E_1949_Zeitung_Nr.023
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Nr. 23 - MITTVOCH, 18. MAI »49 AUTOMOBIL REVUE 19<br />
Dieser Bericht wurde niedergeschrieben,<br />
ehe sich die politische Lage in Schanghai zu<br />
verändern begann. Die hier geschilderten<br />
Verhältnisse sind sich indessen in den entscheidenden<br />
Punkten gleich geblieben.<br />
Wer da etwa der Meinung sein sollte, die<br />
Strassenverkehrsverhältnisse seien nirgends so<br />
unübersichtlich und so verworren wie gerade in<br />
den Großstädten Amerikas, der ist offenbar in<br />
einem Vorurteil befangen. Denn in Tat und<br />
Wahrheit kann sich jede Stadt in den Vereinigten<br />
Staaten einer strafferen Disziplin rühmen als<br />
die meisten Wirtschafts- und Handelszentren des<br />
Fernen Ostens.<br />
Ohne Zweifel schlägt Schanghai in dieser<br />
Beziehung sämtliche Rekorde. Schon lange bevor<br />
der zwischen Nationalisten und Kommunisten<br />
tobende Bürgerkrieg seine Rückwirkungen<br />
auf das Leben und Treiben in dieser chinesischen<br />
Metropole hatte,<br />
Verkehrslabyrinth Schanghai<br />
weigerte sich diese, für ihren Strassenverkehr<br />
auch nur den Schimmer einer gesetzlichen Ordnung<br />
anzuerkennen.<br />
Nichts vermag an den menschlichen Nerven<br />
mehr zu zerren als das Lenken eines Automobils<br />
durch die Strassen dieser Stadt, die man als<br />
kosmopolitisch in des Wortes wahrstem Sinne<br />
bezeichnen darf. Denn hier leben neben mehreren<br />
Millionen Chinesen, die etwa 30 verschiedene<br />
Dialekte sprechen, ca. 30 000 Weissrussen,<br />
einige Engländer, Amerikaner, Portugiesen, Inder<br />
und Franzosen sowie Angehörige von 30 weiteren<br />
Nationen. Die einen unter ihnen sind es<br />
gewohnt, links zu fahren, andere kennen nur<br />
den Rechtsverkehr. Stellt man sich diese Vielfältigkeit<br />
hinter dem Lenkrad von Personenwagen,<br />
Nutzfahrzeugen, Autobussen und Taxametern<br />
vor, dann begreift man, weshalb es hier<br />
angezeigt erscheint, sich abseits auf dem Trottoir<br />
zu halten oder noch besser sein Leben im<br />
sichern Hotelzimmer zu fristen.<br />
Es ist nicht so sehr die Zahl der Fahrzeuge,<br />
die den Verkehr in Schanghais Strassen zu<br />
einem so gefahrvollen Unterfangen stempeln —<br />
es sind alles in allem nur etwa 30 000 Personenund<br />
Lastwagen — als vielmehr<br />
die ungestüme Fahrweise der Chinesen<br />
und die Unbekümmertheit, womit sie ihre Vehikel<br />
beschleunigen und durch die Stadt manövrieren.<br />
Zwischen den Motorfahrzeugen, den<br />
auf ca. 50 000 geschätzten Rikschas und den<br />
30 000 Velos etc. wird dauernd — vom Morgen<br />
früh bis abends spät — ein heftiger Kampf um<br />
das Vortrittsrecht ausgefochten. Eine wirkliche<br />
(Mit Erlaubnis von « Ethyl News >, New York)<br />
Kalamität aber bedeuten die Fussgänger, die<br />
sich sozusagen ohne jede Rücksichtnahme auf<br />
den Fahrzeugverkehr und ohne auf ihre eigene<br />
Sicherheit bedacht zu sein, durch die verstopften<br />
Strassen der Stadt pirschen. Optische Signale,<br />
die den Verkehr regeln sollen, scheinen<br />
ausschliesslich dekorativen Zwecken zu dienen,<br />
denn während mindestens 30 Sekunden, nachdem<br />
sie gewechselt haben, denkt niemand daran,<br />
ihnen Beachtung zu schenken. Auch kann man<br />
sich allen Ernstes fragen, womit hier eigentlich<br />
die Polizei ihre Zeit totschlägt. Sie ist zwar<br />
durchaus vorhanden und versucht, ordnend und<br />
lenkend in den Verkehrsstrom einzugreifen.<br />
Doch ist ihr Bemühen leider umsonst. Wohl hebt<br />
der c Mann des Gesetzes > den Arm, um den<br />
Strom hier zu stoppen und in der Gegenrichtung<br />
freizugeben, doch jeder, ob er am Volant eines<br />
Motorfahrzeugs sitzt, zu den Rittern vom Pedal<br />
gehört oder eine Rikscha vor sich hinstösst, fährt<br />
seelenruhig und nonchalant an ihm vorüber,<br />
ohne von seiner Existenz Notiz zu nehmen.<br />
Dabei ist es für einen Hüter der Ordnung mit<br />
keinem reringen Risiko verbunden, einen Verkehrssünder<br />
zurechtzuweisen oder gar festzunehmen*<br />
Gleichgültig ob es sich beim Querulanten um<br />
einen Rikschaboy oder um einen Motorfahrzeuglenker<br />
handelt: der Polizist muss damit rechnen,<br />
beschimpft, bespuckt, mit Gegenstanden beworfen<br />
oder gar von der Menge dafür malträtiert zu<br />
werden, dass er seiner Pflicht genügte, die für<br />
ihn normalerweise darin besteht, dem Gesetz<br />
Nachachtung zu verschaffen.<br />
Der chinesische Fussgänger pflegt auf eine<br />
nahende Gefahr nur äusserst langsam und zögernd<br />
zu reagieren. Nähert sich ihm — während<br />
er eine belebte Hauptstrasse quert — ein Auto,<br />
so droht er an Ort und Stelle zu einer Säule zu<br />
erstarren, um dann im letzten Augenblick zurückzuspringen<br />
und gutmütig und naiv zugleich<br />
zu grinsen, dieweil der Lenker des Fahrzeugs<br />
dieses mit quietschenden Bremsen zum Stehen<br />
bringt. Ein orientalisches Verkehrsgedränge ist<br />
überhaupt<br />
Motorfahrzeuge, Rikschaboys<br />
mit ihrer Fracht, Motorrad- und<br />
Velofahrer, Schafherden und<br />
Fussgänger nicht zu vergessen,<br />
das ist so ein Bild aus dem<br />
Strassenverkehr chinesischer<br />
Großstädte, wie man es immer<br />
wieder erleben kann.<br />
eine wahre Kakophonie von Autohupen, Rikschaschellen,<br />
Motorenlärm und kreischenden Hausiererstimmen.<br />
Es hat schon seinen tiefern Grund, wenn der<br />
chinesische Automobilist die Hupe in der Regel<br />
als den wichtigsten Bestandteil seines ausgedienten<br />
Wagens betrachtet Kommt ihm in einigen<br />
hundert Metern Distanz ein Fahrzeug entgegen<br />
oder erblickt er an der nächsten Strassenecke<br />
einen Fussgänger, auf dem Trottoir ein<br />
hübsches Mädchen oder am Fenster eines Hauses<br />
einen guten Bekannten, so setzt er prompt das<br />
Hörn in Aktion. Der Chinese denkt nicht daran,<br />
seine Geschwindigkeit in Strassen mit besonders<br />
lebhaftem Verkehr herabzusetzen. Ungleich<br />
wichtiger scheint für ihn<br />
die ständige Inbetriebhaltung des Horns,<br />
während eine « übertriebene Abbremsung » des<br />
f Vehikels nur im Notfall erwogen wird.<br />
Ich hielt mich selbst für einen furchtlosen,<br />
rauhen, handfesten Burschen, der immerhin<br />
zwei amphibische Landungen im Pazifik, drei<br />
Bombardierungsflüge und eine Unterseebootpatrouille<br />
nebst verschiedenen furchtbaren Gemetzeln<br />
heil überstanden hat. Aber jedesmal, wenn<br />
ich an jene Nacht denke, da ich zusammen mit<br />
einem Kameraden ein Taxi mietete, um in ein<br />
russisches Restaurant in einem von Schanghais<br />
Aussenquartieren zu fahren, läuft es mir heiss<br />
und kalt den Rücken hinunter. «Nur keine<br />
Hast », riefen wir dem Lenker zu. « Fahr langsam<br />
! » Doch sofort begriffen wir, dass er auf<br />
diesem Ohr taub war. Denn mit einem Tempo<br />
von mehr als 60 km/h raste er durch die holprigen,<br />
steinigen Strassen des Chinesenviertels,<br />
weshalb alle Einheimischen fluchtartig in ihren<br />
Penaten verschwanden oder sich an die Hausmauern<br />
drückten. Nimmt man aber statt zu<br />
einem Taxi zu einer Rikscha Zuflucht, dann<br />
kann es einem blühen, dass man vom Rikschaboy<br />
plötzlich, und gerade dort, wo das Leben am<br />
intensivsten pulsiert, im Stiche gelassen wird,<br />
nur weil er irgendwo etwas Interessantes entdeckt<br />
hat<br />
Perspektiven für die englische Autoindustrie<br />
ungünstiger<br />
In aller Offenheit haben kürzlich die «Sunday<br />
Times » davon gesprochen, dass die britische<br />
Automobilindustrie schwierigen Zeiten entgegengehe,<br />
wobei das erwähnte Blatt auf die Beschäftigungslage<br />
in Coventry, einem der Hauptzentren<br />
der Automobilfabrikation, und auf die<br />
Kursentwicklung für Aktien der Autoindustrie<br />
an der Börse hinwies. Die Januar-Produktion<br />
von 28 600 Wagen (wovon 18 000 für den Export<br />
bestimmt waren) steht in scharfem Kontrast mit<br />
dem September 1948, dessen Produktionsziffer<br />
mit 34 600 Stück registriert wurde. Kommerziell<br />
gesehen, beurteilen die « Sunday Times > die<br />
Lage nicht eben zuversichtlich. Um den Motorfahrzeugbestand<br />
des Landes auf Vorkriegshöhe<br />
zu bringen, wäre ein jährlicher Zugang von<br />
120 000 Einheiten nötig, währenddem tatsächlich<br />
nur deren 50 000 bewilligt werden, weil unter<br />
dem Zwang zur Devisenbeschaffung soviel als<br />
möglich nach Ländern mit harter Währung exportiert<br />
werden muss. Hinzu kommt, wie das erwähnte<br />
Blatt bemerkt, die Tatsache, dass eine<br />
Reihe von Labour-Abgeordneten nach wie vor<br />
die Nationalisierung der Automobilindustrie anstrebt.<br />
Ihrer Ansicht nach ist die Zahl der Typen<br />
auch heute noch zu gross. Die gegenwärtig unsicheren<br />
Aussichten halten allerdings auch<br />
«new-comers» davon ab, ihr Glück in der<br />
Automobilfabrikation zu versuchen. So hat eine<br />
grosse Gesellschaft, die beabsichtigte, ihre Liefer-<br />
und Lastwagen selbst zu bauen, ihre Pläne<br />
einstweilen zurückgestellt, bis sich die Verhältnisse<br />
stabilisieren.<br />
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