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Blutgruppe Null

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Zum Aufführungsrecht<br />

• Das Recht zur Aufführung erteilt der<br />

teaterverlag elgg, CH-3123 Belp<br />

Tel. + 41 (0)31 819 42 09<br />

www.theaterverlage.ch / information@theaterverlage.ch<br />

Montag - Freitag von 09.00 bis 11.30 Uhr & 13.30 bis 17.00 Uhr<br />

• Der Bezug der nötigen Texthefte - Anzahl Rollen plus 1 - berechtigt<br />

nicht zur Aufführung.<br />

• Es sind darüber hinaus angemessene Tantièmen zu bezahlen.<br />

• Mit dem Verlag ist vor den Aufführungen ein Aufführungsvertrag<br />

abzuschliessen, der festhält, wo, wann, wie oft und zu welchen<br />

Bedingungen dieses Stück gespielt werden darf.<br />

• Auch die Aufführung einzelner Teile aus diesem Textheft ist<br />

tantièmenpflichtig und bedarf einer Bewilligung durch den Verlag.<br />

• Bei eventuellen Gastspielen mit diesem Stück, hat die aufführende<br />

Spielgruppe die Tantième zu bezahlen.<br />

• Das Abschreiben oder Kopieren dieses Spieltextes - auch<br />

auszugsweise - ist nicht gestattet (dies gilt auch für<br />

Computerdateien).<br />

• Übertragungen in andere Mundarten oder von der Schriftsprache in<br />

die Mundart sind nur mit der Erlaubnis von Verlag und Verfasser<br />

gestattet.<br />

• Dieser Text ist nach dem Urheberrechtsgesetz vom 1. Juli 1993<br />

geschützt. Widerhandlungen gegen die urheberrechtlichen<br />

Bestimmungen sind strafbar.<br />

• Für Schulen gelten besondere Bestimmungen.<br />

"Es gibt Leute, die ein Theaterstück als etwas "Gegebenes"<br />

hinnehmen, ohne zu bedenken, dass es erst in einem Hirn erdacht,<br />

von einer Hand geschrieben werden musste.“<br />

Rudolf Joho


Gerhard Meister<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Dreipersonenstück<br />

Personen 1 Frau, 2 Männer<br />

Bild Innenraum mit Bett<br />

«Wäre es besser, den ganzen Tag Wände zu streichen?»,<br />

fragt Babette, die tagelang im Bett liegen bleibt. Findet Franz<br />

eine Antwort, der seine Fantasien zelebriert, indem er sie in<br />

klassische Theaterverse packt und dabei literweise Blut<br />

fliessen lässt? Nein, denn der Eisschrank ist ewig voll, die<br />

Fragen und Konflikte sind erfunden: Babette und Franz ist<br />

das Drama abhanden gekommen.<br />

Immerhin – eines Morgens haben die beiden einen Maler im<br />

Haus. Und es müsste doch möglich sein, dass man diesen zu<br />

mehr bringt, als diesem ewigen Rauf und Runter mit dem<br />

Pinsel an der Wand. Und siehe da, der Maler lässt sich ins<br />

Spiel ein. Sogar ein echter Mord lässt sich mit ihm<br />

veranstalten.<br />

«Wer vermisst schon einen Maler?»<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

elgger schaulust 18


Personen<br />

Babette, Frau<br />

Franz, Mann<br />

Maler, Maler<br />

Raum<br />

Innenraum mit Bett, zahlreichen Weckern und<br />

Utensilien zum Malen<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Uraufführung am 1. Dezember 1999 im<br />

Schlachthaus Theater Bern.<br />

- 2 -


<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Babette liegt im Bett und schläft. Der Maler streicht<br />

die Wände und brummelt zur Musik aus seinem<br />

Kofferradio. Diese Musik zieht sich als eigenständiges<br />

Moment durchs ganze Stück – einmal das<br />

Geschehen auf der Bühne unterstützend, einmal es<br />

verfremdend. Franz macht irgendwas, da klingeln<br />

Babettes Wecker.<br />

Oh nein, bitte nicht. Hört ihr wohl auf damit? Ruhe,<br />

Ruhe! Was fällt euch ein, einfach so in meinen Schlaf<br />

zu platzen? Hört sie endlich auf, die Bimmelei? Mein<br />

Gott, das klingt ja scheusslich, wo habt ihr nur so<br />

scheusslich krächzen gelernt? Bei mir hoffentlich<br />

nicht. Und du, hast du dein Bim-Bim schon gemacht?<br />

Was, du hast dich nicht getraut, mein kleiner, scheuer<br />

Wecker? Oh, wie süss du bist. Endlich Ruhe. Zum<br />

Maler. Und Sie, was tun Sie hier?<br />

Ich streiche die Wände.<br />

Na sowas, Sie streichen die Wände. Und das soll ich<br />

Ihnen glauben?<br />

Ich verstehe nicht, was Sie meinen.<br />

Das sagen sie doch alle. «Ich streiche die Wände»,<br />

sagen sie, weil sie noch nie in ihrem Leben die Zähne<br />

geputzt haben und dafür ständig mit den Ohren<br />

wackeln, tick-tack, tick-tack wie einer meiner Wecker.<br />

Haben Sie sie schon angeschaut meine schönen<br />

Wecker?<br />

Bisher nicht.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Richtig, Sie streichen ja die Wände. Rauf und runter,<br />

rauf und runter mit dem Pinsel und die Insel frischer<br />

Farbe wird stets grösser und immer nur grösser. Wie<br />

kann man nur sowas Langweiliges tun! Kannst du mir<br />

das sagen? Oder ist dir das peinlich? Ich darf dich doch<br />

duzen? Du kannst mich dafür beim Vornamen nennen.<br />

Ich heisse Babette und wenn du ganz brav bist und<br />

weiterhin fleissig Wände streichst, kannst du mir auch<br />

- 3 -


Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Bett sagen, weil ich doch den ganzen Tag im Bett liege.<br />

Aber wäre es besser, die ganze Zeit Wände zu streichen?<br />

Wie kommst du nur auf die Idee, Wände zu streichen?<br />

Na los, sag schon.<br />

Es ist mein Beruf. Ich bin Maler.<br />

Ich habe keinen Maler ins Haus bestellt. Sowas würde<br />

ich niemals tun. Und weisst du, weshalb ich sowas nie<br />

tun würde? Na, was meinst du? Stier doch nicht so<br />

verbohrt die Wand an. Rauf, runter, rauf, runter und<br />

wie die Farbe schmatzt! Igitt, hat die denn keine<br />

Manieren? Also los, sag schon, du sollst mir doch<br />

etwas sagen, was sollst du mir nur schon wieder sagen?<br />

Die Frage ist, wieso es Ihnen nie in den Sinn käme,<br />

einen Maler ins Haus zu bestellen.<br />

Genau, sowas mach ich nicht, weil Maler fürchterlich<br />

langweilige Menschen sind, weil ich mit Malern<br />

absolut nichts anfangen kann. Sie nimmt ihre E-<br />

Gitarre und improvisiert zum folgenden Satz ein Lied.<br />

Maler essen zuviel Rindfleisch und jedesmal, wenn<br />

Maler ein Ö aussprechen, so kommt das von so weit<br />

hinten vom Gaumen hervor, dass ich auf meinem<br />

Nacken Gänse-haut bekomme. Aber wenn du nun<br />

schon mal da bist, könntest du einen Blick auf meine<br />

Wecker werfen. Schau mal, wieviele Wecker ich habe.<br />

Sie zu zählen dauert länger, als hier alle Wände<br />

zweimal zu streichen.<br />

Um ehrlich zu sein, Ihre Wecker sind das erste, was<br />

mir hier aufgefallen ist. Soviele Wecker beeinander<br />

habe ich bisher nur im Uhrengeschäft gesehen, aber<br />

noch nie in einer Privatwohnung. Wenn Sie mir<br />

erzählen wollen, wozu Sie all diese Wecker brauchen,<br />

dann nur zu. Ich kann gut zuhören beim Malen.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Was fällt dir ein, einfach so, ohne anzuklopfen, zu mir<br />

rein zu kommen und die Wände zu streichen und erst<br />

noch in haargenau diesem pissigen Farbton.<br />

- 4 -


Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Franz<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Wenn ich hier die Wände streiche, so hat das seine<br />

Ordnung. Ich bin noch niemals unaufgefordert in ein<br />

Haus gekommen. Man hat mich hierher bestellt.<br />

Ich habe dich nicht hierher bestellt.<br />

Dann wird’s wohl Ihr Mann gewesen sein.<br />

Ich habe keinen Mann.<br />

Dann halt Ihr Vermieter.<br />

Ich habe keinen Vermieter.<br />

Dann halt Ihr Mann.<br />

Ich habe keinen Mann.<br />

Dann halt Ihr Vermieter.<br />

Ich habe keinen Mann. Blickt auf Franz. Oder<br />

möchten Sie etwa behaupten, dass dies da mein Mann<br />

ist? Da hätte ich mich gleich gestern erschiessen<br />

können, wenn das mein Mann sein soll.<br />

Aber jetzt bist du trotzdem da, das kannst du nicht<br />

abstreiten. Und wenn du schon einmal da bist, kannst<br />

du doch meine Wecker anschauen. Meine Wecker<br />

möchte ich dir als erstes zeigen, weil ich sie wirklich<br />

gern habe, jeden einzelnen habe ich gern. Kannst du<br />

das verstehen, dass man seine Wecker so gern hat wie<br />

ich und sie so dringend braucht? Wie würde ich je<br />

wach werden, ohne meine Wecker? Schau, den hier<br />

musst du dir als erstes anschauen.<br />

Madame, Sie sind das Glück in meinen Augen<br />

Und mehren dieses Glück, wenn Sie gestatten,<br />

Dass ich mit diesem Silbermesser klein, das<br />

Mit frischem Schliff und jugendlicher Schärfe<br />

In meiner Hand voll Handlungswille liegt<br />

Ein Stücklein Ihres Fusses mir abschneide,<br />

Des schönen Fusses, dem zu widerstehen<br />

Mir schlicht und einfach nicht gelingen will.<br />

Auf dass ich dieses Stücklein Ihres Fusses<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 5 -


Babette<br />

Franz<br />

An meine Nase hebe, zum Genuss des<br />

Aromas, dann an meine Lippen führe,<br />

Dass sie ob dieses prickelnden Kontaktes<br />

Sich heftig schürzen und wolllüstig spitzen<br />

Und schliesslich meinem Mund es schenke, und so<br />

Auch meiner Zunge, meinem Gaumen und dem<br />

Genüsslichen Zerbeiss- und Kaugeschäft<br />

Der Zähne, so dass dieses Stücklein Fuss<br />

Durch Zusatz nassen Speichels sich in Brei<br />

Verwandle, den ich meine Speiseröhre<br />

Hinunterschicke, um dann kurz darauf<br />

Den leisen Rülpser diese Röhre wieder<br />

Hinaufzusenden Richtung Tageslicht,<br />

Damit das edle Parfum ihres eben<br />

Verspiesnen Fusses uns als Ahnung sowie<br />

Erinnerung ganz spielerisch umweht.<br />

Ach liebster Herr und Meister meines Willens<br />

Es freute mich ganz überaus, ich wäre<br />

Der übergrossen Güte Ihres Herzens<br />

Verbunden wie sonst keine hier auf Erden.<br />

Mein Dank, der wäre Ihrer und so weiter<br />

Wenn Sie von kulinarischen Gelüsten,<br />

Die so geartet, Abstand nehmen könnten.<br />

Bedenken Sie mein edles Burgfräulein,<br />

Bevor Ihr schroffes Nein mir jede Hoffnung<br />

Auf die Erfüllung meines Glückes tötet,<br />

Wie klitzeklein das Stücklein Ihres Fusses<br />

In garzu moderater Art ich mir<br />

In meinem Kopf imaginieret habe,<br />

Das zum genüsslichen Verzehr ich<br />

Gern abgetrennt mir hätte. Mehr als eine<br />

Knapp mittelgrosse Zehe wünsch ich nicht.<br />

So wenig kühn ist mein Begehren, dass ich<br />

Mit einer kleinen Zehe vorlieb nähme,<br />

Falls mehr zu schenken Sie mir nicht vergönnten.<br />

Bedenken Sie auch bitte, meine Rose<br />

Des Ostens und des Westens, dass Sie<br />

Ganz unbeschnitten bleiben würden punkto<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 6 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Der Wahl, ob dieser Schnitt am linken oder<br />

Am rechten Fuss vonstatten gehen soll.<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Ich weiss die Freiheit auszuwählen hoch<br />

Zu schätzen, hochgeschätzter Kavalier.<br />

Die freie Wahl ist unser höchstes Gut<br />

Und dennoch frage ich mich hier in diesem,<br />

Mir scheint ein bisschen speziellen Fall,<br />

Wieweit die Wahl, die zwischen links und rechts<br />

Mir offensteht, denn wirklich etwas offen lässt,<br />

Beziehungsweise, ob die beiden Schnitte<br />

Konkret für mich sich unterschieden, worin<br />

Sie unterschiedlich, also inwiefern<br />

Ich meine…<br />

Ich verstehe Ihr Bedenken<br />

Vollkommen. Leihen Sie das Ohr mir voll<br />

Vertrauen nur solang ein Flügelschlag<br />

Des Sommervogels währt und alle Ihre<br />

Bedenken werden…<br />

Was ich sagen will…<br />

Verfliegen, sich zerstreuen, weil mein Wunsch<br />

So harmlos ist und klein, ein Nichts fast dieses<br />

Verzehrende Begehren zu verzehren<br />

Von diesem Fuss hier eine seiner Zehen.<br />

lauter. Ich meine, ich habe doch selber Hunger. Ich<br />

habe heute noch gar nichts gegessen.<br />

Madame, was meinen Sie, wenn Sie von Hunger…<br />

Franz, schnell, hol mir was zu Essen, mach schon.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Madame, was ist genau der Wunsch, den Sie<br />

An meine Ihnen stets zu Diensten…<br />

Hol endlich was zu Essen.<br />

Madame, wo find ich bloss, was Sie so heiss…<br />

Franz, der Eisschrank steht dort!<br />

Eisschrank?<br />

- 7 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Ja, sieh nur, dort erhebt sich eine Sphynx<br />

Aus blassem Elfenbein. In ihrem Innern<br />

Verbirgt sich ein immenser Schatz, auf den<br />

Mein ganzes Sehnen ich gerichtet habe.<br />

Entschuldige, sag mir bitte ganz klar und deutlich:<br />

befindet sich hier in der Nähe ein Eisschrank?<br />

Mein Herr und Ritter von der nachfragenden Gestalt,<br />

dort steht, seien Sie dessen versichert, ein Eisschrank,<br />

der auch, oh Wunder, von sich genau dies glaubt.<br />

Was glaubt er?<br />

Dass er ein Eisschrank ist.<br />

Und du glaubst, er glaube das zu Recht?<br />

Das glaube ich felsenfest.<br />

Zweifel ausgeschlossen?<br />

Zweifel liegen ausserhalb menschlichen Ermessens.<br />

Gehe ich richtig in der Annahme, dass dieses Ding, das<br />

dort steht und sich, ganz zu recht, wie du meinst, für<br />

einen Eisschrank hält, und somit wohl auch ein Eisschrank<br />

ist, dies völlig frei tut? Insbesondere unbehindert<br />

von Ketten?<br />

Diese Ihre Annahme ist nicht nur richtig, nein, sie ist<br />

vielmehr überaus und dies fast noch mehr auch und vor<br />

allem: richtig.<br />

Bin ich des weiteren nicht auf dem Holzweg mit der<br />

Vermutung, dass es bis jetzt niemand unternommen<br />

hat, diesen Eisschrank totzuschlagen, dass dieser<br />

Eisschrank auch nicht narkotisiert ist und natürlich<br />

auch nicht kastriert, gegen nichts geimpft ist, was als<br />

Virus und Bakterie unsre Atemluft bereichert, und dass<br />

er natür-lich auch kein Läuseband trägt?<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Läuseband, Kastration, Narkose, Totschlag, alles fehlt,<br />

somit auch Ihr Holzweg.<br />

- 8 -


Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Natürlich ist dieser Eisschrank auch nicht abgeschlossen.<br />

Weder mit einfach noch zweifach gedrehtem<br />

Schlüssel und ohne vorgeschobenem Riegel, nehme ich<br />

an.<br />

Man kann diesen Eisschrank nicht abschliessen, aber<br />

öffnen kann man ihn. Franz, bitte, sei lieb.<br />

Ich habe verstanden, aber ich gerate nicht in Panik. Es<br />

gibt keinen Grund zur Panik, wenn man richtig ausgerüstet<br />

ist. Er schluckt eine Pille, reibt sich eine Salbe<br />

ein, setzt eine Sonnenbrille auf. So ein Eisschrank,<br />

Madame, macht mir keine Angst.<br />

Also geh schon.<br />

Die Pille wirkt noch nicht.<br />

Bitte, stell dich nicht so an.<br />

Mit Eisschränken ist nicht zu spassen. Von Humor versteht<br />

so ein Eisschrank rein gar nichts.<br />

Mein Diamant, mein Sonnenschein, ich sehe,<br />

Wie ungeduldig Sie sich zeigen. Darf ich<br />

Die Wartezeit verkürzen bis die Pille<br />

Mich gegen die Attacken dieses Eisschranks<br />

Immun gemacht und auch die Salbe wirkt?<br />

Womit willst du die Zeit verkürzen?<br />

Ich könnte Sie am Halse würgen,<br />

Bis Ihr Gesicht ins Blaue sich verfärbt hat.<br />

Der Herr mag mir, wenn es denn irgendwie<br />

Der Unterhaltung dient, die Luft abstellen,<br />

Bis mein Gesicht dem blauen Himmel gleicht.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

nähert seine Würgehände, legt sie kurz auf ihren<br />

Hals, macht sich dann auf zum Eisschrank, der für<br />

das Publikum unsichtbar und nur durch einen<br />

mutigen Sprung zu erreichen ist. Butter, Butter und<br />

Butter, alles in Butter. Naturbutter, Alpbutter, Kochbutter,<br />

Erdnussbutter, Edelbutter, Butter in der Einzel-<br />

- 9 -


Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Babette<br />

Franz<br />

portionenverpackung, Butter in der 200-Gramm-Verpackung,<br />

Butter in der 500-Gramm-Verpackung, Butter<br />

in der Sparpackung, Butter in der Familienpackung,<br />

Butter in Grossmutters Töpfchen, mit Jod versetzte<br />

Butter, vitaminisierte Butter, gesalzene Butter,<br />

verzinkte Butter, naturbelassene Butter, das Osterlamm<br />

in Butter, das Butterblumen frisst, das Osterlamm in<br />

Butter, das Buttersäure pisst und das Osterlamm in<br />

Butter, das gar nichts tut, sowie ein buttriges Vielerlei<br />

weiterer einhei-mischer und exotischer Tiere des<br />

Landes, des Wassers und der Luft, mit vom Butterleib<br />

in unterschiedlichsten Winkeln und Verrenkungen<br />

abstehenden Butterköpfen, Butterbeinen, Butterflossen,<br />

Butterflügeln und Butter-schwänzen, des weitern<br />

Butter dies- und Butter jenseits des Verfalldatums und<br />

Berge von butterweichen Butter-broten.<br />

Bring mir bitte ein Joghurt, ein Schokoladenjoghurt,<br />

das grösste Schokoladenjoghurt, das du finden kannst.<br />

Mein Magen ist ein einziges Loch. Und bring dem<br />

Maler auch was. Bitte, sei ein bisschen höflich zu ihm,<br />

du hast ihn ja noch gar nicht begrüsst und dabei<br />

streicht er so wunderschön die Wände. Zum Maler.<br />

Worauf hast du Lust?<br />

Danke, ich habe schon gefrühstückt.<br />

Du hast kein bisschen Hunger, mein lustiger Maler?<br />

Ich bleib noch ein wenig bei meiner Arbeit.<br />

Ja, tu das, wirf deine Malgier an die Wände.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Franz bringt ihr Joghurt.<br />

Löffel!<br />

lässt ein Etui mit Silberlöffeln aufschnappen, gibt ihr<br />

einen Löffel.<br />

Die Bitte, meine Herz- und Kreuzesdame<br />

Um Einverleibung Ihres schönen Leibes<br />

Als Mahlzeit haben Sie so schroff zurück-<br />

Gewiesen, dass die Lust zu solcher Tat<br />

- 10 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Mir völlig abgestorben ist. Sie haben<br />

Bescheidenheit und Demut mich gelehrt,<br />

Sie Mittelpunkt all meiner Anbetung.<br />

Ich spreche Ihnen dafür meinen Dank aus<br />

Und werfe mich zu Ihren Füssen nieder.<br />

Grad soviel Demut muss es auch nicht sein,<br />

Ich will im Grunde nur das eine, nämlich,<br />

Mal fünf Minuten meine Ruhe haben.<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Madame, nach dieser bittersüssen Lektion,<br />

Getrunken aus dem wohlgeformten Kelch,<br />

Den Ihre Lippen bilden und ihr Mund<br />

Ist dies Gerät, ganz aus Metall gegossen,<br />

Das schwer und kalt in meinen Händen ruht,<br />

Das einzige, das mir noch übrigbleibt.<br />

Mein Herr, was wollen Sie mit dieser Waffe?<br />

Beweisen, dass der Tiefpunkt meines steten<br />

Verlangens und Eindringens nun erreicht ist.<br />

Sie Schmuckstück, strahlend hell wie eine Sonne,<br />

Vernehmen Sie den letzten Wunsch, der klein ist<br />

Und unscheinbar gerade wie ein Käfer,<br />

Den auslöscht, so als hätt’s ihn nie gegeben,<br />

Ein Fusstritt ohne Kraft. Ich will nur diesen<br />

Pistolenlauf an Ihre Schläfe setzen<br />

An diese Schläfe voller Liebreiz und dann<br />

Den Hahn abdrücken, der so eine Kugel<br />

In höchster Eile hier hinein spediert,<br />

In diesen Kopf, das Lebenslicht zu löschen.<br />

Mein Kavalier, es muss hier sicher keine<br />

Erörterung der Frage geben, ob denn<br />

Mit diesem jetzt mir zugetragenen<br />

Begehr die Kurve Ihrer Anmassung<br />

Gesunken und nicht vielmehr in nie<br />

Gekannte Gipfel hochgeklettert ist,<br />

Wo Sie nach meiner Zehe nun das ganze<br />

Mir teure Leben zu sich nehmen wollen.<br />

Sie wollen tödlich wirken, meine Antwort<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 11 -


Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Heisst ganz klar Nein, nur über meine Leiche.<br />

Bloss scheinbar, Grazie der milden Breiten<br />

Ist unser Wünschen gegensätzlich. Das zeigt<br />

Der folgende Gedankengang. Wenn Sie<br />

Sich wünschen, dass nur über Ihre Leiche<br />

Mein Wunsch erfüllt wird, so erfülle nun<br />

Ich dies gerade just dadurch, dass ich<br />

Mit einem Schuss zur Leiche sie verwandle.<br />

Die schiefe Logik Ihrer Worte perlt ab<br />

Am stark genähten Kleide meines Willens,<br />

Und dieser Wille, der heisst einfach: Nein.<br />

Vermögen Worte Ihren Willen nicht auf<br />

Mir günstigeren Kurs zu trimmen, so hilft<br />

Vielleicht ein zartes Häppchen Sinnlichkeit für<br />

Die Wendung hin zum Glück. Mein Goldschatz spüren<br />

Er setzt ihr die Pistole an die Schläfe.<br />

Sie doch, wie ausserordentlich erfrischend<br />

Der kühle Lauf sich anfühlt auf der Haut.<br />

Wieso entsagen dem Genuss und seiner<br />

Verstärkung durch die kleine Kugel aus der<br />

Pistole, die in Ihr Gehirn eindringt?<br />

Mein Augenlicht, mein Lebensglück, verstehen<br />

Kann ich Ihr Nein beim besten Willen nicht.<br />

Was ist an einem klaren und so deutlich<br />

Gesprochnen Wort wie meinem «Nein» denn nur<br />

So schwer verständlich, das ist mir ein Rätsel<br />

Und Grund zum Zweifeln an dem Sinn und Ziel<br />

All unsrer Worte. Bitte Franz, ich meine, bitte.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Sie bitten, so ist’s Brauch nun mal beim schwachen<br />

Geschlecht, zu dem das Bitten, Flehen, Klagen<br />

Im Wesenskern gehört. Doch für den Mann<br />

Gehört sich eine andre Art. Er nimmt sich,<br />

Und wenn’s nicht anders geht, dann mit Gewalt,<br />

Was er sich auserkoren als sein Ziel.<br />

An einem Nein wird sein Entschluss nicht irre.<br />

- 12 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Sie süsseste der Früchte hier auf Erden,<br />

Ihr Kopf soll seinen Kern erhalten, wenn sich<br />

Erfüllt mein Willen durch ein Stücklein Blei.<br />

Sie hält still, er hält die Pistole an ihre Schläfe,<br />

schiesst nicht.<br />

Hat’s geschmeckt, das Schokoladenjoghurt?<br />

Lecker, hol mir noch eins.<br />

Er schiesst auf sie, sie reagiert nicht.<br />

Wieso fliesst kein Blut?<br />

Ich könnte heute den ganzen Tag nur essen.<br />

Babette, wieso fliesst kein Blut?<br />

Blut?<br />

Blut, Herrgott nochmal, es fliesst kein Blut!<br />

Wieso sollte Blut fliessen?<br />

Wieso bist du nicht tot?<br />

Ich bin doch tot.<br />

Wenn man tot ist, spricht man nicht mehr.<br />

Meinst du?<br />

Und wenn man stirbt, dann fliesst Blut, das kann ich<br />

dir beweisen. Holt einen Eimer und eine Pumpvorrichtung,<br />

schiesst sich in den Hals, träge fliesst ein<br />

roter Strahl in den Eimer. Siehst du wie es fliesst,<br />

mein Blut?<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Franz, ich habe Hunger.<br />

Ich blute, schau, wie ich blute.<br />

Bitte, hol mir was aus dem Eisschrank.<br />

Eisschrank? Sprich jetzt nicht vom Eisschrank, ich<br />

habe jetzt keine Zeit für den Eisschrank.<br />

- 13 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Und wenn ich dir die Pille ins Maul stopfe und dich<br />

einsalbe, bis dich niemand mehr erkennt, mein edler<br />

Herr und Drachentöter?<br />

wehrt sie ab. Lass das.<br />

Mein lieber Maler, ich habe Hunger, und Franz blutet<br />

blöde vor sich hin, was soll ich bloss tun? Bitte, helfen<br />

Sie mir.<br />

Sie meinen?<br />

Ich habe Hunger.<br />

Maler Ich verstehe, das heisst, ich verstehe nicht –<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Bringen Sie mir was aus dem Eisschrank!<br />

Ich will nicht unhöflich sein, aber ich bin mitten in der<br />

Arbeit und… Könnten Sie sich nicht auch selber<br />

bedienen?<br />

Mein lieber kleiner Maler, du begreifst überhaupt<br />

nichts. Du musst mir helfen, weil ich doch so einen<br />

Hunger habe, bitte, bitte, bitte.<br />

öffnet den Eisschrank. Was hätten Sie denn gerne?<br />

Was könnten Sie mir denn bieten?<br />

Hier hat’s Eier, ein Glas mit Pesto-Sauce, Milch hat’s,<br />

Bauernschinken, dänischen Weichkäse, Tomaten,<br />

Salat, der ist aber schon ein wenig…<br />

Bringen Sie mir doch ein Schokoladenjoghurt.<br />

Schokoladenjoghurt, mal schauen.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Und nehmen Sie sich auch eins. Sie dürfen sich doch<br />

jetzt eine Pause gönnen.<br />

Da hat’s tatsächlich noch zwei, wie steht’s mit Ihrem<br />

Mann?<br />

Mach jetzt endlich.<br />

Maler bringt Joghurt.<br />

- 14 -


Babette<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Löffel!<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

bringt Löffel. Mit Joghurt in der Hand zum Mann.<br />

Na, wie läuft’s?<br />

Rund sieben Liter bisher, würd ich mal schätzen, aber<br />

es geht weiter, ich habe noch längst nicht ausgeblutet.<br />

Mannomann, ich könnte das nicht, ich würde glatt ohnmächtig.<br />

Ich meine, gar nicht lange her, da war ich zum<br />

Blutspenden, und da habe ich mich hinlegen müssen,<br />

so auf ein Feldbett, dann hiess es Arm freimachen und<br />

es wurde mir so ein Band angelegt, wissen Sie, damit<br />

die Adern heraustreten, und als sie dann mit der Nadel<br />

herankamen, nun – alle rundherum haben geschaut und<br />

gegrinst, und ich konnte nicht mehr, da war plötzlich so<br />

eine Panik in mir, plötzlich so die Vorstellung, sie<br />

würden mich, nun ja, klingt ja verrückt, sie würden<br />

mich ganz leer melken und ich käme dann als blasse<br />

Leiche wieder raus aus dem Spenderzentrum. Dabei ist<br />

das ja eine gute Sache, dieses Blutspenden, ich meine<br />

nicht nur, dass man jemandem helfen kann damit. Man<br />

hat ja auch ein Eigeninteresse, kann ja jeden mal<br />

treffen, und wenn Sie eine seltene <strong>Blutgruppe</strong> haben,<br />

dann kann man schon froh sein, hat jemand Blut<br />

gespendet, obwohl, in meinem persönlichen Fall ist das<br />

zum Glück nicht so problematisch, ich habe <strong>Blutgruppe</strong><br />

<strong>Null</strong>, das verträgt sich praktisch mit allem.<br />

Du hast tatsächlich <strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong>?<br />

Richtig, <strong>Null</strong>.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Weisst du was Maler, du bist der erste Mensch, dem<br />

ich begegne, der <strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong> hat, ist das nicht<br />

schön?<br />

Nun ja, ich glaube, ich muss Sie enttäuschen. <strong>Blutgruppe</strong><br />

<strong>Null</strong> ist eine sehr häufige Sache. Ich glaube,<br />

sogar die Mehrheit der Bevölkerung hat <strong>Blutgruppe</strong><br />

<strong>Null</strong>, ich kann mich aber irren.<br />

- 15 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Ja, bitte, irre dich ein bisschen, mir zuliebe und weil du<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong> hast und so schön die Wände streichst.<br />

der Blutstrahl ist versiegt, zu Babette. Siehst du. Bei<br />

mir ist Blut geflossen. Sehr viel Blut sogar. Beim Menschen<br />

fliesst Blut, wenn er sich erschiesst. Glaubst du’s<br />

jetzt endlich?<br />

Einen ganzen Eimer voll, bravo! Klatscht.<br />

Wieviel fasst denn dieser Eimer?<br />

Dieser Eimer fasst zwölf Liter, und er ist randvoll.<br />

Das ist wirklich erstaunlich.<br />

Das ist absolut sensationell. Ein durchschnittlicher<br />

Mensch enthält zwischen fünf und sechs Liter Blut. Ich<br />

aber habe zwölf Liter in diesen Eimer abgegeben. Das<br />

heisst, ich habe doppelt soviel abgegeben, wie ein<br />

Mensch das normalerweise könnte. Ich bin sozusagen<br />

doppelt, bin wie zwei Menschen.<br />

Wirklich erstaunlich. Haben Sie diese Tiersendung<br />

gesehen, vorgestern Abend, über diese afrikanischen<br />

Ameisen, die das Siebzehnfache ihres Körpergewichts<br />

herumschleppen können?<br />

Um Ameisen ging’s da?<br />

Sie haben recht, das hat natürlich nichts mit Ihrem Blut<br />

zu tun, ich bin nur drauf gekommen, es war nur total<br />

eindrücklich, weil das über weite Strecken aus der<br />

Perspektive dieser Ameisen aufgenommen war. Die<br />

haben denen so eine Minikamera auf den Kopf<br />

geschweisst, und man sieht, wie es links und rechts<br />

steil abfällt ins Bodenlose, so sieht’s wenigstens aus,<br />

alles spielt sich ja nur in der Höhe von einigen<br />

Zentimetern ab, ja und gegen oben sieht man ein Blatt,<br />

das die Ameise im Kiefer mit sich herumschleppt,<br />

sicher nur ganz winzig im Original, aber aus dieser<br />

Perspektive, da war das wie ein, nun ja, ein Segel – ein<br />

Segel, das wankt im Schritt der sechs Ameisenbeine,<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 16 -


Babette<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

wie bei schwerem Seegang. Wirklich toll gemacht,<br />

dieser Film, alle Achtung, muss ich da sagen.<br />

betrachtet die frisch gestrichene Wand als wäre sie<br />

ein Kunstwerk. Wie kann man nur so klein sein und<br />

sechs Beine haben? Ich hasse Ameisen.<br />

Klingt nicht schlecht diese Geschichte mit der Minikamera,<br />

ich meine, direkt erstaunlich, dass man die<br />

überhaupt festkriegt auf so einen Ameisenkopf. Obwohl,<br />

von der Sache her, ich meine, die einheimischen<br />

Ameisen machen das ja auch, das Mehrfache ihres<br />

Körpergewichts heben. Für sowas muss man nicht nach<br />

Afrika.<br />

Klar, man muss nicht nach Afrika, um sowas zu sehen.<br />

Nein, es war wirklich mehr die Art, wie es gefilmt<br />

wurde. So eine Minikamera lässt sich sicher auf vieles<br />

anwenden, aber bei diesen afrikanischen Ameisen, da<br />

hat das voll gewirkt. Es ging ja nicht nur um den<br />

Transport von Blättern, man hat auch gesehen, wie die<br />

Königin befruchtet wurde, alles mit dieser Minikamera<br />

gefilmt, aus der Sicht derjenigen Ameise, die die<br />

Königin besteigt. Ja, und das gab so einen Effekt, also<br />

ich meine, klingt jetzt ziemlich verrückt, wo’s doch nur<br />

Ameisen sind, aber ich konnte mich tatsächlich für<br />

einen Moment in diese Ameise versetzen, die diesen<br />

Hintern der Königin besteigen muss, der so mächtig<br />

aufge-schwollen ist. Und das gab mir so ein seltsames<br />

Gefühl. Es war mir irgendwie, na, das kann ich gar<br />

nicht beschreiben. Ich habe mich sicher nicht<br />

verständlich ausgedrückt, es war nur so seltsam, so ein<br />

Gefühl, das eigentlich gar keinen Grund hat. Na ja, ich<br />

geh dann mal wieder an die Arbeit. Zu Franz, der die<br />

Augen ver-dreht hat. Ist was?<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Vor meinem inneren Auge klettert die Silbersäule der<br />

nach oben offenen Unterhaltungswerteskala und<br />

klettert und klettert, überschreitet jetzt die 100 Punkte-<br />

Marke und klettert immer noch weiter, unbeirrbar<br />

- 17 -


Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

gegen oben, wird jetzt langsamer und bleibt bei<br />

unglaublichen 112 Punkten stehen.<br />

112 Punkte?<br />

Moment. Doch, im Grunde zweifelsfrei beurteilbare<br />

Sache. 112 Punkte.<br />

112 Punkte. Gut. Ich mache mich dann mal wieder an<br />

die Arbeit.<br />

Sind Sie denn gar nicht stolz auf Ihre 112 Punkte?<br />

Meine 112 Punkte?<br />

Ich habe Ihnen 112 Punkte verliehen.<br />

Maler Und wofür, wenn ich fragen darf, haben Sie mir 112<br />

Punkte verliehen?<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Mir gefällt Ihre Arbeit. Sauberes Handwerk. Allemal<br />

ihre 112 Punkte wert.<br />

Danke fürs Kompliment.<br />

Beeindruckt hat mich ferner Ihre Wirkung aufs<br />

schwache Geschlecht. Wirklich eindrücklich und mit<br />

112 Punkten keinesfalls zu hoch bewertet. Dann ist da<br />

noch Ihre Ameisengeschichte, das war wirklich<br />

fabelhaft.<br />

Ich weiss, ich rede manchmal etwas viel. Sie müssen<br />

mich einfach bremsen. Ich sollte nun wirklich<br />

weitermachen.<br />

Franz Keineswegs, die Menge der Worte stand in<br />

glänzendem Gleichgewicht zur Tiefe des Inhalts. Die<br />

sechs Beine der Ameisen riefen im Chor nach dem<br />

Hexameter, den Sie so souverän verwendet haben.<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Franz, bitte, ich habe immer noch Hunger.<br />

Babette, wieviele Punkte gibst du dem Maler?<br />

Ich habe keine Lust auf Punkte.<br />

Mein Trumpfblatt, meine Herzensdame bitte,<br />

- 18 -


Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

So geben Sie doch eine Wertung ab.<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Nun gut, wenn’s denn der Herr so innig wünscht.<br />

Wieviele Punkte bin ich Ihnen wert?<br />

Mein lieber Maler, wie du malst, das langweilt mich zu<br />

Tode. <strong>Null</strong> Punkte. Gegenüber dem schwachen Geschlecht<br />

benimmst du dich wie ein Stück Holz,<br />

während das schwache Geschlecht dich wie Luft<br />

behandelt: <strong>Null</strong> Punkte. Deine Ameisengeschichte: Die<br />

habe ich schon von A bis Z vergessen, falls ich dir<br />

überhaupt zugehört habe, was ich auch vergessen habe,<br />

jedenfalls ist nichts geblieben und für nichts gibt’s<br />

nichts oder alles, das heisst in deinem traurigen Fall:<br />

null Punkte. Aber deine <strong>Blutgruppe</strong> mag ich trotzdem.<br />

Dann kann ich ja beruhigt wieder an meine Arbeit<br />

gehen.<br />

Franz 112 und null, das macht einen Durchschnitt von 56<br />

Punkten. Gar nicht schlecht für den Anfang.<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

56 Punkte. Vielleicht haben Sie recht.<br />

Werden Sie fertig bis heute Abend?<br />

Ich werde mit diesem Anstrich fertig werden, denke<br />

ich. Nimmt Arbeit wieder auf.<br />

langweilt sich. Wenn es wenigstens regnen würde.<br />

Pause. Eisschrank! Mann erschrickt, schluckt Pille,<br />

reibt Salbe ein, setzt Brille auf, macht sich auf den<br />

Weg zum Eisschrank. Babette zum Maler. Wieso<br />

interessierst du dich nicht für meine Wecker? Weisst<br />

du, dass mir das scheissegal ist? Und meinen Weckern<br />

auch. Die finden dich nämlich alle langweilig, noch<br />

viel langweiliger, als ich dich finde. Aber für meine<br />

Regen-gesichter solltest du dich schon interessieren.<br />

Wer die nicht mag, hat einen Knall im Kopf, verstehst<br />

du? Laut. Sag was!<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Babette, ich bin an der Arbeit.<br />

- 19 -


Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Ich habe sie alle abfotografiert, meine Regengesichter,<br />

das heisst Franz hat’s gemacht, kann mich ja nicht<br />

selber fotografieren. Man erkennt aber trotzdem jedes<br />

einzelne, es sind über hundert Gesichter, die ich dem<br />

Regen abgeschaut habe. Das ist wahr, der Regen hat<br />

über hundert Gesichter. Wenn’s jetzt regnete, würd ich<br />

dem Regen ein neues Gesicht absehen, das du<br />

fotografieren könntest. Würdest du das tun? Aber<br />

draussen scheint ja die Sonne. Du könntest trotzdem<br />

fotografieren. Fotografier doch einfach ein Babette-<br />

Gesicht, machst du das, statt die ganze Zeit blöd vor<br />

dich hinzumalen, hör endlich auf damit. Du gehst mir<br />

auf die Nerven.<br />

weist sie ab. Bitte.<br />

sucht. Wo steckt denn nur die verdammte Fotokamera.<br />

Ich werde gleich wahnsinnig hier.<br />

Franz gibt ihr die Fotokamera.<br />

Das Ziel, das hinter allem meinem Tun steht,<br />

Heisst immer: Sie beschenken, zartes Reh<br />

Des tiefsten Märchenwaldes. Bitte sehr!<br />

Franz hält ihr eine Puppe hin. Die beiden singen<br />

«Stille Nacht, Heilige Nacht».<br />

Mein Herr und Rosenritter dritten Grades,<br />

ich bitte um die Aufklärung des Rätsels,<br />

auf was mein Auge mit Erstaunen blickt.<br />

Ach, Schwalbe, die den zarten Frühlingshimmel<br />

Der Jugend sanft bestreicht mit ihren Schwingen,<br />

In meiner Hand halt ich und lege Ihnen<br />

Ans Herz mit seinem mütterlichen Pochen<br />

Die Frucht aus Ihrem Leib, in die mein Samen<br />

Den Drang zu wachsen trug. Ein Bündel Fleisch,<br />

Das Resultat vollzogner Ehe, kurz<br />

In meinen Händen halt ich unser Kind.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 20 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

wiegt es an ihrer Brust. Siehst du, wie unser Kind<br />

hungrig ist? Wie es vor Hunger schreit? Mein Gott,<br />

weshalb muss unser Kind so schreien?<br />

Ich höre nichts und sehe keinen Hunger.<br />

Schaut prüfend auf die Puppe.<br />

Nun gut, ein bisschen bleich ist unser Kind,<br />

Doch müssen wir deswegen nicht verzweifeln.<br />

Zwölf Liter meines Blutes liegen hier<br />

bereit. Das müsste eigentlich doch reichen,<br />

den blassen Wangen unsres Kindes schnell<br />

ein bisschen Röte einzutreiben. Aber<br />

durch welche Öffnung kann der Lebenssaft<br />

ins Innre fliessen? Alles zu, ich muss also<br />

den Bohrer holen. Kannst du schnell dies halten?<br />

flüstert. Eisschrank, Eisschrank, Eisschrank.<br />

sich beherrschend, zum Maler. Bringen Sie bitte der<br />

Dame etwas zu essen.<br />

Ich will nicht unhöflich sein, aber…<br />

Aber, aber, du böser Maler du, wie kannst du nur<br />

mitansehen, wie die arme Babette und ihr Kind<br />

hungern, ohne etwas dagegen zu tun? Schau doch nur,<br />

wie süss wir hungern! Das machen wir doch nur für<br />

dich!<br />

Ich möchte einfach klar stellen, dass, nun, normalerweise<br />

reicht ein Tag aus für einen Anstrich, aber so,<br />

ich meine, bei den vielen Arbeitsunterbrüchen kann ich<br />

keine Garantie abgeben, dass ich bis am Abend fertig<br />

bin.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Ich garantiere für alles.<br />

Wie Sie wünschen. Geht zum Eisschrank. Was hätten<br />

Sie gerne?<br />

Was können Sie mir anbieten?<br />

- 21 -


Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Das Angebot ist noch immer das gleiche: Eier, Pestosauce<br />

und so weiter bis zum Salat, der schon ein wenig,<br />

nur Schokoladenjoghurt ist jetzt aus. Kann ich Ihnen<br />

ein Erdbeerjoghurt bringen?<br />

Nimm dir auch eins und setz dich her zu mir.<br />

Und Ihr Mann, was isst der?<br />

Vergiss endlich «meinen Mann».<br />

Maler setzt sich hin, isst mit Babette Joghurt.<br />

Verdammt, wieso geht das nicht?<br />

Wenn ich behilflich sein kann…<br />

Sehen Sie, unser Kind ist etwas bleich, aber wozu habe<br />

ich 12 Liter Blut abgegeben? Schenk ihm etwas von<br />

deinem Blut, wenn du schon soviel hast, hab ich mir<br />

gedacht. Aber es geht einfach nichts rein. Es scheint<br />

ganz so, als sei es schon voll. Ist aber trotzdem bleich.<br />

Und ganz starr. Gibt keinen Mucks von sich. Kein<br />

Funken Leben drin. Gottverdammte Scheisse!<br />

Wirklich ärgerlich sowas. Aber wieso muss die Farbe<br />

unbedingt hinein?<br />

Blut ist das, Blut.<br />

Entschuldigen Sie, ich wollte fragen, wieso das Blut<br />

unbedingt hinein muss.<br />

Blut muss doch hinein.<br />

Es wäre viel einfacher, das Blut auf die Puppe<br />

aufzutragen.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Auftragen?<br />

Dazu brauchen Sie nicht einmal einen Pinsel. Sie<br />

tauchen einfach das ganze in den Eimer, ziehen es<br />

gefärbt wieder heraus und hängen es zum Trocknen<br />

auf.<br />

Zum Trocknen aufhängen.<br />

- 22 -


Maler<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Der Maler nimmt neben Babette Platz. Während er<br />

erzählt, streicht er mit einem Pinsel die Puppe rot an.<br />

Babette füttert mit ihrem Joghurt zuerst die Puppe,<br />

dann auch den Maler.<br />

Das ist ein Kinderspiel. Die Farbe ist dann einfach<br />

aussen statt innen, das wäre der Unterschied, das wär<br />

dann gerade, mein Gott, ich hab da neulich einen Film<br />

gesehen. Ein Dokumentarfilm war das über die<br />

Seeschlacht von Trafalgar. Diese Engländer haben<br />

doch tatsächlich die Kanonendecks ihrer Schiffe alle<br />

blutrot ausgefärbt, damit das echte Blut, das in der<br />

Schlacht fliesst, nicht so auffällt. Mit einer Art Computeranimation<br />

wurde dann gezeigt, wie das auf diesen<br />

Kanonendecks zu und her ging während der Schlacht.<br />

Wie im übelsten Horrorfilm liessen sie die Köpfe und<br />

Beine der armen Kerle wegknallen, die immerzu<br />

Kugeln in die Kanonen stopfen mussten. Unglaublich<br />

war das. Stockt. Ich rede wieder zuviel. Die beiden<br />

schweigen. Sie müssen wissen, für mich war diese<br />

Fernsehsendung etwas Besonderes, weil ich, das ist<br />

Jahre her, da war ich auf einer Fahrradtour und in<br />

Portsmouth, so hiess diese Stadt, da war ich in so<br />

einem Schiff drin, das in der Schlacht von Trafalgar<br />

dabei war, die HMS Victory war das, das Flaggschiff<br />

von Lord Nelson, und es hat mich schon damals<br />

fasziniert, dass die Kanonendecks alle blutrot<br />

ausgefärbt waren. Wirklich faszinierend, und ich hätte<br />

mir auch gerne Stonehenge angesehen, wissen Sie,<br />

diese berühmte Steinanlage. In 20 Kilometer<br />

Entfernung sind wir an Stonehenge vorbeigefahren, die<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

andern hatten keine Lust, den Umweg zu machen für<br />

die paar Steine, wie sie sagten, die hatten eben keine<br />

Ahnung, richtige Banausen waren das, redeten nur vom<br />

Rückenwind, den sie ausnützen wollten. So ist nichts<br />

geworden aus Stonehenge. Jetzt aber endgültig<br />

Schluss. Ich nehme kaum an, dass ich für diese<br />

Geschichte auf einen Durchschnitt von 56 Punkten<br />

kommen würde.<br />

- 23 -


Franz<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Babette<br />

Noch ist das Resultat nicht verkündet, und es wäre<br />

doch durchaus möglich, vorsichtiger formuliert, es lässt<br />

sich jedenfalls nicht ausschliessen, dass uns Ihre<br />

Geschichte gefallen hat. Babette, was meinst du?<br />

Babette antwortet nicht. Ich für meinen Teil war<br />

beeindruckt von der direkten Erzählmanier, dem<br />

fliessenden Wechsel der Themen, der Verbindung von<br />

höchsten Kulturgütern mit persönlichstem Erleben,<br />

schliesslich das Motiv der Versagung, kein<br />

Stonehenge, bis heute heute keine Steine, bis heute ist<br />

die Lücke fühlbar, am Ort, wo das Herz schlägt, hallt<br />

es leer, dum dum dum dum, und jeder Schlag des<br />

blutenden Herzens treibt die Punkte-zahl höher, treibt<br />

die Zahl über alle Grenzen, 100 Punkte längstens<br />

überschritten und weiter schreit das Herz 114, 115,<br />

116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126,<br />

jetzt gerät es ins Stocken, 127, 127, kommt noch eines<br />

mehr, 127, immer noch 127, der Herzschlag erstirbt,<br />

doch erreicht sind sagenhafte 127 Punkte, dafür lohnt<br />

es sich doch zu sterben, wer erreicht schon 127 Punkte<br />

mit ein paar Steinen!<br />

Und Sie Babette, wieviele Punkte bekomme ich von<br />

Ihnen?<br />

Wenn du mich fotografierst, darfst du mich zur Belohnung<br />

vergewaltigen.<br />

Ich mach mich dann mal an die hintere Wand. Will<br />

aufstehen.<br />

Ich werde schreien vor Lust. Du kannst mich auch ohne<br />

Fotografieren haben, einfach so! Sieh mich gefälligst<br />

an, wenn ich mit dir rede! Noch nie eine Frau gesehen?<br />

Schau endlich hin! Hier, gehört alles dir! Greif zu!<br />

Maler steckt seinen Kopf in den Bluteimer.<br />

He, was machst du da? Komm, sag schon, soll ich mich<br />

denn zu Tode langweilen? Ich rede mit dir, Maler,<br />

hörst du, ich rede mit dir. Sag endlich was! So geht’s<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 24 -


Maler<br />

Babette<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

nicht, nicht mit mir. He du, ich rede mit dir, verdammt<br />

nochmal.<br />

taucht aus dem Bluteimer auf. Hol ein Messer.<br />

Ein Messer, wozu denn ein Messer?<br />

Franz, fasziniert vom Tauchrekord des Malers steckt<br />

seinerseits den Kopf in den Bluteimer.<br />

ist aufgesprungen und sucht ein Messer. Wie ist es<br />

denn möglich, dass ich kein Messer finde, irgendwo in<br />

dieser Wohnung muss doch irgendwas sein, womit man<br />

schneiden kann, irgendwas mit einer Klinge. Mein<br />

Gott, in keiner Schublade auch nur den Hauch von<br />

einem Scharfschliff.<br />

Wir haben kein einziges Messer im Haus, nichts,<br />

womit man schneiden kann. Ist das nicht zum Lachen?<br />

Der klingenlose Haushalt. Babette, erzähl dem Maler<br />

doch, wie wir vor dem Frühstück mit dem Stangenbrot<br />

ein lustiges Seilziehen veranstalten, bis es<br />

auseinanderge-rissen ist, und wie jeder seinen<br />

Brottorso auf der Butter reibt, bis sie etwas abgegeben<br />

hat von ihrem Fett, und wie wir dann die<br />

Konfitürengläser darüberkippen, hoppla heute wird’s<br />

wieder einmal so richtig süss und erzähle, wie ich mich<br />

ohne Rasierklingen rasiere…<br />

Wie kann man nur einen Haushalt haben, in dem nichts<br />

schneidet, das ist doch kein Leben sowas. Franz, es<br />

kann doch nicht sein, dass wir nie etwas geschnitten<br />

hätten, immerhin trägst du kurze Haare und kaue ich<br />

etwa Fingernägel?<br />

Maler Babette, in meiner Tasche hat es einen<br />

Kartonschneider.<br />

Babette<br />

Maler<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Kartonschneider? Was ist denn das?<br />

So ein gelbes Ding, ungefähr so lang, es heisst zwar<br />

Kartonschneider, aber man kann es auch für andere<br />

Zwecke benutzen.<br />

- 25 -


Babette<br />

Maler<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Meinst du das da?<br />

Bring es her. Fährt die Klinge aus. Schneidet ihr den<br />

Strumpf auf, legt den Fuss frei, zählt die Zehen. Eins,<br />

zwei, drei, vier, fünf, alle da.<br />

Der Maler legt das Messer weg, die beiden werden<br />

zärtlich. Sie tanzen zu einem italienischen Schlager<br />

aus dem Kofferradio. Franz gibt seine Tauchversuche<br />

auf und schlägt dem Maler mit einer Petflasche<br />

auf den Kopf. Nach dem dritten Schlag spielt<br />

der Maler einen slapstickartigen Tod.<br />

Dong. Hast du das Geräusch gehört? So ein richtig<br />

dumpfes Malergeräusch war das. Dong. Ich möchte<br />

einen Wecker haben, der so ein Geräusch macht.<br />

DONG DONG DONG. Das wäre ein Aufwachen.<br />

Gelächter. Die drei finden zusammen in einen<br />

unbeschwerten Moment. Nach einem weiteren DONG<br />

von Babette schlägt Franz den Maler tot. Mein Gott,<br />

Franz, jetzt ist der Maler mausetot. Ich habe mich doch<br />

schon ein wenig an ihn gewöhnt, bis auf den Schluss<br />

war er so schön reserviert. Jetzt ist er tot. Der Maler ist<br />

tot, der Maler ist dod, der Maler ist tohth, der Maler ist<br />

tut, der Maler ist tat. Tut, tat, tot, tut, tat tot, ta tü ta tü.<br />

Franz, ich habe einen fürchterlichen Hunger, der<br />

Hunger reisst mir jetzt dann gleich den Magen<br />

auseinander. Bitte Franz, Joghurt, bring mir viel<br />

Joghurt und frag den ti ta tüten Maler, ob er auch etwas<br />

will.<br />

gibt Joghurt, trinkt selber Bier. Kaum Blut geflossen<br />

beim Maler, direkt lächerlich.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Ich will keinen toten Maler im Haus haben. Wieso hast<br />

du nur einen Maler hierher bestellt?<br />

Ich wollte dir damit eine Freude machen. Ein bisschen<br />

Abwechslung tut doch gut, habe ich mir gedacht. Ewig<br />

diese Rosen. Der Maler ist mein Geburtstagsgeschenk<br />

an dich.<br />

- 26 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Ich habe nicht Geburtstag.<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Immer mit der Ruhe. Uns wird etwas einfallen. Noch<br />

wird der Maler nirgends vermisst. Wer vermisst schon<br />

einen Maler? Es wird sich eine Lösung finden, das ist<br />

überhaupt kein Problem.<br />

Der Maler ist tot, Franz.<br />

Es ist kaum Blut geflossen. Der Fall ist lösbar. Du<br />

kannst mir vertrauen.<br />

Franz, weisst du was du bist? Ein böser böser Mörder.<br />

Lacht, küsst ihn.<br />

Prinzessin aller Lilien und Tulpen,<br />

Von Scham belastet senkt sich schwer mein Haupt,<br />

Und giesst viel Tränen aus, die bald sich nun<br />

Vereinen zu dem Bächlein, das die Bitte,<br />

Mir zu verzeihen, wie ein zartes Laubblatt<br />

Mit Frühlingshoffen sacht zu Ihnen trägt.<br />

Mein edler Bräutigam und Führer meines Herzens,<br />

Sie dürfen glauben, meine Hand, sie streckte<br />

Sich unverzüglich Ihrer Bitte um<br />

Verzeihung hin, wenn zu Verzeihung Anlass<br />

Ich finden könnte. Nicht der Wille ist es,<br />

An dem’s mir fehlt, es fehlt mir an dem Wissen,<br />

Von welcher Schuld ich Sie erlösen könnte.<br />

So ist es wahr, ich habe nichts verbrochen?<br />

Damit hätt ich nun wirklich nie gerechnet.<br />

All meine Tränen, in die bittre Schuld<br />

Gemischt war, werden plötzlich glänzend rein und<br />

Zu Kündern meiner Freude über mein<br />

Geschick, das sich so völlig unverhofft<br />

Zu einem Besseren gewendet hat.<br />

Ich fühle ungetrübtes Glück in mir.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Das Glück, das Sie mir hell entgegenstrahlen,<br />

Sie Held all meiner Kindheitsträume, zündet<br />

In dunkler Seelenkammer mir ein Licht an.<br />

Mir ist’s als spürte ich es warm in meinem<br />

- 27 -


Franz<br />

Babette<br />

Babette<br />

Babette<br />

Babette<br />

Babette<br />

So lang schon abgestorbnen Leib. Eine<br />

Erinnerung ist aufgewühlt an etwas<br />

Von Anfang an Vermisstes. Eine Welle,<br />

Von der ich nicht den Namen weiss, bestreicht<br />

Den Strand, auf dem so lang nur Fleisch und Knochen<br />

In gnadenlosem Sonnenschein verfaulten.<br />

Wie tut mir Ihre Rede gut. Ich steige<br />

Mit jedem Ihrer schönen Worte höher<br />

Dem Himmel zu, woher ganz leise Stimmen<br />

Zu hören sind, wohl von dem Engelschor,<br />

Dem Gott befohlen hat ein Lied zu singen,<br />

Das speziell uns zwein gewidmet ist.<br />

Ich habe mich schon lang nicht mehr so frei<br />

Gefühlt, aus mir fliesst nichts als pure Freude.<br />

Ich fühle dieses Fliessen, Ihre Freude,<br />

Sie kitzelt meine Zehen und steigt höher,<br />

Umhüllt nun meine Haut, das ist ja wirklich<br />

Ein Grund zum Staunen, Franz, wie lange,<br />

Ich meine, bitte Franz, komm her zu mir.<br />

Ob man den toten Maler fotografieren kann? Ich würde<br />

mir gerne ein Andenken bewahren, er war so nett, der<br />

Maler. Die Kamera, wo hab ich bloss die Kamera?<br />

Findet sie, verwendet im Folgenden den Maler wie<br />

eine Puppe, redet auch für ihn, der nur die Lippen<br />

bewegt. So, ganz still jetzt und Cheese! Der Maler<br />

lächelt, Babette fotografiert.<br />

als Maler. Und nun zeigen Sie mir ein Regengesicht,<br />

Babette.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Was für einen Regen möchtest du denn?<br />

als Maler. Einen sanften Landregen, der weich und<br />

warm und ohne Ende fällt.<br />

Sachen ohne Ende gibt’s nicht. Wieso hast du dich<br />

vorhin gewehrt, blöder Maler, vorhin hättest du<br />

fotografieren können, soviel du willst. Jetzt bist du tot.<br />

- 28 -


Babette<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Leg dich wieder hin, ich rufe jetzt die Polizei, damit<br />

man deinen Mörder einsperrt und in dicke Ketten legt.<br />

als Maler. Wie Sie wünschen.<br />

Der Maler liegt wieder tot da.<br />

wählt eine Telefonnummer. Polizei, ist dort die<br />

Polizei? Bitte hierher kommen, bitte hierher kommen<br />

und ganz schnell, bringen Sie viel Polizei hierher.<br />

Kurze Pause. Hierher eben, in unsere Wohnung, wir<br />

wohnen an der… Franz hat das Telefonkabel<br />

ausgerissen. Spinnst du?<br />

Babette, liebst du mich?<br />

Meinst du wirklich, ich hole mir zum toten Maler noch<br />

einen Haufen Polizisten ins Haus, von denen jeder<br />

einzelne viel dümmer ist als ein ganzes Malergeschäft?<br />

War doch nur ein Spass.<br />

Liebst du mich?<br />

Komm Franz, ich erzähle dir die Geschichte vom<br />

Eiscrème-Fritz. Während sie erzählt, fotografiert der<br />

tote Maler die beiden in verschiedenen Posen. Der<br />

Eiscrème-Fritz hat seinen Freunden im heissesten Sommer<br />

immer Eiscrème angeboten, davon hatte er seinen<br />

Namen und seine Freunde, die haben sich alle gierig<br />

draufgestürzt, weil es so heiss war und haben die Eiscrème<br />

runtergeschlürft wie die Schweine, und der Fritz<br />

hat gelächelt, weil er sich einen Scherz erlaubt hat und<br />

seinen Freunden vergiftetes Eis gegeben hat, so dass<br />

diese plötzlich blau und grün wurden im Gesicht und<br />

alle tot umfielen. Da kam die Polizei herangefahren<br />

und hat den Fritz gefragt, weshalb seine Freunde tot<br />

herum-liegen würden. Der hat was zusammenerzählt<br />

von wegen der grossen Hitze und wie seine Freunde<br />

hitze-empfindlich seien und hat die Polizei gefragt, ob<br />

sie Lust auf ein Eis hätten. Die haben ihm das Eis aus<br />

den Fingern gerissen, weil’s doch so heiss war und es<br />

runtergeschlürft. Dieses Eis war natürlich auch ver-<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 29 -


giftet, die Polizisten liefen blau und grün an im Gesicht<br />

und fielen tot um. Da kam sofort neue Polizei<br />

herangefahren, die hat misstrauisch auf die Freunde<br />

vom Fritz und die Polizei geblickt, die dort tot<br />

herumlagen und der Fritz hat was<br />

zusammengequatscht, wie heiss das Wetter sei und wie<br />

die Leute das nicht aushielten und hat die Polizei<br />

gefragt, ob sie gern ein Eis hätten. Die konnte nicht<br />

Nein sagen und lag ein paar Minuten später ebenfalls<br />

grün und blau am Boden. Da kam sofort neue Polizei<br />

herangefahren, und die hat noch viel misstrauischer auf<br />

all die Freunde und Polizei geschaut, die um den Fritz<br />

herum in der Sonne lagen und der Fritz hat wieder<br />

geredet über diesen Sommer mit seiner verfluchten<br />

Hitze, und wie die Leute einfach keine Abwehrkräfte<br />

mehr hätten gegen die Sonnenein-strahlung und dann<br />

gefragt, ob sie gerne ein Eis hätten, da hat der eine von<br />

der Polizei sofort ja gesagt, der andere aber blieb<br />

weiter misstrauisch, blickte auf all die tote Polizei, die<br />

schon herumlag und fragte den Eiscrème-Fritz, ob er<br />

auch etwas anderes haben könnte. Natürlich, sagte<br />

dieser und bot dem misstrauischen Poli-zisten eine<br />

Zigarre an, die war natürlich auch vergiftet und schon<br />

nach ein paar Zügen trug auch dieser Polizist sämtliche<br />

Sommerfarben im Gesicht und fiel wie sein Kollege tot<br />

um.<br />

Der Maler liegt wieder tot da.<br />

Franz Das Joghurt, das ich dir gebracht habe, ist mit 20<br />

Gramm Zyankali versetzt. Davon fällt ein ganzes Dorf<br />

um.<br />

Babette<br />

Franz<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Ich bin kein Dorf.<br />

Stille. Babette steckt sich die Pistole in den Mund,<br />

drückt ab.<br />

Meine Damen und Herren. Erlauben Sie mir zu Ihrer<br />

Beruhigung und Versicherung, dass hier alles mit<br />

rechten Dingen zugeht, Sie darüber aufzuklären, was<br />

- 30 -


<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

in… Er blickt auf die Uhr. …ziemlich genau vier<br />

Minuten und dreissig Sekunden hier geschehen wird.<br />

Zu diesem Zeitpunkt wird diese Seitenwand hier unter<br />

beträchtlicher Lärmentwicklung niedergewalzt. Die<br />

vier apokalyptischen Reiter sprengen auf ihren feurigen<br />

Rössern und den Schlachtruf HEHAHO ausstossend<br />

auf die Bühne. Eines dieser vier Rösser, wenn ich<br />

richtig informiert bin, das altrosagefärbte, wird den<br />

Eimer mit meinen zwölf Litern Blut leersaufen, ein<br />

weiteres, dessen Farbe keine Rolle spielt, wird unser<br />

mit Anämie begabtes Kind auffressen. Die anderen<br />

zwei Rösser schnauben unterdessen ganz entzückt, weil<br />

ihnen der neue Anstrich der Wände so gut gefällt. Die<br />

vier Reiter entführen die tote Babette und preschen mit<br />

ihr zehn Kilometer in diese Richtung, bis sie an der<br />

Endstation der schönsten Tramlinie dieser Stadt<br />

angekommen sind, wo sie Babette einem riesigen<br />

Drachen zum Frass vorwerfen, der sich dort von den<br />

aussteigenden Trampassagieren ernährt. Der Drache<br />

schlingt Babette seinen Rachen hinunter und rülpst<br />

dann so laut, dass die Erde für Richterskalen<br />

wahrnehmbar zittert und stösst ein Knöchelchen der<br />

armen Babette aus seinem Maul, das fliegt in hohem<br />

Parabelbogen über die ganze Stadt hierher und landet<br />

auf meiner Brust. Nun ist dieses Knöchelchen ein<br />

Schlüsselbein, das ins Schloss meines Herzens passt<br />

und dieses aufschliesst. Aus meinem geöffneten<br />

Herzen bricht eine Fastnachtsgesellschaft hervor in<br />

buntfransigen Kostü-men, mit winzigen Posäunchen,<br />

Trompetchen und Tschinellen, die schrill quietschen<br />

und klirren. Die Fast-nachtsgesellschaft hüpft mit<br />

winzigen aufgeregten Bewegungen über meinen Schoss<br />

und mein rechtes Bein auf den Boden zu. Mit einem<br />

Insektenspray bringe ich den Umzug zum Erliegen und<br />

Verstummen. Ich schaue in mein Herz, in dem sich nur<br />

noch ein fürchterlicher Gestank befindet.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Zum toten Maler.<br />

- 31 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Da steht er wieder auf seinen Beinen, unser Maler. Ist<br />

es Ihnen schon langweilig geworden, erschlagen auf<br />

dem Boden zu liegen? Richtig, Sie haben nicht einmal<br />

richtig geblutet, da habe ich gleich geahnt, dass es<br />

nicht weit her ist mit Ihrem Tod. Sehen Sie genau hin.<br />

Babette versteht es zu sterben. Mindestens ein Liter<br />

Blut ist aus ihrem Mund geflossen und glänzt mit<br />

ihrem Anstrich um die Wette. Und sehen Sie doch bitte<br />

die Augen der armen Babette an. Wie sie, nur an einem<br />

dünnen Nervenfaden noch, über ihre Wangen hängen.<br />

Wie Kirschen sehen sie aus, diese Augen, reife<br />

Kirschen, aus denen der Saft dunkel quillt. Wann<br />

haben Sie zuletzt so etwas Schönes gesehen? Ich habe<br />

mich schon längstens überessen an dieser Augenweide<br />

und muss mich gleich übergeben, reisse ich den Blick<br />

nicht weg von diesen Kirschen, aber ich habe keine<br />

Kraft, den Bann zu brechen, bitte helfen Sie mir,<br />

erlösen Sie mich von diesem Anblick. Zu Babette.<br />

Gebieterin all meines Wollens, bitte<br />

Verschliessen Sie Ihr Herz nicht vor dem Wunsch,<br />

Der mitten drin in meinem Herzen wuchs.<br />

Gewähren Sie, was ich mir sehnlichst wünsche,<br />

Zu Ihrem Glück zu tun. Erlauben Sie, dass...<br />

Ach Franz, ich bin sie müde, einfach müde<br />

All Ihre Worte, wie soll ich es sagen, ja<br />

Sowenig sie mir Nahrung sind, sosehr<br />

Hab ich sie satt. Ich kann nicht mehr.<br />

Ach, liebste Antilope Afrikas<br />

So bleiben Sie ganz einfach liegen, während<br />

Um Sie herum entsteht von meiner Hand<br />

Der Ort des Friedens, das Refugium,<br />

Die Ruhestatt für Ihre Seele, ein ganz<br />

Bequemer Sessel unerreichbar für<br />

Das schlimme Rad der ewgen Wiederkehr.<br />

Ich baue Ihnen einen Ort der Stille.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Ein Ort der Stille, was soll das denn sein?<br />

Im Sarg, Madame, da liegt es sich sehr still,<br />

- 32 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

Geschützt vor aller Art von Tatendrang,<br />

Der in Bewegung uns versetzen will.<br />

Damit der Sarg auch ganz der Ihre sei<br />

Und ihnen passt, möcht ich an Ihrem Leib<br />

Die Masse nehmen, so dass wie ein Kleid<br />

Er Ihre schöne Form bekommen wird.<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

Ach Franz, bekommen hab ich bisher nichts<br />

Als einen Haufen Worte, wo ein Sarg doch<br />

Die Arbeit eines Schreiners ist, es braucht ein<br />

Hantieren mit der Säge und dem Hammer,<br />

Damit aus Fichtenlatten wird, wovon Sie<br />

Gesprochen haben und ich sehe nirgends<br />

Dies Werkzeug noch die Fichtenlatten und<br />

In Ihnen nicht den Mann, der fähig wäre,<br />

Mit diesen Dingen sinnvoll umzugehen.<br />

Es scheint und dieser Schein tut weh, dass Sie<br />

Gleich zweifach an mir zweifeln, meinem Wort<br />

So wenig wie der Tatkraft in mir trauen.<br />

Franz, ich habe Hunger.<br />

Madame, Sie sprechen von Hunger, immer wieder höre<br />

ich dieses Wort von Ihnen. Es scheint mir fast, es habe<br />

etwas zu bedeuten.<br />

Franz, bitte, ich habe Hunger.<br />

Wo sind wir stehen geblieben? Richtig, das Wort<br />

«Hunger» hat etwas zu bedeuten, und zwar, dass wir<br />

die Gunst dieses Augenblicks benutzen sollten, in dem<br />

in mir die Pillen wirken und ich die Brille schon<br />

aufgesetzt habe und keine Salbe mehr brauche, weil ich<br />

mich an diesen Eisschrank im Lauf dieses<br />

wunderschönen Tags schon ein bisschen akklimatisiert<br />

habe. Was darf ich Ihnen aus diesem Juwel der<br />

gekühlten Nahrungsmittel-aufbewahrung hier<br />

servieren?<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Ein Joghurt, Franz. Und der Maler soll auch was<br />

haben.<br />

- 33 -


Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

Franz<br />

Maler<br />

Babette<br />

Maler<br />

zum Maler. Was kann ich Ihnen anbieten?<br />

Nichts, aber was ich sagen möchte, wegen vorhin.<br />

Vorhin? Was war vorhin?<br />

Ich meine, vorhin.<br />

Vorhin war überhaupt nichts, verstanden. Vorhin war<br />

genau so wenig, wie jetzt etwas ist. Es ist wie immer,<br />

und das heisst, es ist nichts, haben Sie das verstanden?<br />

Nichts! Halt, die Wand ist ja zu Ende gestrichen, was<br />

heisst: Es ist Feierabend und Zeit für ein Feierabendbierchen.<br />

Hier, bitte schön und entschuldigen Sie, dass<br />

ich gegen diesen goldenen Moment beinahe ungerecht<br />

geworden wäre.<br />

Ich meine, vorhin, ich weiss, das ist eine seltsame<br />

Frage, aber lag ich nicht hier tot auf dem Boden?<br />

Maler, erzähl was.<br />

Ich weiss nicht, irgendwie fühle ich mich krank. Ich<br />

habe so ein Frösteln, als wäre eine Grippe im Anzug.<br />

Eine Geschichte von Ihnen wäre doch ein schöner<br />

Abschluss, Ihre Geschichten, die haben alle sowas, na<br />

so einen Kern, wie Erdbeeren einen Kern hätten, wenn<br />

sie einen hätten. Sie verstehen, was ich meine. Etwas,<br />

was sich verbal nicht durchdringen lässt, ein heiler<br />

Funke. Ja, ein heiler Funke. Das ist das Wort.<br />

Ich habe keine Geschichte.<br />

Was bist du für ein trauriges Stück Maler. Hast du<br />

denn noch immer nicht begriffen, dass du mir<br />

irgendwas erzählen kannst? Ich liebe alles, was du<br />

sagst. Erzähl mir, wie du heute Morgen die Zähne<br />

geputzt hast und du bekommst von mir 150 Punkte.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Zähne geputzt? Nun, daran, wie ich meine Zähne putze,<br />

ist wirklich nichts – ich habe sie einfach geputzt wie<br />

jeden Morgen, habe dann meinen Wagen geladen und<br />

bin hierher gefahren. Auch das ist nichts, ich meine,<br />

- 34 -


Babette<br />

Franz<br />

Babette<br />

<strong>Blutgruppe</strong> <strong>Null</strong><br />

man hält bei ein paar Rotlichtern, und dann ist man<br />

angekommen, ausser… Ja Anfang Jahr war das, da<br />

standen zwei bei einem Rotlicht, wo ich halten musste,<br />

und haben eifrig miteinander geredet. Im Auto habe ich<br />

davon gar nichts gehört, ich sah nur, wie sich abwechslungsweise<br />

ihre Lippen auf und zu bewegten. Und weil<br />

es ein richtig kalter Morgen war, stiessen sie mit jedem<br />

Wort ein Atemwölklein hervor, das hell leuchtete in<br />

der Sonne. Das sah wirklich sehr speziell aus, wie die<br />

beiden da redeten, wirklich ein witziger Anblick. Und<br />

plötzlich hatte ich das Gefühl, dass die beiden nichts<br />

weiter austauschten als diese Atemwölklein, dass ihr<br />

Gespräch tatsächlich stumm sei, und das kam mir<br />

zuerst auch sehr witzig vor, dass da zwei ein Gespräch<br />

führen, das nur aus Atemwölklein besteht, aber dann<br />

bekam ich plötzlich das seltsame Gefühl, als könnte ich<br />

nie mehr aus meinem Auto hinaus, weil es draussen<br />

totenstill ist, und alle Menschen nur diese hellen<br />

Atemwölklein von sich geben. Das war wirklich ein<br />

saukomisches Gefühl, eigentlich unangenehm, wenn<br />

ich es mir richtig überlege. Ja, und dann hat es heftig<br />

gehupt von hinten, weil ich ganz vergessen hatte, auf<br />

die Ampel zu achten, die auf Grün gewechselt hatte.<br />

Du bist schon fertig? Wie schade. Bläst über ihre<br />

flache Hand. Hier, nimm deine 150 Punkte.<br />

150 Punkte, ganz richtig, es gibt absolut keinen Grund,<br />

knausrig zu sein. Falls Ihre Geschichte aber vor<br />

Schreck über soviel Punkteglück tot umfallen sollte, so<br />

beerbt sie automatisch Ihr Anstrich, der zweifelsohne<br />

auch seine 150 Punkte wert ist. Bestreicher der vier<br />

Wände, die uns hier so zweckdienlich umstellen, ich<br />

entlasse dich mit Dank und Achtung für dein<br />

Tageswerk in den wohlverdienten Feierabend. Ruhn.<br />

Abtreten.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Schauen wir morgen zusammen das Bild an, auf dem<br />

du tot in die Kamera lächelst? Du kommst doch<br />

morgen wieder? Meine Wecker freuen sich mit mir<br />

- 35 -


darauf, dass du morgen wiederkommst. Erlaubst du<br />

mir, dass ich mich ein wenig freue auf dich? Bitte<br />

erlaub es mir, mein kleiner, süsser Maler, dass ich mich<br />

freue und bitte, küss mich zum Abschied.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 36 -

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