E_1935_Zeitung_Nr.035
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nicht erinnern kann, an was ich mich<br />
eigentlich erinnert habe.»<br />
Jetzt war es an mir, die Augenbrauen<br />
fragend in die Höhe zu ziehen. Es hatte den<br />
Anschein, dass er warm wurde und ein<br />
Mitteilungsbedürfnis spürtft<br />
«Sie sind doch zufällig nicht auch Schriftsteller,<br />
wie?» fragte er.<br />
«Ab und zu habe ich schon mal was verbrochen»,<br />
gab ich zu.<br />
«Dachte ich's doch, dass Sie so aussähen»,<br />
quittierte er mein Eingeständnis. Und fuhr<br />
dann hastig fort, als wollte er nähere Aufschlüsse<br />
von mir unterbinden: «Und aus<br />
diesem Grunde dürfte Sie mein Fall wohl<br />
interessieren... Sozusagen beruflich!»<br />
«Aber natürlich. Falls Sie...» begann<br />
ich, hielt aber inne, da ich merkte, dass er<br />
gar nicht zuhörte. Seine flackernden Augen<br />
hatten einen Ausdruck angenommen,<br />
als gäbe er sich ungeheure Mühe, sich etwas<br />
ins Gedächtnis zurückzurufen.<br />
- «Als junger Mann» — fing er an (ich<br />
hielt ihn für etwa fünfunddreissig) —«hatte<br />
ich den Ehrgeiz, Schriftsteller zu werden.<br />
Aber obgleich mein Kopf immer voll von<br />
Ideen steckte, vermochte ich nicht, sie in<br />
Worte zu kleiden. Zuerst versuchte ich's<br />
auf die übliche Weise, indem ich, wie alle<br />
Anfänger, Erzählungen für Zeitschriften<br />
und Magazine schrieb. Aber nicht eine<br />
meiner Arbeiten wurde angenommen. Was<br />
auch weiter kein Wunder war, denn ich<br />
wusste selbst, wie schlecht sie im Grunde<br />
genommen waren. Dieses Wissen tröstete<br />
mich wieder etwas. Möglich auch, dass<br />
ich irgendwo las, so lange man in eigener<br />
Sache kühles Blut bewahre, sei noch Hoffnung<br />
für einen vorhanden.<br />
Wie dem auch sei: ich hängte das<br />
Schreiben eine Zeitlang an den Nagel....<br />
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ich war damals erst zwanzig... und begann<br />
zu studieren. Ich las immer nur die<br />
besten Autoren, sorgfältig, um zu sehen, wie<br />
sie es machten. Ich hatte nämlich immer'<br />
viel freie Zeit, so dass ich in fünf Jahren<br />
eine Unmenge Lesestoff bewältigte. Natürlich<br />
kaprizierte ich mich nicht auf englische<br />
Autoren, sondern las eine Menge<br />
Uebersetzungen aus dem Französischen,<br />
Russischen und Deutschen. Und die ganze<br />
Zeit über versuchte ich nicht ein einziges<br />
Mal, selbst etwas zu schreiben.<br />
Dann musste ich eines Tages meinen Posten<br />
in der City aufgeben, und während ich<br />
mich um einen anderen bewarb, versuchte<br />
ich's noch einmal mit einer Magazingeschichte.<br />
Nun, ich muss schon sagen, es<br />
war bis dahin der beste Griff, den ich je<br />
getan habe. Geschrieben war es weit besser<br />
als alles, was ich vorher geliefert hatte,<br />
nur die Handlung war schwach. Woraus<br />
ich schloss, dass mir beim Erlernen des<br />
Handwerks sämtliche Ideen flöten gegangen<br />
waren. Alle meine früheren guten Einfälle<br />
waren dahin, und neue kamen mir nicht<br />
mehr. Wenigstens nicht im Anfang.»<br />
Einen Augenblick hielt er inne und<br />
starrte geistesabwesend aus dem Fenster,<br />
bevor er fortfuhr:<br />
«Aber danach hatte ich auf dem Nachhauseweg<br />
eine Idee... die beste, die mir<br />
in meinem Leben eingefallen war. Und<br />
nicht nur, dass ich sofort die ganze Handlung<br />
klar vor mir sah, ich wusste auch, wie<br />
ich sie zu schreiben hatte. Zu Hause setzte<br />
ich mich an den Schreibtisch. In zwei Tagen<br />
war die Erzählung fertig. Ich hielt sie<br />
für ein kleines Meisterwerk. Die Zeitschrift,<br />
der ich sie einsandte, nahm sie sofort<br />
an.<br />
Vierzehn Tage später schrieb ich eine<br />
zweite. Sie war grundverschieden von der<br />
ersten, im Stimmungsgehalt, wie Sie vielleicht<br />
sagen würden, und obendrein weit<br />
flüssiger. Aber auch sie kam mir als eine<br />
Art Inspiration und wurde umgehend von<br />
einem Magazin angenommen. Und von<br />
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nun an pflegte ich Dutzende von Inspirationen<br />
zu haben; ich wunderte mich selber.<br />
Im Geiste sah ich mich schon als den gewandtesten<br />
und fähigsten Schriftsteller des<br />
Tages. In meiner Einbildung sagte ich mir,<br />
dass meine Erzählungen in Buchform direkt<br />
Aufsehen erregen würden. Als die<br />
erste meiner Erzählungen im Druck erschien,<br />
hatte ich mittlerweile achon acht<br />
geschrieben, und alle waren angenommen<br />
worden — bis auf eine.»<br />
Sein Schweigen nach dieser letzten Erklärung<br />
dehnte sich so lange hin, dass ich<br />
endlich fragte:<br />
«Was war denn los mit dieser einen Ausnahme?»<br />
Nun seufzte er.<br />
«Mit der Handlung selbst war gar nichts<br />
los; aber ich erhielt ein Schreiben *on der<br />
Redaktion, meine Erzählung sei anscheinend<br />
eine Uebersetzung aus dem Französischen<br />
— ich habe den Namen des angeblichen<br />
Autors vergessen — und ich hätte<br />
sie nicht als Originalarbeit einreichen dürfen.<br />
Es war kein schmeichelhaftes Schreiben.<br />
Und ungefähr eine Woche später erschien<br />
dann eine weitere Erzählung von<br />
mir in einer weitverbreiteten Zeitschrift.<br />
Und dann war der Teufel los. Allem Anschein<br />
nach war auch das eine Uebersetzung<br />
— diesmal aus dem Russischen -!-<br />
und schon einmal in einer Sammelausgabe<br />
erschienen. Der Name des Russen begann<br />
nach meiner Erinnerung mit mit T, aber<br />
es war nicht Tolstoi.»<br />
«Turgenjew, vielleicht?» warf ich ein.<br />
«Möglich», meinte er betrübt, «ich komme<br />
nicht mehr darauf. An eines erinnere ich<br />
mich jedoch noch, dass alle meine Arbeiten<br />
von mir im Glauben, sie selber zu schreiben,<br />
verfasst wurden. Weiss der Teufel, welche<br />
geheimnisvolle Rolle mein Gedächtnis gespielt<br />
hatte. Ich wähnte mich Dichter —<br />
und war der merkwürdigste Uebersetzer,<br />
ohne eine Ahnung davon zu haben!<br />
Um es kurz zu machen: ich bekam nacheinander<br />
meine sämtlichen noch uneröffneten<br />
Sachen zurück. Aber die Presse<br />
machte mir zuerst noch einen fürchterlichen<br />
Stunk.»<br />
Unser Zug lief in Aylesbury ein. Mein<br />
Gefährte stand auf und nahm seine Sachen<br />
aus dem Gepäcknetz. Auf dem Trittbrett<br />
wandte er sich noch einmal an mich:<br />
«Na, nun wissen Sie es. Für mich war es<br />
D£güstez j'aperitif<br />
par excellence<br />
eine abscheuliche Angelegenheit Aber wenn<br />
Sie rein literarisch Gebrauch davon machen<br />
können, soll mir's recht sein. Guten<br />
Tag, mein Herr!»<br />
Ich hatte noch vier Stationen vor mir,<br />
and während dieser Zeit wälzte ich seine<br />
Beichte in meinem Hirn. Der Mann war<br />
mir vollkommen ehrlich vorgekommen, die<br />
Geschichte, so wie er sie erzählte, schien auf<br />
Wahrheit zu beruhen.<br />
Aber was mich am meisten beunruhigt,<br />
ist das zwar vage, aber hartnäckige Gefühl,<br />
dass ich irgendwann und irgendwo diese<br />
Geschichte schon einmal im Druck gesehen<br />
habe. Können Sie mir sagen, wo?<br />
Der Mensch -«rächst in der Nacht und wird<br />
tagsüber kleiner.<br />
Wenigstens behauptet das der italienische<br />
Arzt Dr. Neroni, der auf Grund einer durch<br />
Jahre hindurch beobachteten Versuchsreihe<br />
zu diesem aufsehenerregenden Resultat gekommen<br />
ist. Er erklärt, es komme nur auf<br />
die Beschäftigung an, welcher der Mensch<br />
tagsüber nachgehe, ob er im Laufe das Tages<br />
einen, zwei oder gar drei Zentimeter an<br />
Länge einbüsst. Diejenigen, die während des<br />
ganzen Tages aufrechtstehen müssen, sacken<br />
stärker zusammen als solche, die eine sitzende<br />
Beschäftigung ausüben. Die verlorene<br />
Länge holen sie dann bei Nacht während<br />
des Schlafes wieder nach. Es sei also durchaus<br />
möglich, dass ein Mann, dessen Militärmass<br />
1,75 m beträgt, beim Aufstehen am<br />
Morgen 1,76, und abends beim Zubettegehen<br />
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