E_1931_Zeitung_Nr.094
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Bern, Dienstag, 17. Nov. <strong>1931</strong> III. Blatt der „Automobil-Revue" No. 94<br />
Abschied<br />
Von Jakob Hantiger.<br />
Noch blick ich Dein blaues Kleid, das kalt<br />
wie der Himmel. Man müsst Geduld haben<br />
wie meine alte Mutter mit ihrem Rosenstrauch.<br />
Wieder seufzt das Herz unter abendlichen<br />
Sternen. Noch wart ich auf einen kleinen,<br />
lieben, dummen Mädchenbrief von Dir.<br />
Er wird bestimmt nicht kommen. So müd und<br />
traurig bin ich wie der kleine Rummelplatz<br />
dieses Städtchens. Nur den schönsten Tango<br />
leiert ein einsames Karussel.<br />
Denkst Du noch an mich? Ich sitz noch<br />
in Deiner Bude. Morgens erst kamen wir<br />
nach Haus. Du kochtest noch Kaffee, hast<br />
meine Lieblingswurst gekauft und Camenbert.<br />
Der Himmel guckt zum Dach herein. Wir<br />
deklamierten gerad Eichendorff statt uns zu<br />
küssen und schwätzten von Chaplin, von<br />
Menschenleid, Träumen, Reisen und unsern<br />
unglücklichen Liebschaften.<br />
Bei Dir, süsser Lausbub, wusste ich erst,<br />
wie schön das Leben hätte sein können. Dem,<br />
den Du liebtest, bist Du ein Paradies! Ich<br />
wundre mich selbst, wie man ohne Dich leben<br />
kann... na ja, man muss es! Es schwand so<br />
manche Sonne hinter Wolken. Es gingen ja<br />
alle Nächte voll Sternen dahin. Verblüht und<br />
;welk und dorr ist die Welt und unser Leben.<br />
Anni... liebes, armes Mädchen _ mit den<br />
grossen Gesten einer Göttin — wirst wohl<br />
auch verirrn, wirst wohl auch nie heimfinden<br />
wie ich, wirst wohl auch immer draussen<br />
stehn bleiben vorm Juwelierladen des<br />
Schicksals, des Glücks in Sehnen und Weh.<br />
Wirst wohl auch keine Kapelle mehr finden,<br />
drin Du beten darfst. Allein bist Du in der<br />
Welt, ganz allein, und wenn Du mal nicht<br />
allein bist, nimmst Du Abschied.<br />
Wir standen vorm Kasperltheater, hockten<br />
fn Varietes, lauschten den Zigeunern. Oder<br />
kitschigen Liedern von Untreu und unglücklicher<br />
Liebe. Aber mit mir sahst Du doch<br />
zum erstenmal «Die Fledermaus». — Weisst<br />
Dn noch den komischen Buckligen mit dem<br />
Zylinder? «Alles verspottet mich, verhöhnt<br />
mich, lacht mich aus!> — sprach er zu der<br />
Kellnerin. Als ob's nicht allen so ging.<br />
Dann fuhren wir so nach Mitternacht auf<br />
'dem Fluss spazieren, und der Wind nahm<br />
Deinen Hut. Du sprichst leis von der boshaften<br />
Freundin, Deinen schlichten, gütigen<br />
Eltern. Und bist begeistert vom geliebten<br />
Brüderlein. Und wie alles Quatsch und alles<br />
egal. Und hast doch das Leben, von dem Du<br />
|a nichts weisst, so lieb, möchtest nach<br />
Afrika. Die schönsten Affenphotos hängen<br />
schon bei Dir.<br />
Wir waren boshaft, wie nur kleine Kinder<br />
sein können. Du hast mir's ja auch nicht<br />
leicht gemacht. Vergiss das nicht, Anni!<br />
Ich habe in Dir meine letzte Jugend, meinen<br />
letzten Sommer, meine letzte Sonne geliebt.<br />
1 Ich weiss, dass Du mein Glück warst. Aber<br />
Du liebst natürlich wieder einen andern. Und<br />
der Idiot... na, — — meine Veilchen und<br />
Vergissmeinnicht liegen längst im Kehrricht.<br />
Aber vielleicht hast Du doch eins in Deinen<br />
Rilke gelegt, den Du liebst. Mir hast Du nie<br />
ein gutes Wort geschenkt! 0, wie allein<br />
tl • JL<br />
Die vorletzte Liebe<br />
der schönen Frau Erzsebet.<br />
Roman von Oskar Sonnlechner.<br />
(Fortsetzung aus dein Hairotblatt.)<br />
Sich in mich einhängend, führte er mich<br />
in sein Heim, und ob ich wollte oder nicht,<br />
zuerst musste ich einen kleinen Imbiss nehmen,<br />
der an Reichhaltigkeit alle drei Hauptmahlzeiten<br />
eines Tages übertraf. Ob ich das<br />
Kastell sehen wolle? Viel sei freilich nicht<br />
daran, aber wenn man seinen lieben Nachbar<br />
als Gast bei sich sehe, dann müsse er doch<br />
wenigstens wissen, wo er sei. Er hatte recht.<br />
Viel zu sehen gab es nicht. Niedrige, finstere,<br />
unfreundliche Räume, freilich ich dürfe nicht<br />
vergessen: 1628 erbaut. Die Einrichtung zusammengewürfelt<br />
aus allen Zeitaltern.<br />
Plumpe, altungarische Bauernmöbel aus<br />
Olims Zeiten, gezierte Biedermeierkonsolen,<br />
daneben vornehme englische Klubfauteuils.<br />
Ziselierte osmanische Dolche und Raucherbässe,<br />
wahrscheinlich Beutestücke aus alter<br />
z-eit, prunkvolle Empireuhren, Qirandolen aus<br />
der Barockzeit neben modernen Nippes. Ein<br />
wirres Durcheinander aller Zeiten und jeden<br />
Geschmackes. Jedes stilgerechte Zusammenpassen<br />
fehlte.<br />
war ich mit Dir. Ganz allein war ich nicht<br />
so allein gewesen.<br />
Und doch hatt ich oft Herzklopfen, als war<br />
ich noch zwanzig Jahr. Warum müssen wir<br />
immer getrennt sein, um zu wissen, was wir<br />
aneinander haben! Freilich, manchmal nähern<br />
uns Abschiede. Vielleicht spielen sie Dir<br />
wieder mal in unserm Kaffee Verdi oder den<br />
alten Gassenhauer. Dann denk daran!<br />
Wie klug Du bist! Mit Dir möcht ich in<br />
den Himmel oder nach Südfrankreich auswandern.<br />
Vielleicht bin ich doch Dein anderes<br />
Herz, Du Oase meines Schicksals... ach<br />
ja, es gibt wohl noch andere Mädchen... ich<br />
werde wieder diesen schönsten Tango hören.<br />
Wer weiss, wo? Ich werde wieder in der<br />
grossen Stadt sein. Am Fluss hängen rote,<br />
grüne, blaue Lampions. Die Musik wird wieder<br />
Strauss spielen. Ich werde meine Heimat<br />
verlassen. Nichts ist bei mir. Vielleicht<br />
blick ich Dich in einem orangnen Auto, vielleicht<br />
am Tennisplatz, vielleicht hörst Du am<br />
Telephon das letzte Lebewohl eines Unbekannten,<br />
ich nehm nichts mit, ich hab keine<br />
Postkarte von Dir, kein drolliges Jahrmarktsphoto.<br />
Ich hab nur Deine Schwermut, Deine<br />
Trauer, meine Erinnerung an Dich — und<br />
es ist genug, dass ein Herz darüber zerbrechen<br />
könnt.<br />
Immer, ach, steh ich allein, draussen, immer<br />
blick ich nur hinein, immer nur ein<br />
Strahl, ein Schimmer. Nie eine Bleibe, eine<br />
Rast, ein heimatlicher Schlaf. Bald spielt mir<br />
die Musik den schönsten Tango. Er wird verklingen<br />
wie Deine Sehnsucht, Dein junges<br />
Leben, Dein müdes Mädchenlächeln — oder<br />
vielleicht grüsst er Dich, Du mein entschwundenes<br />
Glück.<br />
Vielleicht auch schiebst Du bald den Kinderwagen,<br />
und wenn Du Deinem Kindlein ein<br />
Märchen erzählst und ein Lied singst, dann<br />
'meinst Du mich. Freilich, Du hasst ja alles<br />
Bürgerliche. — In meiner kleinen Wohnung<br />
über den Bergen steht ein uralter, geschnitzter<br />
Engel. Er blickt genau so rührend lieb<br />
wie Du. Und wenn ich an Deine wunderdunklen<br />
Kinderaugen denk, dann möcht ich<br />
weinen, dass ich nicht der Dichter geworden<br />
bin, der ich hätte werden mögen. — Du bist<br />
die Nachtigall in Andersens Märchen, Du<br />
erstes und letztes Weihnachtsgeschenk meines<br />
bittren Schicksals! Nie wirst Du wissen,<br />
wie ich Dich gern hab, so wie ich es weiss,<br />
dass alles Unsinn, egal, vorbei, verweht wie<br />
dieser schöne Tango, den ich mir todtraurig<br />
pfeif. Und mir ist bang, weil ich der Tränen<br />
gedenke, die Du nie ausweinen darfst.<br />
Warum schreibst Du nicht: Komm zurück<br />
und beim Heimgehen erschüttert<br />
mich wieder aus einem alten Balkon voll<br />
Lampions: Glücklich ist, wer vergisst... ich<br />
zünde die Kerzen an, kein Brief von Dir ist<br />
da am Anzug noch ein Haar, ein letzter<br />
Duft von Dir... ich pfeif die schönsten<br />
traurigsten Klänge auf unsre entschwundene<br />
Liebe... leb wohl, Anni, adieu... Du mein<br />
verlornes Knabenland, Du Paradies eines<br />
ärmsten Heiligen, Du meine letzte ewige Station<br />
des Harrens, eh der Hafen des Alterns<br />
uns ganz absterben lässt — adieu, Anni, Du<br />
mein letztes Heimweh, Du mein letzter Abschied....<br />
«Nun aber wollen wir gemütlich plaudern.»<br />
In seinem Herrenzimmer drückte er mich<br />
vor einem mächtigen, geradelinigen, englischen<br />
Schreibtisch in einen altmodischen<br />
Lehnstuhl.<br />
«Kommen Sie, ich will Ihnen noch etwas<br />
zeigen, falls es Sie interessiert.» Er wies auf<br />
die Wände, die ringsum, von oben bis unten,<br />
Versuchungen am Steuer<br />
Es mag ja sein, dass es Fahrer gibt, an<br />
die sie noch nie herangetreten sind und die<br />
für immer jener sekundenschnellen Gewissenskämpfe<br />
enthoben bleiben. Allerdings hält<br />
es schwer, sich solche Leute anders vorzustellen,<br />
als mit einem Kilometerzähler an<br />
Stelle des Herzens und mit Hochsommeröl<br />
statt Blut in den Adern.<br />
Selbstredend ist es Temperamentssache, inwiefern<br />
und wie stark die Lockungen des<br />
grossen Versuchers an uns herantreten. Und<br />
je nach Veranlagung und Erfahrung wird sich<br />
ihrer der eine mit ruhiger Ueberlegenheit erwehren,<br />
während der andere unter Zuhilfenahme<br />
aller Reserven seiner Charakterkräfte<br />
ihnen dann und wann dennoch erliegt.<br />
Versuchungen am Steuer gibt es ohne Zahl<br />
— sie lauern uns überall und in verschiedenartigsten<br />
Varianten auf. Sie arbeiten mit den<br />
bezauberndsten Tricks und Kombinationen<br />
und sind den besonderen Schwächen jedes<br />
einzelnen geschickt angepasst. Nicht immer<br />
nur entspringen sie dem beliebten Flirt mit<br />
der Gefahr, sie wenden sich ebenso oft an<br />
das verspielte Kind in uns, an unsere Eitelkeit<br />
oder an das Bedürfnis, anderen imponieren<br />
zu müssen. Gefährlich sind diese<br />
Versuchungen am Steuer dennoch fast immer.<br />
Die Art und Weise aber, wie sie im besonderen<br />
den Neuling anspringen, ist nicht<br />
ganz fair. Kaum hat solch ein automobilistisches<br />
Kind den Fesseln der Fahrschule<br />
entronnen, wird es von ihnen in Legionen<br />
überfallen, und nicht genug damit, Haben sie<br />
für das arme Opfer meist Situationen im Gefolge,<br />
die voll abscheulichster Pein sind.<br />
Ich will das schnell zeigen.<br />
Da ist nun beispielsweise endlich jener<br />
langersehnte Augenblick gekommen, wo einer<br />
mit der noch feuchten Führerbewilligung in<br />
der Tasche am Steuer seines glitzerneuen<br />
Wagens sitzt. Selbstredend hat man sich<br />
zur ersten Ausfahrt die Prinzessin eingeladen<br />
und bei knallblauem Himmel und offenen<br />
Coupefenstern senkt sich die Kreppsohle tief<br />
und das 'Gaspedal. In diesem Falle nun arbeitet<br />
der Versucher mit einem blonden Profil.<br />
Ein Seitenblick auf die in erwartungsvollem<br />
Lächeln gekräuselten Lippen — und nun<br />
tnuss man ja schliesslich zeigen, was eigentlich<br />
los ist. Das erste Dutzend überholt man<br />
•auch wie geschmiert und beim Dreizehnten<br />
'beguckt man sich dann den zerknitterten<br />
•Kotflügel möglichst lange und so intensiv,<br />
dass die Ohren blaurot anlaufen. Denn man<br />
möchte um alles in der Welt die Blicke der<br />
Prinzessin meiden...<br />
Oder aber — irgend ein lieber Freund und<br />
missgünstiger Lump hat beim Kaffeejass vor<br />
der ganzen Runde mit impertinentem Lächeln<br />
erklärt, es sei wohl eine Kleinigkeit übertrieben,<br />
wenn man behaupte, dass der neue Wagen<br />
glatt mit 80 in die Kurven gehe. Bleibt somit<br />
selbstredend nichts anderes, als Rehabilitierung<br />
durch den Beweis. Man lädt sich<br />
also Zeugen auf und fährt dem schnöden<br />
Zweifler den Wagen vor. Hinein in die<br />
Kurve geht er ja dann auch ohne Zweifel mit<br />
mit zahllosen Bildern bedeckt waren. Im<br />
düsteren Licht des niedrigen Raumes, in dem<br />
ich bei meiner Länge fast bis an die Decke<br />
reichte, sah ich unbestimmt und undeutlich<br />
altertümliche Porträts, Kopf an Kopf.<br />
«Gewissermassen meine Ahnengalerie.»<br />
Steife, alte, ehrwürdige Herren in bepuderten<br />
Allongeperücken, jugendliche Draufgängergesichter<br />
mit aufgezwirbelten Schnurrbärten<br />
und an den Ohren baumelnden Husarenzöpfen,<br />
vereinzelt ehrwürdige Matronen und<br />
jugendliche Frauen, die Männer fast ausnahmslos<br />
in ungarischer Nationaltracht, selten<br />
im Soldatenrock ihrer damaligen Zeit,<br />
samtene Dolmane, pelzverbrämte Attilas,<br />
verschnürte Röcke, Kaipaks, Harnische, Eisenhauben,<br />
edelsteingeschmückte Krummsäbel,<br />
türkische Dolche, Streitäxte, tatarische<br />
Bogen und Pfeilköcher, langrohrige Feuersteingewehre,<br />
eingelegte Schilde, bei den<br />
Frauen seidenschimmernde Reifröcke, aufgebauscht<br />
unter dem hohen Steifmieder, spitzenbesetzte<br />
Halskrausen, Goldflitterhauben...<br />
jedes Alter und jede Tracht war auf Jahrhunderte<br />
zurück vertreten.<br />
Steif und hölzern, wie bemalte Puppenköpfe,<br />
sahen sie aus der dunklen, erblindenden<br />
Leinwand mit ausdruckslosen Kugelaugen<br />
und zinnoberroten Bäckchen auf den<br />
Eindringling.<br />
Mit einer Würde, wie wenn er einem Lebenden<br />
gegenüberstünde, stellte mich der Vizegespan<br />
seinem Ahnherren vor. Ein hageres,<br />
finsteres Tatarengesicht starrte mich an. Mit<br />
Arpad, so erklärte er mir, seien sie ins Land<br />
gekommen, und mit Stolz wies er auf die verschnörkelte<br />
lateinische Inschrift in der Ecke<br />
Zu haben Ml allen guten Uhrmachern<br />
Von Walther Ackermann.<br />
80. Aber während die Pneus unter der Vergewaltigung<br />
durch die Zentrifugalkraft gequält<br />
aufjammern, hat man plötzlich das<br />
schauderhafte Gefühl, als kringle sich^ die<br />
Kurve heimtückischerweise zu einer Spirale<br />
zusammen und dann... ja — nicht wahr?<br />
Wollen wir hoffen, die Leutchen haben Glück<br />
gehabt!<br />
Aber nicht nur im automobilistischen Pubertätsalter<br />
überkommen uns derartige Versuchungen<br />
am Steuer. Freilich treten sie<br />
später nicht mehr in solch primitiven Formen<br />
an uns heran — die Versuchungen geben sich<br />
ein raffinierteres Aussehen und suchen sich<br />
unserer wachsenden Erfahrung und Gewitztheit<br />
geschickt anzupassen. Sie locken nicht<br />
immer nur mit dem Rausch der Geschwindigkeit,<br />
sondern ebenso oft auch mit den gewagtesten<br />
Ueberholungs-Manövern, mit messerscharf<br />
berechneten Kurven und ähnlichen<br />
sinnlos-reizvollen Kunststückchen.<br />
Denn man möchte nicht immer nur vorwärtskommen,<br />
sondern hie und da auch wieder<br />
einmal «fahren >, nicht wahr? Man<br />
möchte den Wagen spüren, sich freuen an<br />
seiner Wendigkeit und Rasse durch eine<br />
schneidige Bejahung der blitzschnell auftauchenden<br />
Frage, ob's noch « langt >. Je besser<br />
man einen Wagen in der Hand hat, um so<br />
grösser ist die Versuchung, sich dem bezaubernden<br />
Spiel mit dem Haar hinzugeben und<br />
Geschmack zu bekommen an der gefährlichen<br />
Kalkulation mit dessen Breite. Es gibt verschiedene<br />
Haaresbreiten — sie können sehr<br />
gross sein — manchmal sind sie bis zu einem<br />
Meter dick. Oft aber auch verchmälert sich<br />
das Glückshaar des Automobilisten wider<br />
Erwarten bis auf eine Handbreite und in jenen<br />
Fällen, wo wir sehr, aber wirklich sehr<br />
erstaunt sind, dass es nicht gekracht und gesplittert<br />
hat — da müssen es wohl Zentimeter<br />
gewesen sein!<br />
Was im besonderen die Versuchungen auf<br />
dem Motorrad anbelangt, so möchte ich mich<br />
darauf beschränken, festzustellen, dass ich<br />
während einer zweijährigen Praxis im Sattel<br />
zur felsenfesten Ueberzeugung gekommen<br />
bin, dass Motorfahrer so um zwanzig Jahre<br />
herum genau wie die kleinen Kinder einen<br />
ganz besonderen Schutzengel haben. Noch<br />
heute überläuft es mich heiss und kalt, wenn<br />
ich an jene goldenen Zeiten zurückdenke!<br />
Das magnetische Feld dieser Versuchungen<br />
beschränkt sich nicht nur auf die erdgebundenen<br />
Maschinen. Auch am Steuer eines<br />
Flugzeuges ist man ihren Lockungen ausgesetzt,<br />
und sie sind-hier nicht minder verführerisch.<br />
So ziemlich alles, was da auf dem<br />
Index steht, ist voll verbotener Reize. Es ist<br />
nun nicht mehr das Spiel mit der Haaresbreite,<br />
sondern meistens das Liebäugeln mit<br />
der Grenze, das « Ausfliegen » der Maschine,<br />
was so mannigfaltige Verlockungen birgt.<br />
Da ist beispielsweise die prickelnde Sensation<br />
des « Kavalier-Starts», der darin besteht,<br />
in einer Kerze, einer Steilkurve oder<br />
einer Bodenkurve wegzugehen, nur nicht in<br />
der normalen und langweilig vernünftigen<br />
des Bildes, den Wahlspruch der Szöky:<br />
« Suum cuique. » ,<br />
«Freilich,» meinte er, «damals hatte unser<br />
Wappenspruch — Jedem das Seine — noch<br />
einen stolzen Sinn, denn das ganze Land von<br />
den Weissen Karpathen bis an die Theiss war<br />
unser Gut und Eigen, aber nun...» er blies<br />
den Rauch seiner Zigarette vor sich, «nun ist<br />
es etwas weniger. Unter jedem etwas. Nur<br />
der Sinn ist geblieben, und darauf kommt es<br />
endlich und schliesslich an. Denn in dem Gedanken<br />
des «suum cuique» erhalten wir uns<br />
wenigstens den innerlichen Glauben, die<br />
Herren des Landes zu sein.»<br />
(Fortsetzung folgt)