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MTD_DDG_2018_01-02

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16 Im Blickpunkt<br />

diabeteszeitung · 3. Jahrgang · Nr. 1/2 · 28. Februar <strong>2<strong>01</strong>8</strong><br />

Mit Twitter gegen Softdrinks<br />

Wie lässt sich die Zunahme von Zivilisationskrankheiten stoppen?<br />

SCHARDSCHA. „Den Kampf gegen nichtübertragbare<br />

Krank heiten verstärken“ – unter diesem Motto trafen sich<br />

Gesundheits experten aus 68 Ländern auf dem 2. Global NCD*<br />

Alliance Forum. Die 350 Delegierten waren sich einig, dass<br />

mehr für die politische Umsetzung evidenzbasierter Lösungen<br />

geworben werden muss.<br />

Nichtübertragbare Krankheiten<br />

verursachen laut WHO weltweit<br />

jährlich 15 Mio. vorzeitige<br />

Todesfälle. Es sind Krankheiten,<br />

die maßgeblich durch den Lebensstil<br />

beeinflusst werden wie Diabetes,<br />

Herz-Kreislauf-Krankheiten oder<br />

Krebs. Hauptrisikofaktoren sind<br />

Rauchen, Alkohol, Adipositas und<br />

Bewegungsmangel. Einen Schwerpunkt<br />

der Konferenz bildete der<br />

Kampf gegen Adipositas. Auch in<br />

vielen Entwicklungsländern nimmt<br />

dieses Problem zu. Zahlreiche Länder<br />

haben bereits Gegenmaßnahmen<br />

ergriffen, vor allem Steuern auf<br />

Softdrinks. Dieses Mittel wird auch<br />

von der WHO empfohlen.<br />

Allerdings, so wurde in Schardscha<br />

(VAE) deutlich, ist es nicht<br />

immer einfach, eine solche Steuer<br />

gesellschaftlich durchzusetzen.<br />

Praktisch in allen betroffenen<br />

Ländern brauchte es dafür eine<br />

breite Öffentlichkeitskampa gne,<br />

getragen von Akteuren aus dem<br />

Public-Health-Bereich. Umgekehrt<br />

versucht die Lebensmittelindus trie<br />

mit vielen Strategien, wirksame Reglementierungen<br />

zu verhindern. Beispiele<br />

aus Großbritannien, Südafrika<br />

und Lateinamerika zeigten, wie die<br />

Bevölkerung dennoch mit TV-Spots<br />

und Social-Media-Kampagnen aufgeklärt<br />

und überzeugt werden kann.<br />

Softdrinksteuer findet immer<br />

mehr Zustimmung<br />

Besonders vielversprechend ist es<br />

offenbar, den Fokus auf Kinder zu<br />

lenken. Die britische „Obesity Health<br />

Alliance“ etwa startete eine Twitter-<br />

Kampagne, um eine Softdrinksteuer<br />

zu unterstützen. Sie verdeutlichte<br />

mit Fotos, wie viel Zucker Kinder im<br />

Durchschnitt pro Tag konsumieren –<br />

nämlich so viel, wie in 20 Keksen enthalten<br />

ist. Hauptzuckerquelle sind<br />

Softdrinks. In Umfragen sprachen<br />

sich daraufhin 76 % der befragten<br />

Briten für eine entsprechende Steuer<br />

aus. Obwohl die Getränkeindustrie einen<br />

Gegenkampagne startete, setzten<br />

sich die Gesundheitsexperten durch:<br />

Im April <strong>2<strong>01</strong>8</strong> wird die Softdrinksteuer<br />

in Großbritannien in Kraft treten.<br />

Barbara Bitzer ist neue Sprecherin der Deutschen Allianz<br />

Nichtübertragbare Krankheiten (DANK)<br />

Ende Januar hat Dr. Dietrich Garlichs das Amt des Sprechers<br />

der DANK an die Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes<br />

Gesellschaft Barbara Bitzer übertragen. Dr. Garlichs hatte<br />

das Amt seit der Gründung von DANK im Jahr 2<strong>01</strong>0 inne<br />

und gibt es nun aus Altersgründen ab.<br />

DANK ist ein Zusammenschluss von inzwischen 22 großen<br />

medizinischen Fachgesellschaften und Gesundheitsorganisationen.<br />

Die Allianz setzt sich für eine verbesserte Präventionspolitik<br />

in Deutschland ein. Sie fordert die deutsche<br />

Politik auf, wirksame Präventionsmaßnahmen gegen die<br />

zum großen Teil vermeidbaren Zivilisationskrankheiten zu<br />

unternehmen. Zu den wirksamsten Maßnahmen gehören:<br />

• Reduzierung des Tabakkonsums (z.B. durch regelmäßige,<br />

spürbare Tabaksteuererhöhungen)<br />

• Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums (z.B.<br />

durch Erhöhung der Alkoholsteuer und Erhebung nach<br />

Alkoholgehalt)<br />

• Verhinderung der Zunahme von Adipositas und Diabetes<br />

(z.B. durch Steuersenkungen für gesunde Lebensmittel<br />

und Steuererhöhungen für Lebensmittel mit einem hohen<br />

Anteil an Zucker, Fett und Salz)<br />

• Steigerung der körperlichen Aktivität (z.B. durch eine<br />

tägliche Sportstunde in Kita und Schule)<br />

DANK-Pressemitteilung<br />

www.dank-allianz.de<br />

Es wurde diskutiert, zugehört, hinterfragt und<br />

mit gutem Beispiel vorangegangen. Experten und<br />

Betroffene kamen in Schardscha zusammen.<br />

Fotos: iStock/Boarding1Now, © Gilberto Lontro/NCD Alliance,<br />

© Javier Galeano/NCD Alliance<br />

Aus den Länderberichten wurde<br />

auch deutlich: Wissenschaft und<br />

Medizin haben es allein schwer, gesellschaftliche<br />

Veränderungen zu erreichen.<br />

„Der Gesundheitssektor ist<br />

traditionell schwach“, sagte Professor<br />

Dr. Jeremy Shiffman von der American<br />

University in Washington, „er<br />

braucht daher Unterstützung durch<br />

andere gesellschaftliche Gruppen.“<br />

In knapp 50 Ländern weltweit haben<br />

sich bereits nationale NCD-Allianzen<br />

gebildet, die teils sehr unterschiedliche<br />

Akteure umfassen, von<br />

medizinischen Universitäten bis zu<br />

Umweltgruppen. In der Deutschen<br />

Allianz Nichtübertragbare Krank-<br />

heiten (DANK) sind 21 medizinische<br />

Fachgesellschaften vernetzt, unter anderem<br />

die Deutsche Diabetes Gesellschaft<br />

und der Verband der Diabetes-<br />

Beratungs- und Schulungsberufe.<br />

Auch die WHO befasst sich mittlerweile<br />

intensiv mit NCDs. Eine Vertreterin<br />

stellte in Schardscha die Online-<br />

Plattform www.who.int/beat-ncds<br />

zur Unterstützung nationaler Initiativen<br />

vor. Dort können evidenzbasierte<br />

Maßnahmen gegen NCDs recherchiert<br />

werden, auch Hand-Outs<br />

mit Argumenten für Politiker werden<br />

gestellt. Die Vereinten Nationen (UN)<br />

tagten bislang zweimal zu dem Thema,<br />

ein drittes Treffen ist für den September<br />

dieses Jahres geplant.<br />

Industrienationen bremsen<br />

die Bemühungen<br />

Das Jahr <strong>2<strong>01</strong>8</strong> bietet daher die<br />

Chance, auf internationaler Ebene<br />

verbindliche Ziele zur Bekämpfung<br />

nichtübertragbarer Krankheiten zu<br />

formulieren. Auf diese könnten sich<br />

dann auch Initiativen in Deutschland<br />

berufen, um Maßnahmen politisch<br />

durchzusetzen. „Doch damit das<br />

UN-Treffen im September ein Erfolg<br />

wird, ist noch viel Überzeugungsarbeit<br />

notwendig“, sagte Katie Dain,<br />

Direktorin der Global NCD Alliance,<br />

„vor allem die Industrieländer wirken<br />

auf internationaler Ebene bisher<br />

eher als Bremser.“ Das liege auch am<br />

Einfluss der Industrie, die teilweise<br />

zum letzten Treffen direkt in den Regierungsdelegationen<br />

mitreiste.<br />

„Wir dürfen nicht zu höflich sein“,<br />

mahnte die kenianische Chirurgin<br />

Mellany Murgor vom Young Professionals<br />

Chronic Disease Network,<br />

„es geht schließlich darum, unnötiges<br />

Leid zu vermeiden.“ Sie verweist<br />

auf die teils aggressiven Maßnahmen<br />

der Industrie gegen Bemühungen der<br />

Verhältnisprävention. In Australien<br />

Forderungen an die Politik<br />

Für das 3. UN-Gipfeltreffen zu nichtübertragbaren<br />

Krankheiten im September <strong>2<strong>01</strong>8</strong><br />

hat die Global NCD Alliance sechs Forderungen<br />

an die Politik formuliert:<br />

• Die Menschen in den Mittelpunkt stellen<br />

• Mehr Investitionen gegen NCDs<br />

• Mehr Aktivität gegen Adipositas bei<br />

Kindern<br />

• Steuermaßnahmen zur Förderung eines<br />

gesunden Lebensstils<br />

• Leben retten durch allgemeinen Zugang<br />

zur Behandlung<br />

• Bessere Überprüfbarkeit für Fortschritte,<br />

Ergebnisse und Ressourcen<br />

etwa startete die Lebensmittelindustrie<br />

eine Anzeigenkampagne mit<br />

der Figur eines strengen, unsympathischen<br />

Kindermädchens als Symbol<br />

für einen Staat, der seine Bürger<br />

bevormunde. Zuweilen versuchen<br />

Lobbyverbände auch, Informationskampagnen<br />

über die Gefahren von<br />

Softdrinks durch Prozesse zu stoppen.<br />

In Kolumbien erhielten Wissenschaftler,<br />

die sich für Verhältnisprävention<br />

einsetzen, Todesdrohungen.<br />

Patienten werden stärker in<br />

die Arbeit eingebunden<br />

Erstmals prominent vertreten waren<br />

in Schardscha Patienten, die von<br />

NCDs betroffen sind. Unter dem<br />

Motto „Our Views, Our Voices“ sollen<br />

sie künftig stärker in die internationale<br />

Arbeit der NCD Alliance<br />

eingebunden werden. Eine Stigmatisierung,<br />

etwa von Übergewicht,<br />

macht es diesen Gruppen oft schwer,<br />

selbst für ihre Interessen einzutreten.<br />

Richtig eingebunden können sie aber<br />

den Ausschlag für den Erfolg einer<br />

Kampagne geben, weil sie dem Problem<br />

NCDs ein menschliches Gesicht<br />

verleihen, sagte Dr. Vicki Pinkney-<br />

Atkinson von der South African<br />

NCDs Alliance. „So kann man deutlich<br />

machen, dass die Politik diesen<br />

Menschen verpflichtet ist.“ Nicht zuletzt<br />

durch das Engagement von Patienten<br />

konnte die Allianz in Südafrika<br />

ebenfalls eine Steuer auf Softdrinks<br />

durchsetzen. Heike Dierbach<br />

*non communicable diseases<br />

»Noch viel Überzeugungsarbeit<br />

notwendig«

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