E_1935_Zeitung_Nr.055
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Bern, Dienstag, 9. Juli <strong>1935</strong> II. Blatt der „Automobil-Revue" No.55<br />
Jn den Dunen<br />
Von Hermann Hesse.<br />
Eingewiegt vom tönenden Meere<br />
Gleitetst da still dein Leben zurück,<br />
Fühlst verbraust dein wildestes Glück,<br />
Fühlst erlöst deine tiefste Schwere.<br />
Was dich einst wie eine Flamme verbrannte,<br />
Was dich einst wie Zauber berückt,<br />
Ferne liegt es verweht und zerstückt,<br />
Spiel nur war es der Wellen im Sande.<br />
Lächelnd siehst da vergangener Zeiten<br />
Stürme verflogen and wartest still,<br />
Ob dich dein Glück nun wiegen und hegen<br />
will<br />
Oder zu neuen und wilderen Stürmen bereiten.<br />
£)e% JCwtuenfiuttd<br />
Eine Parabel von Max Hayek<br />
Ich fuhr einmal in einem Limited, das<br />
heisst in einem amerikanischen Schnellzuge,<br />
der weite Gegenden durchquerte, in denen es<br />
viele Farmen gab.<br />
Und da war eine Farm, die unweit vom<br />
Geleise stand — und der Farmer, der auf<br />
dieser Farm lebte, hatte einen Hund, einen<br />
unmöglichen Hund, wie ich feststellen konnte.<br />
Ich nannte ihn später nur noch den Kurvenhund.<br />
Denn dieser Hund rannte jedem Zug,<br />
der daherkam, wütend entgegen, ja, er rannte<br />
ihm nicht nur entgegen, sondern er rannte<br />
ihm auch noch eine Strecke lang nach und<br />
bellte dabei einfach fürchterlich. Und dann<br />
lief dieser Hund mit hängender Zunge, keuchend<br />
und völlig erschöpft, wieder zu seiner<br />
Farm zurück und ruhte sich aus.<br />
Die Züge nahmen von dem Gezeter dieses<br />
nervösen Vierfüßlers, wie sieh von selbst versteht,<br />
keine Notiz und blieben bei ihrer<br />
Schnelligkeit. Dieser Hund schien etwas zu<br />
spät auf die Welt gekommen zu sein, denn<br />
er gebärdete sich als ausgeheilter — weil<br />
man doch bei einem Hunde nicht gut sagen<br />
kann: ausgesprochener — Gegner des,Maschinenzeitalters.<br />
Wenn die Züge anrollten und dieser Hund<br />
ihnen entgegentobte, nahm er immer eine<br />
grosse parabolische Kurve. Und an dieser<br />
Kurve gab es einen Graben. Und in diesen<br />
Graben purzelte der Hund jedesmal hinunter,<br />
überkugelte sich, rappelte sich dann wieder<br />
auf, stand eine Weile auf allen Vieren, schüttelte<br />
sich, keifte dem Zug einen Fluch nach<br />
— und trottete mit hängender Zunge und<br />
ausser Atem wieder heim.<br />
Ich bin diese Strecke oft gefahren. Und so<br />
oft ich an der Farm vorüberkam, tobte der<br />
Hund daher und fiel in den Graben. Es war<br />
immer dasselbe Schauspiel. Er fiel in den<br />
Graben. Er lernte nichts. Er blieb derselbe<br />
Idiot, als den ich ihn beim ersten Mal erkannt<br />
hatte. Da war nichts zu machen.<br />
Und so erzähle ich hier dieses kleine Erlebnis<br />
von der Reise, weil ich glaube, dass<br />
es auch in der Menschenwelt etliche Exemplare<br />
gibt, die mit einer Beharrlichkeit das<br />
Sinnlose tun, die schon an die Narrheit des<br />
Kurvenhundes erinnert, und für die zeitlebens<br />
gilt: «Nichts gelernt und nichts vergessen».<br />
Die Schrift sagt es mit den Worten: «Wenn<br />
du den Narren im Mörser zerstössest mit<br />
dem Stämpfel wie Grütze, so Hesse doch<br />
seine Narrheit nicht von ihm.»<br />
Im übrigen eine schlichte Frage: Was<br />
würde denn der Kurvenhund mit dem Zuge<br />
getan haben, wenn er ihn endlich einmal erwischt<br />
hätte?<br />
Code gut, aUes qut<br />
Fabian Anastasius schrieb der neue Mieter<br />
auf ein Stück weissen Karton, stockte und<br />
setzte, mit einem leisen Auflachen noch, einen<br />
Namen — «Urban» — dahinter. Damit trat<br />
er vor die Tür und heftete es mit einem Nagel<br />
fest. Einen Augenblick blieb er davor stehen<br />
und betrachtete schmunzelnd sein Werk, dann<br />
kehrte er langsam in sein Zimmer zurück.<br />
Vor dem Spiegel blieb er stehen und musterte<br />
nachdenklich sein Gesicht, das das wellige<br />
Glas verzerrt wiedergab. Ein Seufzer stahl<br />
sich von seinen Lippen und sich mit einem<br />
Ruck abwendend, ging er mit langen Schritten<br />
auf und ab.<br />
Sein Name und sein Gesicht passten zusammen.<br />
Das war der Fluch seines Lebens.<br />
Wenn die Menschen ihn sahen und seinen<br />
Namen hörten, dann lächelten sie meist —<br />
die einen spöttisch, die andern mitleidig —<br />
und nur wenige nahmen ihn ernst. Früher war<br />
er zornig geworden, dann hatte er eingesehen,<br />
dass es aussichtslos ist, gegen den<br />
Fluch der Lächerlichkeit anzukämpfen. Da<br />
war er still geworden und seinen Weg gegangen<br />
und hatte die Menschen gemieden,<br />
wo er nur konnte. Lange Zeit ging auch alles<br />
gut. Er ging am Morgen in das Geschäft, wo<br />
ihn* alles kannte und keines mehr lachte. Sein<br />
Essen nahm er in einer kleinen Pension unter<br />
lauter älteren Leuten ein. Und dort lernte er<br />
auch das Mariele kennen.<br />
Das Mariele war die Nichte der alten Pensionsmutter<br />
Aberle. Sie hatte eine mollige<br />
Gestalt, ein gutmütiges Gesicht und ein<br />
helles, klingendes Lachen. Sie brachte Leben<br />
und Frohsinn mit, und der Missmut verschwand<br />
wie der Märzschnee vor der Sonne.<br />
Da pochte sein Herz jedesmal schneller, wenn<br />
er mit ihr sprach. Auch Mariele schien sich<br />
in seiner Gegenwart wohl zu fühlen. Oft/<br />
wenn das Essen vorüber war und die Arbeit<br />
in der Küche getan, setzte sie sich noch eine<br />
Stunde zu ihm, um zu plaudern. Nur sein entstelltes<br />
Gesicht hielt ihn davon ab, um sie zu<br />
werben.<br />
Ein Jahr und einige Monate war so alles<br />
gut gegangen, dann kam eines Tages der<br />
Müller — Herr Friedrich Müller, Büroangestellter<br />
bei Karmann u. Co. — gebügelt und<br />
geschniegelt, mit einem Mundwerk wie eine<br />
Mühle und einem ebenmässigen weisshäutigen<br />
Knabengesichtchen angestürmt und eroberte<br />
sich Mariechens kleines Herzchen mit seinen<br />
Sprüchen im Sturm. Wohl sass sie auch jetzt<br />
noch jeden Abend bei ihm, aber er hatte sie<br />
nie mehr allein, immer war dieser Andere<br />
dabei und bestritt die ganze Unterhaltung<br />
allein und zwar so, dass das Mädchen aus<br />
dem Lachen nicht mehr herauskam. Immer<br />
überflüssiger kam er sich da vor, und zuletzt<br />
fasste er den Entschluss, sich nach einer<br />
anderen Pension umzusehen. Dann kam die<br />
Geschichte mit dem Geschäft — sein Chef<br />
verunglückte, das Geschäft wurde aufgelöst<br />
— und er nahm kurzerhand eine Stellung in<br />
einer anderen Stadt an. Beim Abschied<br />
weinte das Mariechen und bat ihn zu schreiben.<br />
Aber bei Mädchen und Frauen sind die<br />
Tränen ja so billig, so dachte er wenigstens<br />
zu jener Zeit.<br />
In der Fremde ging es ihm gut, er wurde<br />
bald Teilhaber seines Chefs, und heute gehörte<br />
die ganze Firma ihm. Mit seinem Vermögen<br />
war auch sein Selbstbewustsein gewachsen,<br />
und kein Mensch wagte es heute<br />
mehr, über den reichen Herrn Fabian Anastasius<br />
Hase spöttisch oder gar mitleidig zu<br />
lachen. Nur den Frauen gegenüber war er<br />
scheu geblieben, und trotz der fünfzehn<br />
Jahre, die vergangen waren, hatte er das<br />
Mariechen nie ganz vergessen können. In den<br />
Nachdruck verboten.<br />
einsamen Nächten hatte er oft gegrübelt, ob<br />
die Tränen beim Abschied nicht doch etwas<br />
mehr als die üblichen Krokodilstränen zu bedeuten<br />
hatten. Anfangs — als sein Zorn noch<br />
frisch war — hatte er nur den Kopf geschüttelt<br />
und die Angelegenheit mit einem verächtlichen<br />
«Weiber» abgetan, später war das<br />
nicht mehr so leicht, und immer mehr kam er<br />
zu der Erkenntnis, dass er mit seiner übereilten<br />
Abreise den grössten Fehler seines<br />
Lebens begangen hatte. Aber Tag um Tag,<br />
Jahr um Jahr war vergangen, bis er Zeit<br />
fand, die weite Reise zu unternehmen, um<br />
sich Gewissheit zu verschaffen. Jetzt wohnte<br />
er wieder in der Pension Aberle, hatte sich<br />
unter dem Namen Urban ein Zimmer genommen<br />
und sah voll Spannnung der Essenszeit<br />
entgegen.<br />
Wieder trat er vor den billigen Spiegel des<br />
Mietzimmers und musterte sein Gesicht. Nein,<br />
sicher würde ihn keines mehr erkennen. Aus<br />
dem jungen dreiundzwanzigjährigen Burschen<br />
war ein Mann geworden, dessen Haar an den,<br />
Schläfen schon grau war. Die Hasenscharte<br />
verunzierte zwar immer noch sein Gesicht,<br />
auch die Nase schaute noch immer gleich<br />
vorwitzig in den Himmel, aber er trug jetzt<br />
einen kleinen Bart, der die beiden Schönheitsfehler<br />
etwas milderte. Sein Herz begann aber<br />
doch zu pochen, als das Mädchen in diesem<br />
Augenblick eintrat und meldete, dass das<br />
Essen bereit sei.<br />
Hier war die Zeit wohF stillgestanden. Um<br />
den Tisch sassen wie früher nur ältere Leute,<br />
und richtig waren noch einige seiner alten<br />
Bekannten dabei. Als ihn keiner von diesen<br />
erkannte;-setzte er sich mit einem Seufzer<br />
der Erleichterung nieder. Ein Mädchen trug<br />
das Essen auf, Löffel, Messer und Gabel begaMerf'zu<br />
klappern. Auch Fabian Anastasjus<br />
Hase (oder wie er sich nannte: Urban) begann<br />
zu essen. Doch während der ganzen Zeit<br />
wandte er keinen Blick von dem Schiebefenster<br />
der Küche, durch das die Schüsseln<br />
und Platten hereingereicht wurden. Einmal<br />
glaubte er dort auch das Gesicht der Ersehnten<br />
zu erkennen, doch als er noch schärfer<br />
hinschaute^ sah er, dass es die alte runzlige<br />
Köchin war.<br />
«Da soll doch •••».» fluchte er vor sich<br />
hin.<br />
«Bitte!», fragte sein Nachbar, ein älterer<br />
Herr.<br />
«Ach, ich finde diesen Kalbsbraten ausgezeichnet»,<br />
sagte er. —<br />
«So !» — grunzte der andere hämisch.<br />
«Ja gewiss!» — versicherte er wieder im<br />
Bruston der Ueberzeugung und etwas ärgerlich,<br />
ohne den Blick von dem Fenster zu<br />
wenden.<br />
Jetzt lachte sein Nachbar leise auf und<br />
sagte dann in der leise dozierenden Art eines<br />
alten Lehrers: «Das ist Vanillepudding, mein<br />
Herr!» —<br />
«Vanillepudding», sagte Hase und schaute<br />
erstaunt auf seinen Teller — «ja, ja. Pudding,<br />
natürlich meinte ich Pudding!» — Dann ass<br />
er schweigend aber innerlich vor Spannung<br />
und Aerger kochend weiter, während sein<br />
Nachbar den andern Gästen ein Zeichen<br />
machte, dass es bei ihm nicht ganz richtig<br />
im Oberstübchen sein müsse. Endlich war die<br />
Mahlzeit beendet und Fabian legte mit einem<br />
Seufzer der Erleichterung das Besteck nieder.<br />
Da ging die Küchentür auf und — Fabian<br />
fühlte, wie sein Herz plötzlich rascher schlug<br />
— und herein trat nun die alte Frau Aberle.<br />
Mit einem Lächeln trat sie auf ihn zu und<br />
fragte, ob ihm das Essen geschmeckt habe,<br />
und gab der Hoffnunng Ausdruck, es möchte<br />
ihm recht lange bei ihnen gefallen. Enttäuscht<br />
Motiv aus dem alpinen Strandbad Flims.-<br />
wie er war, gab Fabian nur kurze, Antwort,<br />
stand auf und setzte sich auf den Stuhl am<br />
Fenster, wie er es früher immer nach dem<br />
Essen getan hatte. Er überlegte sich gerade,<br />
ob es nicht am besten sei, wenn er sein Bündel<br />
packte und wieder abreisen würde, «da<br />
das Mariechen sicher gar nicht mehr hier<br />
oder schon verheiratet war, da hörte ef hinter<br />
sich eine Stimme, die ihn förmlich hochriss,<br />
und sich umschauend sah er die Ersehnte<br />
vor sich stehen.<br />
Mollig, mit einem gutmütigen Lächeln auf<br />
den Lippen stand sie da, etwas älter und gesetzter,<br />
aber eher noch hübscher und begehrenswerter<br />
als sie in seiner Erinnerung gelebt<br />
hatte.<br />
«0, entschuldigen Sie, ich habe Sie erschreckt!»<br />
— sagte sie zu ihm.<br />
«0 bitte! — Ihre Stimme — ah eine Bekannte<br />
— ja eine Bekannte von mir hat eine<br />
Stimme — ja, ja, genau wie die Ihre!»' — ><br />
stammelte er, während er sie mit den Augen<br />
beinahe verschlang.<br />
Mariechen zog einen Stuhl heran, wie sie<br />
es früher oft getan hatte, setzte sich mit ruhiger<br />
Selbsverständlichkeit neben ihn und<br />
meine: «Auch Sie erinnern mich an einen lieben<br />
Bekannten, der früher hier gewohnt hat.»<br />
Und mit einem Seufzer fügte sie bei: «Aber<br />
das ist schon lange her!» —<br />
«Und doch haben Sie ihn noch nicht, vergessen?»<br />
— fragte Fabian mit Herzklopfen.<br />
«0, man vergisst das nicht so leicht.»<br />
«Na, wenn er so war wie ich, dann, wirkte<br />
er etwas komisch. Das vergisst man.nicht so<br />
leicht, da haben Sie recht!» — rief er bitter.<br />
«Komisch! sagten Sie. Nein, er wirkte nicht<br />
komisch, so wenig wie Sie. Was sollte da<br />
auch komisch sein? Höchstens der Abschied,<br />
— ja — denn er war eifersüchtig. Das warkomisch,<br />
denn der andere war ja nur so ein.<br />
Milchsuppengesicht!» — , !<br />
«Hm, gaben Sie ihm Grund zur Eifersucht?»<br />
—<br />
«Ja! Ich wollte es haben. Er hatte keinen<br />
Mut. Da wollte ich ihn durch Eifersucht an-.<br />
stacheln, dass er redet ......<br />
i<br />
«Und da ging er davon!» — lachte Fabian<br />
heiter dazwischen. ,<br />
«Ja!» — sagte sie und senkte den Kopf.,<br />
«Vielleicht kommt er wieder!» — meinte<br />
er lachend.<br />
«Möglich!» — sagte sie. «Aber er hat auch,<br />
jetzt noch keinen Mut.» — ,<br />
Sonnenbräunen, gipfelkraxeln, tennisspielen oder nach altbewährtem<br />
Rezept ganz einfach Faulpelz sein? — Ein Rat: Kommen Sie zu uns nach<br />
Adelboden, Sie finden alles; nach Lust urid Laune: Die schneeigen Drei'<br />
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