
von selbstverständlicher Schönheit:<br />
„Hinter den Erscheinungen befindet<br />
sich eine Wirklichkeit/alle Schwäne<br />
sind weiß/Brot ernährt/alle Menschen<br />
sind sterblich/jedes Auge ist ein<br />
Sonnenlicht“.<br />
© Eva Wahl<br />
Mag. a Maria Christine Holter,<br />
Kunsthistorikerin und Kuratorin<br />
in Wien<br />
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