E_1931_Zeitung_Nr.064
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18 AUTOMÖBIL-REVUE <strong>1931</strong> — 64<br />
Morgen. Die Erde erzittert. Der Kopf brummt<br />
einem von dem fast pausenlosen Dröhnen.<br />
Am Spätnachmitag war ein Aeroplan über<br />
der Stadt. Ich habe nur die kleinen, rosigen<br />
Schrapnellwölkchen gesehen — von lichtgrün<br />
bis violett war der wunderschöne<br />
Abendhimmel abschattiert, und er gab doch<br />
nur die Kulisse ab für ein blutdürstiges<br />
Schauspiel.<br />
Ich gehe nicht mehr gern und nicht mehr<br />
oft in die Stadt. Wie hat sich in den drei<br />
Monaten alles geändert. Die wenigen Schülermützen,<br />
die man in der Römerstrasse<br />
sieht, gehören den unteren Klassen an. Ich<br />
werde wohl genau so oft gegrüsst wie früher<br />
oder noch mehr; aber es sind unsere Aerzte<br />
oder unsere Ordonnanzen, die Offiziere der<br />
Bahnhofwache oder die der Kriegsschule.<br />
/. November 1914. Der Höllenlärm, den<br />
wir auch heute noch ununterbrochen hören,<br />
soll von Motorbatterien herrühren. Wir erfuhren<br />
es auf der Bahn von den Verwundeten.<br />
Sie kamen von Thiaucourt. Die Leute sind<br />
unendlich erschöpft und dankbar für alles.<br />
Heut ist Allerheiligen. Man merkt kaum etwas<br />
von diesem hohen Feiertag in unserem<br />
Land. Nur die Glocken läuten alle.<br />
7. Dezember 1914. Mein Lucien schreibt:<br />
tuftkurort Sahara.<br />
Die französische Behörden können feststellen,<br />
dass die Zahl vermögender weisser<br />
Frauen, die unter den Palmen der Oasen ein<br />
Leben in der einfachen Art der Eingeborenen'<br />
führen, immer grösser wird. Als sie<br />
nach den Ursachen dieses eigenartigen<br />
Fremdenzuflusses forschten, stellte sich hertous,<br />
dass es nicht die Fata Morgana ist, der<br />
Vielgerühmte Zauber der Wüste, der.diese<br />
Verwöhnten Damen aus einem Leben des<br />
Reichtums und Luxus in das primitive Dasein<br />
der Natur gelockt hat, sondern die über<br />
dem heissen Sand der Sahara lagernde trokkene<br />
Luft, von der sie sich Heilkraft für<br />
Teint und Nerven, mit einem Wort Verjüng<br />
gung versprechen.<br />
Französische Aerzte haben solche Eigenschaften<br />
der Saharaluft schon längst vermutet<br />
und schicken schon seit Jahren ihre<br />
vorehmen Patientinnen an den Rand der<br />
Wüste nach Biskra, Bu Saada, Tuggurt und<br />
andere von der Welt ziemlich abgeschiedene<br />
Wüstenplätze, damit sie sich dort von den<br />
Mühen und Aufregungen des Gesellschaftslebens<br />
erholen. Mitten unter den kreideweissen<br />
Lehmhäusern, umgeben von der<br />
»Wir sind nach harten Kämpfen vier Tage<br />
in Ruhe gekommen. Alles um mich herum<br />
summt Weihnachslieder. Ich weiss nicht, ob<br />
die Feststimmung mir die Menschen erträglicher<br />
macht oder ob ich mich ihnen anpasse;<br />
aber ich finde sie erträglicher, sage<br />
nicht nur «Kamerad», sondern denke es<br />
manchmal auch. Müssen wir es nicht denken?<br />
Sind wir nicht alle die gleiche Verwesungsmasse?<br />
Alle singen. Ich nicht. Mein Weihnachtsled<br />
bist Du. Wenn ich an Dein Lachen denke,<br />
möchte ich zurückkommen. Aus dieser<br />
Hölle gibt es kein Entrinnen. Wir wissen es.<br />
Wenn Deine Nachrichten beinah täglich kommen,<br />
habe ich wenigstens die eine Gewissheit:<br />
solange ich noch bin, habe ich Dich, das<br />
liebste, klügste, verständnisvollste Wesen,<br />
das es gibt. Lass Dich küssen — meine —<br />
meine — noch meine Catherine! Lucien.»<br />
Es müsste eine Gnade sein, eines Morgens<br />
aufzuwachen und sich einzubilden, man<br />
sei der Kaiser von China. Zu seiner Mutter<br />
kann ich jetzt nicht gehen. Ich weiss, dass<br />
ich zu weinen anfangen würde.<br />
10. Dezember 1914. «Ratet, was ich euch<br />
mitgebracht habe?» fragt Mama und kommt,<br />
noch in Hut und Mantel, ins Zimmer. «Marzipan?»<br />
frage ich, von meinem Strumpf aufsehend.<br />
«Du bist noch genau so gefrässig,<br />
wie du warst!» Sepp Faber sagt es, denn er<br />
ist das Mitgebringsel. Vor Freude springe<br />
ich gleich auf und schüttle ihm beide Hände.<br />
«Gott sei Dank! Von dir kamen doch ewig<br />
keine Nachrichten!» Da schau ich ihn näher<br />
an — in dem hübschen Gesicht des jungen<br />
Pionierleutnants zuckt es, seine Hände zittern.<br />
«Sepp, was hast du?» — Sei beruhigt —<br />
gestottert hab ich auch noch. Ich lag mit<br />
Nervenschock in Brüssel. Aber Kinder, nicht<br />
von Krieg reden — bitte —! Ich bin ja so<br />
froh, dass ich noch einmal in Metz bin bei<br />
den Eltern, und selbst deine kleine, freche<br />
Nase wiederzusehen, ist direkt ein Hochgenuss,<br />
Katrin !>. Wir sprechen dann auch<br />
nicht von Krieg. Obwohl es schwer fällt.<br />
Wovon soll man jetzt reden?<br />
Der Sepp wird morgen zwanzig Jahre und<br />
hat schon viele graue Haare zwischen seinen<br />
braunen. Als er beim Nachtessen mit<br />
dem Besteck hantiert, zittert er, manchmal<br />
stottert er und wird darüber rot.<br />
Bunte Chronik aus aller Welt<br />
farbigen Fülle des Eingebornenlebens können<br />
sie die Sorgen der Heimat vergessen<br />
und zu neuer Kraft, neuem Lebensmut, neuer<br />
Lebensfreude erwachen. Die Sahara und<br />
die Saharak'ur für die von den Pariser Genüssen<br />
erschöpften Mondänen scheint keine<br />
vorübergehende Mode. Der Tourist, der im<br />
Autobus die Wüste durchquert, begegnet<br />
ganzen Kolonien von Europäerinnen, die sich<br />
ganz dem Leben der Eingeborenen anpassen,<br />
in ihrem Aeusseren wenigstens, ihre Kleider<br />
tragen und sich in ihrer neuen Umgebung<br />
offenbar mindestens ebensogut, wenn nicht<br />
beser fühlen, als in der zivilisierten Grossstadfc.<br />
In den Oasendörfern treten diese weissen<br />
Gäste, meistens Engländerinnen und Amerikanerinnen,<br />
recht auffällig hervor, da die<br />
Araberinnen-; dem strengen Gesetz ihrer Sitte<br />
unterworfen, nur äusserst selten vor Einbruch<br />
der Nacht auf der Strasse erscheinen.<br />
Umgeben von eingeborner Dienerschaft, in<br />
ihren weissgetünchten Häusern von den erlesensten<br />
Erzeugnissen der Kunst und des<br />
Handwerkes der Eingebornen umgeben,<br />
gleich den Beduinenfrauen in Hosen, doch<br />
nicht wie sie mit dem wehenden weissen<br />
Schleier um den Kopf, suchen dies© seltsamen<br />
Kolonistinnen der Sahara den Trubel ihres<br />
alten Milieus zu vergessen und mit der wunderbar<br />
beruhigenden, kräftigenden, verjüngenden<br />
Wüste, die sich in unendlicher Weite<br />
vor ihrem Blick ausbreitet, eins zu<br />
werden.<br />
800 Jahre Spielkarten.<br />
Dieser Tage feiern die Spielkarten ihr<br />
800-jähriges Jubiläum in Europa. Als die<br />
eigentlichen Erfinder kann man mit Sicherheit<br />
die Chinesen bezeichnen. Jedoch wurden<br />
sie den Europäern zuerst im Orient bekannt.<br />
Wie die Chronik berichtet, brachten<br />
heimkehrende Kreuzfahrer im Jahre<br />
1231 Glücksspiel-Täfelchen mit nach Hause,<br />
die sich im Laufe der Jahre zu den noch<br />
heute in derselben Form üblichen Spielkarten<br />
entwickelten. In kurzer Zeit verbreitete<br />
sich das Kartenspiel unaufhaltsam über den<br />
ganzen Okzident.<br />
Venus mit Hindernissen.<br />
Weil der Beruf eines Filmschauspielers<br />
oft mit den entsetzlichsten Gefahren verbunden<br />
ist, bedienen sich die Stars meistens<br />
eines «Double». Was passieren kann, wenn<br />
man sich in gefahrvoller Situation nicht<br />
eines Double bedient, lehrt folgender betrüblicher<br />
und allen Filmstars zur Warnung<br />
dienender Vorfall:<br />
Die Filmkünstlerin Emmy von Nagy war<br />
nach Paris zur Darstellung der Venus in irgendeinem<br />
Film engagiert worden. Um der<br />
Formenschönheit der Schaumgeborenen<br />
bestens zu entsprechen, unterwarf sie sich<br />
zunächst einer Verschönerungs- und Entfettungskur.<br />
Doch leider nicht mit der nötigen<br />
intensiven Gründlichkeit: eines Tages Hess<br />
sie sich — schon allzu lange der guten Dinge<br />
des Lebens entwöhnt — verleiten; an einem<br />
Bankett teilzunehmen und hatte einen für<br />
seine leidenschaftliche Mimik bekannten<br />
Schauspieler als Tischherrn.<br />
Man simpelte Fach, und die Rede kam<br />
auf den Film, in dem beide mitwirkten. Der<br />
Tischherr zögerte nicht, die Auffassung seiner<br />
Rolle mit ekstatischen Gebärden und<br />
wilder Pantomime darzulegen. Er ballte die<br />
Faust, erhob den Arm, er rollte die Augen.<br />
Im nächsten Augenblick war es passiert:<br />
Fräulein von Nagy sass schreckensbleich<br />
unter Schreckensbleichen, aus einer garstigen<br />
Schnittwunde ihres Arms tropfte Blut<br />
auf das schneeige Tafeltuch.<br />
Was war geschehen? Der Tischpartner<br />
hatte, von der Dynamik seiner Rolle fortgerissen,<br />
ein Bratenmasser ergriffen und, damit<br />
in der Luft herumfuchtelnd, den Arm<br />
der zukünftigen Venus getroffen. Es war<br />
keine schwere Verletzung, sie wurde im<br />
nächsten Hospital genäht und verbunden —<br />
jedoch es blieben Narben zurück, die nicht<br />
der klassischen Vorstellung der Venus Kallipygos<br />
entsprechen.<br />
Und darum fanden sich Fräulein von Nagy,<br />
der unglückselige Messerstecher und —<br />
als Zeugen die Mitglieder der Tafelrunde<br />
vor Gericht wieder zusammen, weil die verhinderte<br />
Venus iOOOOO Francs Entschädi-i<br />
gung verlangte.<br />
Der Prozess ist noch nicht entschieden;<br />
und man weiss noch nicht, ob Fräulein von<br />
Nagy solange umsonst gehungert hat.<br />
Wie kommt man zu Geld und Gut?<br />
Das sagt eine alte Regel, die schon im<br />
Jahre 1630 in « Teutschen Kalendern zu des<br />
Lesers Nutz und Frommen » stand und die<br />
(etwas modernisiert) so lautet :<br />
«Durch Arbeit, Müh und Schwitzen,<br />
Nicht müssig faules Sitzen;<br />
Durch Sparen und recht Hausen,<br />
Nicht essen, trinken, schmausen;<br />
Durch mühsam Strapazieren,<br />
Nicht hin und her spazieren;<br />
Durch Fasten, Beten, Wachen,<br />
Nicht Würfelspiel und Karten;<br />
Durch Hoffen, Dulden, Warten,<br />
Nicht Schlafen, Fluchen, Lachen;<br />
Durch Hobel, Axt und Hammer,<br />
Nicht Seufzen, Klagen, Jammer;<br />
Durch Hacke, Sens und Pflug,<br />
Nicht aber Schnaps im Krug;<br />
Durch Pflügen, Graben, Pflanzen,<br />
Nicht Jagen, Jubeln, Tanzen;<br />
Durch einfach stilles Wesen,<br />
Und nicht durch Schwartenlesert;<br />
Durch Frommsein, Fleiss und Mut »•<br />
Kommt man zu Geld und Gut!»<br />
Balthasar.<br />
Die S. B. B. macht Reklame!<br />
Auf der Station Wauwil (Linie Olten-Lnzern)<br />
war vor dem Luzerner Seenachtfest<br />
ein Anschlag zu lesen, der folgendennassen;<br />
lautete :<br />
nicht 4 Franken<br />
auch nicht 3 Fr. 50<br />
nicht einmal 3 Franken<br />
nur 2 Fr. 60<br />
kostet die Fahrt zum Besuche des Seenachtfestes<br />
bei Teilnahme an der Gesellschaft^<br />
fahrt Wauwil ab 17.30.<br />
Dass die Bundesbahnen nicht kommerziell<br />
eingestellt seien, wird man allerdings hier<br />
nicht behaupten dürfen!<br />
Bergrennen und Poesie. Selbst ein Bergrennen<br />
kann Veranlassung zu poetischen Ergüssen<br />
geben. Dies konnten die beim Bergrennen<br />
auf dem Schauinsland bei Freiburg<br />
i. Br. anwesenden Journalisten konstatieren,<br />
indem ihnen als Kostprobe ein Fläschchen delikaten<br />
Himbeerschnapses mit folgendem<br />
Rezept dediziert wurde:<br />
Der Geist, der hier hineingebannt,<br />
Der spukt sonst auf dem Schauinsland.<br />
Erbarm' Dich sein'; lag' ihn nicht fort,<br />
Entkorke ihn beim Bergrekord.<br />
Tu ihn Dir einverleiben,<br />
Er hilft Dir dann beim Schreiben!<br />
3 X täglich 1 Esslöffel. D'r Stifter.<br />
Es konnte nicht fehlen, dass der auf so angenehme<br />
Weise gebannte Schauinsland-Geist<br />
sich in einer ebenso angenehmen Schauinsland-Begeisterung<br />
auswirken musste, womit<br />
auch schon ein Hauptzweck des liebenswürdigen<br />
Geschenkes erfüllt war ... x.<br />
LEID und UNGLÜCK<br />
ast schon über manchen Automobilisten<br />
und seine Familie gekommen, weil die<br />
Nerven für einen Augenblick versagten.<br />
Wenn Sie durch eine schlaflose Nacht<br />
od. langes Fahren übermüdet sind, einer<br />
bewegten Konferenz beiwohnten, Kopfweh<br />
oder sonst Ihren schlechten Tag<br />
haben, dann nehmen Sie eine halbe oder<br />
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