E_1934_Zeitung_Nr.061
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No 61 - <strong>1934</strong> AUTOMOBIL-REVUE 17<br />
Augustfeuer in Chäteau-d'Oex<br />
Ich sass, Feriengefühle geniesserisch auskostend,<br />
zu Hause auf meinem Balkon und<br />
las Henry Fords Lebens- und Autogeschichte.<br />
Zwischendurch machte ich kleine Pausen,<br />
rekelte mich wie eine Katze in der heissen<br />
Sonne, dehnte die Brust, atmete tief die köstliche<br />
Luft der Freiheit, tat einen runden<br />
Blick über die schöne Landschaft hinweg und<br />
freute mich ungeheuer darüber, dass ich am<br />
Leben war.<br />
Von unten her, vom Weg neben dem Garten<br />
herauf, pfiff jemand. Ueber der Gartenmauer<br />
wurde eine blaue Baskenmütze sichtbar.<br />
«Hallo!»<br />
Wieso Hallo, dachte ich. Ich kenne dich<br />
nicht. Ich erwarte niemanden. Wer sollte sich<br />
auch hierher in meine Einsamkeit verirren?<br />
Aber da sah ich das Gesicht unter der Kappe.<br />
«Ach, du bist es, Hans! Nicht möglich!<br />
Wo kommst du denn her? »<br />
Es war mein Freund aus Berlin. Schon<br />
stand er, heftig atmend, mit seinem nervösen<br />
Rennpferdtemperament in der Stube und befahl<br />
mir, mich zurechtzumachen. Etwas flink,<br />
bitte! Unten im Dorf stehe sein Kleinwagen<br />
und warte auf uns beide.<br />
Ich war der Sache nicht abgeneigt. Ich besann<br />
mich nicht lange. Nach fünf Minuten<br />
stand ich reisefertig da, und nach weiteren<br />
fünf Minuten fuhren wir Biel zu: Hans die<br />
Maschine führend, ich neben ihm im weichen<br />
Polster.<br />
Wunderbar, wie wir fuhren.<br />
Nichts von Krakeel, nichts von pöbelhaft<br />
knallenden Explosionen. Der Motor summte,<br />
pfiff sozusagen nur leise durch die Zähne<br />
Altes Stadtta ir in Romainmotier.<br />
und trug uns davon, davon. Wie leicht mir<br />
war! Wie jung ich mich fühlte!<br />
Vorwärts, Hans, lass deinen geölten Blitz<br />
laufen! Ich bin ganz im Bilde, werde mich<br />
schon zu benehmen wissen. •<br />
Achtung ~- Kurve!<br />
Bitte, nur zu, mein Lieber! Ich passe mich<br />
geschmeidig an, es ist mir eine Lust, meinen<br />
Teil zum guten Gelingen beizutragen, deine<br />
Berlinerin wird nichts davon merken, dass<br />
ich nur ein ungelenkes Knochengestell aus<br />
dem Dorfe bin. Spürt ihr, Steuermann und<br />
Rad, wie ich meinen Oberkörper ganz instinktiv<br />
in den richtigen Winkel lege, wenn<br />
es herumgeht? Also nur zu, edler Renner!<br />
Da liegt der Bielersee und hier, zur rechten<br />
Hand, in den über den Hang hinauf gestaffelten<br />
Weinbergen, reifen die Trauben.<br />
Die Petersinsel winkt grüssend und einladend<br />
zu uns herüber. Aber wir haben keine Zeit.<br />
Von Emil SchlbU.<br />
Wir fahren, fahren wie der Teufel! Hans<br />
scheint mir zeigen zu wollen, was Berliner<br />
Tempo ist.<br />
Die schöne grüne Insel schwimmt wie ein<br />
Schiff um uns herum: Erst lag sie vorne,<br />
jetzt haben wir sie zur Seite und eine Viertelstunde<br />
später weit hinterm Rücken.<br />
Und der rassige, unermüdliche Motor<br />
summt behaglich, als ob er sich nicht im geringsten<br />
anzustrengen brauchte, als ob er<br />
selbst getragen würde.<br />
Neuenstadt.<br />
Weiter.<br />
Landeron, ein Dornröschenstück. Leibhaftiges<br />
Mittelalter noch, ruhig träumend in sausender<br />
Zeit.<br />
Welter.<br />
Grosses Moos. Herrliche Kumuluswolken<br />
unter der enzianblauen Kuppel des Himmels.<br />
Murten.<br />
Hier machen wir unsern ersten Halt Das<br />
kleine offene Auto blitzt in der Sonne. Bei<br />
Gott, ich streichle es mit zarten, liebkosenden<br />
Fingern wie etwas Lebendiges, wie ein<br />
prachtvolles Tier, das man bewundert, und<br />
ich blicke den Leuten, die herumstehen, stolz<br />
ins Gesicht.<br />
« Prächtige Maschine», sagen die Leute.<br />
Wir schlendern ein wenig durchs Städtchen,<br />
passieren den berühmten Laufganz an<br />
der Stadtmauern, schauen den Murtnern im<br />
Vorbeigehen in ihre Stuben und Küchen hinein,<br />
und die merkwürdige, milde Versonnenheit<br />
wirkt auf mich, als ob ich einen alten<br />
Wein tränke.<br />
In Freiburg essen wir zu Mittag.<br />
Nicht verspätet, o nein, es schlägt eben<br />
zwölf Uhr in den Kirchtürmen.<br />
« Donnerwetter, sind wir vorwärts gekommen!<br />
» sage ich zu Hans. « Um 10 Uhr bin ich<br />
noch auf meinem Balkon gesessen und habe<br />
den Ford gelesen. Es war übrigens ein entzückender<br />
Einfall von dir, mich alten Einsiedler<br />
ein wenig in der Welt herumzuführen.<br />
Sie gefällt mir nicht übel.»<br />
c Gut», sagt Hans, « fahren wir weiter.»<br />
Er will nach Chäteau-d'Oex.<br />
Wir passieren Bulle, kommen nach<br />
Greyerz.<br />
Unweit der Saane steht das Städtchen<br />
wehrhaft ummauert auf einem Hügel wie<br />
eine Festung, die es mit seinem gewaltigen<br />
gräflichen Schlosse ja auch einmal war. Ein<br />
schmales Strässchen führt weit ausholend um<br />
den Hügel herum und hinauf.<br />
Man denkt sich Greyerz draussen vor der<br />
Stadtmauer ebenso verschlafen wie etwa<br />
Landeron. Weit gefehlt! Innen auf der holperigen,<br />
mit Kopfsteine* gepflasterten Hauptstrasse<br />
trafen wir einen ganzen Park von Automobilen<br />
an, und es wimmelte von Fremden<br />
aus aller Welt Sie wollten das Schloss besichtigen,<br />
welches, was ich nicht gewusst<br />
hatte, als eine grosse Sehenswürdigkeit gilt<br />
und im Bädecker mit Sternchen verzeichnet<br />
ist Die Nachfrage macht den Preis. Man<br />
merkte es hier, der Eintritt ist für das, was<br />
einem gezeigt wird, reichlich hoch.<br />
Man sieht da beispielsweise ein Kamin, in<br />
welchem ehemals, in der romantischen Ritterzeit,<br />
ganze Ochsen gebraten worden sein<br />
sollen. Im übrigen bin ich nicht kompetent,<br />
über den Wert und die Reichhaltigkeit der<br />
Sammlungen auszusagen: ich liebe Spinnen<br />
und Spinngewebe nicht, und der Duft von<br />
« Ambre Antique » ist meiner Nase lieber als<br />
der Modergeruch eines Burgverliesses. Es<br />
konnte mir also nur angenehm sein, als wir<br />
das Antiquariat verllessen und der Motor<br />
wieder zu summen begann.<br />
Aus dem grauen engen Gemäuer kamen<br />
wir bald ins grüne, langgeschnittene Tal der<br />
Saane hinein. Die Strasse stieg massig bergan.<br />
Andere Autos flitzten an uns vorüber. Der<br />
Weg machte viele scharfe Kehren. Es hiess<br />
gehörig aufpassen. Nun, wir waren auf dem<br />
Posten. Sannen wir vielleicht vergangenen<br />
Zeiten nach? Träumten wir vom geruhigen,<br />
an die Zeit gebundenen Leben des Mittelalters?<br />
0 keineswegs! Wir waren mit ganzer<br />
Seele, mit allen Sinnen gegenwärtig, und<br />
unser Motor war kein Posthorn. Er sang:<br />
Heute, heute, heute!...<br />
In der Halle eines Hotels in Chäteau-d'Oex<br />
tranken wir Tee. Es gefiel mir über die<br />
Massen. Ich hatte zuerst gemeint, wir sollten<br />
hier durchfahren, aber Hans war dagegen.<br />
Und er hatte, wie ich nun merkte, durchaus<br />
recht. Er war der grössere Lebenskünstler<br />
als ich, er verstand es, Mass zu halten und<br />
Genüsse zu verteilen. Es tat jedenfalls wohl,<br />
die Beine behaglich ausstrecken zu können.<br />
«Siehst du,» sagte Hans, «morgen ist dir<br />
dann unsere Roslnante wieder doppelt lieb.<br />
Und ausserdem ist es hier ja sehr hübsch.<br />
Wir wollen jetzt noch ein bisschen auf die<br />
Alpweiden steigen.<br />
Als wir durchs Dorf gingen, bemerkten wir,<br />
dass alle Hotels beflaggt waren, die Gärten<br />
mit Lampions geschmückt<br />
«Erster August», sagte uns ein Mann, den<br />
wir fragten. Natürlich, daran hatten wir<br />
traurigen Patrioten gar nicht gedacht Nun<br />
lohnte sich das Bleiben erst recht Sicherlich<br />
würde es hübsch sein, die Höhenfeuer<br />
auf den Alpen brennen zu sehen.<br />
Als wir zurückkamen, war Essenszeit. Es<br />
waren etwa ein halbes Hundert Leute im<br />
Saal, die Damen farbig und dekolletiert,<br />
feine Wolken auserlesener Wohlgerüche um<br />
sich her verbreitend, die Herren fast alle in<br />
Schwarz und mit steifen Hemdbrüsten. Hans<br />
und ich sahen natürlich etwas deplaziert aus<br />
in unsern Knickerbockers und Wolljacken.<br />
Aber wir waren von Sonne und Wind rotgebrannt<br />
und hattdn einstweilen kecke, abenteuerlustige<br />
Augen. Das musste den Smoking<br />
ersetzen.<br />
«Ein verdammt hübsches Mädchen», flüsterte<br />
Hans mir zu.<br />
«Wo? — Ah, die da drüben, Donnerwetter,<br />
ja!» . -<br />
Schlankes, braunes Reh, duftende' Rose,<br />
wiederverkörperte ägyptische Prinzessin aus<br />
der XVIII. Dynasne, dachte ich. Achtzehn,<br />
neunzehn Jahre vielleicht. Mir wurde ganz<br />
wehmütig ums Her« vor Ergriffenheit. Ich<br />
liess die Nachtigallen in mir schluchzen, ich<br />
nahm, für meinen Teil, Abschied. Ihr Götter<br />
Babylons und Ninives, dachte ich, wer so<br />
etwas in den Arm nehmen darf, den muss...<br />
aber, schluchzet, schluchzet ihr Nachtigallen,<br />
mein Arm kommt dafür nicht in Betracht.<br />
Sie hatte blau-schwarze Haare, die sie<br />
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