E_1931_Zeitung_Nr.100
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Bern, Dienstag, 8. Dezember <strong>1931</strong> III. Blatf äer „Äufomobil-Revue" No. 100<br />
Vorweihnachten <strong>1931</strong><br />
Der Regen fällt trübe und kalt in den<br />
nassen Dezembertag hinein. Spät zeigt<br />
sich ein erster hellerer Schein am Himmel,<br />
das Zeichen des neuen Tages. Die Strassen<br />
sind feucht, glitschig. In den Häusern<br />
leuchten noch immer die elektrischen<br />
Lichter. Vorweihnachten <strong>1931</strong>! Noch zwei<br />
Wochen! Müde dreht sich das Jahr dem<br />
Ende zu. Müde in doppelter Beziehung.<br />
Weihnachten soll dieses Jahr in einer<br />
Welt unheimlicher Dunkelheiten, drohender<br />
fremder Gewalten sich entfalten. Die<br />
guten Geister, die die Vorerwartung auf<br />
das heimlichste und froheste Fest jedes<br />
Jahr neu beschwor, sind fern.<br />
Die Schaufenster der Läden in der Stadt<br />
haben sich der Zeit zum Trotz mit dem<br />
weihnachtlichen Wunderkram geschmückt.<br />
Die silbernen und goldenen Streifen funkeln<br />
im stilvoll arrangierten elektrischen<br />
Licht. Fenster voll schöner Stoffe, voll<br />
Spielwaren, voller Geschenkartikel aller<br />
Art, Fenster voll Esswaren, appetitlich<br />
angeordnet, reihen sich aneinander. Die<br />
Auslagen strahlen jenen Optimismus aus,<br />
der den Menschen des Jahres <strong>1931</strong> ganz<br />
abhanden gekommen ist.<br />
Man verspricht sich nicht viel von<br />
Weihnachten <strong>1931</strong>, und dennoch treibt alte<br />
Gewohnheit wieder in die von einer geheimen<br />
Spannung erfüllte Zeit vor Weihnachten<br />
hinein. Noch dauert es vierzehn<br />
Tage, bis sich das alte Fest erfüllt, und<br />
doch wird man wieder von jener unerklärlichen,<br />
von geheimer Freude durchbebten<br />
Hoffnung ergriffen, die Vorweihnachten<br />
jedes Jahr zu einem besondern Ereignis<br />
gestaltet. Die Welt nimmt heitere, liebenswürdigere<br />
Formen an. Der Alltag wird<br />
nicht mehr zur drückenden Fron, man erfüllt<br />
ihn mit festlichen Gedanken der Erwartung<br />
und der Vorfreude. Die frühen<br />
Abende tauchen die Stadt, das Dorf in<br />
eine neue, unbekannte Welt der Heimlichkeiten.<br />
Das Lächeln der Kinder leuchtet<br />
wie Kerzenschein durch die Nacht. Das<br />
Geheimnis naht und bedrängt die Herzen<br />
mit seltsamen Empfindungen. Auf den<br />
Strassen tauchen die ersten Weihnachtsbäume<br />
auf.<br />
Die ungesunde Blasiertheit des Herzens<br />
und der Sinne hat die Menschen in weitestem<br />
Masse ergriffen. Sie verloren in der<br />
Winter in St. Moritz.<br />
Selig in der Stille<br />
heiliger SeelennacM<br />
schlaf, mein müder Wille,<br />
Sterne halten Wacht.<br />
m^^&m^m<br />
(Photo Alb. Steiner, St. Moritz.)<br />
Heilige Nacht<br />
Von Richard von Schaukai.<br />
Ewig helle Sterne,<br />
still herangebracht<br />
aus der seligen Ferne<br />
in der heiligen Nacht.<br />
Welt draussen alle schöne Unmittelbar-'<br />
keit des Gefühls. Die Zeit, so glauben sie,<br />
verlange von ihnen nur Nüchternheit und<br />
Sinn für Realitäten. Sie spüren und ahnen<br />
nicht, dass sie Genarrte eines Systems<br />
werden, das sie zu unbeseelten Wesen zu<br />
degradieren droht. Sie ahnen nicht, dass<br />
gerade in der Bewahrung einer gewissen<br />
Innerlichkeit die Rettung unserer schweren<br />
Zeit liegt. Sie lehnen jede Herzlichkeit,<br />
jede Anmutigkeit des Gefühls für<br />
veraltet, für unmodern ab, und wissen<br />
nicht, dass sie sich damit dessen begeben,<br />
was sie als Mensch vor allem auszeichnet.<br />
Weihnachten — Fest der Kinder! Weihnachten<br />
— Fest der Erwachsenen. Millionen<br />
Arbeitslose gehen einem kalten, nüchternen<br />
Weihnachtstag entgegen. Sie sind<br />
das Opfer unserer vermaterialisierten<br />
Zeit. Rückkehr zur Innerlichkeit: so predigte<br />
vor wenigen Wochen in Zürich und<br />
Basel der grosse Dichter Franz Werfet.<br />
Das Uebel unserer Zeit kann sich nicht<br />
länger hinter schützenden Masken verbergen.<br />
Wer sich zum Verteidiger dieser Zeit<br />
aufwirft, ist sein eigener Richter. Er<br />
kämpft um verlorenen Posten. Rückblick<br />
ins Land der Kindheit, ins Land, da die<br />
Dinge ganz und fest und gross waren,<br />
Rückblick ins Land des Herzens: Weihnachten!<br />
Weihnachten <strong>1931</strong> soll deshalb, gerade<br />
deshalb, weil die drohenden Mächte der<br />
Materialisierung den Innenmenschen zu<br />
ersticken suchen, zum Fest der neuen<br />
Herzlichkeit werden! Aus drohenden Wolken<br />
sollen neue Schächte des Lichtes brechen,<br />
eine neue Verheissung für die Zukunft,<br />
bo.<br />
Weihnachten in der<br />
Grosstadt<br />
Ein klarer, kalter Wintertag hängt über<br />
der Stadt Paris. Menschen in festlichen<br />
Gewändern gehen ruhig, fast feierlich<br />
verhalten den Strassen entlang. Mädchen<br />
mit frühen Veilchen aus Treibhäusern<br />
bieten die kleinen Büschel herum. Schmutzig<br />
wie immer sind sie angezogen. Wild,<br />
hart sind schon die Züge dieser zwölfjährigen<br />
Pariser Kinder. Eine schwarze, gefältelte<br />
Rockschürze, wie sie bei <strong>Zeitung</strong>sverkäufer<br />
innen, Lumpensammlerinnen und<br />
sonstigem armen Volk üblich ist, deckt<br />
^^uillefon<br />
Weihnachten eines<br />
jungen Menschen<br />
Novellette von E. W.<br />
Motto: Das Härteste und Zarteste: das Herz!<br />
I.<br />
Als Ernst Wendner am Samstag nach dem<br />
Mittagesen auf die Strasse hinaustrat und einen<br />
prüfenden Blick nach dem Himmel getan<br />
hatte, da war er mit seiner Ueberlegung rasch<br />
zu Ende gekommen. Das Wetter mit der winterlich<br />
reinen Frische und der herrlich gesunden<br />
Luft war zu gut und zu verlockend, als<br />
dass man den freien Nachmittag im Zimmer<br />
hätte verhocken und verbrüten mögen. Ernst<br />
beschloss, sich bis zum Abend im Freien zu<br />
ergehen.<br />
Die Strassen der kleinen, alten Stadt waren<br />
ungewöhnlich belebt. Die nahe Festzeit<br />
schlug bis in die elendesten und entlegensten<br />
.Quartiere aufregendes Qewoge von Hochgefühlen<br />
der Freude und erregter Erwartung.<br />
Manche Schaufenster belagerte die Menge so<br />
dicht, dass Kauflustige nur mit grosser Mühe<br />
zur Ladentür durchschlüpfen konnten. Jeder<br />
Vorübergehende schwenkte voller Begeisterung<br />
und leutselig wie sonst nie ein schwer<br />
zu entwirrendes Gehänge von Päckchen und<br />
Paketchen vor sich hin, und bereicherte mit<br />
den entführten Köstlichkeiten hinterher den<br />
feiertäglichen Geruch, der allerwärts zwischen<br />
den Häusern lagerte, um eine wohlschmeckende<br />
Nuance mehr.<br />
Auch Ernst besah sich mit Fleiss die üppig<br />
ausgestatteten Schaufenster und die emsig<br />
durcheinanderquirlende Menge, die von Geschäft<br />
zu Geschäft und alsdann schwer beladen<br />
und voll Eifer nach Hause eilte. Bureaukollegen<br />
gingen an ihm vorüber, grüssten,<br />
und Ernst grüsste wieder. Einmal, zweimal<br />
blieb er bei Bekannten stehen und wechselte<br />
mit ihnen freundliche Worte. Eine unerklärliche,<br />
selige Beklommenheit füllte sein Herz<br />
mit Ahnungen, als sei auch ihm irgendwo hinter<br />
einer dieser vielen gutmütigen Hausecken<br />
eine Freude und eine Ueberraschung aufgespart,<br />
es gelte bloss, sie zu finden.<br />
Etwa eine Stunde mochte er so in beschaulichem<br />
Müssiggang Strassen auf und ab spaziert<br />
sein, als er es mit einem Male satt bekam.<br />
Das ewige Gehaste und unaufhörliche<br />
Menschengebrodel und Geflüster hatten ihn<br />
fast ein wenig betäubt. Es verlangte ihn nach<br />
Alleinsein. So wechselte er denn flink sein<br />
Schlendertempo, schlug halben Trab an und<br />
hatte nach einer geraumen Weile das Städtchen<br />
hinter sich gelassen, dort, wo es inmitten<br />
weiter Felder mit spärlichen Häusern<br />
mählich sanft bergan stieg.<br />
2.<br />
Hier draussen war es still, ein richtiger Dezembertag<br />
ohne böse Kälte und ohne Schnee,<br />
trocken die Wege, hart gefroren und staubfrei,<br />
und kein Mensch weit und breit. Ueberhaupt<br />
dieser Dezember. Herrlich, obschon<br />
mitten im ungastlichen Winter gelegen und<br />
begraben manchmal unter Lasten von Schnee<br />
und Eis und Nässe und auf Gnade und Ungnade<br />
schneidend kalten Nordwinden ausgeliefert.<br />
Nur scheinbar alles tot ringsum. Die<br />
bitteren Winde, die dünnen Wolkenschatten,<br />
die magere Wintersonne, der Nebel und der<br />
Reif und die Wasser der Bäche bringen immer<br />
etwas Leben in dieses Erdenbild, wie es<br />
sich da gebrechlich und etwas dürftig aus falben<br />
Wiesen, starräugigen Hecken und Obstbäumen<br />
und dem grossschweigenden Wald<br />
zusammenfügt. Die Luft riecht in einem fort<br />
aufreizend appetitlich nach Schnee, auch<br />
wenn noch lange kein Schnee gefallen ist.<br />
Und in welch freundlicher Ordnung, stets<br />
heiter lächelnd, ein einziges sorgloses Gleiten,<br />
kommen die Tage auf uns zu. Es will einem<br />
dünken, der fromme, schöne Weihnachtstag<br />
verströme so vollen Glanz und<br />
starkes Leuchten weit um sich her, dass auch<br />
all die anderen Tage dieses Monats ein wenig<br />
von dem lieblichen, frohen Schein und der<br />
Weihestimmung zu kosten bekommen. Und<br />
laufen nicht alle übrigen Monate des Jahres<br />
in einer sonderbar beflissenen Hast auf den<br />
Christmonat zu, als seien sie einfach seine<br />
Trabanten und für nichts anderes auf der<br />
Welt, als schliesslich in ihn zu münden, weil<br />
es dort Besonderes und Besseres und Dauerhafteres<br />
gibt?<br />
(Fortsefzuna Seite 24 von « Autler-Weihnachten».)