E_1930_Zeitung_Nr.072
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AUTOMOblL-KE VUE <strong>1930</strong> — N° 72<br />
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Von der Höflichkeit auf<br />
der Landstrasse<br />
Die Höflichkeit auf der Landstrasse scheint<br />
— gemessen an der grossen Anzahl von Ein<br />
Sendungen — kein fester Begriff zu sein. Die<br />
Meinungen über die Frage: «Soll man Leute<br />
auf der Landstrasse mit sich führen?>, sind<br />
so geteilt wie möglich, wenn auch zu sagen<br />
ist, dass die Differenzen in der Auffassung<br />
in erster Linie davon herrühren, dass die Einsender<br />
von verschiedener Warte aus urteilen.<br />
Nur im Vergleich der verschiedenen Einsendungen<br />
gegeneinander lässt sich die absolute<br />
Stimmung, die in dieser Frage in unserm<br />
Lande herrscht, genauer herausfühlen. Heute<br />
fahren wir mit den Veröffentlichungen der<br />
Einsendungen fort, dabei stellen wir eine<br />
grössere Anzahl von Artikeln für nächste<br />
Nummern noch zurück.<br />
Mehr Rücksicht!<br />
Die Klagen des Einsenders in Nr. 68 der A. R<br />
über den Mangel an Höflichkeit seitens der Automobilisten<br />
haben sicher eine grosse Berechtigung.<br />
Wir sind alle schon einmal in die Lage gekommen,<br />
ausgerechnet wenn wir es sehr eilig hatten, eine<br />
grössere Strecke zu Fuss zurücklegen zu müssen.<br />
Wie froh wären wir gewesen, wenn uns da ein<br />
guter Geist in Gestalt eines Automobilisten erschienen<br />
wäre und uns zum Mitfahren eingeladen<br />
hätte. Doch Wagen um Wagen fuhr vorbei, uns<br />
in Schweiss und Staub zurücklassend. Ist es wirklich<br />
Mangel an Höflichkeit, Taktlosigkeit vonseiten<br />
der Autler, dass sie so wenig Verständnis für den<br />
armen Fussgänger zeigen? Das mag in vielen<br />
Fällen so sein. Oft ist es aber die grosse Eile,<br />
die dem gehetzten Geschäftsmann keine Zeit lässt,<br />
sich um die Passanten zu kümmern. Ein weiterer,<br />
vielleicht nicht so unwichtiger Grund, mag darin<br />
zu suchen sein, dass, wie verschiedene Beispiele<br />
vergangener Zeit gelehrt haben, die Höflichkeit der<br />
Automobilisten missbraucht wurde, indem sich so<br />
ein harmlos und ehrbar aussehender Fussgänger<br />
hernach als Gauner entpuppt hat. Ist es da noch<br />
verwunderlich, wenn der Autler fremden Fussgängern<br />
gegenüber mehr Vorsicht an den Tag legt?<br />
Ich selbst hatte in Frankreich öfters Gelegenheit,<br />
das Entgegenkommen der Automobilisten in<br />
Anspruch zu nehmen. Man scheint sich dort untereinander<br />
überhaupt mehr Zutrauen zu schenken<br />
als es hier in der Schweiz der Fall ist. Ueber<br />
das wäre noch mehr zu berichten. Der geschätzte<br />
Einsender mag ähnliche Verhältnisse in England<br />
angetroffen haben, die einen wirklich sympathisch<br />
berühren.<br />
Ich glaube, dass man es sicher allgemein hegrüssen<br />
würde, wenn der Autler in dieser Hinsicht<br />
vielleicht etwas mehr Rücksicht walten liesse. Es<br />
würde sicher das gegenwärtig mancherorts etwas<br />
gespannte Verhältnis zwischen Fussgänger und Auto<br />
etwas lockern helfen. E. S. in Langenthai.<br />
Sein Höflichkeitsrezept.<br />
Zu der eröffneten Diskussion über « Höflichkeit<br />
auf der Landstrasse» möchte ich Ihnen meine<br />
Einstellung bekanntgeben, der ich schon mehrere<br />
Jahre nachlebe: Wenn ich auf der Landstrasse<br />
einen Fussgänger vor mir sehe, so verlangsame ich<br />
das Tempo, winkt er mir, um einsteigen zu dürfen,<br />
so «ignoriere» ich sein Zeichen und halte nicht<br />
an; geht er ruhig weiter, wenn er mich hört, so<br />
verlangsame ich so viel, bis ich den Mann recht<br />
ansehen kann, und je nach dem Befund dieser<br />
schnellen Untersuchung halte ich an und lade ihn<br />
ein, einzusteigen. — Mein Prinzip ist also: Einen<br />
Mitfahrer selbst auswählen und niemals jemanden<br />
aufladen, der darum bittet! Es mag vielleicht zu<br />
kategorisch sein, aber Erfahrung macht klug! —<br />
Es kann aber auch passieren, dass ein so Eingeladener<br />
die Einladung nicht annimmt; einmal<br />
wurde ich sogar als « frecher Mann » tituliert, als<br />
ich eine ältere Dame aufladen wollte !<br />
J. A. in Winterthur.<br />
•<br />
Vorsicht ist am Platze.<br />
Das Thema, unbekannte Fussgänger auf der<br />
Strasse beim Vorbeifahren in den Wagen aufzunehmen,<br />
hat schon verschiedentlich von sich reden<br />
gemacht. Auf Grund einiger Betrachtungen eines<br />
lesers der «Automobil-Revue» wird nun diese Frage<br />
zur Diskussion gestellt. Die erwähnten Bemerkungen<br />
erscheinen, mit einem kritischen Auge betrachtet,<br />
wohl als menschenfreundlich, jedoch vielleicht<br />
nicht als genügend durchdacht. —<br />
Selbstverständlich ist es eine angenehme Ueberraschung,<br />
wenn man auf staubiger Landstrasse einhergeht<br />
und von einem Automobilisten zur Mitfahrt<br />
eingeladen wird. Dies für den Fussgänger. Anders<br />
verhält sich die Sache, vom Standpunkt des Automobilisten<br />
betrachtet. Mit dem Einladen unbekannter<br />
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Unsere Diskussion:<br />
wisse Gefahren, die nicht unterschätzt werden dürfen.<br />
Es erscheint vielleicht angezeigt, auf die zwei<br />
wichtigsten schnell einzutreten. —<br />
Vor allem muss die Verantwortung des Führers<br />
über mitfahrende Personen hervorgehoben werden.<br />
Sollte sich wider Erwarten der geringste Unfall ereignen,<br />
so wird der unbekannte Dritte seine Ersatzforderung<br />
zu stellen wissen, was in den meisten<br />
Fällen ein gerichtliches Nachspiel zur Folge haben<br />
wird. Wenn auch der Automobilist eine diesbezügliche<br />
Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, so<br />
hindert dieser Schutz vor finanziellen Leistungen<br />
nicht, eine grösstmögliche Vorsicht walten zu lassen.<br />
Der unbekannte Dritte wird meistens rücksichtslos<br />
vorgehen und womöglich aus der Angelegenheit irgend<br />
einen Vorteil zu ziehen suchen, so dass sich<br />
ein anderes Bild ergibt, als wenn die Einigung eines<br />
analogen Falles unter Freunden oder Bekannten zu<br />
erfolgen hat, die zur Mitfahrt eingeladen worden<br />
sind. Dabei wird rechtlich noch in Erwägung zu<br />
ziehen sein, ob der Dritte zur Fahrt aufgefordert<br />
wurde oder ob er selbst den Automobilisten darum<br />
gebeten hat. —<br />
Ein weiterer Punkt ist daa Gefahrenmoment für<br />
den Fahrer selbst, der nicht wissen kann, wen er<br />
in seinen Wagen aufnimmt. Es ist aus nicht allzu<br />
seltenen Fällen, die sich in letzter Zeit ereigneten,<br />
bekannt, dass unwünschbare Subjekte sogar mit<br />
verbrecherischen Absichten Automobilisten zum Mitfahren<br />
anhielten. Dass eine Beobachtung des aufgenommenen<br />
Fremden, besonders wenn sich der<br />
Führer allein im Wagen befindet, nicht gut möglich<br />
ist, erscheint selbstverständlich. Der Lenker<br />
wird deshalb nicht unerheblichen Gefahren ausgesetzt,<br />
die nicht zuletzt auch für die öffentliche Sicherheit<br />
bedeutend werden können. —<br />
Allzu schwarz braucht man sich die Sache ja<br />
auch nicht vorzustellen und den Fussgänger stets<br />
als schlechtes Subjekt zu verdächtigen. Es handelt<br />
sich ja bei den oben erwähnten Verhältnissen, Gott<br />
sei Dank, um Ausnahmefälle. Persönlich stehe ich<br />
dem Aufnehmen von Fussgängern keineswegs feindlich<br />
gegenüber und lade öfters Passanten zur Weiterfahrt<br />
ein. Es handelt sich dabei darum, von Fall<br />
zu Fall einen Entscheid zu treffen, seine Menschenkenntnisse<br />
spielen zu lassen und auch Glück zu haben.<br />
Da aber dieses Thema zur Diskussion ausgeschrieben<br />
wurde, ist es doch am Platze, darauf hinzuweisen,<br />
dass der Automobilist nicht ohne weiteres<br />
jeden beliebigen Fussgänger in seinen Wagen aufzunehmen<br />
hat, ohne dabei einen Verstoss gegen die<br />
Höflichkeit auf der Landstrasse zu begehen. Es<br />
gibt Fälle, bei denen dem Fussgänger ein grosser<br />
Dienst erwiesen wird, aber meistens handelt es sich<br />
bloss um eine Bequemlichkeit oder sogar ein Profitieren;<br />
das Risiko, welches der Automobilist läuft,<br />
wird dann leicht zu gross. Die aufrichtigen und<br />
ehrlichen Fussgänger leiden eben auch unter<br />
schlechter Aufführung Törichter, gerade wie der anständige<br />
Automobilist Vorteile einbüsst wegen seinen<br />
unsauberen Fahrbrüdern. Seien wir also keine<br />
Egoisten, nehmen wir Passanten auf, aber mit einer<br />
gewissen kritischen Vorsicht und ohne zu vergessen,<br />
dass mit dieser Höflichkeit gewisse Gefahren verbunden<br />
sind.<br />
Dr. v. W., Pully-Port (Waadt).<br />
Darf eine Frau die Höflichkeit<br />
eines Automobilisten auf der<br />
Landstrasse in Anspruch<br />
nehmen?<br />
Ja, was verstehen wir denn unter Frau? Es<br />
ist auf alle Fälle kein Fräulein, und die Frauen<br />
unterscheiden sich von den Fräuleins dadurch, dass<br />
die ersteren verheiratet sind, nicht wahr? Aber<br />
wie kann der Autofahrer das einer weiblichen Person<br />
ansehen, ob sie nun verheiratet ist oder nicht?<br />
Ich meine vielleicht gerade deshalb, dass sie imstande<br />
ist, um diese Höflichkeit zu bitten. Wir<br />
Frauen im Zeitalter der idealen Bewegungsmöglichkeit<br />
sind doch nicht gar so misstrauisch wie<br />
eine alte Frau, uns ist es lieber, wenn wir rasch<br />
und bequem ein Stück vorwärts kommen. Schliesslich<br />
braucht man ja nicht von Anfang an zu vertrauen,<br />
das verlangt gewiss niemand, man muss<br />
sich erst ein wenig kennen lernen und kann dann<br />
immer auch wieder um einen Halt bitten, damit man<br />
aussteigen kann. Oder aber, wenn's doch wäre, dass<br />
dann die Bitte versagen sollte, nun da machen wir's<br />
halt ganz gleich wie unser Automobilist, wir denken<br />
nur noch an uns selbst und unsere Rettung, und<br />
können schliesslich auch bestimmt und energisch<br />
werden, um ja nicht willenlos zu sein. — Schliesslich,<br />
wenn es schief herauskommen sollte, dann<br />
haben wir ja die Schuld, weil wir um Mitfahrt gebeten<br />
haben. Also wagen wir es auch, wir Frauen,<br />
vertrauen wir dem Automobilisten, und wehe ihm,<br />
wenn er dieses Vertrauen missbraucht! Er wird es<br />
so bald nicht wieder gewinnen. Aber seien wir<br />
vorsichtig, bevor wir einsteigen, nachher ist es zu<br />
spät. Oder was meinen unsere Herren, sollen wir<br />
die Hand nicht aufstrecken?<br />
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