Der Burgbote 2010 (Jahrgang 90)
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ihm dieser von einem Mitarbeiter der Re<br />
quisite schnell abgenommen. Hagen geht<br />
dabei schnell weiter zu seiner Garderobe.<br />
Sein nächster Auftritt lässt ihm nur wenige<br />
Minuten Zeit.<br />
In der Pause und in dem Zeitraum zwischen<br />
den beiden Aufführungen wird deutlich:<br />
Nach zehn Aufführungen am Stück ist eine<br />
dreitägige Pause überfällig. Wofür? Zum<br />
Ausschlafen, Entspannen und zum Erledi<br />
gen dessen, was in den letzten Wochen<br />
Zuhause liegen geblieben ist. So mancher<br />
Cäcilianer hat in den letzten drei Wochen<br />
Urlaub genommen. Kaputt ist man schon.<br />
Die Ruhe tut gut. Einige sind krank: der<br />
Rücken, der verdammte Hexenschuss! Aber:<br />
Da gibt es kein Pardon. Das Spiel muss ja<br />
schließlich weitergehen. Wir schaffen das ge<br />
meinsam, so die Parole. Die Mitsänger zie<br />
hen die kranken Kollegen einfach mit und<br />
durch, übernehmen bisweilen deren<br />
Sprechpartien.<br />
Am Ende der Vorstellung kommen noch<br />
einmal alle Darsteller auf die Bühne. Jeder<br />
wird von dem Gefühl beflügelt, dass der Ap<br />
plaus ihm besonders gilt. Es gibt auch eine<br />
Applausordnung: <strong>Der</strong> Inspizient steht für<br />
das Publikum unsichtbar am Rand der<br />
Bühne und organisiert, welche Gruppe nun<br />
nach vorne geht. »Jetzt die Gäste - vor«,<br />
schreit er. Diejenigen, die die Gäste gespielt<br />
haben, bewegen sich in Richtung Orche<br />
stergraben. »Verbeugen«, so der nächste<br />
Brüller. »Und zurück - nun das Ballett -<br />
vor!«<br />
Nach der ersten Vorstellung jit et jet zo<br />
müffele un ooch jet zo süffele: ein Kuchenund<br />
ein improvisiertes Kölsch-Buffet. Man<br />
fred Schreier unterhält die Cäcilianer mit<br />
seiner Quetsch. Wer noch kann, singt mit.<br />
Manche legen die Beine hoch und lediglich<br />
die Perücke ab, andere ziehen Sportkleidung<br />
an. Es ist schon eigenartig, einem Men<br />
schen gegenüber zu sitzen, der sich in<br />
einem Zwischenzustand befindet: Strümpfe,<br />
Kleid, Beffchen, Schminke im Gesicht: ganz<br />
Dame! Aber die abgezogene Perücke bringt<br />
einen männlichen Hinterkopf zum Vor<br />
schein. Dann das Gefühl, beim Besuch der<br />
Darsteller in ihren Garderoben in einen<br />
letzten privaten Bereich, der den Darstellern<br />
bleibt, einzudringen. Einen Monat lang ist<br />
die Oper Köln am Offenbachplatz sozusa<br />
gen Zweitwohnsitz.<br />
Wie sieht die Zeit nach dem Zillchen aus,<br />
frage ich drei »Damen«, die ich in ihrer ge<br />
meinsamen Solisten-Garderobe besuche.<br />
Sie sitzen da auf ihren Stühlen vor den<br />
Spiegeln, aufgereiht wie in einem Friseur<br />
salon. Eine Atmosphäre beredten Schwei<br />
gens, erfüllt von erschöpftem Nachsinnen,<br />
bevor man sich zusammenreißt, um die<br />
nächste Vorstellung zu meistern. Einer ant<br />
wortet: »Dann, wenn alles vorbei ist, bin ich<br />
einerseits erleichtert und gleichzeitig trau<br />
rig. Zum Glück kommt ja noch der Danke<br />
schön-Abend. Aber danach kommt ein<br />
Loch. Nachdem man sich ein halbes Jahr<br />
lang in den Dienst dieser gemeinsamen<br />
Sache gestellt hat und einen Monat lang<br />
durch beinahe tägliche Aufführungen ver<br />
plant war, fällt es schon schwer, seinen<br />
eigenen Lebensrhythmus wieder aufzuneh<br />
men.« Wieder kommt mir das Bild der<br />
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