E_1931_Zeitung_Nr.064
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N° 64 - <strong>1931</strong> AUTOMOBIL-REVim 19<br />
DDtEIDP EFERX^ILJ<br />
Die Sachlichkeit der<br />
heutigen jungen Frauen<br />
Noch 1 zu allen Zeiten: war es der Mann,<br />
der sich ein Idealbild der Frau schuf, Ideale<br />
wie sie die Erde nie trägt. Was Wunder,<br />
wenn er bitter vergrämt wird, wenn er die<br />
Frauen, die sein Wunschbild sich erträumt<br />
hat, nicht in Wirklichkeit findet. Aber die<br />
Haltlosigkeit einer Sehnsucht zu empfinden,<br />
ist nicht so bitter, wie die Unzulänglichkeiten<br />
ertragen, welche die Frauen mitunter<br />
offenbaren.<br />
Nie wurden die Mädchen um ihrer selbst<br />
willen erzogen, sondern immer in Hinsicht<br />
und im Interesse der Männer. Im Mittelalter<br />
hat das junge Mädchen in der Oeffentlichkeit<br />
keine Rolle gespielt. Es wurde bis<br />
zur Heirat im Kloster aufbewahrt. Der<br />
Minnedienst hat sich immer nur um verheiratete<br />
Frauen abgespielt. Im 19. Jahrhundert<br />
ging das Mädchen ganz in der Familie<br />
auf. Wohlbehütet und mit einer<br />
Lammsgeduld hat es hier auf irgend einen<br />
Mann gewartet, und zuweilen geschah es,<br />
dass Zufall und Liebe sich deckten. Das<br />
Mädchen hatte vor allem die Pflicht, sich<br />
auf die Ehe vorzubereiten, und die lange<br />
Zeit zu Hause war dazu erforderlich, um<br />
ein unverrückbares<br />
Häuslichkeit und Hausfrauentugend zu errichten.<br />
Das Los der Ehefrau war Kochen,<br />
Schneidern und Handarbeiten zu machen.<br />
Sie blieb unberührt von den grossen Geschehnissen<br />
in der Welt. Wenn sie von romantischen<br />
Helden und von freier Liebe<br />
hörte, so hielt sie solche Dinge schlechthin<br />
für lackierte Phantasie. In ihrem Ehestand<br />
erfüllte die Frau dann sorgsam und gewissenhaft<br />
ihre Pflicht: sie hielt ihrem Mann<br />
die Hauspantoffeln und den Schlafrock bereit,<br />
stopfte ihm die Pfeife und kochte ihm<br />
ein kräftiges Essen, weil die Liebe durch<br />
den Magen ging.<br />
In' unserem Jahrhundert haben sich die<br />
Frauen geändert. Die Mädchen wurden in<br />
jeder Familie Wesen, mit denen man zu<br />
rechnen hatte, die nicht mehr schweigsam<br />
und duldsam beim Tisch sassen und andächtig<br />
auf die Worte von Vater und Mutter<br />
lauschten, sondern sich in alle Gespräche<br />
hineinmischten; sie verrieten einen<br />
eigenen Willen, und nicht selten gab es<br />
kräftige Auseinandersetzungen zwischen der<br />
älteren und der jüngeren Generation. Anstatt<br />
dass das junge Mädchen bei irgend<br />
einem unversöhnlichen Gespräch aus der<br />
Haut fährt, geht es in die Fremde.<br />
Durch originelle und gewählte Kleidung<br />
und eine entsprechende äussere Ornamentierung<br />
betont die junge Frau ihr Sein Fundament in der<br />
und<br />
hat sich obendrein durch die überaus dehnbare<br />
Auslegung des Begriffs «liberty» daran<br />
gewöhnt, im Mann nicht mehr zu erblicken<br />
als den Rivalen im Lebenskampf. Sie gehört<br />
zu jenem Frauentyp, der nicht mehr<br />
an eine bestimmte Gesellschaft gebunden<br />
ist, sondern den wir sowohl in akademischen<br />
Kreisen wie unter Berufsfrauen finden.<br />
Massgebend ist bei ihrer Ehe das Verlangen<br />
nach Prosperity. Oft bleibt sie ja<br />
ziemlich unabhängig von ihrem Mann, aus<br />
dem einfachen Grund, weil sie selbst ihren"<br />
Unterhalt durch irgend einen eintragsamen<br />
Beruf verdient. Es ist keine Unzulänglichkeit<br />
im Kochen, wenn sie nie zu Hause, sondern<br />
immer mit ihrem Mann oder allein<br />
in Restaurants isst. Sie serviert die Platten<br />
sonst ebenso gut wie die Tennisbälle, sie<br />
kennt das Kochbuch so gut wie die Klassiker<br />
und die zeitgemässe Literatur. Sie<br />
ist somit in der geistigen Markthalle nicht<br />
minder bekannt als in der Fleischmarkthalle.<br />
Nach Mitternacht schüttelt sie vielleicht<br />
mitunter selbst den «shaker» in der<br />
Hausbar. Damit die Restaurants nie langweilig<br />
werden, wechselt man die Lokale, so<br />
wie ein steckbrieflich Verfolgter sein Domizil.<br />
Die Speisen sind immer duftig, knusperig,<br />
die Getränke perlend und kühl, und<br />
da ist immer das Tischleindeckdich. Man<br />
hört die Nebengeräusche von Nachbartischen<br />
und die tödliche Langeweile, die<br />
man im trauten Heim zuweilen empfindet,<br />
wenn die Westminsteruhren lauter schlagen<br />
als die Menschen reden, ist somit umgangen.<br />
Die Männer haben ohnehin immer<br />
eine Geringschätzung für die Kochkunst der<br />
Frauen gehabt, zumindest haben sie immer<br />
irgendwie das Essen benörgelt. Im Restaurant<br />
kommen und gehen die Gäste, und besonders<br />
gern sitzt die heutige Dame im<br />
grossen, eleganten Restaurant, weil hier die<br />
Menschen ein Aromai, eine Essenz von fernen<br />
Städten und Ländern mit hereinbringen,<br />
wie heimkehrende Bauern den Duft<br />
der Scholle mit ins Dorf schleppen. Dann<br />
brütet man gelassen über der Speisekarte,<br />
dieser Partitur der Genüsse, ist wählerisch<br />
in der Auswahl, refüsiert den trockenen<br />
Braten, wenn er zu wenig gespickt ist. Der<br />
Kellner beugt sich immer herab; der Ausdruck<br />
des gekrümmten Rückens bedeutet<br />
Servilität, und man erlebt nicht die Arroganz<br />
der Dienstmädchen, bei denen man es<br />
oft als eine Gnade erachten muss, wenn sie<br />
überhaupt anständig und essbar zu kochen<br />
sich mühen.<br />
Das öffentliche Leben haU einen eminent<br />
prickelnden Reiz in dem Sinn, als man das<br />
Spiel der Gegensätze von Heim und Oeffent^<br />
lichkeit .stärker empfindet. Jeder Zoll isil<br />
bei der heutigen Frau, die im Leben steht,<br />
modern: wenn sie ins Restaurant eintrat<br />
und Platz nahm, öffnet sie ihr Handtäschchen,<br />
kontrolliert sich im Spiegel, verbessert'<br />
etwelche Mängel durch Puder und diskrete<br />
Bemalung, denn diese Kriegsbemalung 1 ist<br />
im heutigen Daseinskampf erforderlich. Sie<br />
ruht nicht eher, als bis sie mit Hilfe des<br />
Kohlenstiftes, des Lippenstiftes, der Puder--<br />
quaste ihrem Gesicht jenen Ausdruck des<br />
emaillierten und doch individuellen Ge^<br />
sichts gegeben hat, unbekümmert um di«<br />
verärgerten Bemerkungen von Tischnach-><br />
barn, die es als einen Skandal erachten*<br />
wenn die Dame den gesamten Toilettenaufw<br />
wand hier beginnt. cb.<br />
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