E_1939_Zeitung_Nr.066
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N° 66 — DIENSTAG, 15. August <strong>1939</strong> AUTOMOBIL-REVUE 15<br />
An der Grenze* des Renntempos ?<br />
Die Einführung der windschlüpfigen Rennwagenaufbauten<br />
brachte einen gewaltigen Aufstieg<br />
des Renntempos.. Seitdem nähern sich die erreichten<br />
Renngeschwindigkeiten scheinbar bestimmten<br />
Grenzwerten, welche für jede bestimmte Strecke,<br />
also z. B. Bern oder den Nürburgring oder Freiburg<br />
auf ganz verschiedenen Höhen liegen, sich<br />
aber für jede einzelne dieser Pisten von Jahr zu<br />
Jahr nur mehr verhältnismässig wenig verändern.<br />
(Bern - 175 km/St.)<br />
Der Grund, warum die Renngeschwindigkeiten<br />
der gleichen Fahrzeuge auf verschiedenen Strecken<br />
so ungleich ausfallen, liegt natürlich in der Eigenart<br />
des Parcours, der durch Kurven, Steigungen<br />
und anderes mehr die Fähigkeiten der Rennwagen<br />
zum Beschleunigen, zum Bremsen, ihre Strassenlage<br />
und andere Eigenschaften in grösserem oder<br />
auch geringerem Grade in Anspruch nimmt. Es ist<br />
das ebenso, wie wenn man auf einer Reichsautobahn<br />
mit einem kleinen Wagen wirkliche 100 km<br />
in einer Stunde zurücklegt, einem Wagen, der auch<br />
mit dem besten Fahrer, grösster Anstrengung und<br />
Spitzengeschwindigkeiten von weit über 100 km/h,<br />
auf der daneben liegenden Reichsstrasse seine<br />
Reise geschwindigkeit nicht über 70 km/h, zu<br />
steigern vermag, während er auf Alpenpässen vielleicht<br />
mit 50 km/h. Reisegeschwindigkeit schon<br />
ganz vortrefflich ausgefahren ist.<br />
Es handelt sich also um zwei Fragen:<br />
1. Ist das dauerfeste Grenztempo unserer Rennwagen<br />
auf freier Strecke noch erheblich steigernngsfähig?<br />
2. Sind noch erhebliche Fortschritte hinsichtlich<br />
Beschleunigungsvermögen, Bremsvermögen,<br />
Strassenlage usw. zu erwarten?<br />
Eine dritte Frage wäre noch die, ob sich durch<br />
Aenderung der Ausmasse der Fahrzeuge erhebliche<br />
Temposteigerungen erzielen Hessen. Es ist ja eine<br />
alte Erfahrung, dass bei Geschwindigkeitssteigerungen<br />
zunächst schwere Fahrzeuge bahnbrechend<br />
vorangehen, und dass sie dann von leichten Fahrzeugen<br />
mit kleinen Motoren wirtschaftlicher nachgemacht<br />
werden. Im Rennsport haben wir das<br />
soeben durch die erstaunlichen Leistungen des<br />
1% -Liter-Mercedes erlebt.<br />
Die Hauptfrage, mit der Rennwagen zu tun haben,<br />
bildet die Härte der Luft.<br />
Härte ist ein relativer Begriff. Wenn man in<br />
der Badewanne mit der flachen Hand auf das<br />
Wasser schlägt oder im Freien mit dem Bauch<br />
auf das Wasser platscht, dann weiss man, wie ungemein<br />
hart bei entsprechend rascher Bewegung<br />
das anscheinend so flüssige und nachgiebige Wasser<br />
sein kann. Genau das gleiche gilt in einer anderen<br />
Grössenordnung für die Härte der Luft. Ein<br />
jeder weiss, dass ein schon recht gelinder Luftstrahl<br />
schwere Körper in der Schwebe halten kann.<br />
Wie hart Luft ist, offenbart sich, wenn man in der<br />
Nähe der Düse einen scharfen Pressluftstrahl mit<br />
dem Finger zu durchschlagen versucht. (Wegen<br />
Verletzungsgefahr benutze man zu diesem Versuch<br />
lieber einen gefühllosen Gegenstand und sorge dafür,<br />
dass dieser kein Unheil anrichtet, wenn er<br />
vom Pressluftstrahl aus der Hand gerissen wird.)<br />
Die Kurven des mit dem Tempo wachsenden<br />
Luftwiderstandes sind bekannt. Moderne Rennwagen<br />
fahren mit Geschwindigkeiten, bei denen<br />
die Luft schon ganz ausserordentliche Härtegrade<br />
annimmt. Da sie zur Ueberwindung des Luft-<br />
' Widerstandes viel mehr Pferdestärken aufwenden<br />
als für irgend etwas anderes, sollte man von ihnen<br />
gar nicht mehr als von erdgebundenen Wagen,<br />
sondern als von auch erdgebundenen — Luftfahrzeugen<br />
sprechen.<br />
Treibt -man einen Nagel in hartes Holz, dann<br />
geht das bei einigem Geschick ganz gut. In dasselbe<br />
Holz eine Schraube mit dem Hammer hineinzuschlagen,<br />
das wird meist nicht gelingen. Der<br />
Unterschied liegt darin, dass der Nagel an seiner<br />
Eindringstelle die Holzfasern nur auseinanderdrückt<br />
und, ohne sie im übrigen zu stören, zwischen<br />
sie hineinschlüpft. Dementsprechend erweist<br />
sich jene Bootsform als die beste, die das Wasser<br />
nur beiseite schiebt und zwischen dessen Teile<br />
hineingleitet, ohne es im übrigen zu beunruhigen.<br />
Je mehr Wirbel und Wellen, um so schlechter die<br />
Bootsform. Ganz genau gleich werden<br />
die windschlüpfigen Fahrzeuge in dem Sinn<br />
entwickelt, dass sie die harte Luft nach<br />
Möglichkeit nur beiseite schieben, womit sie<br />
sich hinter dem Fahrzeug ohne Wirbelbildung<br />
wieder federnd zusammenschliessen<br />
kann.<br />
Jede Unebenheit, welche diesen Vorgang der<br />
laminaren Strömung stört, erhöht den Luftwiderstand<br />
— ganz ebenso, wie ein Fehler der Nagelspitze<br />
oder des Nagelschaftes das Eindringen des<br />
Nagels in das Holz erschwert. Wie ein Fehler vorn<br />
am Nagel an der Spitze vielmehr ausmacht, als<br />
eine Unebenheit weiter hinten am Schaft — ganz<br />
ebenso gilt für die Windschlüpfigkeit, dass sich<br />
hinten nicht mehr ausbessern lässt, was etwa vorn<br />
in der Formung versäumt worden ist.<br />
Wonach sich diese Formen bestimmen? Nach<br />
den Ergebnissen der Versuche im Windkanal. Das<br />
allein genügt aber nicht. Man prüft die Formen<br />
auch auf der Strecke, und zwar dadurch, dass die<br />
Karosse mit einer grösseren Anzahl von einseitig<br />
befestigten Wollfäden beklebt wird. Wo die Strömung<br />
ruhig ist, also das Hineinschlüpfen glückte,<br />
bleiben die Wollfäden ruhig. An den Stellen jedoch,<br />
da Luftwirbel entstehen, fangen sie an zu<br />
toben. Dabei kommt es auf die unscheinbarsten<br />
Kleinigkeiten an — ganz besonders am Fahrzeugvorderteil.<br />
Weiter gilt es, die Empfindlichkeit der Fahrzeugformen<br />
gegen Seitenböen zu verringern. Solche<br />
Seitenkräfte wirken sich am Wagenvorderteil ungleich<br />
stärker aus als am Wagenhinterteil. Während<br />
also etwa die an sich windschlüpfigste Form<br />
vorn hoch ist und nach hinten abfallend verläuft,<br />
muss man die Rennwagen vorn sehr niedrig halten,<br />
um Seitenwinden an dieser empfindlichen Stelle<br />
möglichst wenig Angriffsmöglichkeiten zu bieten.<br />
Alle diese Dinge werden seit Jahren mit grösster<br />
Sorgfalt verfolgt. Die immer neuen Veränderungen<br />
an den Karosserieformen zeigen, dass man<br />
noch nicht am Ende ist. Das gilt besonders auch<br />
für die Fragen der Bauchausbildung, der durch<br />
die Räder verursachten Luftwirbel und für die<br />
Fragen von Auf- und Abtrieb (der scheinbaren<br />
fiewichtsveränderung] der beiden Achsen. Aber<br />
man hat doch den Eindruck, dass an Windschlüpfigkeit<br />
selbst nicht mehr viel zu gewinnen ist und<br />
alle diese Aenderungen in erster Linie der<br />
Fahrsicherheit,<br />
also unserer zweiten Frage gelten.<br />
Wenden wir uns ihr im einzelnen zu (also der<br />
Möglichkeit weiterer Fortschritte von Beschleunigungsvermögen,<br />
Bremsvermögen, Strassenlage usw.)<br />
so befinden wir uns ebenfalls an einer Grenze.<br />
Auch Vierradantrieb und Vierradsteuerung vermögen<br />
kaum eine grössere Reisegeschwindigkeit<br />
in Aussicht zu stellen. Es hängt eben alles an der<br />
eigenartigen Zwitterbeschaffenheit eines Rennwagens<br />
als bodengebundenes Fahrzeug, das Vortrieb<br />
und Steuersicherheit in erster Linie dem Kraftschluss<br />
zwischen Rädern und Boden verdankt und<br />
doch andererseits hinsichtlich seines Leistungsverbrauchs<br />
vor allem Luftfahrzeug ist. Wirklich erhebliche<br />
Fortschritte stehen daher wohl erst dann<br />
zu erwarten, wenn der Rennwagen aus dieser<br />
Zwitterstellung radikale Folgerungen zieht und für<br />
Vortrieb und Steuerung zusätzlichen oder sogar<br />
hauptsächlichen Halt in — der Luft sucht. Das<br />
scheint gedanklich durchaus möglich. Ob es Zweck<br />
oder auch nur Reiz hat, solchen kostspieligen Plänen<br />
nachzujagen, ist allerdings eine sehr grosse<br />
Frage.<br />
So deutet denn der heutige Stand der Dinge<br />
darauf hin, dass wir uns mit den Rennwagen<br />
rasch der erreichbaren Tempogrenze nähern, eine<br />
Auffassung, der übrigens für die Auto-Union Dipl.<br />
Ing. von Eberan in einem sehr beachteten Vortrage<br />
über Höchstleistung im Rennwagenbau eine<br />
wissenschaftlich-technische Untermauerung gegeben<br />
hat. Damit würde übrigens das allgemeine<br />
Interesse am Rennsport kaum erlahmen. Aber die<br />
Rennfahrer stünden künftig noch mehr gegenüber<br />
I den von ihnen benutzten Fahrzeugen im Vorder-<br />
| grund wie bisher.<br />
Für die Verbesserung der Windschlüpfigkeit steht neben den Versuchen im Windkanal noch ein<br />
zweiter Weg offen: das Wollfaden-Experiment, das wir in unserem Bilde an einem Adler-Sportwagen<br />
zeigen. An den Stellen, da die Strömung ru hig vorbeigleifet, die Form also richtig ist, bewegen<br />
sich währtnd der Fahrt die Fäden nicht, dort aber, wo Luftwirbel entstehen, fangen sie an zu<br />
toben, *<br />
2)c*«e«e BMW Sechszylinder<br />
ist eingetieften<br />
Der „grosse" Wagen<br />
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Wenn sie sich<br />
vom Schauplatz<br />
zurückziehen...<br />
Was<br />
wird aus ihnen?<br />
Von Hans Ruesch.<br />
Es ist nicht lange her, da begegnete Ich In<br />
Paris einem schlanken, sehr eleganten jungen<br />
Mann. Nichts an ihm verrief, dass er in Dutzenden<br />
von Grands Prix mit dabeigewesen ist und einige<br />
gewonnen- hat; nichts liess den Rennfahrer erkennen,<br />
dessen Erfolgliste eine Targa Florio aufweist,<br />
der gewohnt war, stundenlang „c mit 260<br />
Sachen drauf > durch Dreck und Regen zu preschen,<br />
der schon einige schwere Unfälle ohne<br />
schwere Folgen erlebt und die Farben seines Landes<br />
in dreissig Ländern, in Afrika, in Nord- und<br />
Südamerika verteidigt hat: Graf Antonio Brivio,<br />
cTonino» für die Leute vom Bau.<br />
Wir spiesen zusammen. Ich wollte wissen, was<br />
er jetzt treibt, denn Brivio zählte zu den «Assen>.<br />
Er war in Italien oft die Nummer Zwei, im Schatten<br />
des ewigen Nuvolari. Er gehört der alten<br />
Garde an, obwohl er erst 33 Jahre zählt.<br />
Vor zwei Jahren zog er sich zurück, weil er<br />
heiratete. Seine Frau wollte nicht, dass er weiterfahre.<br />
Jetzt leitet er die Geschäfte seiner Frau<br />
und eine eigene Fabrik in Biella. Aber er ist bei<br />
den meisten Rennen als Zuschauer anwesend.<br />
"Schon immer hat er Sport getrieben und immer<br />
mit Erfolg. Vielseitige sportliche Betätigung füllt<br />
all die Zeit aus, die ihm seine Geschäfte lassen.<br />
Er erzählte mir, wie er mit 14 Jahren seine Laufbahn<br />
als Fussballspieler begann, dann Daueriäufer<br />
wurde und dann Radrennfahrer, wobei er auch ein<br />
Rennen gewann. Das war mit 17 Jahren. Er sprang<br />
über das Motorrad hinweg und begann gleich<br />
mit dem Auto. Sobald er zv rennen aufgehört<br />
hatte, wollte er auch fliegen lernen, wie sein Jugendfreund<br />
Graf Trossi. Er erwarb das Brevet im<br />
letzten Jahr. Doch wie alle Rennfahrer vermag die<br />
Fliegerei auch ihn nicht ganz zu fesseln. Seine<br />
Lieblingsbeschäftigung ist Jagen. Auch als Bobfahrer<br />
ist er heute bekannt, denn zweimal vertrat<br />
er die italienischen Farben in den Weltmeisterschaften.<br />
Und was wird aus den andern Rennfahrergrössen,<br />
wenn sie sich zurückziehen ? Viele<br />
sind ihrer zwar nicht, denn es fällr schwer, den<br />
Rennsport aufzugeben. Immer wieder sagt man<br />
sich: «Nur noch ein Jahr», und fährt dann doch<br />
weiter. Campari, der sich bereits zurückgezogen<br />
und eine gutgehende Fabrik gegründet hatte, fuhr<br />
nur noch gelegentlich und kam bei einem dieser<br />
gelegentlichen Rennen ums Leben. Chiron, Varzi,<br />
Fagioli: wer würde seine Hand ins Feuer legen,<br />
dass sie nicht eines Tages wieder in die Arena<br />
steigen? Chiron zum Beispiel hörte nur deswegen<br />
auf, weil er als Franzose keinen deutschen Wagen<br />
mehr fahren konnte. Geld genug, um sorglos leben<br />
zu können, hat er schon lange. Er gilt überhaupt<br />
als einer der Rennfahrer, die mit ihrem Beruf am<br />
meisten verdient haben. Die Tatsache, dass er<br />
sparsam ist und als Monegaske keine Einkommenssteuer<br />
zu zahlen hatte, soll stark dazu beigetragen<br />
haben. Heut sieht man ihn häufig in den Vergnügungsstätten<br />
von Paris und Monte Carlo oder<br />
in Villa d'Este, aber wer vermag zu sagen, ob<br />
er nicht wieder aufersteht, sobald er den Wagen<br />
haben kann, den er möchte?<br />
Auch Caracciola wird genug auf die Seite gebracht<br />
haben, um später ein sorgenfreies Dasein<br />
führen zu können. Man ist schliesslich nicht umsonst<br />
fast zwei Jahrzehnte einer der erfolgreichsten<br />
Fahrer der Welt.<br />
Dann wird auch einem Nuvolari das, was er<br />
gespart, für später jedenfalls genügen, wenn es<br />
auch nicht soviel ist wie bei den vorgenannten<br />
Fahrern. Nuvolari führt fast ein Asketenleben, Luxus<br />
ist ihm lästig. Nur eine Leidenschaft kennt er:<br />
den Rennsport. Doch deswegen sagt man auch,<br />
dass sich Nuvolari nie zurückziehen wird.<br />
Es gibt einige Fahrer, die bereits gutgehende<br />
Geschäfte besassen, bevor sie den Rennsport aufnahmen,<br />
diesen also quasi als Nebenbeschäftigung<br />
oder -beruf betrieben. Wenn sie damit<br />
Schluss machen, widmen sie sich — das liegt<br />
nahe — wieder ganz ihrer früheren Tätigkeit. So<br />
besitzt Etancelin, vor ein paar Jahren der erfolgreichste<br />
Einzelfahrer in Europa, in Lyon grosse<br />
Wollefabriken, deren Leitung er sich jetzt wieder<br />
ganz widmen kann. Von Zeit, zu Zeit allerdings<br />
taucht er wieder in einem Rennen auf.<br />
Whitney Straight, der seinerzeit viel von sich<br />
reden machte und sich zurückzog, weil er trotz<br />
seiner Menge Geldes keinen deutschen Wagen<br />
kaufen konnte,, hat den Grossteil seines Vermögens<br />
in eine Flugzeugfabrik gesteckt, die jetzt in<br />
die englische Aufrüstungs-Hochkonjunktur hineingekommen<br />
ist und dem Besitzer ungeahnte Profite<br />
einbringt.<br />
Auch Embiricos, der schon früher im Geschäft<br />
seines Vaters, eines grossen Schiffreeders, arbeitete,<br />
hat nach dem schweren Unfall in Florenz vor<br />
ein paar Jahren seinen Lieblingssport aufgeben<br />
müssen. Man sieht ihn jetzt viel an der Riviera