E_1931_Zeitung_Nr.046
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46 - <strong>1931</strong> AUTOMOBIL-REVUE 19:<br />
EDCEI HDaQE<br />
Es gab immer Zeiten, in denen sich die<br />
Frauen dem Mann anzunähern mühten, sowohl<br />
auf der modischen wie auf der geistigen<br />
Ebene. Erinnern wir hier zum Beispiel<br />
an die Virargo, die vermännlichte Jungfrau<br />
der Renaissance, an die kriegerischen Jungfrauen,<br />
die sich in der Literatur und im<br />
Leben in Rüstungen steckten, um =o in<br />
Kampf und Abenteuer zu ziehen. Auch im<br />
romantischen Zeitalter gefielen sich die<br />
Frauen in Hosenrollen. In Eichendorffs<br />
«Ahnung und Gegenwart» wird das Tragen<br />
von Männerkleidern zu einer Art Sport.<br />
Die romantischen Romane wimmeln von<br />
Frauen in Männerkleidern.<br />
Der unabänderliche Zug des Menschen<br />
zur Illusion, zur Täuschung anderer und<br />
zur Selbsttäuschung ist besonders dem<br />
weiblichen Geschlecht eigen. Das Problem<br />
der Geschlechtsverwandlung hat nicht nur<br />
auf der Bühne, sondern auch im Leben und<br />
innerhalb des gesellschaftlichen Daseins<br />
seine Geschichte. Die Geschichte der Hosenrolle<br />
ist einmal die Geschichte der Emanzipation<br />
von der weiblichen Kleidung, dann<br />
wieder die Geschichte der Verneinung alles<br />
Weiblichen und die Betonung alles dessen,<br />
was männlich ausdruckshaft ist. In diesem<br />
Sinn lief die Suffragette durchs Dasein,<br />
durchaus männlich orientiert in Geist und<br />
Mode, womit sie die verschärfte Unabhängigkeit<br />
vom Mann beanspruchte und damit<br />
prompt in eine Sackgasse lief, wo sie sich<br />
in unfreiwilliger Komik wie ein Gewitter<br />
drehte, das keinen Abzug findet.<br />
Dazumal, zu Beginn der Frauenbewegung,<br />
geriet man auch auf die naive Idee,<br />
dass allein Mode und Erziehung daran<br />
schuld seien, dass im Lauf der Zeit weibliche<br />
Wesen geboren wurden. Man war<br />
unbeirrbar überzeugt, dass man im Lauf<br />
von einigen Generationen unbedingt wieder<br />
alles männliche Wesen erhalten würde,<br />
wenn man den Mädchen eine durchaus<br />
harte Erziehung angedeihen liesse und sie<br />
knabenhaft kleiden würde. Damit fand<br />
man den Anschluss an den bereits verklungenen<br />
Mythos, demzufolge man ehemals<br />
glaubte, dass man im Fell eines Tieres<br />
selbst Tier sein würde. Man reihte ursprünglich<br />
Zähne und Klauen starker Tiere<br />
um den Leib, weniger um geschmückt zu<br />
sein, als um stark zu werden wie das Tier.<br />
Im Fell eines Panthers wird man selbst<br />
zum Panther Die Bemalung und Tätowierung<br />
macht den Menschen dem Tier gleich,<br />
und in schmerzhafter Prozedur wurde dem<br />
Jüngling das Bild des Totemtiers in die<br />
der Schneiderkönig Paul Poiret, der die<br />
Dame in eine Odaliske zu verwandeln<br />
suchte. Was man aber befürchtete, trat ein.<br />
Das weibliche Geschlecht vor dem Krieg<br />
war keineswegs geneigt, dieser modischen<br />
Diktatur zur Beute zu fallen. Inzwischen<br />
ist nun wohl die Frauenbewegung mit ihren<br />
emanzipierten Auswüchsen durchaus männlicher<br />
Orientierung hereingebrochen. Doch<br />
die heutige Dame, die in Hosen herumläuft,<br />
ist keineswegs ein Produkt dieser<br />
Emanzipationswelle; sie strebt damit nicht<br />
Gleichberechtigung im ehelichen Binnendasein<br />
oder in der wirtschaftlichen Weltgeschichte<br />
an. Vielmehr will sie gerade<br />
durch die Hosenrolle ihren bizarren weiblichen<br />
Charme erhöhen und steigern.<br />
Auch der Sport hat natürlich in der modischen<br />
Entwicklung eine Zäsur gemacht.<br />
Im Schnee, am Strand, auf dem Tennisplatz,<br />
überall läuft die Dame in Hosen<br />
herum. Es hat lange genug gebraucht, bis<br />
das Pyjama einen makellosen Ruf errang.<br />
Aus dem Persischen übernommen, hatte es<br />
zu Beginn Anklang an das persische Beinkleid.<br />
Die Hosentracht fand bei den Frauen<br />
sofort eine Menge Lieblinge: Cowboys- und<br />
Zimmermannshosen wurden nachgebildet.<br />
Dle Zufahrtsstrassen aus der ganzen Schweiz sind ersichtlich In O. R. Wagner«<br />
CH Touring, Führer für Automobilfahrer, offizielle Ausgabe des T. C. 8.<br />
Die weisse Farbe ist unabhängig von der<br />
Mode. Auch jetzt sieht man neben den ausgesprochenen<br />
Modefarben wieder entzükkende<br />
Modelle in Weiss. Besonders abends<br />
bei hellem Licht wirken diese blütenweissen<br />
Toiletten fabelhaft. Crepe Satin, weichfallend,<br />
sieht herrlich aus; gleichfalls sehr<br />
duftig und zart sind Chiffonkleider mit dem<br />
passenden Unterkleid. Bei hellem Licht, im<br />
Tanzsaal, macht so ein duftiges Gebilde von<br />
weisser Seide einen eleganten Eindruck.<br />
Sehr jugendlich und dabei vornehm wirkt<br />
nach wie vor der weisse Schal aus Crepe de<br />
Chine mit handgeknüpften, langen Seidenfransen.<br />
Natürlich müssen Schuhe und<br />
Strümpfe mit der weissen Toilette harmonieren.<br />
Dunkles Schuhwerk ist unmöglich.<br />
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Und einige Damen fanden das Pyjama so<br />
eigenherrlich und entzückend, dass sie<br />
traumhaft und nachtwandlerisch gleichsam<br />
ihr Boudoir verliessen, um dann am Strand<br />
und auf der Promenade zu lustwandeln.<br />
Allerdings ist einstweilen eine solche modische<br />
Extremität nur in Juan-Les Pins in<br />
Palm Beach gestattet.<br />
In diesen Hosen sieht die Dame keineswegs<br />
männlich aus. Stärker denn je kommen<br />
die Reize zum Ausdruck. Erstens ist<br />
ja die Taille immer betont durch einen<br />
Gürtel, und dieses Detail gibt der Silhouette<br />
eine entzückende Anmut. Die Hosen<br />
schmiegen sich plastisch an die Hüften, erweitern<br />
sich unten zu in Godcts und Falten.<br />
Haut tätowiert, damit er etwas von der Nun lancieren die grossen Pariser Modehäuser<br />
eine modische Sensation: Pyjama<br />
Tierkraft gewänne.<br />
Im gesellschaftlichen Leben hat die Verkleidung<br />
nicht immer den tiefen Sinn, sich Saison, und nun soll auch das Pyjama als<br />
als Strassenkleider sahen wir bereits letzte<br />
im Wesen zu verwandeln. Man will mir Abendkleid sich im modischen Bezirk ansiedeln.<br />
Wir haben ein «verschämtes» Py-<br />
an der Oberfläche ein anderer Mensch sein<br />
und in diesem Sinn haben zum Beispiel jama, das beinah an ein gewöhnliches<br />
auch die Braut© und jungen Frauen in früheren<br />
Zeiten beim Empfang der Liebhaber haben das «offen-zynische» Pyjama, das die<br />
weibliches Abendkleid erinnert, und wir<br />
und Eheherren einen Bart umgelegt. Die Hosen form betont.<br />
tollsten Wagnisse erlaubten sich die römischen<br />
Frauen hinsichtlich der Verkehrung nem Wesen alles, was irgendwie den mora-<br />
Das verschämte Pyjama verdeckt von sei-<br />
der Geschlechter<br />
lischen Kredit der Dame gefährden könnte.<br />
In unserer Gegenwart war es zunächst Die Dame stolziert mit breiten Ho:sen einher,<br />
und jede einzelne Röhre ist so weit<br />
wie ein gewöhnlicher Rock. Als Material<br />
verwendet man Mousseline oder Stein. Der<br />
Oberkörper ist so straff wie möglich mit<br />
Lame oder Crepe Georgette umspannt; der<br />
Stoff reicht bis unter die Achseln, so dass<br />
er durch Spangen aus Strass über die<br />
Schulter befestigt werden muss. Dieses<br />
«verschämte Pyjama» hat wahrscheinlich<br />
mehr Durchschlagskraft' als das «offenzynische».<br />
Es ist den Pariser Modeschöpfern gelungen,<br />
Männerkleidung in verführerische, kokette<br />
Frauengewandung zu wandeln. Im<br />
Zeitalter der Verkehrsextase, der Weekend-<br />
Vergnügen, der Sportfreuden ist dieses neue<br />
modische Modell das denkbar Praktischste,<br />
das neben der Zweckmässigkeit noch bizarr<br />
und originell wirkt. Im Pyjama ist die Frau<br />
zeitgemass gekleidet. Darüber hinaus belässt<br />
dieses Modell der Frau ein Höchstmass<br />
an Beweglichkeit und Behaglichkeit<br />
und sichert alle hygienischen Valeurs. In<br />
diesem Sinn ist die Psychologie der heutigen<br />
Mode jener von früheren Zeiten entgegengesetzt.<br />
Ehemals war das Kleid allein<br />
herrschsüchtig und der Körper hatte sich<br />
dem Kleid unterzuordnen. Im Mittelalter<br />
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empfand man ja auch den Körper sündhaft<br />
und als Madensack, und man hüllte ihn in<br />
bauschige und faltige Gewänder Heute gewinnt<br />
das Linien- und Formenspiel menschlicher<br />
resp. weiblicher Körper wieder an<br />
Bedeutung, aus dem einfachen Grund, weil<br />
der Körper seelische oder geistige Valeurs<br />
ausdrücken muss.<br />
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