E_1930_Zeitung_Nr.058
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N°58 - <strong>1930</strong> AUTOMOBIL-REVUE<br />
19<br />
Aber auf Reisen, Madame. .*<br />
Haben Sie schon einmal nachgedacht,<br />
gnädige Frau, was Reisen eigentlich bedeutet?<br />
Welch kühnen Schritt Sie unternehmen,<br />
wenn Sie sich für eine Zeitlang ganz von<br />
Ihrem Zuhause lösen wollen? Haben Sie sich<br />
überlegt, dass Sie in eine Welt fahren, wo<br />
niemand Sie kennt, niemand weiss, wer Ihr<br />
Gatte ist, welcher Familie Sie entstammen und<br />
welche gesellschaftliche Stellung Sie in Ihrer<br />
Heimatstadt einnehmen? Auf Reisen, gnädige<br />
Frau, sind Sie losgelöst von der Umgebung,<br />
die Ihnen sonst Schutz und Rahmen gibt.<br />
Sie müssen sich selbst zu schützen wissen,<br />
Sie müssen sich schnell und sicher jedem<br />
veränderten Milieu anpassen können, Sie<br />
müssen den neuen Menschen, die Ihnen begegnen,<br />
den selbstverständlichen Eindruck<br />
machen, der Sie im Kreise Ihrer Freunde<br />
und Bekannten so liebenswert erscheinen<br />
lässt. Sie fragen, wie? Dass dies nicht<br />
schwer ist, zeigt Ihnen Mia Passini im<br />
«N. W. J.»<br />
In der Stadt, in der Sie leben, kennt man<br />
Sie gut, gnädige Frau. Selbst der und jener<br />
Ihrer Fehler — dass Sie sich zum Beispiel<br />
beim Spiel so leicht aufregen —, wird durch<br />
die Gastfreundschaft Ihres Hauses und andere<br />
Vorzüge aufgewogen. In der Fremde<br />
weiss man nichts von Ihren Fehlern und<br />
Vorzügen, man beurteilt Sie nur nach der<br />
äusseren Erscheinung und Ihrem Auftreten.<br />
Schon der Träger an der Bahn, der<br />
Kellner im Speisewagen, der Schlafwagenkondukteur<br />
prüft mit aufmerksamen Blicken<br />
die Fremde. Ihre äussere Erscheinung genau<br />
abschätzend, weist Ihnen der maitre d'hötel<br />
das Zimmer in Ihrem Hotel an. In den Augen<br />
des Boys, an der Tiefe seiner Verbeugung,<br />
wenn er die Tür zum Lift öffnet, können Sie<br />
die Achtung ermessen, die man Ihnen entgegenbringt.<br />
Ihre zweckmässige und entzückende<br />
Kleidung, Ihr schöner Schrankkoffer<br />
und das kleine zierliche Suitcase, alle<br />
diese Utensilien der Reise müssen Ihren Geschmack<br />
bezeugen und das Urteil der fremden<br />
Menschen bestimmen.<br />
fAlkÖholfrefei'<br />
Nicht verwechseln mit<br />
Mineralwasser-Limonadel<br />
Defizit. Colbert sperrte den italienischen<br />
Spitzen die Grenze. Er Hess italienische Arbeiter<br />
nach Frankreich kommen und grünwird<br />
Ihnen bestätigen,<br />
daß «MATTA»,<br />
dasalkoholfreleTafelgetränk<br />
aus der<br />
brasilianischen Mate<br />
- Teepflanze , als<br />
Erfrischungs- und<br />
Tischgetränk sehr<br />
empfehlenswert ist.<br />
Sind Sie im Zuge schon einmal einem<br />
Herrn begegnet, der einen alten Frack oder<br />
einen nicht mehr salonfähigen Smoking für<br />
die Reise auftrug? Nein, so einen absonderlichen<br />
Kauz haben Sie gewiss noch nicht<br />
gesehen, gnädige Frau! Aber es gibt noch<br />
Damen, die das ein wenig unmodern gewordene<br />
seidene Teekleidchen, den schwarzseidenen<br />
Nachmittagmantel des Vorjahres<br />
oder den alten Rock mit dem Jumper, der<br />
eigentlich für den Wintersport gedacht war,<br />
zur Reise anziehen und denken, auf diese<br />
Weise die neuen Kleider für den Sommeraufenthalt<br />
zu sparen.<br />
Wenn Sie, gnädige Frau, die Leidenschaft<br />
haben, sich ein wenig auffallend zu kleiden,<br />
so bedenken Sie die vielen neugierigen<br />
Blicke, die Sie in der Fremde verfolgen<br />
werden. Im Zuge können Sie Zudringlichen<br />
nicht so schnell entfliehen wie auf den Strassen<br />
einer grossen Stadt. Im Gang des<br />
Waggons, im Speisewagen, immer wieder<br />
sehen Sie den Herrn, der Sie schon auf dem<br />
Bahnsteig so lange und nachdrücklich betrachtet<br />
hat.<br />
Darum soll Ihr Reisekostüm in Material<br />
und Schnitt die Zugehörigkeit zur Klasse<br />
der bei jeder Gelegenheit gut angezogenen<br />
Damen verraten, manches auch von Ihrem<br />
Geschmack, aber niemals etwas von Ihren<br />
bizarren Launen, denen Sie nur bei der Wahl<br />
des grossen Gesellschaftskleides die Zügel<br />
schiessen lassen dürfen, aber niemals beim<br />
Reisekostüm.<br />
Ehe Sie auf Reisen gehen, gnädige Frau,<br />
denken Sie ganz besonders über das Material<br />
und die Farbe des Reisekostüms nach, das<br />
Sie tragen werden. Abgesehen von allem,<br />
das ich Sie vorhin zu überlegen bat, müssen<br />
Sie gegen Russ und Staub in der Bahn geschützt<br />
sein. Darum wählen Sie Braun oder<br />
dunkles Grau als Farbe Ihres Komplets. Auf<br />
Schwarz und Dunkelblau entdeckt man zu<br />
schnell jedes Stäubchen und helle Farben<br />
sind auch im Sommer nicht zu empfehlen.<br />
Feste englische Wollstoffe und Tweed sind<br />
Seiden- und Trikotstoffen unbedingt vorzuziehen.<br />
Mit einem Pelzkragen versehen,<br />
schützt der dicke Mantel auch nach einer<br />
Fahrt durch einen glutheissen Reisetag vor<br />
der gefährlichen Kühle des ersten Abends<br />
am Meer und im Gebirge. Das knappe<br />
Kostüm, Mantel und Bluse müssen so schick<br />
und hübsch wirken, dass Sie für den ersten<br />
Bummel durch eine fremde Stadt, für einen,<br />
kurzen Aufenthalt, da Sie Ihre Koffer nicht<br />
auspacken wollen, zu allen Gelegenheiten<br />
passend angezogen sind.<br />
Bedenken Sie immer, gnädige Frau, wieviel<br />
hübscher und amüsanter eine Reise sein<br />
wird, wenn Sie sich in Ihrem neuen Reisekomplet<br />
ganz entzückend aussehend und<br />
sicher fühlen. Niemals hat man diese angenehme<br />
Sicherheit nötiger, als wenn man auf<br />
Reisen sich in das Kreuzfeuer fremder Blicke<br />
begibt.<br />
Sommer<br />
Der Handschuh spielt augenblicklich eine<br />
so wichtige Rolle, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit<br />
Schiller wieder in Mode kommen<br />
wird.<br />
Es gibt fabelhafte Gebilde für alle Tagesund<br />
Nachtzeiten. Morgens ä la Verkehrspolizist<br />
oder Fechthandschuhe mit kühnen Stulpen.<br />
Nachmittags weiches Leder, das künstlerisch<br />
zerknautscht den halben Arm bedeckt.<br />
Aber abends kommt erst die wahre Pracht.<br />
Da gibt es fleischfarbene und pastellblaue<br />
Handschuhe, die so empfindlich und keusch<br />
sind, dass sie vom blossen Ansehen beschmutzt<br />
werden. An Berühren ist gar nicht<br />
zu denken. Oder tiefschwarze, die geradezu<br />
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zur Dämonie verpflichten. Ihre besondere<br />
Note <strong>1930</strong> erhalten sie dadurch, dass sie auch<br />
noch üppig mit Strass bestickt sind.<br />
So wirken Arme reich.<br />
In Paris fängt man an, das viele Schwarz<br />
im sommertichen Strassenbild ärgerlich zu<br />
finden. Die Modekritiker murren gegen diese<br />
Verdüsterung der Stadt. Sie stellen fest, dass<br />
die Frauen in hellen, duftigen Kleidern um<br />
zehn Jahre jünger und sehr viel erfreulicher<br />
aussehen.<br />
Einer fragt: Warum gönnen die Frauen dem<br />
unbekannten Spaziergänger nicht die Freude<br />
eines schönen Anblicks? Warum wollen sie<br />
alle so schrecklich vornehm sein? Schwarz<br />
gilt bekanntlich als fein, weil es nicht auffällt,<br />
aber der Pariser Kritiker findet, dass<br />
es Pflicht der — hübschen — Frauen ist, aufzufallen;<br />
Er geht sogar weiter und behauptet;<br />
Ilass es der Qipfel von Arroganz ist, die<br />
herzerfreuenden hellen Kleider nur im engsten<br />
Freundeskreise zu tragen und der misera<br />
Plebs nur Schwarz vorzusetzen.<br />
Das Neueste aber an der diesjährigen Mode:<br />
alles ist modern. Auch das Unmodernste.<br />
Jede Disziplin hat aufgehört. Man kann tragen,<br />
was einem Spass macht. Die Röcke der<br />
Grossmutter, die Sporthosen des Mannes,<br />
Krägelchen und Söckchen der Kinder. Jede<br />
Frau braut sich ihre eigene Mischung. Sie<br />
kann sich für Tag- oder Abendtyp entscheiden,<br />
d. h. ihrer Persönlichkeit (respektive<br />
Person) den Stempel des Sportlichen oder<br />
des Festlichen aufdrücken.<br />
Wenn eine Frau heutzutage unvorteilhaft<br />
aussieht, ist es ihre eigene Schuld. Die<br />
Mode fordert keine Opfer mehr.<br />
Motto: Zieht euch an, zieht euch aus —<br />
aber immer anziehend!<br />
Romantik der Spitzen.<br />
Grosse und kleine Blumen, Sterne, Blätterranken,<br />
hingestreut auf spinnwebfeinem<br />
Grund. Seltsame Wunder der Phantasie<br />
durch lange seidige Fäden verbunden. Knospen<br />
und Blüten wachsen auf hauchzartem<br />
"Tüll:" Auf Netzen aus glänzendem Garn tanzen<br />
Kobolde, Putten und Edeldamen. Schwere<br />
sinnberückende Blumen einer Tropennacht,<br />
Tierfratzen und. geometrische Formen der<br />
Kristalle. Das alles sind Spitzen.<br />
Spitzen, diese Wunder der Phantasie, sind<br />
der s^ostbarste und graziöseste Schmuck,<br />
den-tue Menschen sich erdachten. Könige,<br />
Priester j-- Tänzerinnen und Gelehrte haben<br />
sich mit ihnen geschmückt, um ihre Gewänder<br />
feierlicher, edler und prunkvoller erscheinen<br />
zu lassen. Wie oft sehen wir in den Galerien<br />
Europas, auf einem der Gemälde der<br />
grossen Meister, wie eine köstliche Spitze<br />
auf eine Männerhand fällt, die den Degen<br />
hält.<br />
Unter unsäglicher Mühsal sind diese duftigen<br />
Gebilde entstanden; fleissige Frauenhände<br />
haben oft jahrelang an ihnen gearbeitet,<br />
wenn auch die Augen schmerzten; arme<br />
Frauen mussten in feuchten dunklen Kellern<br />
sich mühen, damit der allzu dünne Faden<br />
nicht reisse. Mit den entzückenden Mustern<br />
der Point de Rose und der Point de Venise<br />
noch immer nicht zufrieden, wurde über sie<br />
noch ein Meer winzig kleiner Sternchen gebreitet.<br />
Schweres Kopfzerbrechen hat der Spitzenluxus<br />
einmal grossen Staatsmännern und Königen<br />
bereitet Mehr als tausend Meter für<br />
12 Taghemden und sechshundert Meter für<br />
8 Nachthemden bestellte sich Karl I. Die<br />
Staatskassen wurden belastet, denn die Einfuhr<br />
der Spitzen verursachte ein grosses<br />
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Prospekte durch Kant. Vcrkehnzentrale ürl in<br />
Flttelen.<br />
Am Strand.<br />
dete die erste französische Spitzenschule in<br />
Alencon, um so dem ungeheuren Luxus, den<br />
man in Frankreich mit italienischen Spitzen<br />
trieb, zu steuern. Königin Viktoria von England<br />
wieder versuchte vergeblich die « Ho»<br />
niton lace» zur englischen Spitze zu machen;<br />
immer wieder siegten Brüssel und<br />
Venedig.<br />
Spitzen haben sich in der wandelnden<br />
Mode von Jahrhunderten behauptet. Man<br />
hat sie niemals ganz vergessen. Und wenn<br />
auch heute die Männer in ihrer schmucklos<br />
sen Tracht auf sie verzichten müssen, so<br />
umgeben sie noch immer als traumhafte<br />
Hülle zarte Frauengestalten, liegen mit rätselhaften<br />
Mustern auf weissen Schultern,<br />
heben sich klar und kühl von schweren<br />
dunklen Samten ab.<br />
Gleichmässiger und engmaschiger sind<br />
heute die Muster geworden. Neben vereinzelten<br />
Hausindustrien hat die Maschinenspitze<br />
die Welt erobert. Aus den Stilen aller<br />
Jahrhunderte holen wir uns die verschlungendsten<br />
und üppigsten Vorbilder, vergröbern<br />
oder verfeinern sie, verwenden schwere<br />
Kunstseiden oder Metallfäden, färben die<br />
Spitzen rot, blau oder grün.<br />
Für Kleider hat sich unsere Zeit eine ganz<br />
neue Art der Spitze erfunden. Für die schlanken,<br />
grossen Frauen mit den biegsamen Körpern<br />
sind die meterbreiten Spitzenstoffe entstanden,<br />
damit man sie ganz in das kostbare<br />
Gewebe einwickeln kann. Und als letzte Konsequenz<br />
unserer Zeit ist für uns, die wir so<br />
sehr die sachliche, gerade Form lieben, der<br />
grobmaschige, geometrische Tüll entstanden,<br />
eine Spitze ohne romantische Blumen, ohne<br />
verwirrende Zeichnung — ein© Spitze unserer<br />
Tage.<br />
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Fraulich, Traulich.<br />
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