E_1933_Zeitung_Nr.102
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muss ich zum Segen, Leut', kommt in die<br />
Kirche, morgen ist ein schwerer Tag.»<br />
Wenn aber die Tage immer kürzer wurden,<br />
. der Mond schon des Nachmittags<br />
bleich und klar am Himmel stand, wenn<br />
sich der Himmel verschleierte und fein und<br />
unaufhaltsam der sprühende Schnee daraus<br />
herniederfiel, da begann unter den<br />
Frauen des Dorfes ein eifriges Wispern<br />
und Flüstern. Aus allen Kästen und Laden<br />
wurden Flicken und Bänder herausgesucht,<br />
bunte Papiere und Silberstreifen<br />
musste der Postbote aus der Stadt bringen.<br />
Es begann ein eifriges Nähen und Flicken,<br />
Schneiden und Kleben. Vergessene Puppen<br />
wurden hervorgeholt und neu ausstaffiert,<br />
neue Wickelkinder wurden fabriziert, die<br />
Männer schnitzelten stundenlang an einem<br />
Stück Holz herum, bis endlich ein kleines<br />
Pferdchen mit steifen Beinen dastand. Goldene<br />
Sterne wurden gemalt, silberne Ketten<br />
geschnitten, Zuckerstückchen in buntes<br />
Papier gewickelt. Und die Weiber, .die<br />
wochen- und wochenlang gespart hatten,<br />
standen nun vor dem bauchigen Herd und<br />
buken die Weihnachtsbretzeln, dass sie<br />
goldbraun und knusperig aus der Röhre<br />
kamen. Denn sie war ja nicht mehr ferne,<br />
die heilige Christnacht, und was die Armut<br />
geben konnte, das gab sie, um das Fest der<br />
vor dem armsellgon<br />
Kripplein kniete eine Fran<br />
im tiefen Schnee, eine<br />
Frau aus dem Dorfe ...<br />
Kinder glücklich und froh zu gestalten.<br />
Wenn der Schnee immer tiefer und tiefer<br />
wurde und die jungen Bäumchen nur mehr<br />
mit ihren Spitzen aus dem Schnee sahen,<br />
da gingen die Frauen zur Kapelle, um das<br />
kleine Kripplein herzurichten, und geschäftig<br />
schmückten sie mit Tannenzweigen<br />
den kleinen Altar und legten das lächelnde<br />
Christuskind in die hölzerne Krippe. Josef<br />
und Maria hielten die Hände segnend über<br />
das Kind, und die Kuh und der Esel schauten<br />
gutmütig aus den Tannenzweigen hervor.<br />
Die Hirten und die heiligen drei Könige<br />
konnten sie nicht herstellen, denn die<br />
waren aus Gips gewesen und zerbrochen,<br />
nun hatten sie kein Geld mehr, neue zu<br />
kaufen. So richteten die Frauen das<br />
Kripplein her mit frommen Herzen, und<br />
eine jede mühte sich, etwas von ihrer Armut<br />
dem Jesulein zu spenden. Die eine<br />
brachte frisches Heu aus ihrem Stall und<br />
breitete es dem heiligen Kinde in die<br />
Krippe, eine andere war schon vor Tagesanbruch<br />
aufgestanden und hatte mit blossen<br />
Händen die weissen Christrosen aus<br />
dem Schnee gegraben, um sie dem Jesulem<br />
zu Füssen zu legen.<br />
Wenn nun am heiligen Christabend in<br />
den Hütten die Kerzen der kleinen Tannenbäumchen<br />
heruntergebrannt waren und<br />
nur mehr der brenzlige Tannenduft die<br />
Stube durchzog, durch deren * Fenster der<br />
Schnee der gegenüberliegenden Hänge<br />
schimmerte, wenn die Kinder mit ihren<br />
Puppen und Pferdchen im Arme schlafend<br />
in ihren Betten lagen, da verschlossen die<br />
Männer die Türe und gingen mit den<br />
Frauen zur Cbristmesse. Vorher besprengten<br />
sie noch die Stube mit Weihwasser,<br />
dass kein Böser während ihrer Abwesenheit<br />
hereinkäme. Dann zündeten sie die<br />
Laternen an, und wie ein kleiner Schwärm<br />
Leuchtkäfer zogen sie durch die stille, verschneite<br />
Dorfstrasse hinauf zur Kapelle.<br />
Nun begab sich in einer Christnacht etwas<br />
Seltsames. Der Küster Hess die Kirsche<br />
noch immer eine Weile unversperrt,<br />
damit jeder nach Herzenslust beten und<br />
das Christkindlein betrachten konnte. Nun<br />
muss wohl gesagt werden, dass der Küster<br />
während dieser Zeit in seinem Stübchen<br />
sass und sich einen tüchtigen Schluck<br />
Branntwein zu Gemüte führte und erst<br />
nach geraumer Zeit in das Kirchlein kam.<br />
Wie er aber nun, gewohnheitsmäßig, zu<br />
der Krippe ging, um das Knie noch einmal<br />
vor dem Jesulein zu beugen, da durchfuhr<br />
ihn ein eisiger Schreck: die Krippe stand<br />
leer. Er rieb sich die Augen, er zwickte<br />
sich in die Ohrläppchen, aber das Kripplein<br />
blieb leer Alles andere war an seiner<br />
gewöhnlichen Stelle. Da aber der Branntwein<br />
in seinem Kopf rumorte, so dachte er,<br />
er hätte vielleicht doch über den Durst getrunken,<br />
obwohl ihm die Sache höchst<br />
merkwürdig vorkam. Er schlich in seine<br />
Kammer zurück und überlegte lange hin<br />
und her. Endlich — der blasse Dezembermorgen<br />
schien schon durch die Fensterlucke<br />
— hatte er es sich in seinem trägen<br />
Gehirn zurechtgelegt, doch noch einmal<br />
nachzusehen. So reckte er denn seinen<br />
Körper und ging noch einmal in die Kirche.<br />
Als er aber vor dem Kripplein stand,<br />
da fürchtete er wahrhaftig, sein bisschen<br />
Verstand zu verlieren, dennn in der Krippe<br />
lag lächelnd, mit ausgestreckten Aermchen,<br />
das Jesuskind. Sollte er seinem geistlichen<br />
Herrn diesen unheimlichen Vorfall melden?<br />
Aber er fürchtete, dieser würde ihn mit<br />
AUTOMOBIL-REVUE <strong>1933</strong> - N° 102<br />
seinen durchdringenden, hellen Augen ansehen<br />
und sagen: cDu, Mattes, in deiner<br />
Stube hat es gestern nach Branntwein gerochen!»<br />
So entschloss er sich denn, zu<br />
schweigen.<br />
Nach und nach entschwand der Vorfall<br />
seinem Gedächtnis. Die Wochen kamen<br />
mit Sorgen und Kümmernissen, Monde<br />
wechselten, still und geruhsam floss das<br />
Leben dahin. Der Herbst hatte geerntet,<br />
was der Sommer versprochen, rauh stürmten<br />
die Winde um die Berge, und langsam<br />
nahte die Adventzeit. Und wieder läuteten<br />
die Glocken zur Christmesse, und wieder<br />
gingen die Leute zur Kirche. Und als der<br />
Küster nachher ip die Kirche kam, da war<br />
das Kripplein wieder leer.<br />
Diesmal zögerte aber der Küster nicht;<br />
so schnell er konnte, eilte er zum Pfarrer<br />
und erzählte ihm in fliegenden Worten,<br />
was sieh letztes Jahr zugetragen hatte.<br />
«Merkwürdig», sagte der Geistliche,<br />
«merkwürdig», und ging in das Kirchlein.<br />
Er stiess die Türe auf, ein kleines Zweiglein<br />
war in das Schloss geklemmt. So kam<br />
also der Dieb wieder zurück. Die Türe<br />
konnte nicht ganz einschnappen.<br />
Den ganzen Abend hatte es geschneit,<br />
jetzt aber war die Nacht klar geworden,<br />
und der Schnee funkelte und gleisste.<br />
«Komm», sagte der Pfarrer, «hier sind<br />
Spuren, wir müssen ihnen nachgehen.»<br />
Langsam gingen sie die schlafende<br />
Strasse hinauf. Wie eine Wolke stand ihnen<br />
der Atem vor dem Munde. Leise stieg<br />
der Weg bergan, über die Wiesen ging er,<br />
immer sahen sie die Abdrücke in der weichen<br />
Decke. Heiss wurde ihnen, die Wangen<br />
brannten. Hoch über ihnen glitzerten<br />
die Sterne, die Kälte schmerzte. Langsam<br />
drängte sich der Wald heran. Aus dem<br />
tiefen Schnee stachen die kleinen Tannenbäume.<br />
Ein Vogel flatterte auf, eine Last<br />
Schnee fiel, von seinem Flügelschlag losgelöst,<br />
mit leisem Ton auf den Boden. Dann<br />
aber erschien es ihnen, als ob sie Geräusche<br />
hörten; spärlich wurden die Bäume, und<br />
eine Lichtung, weiss in all dem Weiss, dunkel<br />
umkränzt von schneebedeckten Tannen,<br />
bot sich ihnen dar. Und was sie dort sahen,<br />
das Hess sie wie gebannt innehalten,<br />
das wurzelte sie an einen Fleck, dass sie<br />
Kälte und Nacht vergassen.<br />
Mitten in der Lichtung, zitternd vor<br />
Kälte, kauerten eine Kuh und ein Esel.<br />
Und zwischen ihnen stand, halb eingesunken<br />
im Schnee, ein armseliges Kripplein.<br />
Darin aber lag ihr verlorenes Jesulein ...<br />
sein Mund lächelte, und seine Arme waren<br />
ausgebreitet, als wollte es mit seinem Herzblut<br />
die eisige Winternacht erwärmen. Und<br />
vor ihm kniete im tiefen Schnee, der Kälte<br />
nicht achtend, eine Frau, eine Frau aus<br />
dem Dorf. Sie küsste die Lippen des Kindes,<br />
sie rieb seine Fiisse, und sie streichelte<br />
seine Glieder, als hätte sie ein lebendiges<br />
Wesen vor sich. Und nun hörten die beiden,<br />
wie sie stossweise betete:<br />
«Mein liebes Kindlein . heute gehörst<br />
Unser Weihnachtsabend<br />
Von Alfred nuggenberger.<br />
Ein Tüchlein ist über den Tisch gedeckt,<br />
Sechs rote Kerzen sind angesteckt.<br />
Sechs Augen geben den Glanz zurück:<br />
Jede Kerze bedeutet ein Fünkchen Glück.<br />
Liebes Weib — unser Baum ist klein,<br />
Gibt einer auf Erden helleren Schein?<br />
Du, Kleine, setz' dich auf mein Knie,<br />
Wir reiten nach Basel und halten nie.<br />
Zu Basel am Rheintor steht ein Haus —<br />
€ValterH > gib' mir die Zuckermaus!*<br />
Steht eine Schmiede mit Amboss und<br />
Essen —<br />