_flip_joker_2018-03
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4 KULTUR JOKER THEATER<br />
Zwischen Realität und Fiktion<br />
Das Ensemble „Harry, hol schon mal den Wagen“ zeigt Peter Stamms „Agnes“ im Theater Harrys Depot<br />
„Agnes ist tot. Eine Geschichte<br />
hat sie getötet“, so beginnt Peter<br />
Stamms 1998 erschienener, vielbeachteter<br />
Debütroman „Agnes“,<br />
der seit 2014 zur Pflichtlektüre in<br />
Gymnasien gehört. Und auch Regisseurin<br />
Barbara Zimmermann<br />
vom Freiburger Ensemble „Harry,<br />
hol schon mal den Wagen“<br />
lässt in ihrer Bühnenfassung<br />
jenen unbenannten Erzähler mit<br />
diesen Worten beginnen: Im<br />
Spot ganz vorne auf der hauseigenen<br />
Bühne spricht Simon Matt<br />
sie direkt ins Publikum.<br />
Wer Stamms Roman kennt,<br />
weiß um die Unsicherheit dieser<br />
Behauptung. Ist Agnes am Ende<br />
wirklich tot? Oder ist es nur eine<br />
selbstherrliche Fantasie jenes<br />
verkrachten Schreiberlings, der<br />
glaubt, Agnes sei sein Geschöpf<br />
und gehorche folglich seinem<br />
Drehbuch? Das und vieles andere<br />
lässt der 1963 in der Schweiz<br />
geborene Autor offen, Interpretationshilfen<br />
gibt es von ihm<br />
keine. Stattdessen verwischt er<br />
in 36 kurzen Kapiteln mehr<br />
und mehr die Grenzen zwischen<br />
Realität und Fiktion,<br />
dazu wimmelt es vor intertextuellen<br />
Bezügen: „Homo<br />
Faber“ von Max Frisch<br />
scheint auf, ebenso Franz<br />
Kafkas „Das Urteil“ oder<br />
Ovids „Metamorphosen“.<br />
Barbara Zimermann hat das<br />
Ganze mächtig eingedampft<br />
und Stamms spröde Sprache<br />
geschmeidiger gemacht.<br />
Sie lässt ihre Spieler auf der<br />
mit nur wenigen schwarzen<br />
Sitzelementen ausstaffierten<br />
Bühne in schnell geschnittenen<br />
Szenen mit vielen Ortsund<br />
Lichtwechseln erzählen<br />
(Musik: Ephraim Wegner).<br />
Es beginnt alles in einer Uni-<br />
Bibliothek in Chicago, als der<br />
schweizerische Sachbuchautor<br />
und jene Physikstudentin<br />
zufällig aufeinander treffen:<br />
Zwei Einzelgänger ohne viele<br />
Kontakte. Er: Ein vollbärtiger<br />
Chameur mit schwarzer Brille<br />
Mia Lüscher (Agnes), Simon Matt (Er) und Juliane Flurer (Louise)<br />
und nebulöser Vergangenheit.<br />
Sie: ein graues Mäuschen mit<br />
Vatertrauma und wachem, intensivem<br />
Blick. Die 24-jährige<br />
Mia Lüscher ist als Ensemble-<br />
Neuzugang und frisch gebackene<br />
Absolventin der Freiburger<br />
Schauspielschule eine beeindruckende<br />
Agnes-Besetzung: Scheu<br />
und doch offenherzig, verträumt<br />
und von radikaler Ernsthaftigkeit<br />
gibt Lüscher ihre Figur<br />
als zartes, verletzbares Wesen<br />
mit gehärteter Charakterstärke.<br />
Scheinbar leichtes Spiel für den<br />
Schreiberling, der sich angezogen<br />
von soviel Asymmetrie<br />
verliebt. „Ich habe Lust auf Ente<br />
süß-sauer“ sagt er im China-<br />
Restaurant bei ihrer ersten Verabredung.<br />
Sie kontert: „Ich habe<br />
Angst vor dem Tod“.<br />
Es folgen berührende Annäherungen<br />
und Versprechen, mit<br />
großer Körper-und Natürlichkeit<br />
gespielt. Doch bald scheint<br />
zwischen den Unstimmigkeiten<br />
erstes Dominanz-Gebaren auf:<br />
Stolz zeigt sie ihm einen selbstgeschriebenen<br />
Text – er putzt<br />
sie eifersüchtig herunter,<br />
schreibt er doch auf ihren<br />
Wunsch gerade selbst eine<br />
Geschichte über ihre Beziehung.<br />
Diese Geschichte verselbstständigt<br />
sich mehr und<br />
mehr: „Du wirst in meinem<br />
Kopf geboren“, sagt er zu ihr,<br />
später: „Jetzt ist Agnes mein<br />
Geschöpf“. Als sie schwanger<br />
wird und das Kind verliert,<br />
entgleitet ihm Agnes<br />
und die Geschichte: Zuviel<br />
Glück, zu wenig Freiheit,<br />
da kommt die offene, kesse<br />
und sinnliche Louise (Juliane<br />
Flurer) gerade recht.Wirklich<br />
spannend dabei ist allerdings<br />
nur die Figur der Agnes, hier<br />
schlägt eindeutig Zimmermanns<br />
Regie-Herz. Obwohl Juliane<br />
Flurer und Simon Matt sehr<br />
gut spielen, bleibt vor allem die<br />
Figur des Autors blass und eindimensional:<br />
Zu nett ist er, zu wenig<br />
mysteriös, unheimlich und<br />
possessiv. Und so wird trotz des<br />
sich zuspitzenden Plots die rund<br />
neunzig minütige Inszenierung<br />
gegen Ende etwas langatmig.<br />
Weitere Aufführungen: 2./3./<br />
4./8./10./11./15. und 17. März,<br />
jew. 20 Uhr, Theater Harrys Depot,<br />
Spechtpassage, Freiburg.<br />
Marion Klötzer<br />
Kunstvolle Puppenspiele<br />
Die Puppenparade Ortenau mit Figurentheater in zehn Städten<br />
Die Puppenparade<br />
Ortenau ist eine große<br />
Sache für Figurentheaterfans<br />
und solche, die<br />
es noch werden wollen.<br />
Vom 3. bis 25. März<br />
gibt es in zehn Städten<br />
und Gemeinden<br />
Puppenspiel in vielen<br />
Facetten, nicht nur<br />
für Kinder, sondern<br />
auch für erwachsene<br />
ZuschauerInnen. 39<br />
Indoor-Aufführungen<br />
und fünf Open-Air-<br />
Veranstaltungen wollen<br />
besucht werden. Ensembles<br />
aus Frankreich, Griechenland,<br />
oder Argentinien sorgen für internationales<br />
Flair.<br />
Nach der Open-Air-Festival-<br />
Eröffnung in der Offenburger<br />
Innenstadt am 3. März, ab 10<br />
Uhr geht es am selben Tag, 20<br />
Uhr im Schlachthof Lahr gleich<br />
kritisch los. In Neville Tranters<br />
Babylon geht es um Flucht und<br />
biblische Motive. Das Marotte<br />
Figurentheater aus Karlsruhe<br />
hingegen bringt lustige Adaptionen<br />
in‘s Programm. Marc-Uwe<br />
Klings Känguru-Chroniken<br />
(4.3., 19 Uhr, Forum am Hans-<br />
Furler-Gymnasium Oberkirch)<br />
Das Marotte Figurentheater mit „Er ist wieder<br />
da“ am 9. März, 20 Uhr in Rust<br />
wirbeln ebenso über die Bühne<br />
wie ein wiedererwachter Adolf<br />
Hitler in Er ist wieder da (9.3.,<br />
20 Uhr, Rheingießenhalle Rust).<br />
Wer es ernster und dennoch eindrücklich<br />
mag, hat dann immer<br />
noch Michael Kohlhaas am<br />
17.3., 20 Uhr im Offenburger<br />
Salmen.<br />
Für die Kinder spaßt nicht nur<br />
Ritter Rost (8.3., 15 Uhr, Bürgersaal<br />
des Alten Rathauses Rust)<br />
ordentlich herum; auch echte<br />
Klassiker wie der Kleine Wassermann<br />
von Ottfried Preußler<br />
(12.3., 10 und 14.30 Uhr, Stadthalle<br />
Kehl) und Pippi Langstrumpf<br />
von Astrid Lindgren<br />
(13.3., 10 und 15 Uhr,<br />
Salmen Offenburg<br />
sowie 14.3., 9.30 und<br />
10.45 Uhr, Kulturkeller<br />
Ettenheim) dürfen<br />
nicht fehlen.<br />
Ein Reinschnuppern<br />
in die Welt des Figurentheaters<br />
bieten die<br />
kostenfreien Open-<br />
Air-Angebote in Offenburg<br />
(Festivaleröffnung<br />
am 3.3.), Achern<br />
(10.3., 10 bis 12 Uhr,<br />
rund ums Rathaus am<br />
Markt), Lahr (17.3.,<br />
10 bis 13.30 Uhr, Marktstraße<br />
und Plätze Innenstadt) Zell<br />
a.H. (18.3., 13.30, 15, 16.15 Uhr,<br />
Hauptstraße) und Gengenbach<br />
(24.3., 10 bis 13 Uhr, rund ums<br />
Rathaus). Das breite, generationsübergreifende<br />
Programm<br />
bietet auch Stelzenläufer, eine<br />
Einpersonenguckkastenbühne<br />
oder interaktive Walk-Acts. Figurentheater<br />
ist eben oft mehr<br />
als nur Kasperletheater. Die<br />
Puppenparade Ortenau findet<br />
in Achern, Ettenheim, Gengenbach,<br />
Kehl, Lahr, Oberkirch,<br />
Offenburg, Rust, Willstätt und<br />
Zell am Harmersbach statt.<br />
Weitere Infos: puppenparade.de