E_1928_Zeitung_Nr.079
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Tierwelt und Verkehr.<br />
Die Entwicklung der modernen Verkehrsmittel,<br />
insbesondere des Automobilismus, hat<br />
uns wieder die Augen für die Natur geöffnet.<br />
Im .«Motor und Sport» spricht sich Hanns<br />
Reinsch über das Verhältnis von Tierwelt und<br />
Verkehr folgendermassen aus:<br />
Wer bereits mit Tieren, die frei in Wald,<br />
Feld und Flur hausen, in Berührung gekommen<br />
ist oder Gelegenheit hatte, Einzelheiten<br />
aus ihrer Lebensart zu beobachten und daraus<br />
Schlüsse auf ihre Einstellung gegenüber<br />
dem Geräusch zu ziehen, wird die Berechtigung<br />
der Frage: «Wie stellt sich das Tier<br />
zu unseren modernen Verkehrsmitteln?» anerkennen<br />
müssen. Es dürfte bekannt sein,<br />
dass unsere Haustiere, besonders der Hund,<br />
trotz ihres gewohnheitsmässigen Umganges<br />
mit Menschen und ihres Aufenthaltes in belebten<br />
Gegenden noch eine gewisse Abwehrstellung<br />
einnehmen, die sich im Heulen und<br />
Ankläffen, ja mitunter Beissen zeigt. Besonder<br />
die Dorfhunde sind bekannt dafür, dass<br />
sie Autos, Gespanne oder Radfahrer mit<br />
grosser Vorliebe anbellen, vor oder hinter<br />
dem Gefährt herrennen, und nicht selten<br />
auch versuchen, in die Räder, Menschenoder<br />
Zugtierbeine zu beissen. Allerdings ist<br />
es dem aufmerksamen Beobachter kaum<br />
entgangen, dass die Gewöhnung der Tiere<br />
Schritt haltend mit der Entwicklung des Verkehrs<br />
in den Strassen, ein Nachlassen dieser<br />
Manier gezeigt hat. Weit schwieriger aber<br />
ist die Beobachtung der freilebenden Tiere.<br />
Früher war die Eisenbahn noch Ursache,<br />
das Wild in panischem Schrecken davonjagen<br />
zu lassen oder eine blinde Angst bei<br />
ihm zu erzeugen, dass die Tiere direkt in das<br />
fauchende Eisenungetüm hineinliefen. Heute<br />
dagegen äsen Hirsch und Reh ruhig weiter<br />
und äugen höchstens gleichgültig dem rollenden<br />
Zuge nach. Anders verhalten sie sich<br />
jedoch, besonders des Nachts, gegenüber<br />
dem Auto. Von dem Scheinwerferlicht (sogar<br />
von der Laterne des Radfahrers) werden sie<br />
so geblendet, dass sie unbeweglich und gebannt<br />
im Lichtkegel stehenbleiben. Oft<br />
wurde beobachtet, dass die Tiere blindlings<br />
in den Lichtkegel hineinrasten, stehenblieben<br />
und sich weder vor- noch rückwärtsbewegen<br />
konnten. Erst wenn durch irgend einen Umstand<br />
der Lichtkegel eine andere Richtung<br />
nimmt oder erlischt, können sie wie gehetzt<br />
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davonrasen. Es ist sogar vorgekommen,<br />
dass Hirsche oder Rehe über das Auto hinwegsp'rafigön<br />
und dadurch nicht selten grösseres<br />
Unglijck. „verursachten, während sie in<br />
anderen Fällih — auch Hasen oder Kaninchen<br />
erging es so — überfahren wurden 1 .<br />
Noch mehr interessieren dürfte es aber,<br />
wie sich das Tier ganz allgemein zu unserem<br />
neuesten Verkehrsmittel, dem Flugzeug, verhält.<br />
Der Tierreichtunm der anhaltischen<br />
Wälder ermöglichte es mir, dort gute Beobachtungen<br />
anzustellen, die um so leichter<br />
waren, da hier häufig Flugzeuge der Junkers-Werke<br />
vorbeiflogen. Am Rande einer<br />
Lichtung hatte ich Fuss gefasst und beobachtete<br />
bereits seit längerer Zeit ein Rudel<br />
äsendes Dammwild. Es waren etwa zwanzig<br />
schöne Tiere, die ständig sichernd ihre<br />
Abendmahlzeit einnahmen. Ein leises Surren<br />
in der Ferne veranlasste die Tiere, aufzuhorchen,<br />
und je mehr sich dieses zum Gebrumm<br />
werdende Geräusch verstärkte, desto nervöser<br />
wurde das Rudel. Der Grund dafür lag<br />
besonders in dem Umstände, dass sie die Ursachen<br />
nicht zu erkennen vermochten. Das<br />
Flugzeug war eine dreimotorige Maschine,<br />
die schliesslich ihren Kurs direkt über die<br />
Lichtung nahm. Vorher jedoch nahm das<br />
Wild in 1 hohen Sprüngen den schützenden<br />
Hochwald an, jagte blindlings an meinem<br />
Standort hinter einer starken Eiche vorbei<br />
und verschwand schliesslich im Dickicht.<br />
Dabei war charakteristisch, dass ihre Fluchtrichtimg<br />
genau im rechten Winkel zur Flugrichtung<br />
der Maschine lag,* ein Umstand, den<br />
zu beobachten ich öfter Gelegenheit hatte,<br />
und ein Zeichen, über welch guten Instinkt<br />
und Orientierungssinn sie verfügen.<br />
Anders verhalten sich schon die Krähen.<br />
An einem Waldrande hatten sie hoch in den<br />
Bäumen ihre Nester und flogen beutesuchend<br />
über die Wiese. Als die Tiere schliesslich<br />
in der Ferne das Herannahen einer sechssitzigen<br />
Junkers-Limousine mit heiserem Gekrächz<br />
den anderen mitgeteilt hatten, erhob<br />
sich das ganze Rudel von fast 60 bis 80 Krähen,<br />
flog kreisend höher und auf-d'ie in etwa<br />
2—300 m Höhe fliegende Maschine zu. Be-*<br />
kanntlich greifen Krähen, wenn sie zu mehreren<br />
beisammen sind, grössere Vögel an.<br />
So mochten sie auch hier einen Raubvogel<br />
vermutet haben, konnten aber natürlich zu<br />
keinem Angriff kommen, da der Apparat viel<br />
schneller war als sie und keinerlei Neigung<br />
zeigte, mit ihnen einen Kampf über ihrer,<br />
Wiese zu inszenieren.<br />
Die beliebte Schwalbe, die zur Sommerzeit<br />
ihre Kurven hoch in der Luft zieht, zeigt dagegen<br />
keinerlei Neigung, zu flüchten. Pfeilschnell<br />
saust sie in Kurven dahin, ganz ihrer<br />
Flugfähigkeit vertrauend und vielleicht die<br />
Unmöglichkeit erkennend, dass jener plump©<br />
«Vogel» sie einholen könne. Auf dem Junkers-Flugplatz,<br />
aber ebenso auf dem Tempelhofer<br />
Felde in Berlin beobachtete ich<br />
viele Arten Vögel: sie haben sich an das Leben<br />
und Treiben vollkommen gewöhnt, er*<br />
richten ihre Niststätten im Grase oder im<br />
Gesträuch der Flugplätze und ihrer näheren<br />
Umgebung, während einzelne auch ihre Niststätten<br />
weiter entfernt neu erbauten. Ständige<br />
und oft recht zutrauliche Gäste sind<br />
jedoch Hasen und Kaninchen, die Lerche und<br />
natürlich: Mäuse und Ratten.<br />
Gerade Hasen und Kaninchen, wie überhaupt<br />
das Wild, gewöhnt sich ja an die Ma-*<br />
schine und an irgendwelche maschinellen<br />
Vorgänge viel schneller als an den Menschen<br />
selbst. Es ist eine ganz bekannte Tatsache,<br />
das man oft von der Eisenbahn oder vont<br />
Auto aus in unmittelbarer Nähe der Fahrstrasse<br />
sogar Hochwild sieht. Vor allem<br />
Rehwild steht mitunter ganz vertraut; wenn<br />
aber ein Fussgänger denselben Weg entlang<br />
geht, ergreift es ängstlich die Flucht.<br />
Durch besondere Gunst der Verhältnisse<br />
kan abschliessend noch ein Tier charakterisiert<br />
werden, das allerdings als dumm bekannt<br />
ist: das Schaf. Zur Herbstzeit, wenn<br />
die eigentliche Verkehrs- und Versuchsfliegerei<br />
auf dem Dessauer Flugplatz ruhte und!<br />
nur noch gelegentliche oder zwingend©<br />
Flüge ausgeführt wurden, graste friedlich auf<br />
dem Gelände des Platzes eine Schafherde*<br />
Jedesmal, wenn ein Flugzeug in der Nähe<br />
mit abgedrosseltem Motor, also ohne jedes<br />
Geräusch zu landen versuchte, stieb die<br />
Herde wie besessen auseinander, ein Tier<br />
hier-, das andere dorthin, während manche."<br />
wie toll im Kreise herumrannten. Verschiedentlich<br />
kam es vor, dass der Pilot erneut<br />
Vollgas geben und ein zweites Mal zur Landung<br />
zu kommen versuchen musste. Mitunter<br />
gelang das erst beim dritten und vierten<br />
Male, und nicht ohne dass der Schäfer und!<br />
sein Hund mühsam zu tun hatten, die Herde<br />
wieder zusammenzutreiben und an abgelegene<br />
Stellen zu führen. Einmal rettete ihn<br />
nur eine scharfe Kurve auf dem Erdboden,<br />
die allerdings zur einseitigen Flügellandung<br />
wurde und das Fahrgestell beschädigte.<br />
Im Laufe der Zeit wird es möglich werden,<br />
auch die Tiere vollkommen an die Naturfortschritte<br />
des Menschen zu gewöhnen.<br />
Diese Möglichkeit ist durchaus nicht absurd,<br />
da es ja sogar noch immer Menschen gibt,<br />
die erst an unsere heutigen Verkehrsmittel<br />
gewöhnt werden müssen, zum weitaus grössten<br />
Teil sich aber schliesslich doch noch gut<br />
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