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E_1929_Zeitung_Nr.004

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REISE IM VORSINTFLUTLICHEN<br />

Relseschllderiingeii eines amerikanischen<br />

Stahlwerkarbeiters, der seinen Urlaub dazu<br />

benutzt, um in einem alten Fordwagen sein<br />

ungeheures Vaterland zu durchstreifen.<br />

Ihr westlichen Eingang des Yellowstone-<br />

Parks geht es 100 Meilen weit durch den Galatin<br />

Cannon, meistens an dem eiskalten, klaren<br />

und reissenden Galatinfluss entlang.<br />

Der Galatin entspringt auf der Madison in<br />

den schneebedeckten Bergen und Hochflächen<br />

des Yellowstone-Parks, und es war<br />

ein einzigartiges Erlebnis, in schwerem Gewittersturm<br />

durch das Hochland dahinzufahren,<br />

7000 Fuss über dem Meeresspiegel, wo<br />

•unzählige Sümpfe und Teiche, in denen sich<br />

tue geschmolzenen Seewasser sammeln, die<br />

eigentlichen Quellen bilden, aus denen diese<br />

OebirgsfHisse ihre Zuflüsse erhalten. Bei<br />

Three Forks, weiter nördlich, vereinigen sie<br />

sich mit dem Jefferson und bilden mit ihm<br />

den Missouri. Hier also sind die Hauptgewässer,<br />

die wahren Quellen des Missouri.<br />

Hier ist das Ürsprungsgebiet eines Teiles der<br />

Wassermassen, die sich wie eine stürzende<br />

Lawine über die fruchtbaren Lande des unteren<br />

Mississippi legten u. so gewaltige Gebiete<br />

verwüsteten. (Ueberschwemmungskatastrophe<br />

im Jähre 1927.)<br />

Es war Mitte Juni, als der staatliche Forstbeamte<br />

meinen «Prähistorischen» (gemeint<br />

is;t vermutlich ein alter Fordwagen!) als einen<br />

der Besucher des herrlichen Nationalparkes<br />

verzeichnete. Der Eintritt kostet wenig,<br />

nur drei Dollar, wofür man so lange im<br />

Park bleiben darf, wie man will. Schusswaffen<br />

sind unbedingt verboten, und wehe dem,<br />

der innerhalb der Grenzen des Parks beim<br />

Jagen ertappt wurde oder auch nur beim Belästigen<br />

und Necken des Wildes. Dieses<br />

menschliche Benehmen und dieser Schutz haben<br />

einen schönen Wandel in den Beziehungen<br />

zwischen Mensch und Natur, insbesondere<br />

aber zwischen Mensch und_ dein sogenannten<br />

wilden Tier herbeigeführt.<br />

1 Bären, der braune, der schwarze, sowie<br />

gelegentlich der Grizzly (man denke an Karl<br />

May!) haben keinerlei Abneigung mehr gegen<br />

ihre zweibeinigen Herren. Sie stellen sich<br />

aufrecht hin, erbetteln sich Nahrung oder suchen<br />

diese unbekümmert im Innern der Lager.<br />

Ja, sie haben sogar, kluge Tiere, die sie<br />

sind, gelernti sich mitten auf die Strasse zu<br />

setzen, herankommende Automobile aufzuhalten<br />

und sog'eich um Süssigkeiten, besonders<br />

um Keks und ähnliche Leckerbissen, zu bitten.--Man<br />

denke ja nicht, dass die Bären zahm<br />

sind, sie sind es bestimmt nicht. Die Förster<br />

predigen dauernd grösste Vorsicht, «Sicherheit»<br />

sozusagen, im Verkehr mit den mächtigen<br />

Raubtieren. «Nicht mit der Hand füttern»,<br />

«nicht necken», «nicht zwischen die<br />

Bärenmutter und ihr Junges gehen» und ähnliches,<br />

das sind so einige Regeln, die sie den<br />

Touristen beizubringen versuchen. Jedoch:<br />

aEs wird jede Minute ein Narr geboren»,<br />

DER PFL/ISTERMRLER<br />

VON GÜNTHER R. SCHARER<br />

Es war in London. In einer Weltstadt, im<br />

Vorbeihasten von Tausenden, in der Untergrund,<br />

auf Omnibussen, auf der Strasse hält<br />

es schwer, sich einen Einzelnen zu merken,<br />

unter tausend Masken und Gesichtern dem<br />

Gedächtnis einzuprägen.<br />

; Und doch geschah es. In jenem stillen<br />

Stadtteil, der obwohl so nahe der City, sich<br />

doch den Charakter der vornehmen Ruhe erhalten<br />

hat, an der Rüssel Square, war er mir<br />

aufgefallen. Am Gitter der kleinen Parkanlage,<br />

die den Platz schmückt, sass er auf dem<br />

Boden, neben ihm seine Krücken — ein Einbein.<br />

Und neben ihm auf dem Gehsteig war<br />

eine farbige Zeichnung in Kreide hingemalt,<br />

alle Tage etwas anderes, und daneben in<br />

deutlichen Lettern: Danke. Dort warfen die<br />

Passanten ihre Kupfer hin oder sie Hessen<br />

es bleiben. Alle Tage eine andere Zeichnung,<br />

irgend eine rührende Geschmacklosigkeit:<br />

Die Towerbrücke bei Sonnenuntergang oder<br />

die Sankt Pauls Kathedrale mit den unvermeidlichen<br />

Tauben davor. Dicht an ihm ging<br />

mein Weg zum Hotel vorbei, alle Tage sah<br />

ich mit mitleidigem Lächeln seine neue<br />

Schöpfung an und warf zwei Pennies hin.<br />

Alle Tage hörte ich das gleiche, tonlose, wie<br />

gestorbene — Danke, Herr, — das der Alte<br />

vor sich hin sagte. Der Alte, ja ob er eigentlich,<br />

alt sei, das konnte ich nicht mit Bestimmtheit<br />

sagen. Wohl lag ihm graues Haar<br />

in strähniger Schmutzigkeit um die Schläfen,<br />

wohl blickten seine Augen tot und verglast,<br />

PARKOLOGIE<br />

Seit einigen Jahren ist eine ursprünglich<br />

als Aberglaube angesehene Kunst zur Wissenschaft<br />

erhoben worden: Die Graphologie,<br />

zu deutsch «Handschriftendeutung». Die Graphologie<br />

lehrt, wie man aus einer Handschrift<br />

den Charakter des Schreibers herauslesen<br />

kann. Kein gebildeter Mensch zweifelt heute<br />

mehr an der Seriosität dieser Wissenschaft.<br />

Ich möchte die Reihe der (speziellen Auto-)<br />

Wissenschaften um eine vermehren: Die<br />

«Parkologie». Die Charakterdeutung aus der<br />

Art des Parkierens. Wer Automobilisten unter<br />

seinen Bekannten hat oder auch nur ein<br />

guter Beobachter ist, weiss schon, was ich<br />

damit meine. «Zeige mir, wie du parkierst,<br />

und ich sage dir, wer du bist.»<br />

Ein Beispiel: Ich habe einen Bekannten.<br />

Der junge Mann kann lesen, schreiben, rechnen,<br />

zählt sich unbedingt zu den vernunftbegabten<br />

Wesen und fährt sehr viel Auto.<br />

Das ist alles sehr gewöhnlich. Aber in einem<br />

kann er sich rühmen, mindestens ausserge-<br />

^Vöhnlich zu sein: Er hat.noch nie.in seinem<br />

Leben der Parkvorschrift entsprechend parkiert.<br />

Wenn man den Wagen auf 77 verschiedene<br />

Arten verkehrt und auf eine, Art<br />

richtig hinstellen kann, so wählt er mit absolut<br />

tödlicher Bombensicherheit eine der 77<br />

Arten. Und käme der Wagen zufällig doch<br />

einmal richtig zu stehen, so wäre mein<br />

Freund ein unglücklicher Mann. Warum ?<br />

(Ich will ihn hier nicht beleidigen.)<br />

Beispiel II: Ein Parkplatz mit nebeneinander<br />

aufgestellten Wagen. Ein Automobilist,<br />

den wir «Fritz» nennen wollen, will abfahren.<br />

D. h. er möchte, kann aber nicht und<br />

steht vielleicht jetzt noch dort (oder ist unterdessen<br />

gestorben!). Denn neben Fritzens<br />

Wagen steht jetzt derjenige eines Sportkollegen,<br />

den wir «Hans» taufen wollen. Die<br />

Wagen stehen so eng nebeneinander, dass<br />

Fritz über die Kotflügel klimmen muss, um<br />

zu der verschlossenen Türe zu kommen. Um<br />

dann aber nur zu konstatieren, dass die Türe<br />

nicht genügend geöffnet werden kann. Fritz<br />

wie auch der ganze Gesichtsausdruck stumpf<br />

und erstarrt war, aber wie alt das schmutzige,<br />

bartstopplige Gesicht war, konnte man<br />

nicht erraten. Es mochte fünfzig zählen, aber<br />

ebensogut zehn Jahre jünger sein. Eine Erscheinung,<br />

der ich mein Auge nie lange hingab.<br />

Ich mochte noch so fröhlich meines<br />

Weges kommen, dort an der Ecke des Parkes<br />

sass der Krüppel mit starrem Gesicht, dem<br />

ich alle Tage meine Münzen hinwarf und der<br />

etwas wie ein Fluidum der Kälte um sich<br />

verbreitete. Nie ein Lächeln des Dankes, nie<br />

ein Blick des Dankes überhaupt, nur sein gläsernes,<br />

tonloses Wort.<br />

Es war im Spätherbst, im November, und<br />

die Strassen Londons fingen an, sich mit dikkem<br />

Nebel einzuhüllen. Es regnete oft, kalt<br />

und unerbittlich, so dass die Lichter auf den<br />

Strassen tanzende Spiegelbilder warfen, aber<br />

es mochte morgens früh oder abends spät, oft<br />

auch schon wieder gegen Morgen sein: Der<br />

Pflastermaler sass an seinem Posten, bewegungslos,<br />

wie tot ans Gitter gehockt, seine<br />

beiden Krücken neben sich, und sagte sein<br />

totes — Danke, Herr. Oft suchte ich dem<br />

Menschen auszuweichen, nahm meinen Weg<br />

von der City kommend auf der andern Seite<br />

der Anlage durch, aber wie ein stiller, unerbittlicher<br />

Magnet zog es mich doch wieder<br />

neben dem Krüppel vorbei, wie sehr auch sein<br />

Anblick mich abstiess.<br />

Meine Tage in London waren sorglos und<br />

glücklich, der Glückliche aber kann das Elend<br />

nicht ansehen, es schaudert ihn unwillkürlich,<br />

— so hätte ich ihm eigentlich ausweichen<br />

müssen — ich konnte es nicht. Es kam so<br />

sagt das Sprichwort, «und einige von ihnen<br />

gehen in den Yellow-Park», möchte<br />

ich hinzufügen. Selbst gesehen habe ich<br />

zwei von ihnen. Eine Dame trug eine<br />

schlimm zerrissene Hand davon, als sie dem<br />

Bären die leere Keksbüchse zeigte, nachdem<br />

sie ihn mit ihrem Inhalt gefüttert hatte. Ein<br />

Schlag nach der Schachtel. Seine vierzölligen<br />

Krallen gingen ein wenig zu weit, und das<br />

Unglück war geschehen. Der andere Unfall<br />

war nicht ganz so tragisch, obgleich er ein<br />

gut Teil schlimmer hätte ausgehen können.<br />

Ein junger Fant in weissen Flanellhosen<br />

stieg aus seinem Wagen, um eine Aufnahme<br />

von zwei jungen Bären zu machen, die ihn<br />

zum Anhalten gezwungen hatten. Sein Mädchen<br />

(oder seine Frau) sah diesem Schauspiel<br />

sehr interessiert zu, und natürlich wollte<br />

er einen guten Eindruck machen und die<br />

Ueberlegenheit des Mannes beweisen. Wie<br />

viel besser aber wäre es gewesen, wenn er<br />

mehr an seine Arbeit gedacht hätte. In seinem<br />

Eifer nämlich, ein gutes Bild von den<br />

Jungbären zu bekommen, trat er zwischen<br />

die Bärenmutter und ihre Jungen und — aber<br />

lasst es mich kurz machen — der junge<br />

Mann machte in höchst undekorativem Zustande<br />

einen Satz in den Wagen, gab Gas<br />

und verschwand hinter der nächsten Wegbiegung,<br />

den Bären mit allem, was er an<br />

weissen Flaneühosen besessen hatte, zurücklassend,<br />

ausgenommen den Hosenbund.<br />

Bären sind klug, stark, und wenn es sein<br />

muss, auch schnell. Out genährt, und das sind<br />

sie während der Reisezeit, können sie von<br />

einem kleinen Hund oder einem schreienden<br />

ist durchaus nicht dick, aber ein Türspalt von<br />

15 Zentimeter ist eben noch dünner und zweifellos<br />

als Passage für einen normalen Rückgrat-Schweizer<br />

ungeeignet. Die andern Türen?<br />

Hm — die sind eben von innen verriegelt!<br />

Den Wagen von Hand verschieben ?<br />

Die Bremse ist angezogen und der Arm<br />

reicht durch den Türspalt ebensowenig bis<br />

zum Bremshebel wie bis zu den Türriegeln.<br />

Hansens Wagen verschieben? Der sitzt fest<br />

wie eine Festung und ist ebenso unzugänglich.<br />

Ob Fritz schliess'ich an seinem oder Hansens<br />

Wagen eine Scheibe eingeschlagen hat,<br />

entzieht sich meiner Kenntnis. In der ersten<br />

Wartestunde, während ich ihn beobachtete,<br />

tat er keins von beidem. Wahrscheinlich aber<br />

hat er Hans später die erste Lektion über<br />

«Parkologie» erteilt.<br />

Hoffen wir, dass «Hans» mit seinem zu<br />

nahen Parkieren nur gedankenlos gehandelt<br />

hat! Manche andere Parkierungsfehler verraten.<br />

a-bar weit schlimmere Eigenschaften<br />

als blosse Gedankenlosigkeit. Wer ..sich nur<br />

ein wenig mit der Deutung von Parkierungsfehlern<br />

befasst, dem bietet jeder Parkplatz<br />

ein reichhaltiges Menü schlechter Charaktereigenschaften.<br />

Man findet da oft al'e Abstufungen<br />

zwischen Dummheit und Lümmelhaftigkeit.<br />

Zum Schluss eine kleine Frage an die<br />

«•Se'bständigen» und «Orteinellen-um-jeden-<br />

Preis»: Geht eure Gerissenheit so weit, dass<br />

ihr nichts dagegen hättet, wenn ein Graphologe<br />

in einer <strong>Zeitung</strong> euer Charakterbild veröffentlichte<br />

und darüber setzte: «Achtung!<br />

Charakterbild des Ernst Meier!» Ihr würdet<br />

protestieren? Warum stellt ihr dann aber<br />

euer Ich .auf der öffentlichen Strasse zur<br />

Schau?<br />

Nur wer sich so benimmt, dass er unter<br />

keinen Umständen auffällt, ist bekanntlich<br />

ein Gentleman. Gentlemen wollt ihr aber<br />

doch alle sein! m.<br />

weit, dass mir, wenn ein Tag vergangen war,<br />

an dem er seine zwei Pennies nicht erhalten<br />

hatte, etwas fehlte, unterbewusst das Gefühl<br />

über mich kam, heute etwas vergessen oder<br />

unterlassen zu haben, so dass ich oft noch<br />

abends spät aus dem Hotel ging, um den<br />

Krüppel aufzusuchen. Mit der Zeit hatte ich<br />

Eckel und Abscheu vor ihm überwunden. Er<br />

wurde mir zu einem alten Bekannten. Aber<br />

auf seinem Gesicht war nicht ein einziges<br />

Mal ein Zeichen des Erkennens oder der<br />

Freude des Wiedersehens zu lesen, wie sehr<br />

ich es auch danach durchforschte, da ich<br />

nachgerade ein Recht darauf zu haben<br />

glaubte. So wurde mir der hockende Krüppel<br />

mit seinem Bilde zum Freunde, ohne den<br />

ich mir den Heimweg nicht mehr denken<br />

konnte.<br />

Wie es aber so geht, wenn wir einen seltsamen<br />

Menschen oft und immer wieder sehen:<br />

Es drängt uns, sein Leben zu kennen, von ihm<br />

mehr als nur das Aeussere zu betrachten. Ich<br />

hätte gar zu gerne gewusst, wer der Elende<br />

war, wie er dazu kam, in Wind und Wetter,<br />

in Nebel und Kälte an seinem armseligen<br />

Platze auszuharren — tagelang, nächtelang<br />

in steinerner Apathie. Aber wenn ich einmal<br />

mich dem Manne mit dem Willen näherte,<br />

ein Gespräch mit ihm anzuflechten, so wurde<br />

ich doch schon in einigem Abstande gewahr,<br />

dass ich es nicht wagen dürfe, in diese verschlossene<br />

Würde meine Neugierde einzulassen.<br />

An der eisigen Verschlossenheit und<br />

Ruhe scheiterte mein Wunsch jedesmal, und<br />

enttäuscht und verwirrt warf ich meine Münzen<br />

hin. gleichsam als Entschuldigung für eine<br />

Kinde verjagt werden. Aber wenn sie hung T<br />

rig sind, können sie recht ungemütliche Gesellschafter<br />

sein, obschon ihre Klugheit ihnen<br />

dann oft genug verbietet, anzugreifen.<br />

Viele wahre Geschichten werden über dits<br />

Bären im Yellowstone-Park erzählt. Ihre<br />

Stärke, ihre Klugheit, ihre Vorliebe für Süssigkeit,<br />

besonders auch für Speck, macht es<br />

unerläss'ich, dauernd auf dem Posten- vor<br />

diesen Strauchdieben zu sein. Eine Reisegesellschaft<br />

dachte, dass ihre Speckseite unter<br />

dem Kühlermantel absolut sicher sei. Aber<br />

als sie am nächsten -Morgen erwachte, war<br />

der Speck verschwunden. Mantel und Kühler<br />

waren heruntergerissen und ihre Bsstand*<br />

teile ringsum verstreut.<br />

Harry, ein junger Russe aus New York-<br />

Osten, hatte beschlossen, sich das Land allein<br />

in seinem Chevrolet anzusehen. Trotz<br />

aller Vorstellungen seiner Verwandten, dass ;<br />

er nicht lebend zurückkehren würde, wenn<br />

er west'icher als Chicago ginge. So kam es,<br />

dass sich seine Wage mit meinem «Vorsintflutlichen»<br />

im Yellowstone-Park kreuzten<br />

und dass Harry und ich gute Freunde wurden.<br />

Er war der begeistertste Fischer, den<br />

ich je sah. Da er jedoch nicht mit der FHege,<br />

wie es sonst dort üblich ist, fischte, sondern<br />

mit Köder, musste er nach Würmern suchen,<br />

konnte aber solche trotz aller Bemühungen<br />

nicht finden. So beschloss er, an den Plätzen<br />

nachzusuchen, wo die Touristen ihre<br />

Speisereste usw. wegwerfen. Die Dunkelheit<br />

sah unseren Harry, wie er auf Knien herumrutschte<br />

und mit der Taschenlampe nach<br />

Würmern suchte. Er war so eifrig bei der<br />

Arbeit, dass er die grosse, schwarze Gestalt<br />

neben sich, die in den Lagerresten wühlte,<br />

gar nicht gewahr wurde. Endlich aber drang<br />

ihm doch das schwere Atmen und Schnaufen<br />

des Ungeheuers über die Schwelle des Be-»<br />

wusstseins. Ein Strahl seiner Taschenlampe,<br />

ein kurzer Blick von Harry und der Bär hatte<br />

den ganzen Platz für sich allein.<br />

Harry nahm seinen «Sicherheits-Unterricht»<br />

im Sturm. Als ich ihn fragte, warum<br />

er slets einen Stein oder Ba'umklötz vor die<br />

Räder seines Wagens legte, wenn er irgend^<br />

wo anhalte, meinte er, dass er seit der Nacht*;<br />

wo er im Schlafe die Bremse mit einer Fuss-»<br />

bewegung auslöste und den Abhang heruntergerollt<br />

sei, an dem er für die Nacht geparkt<br />

hatte, kein Verlangen nach weiteren.<br />

Erfahrungen habe.<br />

Gesegnet sei er. Wahrscheinlich unbeachtet<br />

in seinem Vaterlande, kam er hleher mit dem<br />

Willen zu arbeiten, mit der Liebe zur Natur<br />

und mit Musik im Herzen. Wie liebte er es<br />

doch, auf jener Bank zu sitzen, die den Cannon<br />

des Yellowstone-Flusses überschaut und<br />

die Wasser des Unteren Falles zu beobachten,<br />

wie sie 300 Fuss tief abstürzen, getrieben<br />

von ungesehenen Gewalten, wie wüdgewordene<br />

weisse Pferde unter schmerzenden<br />

Peitschenhieben. Bei Gott, so sagte er,<br />

ich könnte hier wohl an die tausend Jahre sjt«<br />

zen bleiben. Es ist wundervoll!<br />

Und es ist wundervoll, überwältigend. Da<br />

Aufdringlichkeit, die gar nicht zum Ausdruck<br />

gekommen, ja von der er vielleicht überhaupt<br />

nichts ahnte, denn tonlos, wie immer, kam<br />

sein — Danke, Herr — über blaue, harte<br />

Lippen.<br />

Das Jahr ging seinem Ende zu. Weihnachten<br />

war vorüber, ohne dass irgend ein Kleines<br />

in meinem Verhältnis zu dem Pflastermaler<br />

sich geändert hätte, eine kleine Episode ausgenommen.<br />

Am Weihnachtsabend war ich<br />

schüchtern dem Alten nahegetreten und hatte<br />

meine üblichen Stücke in den Kreis geworfen,<br />

aber diesmal noch ein kleines Paketlein dazu,<br />

in das ich einen Cake und etwas Rauchzeug<br />

gepackt, obwohl ich den Krüppel nie hatte<br />

rauchen sehen. Das Ergebnis meiner, wie ich<br />

annahm, schönen Handlungsweise, war gewesen,<br />

dass diesmal auch sein monotones Dankwort<br />

ganz ausgeblieben war. In mir, ich gestehe<br />

es, kam zuerst ein Gefühl der Beleidigung<br />

auf, denn wer tut gerne Wohltaten, ohne<br />

Dank zu erhalten. Aber ich versuchte später,<br />

nur ihn zu verstehen, was mir nicht gelang.<br />

Möglicherweise-hielt er mich für ein Glückskind<br />

des Lebens und wollte von mir nichts annehmen,<br />

aber selbst diese letzte Erklärung<br />

war unvollkommen und unbefriedigend.<br />

Die letzten Tage hatten Schnee gebracht,<br />

und der Alte sass in einem löcherigen, fadenscheinigen<br />

Ueberzieher da, seine Bilder aber<br />

waren auf dem Pflaster oft mit einer dünnen<br />

Eisglasur überzogen und ringsum von einem<br />

einrahmenden weissen Wall umgeben. Sonst<br />

blieb sich alles gleich.<br />

So ging es dem letzten Ausklang des Jahres<br />

entgegen. Die Silvesternacht verbrachte

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