E_1936_Zeitung_Nr.081
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DIENSTAG, 6. OKTOBER <strong>1936</strong><br />
V>U dUV>w4d tidea<br />
Alkoholbudget- und Beimischungsdebatte im Nationalrat.<br />
Das Parlament hat gesprochen. Mit der<br />
Annahme des famosen Alkoholbudgets durch<br />
den Nationalrat, das er in der Junisession —<br />
entgegen allen geheiligten parlamentarischen<br />
Gepflogenheiten — an den Bundesrat zurückgewiesen,<br />
ist uns der Spritbeimischungszwang<br />
endgültig und unwiderruflich beschert worden.<br />
Ueber das flammende, von leidenschaftlichem<br />
Gerechtigkeitssinn getragene «J'accuse»<br />
des Genfers Lachenal, über die eindringliche<br />
Warnung Minister Stuckis, über die<br />
Bedenken des Unabhängigen Schnyder hinweg<br />
hat die Volksvertretung in kühler Gelassenheit<br />
die Zumutung sanktioniert, das Automobil<br />
für das klägliche Versagen der Alkoholverwaltung,<br />
für das Fiasko eines Regiebetriebes<br />
büssen zu lassen, woran es nicht der<br />
Schimmer einer Schuld trifft Das möchten<br />
wir auch heute wieder festgehalten haben.<br />
Man komme uns nicht mit dem «tröstlichen »<br />
Einwand, das Motorfahrzeug kriege ja die<br />
Folgen der Beimischung nicht zu spüren.<br />
Schon der mit dem Beschluss geschaffene<br />
Präzedenzfall gibt zu den schwersten Bedenken<br />
Anlass, ist er doch geeignet, eine ganz<br />
neue, ungemein «vielversprechende» Aera<br />
fiskalpolitischer Tätigkeit einzuleiten, der sich<br />
wunderbare Wege eröffnen..*<br />
Ganz unerwartet freilich kam dieser Ausgang<br />
der Redeschlacht nicht, denn das Alkoholbudget<br />
fand einen Nationalrat vor, dessen<br />
Widerstandswille durch die vorangegangene<br />
Debatte über die Abwertung erschüttert und<br />
ins Wanken geraten war. Und wer die mehrstündige<br />
Diskussion verfolgte, der konnte sich<br />
des Eindrucks nicht erwehren, als ob der<br />
etwas mitgenommene Rat nur darauf dränge,<br />
unter dieses leidige Kapitel Alkohol, von dem<br />
man nachgerade genug hatte, endlich einmal<br />
den Schlußstrich zu ziehen, ob gehauen oder<br />
gestochen.<br />
Wenn es dessen überhaupt noch bedurfte,<br />
so wurde ihm dieser Entschluss erleichtert<br />
durch den Rückzug von Herrn Lachenais<br />
Rückweisungsantrag. Was ihn dazu bewogen<br />
haben mag? Wohl die bindende Zusage Bundespräsident<br />
Meyers, dass mit der Genehmigung<br />
des Budgets noch nichts über eine Erhöhung<br />
des Benzinpreises als Folge der Beimischung<br />
ausgesagt sei und dass der Bericht<br />
über die Reorganisation der Alkoholverwaltung<br />
ungefähr auf Jahresende erscheine. In<br />
Zusammenhang mit der Abwertung werde der<br />
Benzinpreis eine Neuregelung erfahren und<br />
dabei sollten sich Mittel und Wege finden lassen,<br />
den Beimischungszwang ohne eine Preisveränderung,<br />
ohne Mehrbelastung des Automobilisten<br />
zu verwirklichen.<br />
Um es zu wiederholen: Mit der Abwertung<br />
steigt der Benzinpreis an der Grenze um 3—4<br />
Rappen, sagen wir um 3,5 Rp. Darin aber,<br />
dass der Bundesrat neben der sofortigen Bestandesaufnahme<br />
für Kohle, Mehl, Hafer usw.<br />
auch diejenige für Benzin angeordnet hat,<br />
scheint doch das Eingeständnis zu liegen, er<br />
zähle auch den Treibstoff mit zu den unentbehrlichen<br />
Bedarfsartikeln. Sofern nun aber<br />
der in einsamer Höhe thronende Benzinzollansatz<br />
von 320 % des Warenwertes um 3,5<br />
Rp. ermässigt werden sollte, darf man wohl<br />
annehmen, der Bund werde es (wenn's auch<br />
schwer fällt) über sich bringen, gleich auf<br />
4,5 Rp. zu gehen, womit das Gemisch dann<br />
auf 43 Rp. zu stehen käme. Mit einer blossen<br />
Anpassung des Zolls, mit der Beibehaltung<br />
des status quo also kann sich der motorische<br />
Verkehr indessen nicht zufrieden geben. Wie<br />
hat sich doch Bundespräsident Meyer geäussert:<br />
Der Verkehr müsse sich wieder beleben!<br />
Die logische Konsequenz daraus aber heisst:<br />
Herab mit dem Benzinpreis auf 36 Rappen!<br />
Dann wird der Verkehr neue Impulse, neuen<br />
Auftrieb erhalten. Wer a sagt, Herr Bundespräsident,<br />
muss auch b sagen!<br />
FILM DER DISKUSSION<br />
Herr Stutz, der Kommissionsreferent, will die<br />
Frage der Beimischung von Alkohol zum Benzin<br />
zuerst anschneiden, weil sie in der automobilistischen<br />
Presse sehr starke Diskussionen ausgelöst hat.<br />
Die von der Alkoholverwaltung eingesetzte technische<br />
Kommission hat veranlasst, dass die Eidg.<br />
Materialprüfungsanstalt in Verbindung mit der<br />
Postverwaltung Versuche nach dieser Richtung hin<br />
durchführte.<br />
In seinem Bericht kommt Prof. Sohlaepfer zum<br />
Ergebnis, dass die Beimischung von 15—20°/o Alkohol<br />
einen Treibstoff liefere, der den Nutzeffekt<br />
des reinen Benzins übertreffe, ohne dass Aenderungen<br />
am Motor nötig wären. Die Verwendung<br />
von unentwässertem Alkohol unter Beigabe eines<br />
Stabilisators lieferte in ebenem Gelände günstige<br />
Resultate, doch tritt ein beträchtlicher Mehrverbrauch<br />
ein, sobald Steigungen zu überwinden sind;'<br />
AUTOMOBIL-REVUE<br />
Für die Beimischung kommt nur entwässerter Alkohol<br />
in Frage, ein Standpunkt, den auch die Ver-<br />
müssen Bewegungsfreiheit und Möglichkeit der Entkoholverwaltung<br />
su betrauen. Dem « neuen Mann ><br />
treter der Armee teilen. Auf jeden Fall ist diefaltung gegeben werden, denn es wäre ein Unding,<br />
Frage der Beimischung nach der technischen Seite ihm zuzumuten, in den Fußstapfen seines Vorgängers<br />
zu wandeln und dessen Ideen zu übernehmen.<br />
hin abgeklärt. Im übrigen empfiehlt die Kommission,<br />
vorderhand nur eine Entwässerungsanlage Hier ist ein Fehler begangen worden, eine Herausforderung<br />
an die Adresse jener, die ehrlich und<br />
in Betrieb zu nehmen, deren Standort sich in der<br />
Innerschweiz befinden müsste.<br />
aufrichtig bemüht waren, dem Bundesrat die Gefahren<br />
aufzuzeigen, die sich erheben, wenn der<br />
Wenn die Via Vita in ihrer Eingabe vom 5. September<br />
eine Einschränkung oder Unterbindung der bisherige Weg weiter beschritten wird.<br />
Alkoholeinfuhr verlangt und die Behauptung aufgestellt<br />
hat, die Alkoholverwaltung zahle bei derin der Mangelhaftigkeit des Gesetzes<br />
Gewiss, das katastrophale Defizit liegt zum Teil<br />
begründet.<br />
Beimischung eine Million drauf, so ist darauf zu<br />
erwidern, dass sie einzig am Importsprit verdienen<br />
kann. Mittel und Wege zur Beschränkung der Alkoholproduktion<br />
werden gesucht und befinden sich<br />
zur Zeit teilweise auch bereits in Anwendung. Zu<br />
überlegen bleibt, ob die Entwässerung nicht zusammen<br />
in einem Arbeitsgang mit der Rektifikation<br />
verbunden werden könnte. Der Nationalrat hat das<br />
Budget zurückgewiesen mit dem Auftrag, den ganzen<br />
Komplex der Alkoholfrage nochmals zu studieren.<br />
Das ist geschehen. Die Fachkommission hat<br />
eine ganze Reihe neuer Massnahmen angeregt. Was<br />
heute noch fehlt, sind die Vorschläge für eine Förderung<br />
der Umstellung des Obstbaues. Aenderungen<br />
am Budget sind vom Bundesrat nicht beantragt worden,<br />
wohl aber hat er Erklärungen über die von<br />
ihm beabsichtigte Neuordnung abgegeben. Zweifellos<br />
werden einige Ausgabeposten des Budgets<br />
durch die Abwertung eine Reduktion erfahren, so<br />
dass der auf eine halbe Million berechnete Ueberschuss<br />
bestimmt überstiegen wird.<br />
Herr Paschoud referiert in französischer Sprache<br />
für die Kommission. Ohne eine Aenderung des<br />
gegenwärtigen Systems kann man dem Bund nicht<br />
zu Neueinnahmen verhelfen. Wenn nun die Umstellung<br />
des Alkoholregimes erfolgen muss, so erhebt<br />
sich dabei auch die Frage, ob es nicht angezeigt<br />
wäre, zum alten System zurückzukehren, denn<br />
die gegenwärtige Regelung lähmt den Handel vollständig.<br />
Der Redner befassj sich sodann mit den<br />
in der Nachtragsbotschaft angeführten Massnahmen<br />
und kommt dabei auch auf die Spritbeimischung<br />
zu sprechen, das einzige Mittel, um den<br />
Vorräten einen Abfluss zu verschaffen. Es handelt<br />
sich hier lediglich um eine vorübergehende und in<br />
quantitativer Hinsicht beschränkte Hilfe. Durch<br />
dieses Vorgehen würde der Benzinpreis um einen<br />
Rappen erhöht, aber auf der andern Seite bietet es<br />
nicht zu unterschätzende Vorteile für die Landesverteidigung.<br />
„Zart mit diesem !Badget und dem O&eU<br />
mi&chuHQSizwang." faedeet TlatUutattat<br />
£adienal.<br />
Herr Lachenal dankt dem — übrigens im Saal<br />
anwesenden — Alkoholdirektor Tanner dafür, dass<br />
er die Konsequenzen gezogen und seine Demission<br />
eingereicht hat. Um so grösser ist die Verblüffung,<br />
dass Bundesrat und Finanzdepartement von diesem<br />
Rücktritt noch keine Kenntnis haben nehmen<br />
wollen und noch keine Anstalten für die Wahl eines<br />
Nachfolgers getroffen worden sind. Es ist auch<br />
ein starkes Stück, dass im Departement die Absicht<br />
bestand, den bisherigen Inhaber dieses Postens<br />
mit der Prüfung der Reorganisation der Al-<br />
Aber der Vorwurf kann Herrn Tanner nicht erspart<br />
bleiben, dass er nicht sofort Alarm schlug,<br />
als er der bedenklichen Entwicklung der Dinge gewahr<br />
wurde, dass er sie durch Budgets verschleierte,<br />
welche der Wirklichkeit nicht gerecht wurden.<br />
Heute scheint der Bundespräsident einen n$eh<br />
gefährlicheren Weg einschlagen zu wollen, denn betrachtete<br />
man in den bisherigen Kritiken gegen die<br />
Alkoholverwaltung den Bundesrat mehr als ein<br />
Opfer denn als Miturheber, so darf man sich nicht<br />
wundern, wenn das Volk jetzt anfängt, die Verantwortlichkeit<br />
direkt dem Bundesrat zuzuschieben, sofern<br />
er auf seinem bisherigen Verhalten beharrt.<br />
Das Vorgehen, nacheinander zwei Budgets auszuarbeiten,<br />
von denen keines der Wirklichkeit Rechnung<br />
trug und deren fiktive Verbesserung einzig<br />
und allein auf dem famosen Spritbeimischungszwang<br />
beruhte, dieses Vorgehen hat das Mass voll<br />
gemacht. Man will 60.000 Hektoliter Alkohol in<br />
Brennstoff umwandeln, aber dabei besteht gar keine<br />
definitive Absicht, die Beimischung zu verwirklichen,<br />
noch sind die hiefür nötigen Vorarbeiten an<br />
die Hand genommen worden. In Tat und Wahrheit<br />
schliesst das Budget mit einem<br />
Defizit von 5% Millionen<br />
ab. Ueber die Beimischung hat man vcn den Kommissionsreferenten<br />
nur Banalitäten vernommen.<br />
Die Frage ist nicht die, ob es gelingt, dem Benzin<br />
10% oder 20% Alkohol beizumischen, sondern die,<br />
wie teuer das "Experiment zu stehen kommt, ob es<br />
nützlich und angezeigt ist. Warum stellt man den<br />
Einnahmen aus dem Verkauf von 60.000 Hektoliter<br />
Alkohol nicht den allerdings weniger erfreulichen<br />
Posten der direkten und indirekten Kosten gegenüber,<br />
die sich um 2,5 Millionen herum bewegen?<br />
Diese Summe nämlich erheischt die Einführung der<br />
Spritbeimifichung. Gewiss sind Versuche mit dem<br />
Gemisch unternommen worden, aber die Erfahrungen<br />
haben gelehrt, dass die Zukunft dem Dieselmotor<br />
gehört. Man frage doch einmal die Post- und<br />
Telegraphenverwaltung um ihre Meinung und man.<br />
wird die Antwort erhalten, dass die Alpenwertungsfahrt<br />
klar und einwandfrei die Ueberlegenheit<br />
des Diesels erwiesen hat.<br />
Warum wagt man nicht, ein Budget mit einem<br />
Fehlbetrag von 5,6 Millionen vorzulegen, wie es den<br />
Tatsachen entspricht? Weil man Angst vor dem<br />
Geständnis hat, die Regie arbeite mit Verlust Als<br />
ob das ein Geheimnis wäre! Ich würde auch einen<br />
defizitären Voranschlag annehmen, weil ich mir<br />
nicht verhehle, dass man heute daran nichts ändern<br />
kann. Wenn ich die Rückweisung beantrage,<br />
so liegt darin das einzige Mittel, um die Behörden<br />
zu zwingen, wenigstens einen<br />
Versuch zur Verbesserung der Lage<br />
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