E_1930_Zeitung_Nr.050
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Bern, Dienstag 10. Juni <strong>1930</strong> III. Blatt der „Automobil-Revue" No. 50<br />
MOrfloc^in^<br />
konnte sich nicht beklagen, ebensowenig die Gefängnisverwaltung.<br />
Der Krieg kam und ging vorüber. Harry K.<br />
Thaws Unternehmungen belieferten das Heer. Und<br />
nachher, naoh dem Kriege, standen diese Unternehmungen<br />
weiter an der Spitze der amerikani-<br />
Der Millionär aus Pittsrrarg, Harry K. Thaw,<br />
traf in der Stadt ein. Die Leute standen Spalier.<br />
ET kam wie ein König. Mit einem Riesengefolge<br />
von Sekretären, Tippmädeln und Dienern. Nicht<br />
zu vergessen etwa ein Dutzend entzückender, bildschöner<br />
junger Damen.<br />
Harry K. Thaw kam geradewegs aus — Sing<br />
Sing. Zwanzig Jahre hatte er hinter den weltberühmten<br />
grauen Mauern New-Yorks zugebracht<br />
Und sah glänzend aus. So dass boshafte Zungen<br />
behaupteten, ein längerer Aufenthalt in Sing Sing<br />
wäre wirksamer als drei Operationen bei Professor<br />
Voronow.<br />
Harry K. Thaw empfing die Vertreter der<br />
Presse. Im vornehmsten Hotel bei einem königlichen<br />
Diner. Seine Ansprache begann er mit den<br />
Worten: «Wie ich höre, habt ihr hier einen miserablen<br />
Whisky! > Weswegen eich unter der Serviette<br />
jedes Gastes eine kleine Pulle echtesten schen Industrie.<br />
schottischen Whiskys vorfand.<br />
Kein Wunder also, wenn Harry K. Thaw in<br />
aller Munde war...<br />
Zwanzig Jahre war er da» allerdings auch —<br />
ohne Whisky. Damals erschien er am Dachgarten<br />
des noblen Madison Square Hotels, schritt suchend<br />
die Tische entlang, bis er seinen Mann fand. Dieser,<br />
«sein» Mann, war der bekannte und begehrte<br />
New-YorkeT Architekt Standford White. Die beiden<br />
Herren schüttelten sich freundlich die Hände,<br />
Harry K. Thaw hatte sein Vermögen<br />
verhundertfacht. Es gab daher auch des<br />
öfteren Festlichkeiten bei Harry K. Thaw. Mit Damen<br />
— selbstverständlich. In Sing Sing? Gott, der<br />
Mann war der beste Mieter — respektive Insasse<br />
— des Hauses, und da musste man schon ein<br />
Auge zudrücken! So gingen auch die zwanzig Jahre<br />
schnell vorüber.<br />
Als der berühmte Mörder entlassen wurde, erwarteten<br />
ihn Hundertausende jubelnd vor Sing<br />
Sing. Hinter den Mauern aber weinte eine Hundertschaft<br />
Gefängnisbeamter.<br />
dan zog Harry Thaw seinen Revolver aus der Kein Wunder also, wenn Harry K. Thaw in<br />
Tasche und sohoss Stanford White über den aller Munde war ...<br />
Haufen.<br />
Ohne sich weiter um diese Bagatelle zu kümmern,<br />
Hess sich Harry K. Thaw am nächsten<br />
Dieser Mann war in Hollywood eingetroffen.<br />
freien Tisch nieder und bestellte, wie alltäglich,<br />
sein Abendbrot. Er konnte es nicht zur Gänze verzehren.<br />
Einige Herren der Polizei ersuchten ihn<br />
ebenso höflich wie energisch — aufzustehen und<br />
mitzukommen.<br />
Ganz New-York war in hellster Empörung über<br />
diese Tat. Der Kopf des Mörders musste diesen<br />
Frevel sühnen. Aber obwohl man sonst nicht gerade<br />
sparsam umging mit dem elektrischen Strom<br />
in Sing Sing, diesmal machte man eine Ausnahme.<br />
Der Millionär Harry K. Thaw erhielt nur zwanzig<br />
Jahre schweren Kerkers ...<br />
Weshalb er eigentlich Stanford White erschoss?<br />
Aus Eifersucht Harry K. Thaw hatte die Unvorsichtigkeit<br />
begangen, eine um etliche Jahre jüngere<br />
Schauspielerin za heiraten, die schöne Evelyn Nesbit.<br />
Unvorsichtigkeit deshalb, weil er es vor der<br />
Ehe unterlassen hatte, über das Vorleben seiner<br />
Frau Erkundigungen einzuziehen. So erfuhr er<br />
erst nach der Ehe, das Stanford White seit einigen<br />
Jahren ihr intimster Freund waT.<br />
Stanford White hinwiederum war ein Mann,<br />
den eine Heirat oder Dollarmillionen nicht abschreckten,<br />
seiner geliebten Freundin treu zu bleiben.<br />
Also kam, was kommen musste. Er hätte da-<br />
Die blaue Wand<br />
Von Richard Washburn Child.<br />
Autorisierte Uebersetznag ans dem Amerikanischen<br />
von läse Landau. (Engelhorns Romanbibliothek.)<br />
(Fortsetzung aua dem Hauptblatt.}<br />
Sie werden Julianna ja wohl einmal zu sehen<br />
bekommen. Sie hat sich wenig verändert.<br />
Aber freilich, damals war sie zweiundzwanzig.<br />
Sie hatte eine Art, sich einfach zu kleiden,<br />
die das Ergebnis natürlichen Geschmacks<br />
und raffiniertester Kunst zugleich<br />
schien. Sie trug ein schwarzes, schmuckloses<br />
Kleid und dazu einen schwarzen Hut<br />
von anmutiger Form.<br />
Entschuldigen Sie, bitte, dass ich so ausführlich<br />
bin. Aber sie war wirklich so ganz<br />
anders wie die andern. Sie wirkte da wie<br />
ein Bild zwischen all den Büchern und Akten.<br />
Das, was einer Frau den stärksten Reiz<br />
verleiht, ist jene Vereinigung von Jugend,<br />
Reinheit, blühender Gesundheit und stiller<br />
Turückhaltung. Ein klarer Teint mit pfirsichzartem<br />
Flaum, der vorn am Halsausschnitt<br />
besonders zutage tritt, die langen Wimpern,<br />
unter denen der tiefe Blick sich halb scheu<br />
hervorwagt, die freie, stolze Haltung des<br />
zartrunden Kinns, die leise Wellenbewegung<br />
der atmenden Brust, die unbewusste Kraft<br />
eines jugendfrischen, anmutigen Körpers und<br />
ma.l-s schon schiessen können. Aber er war Amerikaner<br />
und wusste den Wert einer guten Reklame<br />
zu schätzen. Daher schoss er am Dachsarten des<br />
Madison Square Hotels.<br />
Kein Wunder also, wenn Harry K. Thaw in aller<br />
Munde war ...<br />
•<br />
Sing Sing ist ein düsterer Ort. Für Minderbemittelte.<br />
Für einen Millionär Hess es sich auch<br />
dort angenehm leben. Harry K. Thaw richtete eich<br />
die Zelle nach seinem Geschmack ein. Genau so<br />
verfuhr er mit dem «Menü>. Auch die «Strafarbeit><br />
durfte er sich aussuchen: er verwaltete sein<br />
Vermögen. Und täglich gab er Börsenordres für<br />
Wallstreet auf, täglich erschien sein Generalmanager<br />
zum Geschäftsrapport, täglich lagen <strong>Zeitung</strong>en<br />
und Telegramme auf seinem Frühstückstisch.<br />
Später wurde ihm auch gestattet mal einen kleinen<br />
Spaziergang nach «aussen» zu machen. Der Mann<br />
Dort gab er der Presse den Galaempfang. Weshalb<br />
er nach der Fihnmetropole gekommen war, verriet<br />
er erst am Schluss seiner Rede. Er wollte<br />
eine Tonfilmgesellschaft gründen. Aber er will nur<br />
einen Tonfilm herstellen: «Den Roman seines Lebens.»<br />
Das ist die Geschichte von dem Mann, der einen<br />
Mord beging ..<br />
Sie ist wahr.<br />
Die geizigen Schotten<br />
Maopherson war eben in einer fremden<br />
Stadt angekommen und nahm sich ein Auto<br />
zum Hotel. Nach fünf Minuten Fahrt erreichte<br />
der Wagen den Gipfel eines steilen Hügels.<br />
Der Chauffeur zog. die Bremsen an, aber zu<br />
seinem Schrecken versagten sie den Dienst<br />
und der Wagen begann rückwärts den Berg<br />
hinabzurasen.<br />
«Hilfe!» schrie der Chauffeur. «Ich kann<br />
den Wagen nicht halten!»<br />
Im Nu war Macphersons Kopf aus dem Fen-<br />
der sanfte Ton einer Stimme, der zugleich<br />
Entschlossenheit und Bildung verrät, dabei<br />
der gänzliche Mangel an Gefallsucht — all<br />
dies zusammen sind gar seltene und herrliche<br />
Eigenschaften in einer Zeit, da die weiblichen<br />
Babies schon mit allen Künsten der erfahrenen<br />
Dame auf die Welt kommen. Aber<br />
schliesslich erwählen die besseren unter uns<br />
Männern sich wohl kaum eine jener modernen<br />
Jungfrauen, die in der Keckheit ihres<br />
Benehmens und ihrer Kleidung mit Vorliebe<br />
eine Abenteuerin oder eine Brettldiva nachahmen.<br />
Dieser Ehrgeiz unserer Frauen ist<br />
ein recht peinliches Merkmal des modernen<br />
Lebens geworden und hat verderblich genug<br />
auf die guten Sitten so mancher Familie eingewirkt,<br />
die im allgemeinen auf einem solideren<br />
Standpunkt steht. Aber wie anders<br />
war Julianna! Und in jenem Augenblick empfand<br />
ich deutlich ihre ganze weibliche Ueberlegenheit.<br />
Ich vermochte keine Silbe hervorzubringen.<br />
Wir wechselten kein Wort. Und doch,<br />
während wir einander stumm ansahen, wie<br />
die Kinder, musste dem Richter, so schien<br />
mir, irgend etwas dabei aufgefallen sein.<br />
Denn als mein Blick ihn streifte, bemerkte<br />
ich einen Schatten auf seinem ernsten Gesicht;<br />
aber dann war's, als ob er eine Quälende<br />
Vorstellung hastig abschüttle, und er<br />
lachte auf.<br />
< Julianna », begann er, « das ist also Mr.<br />
I. Grosse Schweizer<br />
14./15. J-uxxl 193O<br />
Grosser Galaball im Hotel St« Gotthard am 14. Juni<br />
mit Vorführung der prämierten Kostüme.<br />
Ca. 150-200 Sujets gemeldet.<br />
Reservleren Sie Plätze bei Strandbad Udo Luzern. Tel. Nr. 38 06<br />
Voranzeige: Internat. Fechtturnier, 21./22.3unii930 im entgegnete er, «ist ein Automat.<br />
Ich habe ihm den Namen «Scheik von<br />
Baalbek» gegeben. Aber ich glaube, er selbst<br />
nennt sich «der Spieler mit dem rollenden<br />
Auge».<br />
(Fortsetzung<br />
folgt.)