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E_1935_Zeitung_Nr.024

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Bern, Dienstag, 19. März <strong>1935</strong><br />

III. Blatt der „Automobil-Revue" No.24<br />

Anekdoten um Stuck<br />

Wir haben in der Automobil-Revue Nr. 22<br />

in einem grösseren Artikel über den kürzlich<br />

stattgefundenen Vortrag von Hans Stuck im<br />

Schosse der Sektion Bern des A. C. S. berichtet.<br />

Im Verlaufe des Zwiegespräches gab der berühmte<br />

Fahrer auch einige nette Anekdoten<br />

zum Besten, die wir im Folgenden veröffentlichen:<br />

Hans Stuck wurde gefragt, weshalb eigentlich<br />

sein Rennwagen den Vornamen « Hans »<br />

aufgemalt trägt. Das hat folgende Bewandtnis<br />

: Die Auto-Union wollte auf der Avus<br />

Rekordversuche unternehmen. Wagen, Fahrer,<br />

Rennleiter und Mechaniker warteten, und<br />

nur das Wetter hatte die denkbar schlechteste<br />

Laune. Es regnete, und trübselig wartete<br />

man, ob nicht eine leichte Besserung sich zeigen<br />

würde. Ein untätiger Mechaniker malte<br />

mit seinem Finger in Gedanken verloren den<br />

Namen «Hans» auf den Wagen; in diesem<br />

Augenblick brach die Sonne durch und erhellte<br />

das Land. Seitdem hat der Rennwagen<br />

seinen Namen...<br />

Nach dem Masarykringrennen ging Stuck<br />

mit seinem Teamgenossen Prinz von Leiningen<br />

auf die Jagd. Es war schon ziemlich kalt,<br />

und auf der Strasse hatte sich Glatteis gebildet.<br />

Stuck probierte den Trick, der er sich<br />

gern leistete, seinen Wagen auf dem Eise<br />

so rasch zu bremsen, dass er ins Schleudern<br />

kam und sich 180 Grad um die eigene Achse<br />

drehte. Prinz von Leiningen wollte dieses<br />

Meisterstück gleichfalls versuchen und schleuderte<br />

wacker mit. Da kam ein alter Fordwagen<br />

angewackelt. Empört hielt sein Insasse<br />

an, und erbost begann er auf die Beiden loszuschimpfen,<br />

es wäre gescheiter, sie würden<br />

zuerst einmal in eine Fahrschule gehen. Das<br />

sei grober Unfug, und er werde sie bei der<br />

Polizei anzeigen. Stuck und Leiningen hatten<br />

keine geringe Freude an dem Mann und mussten<br />

herzlich lachen. Schliesslich gaben sie<br />

sich als Stuck und Leiningen zu erkennen.<br />

Darauf wurde der Mann noch wütender, stieg<br />

in den Wagen und rief mit empörter Stimme<br />

zurück: «Sie sollten sich schämen, sich so<br />

zu betrinken und sich schon am hellichten Tag<br />

für Stuck und Leiningen zu halten! »<br />

Ein nettes Intermezzo erlebte Stuck auch<br />

bei seinem kürzlichen Aufenthalt in Mailand.<br />

Er war mit der Eisenbahn von Budapest gekommen<br />

und musste, wenn er ausging, den<br />

Taxi benützen. Doch die Mailänder Taxi fahren<br />

bekanntlich nichts weniger als langsam*<br />

und selbst Stuck konnte dieses Tempo nicht<br />

vertragen. Alle Erklärungen gegenüber den<br />

Chauffeuren nützten nichts, vielleicht trug<br />

auch das mangelhafte Italienisch die Schuld<br />

daran. Schliesslich suchte sich Stuck zu helfen,<br />

indem er immer vor dem Einsteigen<br />

warnte: « Niente Nuvolari! » Obwohl er anfangs<br />

nicht erkannt wurde, schien es sich<br />

doch unter den Mailänder Taxichauffeuren<br />

herumzusprechen, dass ein Herr mit einer<br />

Dame immer mit diesem Ausspruch den Wagen<br />

bestieg. Als Stuck wieder einmal im Begriffe<br />

war, in einen Taxi zu steigen und<br />

seinen Ausspruch tat, gab ihm ein schlagfertiger<br />

Chauffeur zur Antwort: «Niente Nuvolari!<br />

— Aber dann fahren mer Tempo<br />

Stuck! » Sprach's und sauste in einem Tempo<br />

davon, dass Stuck beinahe Hören und Sehen<br />

verging.<br />

Ausser diesen paar Anekdoten gab Stuck<br />

aus seinem Privatleben einige interessante<br />

Details zum besten, an denen das Publikum<br />

seine helle Freude hatte. Im Sommer hat der<br />

Fahrer natürlich keine Gelegenheit, sich körperlich<br />

zu trainieren, da er beruflich voll angespannt<br />

ist. Um so eifriger treibt er während<br />

der Wintersaison Sport, und zwar vor allem<br />

den Skilauf, den er als einen der gesündesten<br />

und idealsten Sporte bezeichnet. Doch auch<br />

Rudern, Golf, Tennis und Schiessen gehören<br />

zu seinen Lieblingsbetätigungen. Er hat schon<br />

längst das Rauchen als schädlich erkannt<br />

• und trinkt auch keinen Alkohol, ausgenommen<br />

ein gutes Bier — « denn das zähle ich nicht<br />

zum Alkohol ». Stuck ist ein besonders leidenschaftlicher<br />

Langschläfer und dafür auch<br />

überall bekannt. Er empfindet es als Notwendigkeit,<br />

täglich neun Stunden zu schlafen. Um<br />

10 Uhr geht er regelmässig ins Bett; hat er<br />

beim Golfspiel mit seiner Frau gewonnen,<br />

dann bittet er sich zur Belohnung ein « Pilsner<br />

» und eine Stunde früheres Schlafengehen<br />

aus. Den Skisport betreibt er schon seit 30<br />

Jahren, und es gibt auch böse Mäuler, die<br />

behaupten, Stuck fahre noch besser Ski als<br />

Auto. Dass er auf den Brettern stehen kann,<br />

Mensch, ändere dich!<br />

Wenn du noch so vollkommen bist, es<br />

kann dir nur nützen.<br />

Ich weiss, dass Menschen sich nicht ändern<br />

können. Aber du brauchst es nicht zu<br />

wissen. Die Resultierende aus den beiden<br />

Tatsachen, dass du dich nicht ändern kannst<br />

und dass du es trotzdem versuchst, ist deine<br />

Entwicklung.<br />

Menschen, die sich nicht entwickeln, werden<br />

auf die Dauer nicht bloss den andern,<br />

sondern auch sich selber langweilig.<br />

Nur die Eigenschaften, die sich trotz dem<br />

Versuche nicht ändern lassen, sind deine<br />

wirklichen Eigenschaften und lohnen es<br />

nicht, in Spiritus konserviert zu werden.<br />

Um deine Fehler, wenn sie noch so schön<br />

sind, brauchst du nicht besorgt zu sein.<br />

Selbst wenn du sie ablegen wolltest, sie lassen<br />

sich nicht ablegen. Die bleiben dir treu.<br />

Der Geschwätzige wird nicht aufhören zu<br />

schwätzen, der Lügner zu lügen, der Lebensuntüchtige<br />

wird nie das Malheur haben vorwärtszukommen.<br />

Gleichwohl empfiehlt es<br />

sich, von Zeit zu Zeit zu experimentieren.<br />

Ueberrasche dich selbst! Versuche es, gelegentlich<br />

den Mund zu halten, die Wahrheit<br />

zu sagen, einen energischen' Vorstoss auf<br />

den Erfolg zu unternehmen. Der Mensch<br />

sollte alles können, auch das, was er nicht<br />

will, sogar das, was er nicht kann. Du sollst<br />

der Herr über deinen Willen und nicht<br />

Sklave deines Nichtkönnens, deiner Ohnmacht<br />

sein. Also ran ! Versuch's einmal mit<br />

deinem Gegenteil! Auf alle Fälle wirst du<br />

dich amüsieren. Und wer weiss ! Vielleicht<br />

gelingt dir dein Gegenteil so gut, gefällst<br />

du dir in deinem Gegenteil so gut, dass du<br />

für eine Weile in der neuen Rolle bleibst.<br />

Schliesslich stellt es sich ja von selbst heraus,<br />

was deine wahre Natur ist!<br />

Die einzige Zucht, die sich ein freier<br />

Mensch gefallen lassen kann, ist die Selbstzucht.<br />

Die Selbstzuchtrute tut nicht weh.<br />

Um deinem Snobismus zu schmeicheln:<br />

darf man ihm gerne glauben, wenn man weiss,<br />

dass er in Arosa schon mit 6 Jahren auf Fassdauben<br />

gefahren ist.<br />

Die grossen Entfernungen von einem Rennen<br />

zum andern legt er am liebsten im eigenen<br />

Wagen zurück. Wenn er stundenlang<br />

gefahren ist, muss seine « Frau Paula », unsere<br />

geschätzte Mitarbeiterin, den Radio andrehen<br />

und gute Tanzmusik suchen; dann<br />

schwindet alle Müdigkeit mit einem Schlag.<br />

In der Eisenbahn wird es ihm gerne schlecht,<br />

weil er nichts zu tun hat und immer fürchtet,<br />

der Führer vorn auf der Lokomotive bremse<br />

zu spät. Er behauptet auch, seine Frau geniere<br />

sich immer, mit ihm Eisenbahn zu<br />

fahren... Stuck betrachtet es als eine Ehrensache,<br />

dass seine Frau ihn in seinem schwierigen<br />

Berufe ständig begleitet. Während der<br />

vergangenen stillen Saison haben die beiden<br />

in Berlin einen Zukunftsroman fertiggestellt,<br />

der die «Bekämpfung des Nebels» zum Thema<br />

hat. Wir hoffen, bei Gelegenheit aus diesem<br />

neuen literarischen Werk der beiden eine<br />

Probe veröffentlichen zu können. bo.<br />

Jlatgefe* im Sxi&stvMtkefvi<br />

Von Arthur Kahane.<br />

Selbstzucht ist das untrügliche Merkmal des<br />

wahren Adels.<br />

Man braucht keine Autokratennatur zu<br />

sein, um sich selbst zu beherrschen. Selbstbeherrschung<br />

ist Selbstbefreiung. Beherrsche<br />

dich selbst! Und du ersparst es dir, dich der<br />

andern zu bedienen.<br />

Sei nicht eitel! Ich gebe zu, es ist in deinem<br />

Fall schwer. Aber gerade das Schwere<br />

musste deine Eitelkeit reizen.<br />

Sei nicht eitel, nicht selbstgefällig, nicht<br />

empfindlich! Eitelkeit ist Unsicherheit.<br />

Selbstgefälligkeit macht lächerlich, Empfindlichkeit,*<br />

von andern-abhängig, Wenn du es<br />

bist, zeige es nicht! Aus Klugheit. Wenn du<br />

nicht klug bist, kann ich dir nicht helfen.<br />

Aber in diesem Falle versuche um Gottes<br />

willen nicht, dich zu ändern ! Tu gar nichts<br />

dagegen, es hilft ja doch, nicht, sondern lass<br />

Gott für dich sorgen. Verloren bis du in<br />

keinem Falle.<br />

' Aber auch wenn du nicht eitel bist, und<br />

gerade dann, behandle dich selbst immer mit<br />

vollendeter Höflichkeit und mit der vorzüglichsten<br />

Hochachtung! So wie zwei Gentlemen<br />

einander behandeln sollten. Wer sonst,<br />

wenn nicht du selbst! Und wenn du selbst,<br />

dann werden's auch die andern. Spiele nicht<br />

mit dir das hässlichste und seelisch unsauberste<br />

aller modernen Gesellschaftsspiele,<br />

das Spiel def Minderwertigkeitskomplexe !<br />

Ironisiere dich nicht selbst und mache keine<br />

Witze über dich! Auch wenn sie noch so<br />

nahe liegen. Es gibt einen Grad der Nähe<br />

und Intimität, der Witze verbietet. Und wer<br />

ist dir näher, mit dir intimer, als du selbst ?<br />

Es wäre nicht nobel, diese Intimität zu missbrauchen.<br />

Nimm dich aber nun auch nicht etwa feierlich<br />

! Es gibt eine Selbstverständlichkeit, in<br />

der mehr Haltung und Distanz ist als in jeder<br />

Grandezza, die immer etwas Komisches hat.<br />

, Im Gegenteil, amüsiere dich, nicht über<br />

dich, aber mit dir ! Bei dir bist du doch<br />

wenigstens sicher, dass du deinen eigenen<br />

Esprit verstehst. Jeder ist sich selbst das<br />

beste Publikum. Wer weiss wann, wo<br />

ob man ein anderes findet! Amüsiere dich<br />

mit dir, so oft und so ausgiebig es dir deine<br />

Mittel gestatten ! Das Leben ist kurz und<br />

nicht immer kurzweilig.<br />

Sei dir selbst dein liebster Verkehr! Aber<br />

pflege diesen Verkehr ! Variiere ihn so viel<br />

und so reich du kannst! Lass ihn nicht zur<br />

Gewohnheit verfetten, damit du deiner eigenen<br />

Gesellschaft nicht überdrüssig werdest!<br />

Das bist du dir schuldig, mindestens ebensoviel<br />

Phantasie und Mühe an dich selbst zu<br />

wenden, wie du für Fremde aufbringst!<br />

Verkehre auch mit Fremden ! Schön damit<br />

du es von Zeit zu Zeit empfinden lernest,<br />

was es bedeutet, zu sich selbst zurückzukehren.<br />

Ausserdem gestattet, es das Leben<br />

keinem, so subjektiv zu werden, dass er die<br />

andern ohne Einbusse entbehren kann. Allerdings<br />

auch nicht, so objektiv zu werden,<br />

um über Sympathie und Antipathie zu stehen.<br />

Vergiss aber nicht, dass deine Sympathien<br />

und Antipathien deine Privatangelegenheiten<br />

sind, mit denen du keinen andern zu<br />

molestieren das Recht hast! Verstecke sie,<br />

soweit es ohne Heuchelei und Komödie möglich<br />

ist! (Siehe Selbstbeherrschung !) Auf<br />

die schauspielerische Anstrengung deiner<br />

Verstellung hat kein Mensch einen Anspruch,<br />

und wenn einer die Unverschämtheit besitzt,<br />

dir antipathisch zu sein, der am wenigsten :<br />

Höflichkeit des Herzens und der Manieren<br />

aber ist keine Angelegenheit willkürlich persönlicher<br />

Auslese, sondern Pflicht.<br />

In dein Haus jedoch, in das Allerheiligste<br />

deines privaten Lebens, lade nur Menschen,<br />

die dir in höchstem Grade sympathisch sind!<br />

Da sei dir keine Exklusivität streng genug!<br />

Einen Menschen, den du nicht rauchen würdest,<br />

wenn er eine Zigarre, nicht trinken,<br />

wenn er ein Wein, nicht lesen, wenn er ein<br />

Buch wäre, den lasse nicht an deinen Tisch!<br />

Unter allen Umständen aber ermögliche<br />

dir, erzwinge dir, ertrotze dir jeden Abend<br />

ein Schäferstündchen mit dir allein! Und<br />

wenn du nichts besseres vorhast, rekapituliere<br />

dein Tagewerk ! Ueberlege dir, welches<br />

Erlebnis, welcher Mensch, welcher Eindruck,<br />

welcher Gedanke dem Tage sein Gesicht<br />

gegeben hat, das ihn von deinen andern<br />

Tagen unterscheidet! Wenn du das tust,<br />

dann wird jeder Tag ein Gesicht bekommen,<br />

dann wird dein Leben, dann wirst du ein<br />

Gesicht bekommen. Mache dir einen Küchenzettel<br />

für den nächsten Tag. wogegen du<br />

dich zu rüsten, worauf du dich zu freuen<br />

hast! Die Voraussicht schützt dich vor<br />

Ueberraschungen, und die Vorfreude deiner<br />

Freude hast du weg, die kann dir nichts<br />

mehr nehmen. Im übrigen ist es ein Programm,<br />

und es ist damit wie mit allen Programmen<br />

: man braucht sich nicht daran zu<br />

halten. Es kommt immer alles anders: wenn<br />

du aber dein Programm gemacht hast, freust<br />

du dich, wenn du's durchführen kannst, und<br />

freust du dich doppelt, wenn es anders<br />

kommt. In jedem Falle freust du dich, was<br />

die Hauptsache ist.<br />

Mensch, freue dich!<br />

Luzern<br />

Schiller Hotel Garni1<br />

Alle Zimmer mit fliess. Wasser<br />

o. Bad u.Tel. Zimmer v. Fr. 4.50<br />

an. Pens. Fr. 12.-. Autoboxen.<br />

Ed. Leimoruber, Bes.<br />

Mannequin.<br />

Roman von Fannie Hurst.<br />

(11. Fortsetzung.)<br />

Aber trotzdem, sie war das einzige Mädchen<br />

aus der Nachbarschaft, deren Sprache<br />

und Gedanken nicht vom Auswurf der Gosse<br />

der Lower East Side durchsetzt waren.<br />

Sadie liebte es, die gedrängten* von Strassenhändlern<br />

verstellten Seitengassen Abend<br />

für Abend, ihren Arm um.Orchids Taille geschlungen,<br />

auf und ab zu gehen, und dabei<br />

die herrliche Sage von König Artus oder das<br />

«Ein Glanz fällt» zu rezitieren.<br />

Es war ein ergötzliches Abenteuer, mit der<br />

schnellen klugen Sadie, deren Geist durch<br />

Vererbung mit Schönheit durchsetzt war, in<br />

die rhythmischen sicheren Häfen der Poesie<br />

zu schlüpfen. Es passte zu dem beginnenden<br />

Verlangen nach schön eingerichteten Räumen<br />

und der ernsten patriarchalischen<br />

Schönheit von Sadies sich schaukelndem<br />

Vater.<br />

Es war etwas von einer Leidenschaft an<br />

Sadie, östlich, und angenehm wie eine dunkle<br />

reife Frucht Irgend ein Glanz lag über<br />

Sadie.<br />

Sie zu kennen, liess die Tage heller erscheinen<br />

und sicherte gegen den Auswurf<br />

der Gosse. Das und das Bewusstsein, das<br />

Nana auf ihre Art Wache hielt. Und doch<br />

empfand Orchid immer eine lauernde Angst.<br />

Was geschah, wenn Nana, wenn der Nebel<br />

in ihren Augen am dichtesten wurde — was<br />

geschah, wenn Nana nicht genug Wache<br />

halten konnte?<br />

Und gerade das geschah an einem Sonntagnachmittag,<br />

als Orchid Sadie nach dem<br />

Spaziergang verlassen hatte. Mit ihrem jungen<br />

gesunden Appetit, der nach Nachtmahl<br />

verlangte, ins Zimmer gestürzt kam.<br />

Während der vier Stunden, da sie weggewesen,<br />

war der Schiffer gekommen. Der<br />

mit der nackten Brust, den sie am ärgsten<br />

fürchtete. Das bedeutete, dass ein gewisser<br />

Leichter im Hafen war. Er sass lange hingestreckt<br />

auf dem einzigen Schaukelstuhl, der<br />

in dem Zimmer stand, und streckte seine<br />

langen Beine bis in die Mitte des Fussbodens<br />

aus. Annie, die auf den Knien dieser<br />

lang ausgestreckten Beine gesessen haben<br />

musste, sprang rasch auf, als Orchid hereinstürzte,<br />

und hob eine der unordentlich auf<br />

dem Boden herumliegenden Flaschen auf.<br />

Leere Flaschen, die Orchid kannte und nach<br />

Gestalt und Geruch fürchtete. Schnapsflaschen.<br />

Und Nana war nicht mehr ganz bei Sinnen.<br />

Schrecklich nicht bei Sinnen. Sie schwankte,<br />

wenn sie ging; und als sie sich auf die Matratze<br />

warf und dort zerschlagen und haltlos<br />

sass, geriet ihr Haar in Zotten vor ihre Augen<br />

und die Trübung in ihnen machte den<br />

Blick erschreckend milchig und sichtlos.<br />

Gewöhnlich wartete bei solchen Gelegenheiten<br />

Orchid mit einem schrecklichen Gefühl,<br />

bis der Besucher aus dem Raum hinausgetorkelt<br />

war und es ihr ermöglichte, Nana<br />

zu Bett zu bringen.<br />

Sie kannte den ganzen Vorgang. Das hässliche<br />

Geschäft, sie mit dem steifen alten Flanellschlafrock,<br />

den sie zur Nacht anzog, zu<br />

bekleiden und sie Zoll für Zoll unter die<br />

Bettdecke zu stecken. Und dann erwachte<br />

Nana, die nach solchen Besuchen gewöhnlich<br />

zwei bis drei Dollar in Noten besass, und begann<br />

zu schreien und zu jammern und ihr zu<br />

versprechen, dass das nie wieder geschehen<br />

werde.<br />

Das Leben konnte so gleichmässig eckelhaft<br />

sein. Man konnte sich sogar, wenn auch<br />

mit Schrecken, daran gewöhnen. -<br />

Aber an diesem Tage war Nana so<br />

schlapp. So verständnislos. Dies ergriff Orchid<br />

zum erstenmal mit ungewohntem<br />

Schrecken.<br />

1 «Nana», schrie sie und eilte ihr entgegen,<br />

aus Furcht, dass sie vornüber stürzen und<br />

sich den Kopf an der Ofenkante wundschlagen<br />

könnte, wie sie es schon einmal getan<br />

hatte.<br />

Wie sie nun auf Nana los'stürzte, stolperte<br />

sie über die ausgestreckten Beine des Schiffers.<br />

Das war ihr Pech. Weil sie, als sie den<br />

kleinen Sprung wagte, mit ihrem, Knöchel<br />

gegen seinen stiess; und plötzlich hatte er<br />

sie in seinen Armen, in seinen schrecklichen<br />

affenartigen Armen. Hielt sie. Hielt sie so,<br />

dass seine rauhe Brust ihre Wangen berührte.<br />

«Nana!» schrie sie und wehrte sich und

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