E_1948_Zeitung_Nr.030
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Nr. 30 — MITTWOCH. 7. JULI 194R<br />
AUTOMOBIL-REVUE<br />
Grosser Preis von Europa<br />
Überlegener Alfa Romeo-Doppelsieg mir Trossi und Wimille. — Mehr als die Hälfte der<br />
Konkurrenten ausgeschieden. — Der Schweizer Fahrer Christian Kautz tödlich verunglückt<br />
Bei strahlender Sonne stellen sich um 4 Uhr<br />
nachmittags 20 Fahrer nach Massgabe der im<br />
Training erzielten Zeiten in nachstehender Reihenfolge<br />
zum Start für das Hauptereignis des Tages,<br />
den Grossen Preis von Europa, auf:<br />
Villoresi Farina Wimille<br />
Maserati Maserati , Alfa Romeo<br />
Ascari<br />
Trossi<br />
Maserati Alfa Romeo<br />
Chiron Sommer Sanesi<br />
Talbot Simca-Gordini' Alfa Romeo<br />
Pozzi<br />
Mays<br />
Talbot<br />
ERA<br />
de Graffenried Abecassis > 'Kautz<br />
Maserati Alta Maserati<br />
Biondetti<br />
Rosier<br />
Ferrari _ Talbot<br />
Prinz Igor Fagioli B. Bira<br />
Ferrari Maserati Maserati<br />
Giraud-Cabantous Comotti<br />
Talbot<br />
Talbot<br />
Bevor die Flagge des Rennleiters die Bahn frei<br />
gibt, erheben sich die Zuschauermassen auf den<br />
Tribünen — ein feierlicher Augenblick — zu einer<br />
Minute des Schweigens zu Ehren der beiden italienischen<br />
Fahrer Varzi und Tenni, die beim Training<br />
ihr Leben gelassen haben. Grossartig gelingt<br />
der Start und packend wiederum ist das Bild, wie<br />
sich das bunte Rudel der Wagen auf das Flaggenzeichen<br />
hin mit infernalischem Gedröhn in Bewegung<br />
setzt. Farina, der einen der sohneilen, mit<br />
zweistufigem Kompressor ausgerüsteten Maserati<br />
steuert -— dessen neues, schnittiges Modell Villoresi<br />
und Ascari in Bern erstmals vorführen — legt sich an<br />
die Spitze, währenddem Prinz Igor mit seinem kompressorlosen<br />
Zweiliter-Ferrari Schwierigkeiten hat<br />
und sich nur langsam von der Startlinie zu lösen<br />
vermag. Schon vor der Eymatt hat Wimille indessen<br />
Farina das Kommando entrissen und nach Vollendung<br />
der ersten Runde heisst die Reihenfolge:<br />
Wimille, Farina, Villoresi, Trossi und Ascari, wobei<br />
der Franzose bereits 5 Sekunden zwischen sich<br />
und Farina gelegt hat, währenddem dieser und<br />
Villoresi einerseits, Trossi und Ascari anderseits<br />
nur wenige Meter auseinander vorüberfiltzen.<br />
Sanesi, der dritte Alfetta-Fahrer und Sommer, der<br />
als Einziger mit dem 1430-ccm-SimcarGordini mit<br />
von der Partie ist, belegen die nächsten Ränge.<br />
Im langgezogenen Mittelfeld erscheinen Chiron,<br />
Bira, die Schweizer Kautz und de Graffenried, sowie<br />
Fagioli und ein weiterer Talbot mit Rosier In<br />
der zweiten Runde legt sich ein schwerer Schatten<br />
über die Veranstaltung: vergeblich erwartet man<br />
Kautz, bis der Lautsprecher nach einigen bangen<br />
Minuten die Nachricht bringt, er sei am Eingang<br />
der Waldkurve in der Eymatt ins Schleudern gekommen,<br />
gestürzt und schwer verletzt. Später trifft<br />
dann die wahrhaft «niederschmetternde Meldung<br />
ein, dass der sympathische Schweizer, der an der<br />
gleichen Stelle wie Tenni, jedoch auf die rechte<br />
Seite- der Piste hinausgetragen worden war, beim<br />
Züsammenprall mit einem Baum im Führersitz<br />
seines Maserati eingeklemmt blieb und dabei den<br />
Tod erlitt. (Einen Nachruf findet der Leser an<br />
anderer Stelle dieser Nummer.)<br />
Die voraussehbare und eklatante Ueberlegenheit<br />
der Aifette unterstreichend, gegen die kein<br />
Kraut gewachsen ist/ mu ! ss sthon in der dritten<br />
Runde Villoresi, de'r ein-bravouröses Rennen fährt,<br />
seinen dritten Platz an Trossi abgeben. Aus dem<br />
hinteren Feld steigt Rosier um vier Ränge empor,<br />
währenddem der Engländer Abecassis zwei Plätze<br />
gutmacht, um dann aber-leider nicht mehr gesehen<br />
zu werden. Beim: Ueberholen :in der Eymatt saust<br />
sein neuer Alta von der Piste ins Feld hinaus und<br />
wird ziemlich übel zugerichtet; der Fahrer selbst<br />
bleibt mit einer tüchtigen Dosis Glück unverletzt.<br />
Schon jetzt eröffnet Bira die Serie der Boxenhalte,<br />
die sich bald häufen und, einer Epidemie gleich<br />
grassierend, das Feld beinahe am laufenden Band<br />
dezimieren sollten. In der nächsten Runde ist die<br />
Reih$ an Sommer^ der sich bisher brillant geschlagen,'es<br />
jedoch nicht verhindern kann, dass ihn ein<br />
Motdrdefekt ausser Gefecht setzt. De Graffenried<br />
startet eine resolute Attacke^ wobei er in einer<br />
einzigen Runde drei seiner Gegner auf ,die Knie<br />
zwingt. Dem « Beispiel > Sommers folgt auch Comotti:<br />
nach einem ersten Boxenbesuch in der<br />
5. Runde, wodurch er fast au den Schluss zurückfällt,<br />
streckt er-kurz hernach wegen Bruch einer<br />
Oelleitung die Waffen endgültig. Vorn hat derweilen<br />
Wimille, obwohl natürlich von keiner Seite<br />
irgendwie gefährdet, kräftig aufgedreht und fegt<br />
jetzt, klar dominierend, mit einem Tempo von gegen<br />
150 km/h über die Piste. Fast zehn Sekunden trennen<br />
ihn von Farina, der seinerseits wieder — zwischen<br />
zwei Feuern — seinen Vorsprung auf_ Trossi<br />
langsam, aber sicher schwinden sieht. Von sechzehn<br />
Sekunden in der dritten ist er jetzt in der<br />
fünften Runde bereits auf 8,5 Sekunden zusammengeschmolzen.<br />
Gleichzeitig hält Trossi den<br />
draufgängerischen Villoresi in Schach, der sich ihm<br />
bis auf Sekundenbruchteile nähert, aber nicht vorbeikommt.<br />
Mit eingeschlagener Kühlerfront, die er<br />
schon seit einigen Runden zur Schau trägt, trudelt<br />
jetzt Fagioli an seine Boxe. Was ist passiert? In der<br />
zweiten Runde- hat er in der Eymatt den Maserati<br />
de Graffenrieds,, der dort ndch dem Unfall Kautz'<br />
seine Fahrt verlangsamte,- von- hinten gerammt.<br />
Die Mechaniker beheben den Schaden, und<br />
der Italiener nimmt das Rennen wieder auf. Kurz<br />
danach ist es bei Bira soweit, dass er wieder anhalten<br />
muss, diesmal zum Kerzenwechsel. Lange<br />
wird er übrigens nicht mehr mittun, denn schon<br />
nach drei weiteren Runden nötigt ihn ein Getriebedefekt<br />
zur Aufgabe und sein Maserati wird hinter!<br />
die Boxen abgeschoben.<br />
Unterdessen hat Wimille, der wiederum durch<br />
die Eleganz und die Ruhje se ( ines Fahrstils besticht,<br />
noch etwas zugegeben und rückt noqh weiter,aus,.<br />
wobei er in der achten Runde mit 153,263 km/h die<br />
beste Rundenzeit auf sein Konto ; bucht. Sonst tut<br />
sich nichts, als dass. in der rückwärtigen Etappe<br />
Graf Trossi (rechts) und Jean-Pierre Wimille, die für Alfa Romeo jm Grossen Preis von Europa einen Doppelsiea erfochten.<br />
Graf Trossi, der Steger im Grossen Preis von Europa, begibl<br />
sich auf die Ehrenrunde.<br />
Pozzi seinen Markenkollegen Rosier hinter sich verweist,<br />
den übrigens schon eine Runde später ein<br />
Oelleitungsbruch aus dem Rennen wirft. Doch wo<br />
steckt de Graffenried, der sich tapfer gehalten und<br />
hinter Sanesi und Chiron auf die achte Stelle emporgearbeitet<br />
hat? EP wäre längst fällig — da verkündet<br />
der Lautsprecher, er habe in der Eymatt<br />
angehalten und den Rückzug angetreten. Nach<br />
seinen eigenen Erklärungen ist die Ursache darin<br />
zu suchen, dass sein Benzintank durch den von<br />
hinten in ihn hineinprallenden Fagioli leck wurde.<br />
«Toulo > gewahrte indessen von dieser Havarie<br />
und dem dadurch bedingten Treibstoffverlust<br />
nichts, bis er auf dem Trockenen sass und die Weiterfahrt<br />
wohl oder übel einstellen tnusste. Noch<br />
gehören keine zehn der vierzig Runden der Vergangenheit<br />
an und schon hat das Rennen sieben<br />
der zwanzig Gestarteten zur Strecke gebracht. Erbarmungslos<br />
räumt es unter den Konkurrenten auf.<br />
Einzig die Aifette und die drei Maserati mit Doppelstufenkompressor<br />
bleiben von dieser Hekatombe<br />
verschont, einzig sie und Chirons 4K-Liter-Talbot,<br />
der seine Zuverlässigkeit neuerdings unter Beweis<br />
stellt, befinden sich noch in der gleichen Runde,<br />
dieweil Prinz Igor (Ferrari) und Fagioli, diesem infolge<br />
seines Boxenhaltes, bereits zwei Runden abgeknöpft<br />
worden sind.<br />
Stand bei 10 Runden:<br />
1. Wimille (Alfa Romeol 29 1 23,3" (148,630 km/h:<br />
2. Forina [Maserati] 29' 40,0"<br />
3. Trossi (Alfa Romeo) 29' 44,0"<br />
4. Villoresi (Maserati) 30' 07,7"<br />
5. Ascari iMaseratil 30' 12.3"<br />
Offensichtlich bereitet Trossi einen Angriff auf<br />
den vor ihm liegenden Farina yor. Immer nähei<br />
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