E_1929_Zeitung_Nr.053
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Bern, Dienstag 18. Juni <strong>1929</strong> III. Blatt der „Automobil-Revue" No. 53<br />
Im heutigen<br />
„Autler-Feierabend":<br />
Seite<br />
Vier junge Mädchen über die Ehe 19<br />
Pariser Gassen 20<br />
Bunte Chronik 20<br />
Sport 21<br />
Aus Heimat und Fremde 22<br />
Sprechsaal 23<br />
Kreuzworträtsel 24<br />
Das schöne Mädchen<br />
von gegenüber<br />
Von Guarnerius.<br />
Wenn ich aus meinem hohen Dachfenster<br />
schaue, so muss ich meinen Bück auf zwei<br />
Meine Fenster gerade mir gegenüber lenken.<br />
Ein anderes Vis-ä-Vis gibt es nicht im Lichthof.<br />
(Ich wohne sehr komfortabel.)<br />
Das eine dieser beiden Fenster gegenüber<br />
ist immer leer. Da sehe ich niemals hin. Das<br />
andere ist niemals leer, wenn ich hinaussehe.<br />
Meist taucht der Kopf eines Mädchens<br />
auf, eines braunäugigen, schwaragelockten<br />
Mädchens. Nun, warum nicht? Scheint ein<br />
hübsches Mädchen zu sein. Sie weiss es;<br />
wenn ich hinübersehe, putzt sie ihre Fingernägel.<br />
(Wahrscheinlich ist sie eitel.)<br />
Gestern aber traf ich sie auf der Strasse.<br />
Es war Abend. Und darum begann ich zu<br />
reden (am Tage- schreibe ich: Gedichte in<br />
Prosa, und im Nebenberuf: Prosa in Gedichtform).<br />
Ich bemühte mich, möglichst neutral<br />
zu reden und sagte deshalb:<br />
«Fänden Sie nicht auch, dass es begeisternd<br />
wäre, jetzt einen kleinen Abendßpaziergang<br />
zu zweien zu unternehmen?»<br />
«Tun wir das, das wird Ihre Beinmuskeln<br />
stärken», antwortete sie.<br />
Ich ^blickte betrübt auf meine Bügelfalten<br />
•und.'4Chiu£. den Weg ;an die Aare vor. Zuerst<br />
freies mir schwer* ein "Gespräch in Gang<br />
zu bringen.<br />
«Fräulein simd Turnlehrerin?» fragte ich<br />
endlich.<br />
«Was meinst du?» antwortete das Fräulein.<br />
Ich rückte etwas näher. So rasch war ich<br />
noch nie befreundet gewesen. Plötzlich aber<br />
bekam ich einen furchtbaren Stoss in die<br />
Rippen, der mich um mein letztes Gleichgewicht<br />
brachte, kollerte die Böschung hinunter<br />
und fühlte die erfrischenden Fluten der<br />
Aare über meinem Kopf zusammenschlagen<br />
Etwas herabgestimmt im poetischen Schwung<br />
meiner Gefühle begann ich zu schwimmen.<br />
Plötzlich fühlte ich mich gepackt und an's<br />
Ufer geschleppt. (Aha, eine Schwimmlehrerin.)<br />
Wir standen uns gegenüber und sahen uns<br />
an.<br />
«Ihrehellen Hosen scheinen etwas mitgenommen»,<br />
sagte sie. (Ich hatte sie mir von Erich<br />
für diesen Abend geborgt.)<br />
Sie aber, die Schwimmlehrerin, hatte durch<br />
das Bad entschieden gewonnen. Ihr Kleid<br />
glänzte in lebhafteren Farben als je zuvor<br />
und schien durch die Befeuchtung von besserem<br />
Schnitt.<br />
Es war im Monat August. Zusammen mit meiner<br />
Frau verbrachte ich eine kurze Ferienzeit auf<br />
einer der vielen kleinen Inseln vor der kalifornischen<br />
Küste, erzählt der Pressephotograph J. H.<br />
im «Kopenhagener Motor». Die Urlaubszeit war<br />
beinahe verflossen, als ich eine Depesche von einem<br />
Beamten der mexikanischen Eisenbahn erhielt, dass<br />
ich mich unverzüglich nach Mexiko begeben möchte,<br />
wo man verschiedene Aufträge für mich in meiner<br />
Eigenschaft als Pressephotograph habe.<br />
In Nogales gesellte sich ein junger Mexikaner<br />
zu mir, den ich Escobado nennen will, und welcher<br />
von der Eisenbahndirektion hingeschickt worden<br />
war.<br />
Escobado brachte nähere Anweisungen über die<br />
Arbeit, welche ich an der Westküste Mexikos der<br />
Eisenbahn entlang auszuführen hatte, und zwar in<br />
den drei Staaten Sonora, Sinaloa und Navarit.<br />
Escobado hatte für' Motorfahrzeuge, Pferde oder<br />
andere passende Fortschaffungsmittel zu sorgen.<br />
Für die Strecke der Haupteisenbahnlinie von<br />
Nogales bis City of Tipie, die Hauptstadt von Navarit,<br />
etwa 1000 englische Meilen südlich der nordamerikanischen<br />
Grenze, hatte er einen Fordwagen<br />
angeschafft, welcher für das Laufen auf Schienen<br />
eingerichtet war. Der Führer war ein Mexikaner<br />
namens Lemon.<br />
Als ich mich nach der Eisenbahnstation begab,<br />
um Escobado mit dem Fordwagen zu treffen, lief<br />
ich Jose Llarando in die Arme, einem mexikanischen<br />
Redakteur, dessen Bekanntschaft ich vor einigen<br />
Jahren gemacht hatte.<br />
«Ich glaube; ihr habt einen schlechten ZeitpunET<br />
für eure Expedition gewählte saffte Llarando<br />
ernst. «Es ist soeben die Nachricht eingelaufen,<br />
dass die Yaqui-Indianer mal wieder damit beschäftigt<br />
sind, Unruhen vorzubereiten. Sie sollen sogar<br />
den Anfang schon gemacht haben in der Gegend<br />
um Cajeme und Empalme herum.»<br />
Dies waren äusserst unangenehme Neuigkeiten.<br />
Ich war früher in Kampfzonen gewesen, wo die<br />
Yuaqui-Indianer auf Kriegspfad waren und kannte<br />
sie als die kriegstollsten der mexikanischen Iridianerstämme.<br />
Es war jedoch jetzt unmöglich, irgendeine<br />
Aenderung des festgelegten Planes vorzunehmen.<br />
«Glaubten Sie, ich könne nicht schwimmen?»<br />
fragte ich nun, durch das erfolgreich<br />
bestandene Bad ermutigt.<br />
Aber sie war auch nicht Schwimmlehrerin.<br />
«Wir waren in Gefahr, langweilig zu werden»,<br />
erklärte sie. «Sie kamen immer näher<br />
— du kamst immer näher (wir duzen uns<br />
doch, zwischen uns kann das weiter nicht<br />
gefährlich sein), wenig fehlte, wir hätten uns<br />
umarmt. Ich habe die Situation gerettet.<br />
Kehren wir um. Lebenstechnik ist wichtiger<br />
als alles übrige. Jedes Ding zur rechten Zeit<br />
und am rechten Ort. Man küsst sich auf den<br />
Mund, man pufft sich in den Rücken, in der<br />
Aare badet man. Küssen tut man zu Hause.<br />
Da waren wir auch schon zu Hause.<br />
Im Auto durch Revolutionsland.<br />
Escobado bekam<br />
im Nu sein Gewehr<br />
heraus...<br />
Als ich am Bahnhof ankam, traf ich Escobado,<br />
der mit dem Motorwagen bereits wartete, während<br />
der Führer Lemon damit beschäftigt war, einige<br />
Kisten aufzuladen, welche mir so vorkamen, als<br />
könnten sie Munition enthalten. Selber war ich<br />
übrigens mit einem Revolver schweren Kalibers bewaffnet,<br />
und den Gürtel hatte ich voll Patronen.<br />
Unser erstes ernstes Abenteuer hatten wir etwas<br />
südlich vom Dorfe Hermosillo, und dies war nur<br />
der Auftakt einer Reihe unangenehmer Geschehnisse,<br />
welche uns später ereilen sollten.<br />
Der Fordwagen konnte mit .grosser Geschwindigkeit<br />
auf den Schienen dahinfahren. Er brachte<br />
es leicht auf 90 km in der Stunde und recht angenehm<br />
war es nicht, in diesem Tempo dahinzusauson,<br />
wenn wir die Verbindungen überfuhren oder<br />
starke Kurven nehmen mussten.<br />
Ueberäll in Sonora gibt es eine Unmenge wild<br />
lebender Tiere. Ich fragte Escobado, ob. so ein<br />
Trackmotor nicht ab und zu aus dem Geleise geworfen<br />
werden könnte, wenn ein Tier angefahren<br />
würde. Aus seiner Praxis wusste er nicht, dass<br />
solches vorgekommen sei — aber kaum hatte er<br />
diese beruhigenden Worte ausgesprochen, und der.<br />
Fordwagen flog aus seiner Bahn heraus. Im selben<br />
Augenblick sah ich ein braun gefärbtes Tier<br />
den Eisenbahndamm hinunterrollon. Sonderbarer-<br />
Der Fall Cranmore<br />
Fortsetzung ans dem Hauptblatt.<br />
«Ich muss Sie dringend bitten, sich nicht<br />
einzumischen, Mr. Cranmore,» fuhr ihn Manderton<br />
an. «Es handelt sich jetzt nur um Miss<br />
Driscol.» Er wandte sich wieder zu Dolores.<br />
«Sie bleiben also bei Ihrer lächerlichen Behauptung,<br />
dass Sie zu Fuss — zu Fuss bei<br />
dieser Hitze! — vom Sloane Crescent bis zur<br />
Hammersmithbrücke gingen, nach meiner<br />
Schätzung etwa acht Kilometer?!»<br />
«Es ist so!»<br />
Die Lippen des jungen Mädchens zitterten.<br />
«Wollen Sie mir dann gefälligst erklären,»<br />
sagte Manderton und brachte seine rechte<br />
Hand zum Vorschein, «wie dieser Omnibusfahrschein<br />
von Nr. 33, abgestempelt zwischen<br />
halb vier Uhr und vier Uhr 15, in Ihr Handtäschchen<br />
gekommen ist?»<br />
In seiner rechten Hand hielt er ein kleines<br />
blaues Paipierstückchen.<br />
«Ich weiss<br />
Driscol.<br />
nicht...», stammelte Miss<br />
«Oder», fuhr Mandertons erbarmungslose<br />
Stimme fort, während er mit der Linken ein<br />
ähnliches rotes Pappstückchen hervorholte,<br />
«wie Sie zu diesem Fahrschein kamen, der<br />
für eine Fahrt gestern nachmittag zwischen<br />
sechs und sieben Uhr abends gilt ? Wollen<br />
Sie vielleicht leugnen, dass die Billette in ihrem<br />
Handtäschchen waren, von wo ich sie<br />
selbst herausgenommen habe, als Sie's heut<br />
morgen zu Hause fallen Hessen? Heraus mit<br />
der Wahrheit! Sie sind gestern etwa um vier<br />
:*Uhr an der Bortonstrasse aus dem Omnibus<br />
gestiegen!»<br />
Der Kopf des Mädchens sank herab. Sie<br />
führte ihr Taschentuch an die Augen.<br />
«Sie bringen... mich so in Verwirrung^<br />
schluchzte sie.<br />
«Unsinn! Sie haben mir einen Haufen Lügen<br />
vorgesetzt und wenn ich beweise, dass<br />
es Lügen sind, fangen Sie zu schauspielern<br />
an und behaupten, Sie hätten alles vergessen.<br />
Soll ich den Omnibusführer rufen, der<br />
Sie an der Bortonstrasse gestern abgesetzt<br />
hat? Er steht draussen. Ich sag's Ihnen au!<br />
den Kopf zu: Sie waren gestern im Atelier von<br />
vier bis sechs Uhr, und dann erst machten<br />
Sie sich nach dem Ranelagh auf den Weg.<br />
Ist das wahr?»<br />
«Nein — nein!» schluchzte das junge Mädchen.<br />
Mandertons Bulldoggengesicht wurde langsam<br />
blutrot.<br />
«Ich werde die Wahrheit.aus Ihnen herausbringen,»<br />
knirschteer, «und wenn's die ganze<br />
Nacht dauert. Ich weiss sie, aber Sie sollen<br />
sie mir sagen. Ich bin noch nicht am Ende<br />
mit meinen Zeugen, Miss Driscol. Vielleicht<br />
überrascht es Sie ein wenig, zu hören, dass<br />
man Sie gesehen hat, als Sie um sechs Uhr<br />
das Atelier verliessen!»<br />
Jim Cranmore hatte sich halb erhoben.<br />
Aber es kam nur ein Wort aus einem enttäuschten,<br />
unwilligen, fast entsetzten Tone<br />
von seinen Lippen.<br />
«Dolores!»<br />
«0 Jim!» rief sie kläglich, «o Jim, ich<br />
kann's nicht erklären!»<br />
Aber Cranmore wandte sich ab.<br />
«Ein Arbeiter von dem Holzplatz hinter<br />
dem Atelier,» fuhr Manderton fort, «sagt aus,<br />
dass er Quayre mit einer jungen Dame genau<br />
um sechs Uhr aus dem Garten herauskommen<br />
sah. Er ist Katholik, und sie läuteten<br />
im Kloster gerade zum Angelus, als die beiden<br />
erschienen. Das Spiel ist aus, Miss Driscol!<br />
Am besten wär's, Sie sagten endlich<br />
die Wahrheit. Sie waren im Atelier?»<br />
Das junge Mädchen zuckte verzweifelt<br />
die Achseln.<br />
«Heraus damit!» drängte Manderton. «Sie<br />
gingen ins Atelier, um Ihren Liebhaber zu<br />
besuchen?»<br />
«Wirklich, Inspektor -, . .!» fiel Cranmor©<br />
ein.<br />
«... wie Sie jedenfalls schon oft getan<br />
hatten, was?» schloss Manderton, ohne die<br />
Unterbrechung zu beachten.<br />
«Es ist nicht wahr!» schrie das junge<br />
Mädchen und stampfte mit dem Fuss. «Niemals<br />
war ich vorher allein dort. Ich kam<br />
nur für eine Augenblick,« um zu sehen, wie's<br />
mit meinem Porträt ging, und Mr. Quayro<br />
bat mich, zum Tee dazubleiben . . »<br />
«Im Schlafzimmer, Miss DriscoH»<br />
Mandertons Stimme war ruhig und 1 leidenschaftslos.<br />
Dolores krampfte fassungslos die Hände<br />
ineinander.<br />
«Es ist empörend,» rief sie. «Ihre Andeu«<br />
tungen sind zu ...»<br />
«Ich halte mich nur an die Tatsachen!»<br />
unterbrach sie der Polizist.<br />
(Fortsetzung folgt.)'<br />
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