Rojava Report
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<strong>Rojava</strong><br />
<strong>Report</strong><br />
Einführung und Erläuterungen zum<br />
revolutionären Krieg in <strong>Rojava</strong><br />
Interviews mit kämpfenden<br />
InternationalistInnen<br />
Interviews mit revolutionären<br />
Organisationen
Inhalt<br />
4<br />
Einleitung<br />
32 Karker: Antifaschistsicher<br />
Kämpfer aus Deutschland<br />
10<br />
41 Nanuk: Berichte<br />
von der Front<br />
Bericht zur<br />
aktuellen Lage<br />
Einführung<br />
InternationalistInnen<br />
4 Einleitung<br />
6 Militärische Geschichte <strong>Rojava</strong>s<br />
8 Begriffsregister<br />
10 Zur Situation in der Türkei<br />
19 Karten<br />
22 Kenan<br />
29 Internationalist I<br />
32 Karker<br />
35 Internationalist II<br />
41 Nanuk<br />
43 Internationalist III<br />
48 Mahid Eahir<br />
Herausgeber: Revolutionärer Aufbau Schweiz<br />
Weitere Infos: www.aufbau.org<br />
Kontakt: info@aufbau.org<br />
51 Moah & Rohat<br />
54 Lions of <strong>Rojava</strong><br />
59 Internationalistin
68<br />
Interview mit<br />
einer Kommandantin<br />
der MLKP<br />
125-129<br />
Berichte aus dem<br />
Alltag<br />
94<br />
Barbara von der<br />
TKP/ML<br />
Revolutionäre<br />
Organisationen<br />
68 Kommandantin MLKP<br />
76 TKP/ML-TIKKO<br />
82 BÖG<br />
86 SYPG<br />
91 Ellas (MLKP)<br />
94 Barbara (TKP/ML)<br />
99 Freiheitsbataillon<br />
101 Kommandant Sengal (MLKP)<br />
105 Die Rolle der Gefallenen<br />
108 Frauenteam (MLKP)<br />
112 Kämpferin MLKP<br />
114 Kämpferin BÖG<br />
118 Kommandantin TIKKO<br />
Kämpfender<br />
Alltag<br />
125 Militanter I (PKK)<br />
126 Mehrmet (TKP/ML)<br />
127 Militanter II (MLKP)<br />
128 Militanter III (MLKP)<br />
129 Militanter IV (SYKP)<br />
130 Bataillone des International Freedom<br />
Battalion
Einleitung<br />
„Biji berxwedane Kobanê! Es lebe der Widerstand in<br />
Kobanê!“ - Dieser Ruf steht nicht nur für die wichtige<br />
Verteidigung Kobanês vor den Schlächtern des IS<br />
im Frühjahr 2014, er steht auch für das Umschlagen<br />
eines regionalen Kampfes in ein globales Projekt. Der<br />
Übergang von der Verteidigung in den Angriff, der<br />
Aufbau einer neuen Gesellschaft auf den Ruinen des<br />
syrischen Krieges und in direkter Konfrontation mit den<br />
barbarischen Auswüchsen des Imperialismus – überall<br />
auf der Welt ist das Projekt <strong>Rojava</strong> seither zu einem<br />
wichtigen Bezugspunkt linker Politik geworden.<br />
Revolutionärer Internationalismus besteht immer aus<br />
zwei Teilen. Der eine ist die praktische Unterstützung der<br />
kämpfenden GenossInnen und findet seinen Ausdruck<br />
in Demos, Geldsammlungen sowie an der Front und<br />
im Aufbau des Internationalen Freiheitsbattallions. Der<br />
andere Teil besteht darin, Erfahrungen, die an anderen<br />
Orten gemacht werden für den hiesigen Prozess nutzbar<br />
zu machen. Keine Frage, unsere Kampfbedingungen<br />
in Westeuropa unterscheiden sich grundsätzlich von<br />
jenen in Nordsyrien. Dennoch sind wir überzeugt, als<br />
europäische RevolutionärInnen viel von <strong>Rojava</strong> lernen<br />
zu können.<br />
Auf ihre spezifische historische Situation findet die<br />
kurdische Bewegung ihre spezifischen Antworten.<br />
Aus unserer Realität hier können wir diese Antworten<br />
weder einfach kopieren noch aus dem Nichts bewerten.<br />
Hingegen können und müssen wir versuchen zu lernen,<br />
wie methodisch zu diesen Antworten gefunden werden<br />
kann. Während mehreren Aufenthalten in <strong>Rojava</strong> und<br />
benachbarten Gebieten konnten wir einen Blick auf den<br />
methodischen Umgang des Projektes mit Widersprüchen<br />
und Ungleichzeitigkeiten, auf das Verhältnis von<br />
Verteidigung und Angriff, genauso wie auf jenes von<br />
Taktik und Strategie, erhaschen.<br />
Internationalen Freiheitsbataillon nahestehen. Unter<br />
anderem hat sich kurz vor dem Abschluss dieses<br />
Buches ein anarchistisches Bataillon gegründet, dessen<br />
Gründungserklärung wir gerne abdrucken wollen. Auf<br />
dass diese unterschiedlichen Blicke unsere eigenen<br />
Augen und Waffen schärfen.<br />
Wer in diesen Fenstern die Stimme der kurdischen<br />
Kampforganisationen vermisst, insbesondere diejenige<br />
der YPG, hat freilich recht. Wie in fast allen Interviews<br />
betont wird, möchten auch wir hier nochmals<br />
bekräftigen können, sind sie es, von deren militärischer<br />
und politischer Führung wir letztlich lernen müssen.<br />
Sie führen und leiten den Kampf in <strong>Rojava</strong> an und<br />
sie sind verantwortlich für den Wiederaufbau. Einzig<br />
den Erfahrungen des kurdischen Befreiungskampfes<br />
und den hierbei Gefallenen ist es zu verdanken, dass<br />
in <strong>Rojava</strong> überhaupt Siege errungen werden konnten.<br />
Wenn im vorliegenden Buch ihre Stimme vermisst<br />
wird, dann hängt dies einzig damit zusammen, dass wir<br />
hier eine andere Erfahrung wiedergeben möchten: Die<br />
Erfahrung des gelebten Internationalismus und dessen<br />
Möglichkeiten im Kampf um die Befreiung weltweit.<br />
Die HerausgeberInnen<br />
Gewidmet allen Gefallenen der Kriege und bewaffneten<br />
Kämpfe um eine Zukunft frei von Ausbeutung und<br />
Unterdrückung.<br />
Es ist dieser Blick, den wir mittels dieses Buches mit<br />
anderen InternationalistInnen teilen wollen. Teilen,<br />
indem wir ein Fenster öffnen, das ermöglicht durch die<br />
Augen der Beteiligten auf den Prozess in <strong>Rojava</strong> zu<br />
blicken.<br />
Eine solche Perspektive versuchen wir erstens über die<br />
Stimme der InternationalistInnen herzustellen, die sich<br />
temporär der Revolution in <strong>Rojava</strong> angeschlossen haben.<br />
Zweitens präsentieren wir eine Auswahl von Interviews<br />
mit VertrerterInnen verschiedener revolutionärer<br />
Organisationen. Drittens existieren alltägliche<br />
Erfahrungen, die wir kurz wiedergeben möchten. Auf<br />
den letzten beiden Seiten werfen wir zudem einen<br />
kurzen Einblick auf verschiedene Bataillone, die dem<br />
4
Militärische Geschichte <strong>Rojava</strong>s<br />
März 2011<br />
Volksaufstände in allen größeren syrischen Städten.<br />
Auch KurdInnen demonstrieren en masse gegen das<br />
Regime.<br />
2011 - 2012<br />
Eine Handvoll kurdischer und arabischer<br />
Jugendlicher gründen die YXG, „Volks-<br />
Selbstverteidigungs-Einheiten“. Wenig später<br />
benennen sie sich um in YPG.<br />
19. Juli 2012<br />
Die YPG umstellen Regierungsgebäude und<br />
Militärbaracken in Kobanê. Nach Verhandlungen<br />
ziehen die Regime-Truppen kampflos ab.<br />
Sommer und Herbst 2012<br />
Weitere Städte folgen dem Beispiel Kobanês,<br />
darunter Amûdê, Derbesiye, Serêkaniyê,<br />
Tirbespiyê, Girkê Legê, Dêrik und Efrîn. In Aleppo<br />
übernehmen YPG und YPJ die Kontrolle über die<br />
Stadtteile Şêx Meqsûd und Eşrefiye. Vor 2011 im<br />
Untergrund agierende Gruppen wie PYD und die<br />
Kurdische Frauenbewegung beginnen mit dem<br />
Aufbau provisorischer Volksräte zur Verwaltung der<br />
nun autonomen Gebiete.<br />
November 2012<br />
Jabhat an-Nusra fallen in Serêkaniyê ein.<br />
Frühjahr 2013<br />
<strong>Rojava</strong> ist Ziel verschiedener islamistischer Gruppen<br />
geworden, deren Angriffe die YPG nur mühsam<br />
abwehren können. Die Kommune von Aleppo<br />
wird Ziel von schweren Bombardierungen sowohl<br />
vonseiten des Regimes als auch oppositioneller<br />
Gruppen, woraufhin ein Großteil der dort lebenden<br />
Bevölkerung nach Efrîn evakuiert wird.<br />
Juli 2013<br />
Nach schweren Kämpfen erobern YPG und YPJ<br />
Serêkaniyê entgegen aller Erwartungen zurück.<br />
Es ist der erste wichtige militärische Erfolg gegen<br />
einen kräftemäßig weit überlegenen Gegner.<br />
Oktober 2013<br />
YPG und YPJ erobern Til Koçer von Daesh zurück.<br />
Januar 2014<br />
Die drei Kantone Efrîn, Kobanê und Cizîre<br />
erklären nacheinander ihre Autonomie gemäß einer<br />
gemeinsamen Verfassung.<br />
Frühjahr 2014<br />
Die Türkei beginnt mit dem Bau einer Mauer<br />
entlang der Grenze nach Syrien/<strong>Rojava</strong>.<br />
Juli 2014<br />
Daesh beginnt eine Offensive gegen Kobanê, wird<br />
aber zurückgeschlagen.<br />
August 2014<br />
Am 2. August überfällt Daesh Şengal. Tausende<br />
EzidInnen werden ermordet, vergewaltigt und<br />
versklavt. Hunderttausende flüchten in die Berge,<br />
viele sterben auf dem Weg an den Entbehrungen.<br />
Mit Unterstützung der HPG-Guerrilla erkämpfen<br />
YPG und YPJ einen Korridor von Cizîre bis zum<br />
Bergrücken und evakuieren die Geflüchteten nach<br />
<strong>Rojava</strong>.<br />
September 2014<br />
Am 14. September greift Daesh Kobanê erneut an.<br />
Innerhalb von drei Wochen überrennen sie hunderte<br />
Dörfer und stehen schließlich vor der Stadt selbst.<br />
7. Oktober 2014<br />
Nach tagelangen Kämpfen um den Miştenûr-Hügel<br />
nehmen Daesh-Truppen die Anhöhe ein und fallen<br />
in die Stadt Kobanê ein.<br />
Herbst 2014<br />
Im Häuserkampf erobert Daesh nach und nach über<br />
die Hälfte des Stadtgebiets. Als Kobanê trotzdem<br />
nicht fällt, beginnt die Koalition unter Führung<br />
der USA mit Luftschlägen zur Unterstützung der<br />
VerteidigerInnen.<br />
27. Januar 2015<br />
YPG und YPJ haben die Stadt Kobanê wieder<br />
vollständig eingenommen. Sie ist weitestgehend<br />
zerstört. Die Rückeroberung der Dörfer beginnt.<br />
Februar 2015<br />
YPG und YPJ beginnen eine Offensive gegen Tel<br />
Hemîs, Daeshs Brückenkopf in Cizîre. Sie erobern<br />
Tel Hemîs und Tel Birak.<br />
6
Daesh beginnt einen Gegenangriff im Westen<br />
Cezîres. Sie erobern mehrere assyrische Dörfer<br />
und rücken vor bis an den Xabûr und die Stadt<br />
Til Temir. Nach mehreren Wochen werden sie<br />
zurückgeschlagen.<br />
Mai - Juli 2015<br />
YPG und YPJ beginnen die Operation Şehîd Rûbar<br />
Qamişlo. Sie nehmen die Kizwan-Berge und Teile<br />
Hesekes ein, erobern Mabrûka und schließlich Girê<br />
Spî. Damit sind Kobanê und Cizîre miteinander<br />
verbunden und die gesamte türkisch-syrische<br />
Grenze zwischen Euphrat und Tigris befindet sich<br />
unter Kontrolle der YPG.<br />
24. Juli 2015<br />
Der türkische Präsident Erdoğan beginnt mit einer<br />
neuen Operation gegen linke und pro-kurdische<br />
Kräfte in der Türkei. Ein Dutzend kurdischer Städte<br />
gehen zur offenen Rebellion gegen die Besatzung<br />
über und rufen die Autonomie aus. Über das<br />
nächste Jahr hinweg wird das türkische Regime<br />
vergeblich versuchen, die Städte zurück zu erobern,<br />
und sie schließlich mit Beschuss von Artillerie und<br />
Luftwaffe weitgehend zerstören.<br />
Oktober 2015<br />
Das QSD-Militärbündnis wird gegründet.<br />
November 2015<br />
QSD nehmen Hol ein.<br />
Die Stadt Şengal wird von YPG, HPG und YBŞ<br />
eingenommen.<br />
Dezember 2015<br />
Eroberung des Tişrîn-Staudamms. QSD überqueren<br />
den Euphrat westwärts.<br />
Şehîd Fermandar Feysel Ebû Leyla die Belagerung<br />
von Minbic.<br />
August 2016<br />
Nach wochenlangen Gefechten im Stadtgebiet<br />
ist Minbic am 12. August vollständig von Daesh<br />
befreit. Der Cerablus-Militärrat und der Bab-<br />
Militärrat werden ins Leben gerufen.<br />
Heseke wird von Regime-Truppen angegriffen, die<br />
den Rückzug von QSD und Asayîş aus der Stadt<br />
fordern. Erstmals bombardiert die Luftwaffe des<br />
Regimes die Stadt. Die Kämpfe enden nach einer<br />
Woche mit einem Rückzug aller Regime-Truppen<br />
aus dem Stadtgebiet.<br />
Der türkische Geheimdienst tötet den<br />
Kommandanten des Cerablus-Militärrats. Zwei<br />
Tage später, am 24. August, marschieren türkische<br />
Truppen und mehrere islamistische Milizen in<br />
Syrien ein und übernehmen Cerablus von Daesh.<br />
Bald darauf greifen sie die QSD-Verbände im<br />
Norden Minbics an.<br />
Herbst 2016<br />
QSD rücken von Efrîn und Minbic her auf Bab<br />
vor. Truppen unter türkischer Führung nehmen das<br />
Gebiet entlang der Grenze zwischen Cerablus und<br />
Ezaz ein und beginnen ihrerseits den Angriff auf<br />
Bab.<br />
November 2016<br />
QSD beginnen mit der Operation Xezeba Firatê<br />
zum Sturm Reqas.<br />
Dezember 2016<br />
Das Regime besiegt die islamistischen Rebellen in<br />
Aleppo und stellt ein Ultimatum an YPG, sich bis<br />
Jahresende aus der Stadt zurückzuziehen.<br />
Februar 2016<br />
QSD nehmen Şedade ein.<br />
April 2016<br />
In Qamişlo brechen erneut Kämpfe zwischen<br />
Regime-treuen und <strong>Rojava</strong>-treuen Milizen aus.<br />
Erstmals bombardiert das Regime die Stadt mit<br />
Artillerie. YPG nehmen das Aliya-Gefängnis ein.<br />
Nach vier Tagen wird ein Waffenstillstand erklärt.<br />
Mai-Juni 2016. Nach einem Scheinangriff der<br />
QSD auf Reqa beginnt der Minbic-Militärrat, eine<br />
Abteilung der QSD, im Rahmen der Operation<br />
7
Begriffsregister<br />
Asayîş<br />
Miliz für innere Sicherheit in <strong>Rojava</strong>. Nicht zu<br />
verwechseln mit den Asayîş in Südkurdistan, die<br />
der dortigen Regierung unterstehen.<br />
Asayîşa Jin<br />
Frauenarm der Asayîş in <strong>Rojava</strong><br />
Baath (Baath-Regime, Baath-Partei, hizba Baas)<br />
(ar.) „Wiedererweckung“. Arabisch-nationalistische<br />
Ideologie, begründet in den 60ern. Der Irak wurde<br />
bis 2003, Syrien bis zum Aufstand von 2011 von der<br />
Baath-Partei regiert.<br />
Bakûr (Küzey, Nordkurdistan)<br />
Von der Türkei besetzte kurdische Gebiete.<br />
Başûr (Südkurdistan)<br />
Überwiegend kurdische Gebiete innerhalb des<br />
irakischen Staatsgebiets, größtenteils Teil der<br />
„Autonomen Region Kurdistan“ und kontrolliert<br />
von PDK und YNK.<br />
BÖG<br />
Birleşik Özgürlük Güçleri (tr.), Vereinigte<br />
Freiheitskräfte. Allianz linker türkischer Gruppen<br />
in den YPG, Teil des IFB.<br />
Daesh (IS, ISIS, ISIL, Daeş, IŞİD<br />
ad-dawlah al-Islāmiyah fī ‚l-ʿerāq wa-sh-shām (ar.),<br />
Islamischer Staat im Irak und der Levante. Das<br />
arabische Akronym „Daesh“ wird derogativ von<br />
GegnerInnen der Gruppe verwendet.<br />
ENK-S (KNC)<br />
Encûmena Niştîmanî ya Kurd li Sûriye (krm.),<br />
Kurdischer Nationalrat in Syrien. Nationalistische<br />
kurdische Partei, Ableger der PDK in <strong>Rojava</strong>.<br />
HBDH<br />
Halkların Birleşik Devrim Hareketi (tr.), Vereinte<br />
Revolutionsbewegung der Völker. Bewaffnete<br />
Allianz sozialistischer Gruppen in der Türkei und<br />
Nordkurdistan, gegründet 2016.<br />
HPG<br />
Hêzên Parastina Gel (krm.),<br />
Volksverteidigungskräfte. Bergguerilla in Nordund<br />
Südkurdistan, bewaffneter Arm des KCK.<br />
IFB<br />
Internationales Freiheits-Bataillon. Militärische<br />
Einheit von InternationalistInnen in den YPG, unter<br />
dem Kommando der MLKP.<br />
Jabhat an-Nusra (JN, An-Nusra-Front)<br />
jabhat an-nusrah li-ahli ash-shām (ar.), Siegesfront<br />
des Volkes der Levante. Islamistische bewaffnete<br />
Gruppe in Syrien. Spaltete sich 2016 von al-Qaida<br />
ab und benannte sich um in „Jabhat Fateh al-Sham“,<br />
Front der Eroberung der Levante.<br />
KCK<br />
Koma Civakên Kurdistan (krm.), Gruppe der<br />
Gemeinschaften Kurdistans. Dachverband<br />
des demokratischen Konföderalismus. Größte<br />
Teilorganisation ist die PKK.<br />
Kongreya Star<br />
(krm.), Star-Kongress. Autonome<br />
Frauenorganisation <strong>Rojava</strong>s. Ehemals Yekîtiya Star.<br />
Mala Gel<br />
(krm.), Volkshaus. Gemeindehäuser für soziale<br />
und politische Aktivitäten, wurden im Rahmen der<br />
Rätebewegung in ganz <strong>Rojava</strong> aufgebaut.<br />
MLKP<br />
Marksist Leninist Komünist Parti (tr.), politische<br />
Organisation, aktiv in der Türkei und Nordkurdistan,<br />
seit 2012 auch in <strong>Rojava</strong>.<br />
MLSPB<br />
Marksist Leninist Silahlı Propaganda Birliği (tr.),<br />
„Marxistisch-Leninistische bewaffnete Propaganda-<br />
Einheit“. Türkische Gruppierung in der Tradition<br />
von Dev-Genç und Mahir Çayan. Kämpft in <strong>Rojava</strong><br />
als Teil der YPG. Teil der BÖG und des IFB.<br />
MSD (SDC)<br />
medjlisa sūriyā al-dīmuqrāṭīya (ar.), Rat des<br />
Demokratischen Syriens. Gegründet 2015 als<br />
Allianz verschiedener syrischer Parteien und<br />
Gruppen zur Lösung des Syrienkonfliktes durch ein<br />
konföderales, dezentrales System.<br />
PDK (KDP)<br />
Partiya Demokrat a Kurdistanê (krm.). Partei des<br />
Barzanî-Clans, stärkste Partei in Südkurdistan.<br />
8
Politisch nationalistisch, neoliberal.<br />
Pêşmerga (Peshmerga)<br />
Armee Südkurdistans. Sammelbezeichnung für die<br />
bewaffneten Arme von PDK und YNK.<br />
PKK<br />
Partiya Karkerên Kurdistan (krm.),<br />
ArbeiterInnenpartei Kurdistan. Organisation des<br />
KCK in Nordkurdistan, stärkste Partei des KCK.<br />
PYD<br />
Partiya Yekîtiya Demokrat (krm.), „Partei der<br />
demokratischen Union“. Kurdische politische<br />
Partei in <strong>Rojava</strong>, ihr Programm ist der Aufbau des<br />
demokratischen Konföderalismus. Stärkste Partei<br />
des TEV-DEM.<br />
QSD (HSD, SDF)<br />
quwwāt sūriyā al-dīmuqrāṭīya (ar.), Kräfte des<br />
Demokratischen Syriens. Von den YPG geführte<br />
Allianz arabischer und kurdischer Kampfverbände.<br />
Militärischer Arm des MSD, Streitkräfte der<br />
Föderation von <strong>Rojava</strong> und Nordsyrien.<br />
<strong>Rojava</strong> (Westkurdistan)<br />
Krm. „Westen“. Überwiegend kurdisch besiedelte<br />
Gebiete innerhalb des syrischen Staatsgebiets.<br />
Rojhilat (Ostkurdistan)<br />
Von Iran besetzte kurdische Gebiete.<br />
RPG (Bîsfîng)<br />
Sowjetischer Raketenwerfer, vergleiche dt.<br />
„Panzerfaust“.<br />
SYPG<br />
Saziya Yekîtî û Piştgiriya Gelan (krm.) „Einrichtung<br />
der Einigkeit und Solidarität der Völker“. Zivile<br />
Institution in <strong>Rojava</strong>.<br />
Tabûr (Bataillon)<br />
(ar.) - Standardabteilung der YPG mit im Schnitt 40<br />
KämpferInnen. Die Begriffe Tabûr und Bataillon<br />
werden in diesem Buch synonym verwendet.<br />
Team (Tîm)<br />
In den YPG eine Einheit von 4 oder 5 Leuten.<br />
TEV-DEM<br />
Tevgera Civaka Demokratîk (krm.), Bewegung der<br />
demokratischen Gesellschaft. Politische Koalition<br />
der Räterevolution in <strong>Rojava</strong>.<br />
TİKKO<br />
Türkiye İşci ve Köylü Kurtuluş Ordusu (tr.),<br />
Befreiungsarmee der Arbeiter und Bauern der<br />
Türkei. Bewaffneter Arm von TKP/ML. Teil des<br />
IFB<br />
TKP/ML<br />
Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (tr.).<br />
Gegründet 1972.<br />
YBŞ<br />
Yekîneyên Berxwedana Şengal (krm.), Şengal-<br />
Widerstandseinheiten.<br />
YJA-Star<br />
Yekîneyên Jinên Azad ên Star (krm.), Einheiten der<br />
freien Frauen Star. Autonome Frauenorganisation<br />
der HPG.<br />
YJÊ (YPJ-Ş)<br />
Yekinêyen Jinên Êzîdxan (krm.), Einheiten<br />
der esidchanischen Frauen. Autonome<br />
Frauenorganisation der YBŞ.<br />
YNK (PUK)<br />
Yekîtiya Nîştimanî ya Kurdistanê (krm.),<br />
„Patriotische Union Kurdistans“. Partei des<br />
Talabanî-Clans, teilt sich die Kontrolle über<br />
Südkurdistan mit PDK. Politisch Mitte-links<br />
YPG<br />
Yekîneyên Parastina Gel (krm.),<br />
„Volksverteidigungseinheiten“. Streitkräfte der<br />
selbstverwalteten Gebiete <strong>Rojava</strong>s.<br />
YPJ<br />
Yekîneyên Parastina Jin (krm.),<br />
„Frauenverteidigungseinheiten“. Autonome<br />
Organisierung aller Frauen in den YPG.<br />
YPS<br />
Yekîneyên Parastina Sivîl (krm.), zivile<br />
Verteidigungseinheiten. Milizen des bewaffneten<br />
Widerstands gegen die türkische Besatzung in den<br />
Städten Nordkurdistans.<br />
YPS-Jin<br />
Autonome Frauenorganisation der YPS.<br />
9
Zur Situation in der Türkei<br />
Transkription eines Vortrags im April 2016, der<br />
sich der aktuellen Situation in der Türkei und<br />
Bakur annimmt. Dabei werden einerseits der<br />
Demokratische Kongress der Völker (Halklarin<br />
Demokratik Kongresi – HDK) und die Demokratische<br />
Partei der Völker (Halklarin Demokratik<br />
Partisi – HDP) vorgestellt. Andererseits<br />
geht es um ein neues Bündnis, ausgerufen<br />
am 12. März 2016, von nicht legalen militanten<br />
Parteien und Organisationen namens Revolutionäre<br />
Einheitsbewegung der Völker (Halklarin<br />
Birlesik Devrim Hareketi – HBDH).<br />
In diesem Vortrag geht es um die aktuelle Situation<br />
in der Türkei und Bakur. Einerseits geht es um den<br />
Demokratischen Kongress der Völker (Halklarin<br />
Demokratik Kongresi – HDK) und die Demokratische<br />
Partei der Völker (Halklarin Demokratik Partisi –<br />
HDP). Andererseits um ein neues Bündnis, ausgerufen<br />
am 12. März 2016, von nicht legalen militanten<br />
Parteien und Organisationen namens Revolutionäre<br />
Einheitsbewegung der Völker (Halklarin Birleşik<br />
Devrim Hareketi – HBDH).<br />
Mein Name ist Ibrahim Ciçek, ich bin Journalist. Ich<br />
habe in einer Chemiefabrik angefangen zu arbeiten,<br />
wurde dann aber aufgrund eines Berichtes von einem<br />
Geheimdienst-Mitarbeiter entlassen. Seitdem bin ich<br />
politisch aktiv. Ich kann mein Leben in wenigen Sätzen<br />
zusammenfassen. Ich war 1977 im Juni im Gefängnis,<br />
ich war 1987 im Gefängnis, ich war 1996 im Gefängnis<br />
und ich war 2006 nochmals im Gefängnis. Als ich im<br />
Mai 2011 aus dem Gefängnis entlassen wurde, war ich<br />
Kandidat als Abgeordneter in Istanbul. Ein Jahr später<br />
wurde ich erneut inhaftiert und man hat ein Verfahren<br />
wegen Neugründung einer Organisation eröffnet.<br />
Anschliessend musste ich das Land verlassen.<br />
Der Genosse, der zuvor gesprochen hat, gab einen<br />
Überblick über die Türkei und Kurdistan. Er hat von der<br />
Situation der Menschen im Widerstand erzählt. Wir werden<br />
uns aus folgenden Gründen auch mit dem Widerstand<br />
befassen: Wir alle kennen die Pariser Kommune, das<br />
Proletariat, dass in Paris 1871 aufgestanden ist und 72<br />
Tage lang eine Kommune in Paris geschaffen hat. In Sur<br />
(Altstadt von Diyarbakır), Lice, Nusaybin, Idir, Cizre<br />
und anderen Orten kämpfen die Menschen seit vielen<br />
Jahren. Sie leisten Widerstand gegen eine Kraft, die<br />
die zweitgrösste Armee der Nato darstellt und die über<br />
eine Polizeimacht von 300‘000 PolizistInnen verfügt.<br />
Sie leisten immer noch Widerstand. Sur ist nicht nur<br />
irgendein Stadtteil von Diyarbakır, Sur ist das Zentrum,<br />
die Altstadt von Diyarbakır, es ist der älteste Stadtteil in<br />
Diyarbakır und hat eine lange Tradition. Die Menschen<br />
in Sur kämpfen gegen die zweitgrösste Armee der Nato,<br />
ohne Wasser, ohne Elektrizität, ohne Nahrungsmittel.<br />
Sie leisten Widerstand und obwohl die Bedingungen<br />
nicht unterschiedlicher sein könnten, leisten sie gegen<br />
die türkisch-faschistische Diktatur Widerstand.<br />
Ich bin hierhergekommen, um aus türkischer<br />
und kurdischer Sicht den Rahmen des neuen<br />
Zusammenschlusses der vereinten revolutionären Kräfte<br />
aus der Sichtweise der MLKP und auch mit historischen<br />
Beispielen zu erklären, warum dieser Zusammenschluss<br />
entstanden ist. In der Geschichte der Türkei gibt es ein<br />
wichtiges Datum, der 30. März 1972. An diesem Tag<br />
hatten zehn Kader der THKP/C und Kader der THKO eine<br />
gemeinsame Aktion gemacht. Das waren die Vorgänger-<br />
Organisationen der heutigen DHKP-C. Mit dieser Aktion<br />
wollte man die Anführer, Gefangene, revolutionäre<br />
Gefangene aus den Gefängnissen befreien, indem man<br />
englische Militäringenieure entführte. Das Wichtige<br />
an der Geschichte ist Folgendes: Eine Organisation,<br />
nämlich diejenige von Mahir Cayan, welche die<br />
10
Vorgänger-Organisation der heutigen DHKP-C war,<br />
wollte die Anführer einer anderen Organisation, Deniz<br />
Gezmiş und seine Freunde, befreien und hat für diese<br />
Aktion ihre ganzen Kräfte eingesetzt. Die Genossen<br />
der Organisation, die für die andere Organisation alles<br />
eingesetzt hat, wurden am 30. März 1972 alle ermordet.<br />
Auch Deniz Gezmiş und seine beiden Genossen, Yusuf<br />
Aslan und Hüseyn Inan, wurden am 6.Mai gehängt.<br />
Diese Aktion war ein Höhepunkt der revolutionären<br />
Solidarität. Anschliessend, zwischen 1975 und 1980, gab<br />
es viele Aufsplitterungen bei den Organisationen, Zum<br />
Schluss hatte man nur noch kleine Gruppen. Das war eine<br />
lange Zeit, wo man die Fähigkeit sich zusammenzusetzen<br />
und sich für ein gemeinsames Vorgehen einig zu werden<br />
verloren hatte. Das war einer der Schwachpunkte der<br />
revolutionären Bewegung, der beseitigt werden musste.<br />
Als die MLKP sich 1994 aus vier Organisationen<br />
zusammenschloss, hat sie aus ihrer damals<br />
dreissigjährigen Geschichte Lehren gezogen. Sie hat<br />
die Geschichte analysiert und danach diskutiert und<br />
gestritten, wie man die Probleme lösen und wie man<br />
die Situation ändern könnte. Die MLKP hat gesagt,<br />
dass sie diese negative Tradition des Sich-Immer-Mehr-<br />
Spaltens aufheben wolle und eine neue Renaissance<br />
der Vereinigung, der Zusammenschlüsse, aufbauen<br />
will. Das ging so weit, dass sie eine revolutionäre<br />
Einheitspolitik aufgebaut hat. Man kann die Strategie so<br />
beschreiben, dass die Einheit zwischen der Revolution<br />
in der Türkei und in Kurdistan, mit der Einheit der<br />
revolutionären Bewegung in Nordkurdistan beginnt. Das<br />
Hauptaugenmerk ist jetzt darauf gerichtet, dass man in<br />
der Türkei eine neue, weitere Einheit aufzubauen. Als<br />
Beobachter kann ich sagen: Die MLKP versucht seit 22<br />
Jahren, die zwei Fronten der Revolution so zu vereinen,<br />
dass von jeder Seite, also von Istanbul als auch von<br />
Diyarbakır aus, eine gemeinsame Vernetzung aufgebaut<br />
wird, um die Regierung in Ankara in die Zange zu<br />
nehmen.<br />
Um an der vorherigen Rede anzuknüpfen, das was im<br />
Juni 2015 mit den Parlamentswahlen in der Türkei<br />
entstanden ist, war das Ergebnis dieser Strategie, die man<br />
seit Jahren versucht hat aufzubauen. Um einige Beispiele<br />
aus der fünfzehnjährigen Geschichte der MLKP zu<br />
geben: In den ersten 7 Jahren wurde zum Beispiel eine<br />
gemeinsame Front in den Gefängnissen aufgebaut. Es<br />
gab eine gemeinsame Gefängnis-Koordination, die aus<br />
8 Organisationen bestand und die bis zum Jahre 2001<br />
funktionierte. Man hat in diesen Jahren versucht eine<br />
gemeinsame Front aller revolutionären Organisationen<br />
aufzubauen. Durch die Art und Weise wie verschiedene<br />
Organisationen funktionierten, gelang das nicht.<br />
Man hat versucht in den 2000er Jahren eine Front<br />
von ArbeiterInnen zu bilden, Freiheits-, Arbeits- und<br />
Friedens-Aktionseinheiten, aber dies hat sich nach ein<br />
paar Jahren auch wieder aufgelöst.<br />
Die Ziele wurden weiterverfolgt. Man hat sich durch<br />
die negativen Ergebnisse nicht zurückdrängen lassen,<br />
sondern im Juni 2011 gab es eine weitere Entwicklung<br />
dieser Zusammenschlüsse. Zuvor gab es einen<br />
parlamentaristischen Block für Arbeit und Frieden und<br />
verschiedene weitere Blöcke. Das war Juni 2011 während<br />
der Wahlen. Aber nach den Wahlen gab es Diskussionen<br />
darüber, dass man aus verschiedenen Kräften eine grosse<br />
Dachpartei aufbauen sollte. Diese wäre dann Teil einer<br />
grösseren Organisation. Es gab einen Vorschlag von der<br />
ESP (Ezilenlerin Sosyalist Partisi – Sozialistische Partei<br />
der Unterdrückten; legale Partei die der MLKP nahesteht),<br />
dass man eine Dachorganisation aufbaut, die nicht nur<br />
aus Parteien besteht, sondern dass auch Einzelpersonen,<br />
Frauengruppen, alle möglichen Gruppierungen, alle<br />
möglichen Interessengemeinschaften sich darin finden<br />
können. Ein Kongress der Völker wurde vorgeschlagen.<br />
Ich selber war an diesem Aufbauprozess beteiligt<br />
und im August, September, Oktober 2011 wurde<br />
der demokratische Kongress der Völker aufgebaut.<br />
Ich möchte ein paar Besonderheiten betonen. Eine<br />
Besonderheit war, dass auch einzelne Personen<br />
in diesem Prozess teilnehmen durften, nicht nur<br />
Parteien. Teilnehmende Parteien dürfen insgesamt nur<br />
60% ausmachen. Parteiorganisationen, Stiftungen,<br />
Gewerkschaften hatten gleiche Rechte, es wurde<br />
niemand bevorzugt. Es wurde auch beschlossen, dass<br />
die Gleichhberechtigung von Frau und Mann zentral<br />
war. Der Anteil beider Geschlechter wurde auf je 50%<br />
festgelegt. Das war auch etwas Neues für die Region.<br />
Die meisten Frauenorganisationen, Gruppen von<br />
unterdrückten religiösen Minderheiten, verschiedene<br />
ökologische Minderheiten, verschiedene mögliche<br />
Organisationsformen haben sich dort wiedergefunden.<br />
Folgendes wurde erreicht: Man hat Organisationen,<br />
Parteien, Kräfte, die sich seit dreissig, vierzig Jahren<br />
politisch bekämpft haben, dazu gebracht, dass sie<br />
kontinuierlich zusammen arbeiten. Dass die kurdische<br />
Bewegung da drin war, hatte einen sehr positiven<br />
Ansatz. Sie hat moralisch das Ganze nochmals gestärkt.<br />
In Europa gibt es keine Aleviten. In der Türkei leben sie<br />
als eine religiöse unterdrückte Minderheit. Die Aleviten<br />
nehmen als demokratische alevitische Bewegung<br />
auch an diesem Prozess teil. Sowohl gesellschaftliche<br />
Gruppierungen, aber auch politische Gruppierungen<br />
haben diesen Kongress mitaufgebaut.<br />
Und die HDP wurde vom Kongress der Völker im<br />
Jahre 2013 gegründet und 2014 ist der Kongress dazu<br />
übergegangen, die HDP aufzubauen, die Partei ist also<br />
ein Ausdruck des Kongresses. Die Idee war, dass man<br />
alle Beschlüsse basisdemokratisch von unten nach oben<br />
beschliesst. Das war eigentlich auch der Vorläufer der<br />
Juni Aufstände [gemeint sind die Gezipark-Proteste<br />
2013, Anmr. d. Red.], bei dem auch Foren gegründet<br />
worden waren.<br />
11
Jetzt möchte ich auch auf den Zusammenschluss<br />
der Revolutionären Einheitsbewegung der Völker<br />
eingehen und darauf, aus welchen Gründen sie<br />
sich zusammengeschlossen hat. Also von dieser<br />
Revolutionären Einheitsbewegung der Völker<br />
unterstützen ganz wenige den grossen Kongress<br />
der Völker. Ein wichtiger Teil dieses revolutionären<br />
Bündnisses sieht den Kongress der Völker als ein<br />
reformistisches und auch als ein unnötiges Instrument.<br />
Nur die MLKP und die PKK sehen den Kongress der<br />
Völker als notwendig. Sie sehen beide Seiten nicht als<br />
Konkurrenzprodukt an, sondern sie denken, dass sie sich<br />
gegenseitig ergänzen.<br />
Der Grund der organisatorischen Zusammenarbeit<br />
dieses Bündnisses der revolutionären Kräfte entstand<br />
durch den Kobanê-Widerstand und durch den <strong>Rojava</strong>-<br />
Widerstand. Denn die Organisationen der HBDH<br />
sind Organisationen, die dort zusammen kamen, die<br />
dort zusammen gekämpft haben, sich zusammen<br />
ausgetauscht und auch dieses Bündnis dort gegründet<br />
haben. Nach den Parlamentswahlen im Juni 2015, also<br />
nach dem ersten Wahlgang, hat ja die AKP-Herrschaft<br />
eine Palastrevolution erlebt und die Situation hat sich um<br />
ein Vielfaches verschärft. Die Lage hat sich so verschärft,<br />
dass kleine Angriffe zu grossen Angriffen wurden. Selbst<br />
die Föderation der sozialistischen Jugendverbände der<br />
Türkei (Sosyalist Genclik Dernekleri Federasyonu<br />
- SGDF), die am 20.Juli 2015 nach <strong>Rojava</strong> gehen<br />
wollte, um sich an der Wiederaufbauarbeit in Kobanê<br />
zu beteiligen, angegriffen wurde. In einem grossen<br />
Massaker wurden 32 Jugendliche von ihnen ermordet.<br />
Man wollte von Seiten der fortschrittlichen Kräfte<br />
versuchen, zwischen dem Westen der Türkei, zwischen<br />
Istanbul und <strong>Rojava</strong>, eine Brücke aufzubauen und diese<br />
Brücke sollte verhindert werden. Erdogan und die AKP<br />
versuchten also diesen Zusammenschluss zwischen<br />
Istanbul und <strong>Rojava</strong>, diese Brücke, zu verhindern.<br />
Die Lage hat sich aus folgendem Grund erhärtet. Die<br />
KurdInnen wollen ihre Identität haben, ihre Rechte<br />
haben. Der Staat hat bis zu einem bestimmten Punkt<br />
so getan als wäre er dazu bereit, diese Zugeständnisse<br />
zu machen. Aber nach den Wahlen hat der Staat<br />
gesagt, jetzt wollen wir das nicht mehr, jetzt setzen<br />
wir auf Krieg. Das Ergebnis des Ganzen war, der Staat<br />
akzeptierte die KurdInnen nicht, ihre Sprache nicht, ihre<br />
Identität nicht, ihre demokratischen Rechte nicht, ihre<br />
Autonomiebestrebungen nicht. Was können wir machen,<br />
wenn der Staat sich nicht mehr mit ihnen an einenmTisch<br />
setzt? Das einzige, was wir machen können, ist uns<br />
unsere Rechte selbst zu holen. Das war ihre einzige<br />
Möglichkeit.<br />
Das Ergebnis war, dass nach den Autonomieerklärungen in<br />
Bakur, im Westen des Landes alle demokratischen Rechte<br />
beseitigt oder sehr stark eingeschränkt worden sind. Die<br />
12<br />
Lage hat sich so drastisch verschärft, dass demokratische<br />
Proteste auf der Strasse so erschwert worden sind, dass<br />
der Raum der HDP und der HDK im Westen der Türkei<br />
sehr stark eingeschränkt worden ist. Dadurch, dass die<br />
Möglichkeiten für demokratische gemeinsame Kämpfe<br />
eingeschränkt worden sind, musste man nach anderen<br />
Mitteln suchen, um seinen Forderungen Nachdruck zu<br />
verleihen und das war auf dieser Ebene natürlich auch die<br />
Einheit der Revolutionären Kräfte (HBDH). Man konnte<br />
nicht mehr nur mit legalen demokratischen öffentlichen<br />
offiziellen Mitteln für seine Rechte eintreten. Denn durch<br />
die extreme Gewaltbereitschaft, durch den extremen<br />
Staatsterror, musste man die Rechte der ArbeiterInnen<br />
und der breiten Bevölkerung durch revolutionäre<br />
Aktionseinheiten und durch den revolutionären Weg<br />
verteidigen. Das Erfordernis auf revolutionärer Ebene
gemeinsam auf der Strasse zu agieren und aber auch die<br />
Möglichkeit, die man dadurch hatte, dass man durch die<br />
Revolution in <strong>Rojava</strong> schon zusammen arbeitete, hat<br />
die Notwendigkeit erhöht, dass man eine revolutionäre<br />
Aktionseinheit bildet.<br />
Und, wie man das ausgerufen hat, war auch sinnbildlich.<br />
Es wurde am 12. März 2016 aufgerufen. Einerseits wurde<br />
eine Presseerklärung in den Bergen von Kandil, mit<br />
Fotos und so gemacht. Andererseits wurden im Stadtteil<br />
Gazi in Istanbul, zum Jahrestag des Gazi-Aufstandes<br />
1995, militante Strassenaktionen durch Milizen der<br />
revolutionären gemeinsamen Kräfte durchgeführt.<br />
Der Staat wendete mit Hilfe der Gerichte und der<br />
verschiedenen Staatsapparate äusserste Gewalt an gegen<br />
JournalistInnen, gegen die Frauenbewegung, gegen die<br />
Jugendbewegung, Gewerkschaften, AkademikerInnen<br />
und so weiter, gegen alle Formen von Kritik und<br />
Bewegungen, die auch nur ein bisschen oppositionell<br />
sind. Dagegen musste diese revolutionäre Aktionseinheit<br />
einschreiten. Es ging um die Selbstverteidigung dieser<br />
unterdrückten Minderheiten, also dieser unterdrückten<br />
Massen. Diese müssen auf den Staatsterror antworten,<br />
denn die unterdrückten Massen, die können nicht mehr<br />
auf normalem Wege ihren Forderungen Ausdruck<br />
verleihen, deswegen muss das durch revolutionäre<br />
Aktionseinheiten gewährleistet sein und deswegen<br />
wurde das so stark in den Vordergrund gedrängt.<br />
Man erwartet, dass die Gruppen der HBDH sich<br />
illegal organisieren. Auf Deutsch übersetzt würde man<br />
sagen, sich im Untergrund organisieren. Wenn man<br />
13
evolutionäre Aktionen durchführt, erwartet man auch,<br />
dass die revolutionäre Guerillabewegung im Westen<br />
des Landes durch die Stadtguerilla, durch revolutionäre<br />
Kräfte, durch Milizkräfte sich in den Städten fortsetzen<br />
wird. Wenn die revolutionäre Aktionseinheit erfolgreich<br />
sein sollte, dann kann es sein, dass die Polizei nicht mehr<br />
in die Stadtteile von Istanbul reingehen kann, oder dass<br />
sich Guerillabewegungen in den ländlichen Gebieten der<br />
Türkei und auch in der Nordtürkei bilden können. Es<br />
scheint sich so zu organisieren, dass sich an der Spitze<br />
der HBDH ein gemeinsamer Rat gebildet hat und dass<br />
drunter sich Komitees gebildet haben, die zu bestimmten<br />
Punkten arbeiten.<br />
Diese Aktionseinheit besteht aus neun Organisationen.<br />
Diese Organisationen haben keinen Massencharakter<br />
oder eine starke Basis in den Städten. So eine Basis<br />
existiert in den Städten nicht. Alle diese Organisationen<br />
haben eine Strategie für einen bewaffneten Kampf oder für<br />
eine Organisation im Untergrund. Die militärische Kraft<br />
ist sehr unterschiedlich. Die PKK hat natürlich andere<br />
Möglichkeiten als andere Organisationen. Die politischen<br />
Kräfte sind unterschiedlich, die Herangehensweise zu<br />
militärischen Fragen ist unterschiedlich. Dass es neun<br />
Organisationen sind heisst nicht, dass sie alle gleich stark<br />
sind oder gleiche Möglichkeiten haben. Ich kann das so<br />
formulieren oder bewerten, dass wenn die Revolutionäre<br />
Einheitsbewegung der Völker (HBDH) in Istanbul nur 10<br />
– 15% Erfolg hat, dann wird das die ganze Türkei und das<br />
ganze Gebiet sehr stark beeinflussen. Diese Bewegungen<br />
haben ja eigentlich eine Basis in der Bevölkerung, bei<br />
den Jugendlichen in den Stadtteilen, breite Schichten in<br />
den Stadtteilen sind ja schon vorhanden, aber die Frage<br />
ist, ob man in der Lage ist, solch eine breite Masse zu<br />
organisieren, zu integrieren, auszubilden, auch in den<br />
beiden Teilen des Landes, das ist eine organisatorische<br />
Frage, die diese Bewegungen auch noch beantworten<br />
müssen.<br />
Die Frage ist nicht, was diese Bewegung in Kurdistan<br />
macht, sondern was diese Bewegung in der Türkei macht.<br />
Denn in Kurdistan besteht eine Guerilla, es besteht eine<br />
Stadtguerilla, es ist alles organisiert, es besteht eine<br />
revolutionäre Entwicklung. Die Frage ist, was diese<br />
Bewegung in der Türkei schaffen wird und je nachdem,<br />
ob sie in der Türkei Erfolg haben wird oder nicht, wird<br />
sich das auf die gesamte Region auswirken. Wir als<br />
RevolutionärInnen aus der Türkei, aus Mesopotamien<br />
und Anatolien, sind in einer Situation, die wir noch<br />
nicht erlebt haben und wir versuchen in dieser Situation<br />
unseren Weg zu finden. Ich möchte meine Worte so<br />
beenden: Die revolutionäre Entwicklung wird nicht so<br />
sein wie in Lateinamerika oder wie in Kuba, sie wird auch<br />
nicht so sein wie in China oder Sowjetrussland, sie wird<br />
einen anderen Weg nehmen und wir müssen natürlich für<br />
unsere revolutionäre Entwicklung unseren eigenen Weg<br />
finden. Wenn wir es geschafft haben, wenn wir einen<br />
Weg finden, wenn die Revolution stattfindet, dann wird<br />
sich das wie ein Virus verbreiten und dieser Virus, dieses<br />
Licht, diese Waffe, wird sich natürlich in andere Länder<br />
verbreiten und zu einer grösseren Kraft werden und das<br />
hoffen wir. Ich möchte zum Schluss Ivana Hoffmann<br />
ehren, die auch als eine revolutionäre Kämpferin aus<br />
Deutschland in <strong>Rojava</strong> gekämpft hat und diese Einheit<br />
der revolutionären Bewegung mit geschaffen hat. Ab<br />
jetzt können wir eure Fragen beantworten.<br />
Was hat sich in den Quartieren von Istanbul in den<br />
letzten Monaten entwickelt?<br />
Die Slums in Istanbul, man nennt sie Varosch, sind die<br />
Orte, wo die ganzen Konflikte, die ganzen Widersprüche<br />
sich vereinen. Dort widerspiegelt sich die Ausbeutung,<br />
dort widerspiegelt sich die Unterdrückung des kurdischen<br />
Volkes, die Unterdrückung der religiösen Minderheiten<br />
in extremster Form wieder. Das Besondere an diesen<br />
Stadtteilen ist, dass dort revolutionäre Geschichte<br />
geschrieben wurde. Seit 50 Jahren gab es dort Aufstände,<br />
deshalb besteht dort eine bestimmte historische Erfahrung.<br />
Als im Jahre 2013 die Gezi Aufstände waren, sind aus<br />
dem Stadtteil Gazi mehr als 10‘000 Leute marschierend<br />
zum Gezi Aufstand gegangen weil die Strassen, die Wege<br />
blockiert waren. In einer kritischen Situation können<br />
die Menschen aus diesen Stadtteilen auf die Strasse<br />
gehen, um Autobahnen und wichtige Verkehrswege zu<br />
blockieren. Natürlich sind auch die Hauptkräft, welche<br />
die revolutionäre Aktionseinheit gebildet haben, auch<br />
in diesen Stadtteilen. Diese Bewegungen versuchen<br />
eine Strategie zu entwickeln. Eine Kampfstrategie zu<br />
entwickeln, um die Jugendlichen, die aus den Slums,<br />
aus den Stadtteilen kommen, aber auch studierende<br />
Jugendliche für den Kampf zu gewinnen.<br />
Zwei Dinge finden sich zusammen: die Kräfte, die man<br />
aktivieren will, befinden sich in den Stadtteilen. Und<br />
die Kräfte, die aktivierend wirken, befinden sich in den<br />
selben Stadtteilen. Wenn man eine starke Milizenkraft<br />
dort bilden könnte, wäre es so gut wie unmöglich, dass<br />
der Staat diese Stadtteile kontrollieren könnte. Für den<br />
Staat würde sich das als sehr, sehr schwierig erweisen,<br />
besonders in Istanbul, weil Istanbul eine sehr, sehr grosse<br />
Stadt ist. Es ist für den Staat schwierig so eine grosse<br />
Stadt zu kontrollieren. Istanbul ist nicht vergleichbar<br />
mit Ankara, Bursa, Izmir oder mit anderen Städten<br />
in der Türkei. Man muss noch hinzufügen, dass die<br />
Jugendlichen in den Stadtteilen mittlerweile auch eine<br />
bestimmte Erfahrung mit den Aufständen gemacht hat.<br />
Gibt es neben den bekannteren Formen des<br />
bewaffneten Kampfes in den Stadtteilen und<br />
Quartieren auch andere Formen der politischen<br />
Arbeit? Hat es da eine Entwicklung gegeben, was<br />
macht man?<br />
Es gibt neue Aktionsformen. Die PKK wendet diese am<br />
meisten an, zum Beispiel Angriffe auf Polizeistationen.<br />
14
Man nennt das Attentate, gezielte Angriffe, auch gegen<br />
Personen oder gegen Polizeikräfte. Aber die Angriffe<br />
richten sich vor allem gegen staatliche Organe, gegen<br />
Polizeikräfte. Populärer ist es nach Demos oder während<br />
Kundgebungen, Demos, öffentlichen Veranstaltungen,<br />
Barrikaden aufzubauen und eine Auseinandersetzung<br />
mit der Polizei zu haben. Die Methode in den Stadtteilen<br />
ist folgend: In jedem grossen Stadtteil gibt es eine<br />
Hauptstrasse. Der Staat versucht diese Hauptstrasse zu<br />
halten und mitten in dem Stadtteil baut er eine grosse<br />
Polizeistation auf. Die Methode der revolutionären<br />
Kräfte, das hat sich in den letzten Jahren so etabliert,<br />
ist zuerst werden die Nebenstadtteile neben der grossen<br />
Hauptstrasse gehalten und danach versucht man auf der<br />
Hauptstrasse die Staatskräfte so zu trennen, dass man ein<br />
bestimmtes Areal hat, wo man sich bewegen kann.<br />
Das gestaltet sich so. Es sind Milizengruppen, Leute,<br />
die tagsüber normal zur Arbeit gehen, ihre normalen<br />
Dinge verrichten und abends als Milizen arbeiten. Und<br />
es sind sowohl Frauen als auch Männer, bestehend aus<br />
kleinen Gruppen, aus fünf Personen, sieben Personen,<br />
acht Personen, also kleinere Gruppen, die diese<br />
Arbeit verrichten. Wenn die revolutionären Kräfte die<br />
Möglichkeiten hätten und es schaffen könnten, den Staat<br />
zurückzudrängen und für sich selber dauerhaft ein Areal<br />
zu schaffen, dann könnten sich die Milizenkräfte um ein<br />
Vielfaches verstärken.<br />
Wenn sie es schaffen können, dass sich die Milizen<br />
dauerhaft in dieser Form organisieren können, dann<br />
könnten sie die Situation in Istanbul beeinflussen<br />
und Istanbul bedeutet, dass man die gesamte Türkei<br />
beeinflusst. Mit Istanbul kann man die gesamte Türkei<br />
beeinflussen. Der Staat versucht mit seiner äussersten<br />
Aggressivität gegen normale Demonstrationen,<br />
Kundgebungen, gegen AkademikerInnen, gegen<br />
einfache Flugblätter, zu verhindern, dass sich so eine<br />
Entwicklung ergeben könnte. Das ist weil es hier einen<br />
grossen Ansatz für so eine Entwicklung gibt.<br />
Also man kann das so umschreiben: In Kurdistan gibt<br />
es eine revolutionäre Situation und in der Türkei kann<br />
eine revolutionäre Situation entstehen. Es kann aus ganz<br />
einfachen Situationen heraus ein Aufstand entstehen.<br />
Die Bevölkerung möchte nicht mehr so regiert werden,<br />
wie sie regiert wurde, und der Staat kann nicht mehr<br />
so regieren, wie er regiert und deswegen ist so eine<br />
Möglichkeit gegeben.<br />
Wenn wir schon bei der revolutionären Vorsituation<br />
sind, was mich interessieren würde ist kurz über den<br />
Zeitpunkt zu reden, wo sich dieses revolutionäre<br />
Bündnis formiert hat. Ihr habt es jetzt in einem<br />
ersten Moment sehr stark so geschildert, dass das<br />
auch eine Reaktion auf die kriegerische Politik des<br />
Staates ist, aber ihr habt auch noch ein bisschen<br />
angedeutet, dass es tatsächlich auch darum geht,<br />
einen Schritt vorwärts zu machen. Darin spielt sicher<br />
auch die Erfahrung in <strong>Rojava</strong> eine riesige Rolle. Vor<br />
allem im Allgemeinen, dass es sicher eine Stärke<br />
der türkisch-kurdischen Linke ist, dass man nicht<br />
nur aufzeigt wogegen man ist, sondern auch wofür<br />
man ist und eben versucht verschiedene Formen der<br />
Gegenmacht aufzubauen, eine eigene Organisierung<br />
und so weiter. Diese offene Deklaration ist schon auch<br />
ein offensiver Schritt und nicht nur ein militärisch<br />
notwendiger Schritt, um sich vor dem Angriff der<br />
Erdogan Regierung zu schützen oder so?<br />
Es geht nicht nur darum, die ArbeiterInnen, die<br />
Werktätigen die Menschen auf der Strasse zu verteidigen,<br />
dieser Schritt der Aktionseinheit der revolutionären Kräfte<br />
wurde auch gemacht, um die faschistische Diktatur in<br />
der Türkei zu stürzen. Es wurde auch ein Programm mit<br />
der Erklärung veröffentlicht. Dieses Programm enthält<br />
antikapitalistische Bestandteile, es enthält demokratische<br />
Bestandteile, es enthält antiimperialistische Bestandteile,<br />
es hat sehr viele verschiedene Bestandteile in diesem<br />
Programm. Es ist kein sozialistisches Programm, aber<br />
dieses Programm zielt darauf, die faschistische Diktatur<br />
zu zerschlagen und auf dem Weg in die Freiheit zu gehen.<br />
Das sieht folgendermassen aus. In Nordkurdistan haben<br />
wir es geschafft, eine starke revolutionäre Einheit zu<br />
schaffen und diese starke revolutionäre Einheit ist auch<br />
sehr standhaft. Aber wenn wir es schaffen, im Westen<br />
auch eine revolutionäre starke Aktionseinheit zu schaffen<br />
und aufzubauen, dann ist der Weg offen für eine weitere<br />
revolutionäre Entwicklung. Taktisch ist das natürlich ein<br />
Verteidigungsschritt aber strategisch gesehen ist es ein<br />
Angriffsschritt denn er zielt darauf, die Situation, die<br />
Verhältnisse in der Türkei, in Kurdistan grundlegend<br />
zu verändern. In Kurdistan herrscht ja der Status Quo,<br />
also weder die Kräfte in Kandil noch die in kurdischen<br />
Gebieten schaffen es, komplett den türkischen Staat in<br />
Nordkurdistan zu besiegen, noch schafft es Ankara und<br />
die türkischen Streitkräfte, die kurdische Bewegung zu<br />
zerschlagen. Aber es ist ein Status Quo vorhanden. Wenn<br />
wir es schaffen, eine revolutionäre zweite Front im<br />
Westen der Türkei aufzubauen, dann würde sich dieser<br />
Status Quo aufheben. Also wir versuchen die Situation,<br />
diesen Stillstand seit 20, 30 Jahren zu durchbrechen<br />
und diesen Weg für eine revolutionäre Entwicklung zu<br />
öffnen.<br />
Durch diese genannte Offensive könnte die<br />
kurdische Diaspora im Westen der Türkei ins<br />
Fadenkreuz der Konterrevolution geraten. Es<br />
könnte ja sein, dass die kurdische Diaspora und<br />
Andere, z.b. sprachliche oder religiöse Minderheiten<br />
vielleicht nicht so organisiert sind um diese Angriffe<br />
abzuwehren. Wie ist der Umgang mit dieser Situation?<br />
Das ist eine organisatorische Frage, die Kräfte sind<br />
vorhanden aber diese Kräfte müssen ja einen Weg<br />
15
finden. In Kurdistan ist es so, dass diese Kräfte diesen<br />
Weg und ein Mittel gefunden haben. Aber im Westen ist<br />
es so, dass sich die Kräfte noch entwickeln müssen, sie<br />
müssen noch voranschreiten um das zu gewährleisten.<br />
Es ist so, während die Übergriffe in Kurdistan extrem<br />
hart sind, ist es manchmal auch so, dass die Übergriffe<br />
gegen KurdInnen im Westen der Türkei nicht so hart<br />
sind. Man versucht, die KurdInnen in der Türkei auf die<br />
Seite der Regierung zu kriegen und deswegen macht<br />
man auch unterschiedliche Politik dazu. Der türkische<br />
Staat hat auch eine bestimmte Tradition, die Kräfte,<br />
die gegen ihn sind, zu zerschlagen oder zu zerteilen.<br />
Revolutionäre kurdische, türkische, alle möglichen<br />
Kräfte werden zerstreut und zersprengt. Man versucht<br />
einen Keil zwischen sie zu treiben, um die Kräfte für<br />
sich zu gewinnen und diese Bewegungen zu schwächen.<br />
Diese Tradition hat der türkische Staat, das darf man nicht<br />
übersehen. Die Politik einer gemeinsamen Aktionsfront<br />
ist eine Politik, die gegen diese Politik des Staates der<br />
Teilung und Zersplitterung gerichtet ist.<br />
Also es gibt traditionalistische, konservative KurdInnen,<br />
die die Stimme der AKP geben. Das Ziel ist diese<br />
Stimmen der KurdInnen für uns zu gewinnen. Es gibt<br />
zum Beispiel AlevitInnen, die staatstreu sind und der CHP<br />
ihre Stimmen geben. Es geht darum, dass man versucht,<br />
diese AlevitInnen für unseren Weg zu gewinnen. Der<br />
Kampf wird auch in diesem Bereich noch fortgesetzt.<br />
Um nochmals auf die Frage zurückzukommen, wir<br />
können das schaffen, aber die Frage, wie man sich dazu<br />
organisiert und welche Methoden man dazu findet, ist<br />
noch nicht komplett geklärt.<br />
Die moderne türkische Republik war nie besonders<br />
demokratisch und ist ganz einfach ausgedrückt,<br />
irgendwo was zwischen pseudodemokratisch,<br />
bonapartistisch und faschistisch. Ich meine aber,<br />
was wir in den letzten Jahren in der Türkei gesehen<br />
haben, da zeigt sich dann doch nicht der reine oder<br />
offene Faschismus. In den letzten Jahren nach Gezi<br />
gab sehr grosse Massen- und Volksdynamiken. Ein<br />
Beispiel: Anfang 2015 bis in den Sommer hinein,<br />
gab es einen riesigen MetallarbeiterInnen und<br />
AutomobilarbeiterInnen Streik, Hunderttausende<br />
von ArbeiterInnen waren involviert gegen die<br />
bestimmende Gewerkschaftsführung. Alles spontan,<br />
nicht organisiert und sicherlich nicht organisiert von<br />
der revolutionären Linken. Nach Gezi gab es auch<br />
eine massive Welle an Frauenwiderstand. 2016 gab es<br />
den Cerattepe-Widerstand, das war ein ökologischer<br />
Volkswiderstand, an der Schwarzmeerküste. Die<br />
organisierte Linke, auch revolutionäre Linke fehlte<br />
oder sie schaffte es nicht diese Sorgen mitzutragen.<br />
Ich meine der HDK, dieser Kongress hätte das<br />
machen sollen, hat es aber nicht gemacht und ich<br />
glaube nicht, dass da das Hauptproblem der türkische<br />
Faschismus war, sondern ein Desinteresse der meisten<br />
organisierten linken Kräfte. Das Problem, auf das<br />
ich hinweisen möchte, ist, wenn man als organisierte<br />
Linke, auch aus revolutionärer Perspektive in diesen<br />
Massenaufständen, die weiterhin stattfinden, nicht<br />
dabei ist, dann habe ich Zweifel daran, ob dann<br />
andere Taktiken und Strategien zu der Revolution<br />
führen.<br />
Also die Frage, ob die revolutionäre organisierte<br />
Bewegung in dieser Bewegungen drin war, ist<br />
folgendermassen zu beantworten: Sie war in dem Gezi<br />
Aufstand sehr stark vorhanden. Allein von der ESP<br />
hatten 180 Leute ein Verfahren am Hals, davon laufen<br />
noch heute 86 Verfahren, also ernsthafte Verfahren,<br />
die längere Strafen ergeben könnten. Auch andere<br />
Organisationen haben Verfahren am Hals, allein wegen<br />
dem Gezi Aufstand.<br />
Die linken Bewegungen kann man in zwei Kategorien<br />
aufteilen, die eine isoliert sich von diesen sozialen<br />
Bewegungen und erlebt eigentlich schrittweise ihren<br />
eigenen Tod und ist weg von den Massen. Die zweite<br />
Gruppe kann man die Gruppe nennen, die versucht die<br />
Massen zu begreifen, sich in den Massen zu integrieren,<br />
neue Möglichkeiten sucht. Diese Massen sind eigentlich<br />
die Kräfte, die eine Entwicklung erleben. Ich möchte<br />
keine Diskussion über die Faschismusdefinition<br />
anfangen, über Bonapartismus oder Cäsarismus oder<br />
sonst was anderes, das ist nicht mein Hauptanliegen, aber<br />
wenn du in Kurdistan oder in den Gebieten die Leute<br />
fragst, was ist Faschismus, die würden sagen, wenn das<br />
nicht Faschismus ist, was ist dann Faschismus.<br />
Es ging auch um die Frage, dass es wichtig ist im<br />
Westen der Türkei, in Istanbul, in Ankara und so<br />
weiter eine weitere Front zu eröffnen. Uns interessiert<br />
natürlich auch die Frage, was wir hier (in der<br />
Schweiz) tun können, um die Situation in der Türkei<br />
zu unterstützen, um die kämpfenden Strukturen in<br />
der Türkei zu unterstützen. Seien es diejenigen, die<br />
sich im Rahmen von HBDH organisiert haben oder<br />
seien es andere. Die Bedeutung der internationalen<br />
Solidarität sah man stark bei Kobanê, sah man stark<br />
bei <strong>Rojava</strong>, wo es immer wieder Aktionen gab, wo es<br />
gelang dieses Thema in die Öffentlichkeit zu tragen<br />
einerseits, und andererseits auch einen konkreten<br />
Inhalt zu vermitteln, dass es da um ein revolutionäres<br />
Projekt geht, mit dem man sich solidarisieren muss.<br />
Darum machen wir auch diese Veranstaltung,<br />
nicht nur, damit man zuhört und sagt „Ah, das ist<br />
spannend“, sondern dass wir uns auch die Frage<br />
stellen müssen hier, was bedeutet es, wenn in der<br />
Türkei sich eine derartige Situation entwickelt. Wir<br />
machen es uns mal einfach fragen euch: Was erwartet<br />
ihr von uns hier?<br />
Wir verlangen nicht viel von euch. Wenn ihr eine<br />
Revolution in Europa macht, dann haben wir schon<br />
16
alles geregelt. Wenn es keine Unterstützung von den<br />
europäischen ImperialistInnen geben würde, dann würde<br />
die Beseitigung des türkischen Faschismus viel leichter<br />
voran gehen. Wenn die Nato, die USA und auch die<br />
europäischen ImperialistInnen das nicht unterstützen<br />
würden, dann würden wir es wirklich erledigen können.<br />
Das war jetzt ein bisschen Spass dabei, aber es ist auch<br />
wichtig, gegen den europäischen Imperialismus und die<br />
Bourgeoisie den Kampf zu stärken. Die europäische<br />
Bourgeoisie verbündet sich ja, verbrüdert sich ja mit<br />
der türkischen Bourgeoisie. Genau so sagen wir zu den<br />
Werktätigen zu den ArbeiterInnen in Europa, verbrüdert<br />
euch mit euren Geschwistern in den anderen Ländern<br />
und führt den gemeinsamen Kampf gegen diese Kräfte<br />
genau so wie sie gegen euch kämpfen.<br />
Ich weiss, das ist sehr verallgemeint, was ich sage. Das<br />
was ihr tun müsst, ist auch das Licht, das durch die<br />
<strong>Rojava</strong> Revolution erschaffen worden ist, nach Europa<br />
zu tragen und den Kampf auch in Europa fortzusetzen.<br />
Vielleicht müssen wir noch mehr diskutieren und noch<br />
mehr unsere Erfahrungen austauschen. Aber im Hinblick<br />
auf die Solidarität glaube ich an eure Fähigkeiten, an eure<br />
Motivation, eure Ziele. Wir müssen unsere Erfahrungen<br />
weiter austauschen. Danke, dass ihr uns an diesem kalten<br />
Tag die Möglichkeit gegeben habt zu reden und wir<br />
wünschen euch allen Erfolg und wir danken auch den<br />
Leuten, die bereit waren so lange zuzuhören.<br />
Zur Aussprache<br />
Zur Vereinheitlichung der Orts- und Eigennamen<br />
haben wir weitestgehend die kurdisch-lateinischen<br />
Schreibweisen benutzt. Die Buchstaben, die im<br />
Deutschen nicht vorkommen, oder abweichend<br />
ausgesprochen werden, sind folgende:<br />
C, c<br />
dsch wie in „Dschungel“<br />
Ç, ç<br />
tsch wie in „Tschechien“<br />
E, e<br />
Kurzes, stimmloses a oder e; wie das ä in „älter“<br />
Ê, ê<br />
Langes e wie in „Emu“<br />
I, i<br />
Kurzes, stimmloses i wie in „Insel“<br />
Î, î<br />
Langes i wie in „Igel“<br />
J, j<br />
Weiches sch, wie das j in „Jaqueline“<br />
Q, q<br />
Aus der tiefen Kehle gesprochenes k, vgl.<br />
arab. ق R, r<br />
Gerolltes r<br />
Ş, ş<br />
sch wie in „Schnee“<br />
U, u<br />
Kurzes, stimmloses u wie in „Unterwelt“<br />
Û, û<br />
Langes u wie in „Urlaub“<br />
V, v<br />
w wie in „Wolke“<br />
W, w<br />
Wie das w in dem Ausruf „Wow“<br />
X, x<br />
ch wie in Bach<br />
Y, y<br />
j wie in Joghurt<br />
Z, z<br />
Weiches s wie in „Sonne“<br />
17
Karten Syrien und Frontverlauf<br />
Der Frontverlauf ändert sich in Syrien fast täglich. Entsprechend schwierig sind politische Karten zu finden,<br />
welche die Realität abbilden. Zur besseren Orientierung drucken wir deshalb eine allgemeine Karte von<br />
Syrien und zwei politische Vergleichskarten ab, die den Frontverlauf in Nordsyrien zwischen Dezember<br />
2015 und März 2016 beziehungsweise zwischen Dezember 2014 und Februar 2017 zeigen. Eine Sammlung<br />
von mehr oder weniger hilfreichen Karten zum Kriegsverlauf gibt es auf: http://www.lib.utexas.edu/maps/<br />
syria.html.<br />
18
19
INTERNATIONALISTINNEN<br />
<strong>Rojava</strong> ist nicht nur<br />
Bezugspunkt für die<br />
revolutionäre Linke<br />
geworden, sondern ist<br />
auch ein Ort des gelebten<br />
Internationalismus. Etliche<br />
Freiwillige sammeln<br />
hier militärische und<br />
politische Erfahrungen<br />
und unterstützen die<br />
Befreiungskräfte.<br />
Die Beweggründe,<br />
Erfahrungen und erste<br />
Reflexionen verschiedener<br />
KämpferInnen wollen<br />
wir im Folgenden näher<br />
beleuchten.<br />
20
Kenan<br />
«Ich glaube es war wichtig, dass sowohl<br />
Genossin Ivana, ich, als auch andere Leute<br />
damals als Erste gesagt haben, wir werden jetzt<br />
den Schritt machen und einfach mal vor Ort<br />
hingehen. Nicht nur irgendwie als Delegierte,<br />
sondern tatsächlich um am Kampf dran<br />
teilzunehmen. Um Erfahrungen zu sammeln,<br />
die man überhaupt transportieren kann. »<br />
Kannst du dich kurz vorstellen, wer du bist und<br />
was deine politische Geschichte ist?<br />
Ich bin Kenan. 2007 habe ich angefangen politisch<br />
aktiv zu werden. Damals war ich in Deutschland in<br />
der Bildungsstreik-Bewegung aktiv. Das war eine Zeit,<br />
als in vielen Städten Jugendliche angefangen haben,<br />
sich zu politisieren. Das heisst konkret sich mit Politik<br />
auseinanderzusetzen und dabei auch angefangen haben,<br />
ihre ersten Erfahrungen in Organisierungsprozessen zu<br />
sammeln. Ich war ebenfalls einer dieser Menschen.<br />
Vorher hatte ich überhaupt keinen Bezug dazu, weder<br />
über Verwandte noch über Bekannte. Ich habe auch<br />
angefangen mich antifaschistisch zu organisieren und<br />
ich bin nach einiger Zeit in Kontakt zu Leuten der MLKP<br />
gekommen, die hier in Deutschland gearbeitet haben und<br />
noch immer arbeiten. Ich habe aufgrund der Schwäche der<br />
revolutionären Bewegung in Deutschland, von grösseren<br />
Strukturzusammenhängen und so weiter, in der MLKP<br />
eine politische Heimat gefunden. Wohl aufgrund dessen,<br />
dass ich damals nach etwas gesucht habe; Das heisst ich<br />
habe eine Organisation gesucht, die eine Geschichte hat,<br />
die schon Erfahrung hat, die mir auch in gewisser Weise<br />
einen Weg zeigen kann und Erfahrungen mitgeben kann.<br />
Das waren Dinge, die ich bei deutschen Organisationen<br />
in meiner Umgebung nicht gefunden habe.<br />
Deswegen ist ein Grossteil meiner politischen Laufbahn,<br />
meiner politischen Sozialisierung über diese Organisation<br />
und die Revolution in der Türkei und Kurdistan gelaufen.<br />
Weswegen ich auch nach einiger Zeit die Entwicklungen<br />
und die Kämpfe dort für mich genau so gespürt habe,<br />
wie die revolutionäre Bewegung und die politischen<br />
Kämpfe in Deutschland.<br />
Dabei gab es bezüglich den verschiedenen Kämpfen<br />
aber nie eine Abstufung für mich. Also es ging nicht<br />
darum, dass dies hier meine politische Heimat wäre<br />
und ich für die da drüben nur ein Solidaritätsempfinden<br />
empfand. Ein solches Empfinden ist vielmehr aus dem<br />
internationalistischen Verständnis heraus gewachsen:<br />
Einfach aufgrund dessen, dass man Leute kennengelernt<br />
hat, die im Todesfasten in der Türkei waren oder die in<br />
der Türkei gefoltert worden sind. Das waren auch Leute,<br />
die vieleicht in Deutschland aufgewachsen sind, deren<br />
Eltern schon in der Türkei gekämpft haben und sich<br />
dann auch entschlossen haben, rüber und in die illegale<br />
Arbeit zu gehen oder sich der Guerilla anzuschliessen.<br />
Deswegen war der revolutionäre Kampf in der Türkei<br />
und Kurdistan für mich auf derselben Ebene, wie die<br />
politischen Kämpfe hier in Deutschland. Als sich die<br />
Ereignisse in Syrien überschlagen haben und als das<br />
Projekt <strong>Rojava</strong> ins Leben gerufen worden ist, war da<br />
auch vom ersten Tag an ein sehr starkes Interesse in mir.<br />
Recht schnell hatte ich auch schon die ersten Gefühle<br />
gehabt, dass dies etwas ist, wo ich gerne direkt dran<br />
teilnehmen möchte. Da kamen in mir die Gedanken und<br />
Fragen: Ist das etwas was ich direkt sehen möchte, was<br />
also kann ich davon lernen, was geschieht da, in welche<br />
Richtung geht das?<br />
Denn irgendwie ist da ein Ansatz, bei dem man sagen<br />
kann, in <strong>Rojava</strong> findet eine Revolution statt, die irgendwie<br />
in den Sozialismus gehen könnte. Dann habe ich 2013<br />
schon das erste Mal den Wunsch geäussert dorthin zu<br />
gehen. Das war aber eine Zeit, als GenossInnen mit mir<br />
diskutiert haben, die gesagt haben, dass das vielleicht<br />
jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist, dass man<br />
da später nochmal darüber diskutieren kann. Als dann<br />
auch meine Freundin und Genossin Ivana gegangen ist,<br />
war dann aber noch mal ein zweiter Punkt, bei dem ich<br />
gesagt habe, ich will auch gehen.<br />
Der allerletzte Moment, als ich dann auch gesagt habe,<br />
22
jetzt hält mich erst Mal gar nichts mehr hier (ob mit<br />
Hilfe, ob mit dem Segen oder nicht, werde ich dort<br />
hingehen um zu kämpfen) war dann, als im September<br />
und Oktober 2014 Kobanê belagert worden ist und wir<br />
eigentlich im Minutentakt vor dem Rechner hingen und<br />
versucht haben die neusten Informationen, den Stand<br />
der Kämpfe zu erfahren. Es war eine Zeit, in der es<br />
innerlich in mir gebrannt hat, wo ich nicht mehr ruhig<br />
sitzen konnte hier, wo mir das Auf-Demonstrationen-<br />
Gehen nicht mehr gereicht hat. Dann habe ich gesagt,<br />
in spätestens zwei Wochen bin ich drüben. Irgend einen<br />
Weg werde ich schon finden und ja, es hat dann auch<br />
geklappt.<br />
Im Oktober und November 2014 bin ich dann nach<br />
<strong>Rojava</strong> gereist und habe mich dort dem MLKP-Bataillon<br />
angeschlossen, das gerade neu aufgebaut worden war.<br />
Schon ein, zwei Jahre vorher haben einzelne MLKP<br />
KämpferInnen in den Reihen der YPG gekämpft und<br />
zu dem Zeitpunkt wurde eine eigene Einheit aufgebaut,<br />
ein eigenes Bataillon gegründet und auch die ersten<br />
Vorbereitungen und Diskussionen zur Gründung des<br />
internationalen Bataillons wurden damals gemacht.<br />
Darin wurde ich dann auch direkt eingebunden.<br />
Damals habe ich auch lange Zeit mit der Genossin Ivana<br />
zusammen gekämpft und gelebt. Dann haben wir im<br />
Juni das internationale Freiheitsbataillon gegründet,<br />
was erst mal ein Zusammenschluss von bereits dort<br />
kämpfenden revolutionären Organisationen aus der<br />
Türkei war, woran aber eben auch einzelne Leute aus<br />
anderen Ländern teilnahmen; zum Beispiel ich oder<br />
andere Leute aus Deutschland. Zudem waren da ein<br />
Genosse aus Griechenland, GenossInnen aus Spanien<br />
usw., die alle dort die ersten Schritte des internationalen<br />
Freiheitsbataillon mitgegangen sind. Das hat sich<br />
mittlerweile auch recht stark ausgebreitet; das heisst<br />
das Bataillon ist gewachsen, auch an internationaler<br />
Beteiligung.<br />
Ich bin jetzt seit einem halben Jahr wieder zurück in<br />
Deutschland. Ich musste <strong>Rojava</strong> verlassen, weil ich<br />
verletzt wurde, wäre aber aus eigenem Antrieb vielleicht<br />
noch ungefähr ein halbes Jahr länger geblieben.<br />
Es war von Anfang an mein Ziel mindestens ein Jahr<br />
zu bleiben, um wirklich auch etwas sagen zu können<br />
über die Erfahrung, die man dort macht. Das bedingt<br />
über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit zu<br />
haben, verschiedene Seiten des Ganzen zu sehen, und<br />
damit einen umfassenderen Einblick in die Sache zu<br />
bekommen.<br />
23
Kannst du genauer beschreiben, was für einen<br />
Einblick du meinst?<br />
Da wäre natürlich auch die Möglichkeit gewesen drei<br />
Monate oder ein halbes Jahr dort zu bleiben. Aber wir<br />
haben sehr schnell rausgefunden, dass es, wenn man<br />
nur so einen kurzen Zeitraum bleibt, sehr vom Glück<br />
abhängig ist, wie viel man dort miterleben kann. Es<br />
gibt verständlicherweise auch Zeiträume, wo man lange<br />
Zeit nicht im heissen Krieg ist und wo quasi eine Patt-<br />
Situation vorherrscht. Es sind beispielsweise Situationen,<br />
wenn aufgrund der Jahreszeit keine grossen Operationen<br />
möglich sind oder wenn Kräfte gerade gesammelt und<br />
Pläne gemacht werden für die nächsten Angriffe und<br />
Operationen. Deswegen wollte ich ein Jahr bleiben und<br />
das hat dann auch ziemlich geholfen.<br />
Das bedingt aber auch, dass ich Zeiten mitgemacht habe,<br />
wo die grosse Herausforderung darin lag, irgendwie die<br />
Zeit totzukriegen. Das sind Zeiträume, in denen man<br />
monatelang darauf gewartet hat, dass die Operationen<br />
losgehen. Dann gab es aber auch Momente, als Schlag auf<br />
Schlag die heisse Phase kam, wo wir innerhalb kürzester<br />
Zeit in den Kampf um die Südgrenze <strong>Rojava</strong>s eingezogen<br />
wurden. Dort kämpften wir um die Gebirgskette<br />
Kizwanan (arab.Abdul Aziz). Ich habe auch im Kampf<br />
um die Stadt Heseke mitgemacht. Dort existierte lange<br />
Zeit eine dreifache Teilung der Stadt; das heisst es gab<br />
ein Teil, der von den Assad Truppen besetzt war, ein Teil<br />
Daesh und ein Teil, der schon von der YPG kontrolliert<br />
wurde. Ein anderer Kampf war die Zusammenführung<br />
der Kantone Cizîre und Kobanê, wo wir in den Kämpfen<br />
um Girê Spî (ar. Tel Abyad) teilnehmen konnten. Das<br />
waren dann auch die prägenden Erfahrungspunkte, die<br />
ich dort erlebt habe.<br />
Was würdest du sagen, hast du aus dieser<br />
Erfahrung heraus gelernt?<br />
Das habe ich schon so oft irgendwie versucht zu erzählen<br />
und ich habe mir auch selber Gedanken darüber gemacht.<br />
Aber immer wieder, wenn ich darüber gefragt werde,<br />
finde ich es schwer, eine gute Antwort darauf zu finden.<br />
Eine Sache, die ich aus dem ganzen Prozess <strong>Rojava</strong><br />
gelernt habe, ist, dass die revolutionäre Realität<br />
oftmals nicht so abläuft, wie wir uns das vorstellen,<br />
oder wie wir uns das aus theoretischen Analysen<br />
heraus denken. Es ist doch so, dass das Leben<br />
tagtäglich immer wieder konkrete Fragen stellt,<br />
auf die man als Revolutionär und als revolutionäre<br />
Bewegung Antworten finden muss. Oftmals kann<br />
man dabei nicht mit fertigen Konzepten daran<br />
arbeiten. Doch wenn man diese fertigen Konzepte<br />
noch nicht hat, muss das nicht zwangsläufig bedeuten,<br />
dass man sich zurückzieht um mögliche Konzepte zu<br />
erschliessen. Es geht nicht darum ja keine Fehler zu<br />
machen und dadurch letztendlich gar nichts machen<br />
zu können, sondern darum, dass man immer wieder<br />
ins kalte Wasser gehen und Dinge auch ausprobieren<br />
muss.<br />
Ich finde, dass die kurdischen GenossInnen bewiesen<br />
haben, dass dies enorm wichtig ist um zu überleben<br />
und um überhaupt eine revolutionäre Perspektive<br />
im Chaos des weltweiten politischen Geschehens<br />
aufbauen zu können. Die gleiche Erfahrung habe ich<br />
mit den kommunistischen GenossInnen gemacht, die<br />
aus der Türkei nach <strong>Rojava</strong> gegangen sind. Bevor<br />
sie sagen konnten, was <strong>Rojava</strong> für ein Projekt ist, das<br />
heisst ob das nun eine Revolution ist, wie man sie aus<br />
dem marxistischen Lehrbuch kennt usw., wollten sie<br />
die Sitation vor Ort erleben. Natürlich gibt es dabei<br />
wichtige Fragen: Kann man das, was hier geschieht,<br />
tatsächlich unterstützen? Wollen wir das unterstützen?<br />
Inwiefern wollen wir das unterstützen? Machen wir eine<br />
Solidaritätserklärung dazu oder schicken wir dutzende<br />
GenossInnen hin, mit dem Bewusstsein, dass diese dort<br />
auch sterben können und damit in der politischen Praxis<br />
im eigenen Land dementsprechend fehlen werden? Doch<br />
die GenossInnen sind den Schritt gegangen zu sagen, ok,<br />
wir wissen noch nicht wohin das geht und dieser Prozess<br />
ist in alle Richtungen offen, trotzdem werden wir uns,<br />
mit allen möglichen Konsequenzen, daran beteiligen.<br />
Das ist etwas, was auch mir die Motivation gegeben<br />
hat zu sagen, ja ich werde das jetzt auch machen, ohne<br />
schon vorher eine klare Antwort auf mögliche Fragen<br />
zu haben. Aber natürlich stellen sich mir auch diese: Ist<br />
es für mich als Revolutionär beispielsweise wichtiger<br />
in Deutschland oder in Europa zu arbeiten, wo die<br />
revolutionäre Bewegung in der Defensive ist und da<br />
alle meine Kraft aufzuwenden? Wäre es nicht wichtiger,<br />
gerade dort zu sein und zu kämpfen? Solche Fragen<br />
konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht abschliessend klären,<br />
aber bevor ich daraus eine Lähmung oder so erfahren<br />
habe, habe ich gesagt, ok ich mache das jetzt und ich<br />
kann im Nachhinein bewerten ob das richtig war oder<br />
nicht. Ich werde nichts verlieren! Und gerade das ist<br />
auch eine Erfahrung, die ich mitgenommen habe und<br />
die ich versuchen werde in meiner revolutionären Arbeit<br />
und in meinen politischen Perspektiven einzubauen.<br />
Die Frage, die du am Schluss angegangen bist, ist<br />
ja gar nicht so einfach zu beantworten. Denn der<br />
Transport von den Erfahrungen in den Prozess hier<br />
in Europa, wo die revolutionäre Seite tatsächlich<br />
in der Defensive ist, obwohl oder gerade weil auch<br />
wahrscheinlich die Verschärfung, die Polarisierung<br />
sehr stark und sehr schnell zunimmt und die Rechte<br />
eine andere Antwort bereit hat als wir von der linken<br />
Seite, ist ja nicht ganz einfach. Wie kann dieser<br />
Transport, diese Erfahrung, diese Fragestellung<br />
denn für hier verwendet werden?<br />
Ich glaube dafür war es wichtig, dass sowohl Genossin<br />
24
Ivana, ich, als auch andere Leute damals als erste gesagt<br />
haben, wir werden jetzt den Schritt machen und einfach<br />
mal vor Ort hingehen. Das heisst nach <strong>Rojava</strong> zu gehen<br />
und dies nicht nur irgendwie als Delegierte, sondern<br />
tatsächlich um am Kampf daran teilzunehmen. Um<br />
Erfahrungen zu sammeln, die man transportieren kann.<br />
Und man sieht ja heute, dass wir damit auf jeden Fall ein<br />
grosses Ziel erreicht haben, nämlich Leute zu bewegen,<br />
selber aktiv zu werden: Beispielsweise indem Leute<br />
aktiver in der Solidaritätsarbeit wurden oder eben auch<br />
den Schritt gewagt haben zu sagen, auch wir wollen das<br />
machen.<br />
Viele Leute, die vielleicht im Kopf schon ähnliche<br />
Gedanken hatten, aber die das zu dem Zeitpunkt nicht<br />
konkretisieren konnten, haben durch unsere Praxis<br />
den Entschluss fassen können, eine solche Erfahrung<br />
ebenfalls zu machen. Unsere Aktivitäten haben<br />
gezeigt, dass in <strong>Rojava</strong> Strukturen bestehen und es die<br />
Möglichkeiten gibt, dorthin zu gehen. Jetzt ist es natürlich<br />
wichtig, damit das Ganze nicht irgendwie verpufft<br />
oder zumindest nicht ins Leere läuft, die Erfahrungen<br />
auch zu verallgemeinern, zu konkretisieren und daraus<br />
Schlussfolgerungen zu ziehen.<br />
Dafür wird es auch noch ein bisschen Zeit brauchen.<br />
Denn das sind alles auch persönliche Erfahrungen, die<br />
man macht, die man auch erst einmal mit sich selbst<br />
ausarbeiten muss. Es gibt da auch viele Sachen, für<br />
die man erst für sich eine Antwort finden muss. Aber<br />
dann kommt eben auch der Schritt, wo man sagt, ich<br />
habe nicht nur eine private Erfahrung gemacht, sondern<br />
habe aufgrund dessen, was ich erlebt habe, auch eine<br />
Verantwortung gegenüber anderen Menschen und<br />
gegenüber der Bewegung. Diese Verantwortung besteht<br />
darin, die Erfahrungen mitzuteilen und Einschätzungen<br />
abzugeben, um diese zur Diskussion zu stellen. Nur<br />
weil ich oder andere jetzt da waren, heisst das nicht,<br />
dass wir bessere Analysen zu der Revolution dort oder<br />
zum bewaffneten Kampf haben. Aber wir haben andere<br />
Sachen sehen können, mit anderen Leuten sprechen<br />
können, dadurch haben wir eine andere Perspektive<br />
gewonnen. Eventuell konnten wir andere Ideen<br />
entwickeln und die kann man diskutieren und dann wird<br />
die Bewegung zeigen müssen, ob und was sie daraus<br />
mitnimmt und zu welchen Punkten sie sagt, ja das sind<br />
Sachen, die für uns wichtig sind oder das sind Sachen,<br />
mit denen wir arbeiten können. Das heisst natürlich<br />
auch, dass man bei einigen Punkten sagen wird, dass das<br />
Fragen sind, die in <strong>Rojava</strong> gelten aber für Europa anders<br />
gestellt werden müssen. Dafür ist es wichtig, dass die<br />
Diskussion und der Austausch stattfindet und dass dies<br />
auch eine Kontinuität erhält.<br />
Was mich in der Auseinandersetzung mit der<br />
YPJ, oder überhaupt mit der kurdischen Bewegung,<br />
beindruckt hat, ist, dass sie eine Methode entwickelt<br />
haben, wie sie zur Analyse kommen und wie sie<br />
entscheiden, was für ihren Kampf wichtig ist oder<br />
nicht. Ich denke, dass es viele Sachen gibt, die man<br />
lernen kann und man sagen kann, das lässt sich<br />
verallgemeinern und auch übertragen. Für mich<br />
bedeutet dies insbesondere die Übertragung einer<br />
Methode, wie man zu Einschätzungen und daraus<br />
25
auch zu richtigen strategischen Zielsetzungen kommt.<br />
Die Herangehensweise wie die kurdische Bewegung<br />
mit Situationen umgeht, um herauszufinden was zu tun<br />
sei, hat mich sehr beeindruckt. Sie stellen die Frage<br />
danach, was die richtige Antwort in dieser Etappe ist,<br />
in der sie sich jetzt befinden. Solche methodischen<br />
Herangehensweisen habe ich für mich mitgenommen.<br />
Man sieht den Erfolg ihrer Methode ja auch in ihrer<br />
Praxis, denn sie sind tatsächlich in der Lage, im Moment<br />
auf jeden Fall, die strategischen Aufgaben, die sich ihnen<br />
stellen, beantworten zu können.<br />
Wahrscheinlich müssen wir uns in dieser Richtung<br />
auch überlegen, welche Elemente sind für uns wichtig.<br />
Ich hatte das Glück auch in einen Schulungskurs über<br />
Strategie und Taktik reinhören zu dürfen und das war<br />
sehr beeindruckend. Das heisst interessant war vor<br />
allem, mit welcher Methode sie an Fragestellungen ran<br />
gehen und weniger die konkrete Umsetzung, weil das<br />
ist viel zu verschieden von unserer Geschichte, unserer<br />
Kultur und unserer Bedingungen. Aber die Methodik<br />
vom Erkenntnisprozessen und dann die Umsetzung<br />
in Theorie und Praxis, diese ganze Reflexion, diese<br />
Dialektik, die sie sich erarbeiteten und auch noch immer<br />
am entwickeln sind, ist schon sehr beeindruckend.<br />
Ich glaube, dass das etwas ist, was wir sehr gut von<br />
den Strukturen der PKK lernen können. Vielleicht liegt<br />
ihre Stärke darin, dass sie aufgrund ihrer konkreten<br />
Situation einfach dazu getrieben worden sind, viel zu<br />
experimentieren und mit offenem Kopf an die Sachen zu<br />
gehen. Was heissen kann, auch alte Konzepte über Bord<br />
zu schmeissen und sich neuen Konzepten zu öffnen. Ein<br />
weiterer Grund ist nicht zuletzt auch, dass die PKK mit<br />
einem Volk zu tun haben, das über mehrere Länder verteilt<br />
ist, in denen überall eine andere politische Situation<br />
vorherrscht. Das heisst beispielsweise andere Arten der<br />
Repression existieren. Das bedeutet, dass sie irgendwann<br />
gemerkt haben, wir können nicht ein Konzept verfolgen,<br />
das überall gleich gilt, sondern wir haben entweder in<br />
den verschiedenen Ländern unterschiedliche Fragen<br />
vorgefunden oder wir haben gelernt, dass auf dieselben<br />
Fragen unter unterschiedlichen Bedingungen andere<br />
Antworten gefunden werden müssen.<br />
26
Dadurch, dass die PKK eine Partei und zugleich eine<br />
Bewegung ist, die es seit Jahrzehnten gibt, haben sie auch<br />
einen reichen Schatz an Erfahrungen und das ist etwas,<br />
worauf wir als RevolutionärInnen aus Europa schauen<br />
müssen und woraus wir lernen können. Denn es ist eine<br />
der grössten Schwächen von revolutionären Bewegungen<br />
in imperialistischen Zentren, dass sie noch immer stark<br />
durch Betonköpfigkeit oder durch Dogmatismus geprägt<br />
ist. Und nun habe ich die Erfahrungen gemacht, mit denen<br />
ich mit dem Vorschlaghammer auf diese Betonköpfe ein<br />
bisschen draufhauen kann.<br />
Wenn man mit den gleichen Organisationen hier in<br />
imperialistischen Zentren diskutiert, oder in <strong>Rojava</strong>,<br />
dann hat man manchmal das Gefühl, es handelt sich<br />
nicht um dieselben Gruppen. Da realisiert man dann,<br />
dass Organisationen und Menschen sich im Kampf<br />
entwickeln und im Kampf diese Beweglichkeit, von<br />
der du gesprochen hast, notwendig ist. Darunter<br />
fällt auch die Frage nach der Einheit. Das kann<br />
zum Beispiel heissen, die Einheit ins Zentrum zu<br />
stellen und nicht das Trennende. Das ist auch in den<br />
anderen Interviews immer wieder betont worden.<br />
Zum Beispiel hat der Verantwortliche der TKP/ML-<br />
TIKKO zum Schluss gesagt: „Sag den GenossInnen<br />
in Europa die Wahrheit: Die revolutionäre Wahrheit<br />
liegt im Kampf und der Kampf der ist hier.“<br />
Ja, das ist auch etwas, was gerade für die Organisationen<br />
aus der Türkei wichtig ist. Wenn man zum Beispiel auf die<br />
Gründung des internationalen Freiheitsbataillons schaut:<br />
Da haben sie einen Schritt in Richtung Aufreissen der<br />
Grenzen zwischen den Organisationen gemacht, die sich<br />
sonst im politischen Alltag mit Argusaugen anschauen<br />
und immer abwägen, was der andere macht und will.<br />
Durch den gemeinsamen Kampf ist eine neuere Qualität<br />
entstanden. Die Gründung des Bataillons ist eben nicht<br />
nur wertvoll, weil da Kampfeinheiten zusammen gezogen<br />
worden sind und nicht nur, weil man nach klassischer<br />
Algebra einfach fünf plus fünf zusammenzählt und dann<br />
die Einheit plötzlich aus zehn Leute besteht. Sondern<br />
weil ein dialektischer Sprung gemacht wurde und<br />
mehrere Leute und Gruppen zusammengekommen sind.<br />
Die neue Kraft basiert auf einer neuen Qualität und ich<br />
glaube so ein Denken kann man auch gut nach Europa<br />
transportieren.<br />
Wenn ich zum Beispiel einen Genossen anschaue, der<br />
mittlerweile wieder in Deutschland ist: Früher hätte<br />
er niemals die theoretischen Publikationen irgend<br />
einer anderen Partei ausser seiner eigenen in die Hand<br />
genommen und mittlerweile macht er keinen Unterschied<br />
mehr, aus welcher politischen Tradition man jetzt kommt,<br />
oder in welcher Partei man organisiert ist, sondern er<br />
bewertet die Leute danach, ob sie im Kampf sind und<br />
erklärt die Leute dadurch zu seinen GenossInnen und<br />
nicht mehr dadurch, dass sie im selben Verein oder in<br />
derselben Partei aktiv sind. Das sind Sachen, die einen<br />
auf jeden Fall verändern.<br />
Und die gehören meiner Meinung auch zur<br />
Verallgemeinerung, das kann man auf jeden Fall<br />
transportieren. Ich fand auch interessant, was du zum<br />
Freiheitsbataillon gesagt hast. Kannst du vielleicht<br />
noch was zur Gründung sagen?<br />
Ja die Gründung war insofern interessant, als dass die<br />
ersten Schritte noch ziemlich von einer alten Denkweise<br />
begleitet waren. Das heisst, dass die Diskussionen zu<br />
Beginn der Gründung noch stark von einem Denken<br />
begleitet war, wo es stets nur um «meine Gruppe, meine<br />
Gruppe» ging. Danach hat sich dies verändert und alte<br />
Denkweisen sind mehr und mehr aufgebrochen worden.<br />
Am Anfang mussten natürlich grundsätzliche Dinge<br />
geklärt werden; zum Beispiel, dass es eine militärische<br />
Einheit ist. Die Hierarchie musste geklärt werden, das<br />
heisst wer ist Kommandant, wer ist Unterkommandant<br />
und so weiter. Am Anfang erlebte ich hierbei noch eine<br />
Denkeweise, in der sich die Leute gefragt haben, was es<br />
bedeutet, wenn jetzt jemand Kommandant aus der einen<br />
Partei ist und man selbst aber von der anderen kommt.<br />
Daraus ergaben sich Fragen, wie etwa ist der Kommandant<br />
in der Hierarchie nun mein Ansprechpartner, oder habe<br />
ich mich nach der Hierachie meiner Partei zu richten?<br />
Es war zu Beginn auch ein wenig ein Aushandeln.<br />
Beispielsweise indem die einen sagen, eure Partei<br />
darf den Kommandanten des Bataillons stellen, dafür<br />
darf unsere Partei den Pressesprecher stellen. Es gab<br />
zu Beginn also ein falsches Gerechtigkeitsgefühl,<br />
wo man vielmehr geschaut hat, dass es für alle gleich<br />
sein muss und nicht danach gefragt hat, wer bringt die<br />
besten Voraussetzungen für etwas mit. Das wurde aber<br />
immer besser verstanden. Leider bin ich aber schon<br />
anderthalb Monate nach der Gründung verletzt worden<br />
und musste <strong>Rojava</strong> verlassen. Deswegen kann ich<br />
nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, wie es<br />
weitergegangen ist. Aber schon nach den ersten Wochen<br />
habe ich eine positive Veränderung wahrgenommen und<br />
hoffe, dass es auch in diese Richtung weiter gegangen<br />
ist.<br />
Das heisst es gab schon von Anfang an Kritik<br />
/ Selbstkritik und diese Reflektionen war ein Teil<br />
davon?<br />
Ja, auf jeden Fall! Das sind Sachen, die auch bei den<br />
ersten Kritik / Selbstkritiken immer wieder ein Thema<br />
waren.
28
Internationalist I<br />
«Ich wollte nicht nur in Büchern lesen oder<br />
in Filmen sehen, was eine Revolution ist. Ich<br />
wollte es mit den eigenen Augen sehen.»<br />
Kannst du von dir erzählen, wer du bist, woher du<br />
kommst?<br />
Ich habe 2011 angefangen politische Arbeit zu machen.<br />
Als Folge von Stress mit Nazis habe ich mich dann<br />
im antifaschistischen Bereich organisiert und bin<br />
durch diese Arbeit mit antifaschistischen Gruppen<br />
in Kontakt gekommen, auch mit den GenossInnen<br />
der MLKP. Durch die MLKP habe ich relativ schnell<br />
Kontakt zum kurdischen Befreiungskampf bekommen.<br />
Ich habe angefangen, mich mehr mit diesem Thema<br />
zu beschäftigen, also alles was den kurdischen<br />
Freiheitskampf angeht und so weiter.<br />
Was heisst und so weiter? Das heisst, du hast dich<br />
inhaltlich damit beschäftigt?<br />
Ja, ich habe mich von Deutschland aus mit dem Kampf<br />
beschäftigt, dabei führte ich auch viele Gespräche mit<br />
GenossInnen, die in <strong>Rojava</strong> gekämpft haben oder immer<br />
noch kämpfen. Manchmal, wenn man dann in die Türkei<br />
gereist ist, kam man dann direkt in Kontakt mit den<br />
GenossInnen und lernte diese noch besser kennen.<br />
Wann war das, in welchem Jahr?<br />
Das war kurz nach den Protesten rund um den Gezi-Park.<br />
Dort habe ich ein besseres Gefühl dafür bekommen, was<br />
in der Türkei und in Kurdistan los ist. Und dann kam die<br />
Revolution in <strong>Rojava</strong>. Dann fing es auch in Europa mit<br />
den Solidaritätskundgebungen an.<br />
Ich habe mich intensiv mit dieser Revolution beschäftigt.<br />
Schliesslich habe ich, nachdem Ivana gegangen war,<br />
den Entschluss gefasst, ich möchte jetzt mehr tun, ich<br />
möchte nicht mehr hier sitzen, ich möchte aktiv vor Ort<br />
sein und mich in den Reihen der YPG oder der MLKP<br />
anschliessen und bewaffnet in <strong>Rojava</strong> kämpfen, um<br />
praktische Solidarität auszuüben.<br />
Das war das, was ich machen wollte und warum ich nach<br />
<strong>Rojava</strong> gegangen bin. Ich wollte nicht nur in Büchern<br />
lesen oder in Filmen sehen, was eine Revolution ist. Ich<br />
wollte es mit den eigenen Augen sehen. Zudem wollte ich<br />
auch lernen, was ein Krieg ist, was da mit den Menschen<br />
passiert, was wahr und was falsch ist und so weiter.<br />
Da habe ich mich entschlossen für ein Jahr nach <strong>Rojava</strong><br />
zu gehen. Ich blieb fast anderthalb Jahre. Die lange Zeit<br />
entstand, weil ich auch eine grosse Erfahrung machen<br />
wollte. Das heisst nicht nur drei Monate bleiben und dann<br />
sofort wieder gehen, sondern wirklich die Menschen,<br />
den Krieg, das Kämpfen und <strong>Rojava</strong> kennen lernen. All<br />
das nimmt Zeit in Anspruch. Darum hab ich gesagt, ich<br />
möchte mindestens ein Jahr bleiben und das, was ich<br />
dort gesehen habe und erlebt habe, dann später wieder<br />
nach Deutschland zurücktragen.<br />
Was sind denn deine Erfahrungen?<br />
In <strong>Rojava</strong> habe ich erlebt, wie die Realität aussieht,<br />
also das, was man sich vorher vielleicht in seinen<br />
romantischen Gedanken ganz anders vorstellt und man<br />
dann brutal auf den Boden der Tatsachen zurückgerissen<br />
wird. Plötzlich sieht man was der Krieg ausrichtet, selbst<br />
wenn es ein revolutionärer fortschrittlicher Krieg ist,<br />
den wir führen. Auch dieser hat seine Auswirkungen auf<br />
die Bevölkerung und auf das Land. Man ist deswegen<br />
immer in dieser Zwickmühle, zwischen einem „ok es<br />
ist schön“ und einem „es ist schrecklich“. Da steht man<br />
immer dazwischen.<br />
Wirklich schade fand ich, dass ich nicht die Chance<br />
hatte, öfters mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten.<br />
Dieses Versäumnis liegt darin, dass ich die ganze Zeit<br />
als Soldat dort war und wir nicht die Zeit hatten, wirklich<br />
mit der Zivilbevölkerung zu diskutieren. Ausser wir<br />
nahmen irgendwelche Dörfer ein und so, dann kamen wir<br />
manchmal in Kontakt. In solchen Situationen sieht man<br />
dann, was es wirklich heisst, wenn vor einer Woche noch<br />
Daesh hier war und nun plötzlich wir als revolutionäre<br />
Kraft anwesend sind. In solchen Situationen hatten wir<br />
dann schon Kontakt mit der Bevölkerung.<br />
Aber innerhalb von <strong>Rojava</strong> zum Beispiel, wo schon ein,<br />
zwei Jahre kein Krieg mehr war und wo die Revolution<br />
schon langsam angefangen hat zu arbeiten, dort hatten<br />
wir nicht die Möglichkeit, die Revolution besser kennen<br />
zu lernen. Die Frage, wie sich die Revolution entwickelt<br />
und wie das Leben weitergeht, das hat mir dann<br />
wirklich ein bisschen gefehlt, auch weil ich darin gerne<br />
Erfahrungen gemacht hätte.<br />
29
Kannst du etwas zu deiner Zeit an der Front sagen?<br />
Habt ihr da auch die Möglichkeit gehabt, über das<br />
was ihr erlebt habt zu reflektieren, zu diskutieren?<br />
Gab es da eine Möglichkeit, der Verarbeitung?<br />
Als ausländische KämpferInnen hatten wir am Anfang<br />
ein Sprachproblemen. Deswegen gab es wenig<br />
Möglichkeiten und ich glaube auch nicht, dass dies<br />
generell gemacht wird. Davon habe ich zumindest nichts<br />
mitbekommen.<br />
Da ist ein bisschen ein Defizit, darüber haben wir auch<br />
gesprochen. Denn man muss auch damit einen kollektiven<br />
Umgang finden. Man muss darüber reden, was man<br />
sieht, was man erlebt und was man macht. Es ist wirklich<br />
wichtig, damit umzugehen, sonst geht es auch einmal<br />
nach hinten los. So was ist schon auch vorgekommen.<br />
Es ist nicht die Regel, sondern es sind Einzelfälle.<br />
Dennoch gab es Situationen, wo Leute Flashbacks und<br />
so was hatten und dann auch durchgedreht sind. Das<br />
passiert aber nicht oft. Das sind halt auch die normalen<br />
Auswirkungen vom Krieg und das braucht dann wirklich<br />
einen richtigen Umgang damit.<br />
Nach jedem Fronteinsatz gibt es immer diese<br />
Kritikrunden und da hat man ein bisschen die Chancen<br />
über Probleme zu sprechen. Doch oft geht es mehr<br />
um alltägliche Sachen, die man zu kritisieren hat.<br />
Beispielsweise im Sinne davon, dass ich dort mehr<br />
Teller spülen hätte können und so weiter. Es geht nicht<br />
um den psychologischen Bereich, es geht mehr um die<br />
alltägliche Praxis, praktische Begriffe, was man gesehen<br />
hat, was man gemacht hat und so weiter.<br />
Aber trotzdem: Auf Grund dessen, dass man nach<br />
<strong>Rojava</strong> mit dem Bewusstsein hingeht, dass das eine<br />
fortschrittliche Sache ist, und dadurch, dass es eine<br />
bewusste Entscheidung ist, dass ich nicht für Geld nach<br />
<strong>Rojava</strong> gehe, sondern dass ich für die Werte von Freiheit,<br />
von Gerechtigkeit kämpfe, komme ich auch leichter mit<br />
möglichen Problemen zurecht. Es ist nicht so, wie wenn<br />
ein amerikanischer Soldat nach Vietnam geht und dort<br />
irgendwelche Massaker begeht. Er hat wahrscheinlich<br />
schwerer an seinen Erlebnissen zu arbeiten, als wenn<br />
ich mit GenossInnen zusammen Seite an Seite für die<br />
Freiheit kämpfe.<br />
Als Kehrseite nanntest du den Schrecken des<br />
Krieges. Doch du hast erwähnt, dass es auch eine<br />
schöne Seite gab?<br />
Dass man beispielsweise mit GenossInnen zusammen<br />
dort ist und dass man sich an der Revolution beteiligt ist<br />
eine wirklich tolle Erfahrung. Oder dass man Teil dieses<br />
Fortschritts ist, dass das Blut, das man vergiesst, nicht<br />
umsonst ist. Ich mach hier wirklich was, wir kämpfen<br />
zusammen für eine Veränderung. Ganz klar, wenn ich<br />
einen töte, dann hab ich einen Feind weniger und das ist<br />
dann auch schön. Schön ist auch diese Lagerromantik<br />
oder wie man das nennen soll. Du sitzt da und hast deine<br />
GenossInnen um dich rum, kochst, isst zusammen, das<br />
sind durchaus schöne Aspekte. Oder du kommst in<br />
das Dorf rein, dann freuen sich alle, dass du sie befreit<br />
hast. Auch das sind Sachen, die in positiver Erinnerung<br />
30
leiben.<br />
Du bist erst seit kurzem zurück?<br />
Ja, seit einer Woche ungefähr, ein bisschen länger.<br />
Du brauchst wahrscheinlich auch noch ein bisschen<br />
Zeit, um wieder hier anzukommen?<br />
Absolut. Aktuell ist es noch schwer, da alles noch so<br />
euphorisch ist. Man kommt halt zurück, sieht alle Freunde<br />
und GenossInnen wieder. Aber wenn sich das alles setzt,<br />
dann hat man vielleicht die Zeit darüber nachzudenken,<br />
was ich aus dem Jahr, das ich erlebt habe, herausnehmen<br />
und weitergeben kann.<br />
Das Reflektieren ist noch ein grosser Sprung, du<br />
kommst von dort hier nach Europa zurück und dann<br />
muss man zuerst wieder klar kommen in dieser anderen<br />
Welt. Erst wenn das dann alles sitzt, hat man vielleicht<br />
einen klareren Blick darauf, was man dort gemacht und<br />
gesehen hat.<br />
Du hast Ivana erwähnt. Kannst du noch mehr über<br />
sie sagen? Hast du sie auch direkt vor Ort gesehen,<br />
warst du mit ihr zusammen?<br />
Ja, wir waren einige Monate zusammen in derselben<br />
Einheit der MLKP. Man kann über sie sagen, dass sie zu<br />
einem Symbol für den Internationalismus geworden ist<br />
und das ist wichtig.<br />
Hast du bereits den Eindruck, dass das, was dich<br />
angetrieben hat hinzugehen, sich bestätigt hat?<br />
Ich glaub schon. Man hat dort auch immer gemerkt,<br />
dass die GenossInnen wirklich froh darüber sind, dass<br />
man da ist. Man hat auch gesehen, dass durch unsere<br />
Entscheidung dort hinzugehen, durch Ivana, durch die<br />
anderen GenossInnen die nach <strong>Rojava</strong> gegangen sind,<br />
ein Stein ins Rollen gebracht wurde. Dieser hat dafür<br />
gesorgt, dass immer mehr Leute gingen, dass mehr über<br />
<strong>Rojava</strong> gesprochen und mehr gemacht wurde. Dadurch<br />
kann ich wirklich sagen: Ich muss nichts bereuen, es war<br />
auf jeden Fall gut, dass ich das gemacht habe und ich<br />
würde es auch wieder tun, wenn ich jetzt noch mal die<br />
Wahl hätte so etwas zu machen.<br />
Weitere Infos zu <strong>Rojava</strong>?<br />
Du bist auf der Suche nach weiteren Infos zu<br />
<strong>Rojava</strong> oder du möchtest dich mehr mit dem<br />
Thema Kurdistan befassen? Die folgenden<br />
Bücher und Webseiten bieteten hierfür einen<br />
guten Einstieg und stets aktuelle News zum<br />
Thema:<br />
Bücher:<br />
Sabio, Oso: <strong>Rojava</strong>: Die Alternative zu<br />
Imperialismus, Nationalismus und Islamismus im<br />
Nahen Osten.<br />
Schmidinger, Thomas: Krieg und Revolution in<br />
Syrisch-Kurdistan: Analysen und Stimmen aus<br />
<strong>Rojava</strong>.<br />
Flach, Anja et al.: Revolution in <strong>Rojava</strong>:<br />
Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen<br />
Krieg und Embargo.<br />
Brauns, Nick und Kiechle, Brigitte: PKK:<br />
Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes:<br />
Zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam.<br />
Webseiten:<br />
Tatort Kurdistan: http://tatortkurdistan.blogsport.<br />
de/<br />
Informationsstelle Kurdistan: https://isku.<br />
blackblogs.org/<br />
Firatnews English: http://anfenglish.com/<br />
Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit:<br />
http://civaka-azad.org/<br />
Solidaritätskampagne verschiedener<br />
internationalistischer Gruppen: https://<br />
secoursrouge.org/Solidaritatskampagne-mit-dem-<br />
Internationalen-Freiheitsbataillion-in-<strong>Rojava</strong>
Karker<br />
«Im Freiheits-Bataillon gibt es vor allem<br />
SozialistInnen, MarxistInnen, Titel LeninistInnen,<br />
KommunistInnen, so was halt. Teilweise auch<br />
AnarchistInnen.»<br />
Kannst du dich kurz vorstellen und berichten<br />
woher du kommst?<br />
Mein kurdischer Name ist Karker, ich komme aus<br />
Deutschland, stamme ursprünglich aber aus Osteuropa.<br />
Ich bin nach Deutschland eingewandert, als ich 6 Jahre<br />
alt war. Nach meiner Abitur habe ich einen freiwilligen<br />
Wehrdienst gemacht und bin danach hierher nach <strong>Rojava</strong><br />
gegangen und habe mich der YPG angeschlossen.<br />
Nach einem zweiwöchigen Training, bei dem wir mit<br />
den Waffen, die hier vorhanden sind, vertraut gemacht<br />
wurden, ging ich zunächst zu einer Einheit an den<br />
Eufrates, die auch mit vielen ausländischen Freiwilligen<br />
gefüllt war. Dort blieb ich einen Monat, bis ich mich<br />
entschied zum internationalen Tabûr zu kommen. Im<br />
internationalen Tabûr bin ich seit Ende September, also,<br />
ein paar Monate schon.<br />
Was hat dich bewogen nach <strong>Rojava</strong> zu kommen?<br />
Nach dem Abitur hast du gedacht Uni oder <strong>Rojava</strong>?<br />
Ich habe mir gedacht <strong>Rojava</strong>. Aber falls nicht,<br />
habe ich mich auch für eine Uni beworben. Das<br />
Bestätigungsschreiben habe ich dann per Email hierher<br />
nach <strong>Rojava</strong> bekommen. Aber ich hab mir gedacht, nein,<br />
ich bleibe hier. Es hat mich bewogen nach <strong>Rojava</strong> zu<br />
kommen, weil <strong>Rojava</strong> erstens wenig Unterstützung von<br />
aussen erhält. Eigentlich herrscht eine Totalblockade.<br />
Materiell ist kaum Unterstützung vorhanden. Die<br />
Menschen sind auf sich selbst gestellt und es gibt ständig<br />
diese Bedrohung durch Daesh, aber auch durch Al-Nusra<br />
und andere islamistische Gruppen.<br />
Das ist natürlich der Hauptgrund, weshalb ich nach<br />
<strong>Rojava</strong> kam. Aber man ist ja auch Teil von einem Versuch<br />
eine andere, zumindest eine bessere Gesellschaft hier im<br />
Mittleren Osten aufzubauen, in der Werte gelten können,<br />
die in Deutschland teilweise schon selbstverständlich<br />
32
sind, beispielsweise jegliches Miteinander, Demokratie,<br />
Menschenrechte, also Rechtsstaatlichkeit. Das ist hier<br />
im Mittleren Osten überhaupt nicht selbstverständlich.<br />
Es wird versucht, so etwas zu erreichen. Deshalb bin ich<br />
hier.<br />
Warum hast du gewechselt von YPG zum Freiheits-<br />
Bataillon? Was war deine Motivation?<br />
Bei der YPG gibt es erstens viele Sprachschwierigkeiten.<br />
Ausserdem war die Stimmung in meiner Einheit eher<br />
negativ. Viele andere ausländische Freiwillige sind auch<br />
oft frustriert, haben eine negative Meinung von den<br />
Kurden und sie kommen teilweise auch psychisch und<br />
körperlich nicht so sehr mit der Situation klar. Deshalb<br />
wollte ich aus meiner Einheit weg.<br />
Das internationale Bataillon bot sich halt an, weil hier<br />
mehr auf die Sprachprobleme geachtet wird. Es gibt<br />
mehr Leute, die Englisch sprechen. Die Ausbildung die<br />
jemand hier bekommt, vor allem wenn er aus einem<br />
Land wie Deutschland kommt, habe ich als ernsthafter<br />
erlebt, als bei der YPG. Wir hatten eine kleinere Gruppe,<br />
es wurde alles ernsthafter gemacht und auch kompetent.<br />
Deshalb bin ich hier.<br />
Würdest du sagen, das Freiheits-Bataillon<br />
unterscheidet sich auch politisch von den andern<br />
Bataillonen?<br />
Die YPG ist die kurdische Befreiungsbewegung. Da sind<br />
leider auch viele ungebildete Leute und unpolitische<br />
Leute dabei. Zumindest sind sie politisch nicht so hoch<br />
gebildet, denn es ist eine Volksarmee. Im Freiheits-<br />
Bataillon gibt’s vor allem SozialistInnen, MarxistInnen,<br />
LeninistInnen, KommunistInnen, so was halt. Teilweise<br />
auch Anarchisten.<br />
Bei westlichen Freiwilligen, die über die YPG Einheiten<br />
verteilt sind, ist alles vertreten. Von liberal und neutral<br />
eingestellt zu dieser Befreiungsbewegung. Leute, die<br />
halt herkommen, um gegen den Islamischen Staat zu<br />
kämpfen, weil die das für eine gute Sache halten. Das ist<br />
ihre Hauptmotivation. Manche sind politisch eher links.<br />
Nicht so sehr wie hier im IFB und manche haben auch<br />
überhaupt keine politischen Ansichten oder merkwürdige<br />
politische Ansichten. Teilweise islamophob.<br />
Das war die Erfahrung, die du gemacht hast?<br />
Nicht in meiner Einheit, aber ich habe schon ein paar<br />
Leute getroffen und von Leuten gehört, die ein bisschen<br />
islamophob sind und die hierher kommen, weil sie sagen,<br />
sonst greift uns Daesh zuhause an.<br />
Kannst du das Leben im Freiheits-Bataillon<br />
beschreiben?<br />
Derzeit sieht das Leben an der Front so aus: man hält<br />
Wache, man ist da draussen ziemlich abgeschieden,<br />
man wartet auf Operationen. Nachts muss man oft zu<br />
komischen Zeiten aufstehen.<br />
Manchmal geht man raus zu anderen Punkten wo man<br />
versucht zu beobachten und Lücken zu schliessen, die<br />
sich dadurch ergeben, dass man nachts nichts sieht.<br />
Das ist so der Tagesbetrieb auch in vielen YPG Einheiten.<br />
Man ist an der Front, man bewacht. Manchmal schiesst<br />
Daesh mit Waffen wie Raketenbatterien, Mörsern rüber,<br />
teilweise aber selten wird’s dann gefährlich. Bei den<br />
Operationen letztens, in Hol, wars schon anders. Man ist<br />
oft unterwegs, aber es kam bei den letzten Operationen<br />
nicht zu Gefechten, die sehr nahe geführt wurden. Es<br />
gab viele Luftschläge und die YPG hat schwere Waffen<br />
hingebracht. Ausserdem hat sich Daesh zurückgezogen,<br />
ziemlich geordnet. Deshalb sind wir in die Dörfer<br />
gegangen und haben die Versorgungswege gesichert. Als<br />
wir in Hol ankamen war das Ganze auch schon vorbei.<br />
Wie sieht es aus, es wird ja darüber spekuliert,<br />
dass eine nächste Offensive organisiert wird. Werdet<br />
ihr da mit einbezogen? Wisst ihr davon etwas? Wie<br />
bereitet ihr euch darauf vor?<br />
Uns wurde gesagt, falls eine Offensive gegen Rakka<br />
stattfindet, dass der Punkt den wir vorher gesichert<br />
haben, also die letzten paar Monate, bevor es nach Hol<br />
ging, dass erwartet wird, dass es dort sehr aktiv sein wird.<br />
Daher erwarten wir schon, mit einbezogen zu werden.<br />
Bald erfahre ich mehr in den kommenden Tagen.<br />
Setzt du dich damit auseinander wenn du an die<br />
Front gehst, was es bedeuten kann?<br />
Bevor ich hierher kam habe ich mich auseinander gesetzt<br />
und hatte Gespräche mit Leuten, die so was schon erlebt<br />
hatten. Aber jetzt bevor ich das erste Mal an die Front<br />
gegangen bin mit dem internationalen Bataillon und<br />
bevor ich jetzt an die Front gehe, brauche ich mich nicht<br />
zusätzlich damit auseinander zu setzen. Das habe ich<br />
schon getan.<br />
Wie sieht das bei anderen aus? Redet ihr darüber?<br />
Wir reden mehr über alltägliche Sachen. Wir reden nicht<br />
über Sachen wie «ah ich habe Angst, morgen könnte ich<br />
vielleicht sterben». Das ist auch nicht gut für die Moral,<br />
das braucht man nicht zu tun.<br />
Die Moral ist ja ein Aspekt und das Bewusstsein<br />
ein anderer Aspekt. Für das Bewusstsein, wird da im<br />
Bataillon etwas getan?<br />
Es gibt politische Schulung, die wird von der MLKP<br />
und von BÖG organisiert. Diese beiden Gruppen<br />
33
sprechen aber eben auf türkisch, die Mehrheit ist dort<br />
türkisch. Auf englisch ist halt nichts passiert. Aber<br />
man erfährt ein bisschen was durch Gespräche mit den<br />
englischsprachigen Genossen, die dort auch türkisch<br />
sprechen.<br />
Was würdest du den Genossen und Genossinnen<br />
in Europa sagen, was bedeutet es, sich für <strong>Rojava</strong><br />
einzusetzen, was bedeutet die Solidarität?<br />
Die Solidarität bedeutet hier ganz einfach praktische und<br />
materielle Hilfe. <strong>Rojava</strong> ist total blockiert. Ich war in<br />
<strong>Rojava</strong>, ich war in Şengal und ich habe sofort gesehen,<br />
dass es Unterschiede bei der Versorgung gab. In Şengal<br />
gibt es besseres Essen. Alles was wir hier haben, wird<br />
entweder hier hergestellt oder geschmuggelt. Offiziell<br />
ist <strong>Rojava</strong> ja blockiert. Deshalb bedeutet materielle Hilfe<br />
halt einen materiellen Vorteil für uns, der die YPG nach<br />
vorne bringt.<br />
Politisch gesehen braucht es mehr Informationen<br />
der gesamten Bevölkerung über die ganze kurdische<br />
Befreiungsbewegung nicht nur <strong>Rojava</strong>. Um das hier<br />
zu verstehen muss man auch verstehen was die Kurden<br />
versuchen zu erreichen. Der durchschnittliche Deutsche<br />
glaubt die PKK sei eine Terrororganisation, die kämpfen<br />
gegen die Türkei. Die YPG, die kämpfen gegen ISIS und<br />
im Irak gibt’s halt die Barzani-Regierung. Aber wofür die<br />
kurdische Bewegung kämpft und was die versuchen zu<br />
erreichen, dafür ist kein Bewusstsein da und ich denke,<br />
wenn es da wäre, dann würden auch grössere Teile der<br />
Bevölkerung das hier unterstützen.<br />
Könnte das bedeuten, dass man auch mehr<br />
vermittelt, was hier passiert und warum und<br />
wofür es passiert, damit ein breiteres Bewusstsein<br />
darüber entsteht und dann eventuell auch grössere<br />
Unterstützung?<br />
Ich erwarte nicht, dass Europa oder die USA deshalb von<br />
einem Tag auf den anderen ihre Position ändern. Aber<br />
ich denke, dass es ein Schritt sein könnte <strong>Rojava</strong> hier<br />
weiter zu unterstützen auch moralisch, politisch und<br />
militärisch.<br />
Zusatz 2016<br />
Wir haben uns vor etwa einem Jahr im Tabûr<br />
gesehen. Zwischenzeitlich warst du zurück in<br />
Deutschland, nun willst du aber wieder nach <strong>Rojava</strong><br />
gehen. Was ist deine Motivation?<br />
darin weiter zu machen, weil ich halt schon so einiges<br />
an Anstrengung da rein gesteckt habe. Während diesem<br />
Jahr habe ich mehr über die Realität in <strong>Rojava</strong> gelernt<br />
und auch darüber welche Probleme es gibt und welche<br />
Möglichkeiten <strong>Rojava</strong> für die Zukunft hat. Ich habe auch<br />
die Menschen dort kennen gelernt und so steigerte sich<br />
auch meine Motivation weiter mit den Menschen dort<br />
zusammenzuarbeiten und nicht wegzugehen und sie<br />
hängen zu lassen. Deshalb will ich zurück gehen, um<br />
weiter zu machen.<br />
Kannst du nochmals kurz was zu deiner<br />
Ursprungsmotivation sagen?<br />
Ich wollte gegen den Islamischen Staat kämpfen, wegen<br />
all dem wofür er steht, das brauche ich ja nicht zu<br />
erklären. Alle wissen warum man gegen die sein sollte.<br />
Diese Motivation ist immer noch da, genau so aber meine<br />
Motivation für die Revolution in <strong>Rojava</strong> zu kämpfen.<br />
Jetzt hat sich das vertieft, weil ich die Situation dort<br />
mittlerweile besser verstehe und weil ich mich da einige<br />
Zeit engagiert habe und mit den Menschen zusammen<br />
gelebt habe.<br />
Und da willst du weiter anknüpfen?<br />
Ja, jetzt bin ich in der TMU, der medizinischen Einheit.<br />
Das ist etwas, was in der YPG noch nicht so sehr entwickelt<br />
ist. In westlichen Ländern ist es selbstverständlich, dass<br />
jeder Soldat und Soldatin eine medizinische Ausbildung<br />
bekommt, zumindest die Grundlagen und auch etwas an<br />
grundlegender Ausrüstung mit sich trägt. In der YPG ist<br />
das noch nicht der Fall und deshalb möchte ich meine<br />
Einheit damit weiter unterstützen. Wenn es notwendig ist<br />
oder wenn ich denke, dass es eine bessere Idee ist, werde<br />
ich in ein mobiles Tabûr gehen und schauen, wie sich das<br />
entwickelt.<br />
Kannst du sagen, was ein mobiles Tabûr ist?<br />
Mobile Tabûrs sind Einheiten, die während Operationen<br />
an vorderster Front sind und die besseres Personal und<br />
eine bessere Ausrüstung haben und auch mehr Zeit<br />
abseits der Front verbringen, um zu trainieren und sich<br />
auf die nächste Operation vorzubereiten. Diese Einheiten<br />
haben einen sehr hohen Anteil an Kadern und auch viele<br />
ausländische Freiwillige, die nicht politisch gebunden<br />
sind und deren Engagement ausschliesslich militärisch<br />
ist.<br />
Meine Ursprungsmotivation ist immer noch da und<br />
dadurch, dass ich einige Zeit in <strong>Rojava</strong> war und dort<br />
Erfahrungen gesammelt habe und ich jetzt auch die<br />
Sprache so einigermassen beherrsche, bin ich bestärkt<br />
34
Titel Internationalist II<br />
«Ich denke, dass der Kampf, den wir als<br />
Revolutionäre in <strong>Rojava</strong> führen und der Kampf,<br />
den wir als Revolutionäre in Deutschland oder<br />
anderswo führen, derselbe ist, auch wenn er<br />
natürlich mit ganz anderen Mitteln und auf ganz<br />
anderen Ebenen geführt wird.»<br />
Du kommst aus Deutschland und du kämpfst im<br />
Freiheitsbataillon. Kannst du kurz sagen, was dich<br />
hierher gebracht hat, und was deine Biographie ist?<br />
Hierher gebracht hat mich meine bisherige<br />
internationalistische Arbeit. Ganz direkt hergebracht hat<br />
mich dann die Zusammenarbeit mit den kurdischen und<br />
türkischen revolutionären Strukturen in Deutschland.<br />
Vor allem die Solidaritätsarbeit, die wir von Anfang an<br />
zu <strong>Rojava</strong> gemacht haben. Seit der Erklärung <strong>Rojava</strong>‘s<br />
als befreite Gebiete, haben wir in Deutschland zu <strong>Rojava</strong><br />
gearbeitet, haben uns solidarisch auf das demokratische<br />
Projekt in <strong>Rojava</strong> bezogen, haben hervorgehoben,<br />
dass es nicht notwendig, das heisst, dass es falsch ist,<br />
sich im syrischen Bürgerkrieg auf die Seite Assads<br />
oder der freien syrischen Armee und den Handlangern<br />
des Westens zu stellen, sondern, dass mit <strong>Rojava</strong>,<br />
mit dem fortschrittlichen Kampf der KurdInnen, der<br />
revolutionären Strukturen einen dritten Weg gibt, ein<br />
fortschrittliches Modell, auf das sich revolutionäre Linke<br />
beziehen können. Wir müssen nicht zwischen Pest und<br />
Cholera wählen müssen.<br />
Am Anfang standen wir da abgesehen von den kurdischen<br />
und den türkischen Strukturen, allein und wurden<br />
auch von verschiedenen Trotzkisten als Handlanger<br />
des Imperialismus und des Westens angegriffen. Die<br />
Solidaritätsarbeit hat dann vor allem zugenommen, als<br />
<strong>Rojava</strong> mit der Schlacht um Kobanê in den Medien<br />
aufkam und sich die breite Öffentlichkeit, zumindest für<br />
die Schlacht um Kobanê, interessiert hat. Da hat auch<br />
unsere Solidaritätsarbeit nochmals zugenommen. Da<br />
haben wir viele Demonstrationen und Veranstaltungen<br />
für <strong>Rojava</strong> organisiert.<br />
Am Anfang waren es emotionale Gründe, warum ich<br />
hierher wollte. Die Grausamkeit der Daesh, also wie<br />
der Islamische Staat gegen Kobanê vorging, hat mich<br />
bewegt. Ebenso die Überfälle der an-Nusra-Banden<br />
auf <strong>Rojava</strong>. Ich wollte also hierher kommen, um hier<br />
mitzukämpfen und ganz direkt das fortschrittliche Projekt<br />
oder die fortschrittlichen Entwicklungen in <strong>Rojava</strong><br />
zu verteidigen. Dann aber, das war 2014 im Herbst<br />
und Winter, habe ich mich doch dagegen entschieden<br />
zu gehen. Ich habe alles nochmal ein bisschen sacken<br />
lassen, um im Frühjahr dann zu entscheiden hierher zu<br />
gehen. Weniger aus emotionalen Gründen, sondern um<br />
mir das Projekt <strong>Rojava</strong> näher anzuschauen und davon zu<br />
lernen und auch Erfahrungen zu sammeln auch mit dem<br />
Blick auf Deutschland mit unserer Arbeit dort.<br />
Also du suchst die Verbindung zwischen den<br />
Erfahrungen hier und dem Kampf in Deutschland?<br />
Ja, ich denke, dass der Kampf, den wir als Revolutionäre in<br />
<strong>Rojava</strong> führen und der Kampf, den wir als Revolutionäre<br />
in Deutschland oder anderswo führen, derselbe ist, auch<br />
wenn er natürlich mit ganz anderen Mitteln und auf<br />
ganz anderen Ebenen geführt wird und die Bedingungen<br />
ganz unterschiedliche sind. So kämpfen wir doch egal<br />
wo für eine menschliche Zukunft und eine lebenswerte<br />
Perspektive für alle Menschen oder für einen Grossteil<br />
der Menschen. Das ist die Verbindung. Ich denke nicht,<br />
dass ich die Erfahrung, die ich hier mache, eins zu eins in<br />
Deutschland direkt umsetzen kann, aber die Erfahrungen,<br />
die ich hier mache, die bringen mich voran und viel werde<br />
ich nutzen können.<br />
Es gibt aber einen Sprung zwischen der<br />
revolutionären Solidarität in Europa und dann die<br />
Entscheidung zu treffen, hier mit der Kalaschnikow<br />
zu kämpfen. Das bedingt ja eine reifliche Überlegung.<br />
Ja, und ich glaube viele revolutionäre Linke in<br />
Deutschland und Europa spielen mit dem Gedanken<br />
hierher zu kommen und hier wirklich mit der Waffe in<br />
der Hand zu kämpfen aber oftmals bleibt es eben bei dem<br />
Gedankenspiel, bei der Vorstellung, bei der Überlegung<br />
und ich denke erst mal haben viele ein heldenhaftes Bild<br />
oder ein heroisches Bild vom Krieg und was wir hier<br />
in <strong>Rojava</strong> machen und wie das aussieht und die meisten<br />
gehen nicht.<br />
35
Ich habe auch zuerst das emotionale wieder beiseite<br />
geschoben und reichlich überlegt, was ich will und ob<br />
ich überhaupt weg kann. Ich habe mit den Genossen und<br />
Genossinnen diskutiert. Niemand wollte, dass ich gehe.<br />
Niemand hat gesagt, «hurra, super, du bist der Held».<br />
Das Thema war auch, wie weit wir unser Land verlassen<br />
sollen und die politische Arbeit, die wir dort führen,<br />
ein Stück weit ruhen lassen sollen, um uns dann hier<br />
einzubringen.<br />
Schlussendlich war der Gedanke auf jeden Fall<br />
nochmals ganz deutlich aufzuzeigen, dass die Kämpfe<br />
zusammenhängen, auch wenn wir natürlich mit<br />
unterschiedlichen Mitteln kämpfen. In Deutschland<br />
gehen wir auf die Strasse, organisieren Demonstrationen<br />
und hier lernen wir schiessen und das ist unterschiedlich.<br />
Seit wann bist du hier?<br />
Seit dem Spätsommer 2015, also zweieinhalb Monate.<br />
Kannst du schon eine vorläufige Bilanz ziehen?<br />
Hier ist nichts so, wie ich‘s mir in Deutschland<br />
vorgestellt habe. Ich hatte ein ganz, ganz anderes Bild<br />
und in grossen Teilen, wenn man nicht direkt an der<br />
Front ist oder hinter der Front, sieht das Leben <strong>Rojava</strong><br />
ganz normal aus. Was auffällt sind die Checkpoints der<br />
Asaisch, der Polizei und es ist ganz anders und auch das<br />
Leben im Tabûr, die Ausbildung. Ich habe gedacht, die<br />
Ausbildung ist viel härter, es gäbe bedeutend mehr Sport,<br />
die Anforderungen seien höher, es sei strenger, doch das<br />
ist nicht der Fall. Es ist vielmehr ein bisschen zu liberal,<br />
die Disziplin wird zu wenig durchgesetzt denke ich, aber<br />
um jetzt ein wirkliches Fazit zu ziehen ist es zu früh.<br />
Ich bin hergekommen und zu lernen, um Erfahrungen<br />
zu sammeln und ich lerne auch, aber nicht so, wie ich es<br />
gedacht hätte.<br />
Ich kann mir vorstellen, dass, wenn du zurück bist,<br />
du dann auch zusammen mit den Genossinnen und<br />
Genossen eine Bilanz ziehen kannst und sicher auch<br />
verallgemeinern kannst, was die Lehren sind, die wir<br />
für die Revolution oder den revolutionären Prozess in<br />
Europa ziehen können.<br />
Ich denke, dass wenn ich wieder zurück bin in<br />
Deutschland, dass ich dann vor allem mit den Genossinnen<br />
und Genossen rede. Dann kann ich zum Beispiel meine<br />
Eindrücke schildern und alles nach und nach erzählen<br />
und dadurch nochmal alles mehr oder weniger in Ruhe<br />
reflektieren und auch ausführlich auf Fragen antworten,<br />
wo ich mir dann auch deutlich die Sachen nochmal ein<br />
Stück weit ins Gedächtnis rufe und nochmal überlege.<br />
Ich glaube mit einem bisschen Abstand ist es auch<br />
viel besser, wirklich ein Fazit zu ziehen und wie die<br />
Erfahrungen ein Stück weit auszuwerten.<br />
Was wir hier zum Beispiel haben, oder was vor allem<br />
ich jetzt gerade habe, ist sehr viel freie Zeit. Wenn die<br />
Ausbildung abgeschlossen ist und jetzt bin ich von der<br />
Front zurück, dann habe ich eigentlich direkt nichts zu<br />
tun. Ich muss mich den ganzen Tag selber beschäftigen<br />
und habe einfach ganz, ganz viel Zeit zum Nachdenken.<br />
Während ich in Deutschland immer mehr oder weniger<br />
in so einem Trott drin war. Ich lebte zwischen Aufstehen,<br />
arbeiten, nach Hause kommen, Essen, vielleicht Sport<br />
machen und dann die politische Arbeit und so erledigen.<br />
Selten ist eigentlich wirkliche Zeit da, um einfach in<br />
Ruhe nachzudenken. Auch wenn man nachdenkt, wenn<br />
man reflektiert, wenn man irgendwelche theoretischen<br />
Diskussionen führt, man ist immer unter einem gewissen<br />
Zeitdruck, immer damit verbunden, dass es ein Ergebnis<br />
haben muss, möglichst schnell, sonst sitzt man tagelang<br />
über irgendwelchen Texten und am Ende ist man nicht<br />
weiter.<br />
Hier ist das alles alles gar nicht der Fall. Hier hat man<br />
einfach Zeit und hier muss man auch nicht zu Ergebnissen<br />
kommen, sondern man kann einfach nachdenken und<br />
reflektieren, gar nicht mit dem Anspruch hier jetzt sofort<br />
ein Ergebnis zu haben, wo man was niederschreiben<br />
kann und weiter diskutieren kann. Ich glaube da nehme<br />
36
eden und vieles ist dann halt nicht gezielte Diskussion,<br />
sondern ist dann einfach Gespräch, was sich dann zu<br />
einer Diskussion entwickelt, wo man schlussendlich zu<br />
einem Ergebnis kommt. Aber man hat halt sehr, sehr<br />
viel freie Zeit. Viele verbringen auch sehr viel Zeit mit<br />
Lesen. Man muss die Zeit, die man zur Verfügung hat,<br />
nutzen und sich selber überlegen, wie man die nutzt und<br />
das dann anpacken.<br />
Es gibt auch einige Leute, die kommen damit nicht<br />
zurecht. Neulich gab es einen Internationalen, der hat<br />
jetzt das Tabûr verlassen, der war nur sehr kurz hier, der<br />
sass einfach den ganzen Tag auf dem Stuhl in der Sonne<br />
und hat geraucht und gewartet, dass der Tag vorbei geht.<br />
Vielfach verbringen wir die Zeit einfach mit Warten.<br />
Wir haben die Ausbildung gehabt an der Waffe, Taktik-<br />
Ausbildung und nach der Ausbildung warten wir drauf,<br />
dass man an die Front geht. Die Sache ist eben, ob man<br />
das Warten als Warten verbringt. Das passiert vielen, sie<br />
warten oder sie fangen an zu schlafen, damit das Warten<br />
schneller rum geht, anstatt etwas zu lesen. Es gibt eine<br />
reichhaltige Bibliothek auch mit deutschen Büchern. Es<br />
gibt Bücher in allen Sprachen von den Internationalen,<br />
die die hier zurückgelassen haben.<br />
Sicher auch ein Tip an diejenigen, die sich<br />
überlegen zu fahren, ist sich auf einem USB-Stick<br />
Literatur mitzunehmen. Sich auch vorzubereiten<br />
auf diese Zeit, wo keine Aktion und keine Operation<br />
stattfinden.<br />
ich dann auch einiges mit; von Gedanken, die ich mir<br />
gemacht habe über die Arbeit in Deutschland und so was.<br />
Also ich freue mich vor allem, wenn ich wieder zurück<br />
bin, mit den Genossinnen und Genossen zu diskutieren<br />
und meine Erfahrungen auszutauschen, schauen, was<br />
wir irgendwie gemeinsam da draus ziehen. Hier fällt mir<br />
das einfach noch sehr schwer.<br />
Aber hier ist es ja auch so, dass du einfach in eine<br />
neue Erfahrung eintauchst, das ist eine andere Kultur,<br />
eine andere Sprache, ein zeitliches Verständnis, das<br />
total unterschiedlich ist zur hektischen Metropole<br />
und das ist wahrscheinlich auch noch eine Umstellung<br />
und das macht wahrscheinlich auch aus, dass man<br />
sich zuerst mental auch umstellen muss. Ihr habt<br />
zum Beispiel keine Schulung. Die türkischen und<br />
kurdischen GenossInnen sitzen jetzt gerade im<br />
Schulungsraum und haben Schulung. Wie geht ihr<br />
damit um?<br />
Ja, die türkischen und kurdischen GenossInnen hatten<br />
dafür den letzten halben Monat frei, während wir an<br />
der Front waren oder teilweise noch Ausbildung hatten,<br />
hatten die nichts zu tun und dann besteht der Alltag<br />
darin, im Tabûr kleinere Arbeiten zu erledigen; ein<br />
bisschen renovieren oder einfach zusammenzusitzen, zu<br />
Literatur auf einnem Stick, Flash für den Computer oder<br />
sonst wie als Ebook mitzunehmen ist sicherlich ein guter<br />
Tipp. Also ich kam schon lange nicht mehr so viel zum<br />
Lesen.<br />
Ich habe mit einer YPJ-Kommandantin geredet.<br />
Ich hab sie gefragt - weil die ja an vorderster Front<br />
sind und Daesh nicht nur einfach ein Kriegsgegner ist,<br />
sondern sich ja auch auszeichnet durch die Barbarei<br />
- ,wie das verarbeitet wird. Da war die Antwort,<br />
dass sie versuchen, die Bildung, die Schulung, die<br />
Akademien auch mit an die Front zu nehmen und<br />
vielleicht einfach mal eine Lektion über Geschichte<br />
oder über Geographie, über Kunst, Ideologie oder<br />
strategische Schulungen zu machen. Weil die die<br />
politische Auseinandersetzung das Bewusstsein<br />
erweitert und einem dadurch auch klarer wird,<br />
warum man diese Erlebnisse überhaupt eingeht.<br />
Was wir nicht haben, ist, dass irgend jemand eine<br />
richtige Schulung oder eine strukturierte Theoriearbeit<br />
oder so was vorbereitet. Was in der freien Zeit die ganze<br />
Zeit stattfindet ist ein Erfahrungsaustausch zwischen<br />
den Internationalen auf jeden Fall und auch mit - je<br />
nachdem wie das so hinhaut mit der Sprache - mit den<br />
türkischen und kurdischen Genossen. Und das passiert<br />
die ganze Zeit und die Gründe, warum die verschiedenen<br />
37
Internationalen hier sind, sind ja ganz unterschiedlich.<br />
Obwohl das irgendwie sehr nah an der MLKP dran ist,<br />
das internationale Tabûr, quasi ideologisch und man<br />
eigentlich davon ausgehen könnte, dass die meisten<br />
Leute hier Revolutionäre sind, sich als Revolutionäre<br />
verstehen, ob sie jetzt Anarchisten sind oder<br />
Kommunisten, davon bin ich zwar ausgegangen, aber das<br />
ist nicht der Fall. Die Hälfte von den Internationalen, die<br />
hier sind, hat eigentlich keinen politischen Hintergrund.<br />
Dann gibt es natürlich ganz einfach unterschiedliche<br />
Erfahrungen. Das zeigt sich auch darin, dass die Leute<br />
ganz unterschiedliche Gründe nennen, warum sie hier<br />
sind so.<br />
Was ich zum Beispiel nie erwartet hätte, dass ich hier<br />
in <strong>Rojava</strong>, im Tabûr, auf einen Antideutschen treffe.<br />
Den gibt es hier und die Diskussionen über Israel und<br />
Palästina, die haben wir abgebrochen oder die führe ich<br />
nicht mehr. Dann geht es vielmehr um die Beweggründe,<br />
um hier zu sein. Ich will Daesh töten, ich will hier lernen<br />
und von den Revolutionären und Revolutionärinnen<br />
Erfahrungen sammeln. Es gibt natürlich dann auch<br />
ellenlange Diskussionen, die gar nicht zu Ende geführt<br />
werden und immer mal wieder fortgeführt werden.<br />
Das wirkt alles lebendig!<br />
Sehr lebendig, ja, das passiert die ganze Zeit.<br />
Und trotzdem ist man gemeinsam dann an der<br />
Front.<br />
Ja, ja, und auch nur deswegen findet glaube ich die<br />
Diskussion statt. Also in Deutschland hätte ich schon<br />
lange die Geduld verloren. Hier verlässt mich auch die<br />
Geduld, aber das ist dann ein bisschen problematisch.<br />
Aber in Deutschland hätte ich zum Beispiel die Diskussion<br />
so nicht geführt oder irgendwann beim Thema Israel und<br />
Palästina hätte ich die Geduld verloren.<br />
Gelernt habe ich hier auch, dass ich auch mit jemandem<br />
mit dem ich überhaupt nicht übereinstimme einfach<br />
geduldig sein muss. Zudem sind wir alle gemeinsam<br />
hier. Dadurch dass man im selben Boot sitzt, und wir<br />
aufeinander angewiesen sind, selbst bei grösseren<br />
ideologischen Widersprüchen und den verschiedenen<br />
Meinungen, leidet das gegenseitige Vertrauen nicht. Wir<br />
vertrauen uns gegenseitig. Aber in Deutschland wären<br />
schon ein paarmal von meiner Seite aus die Fetzen<br />
geflogen und das habe ich definitiv hier gelernt.<br />
Man lernt hier, dass man auch die Einheit und die<br />
verbindenden Elemente in den Vordergrund stellen<br />
kann?<br />
Ja es gibt auch keinen anderen Weg. Aus der Not heraus.<br />
Es kann nicht jeder für sich.<br />
38
Das ist aber eine wichtige Erfahrung!<br />
Ja, das ist teilweise auch hart zu merken, dass wir im<br />
selben Boot sitzen aber man verfolgt durchaus auch<br />
dasselbe Ziel.<br />
Was kann <strong>Rojava</strong> für uns bedeuten? Gibt es sonst<br />
noch etwas, das du sagen willst?<br />
Zusätzlich dazu, dass <strong>Rojava</strong> in den Wirren des syrischen<br />
Bürgerkriegs seinen eigenen, einen dritten Weg gegangen<br />
ist, ist <strong>Rojava</strong> für uns in Europa auch so wichtig, weil<br />
es seit langem wieder die Möglichkeit einer anderen<br />
Gesellschaft aufzeigt und uns eben eine fortschrittliche<br />
Perspektive bietet. Seit Jahren versuchen wir in Europa<br />
wieder revolutionäre Strukturen aufzubauen. Uns<br />
gelingt es aber nur bedingt, den Leuten eine Perspektive,<br />
abseits der kapitalistischen Ausbeutung oder der<br />
kapitalistischen Barbarei, aufzuzeigen und hier in <strong>Rojava</strong><br />
wird diese Perspektive seit langem wieder greifbar oder<br />
es wird versucht, diese Perspektive in die Wirklichkeit<br />
umzusetzen und aufzubauen und darum ist es eben für<br />
uns in Europa, oder für unseren Kampf, so wichtig.<br />
Internationale Solidarität<br />
Um die Kämpfe in <strong>Rojava</strong> und Bakur<br />
zu unterstützen fanden in den letzten<br />
Monaten und Jahren auch in zahlreichen<br />
europäischen Städten Solidaritätsanlässe<br />
und Demonstrationen statt. Für einen<br />
proletarischen Internationalismus!<br />
Ich will nochmals betonen, dass ich mich entschieden<br />
habe hierher zu kommen, um <strong>Rojava</strong> aus der Nähe zu<br />
betrachten, um zu lernen, um hier mitzukämpfen. Ich bin<br />
nicht wegen des Krieges hier und hoffe, dass der Krieg<br />
in <strong>Rojava</strong> bald vorbei ist, denn eine andere Gesellschaft,<br />
oder gar eine kommunistische Gesellschaft werden wir<br />
nicht in der aktuellen Kriegssituation aufbauen. Ich bin<br />
nicht hier wegen dem Krieg und auch nicht unbedingt<br />
scharf auf den Krieg. Wenn ich an die Front gehe, mache<br />
ich das, weil ich lernen will und das gehört dazu zum<br />
Lernen und zu den Erfahrungen, aber ich bin nicht scharf<br />
darauf diese Erfahrungen zu machen, aber wenns sein<br />
muss mache ich sie. Zuerst mal hoffe ich, dass alle Leute,<br />
die hier sind und kämpfen wieder gesund und munter<br />
nach Hause kommen auch wenn es wahrscheinlich nicht<br />
der Fall sein wird aber hoffen und wünschen kann man<br />
ja viel.
40
Titel Nanuk<br />
«Man hat also eine direkte Erfahrung. Man<br />
kann auf einmal von einer Utopie zu einer Praxis<br />
kommen.»<br />
Kannst du kurz sagen, wer du bist und seit wann<br />
du da bist?<br />
Ich bin Nanuk und bin jetzt ein bisschen über zwei<br />
Monate hier. Ich bin seit zirka eineinhalb Monaten im<br />
internationalen Tabûr.<br />
Kannst du auch was darüber sagen, was deine<br />
politische Geschichte ist, die dich hierher geführt<br />
hat?<br />
Ich habe eine klassische politische Laufbahn. Das<br />
heisst, ich bin seit zwanzig Jahren im Antifaschismus<br />
aktiv. Das heisst auch im militanten Antifaschismus und<br />
in der linksradikalen Bewegung und ich komme aus<br />
einer Grossstadt in Deutschland. Es ist so, dass das hier<br />
eigentlich die Fortsetzung des Antifaschismus ist, wie<br />
ich ihn in Deutschland gelebt habe. So sind es eigentlich<br />
auch dieselben Beweggründe dafür, wieso ich mich aktiv<br />
gegen Nazis geäussert und gekämpft habe und warum<br />
ich heute hier bin.<br />
Kannst du sagen, wie sich deine Entscheidung<br />
hierher zu kommen entwickelt hat?<br />
Es gibt seit vier Jahren einen Bürgerkrieg in Syrien. Da<br />
wird gegen eine Diktatur gekämpft, es gibt zehntausende<br />
Tote und das ganze wird von Europa völlig ignoriert.<br />
Das war der Hauptgrund, warum ich letztes Jahr, das<br />
heisst im im August 2014, in den Irak gegangen bin und<br />
dort konkret Flüchtlingslager besucht habe. Wir haben<br />
medizinisches Equipment und ein bisschen Kleinkram<br />
für die Kinder hingebracht. Wir haben dort auch<br />
Interviews mit den Peschmerga gemacht und ich war<br />
kurz nach einer Operation in einem PKK-Gebiet. Dort<br />
hab ich sehr viele Erfahrungen für mich gemacht, ich<br />
konnte mir dadurch sehr viel erklären und habe mir ein<br />
besseres Bild machen können.<br />
Dann kam kurz darauf Kobanê und Kobanê war etwas,<br />
was sehr, sehr präsent in der deutschen Presse war. Zu der<br />
Zeit hatte ich eine Freundin hier, die jetzt auch hier ist,<br />
und hier arbeitet. Sie bewirkt hier viel und ich hatte zu<br />
der Zeit viel Kontakt mit ihr. Das war insofern wichtig,<br />
als dass wir in Deutschland eigentlich ein Bild der<br />
Verzweiflung der Menschen und des Kampfes gesehen<br />
haben. Doch was mir hier vermittelt wurde, war<br />
vielmehr, dass die Menschen in ihrem Kampf äusserst<br />
hoffnungsvoll sind. Die Bilder, die wir in Deutschland<br />
gesehen haben, haben etwas ganz anderes vermittelt.<br />
Jedenfalls kam im Zuge dieser Kontakte dann auch die<br />
konkrete Frage, „wann kommst du?“. Ich war damals<br />
der Meinung, was soll ich da, wie kann ich da helfen?<br />
Denn ich habe ja weder eine militärische Ausbildung,<br />
noch kenne ich die Sprache. Ich hab auch keine andere<br />
Qualifikation, die ich mitbringen kann. Ich bin kein<br />
Ingenieur, der hier irgend etwas aufbauen kann oder<br />
so.<br />
Dennoch habe ich mich dann letztes Jahr im Dezember<br />
dazu entschlossen hierher zu kommen. Ab Dezember<br />
habe mich darauf vorbereitet; unter anderem mit einem<br />
Sprachkurs und mit verschiedenen Kursen, die mir hier<br />
helfen, zum Beispiel im Umgang mit Waffen. Im Juni<br />
habe ich dann konkret das Datum abgemacht und bin<br />
jetzt seit September hier.<br />
Kannst du was zu deiner bisherigen Erfahrung<br />
und deinen Eindrücken sagen?<br />
Ich kann nochmal kurz was zu dem Thema davor<br />
sagen, das heisst zu der Frage warum man hierher<br />
kommt. Im Sommer und Herbst 2015 gab es einen<br />
riesigen Flüchtlingsstrom aus Syrien nach Europa. Alle<br />
haben die Bilder des kurdischen Kindes gesehen, das<br />
im türkischen Meer ertrunken ist. Die Reflexe daraus<br />
waren, betroffen zu sein oder wegzuschauen. Europa<br />
hat auf Grund des Flüchtlingsstromes angefangen<br />
Zäune aufzubauen, da die Toten des Mittelmeeres die<br />
Menschen alleine nicht abgeschreckt haben. Europa<br />
hat gesagt, wir müssen die bösen Schleuser jagen.<br />
Doch das sind Menschen, die auf der Suche nach<br />
Zukunft, nach Hoffnung und nach Glück sind. Hier<br />
in <strong>Rojava</strong> entsteht eine Demokratie, hier entsteht eine<br />
Gesellschaft und man hat hier die Möglichkeit, diese<br />
Gesellschaft mitzugestalten, mitaufzubauen und auch<br />
zu verteidigen. Das ist der Grund warum ich hier bin.<br />
Man redet immer von Flucht und Fluchtursachen. Ich<br />
glaube, die Fluchtursache liegt hier hauptsächlich im<br />
Bürgerkrieg mit Assad. Es ist dies eine Situation, in<br />
41
Aufstehzeit. Es gibt Pläne für die Wache oder für den<br />
Küchendienstes und es gibt klare Regeln und Strukturen.<br />
Zum Beispiel, dass man den ganzen Tag in seiner<br />
Uniform zu sein hat. Man schläft hier in seiner Uniform.<br />
Doch zurück zur Struktur: Man hat Wachdienst, man<br />
hat Ausbildung an den Waffen, geht zum Frühsport<br />
und trotzdem ist es stets ein Gefühl der Freiheit, das<br />
ich vorher so nicht erlebt habe. Denn man bekommt<br />
eine ganz andere Einstellung zur Zeit. Es geht nicht<br />
mehr darum, welcher Wochentag heute ist oder welche<br />
Termine ich habe, etwa wann ich wo wie arbeiten muss.<br />
Dieses Gefühl der Freiheit besteht, obwohl es doch ein<br />
ganz enges Konstrukt ist, in dem man sich bewegt.<br />
Wir sind eigentlich ein bewegliches Tabûr. Wenn wir uns<br />
aber nicht bewegen, sind wir hier und das ist ein fünfzig<br />
mal fünfzig Meter grosser Platz, umgeben von einem<br />
Schutzwall. Also es ist räumlich sehr eng und dennoch<br />
ist dieses Gefühl der Freiheit unbeschreiblich. Gerade<br />
solche Sachen musste ich aber auch immer reflektieren,<br />
um sie für mich erklären zu können.<br />
der die demokratischen Kräfte jahrelang allein gelassen<br />
wurden und nun die islamistischen Kräfte sehr, sehr<br />
stark wurden. <strong>Rojava</strong> gibt den Menschen hingegen<br />
Hoffnung. Ja das Projekt hier gibt der ganzen Region<br />
Hoffnung, denn vom arabischen Frühling ist nicht viel<br />
übrig geblieben.<br />
Und genau das war konkret meine Erfahrung in Kobanê.<br />
Denn wann immer die Leute mich gefragt haben, warum<br />
ich aus Deutschland hierher komme, da habe ich sie<br />
gefragt, warum sie denn hier bleiben. Da haben sie<br />
gesagt, sie sind sehr stolz auf Kobanê und sie verstehen<br />
nicht, wie die Menschen fliehen können, wenn es hier<br />
etwas aufzubauen gibt. Sie waren alle sehr, sehr dankbar,<br />
dass wir aus Europa herkommen und aktiv mit unseren<br />
Möglichkeiten helfen.<br />
Doch nun zu meinen Erfahrungen im internationalen<br />
Bataillon. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, wie<br />
man hier helfen und wie man mitgestalten kann. Ich habe<br />
mich im Moment für den militärischen Teil entschieden.<br />
Man kann auch humanistische Arbeit leisten. Man kann<br />
konkrete Sachen aufbauen. Man kann sich aber auch den<br />
Tabûrs und dem Bataillon anschliessen.<br />
Es ist alles sehr, sehr strukturiert hier. Es gibt eine feste<br />
Das internationale Tabûr wird hauptsächlich von zwei<br />
politischen Gruppen organisiert. Das ist einmal die MLKP<br />
und dann die BÖG. Das sind beides türkische Parteien.<br />
Die sind, sag ich mal, ideologisch sehr starr. Wir sind<br />
meistens eine kleine Gruppe europäischer Freiwilliger,<br />
die in diesem Tabûr sind. Das Zusammenleben kann sich<br />
manchmal durchaus schwierig gestalten. Es gibt hierbei<br />
natürlich die Sprachschwierigkeiten, denn wenn zwei<br />
Drittel oder drei Viertel des Tabûrs Türkisch sprechen<br />
und der Rest sich auf Englisch unterhält, ist das nicht<br />
ganz einfach. Aber das wird alles irgendwie immer<br />
organisiert.<br />
Wir waren ungefähr zwei Wochen an dieser Stellung,<br />
bevor wir in unserer eigentlichen Aufgabe als<br />
bewegliches Tabûr an einer Operation teilgenommen<br />
haben. Die Operation war eine Operation der YPG.<br />
Da ging es erstens darum, im Bereich von <strong>Rojava</strong><br />
nach Şengal einen sicheren Korridor zu schaffen und<br />
zweitens auch um einen Schlag gegen Daesh, der diese<br />
hauptsächlich wirtschaftlich treffen sollte, weil es auch<br />
gegen die Stadt Hol ging. Hol ist nämlich eine Stadt, in<br />
der sehr viel Erdöl abgebaut wird. Als Bataillon wurden<br />
wir in dieser Operation beweglich und haben dort an<br />
diesem Angriff teilgenommen.<br />
Was kannst du zu deinen Erfahrungen an der<br />
Front sagen?<br />
Ich habe sehr viel über die Taktik der YPG und über<br />
die Struktur gelernt. Wenn man jetzt keinen harten<br />
militärischen Background hat, dann sind das sehr viele<br />
neue Erfahrungen. Beispielsweise haben wir uns als<br />
Bataillon in zwei Taxims aufgeteilt; erstens in eine<br />
offensiv und zweitens in eine defensiv.<br />
42
Was sind Taxims?<br />
Taxims sind grössere Einheiten. Es gibt erstens das<br />
Tabûr. Dann ist das Tabûr unterteilt in zwei, drei Taxims<br />
und ein Taxims ist unterteilt in Teams. Ein Taxim ist<br />
sozusagen eine grössere Einheit. Als defensives Taxim<br />
haben wir direkt an den Bergen die Front gehalten. In<br />
den Bergen waren auch die Daesh Stellungen. Wir<br />
wurden von Raketen und von Mörsern aus den Bergen<br />
heraus beschossen.Wir haben diese Stellungen gehalten,<br />
damit die offensiven Kräfte vorrücken konnten. Es war<br />
eine Offensive, die 15 Tage gedauert hat.<br />
Als persönliche Erfahrungen kann ich etwas von zwei<br />
Tagen berichten, als ich direkt am Angriff beteiligt war.<br />
Das waren die beiden Tage, an denen wir direkt Hol<br />
angegriffen haben. Ich war in einer der beiden Angriffs-<br />
Spitzen von jeweils 8 Leuten. Den ersten Tag haben wir<br />
die Berge um Hol eingenommen und sind direkt bis auf<br />
500 Meter an Hol ran. Am zweiten Tag sind wir dann<br />
früh um sieben direkt nach Hol rein und haben Hol von<br />
Daesh befreit.<br />
Ich kann kurz berichten, was ich in Hol gesehen habe.<br />
Es war auf jeden Fall eine Hochburg von Daesh. In<br />
jedem Haus, in dem ich war, habe ich Daesh Utensilien<br />
wie Fahnen, Propaganda, Zeitungen, CDs gefunden.<br />
Militärisches Equipment war auch in jedem Haus.<br />
Ich gehe davon aus, dass es viele Europäer waren,<br />
die in Hol gelebt haben. Dies schliesse ich aufgrund<br />
der Kleidungsstücke, die man dort gefunden hat oder<br />
aufgrund der Bad-Ausstattung. Es gab beispielsweise<br />
Sitztoiletten, die es sonst hier nicht gibt.<br />
Daesh selber hat sich aber, nachdem es die ersten zwei,<br />
drei Dörfer sehr hart verteidigt hat, rasch zurückgezogen.<br />
Insgesamt gab es glaube ich 33 oder 34 Tote auf Seiten<br />
der YPG. Die YPG spricht von 200 – 400 Toten Daesh.<br />
Aber Hol selber hat Daesh sehr wenig verteidigt und sie<br />
haben vorgezogen zu fliehen. Wir haben in Hol viele<br />
fertige Autobomben gefunden. Ich selber habe vier Stück<br />
gesehen. Das waren verminte Autos, die zu Bomben<br />
ausgebaut wurden. Insgesamt gab es wohl sieben davon.<br />
Es gab auch verminte Häuser und es gab Minen vor den<br />
Dörfern. Mit drei dieser Autobomben wurden wir im<br />
Kampf auch direkt angegriffen. Dabei gab auch Tote bei<br />
uns. Die Operation war auch eine Zusammenarbeit von<br />
der YPG und den westlichen Kräften. Es wurden sehr<br />
viele Drohnen-Angriffe geflogen. Es war auch eine sehr<br />
schnelle Operation, schneller glaube ich, als es die YPG<br />
selbst erwartete.<br />
gewonnen und kann sagen, wie es funktioniert. Ich kann<br />
jetzt einschätzen, wie ich mit dem psychischen Druck, der<br />
gegeben ist, wenn man an der Front ist, zurechtkomme.<br />
Man muss auch sagen, dass das Zwischenmenschliche<br />
manchmal schwierig ist. Die Versorgungslage ist nicht<br />
immer gut. Das heisst, dass es halt doch Entbehrung und<br />
Warten gibt, aber das ist eben so in solchen Kriegen. Es<br />
wird neue Offensiven geben. Es gab neuerdings vermehrt<br />
Zusammenarbeit mit der syrisch-demokratischen<br />
Armee. Das sind arabische Kräfte, mit denen die YPG<br />
zusammenarbeitet, die das Gebiet nach uns dann weiter<br />
kontrolliert und halten wird. Das ist wichtig für die Zeit,<br />
wenn es dann gegen Rakka gehen wird und wenn es<br />
dann der Zusammenschluss von <strong>Rojava</strong> und Afrin (der<br />
dritten Kanton) geschehen soll.<br />
Was willst du den Revolutionären und<br />
Revolutionärinnen in Europa sagen? Wie kann<br />
revolutionäre Solidarität nebst dem Weg, den du jetzt<br />
eingeschlagen hast, aussehen?<br />
Dieses <strong>Rojava</strong> ist ein historischer Moment, es ist<br />
eine historische Chance. Es bildet sich hier eine neue<br />
Gesellschaft heraus. Es bildet sich eine ganz neue<br />
Demokratie und man hat die Chance, sich daran zu<br />
beteiligen. Man hat hier die Chance mitzugestalten und<br />
es ist eine Möglichkeit, hier revolutionäre Praxis zu<br />
erfahren, auch unabhängig vom militärischen Bereich.<br />
Man kann auch herkommen und in andern Projekten<br />
arbeiten.<br />
Man bekommt also immer eine direkte Erfahrung. Man<br />
kann hier auf einmal von einer Utopie zu einer Praxis<br />
kommen. Es ist eine Chance, die wir haben, denn sonst<br />
sitzen wir in Europa und träumen nur von einer besseren<br />
Welt und davon, was man alles ändern möchte. Hier aber<br />
kann man mit den Menschen zusammenarbeiten, man<br />
kann an den wirklichen Ereignissen arbeiten und kann<br />
sehen, wie es wirklich funktioniert.<br />
Und man kann sehen, dass es funktioniert.<br />
Und dass es funktioniert genau! Aber auch, dass es<br />
noch viel zu zu tun und zu arbeiten gibt. Man kann<br />
also nicht nur lernen, man kann auch teilhaben. Es ist<br />
eine Möglichkeit für Revolutionäre in Europa, dass sie<br />
von ihrer Utopie in die Praxis gehen können und diese<br />
Möglichkeit, die gibt es glaube ich nicht oft.<br />
Was ist deine Bilanz aus dieser Erfahrung?<br />
Meine Bilanz ist, dass ich, wenn ich <strong>Rojava</strong> verlassen<br />
werde, wiederkomme und dass ich länger hier bleiben<br />
werde und mich weiterhin in dem militärischen Bereich<br />
engagieren werde. Ich habe jetzt einen Eindruck<br />
43
Titel Internationalist III<br />
«Man findet da Hoffnung wie ein Geschenk.<br />
Mit so wenig führen da die Menschen ihre<br />
Revolution. Sie geben ihre Zeit und arbeiten,<br />
haben den Willen weiter zu machen.»<br />
Kannst du uns sagen, wer du bist, woher du<br />
kommst und was dein politischer Hintergrund ist?<br />
Ich komme aus den Pyrenäen. Das sind die Berge<br />
zwischen Spanien und Frankreich. Ich stamme aus<br />
dem Baskenland. Meine ersten politischen Erfahrungen<br />
habe ich in einer antimilitaristischen Bewegung<br />
gemacht. Es gab früher eine grosse Bewegung gegen<br />
die Militärpflicht, das heisst gegen die Pflicht im Militär<br />
oder auch im Zivildienst zu dienen. Darin lag mein<br />
politischer Anfang. Ich bin Anarchist und immer am<br />
lernen, denn man entwickelt sich beständig weiter. Meine<br />
persönliche Entwicklung und Erfahrung beinhaltete<br />
vieles; vom Antimilitarismus bis zur Ökologie oder<br />
zum Antifaschismus. Dazu gehörten immer auch direkte<br />
Aktionen. Ich orientierte mich nicht so sehr nach<br />
grösseren Aktionen, sondern wir haben oft versucht<br />
Sachen mit Freunden zu organisieren; bei uns heisst<br />
das Affinitäts-Gruppen. Natürlich haben wir auch mit<br />
anderen Leuten und anderen Organisationen gearbeitet.<br />
Wir waren beispielsweise in Prag und in Genua wegen<br />
all diesen Gipfeltreffen, wie beispielsweise dem G8. In<br />
Prag war es noch schön, da hatten wir noch Hoffnungen,<br />
dass wir den Kampf aufnehmen können. Genua war<br />
hingegen eine grosse Enttäuschung. Politisch hat das<br />
weh getan, denn es war klar, es gab viele Trennungen,<br />
viel Dogmatismus und das hat eine grosse Zersplitterung<br />
in der Bewegung provoziert.<br />
Dann haben wir uns in unserer Arbeitsweise mehr auf<br />
kleine Gruppen konzentriert. Das bedeutete vor allem<br />
etwas in unserem Gebiet, in unserem Viertel oder in<br />
unserem Dorf zu machen. Dort betätigten wir uns<br />
durch Besetzungen und andere Arten von Aktionen;<br />
angefangen mit Sabotage bis hin zum Druck von kleinen<br />
Zeitungen oder einfach Sprays, Graffiti Aktionen was<br />
auch immer. Es war aber immer klar, dass man etwas<br />
Direktes machen muss; aber es braucht auch einen<br />
Austausch mit der Gesellschaft, sonst bleibt man alleine.<br />
Wir haben an vielen verschiedene Aspekten der<br />
sozialen Bewegungen teilgenommen und gelernt,<br />
viele Enttäuschungen erlebt und versucht uns wieder<br />
neu aufzubauen. Klar man ist ab und zu in den Knast<br />
gekommen, ab und zu in die Klandestinität gegangen,<br />
hat versucht verschiedene Wege zu entwickeln, mehr<br />
Leute zu erreichen. Man war halt immer in Bewegung.<br />
Das war ungefähr meine politische Laufbahn. Dann hatte<br />
ich am Anfang dieses neuen Jahrhunderts den Eindruck,<br />
dass es in Europa oder im Baskenland und in Spanien<br />
nicht mehr so viel zu machen gab. Das ist ja eigentlich<br />
falsch, im Gegenteil man muss alles machen. Aber wir,<br />
meine Freunde und ich, fühlten Grenzen, weil am Ende<br />
alles zu Strafen führte, das heisst ins Gefängnis, obwohl<br />
sich eigentlich nicht viel in der Gesellschaft veränderte.<br />
Wir haben dann in unserem kleinen Kreis überlegt,<br />
wie wir weiter gehen sollen. Wir haben in den Städten<br />
Besetzungen gemacht und da kam die Frage, ob es in<br />
den Städten überhaupt möglich ist, mehr zu machen. Der<br />
Feind ist gross und was kann man in einer so grossen<br />
Gesellschaft mit all diesem Konsum in seinen immensen<br />
Dimensionen tun? Klar, man kann vieles durch<br />
direkte Arbeit mit Menschen machen und man kann<br />
den Menschen auf der Strasse direkt helfen. Aber als<br />
Kollektiv war es sehr schwierig, weil man immer damit<br />
konfrontiert war, dass wenn man sich selber wirklich<br />
treu bleibt, man am Ende in den Knast gehen muss.<br />
Und im Knast, es tut mir leid, dass sagen zu müssen,<br />
kann man nicht viel machen, man ist eben eingesperrt.<br />
Dann gingen wir in die Berge, das ist ein freier Ort. Da<br />
wird man nicht kontrolliert und man kann versuchen freie<br />
autonome Gebiete zu schaffen. Man kann ein Haus in den<br />
Bergen besetzen, oder auch kleine Dörfer, die verlassen<br />
sind. Das wird auch gemacht. Aber irgendwann ist auch<br />
das eine Enttäuschung, weil jedes Mal, wenn man was<br />
versucht, kann man zwar kleine Erfolge erzielen aber<br />
dennoch resultiert daraus nie etwas grösseres. Wir haben<br />
die Erfahrung gemacht, wie man mit wenigen Mitteln<br />
und kollektiv arbeiten kann, aber man bleibt isoliert, das<br />
alles prägt die Gesellschaft nicht. Man kann zwar stolz<br />
darauf sein, was man geleistet hat und es bleibt dieses<br />
Kollektiv. Es bleibt auch die Auseinandersetzung in den<br />
Kollektiven und das geht natürlich auch weiter. Man<br />
hinterlässt schon einen Eindruck, denn hier in Europa, in<br />
unseren Gesellschaften, gibt es nicht vieles zu erschaffen.<br />
44
Und dennoch, in einem grösseren Rahmen betrachtet,<br />
sind wir in den Bergen stets isoliert geblieben.<br />
Irgendwann bin ich dann in eine Grossstadt nach<br />
Deutschland gezogen. Davor war ich in einem kleinen<br />
Dorf in den Pyrenäen, wo es keine Menschen gab. Der<br />
Umzug war im politischen Sinn eine Enttäuschung. Ich<br />
war schon 1994 in Deutschland und wenn man vergleicht<br />
wie es damals war, war das eine grosse Enttäuschung.<br />
Ich habe nicht die gleichen Menschen getroffen, die ich<br />
von früher kannte und die sozialen Bewegungen waren<br />
abgebaut. Hier in Deutschland habe ich eine ironische<br />
Linke gefunden. Ich hatte den Eindruck, die Menschen<br />
haben sich unterdrücken lassen. Es gibt keinen<br />
Widerstand mehr. Wir gehen auf Demos und die Bullen<br />
kommen und sie können sagen, das kannst du sagen, das<br />
nicht, das kann auf deinem Plakat stehen, das kann da<br />
nicht stehen.<br />
Es gibt sehr schöne Veranstaltungen, Performances,<br />
alles sehr kunstvoll. Es gibt trotzdem Initiativen, die<br />
sehr schön sind aber eben nicht kämpferisch. Ich glaube<br />
die Menschen, die Linke hier in Deutschland, haben sich<br />
kaufen lassen. Es gibt viele Stiftungen und die Leute<br />
sitzen in ihren Stiftungen und in neuen Büros, wo sie<br />
Co-Work machen. Aber was bleibt am Ende davon? Die<br />
Strasse ist verloren.<br />
Wir bleiben hier in unseren schönen Vierteln in Kreuzberg.<br />
Macht jemand die Arbeit in der Peripherie, wo die<br />
Nazis Platz gewinnen? Wo ist die Zusammenarbeit mit<br />
den Flüchtlingen oder mit den KurdInnen oder mit den<br />
TürkInnen? Eigentlich gibt es hier Menschen aus 140<br />
Ländern und wir bleiben unter uns. Mir gefällt die Arbeit<br />
auf der Strasse. Es gefällt mir, nicht nur in unserem Kitz<br />
zu bleiben.<br />
Aus persönlichen Gründen konnte ich aber nicht<br />
vieles machen, weil ich von Spanien eine Strafe auf<br />
Bewährung habe. Deswegem bin ich nicht so frei,<br />
weil ich sonst in den Knast gehe. In Spanien hatte ich<br />
Freunde, wir kennen uns seit Jahren und dann lande ich<br />
hier, wo die Menschen, die ich kannte nicht mehr da<br />
sind. Ich glaube um bestimmte Sachen zu machen und<br />
zu organisieren braucht man persönliches Vertrauen.<br />
Dann bin ich ins östliche Grenzgebiet gegangen und da<br />
war die Enttäuschung noch grösser, weil das ein braunes<br />
Gebiet ist. Da können die Nazis ganz frei ohne Probleme<br />
ihre Plakate an den Strassen plazieren. Die Leute da stört<br />
das nicht, die sind wahrscheinlich bei der NPD. Es war<br />
krass zu sehen, wie sich das entwickelt hat. Ich hatte mir<br />
das für Deutschland nicht vorstellen können, dass die<br />
Rechte so grosse Schritte nach vorne macht. Man weiss,<br />
die Leute da, die haben Waffen und es passiert nichts.<br />
Ich hatte trotzdem gute Erfahrungen gemacht, vor<br />
allem mit Kindern. Ich hatte da allein und spontan<br />
antifaschistische Erziehung gemacht. Dann bin ich<br />
wieder in die Grosstadt gegangen und irgendwann<br />
habe ich dieses Plakat auf der Strasse gefunden:<br />
Eine Solidaritätsparty und Aktionen für Kobanê und<br />
Unterstützung der Internationalen Brigaden, die ein<br />
Krankenhaus bauen wollten. Ich war überrascht, weil<br />
das war im Juni letztes Jahr und ich hätte nicht gedacht,<br />
dass die Möglichkeit da einen Wiederaufbau zu leisten so<br />
schnell kommen würde. Kobanê wurde im Januar letztes<br />
Jahr wieder erobert und im Juni gab es dann schon einen<br />
richtigen Wiederaufbau! Ich interessierte mich dafür<br />
und dachte, vielleicht ist jetzt die Gelegenheit, da was<br />
zu machen. In der Vergangenheit hatte ich schon meine<br />
ersten Erfahrungen mit KurdInnen gemacht. Ich bin<br />
Baske und natürlich gibt es ein Gefühl der Empathie.<br />
Was den KurdInnen angetan wird und was uns passiert,<br />
ist ähnlich und doch sind es andere Umstände. Europa ist<br />
nicht Kurdistan.<br />
Und so habe ich gedacht, irgendwann würde ich gerne<br />
diesen Kampf unterstützen. Einige Zeit später war ich im<br />
Baskenland und da hatte ich eine Begegnung mit einer<br />
kurdischen Familie. Geblieben ist das Gefühl diesen<br />
Menschen etwass zurückgeben zu wollen, was die mir<br />
gegeben haben. Wieder in Deutschland sagte ich mir, ich<br />
muss nur ein paar Arbeitstermine absagen, dann habe ich<br />
Zeit; ich habe die Beine und die Hände, ich gehe einfach<br />
hin und schaue mir diese Revolution an. Mein Gefühl<br />
sagte mir, dass das richtig ist. Ich habe mich informiert<br />
und dann bin ich im August letztes Jahr einfach nach<br />
Kobanê gegangen. Das war zwischen August und<br />
September 2015.<br />
Was hast du dann dort erlebt? Hast du da gefunden,<br />
wonach du gesucht hast?<br />
Ich war nicht richtig auf der Suche, ich war spontan<br />
da gelandet. Ich fragte mich, was kann ich da arbeiten,<br />
dann habe ich gedacht, ich habe meine Hände, da<br />
kann ich mindestens die Strassen reinigen. Ich bin<br />
eigentlich mit einer Gruppe des internationalen<br />
Komitee der revolutionären Organisationen (ICOR),<br />
einer Gruppe der MLPD, der Marxistisch Leninistische<br />
Partei Deutschlands, hingegangen. Da habe ich gute<br />
GenossInnen um mich gehabt. Mit den Menschen vor<br />
Ort haben wir zusammen gearbeitet und den Alltag mit<br />
ihnen verbracht. Das waren Erlebnisse mit den Menschen<br />
in Kobanê, die trotz allem da geblieben sind, trotz den<br />
Daesh, trotz dem Druck der durch den Boykott da war,<br />
trotz dem Krieg, den die Türkei gegen sie führt.<br />
Diese Menschen haben teilweise nicht einmal ein<br />
richtiges Haus. Zum Teil stehen da noch zwei Wände<br />
ohne Dach, dann machen sie eine Plane drüber und<br />
führen ihr Leben weiter. Sie bleiben da und verteidigen<br />
sich. Wer da hin kommt, ist willkommen. Das eigentlich<br />
Revolutionäre dabei ist, ohne etwas zu haben, das Leben<br />
weiter zu führen. Und dies mit Respekt für alle Menschen,<br />
die als Nachbarn und Familien da geblieben aber auch<br />
45
für die, die neu gekommen sind. Denn es kommen auch<br />
Flüchtlinge aus Syrien. Die haben auch alles verloren<br />
und sind ohne etwas nach Kobanê gekommen. Denn das<br />
ist jetzt ein sicheres Gebiet und obwohl die Front nur<br />
35km entfernt ist, sind die befreiten Gebiete natürlich<br />
die weitaus besseren Orte, als direkt an der Front leben<br />
zu müssen.<br />
Dadurch findet man dort Hoffnung wie ein Geschenk.<br />
Mit so wenig führen die Menschen ihre Revolution. Sie<br />
geben ihre Zeit und arbeiten, und haben dennoch den<br />
Willen weiter zu machen. Sie kümmern sich um ihre<br />
eigenen und die kollektiven Bedürfnisse. Die Waffen<br />
sind wichtig, weil ohne Waffen wäre diese Revolution im<br />
Moment leider nicht möglich. Man muss die Menschen<br />
verteidigen und die Dörfer, die Städte und das Land.<br />
Die Waffen, das sind nur alte Kalaschnikows. Mit diesen<br />
Kalaschnikows und ihrem Willen kämpfen sie weiter und<br />
man wundert sich, wie das möglich ist. Nach drei, vier<br />
Jahren mit so starken Feinden führen diese einfachen<br />
Menschen einen Verteidigungskampf und sie haben so<br />
grosse Schritte gemacht. Es gibt die Kräfte der YPG.<br />
Diese Milizarmee wird durch die Menschen getragen,<br />
die teilweise an der Front kämpfen und teilweise auf<br />
den Baustellen arbeiten. Die hauen auch nicht ab, die<br />
bleiben da. In Europa hört man Fragen, ob das eigentlich<br />
eine Revolution ist – tut mir leid, jetzt werde ich über<br />
das typische deutsche oder europäische Verhalten etwas<br />
sagen: Die Leute insistieren beispielsweise, dass es da<br />
aber doch noch Privatbesitz gäbe, wo also ist eigentlich<br />
eine Revolution. Dazu kann ich nur sagen: Ja, es ist eine<br />
Revolution.<br />
Die Wiedereroberung Kobanês ist der YPG zu verdanken.<br />
Die haben einen Hintergrund von 40 Jahren Kämpfe,<br />
sowohl in der Türkei als auch im Iran oder im Irak. Sie<br />
haben dabei etwas gelernt und entwickelt. Als eine der<br />
ersten Aktionen nach der Wiedereroberung Kobanês, das<br />
hat mich sehr berührt, haben sie den Kindern in Kobanê<br />
einen Film gezeigt. Das war dieser Film von Charlie<br />
Chaplin, ‚der Kid‘. Die Kinder haben viel Schweres<br />
erlebt und sie haben diesen Kindern damit wieder ein<br />
bisschen das Lachen zurückgebracht. 4 Tage lang haben<br />
sie für alle Kinder in Kobanê ‚der Kid‘ gezeigt. Das<br />
ist auch revolutionär. Welche Menschen kommen auf so<br />
eine Idee?<br />
Das trifft auch auf die Menschen zu, mit denen ich<br />
zusammen gearbeitet habe. Jeden Tag geht man arbeiten.<br />
Um 5 Uhr aufwachen, am Mittag ist es an der Sonne 40<br />
Grad, aber diese Menschen verlieren das Lachen nicht.<br />
Man kann diese Menschen nicht alles fragen. Wenn<br />
man fragt, hast du Familie, dann müssen sie vielleicht<br />
antworten, ich habe fünf Geschwister verloren und auch<br />
meinen Vater. Dennoch sind sie mit dir bei der Arbeit<br />
und zeigen keine Trauer und keine traurigen Gesichter.<br />
Im Gegenteil, sie kommen zu dir und sie singen und<br />
sie versuchen dich zu verstehen. Sie sind neugierig,<br />
wollen wissen, was du in deinem Alltag machst und<br />
sie versuchen zu lernen. Die Sprache konnte ich nicht<br />
sprechen. Aber dann singen wir miteinander und stell dir<br />
vor, ich habe sogar Geschichten auf baskisch erzählt.<br />
Die konnten sie nicht verstehen und trotzdem erzählte<br />
ich ihnen eine baskische Dichtung und sie hörten zu.<br />
Man macht sich Gedanken wegen dem bewaffneten<br />
Kampf, das ist ja auch eine moralische Entscheidung.<br />
Als ich im Sommer in Kobanê war, gab es eine Situation,<br />
wo ich fast geblieben wäre. Es war mir klar, wenn jetzt<br />
ein Angriff kommt, dann bleibe ich hier und werde<br />
kämpfen. Zum Glück ist das nicht passiert. Da habe ich<br />
auch andere Menschen getroffen und erneut habe ich fast<br />
die Entscheidung getroffen dort zu bleiben und die Waffe<br />
46
zu nehmen. Da redete ich mit ein paar Internationalen<br />
von der YPG und die haben gesagt, wir brauchen dich<br />
jetzt auf der Baustelle. Uns ist es wichtiger, dass du diese<br />
Arbeit als Zivilist, als Bauarbeiter leistest. Wir brauchen<br />
ein Gesundheitszentrum, wir brauchen ein Krankenhaus.<br />
Da habe ich gedacht, die haben recht. Meine zwei Hände<br />
sind nicht viel aber ich war nicht alleine und wenn acht<br />
Hände zusammen kommen, leisten die viel Arbeit. Da<br />
gibt es auch keine Maschinen, richtige Maschinen meine<br />
ich. Da bin ich eben auf der Baustelle geblieben.<br />
Ich hatte aber noch Verbindungen zuhause und musste<br />
deswegen zurückkommen. Ich hatte nicht geplant<br />
längere Zeit weg zu bleiben und ich konnte auch den<br />
Menschen nicht einfach die Verantwortung übergeben,<br />
sich um meine Sachen zu kümmern.<br />
Zurück in Deutschland war die Sehnsucht aber enorm.<br />
Es schmerzte nur Informationen zu bekommen, wie sich<br />
die Dinge in <strong>Rojava</strong> entwickelten. Dann kam die Frage,<br />
wann gehe ich zurück? Wie kann ich das überhaupt<br />
machen? Ich muss noch ein paar Sachen hier erledigen,<br />
bevor ich wieder gehen kann. Ich lerne jetzt auch<br />
Kurdisch, Kurmancî und irgendwann gehe ich zurück.<br />
Und dann willst du dich den YPG anschliessen?<br />
Ja, ich weiss nicht wie und ich weiss auch nicht welche<br />
Einheit aber das wird sich von selbst ergeben. Es gibt<br />
verschiedene Möglichkeiten. Es gibt das Internationale<br />
Bataillon oder es gibt die YPG. Ich glaube, ich muss<br />
zuerst dort sein und bis dann kann ich nicht sagen, ich<br />
will da oder dort hin. Ich muss sehen, was die Menschen<br />
dort wollen. Ich habe etwas Angst, weil man sieht, dass<br />
alles sehr fragil ist. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass<br />
die Dinge nicht ewig dauern. Freunde von mir sagen das<br />
immer so: wir sind jetzt hier es gibt nur den heutigen Tag.<br />
Heute, das heisst jetzt, versuchen wir alles zu machen.<br />
In <strong>Rojava</strong> gibt es das Soziale, das Militär, das<br />
Revolutionäre, das Politische und das Ökologische.<br />
Doch das alles läuft zusammen. Man kann nicht sagen,<br />
wir müssen zuerst den Krieg gewinnen und dann machen<br />
wir weiter, das geht nicht. Alles läuft gleichzeitig. Meine<br />
Angst gilt diesen Umständen.<br />
Wie lange das dauert, weiss man nicht. Das ist auch<br />
eine persönliche Sache. Denn vielleicht kann ich dieses<br />
Jahr gehen, ich weiss es nicht. Jeden Tag, den ich hier<br />
verbleiben muss, denke ich, bitte macht weiter, wartet<br />
auf mich. Ich fühle, dass ich da notwendig bin. Es gibt in<br />
Kobanê einen kleinen Containerplatz, wo die Leute mit<br />
Behinderungen, Kriegsbehinderungen, aufgenommen<br />
werden. Da gibt es ein kleine Gruppe von 10 vielleicht 15<br />
Therapeuten und Therapeutinnen. Die müssen sich um<br />
12‘500 Leuten kümmern, die durch den Krieg verletzt<br />
wurden.<br />
Ein anderer spezieller Ort ist der Friedhof von Kobanê.<br />
Da sieht man die Gräber. Da liegen Menschen, die sind<br />
1992, 1995 geboren. Ich trainiere Kinder, die bald so<br />
alt sein werden und ich denke, so, es ist genug! Es ist<br />
genug! Ich bin hier und ich habe meine Händen und<br />
ich will keinen Menschen töten aber ich will diese<br />
Menschen verteidigen. Diese Kinder übernehmen viel<br />
Verantwortung, nicht nur in den Kämpfe, auch im Alltag.<br />
Sie müssen die Familie unterstützen, müssen bei ihrer<br />
Arbeit grosse Verantwortung übernehmen. Ich sehe sie<br />
nicht mehr als Kinder, ich selbst bin nicht so fähig wie<br />
diese Menschen.<br />
Das ist auch ein Grund, wieso ich wieder gehen will.<br />
Es gibt Menschen, die füreinander Arbeit leisten,<br />
die notwendig ist, so wie diese Therapeuten und<br />
Therapeutinnen und dann gibt es solche, die wünschen<br />
sehr, dass sie woanders sein könnten, beispielsweise nicht<br />
an der Front. Und dort lägen auch meine Möglichkeiten.<br />
Denn ich bin fit, ich bin gesund und ich liebe die Freiheit.<br />
Aber ich finde Freiheit kann man nur geniessen, wenn<br />
man sie teilen kann und wenn alle anderen auch frei<br />
sind. Ich klettere in den Bergen aber wenn ich das nicht<br />
teilen kann oder wenn ich es nicht schaffen kann, dass<br />
jeder der will das erlebt, dann relativiert sich das. Diese<br />
Freiheit hat einen Sinn, wenn wir alle dafür kämpfen,<br />
dass alle Menschen diese Freiheit haben.<br />
Das ist die Motivation, aus der heraus du dich jetzt<br />
darauf vorbereitest wieder zurück zu gehen?<br />
Ja, vor allem wegen den Menschen die ich da getroffen<br />
habe, weil die sind ja dort geblieben, und irgendwann<br />
stehen sie entweder hinter einer Barrikade, wenn die<br />
Front zu ihnen kommt oder sie müssen selbst an die<br />
Front gehen. Und diese Menschen darf man nicht alleine<br />
lassen.<br />
Die Einsamkeit kann Menschen kaputt machen. Ich<br />
glaube jede/r der politischen RevolutionärInnen versucht<br />
zu kämpfen und oft fühlen wir uns alleine. Und in Kobanê,<br />
in <strong>Rojava</strong>, da haben die KurdInnen, die FreundInnen<br />
diese Einsamkeit genommen und sie kaputt gemacht. Du<br />
hast vorher gesagt, da ist man nie alleine und das ist so,<br />
denn dort gibt es immer zwei Augen in deiner Nähe und<br />
es gibt auch eine Hand, die zu dir kommt und ich glaube<br />
es ist auch ein menschlicher Aspekt zu sagen, wir sind<br />
nicht alleine.<br />
47
Mahid Eahir<br />
«Vielleicht werde ich im Krieg in <strong>Rojava</strong> schon<br />
in zwei Tagen ums Leben kommen, aber das<br />
ist für mich nicht wichtig. Für mich ist aktuell<br />
wichtiger, dass ich den Kapitalismus nicht<br />
akzeptiere.»<br />
Kannst du dich kurz vorstellen?<br />
Mein Name ist Mahid Eahir. Ich komme ursprünglich<br />
aus Europa und bin 28 Jahre alt. Was mich nach<br />
<strong>Rojava</strong> brachte? Das hat eigentlich damit angefangen,<br />
dass ich mich für revolutionäre politische Aktivitäten<br />
entschieden habe. Da ich viel gesehen und gelernt habe,<br />
weiss ich, dass es die Aufgabe eines Revolutionärs ist,<br />
die Revolution aufzubauen. Das beginnt mit der eigenen<br />
Person.<br />
Wenn man für sich ein neues Leben, ein alternatives<br />
Leben zum Kapitalismus aufbauen will, muss man<br />
mit der Arbeit an sich selber anfangen. Wir sind in der<br />
kapitalistischen Welt aufgewachsen und wir sind vom<br />
Kapitalismus beeinflusst, deshalb muss der Kampf<br />
immer bei sich selber beginnen. Wenn man diesen<br />
Kampf mit sich selber führt, kann man ihn auch für eine<br />
bessere Welt führen.<br />
Dieser Kampf bedeutet, dass man gegen die<br />
eigenen Gewohnheiten, das heisst primär gegen die<br />
kleinbürgerlichen Angewohnheiten kämpfen muss.<br />
Diese kleinen Angewohnheiten produzieren letztlich<br />
nämlich den Kapitalismus. Sie wieder loszuwerden,<br />
dazu dient der Kampf für sich selber. Ein Kampf für<br />
Disziplin und für ein kollektives Leben ist deshalb<br />
ebenso wichtig wie der ideologische Kampf, den wir für<br />
sozialistische Verhältnisse führen. Das betrifft für mich<br />
alle Beziehungen, das heisst, solche mit den Menschen,<br />
zur Umwelt, zur Politik und so weiter. All das führt<br />
irgendwann dann zur Revolution.<br />
Meine eigene „Revolution“ hat mich nach <strong>Rojava</strong><br />
gebracht, denn <strong>Rojava</strong> ist eine Revolution und meine<br />
Aufgabe ist es die Revolution mitaufzubauen. Es ist<br />
eigentlich ganz einfach: Wo eine Revolution ist, da<br />
gehört ein Revolutionär hin, dafür bin ich da; aber<br />
natürlich nicht nur dafür.<br />
In <strong>Rojava</strong> gibt es sehr viele Möglichkeiten, für<br />
alle Menschen der Welt. <strong>Rojava</strong> ist ein Ort für ein<br />
alternatives Leben. Es ist der Ort für eine alternative<br />
Gesellschaft und das ist der Weg, für den ich mich<br />
entschieden habe. Was das für mich bedeutet, kann es<br />
auch für andere bedeuten. Eine solche Entscheidung den<br />
Weg der Revolution einzuschlagen kann von der ganzen<br />
Menschheit getroffen werden. Somit ist es letztlich keine<br />
egoistische Entscheidung, die ich getroffen habe. Die<br />
Entscheidung hierher zu kommen, ist eine Entscheidung<br />
für die Zukunft aller Menschen.<br />
Vielleicht werde ich im Krieg in <strong>Rojava</strong> schon in zwei<br />
Tagen ums Leben kommen, aber das ist für mich nicht<br />
wichtig. Für mich ist aktuell wichtiger, dass ich den<br />
Kapitalismus nicht akzeptiere. Das heisst, dass ich das<br />
Leben, das der Kapitalismus mir anbietet nicht leben<br />
will. Ich will Sozialismus und ich würde, wenn andere<br />
dadurch in einer sozialistischen Welt leben können, für<br />
diesen Kampf auch sterben.<br />
Du bist aufgebrochen aus deinem Leben und<br />
bist hier als Mensch gewachsen. Kannst du etwas<br />
über dein politisches Wachsen vermitteln über die<br />
Erfahrungen, die du hier machen konntest?<br />
Politisches Wachsen das ist so: Die Revolution bringt<br />
den Menschen immer vieles bei. Doch hier haben wir<br />
den Krieg, da ist alles sehr klar. Denn was letztlich unser<br />
Ziel ist, und das gilt für alle Menschen in der Welt,<br />
sieht man hier sehr klar. Auf der einen Seite herrscht<br />
die von den ImperialistInnen, den kapitalistischen<br />
Ländern unterstützte Barbarei. Konkret bedeutet das hier<br />
Vergewaltigung und Massaker. Auf der anderen Seite<br />
erleben wir hier eine Freiheit. Und dies ist die Alternative<br />
zur Barbarei; es ist dies ein kollektives Leben.<br />
Wenn man hierher kommt, ist der Unterschied zwischen<br />
den beiden Möglichkeiten und der Kampf darum sehr<br />
sichtbar und das ist ansteckend. Du kannst das nicht<br />
mehr los werden, weil du siehst, so ist Leben. Du siehst<br />
all diese Unterschiede zwischen einem richtigen Leben<br />
und einem Leben irgendwo im Cyberspace.<br />
Du bist hierher gekommen und standest am<br />
Anfang von deinem Prozess. Was für Etappen hast<br />
48
du bis heute durchlaufen?<br />
Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten gehabt, weil auch<br />
ich beeinflusst war vom kapitalistischen Leben. Es war<br />
beispielsweise schwierig für 20 Leute zu kochen. Es<br />
war schwierig mit anderen zusammen zu arbeiten. Es ist<br />
schwierig gewesen, Arbeiten selbständig zu machen, und<br />
es war auch schwierig die Kritik von den GenossInnen<br />
zu verstehen. Manchmal sieht man das nicht so, aber die<br />
Kritik gilt eigentlich den Gewohnheiten, die man aus<br />
dem kapitalistischen Leben mitgebracht hat, nicht den<br />
Menschen an sich.<br />
Mit der Zeit versteht man das, mit der Zeit sieht man<br />
besser, wofür der Kampf hier ist. Der Kampf ist nicht<br />
gegen den Menschen, gegen die Person, der Kampf ist<br />
gegen die Gedanken, gegen die Angewohnheiten der<br />
Menschen. Das sieht man dann, aber natürlich ist es<br />
schwierig, das alles von Anfang an zu verstehen. Man<br />
versteht es erst mit der Zeit.<br />
Manchmal ist man wütend, manchmal versteht man nicht<br />
ganz, was eigentlich gemeint ist, aber irgendwann wurde<br />
auch das zu einer Etappe für mich. Es ist sozusagen eine<br />
Aufbauarbeit, die man erleben muss. Für mich ist das<br />
also auch ein Prozess gewesen und dieser Prozess geht<br />
immer weiter. Es ist nie zu Ende, es geht immer weiter<br />
und weiter.<br />
Man darf nicht aufhören auch wenn man glaubt, die Arbeit<br />
ist getan, wenn man denkt es ist fertig, dann macht man<br />
Fehler und dann fällt man zurück. Das Leben produziert<br />
sich immer neu und wir als RevolutionärInnen müssen<br />
uns ebenfalls täglich neu reproduzieren, sowohl politisch<br />
als auch ideologisch und das muss man offensiver lernen.<br />
Man muss immer offen sein, damit man etwas von den<br />
Menschen und von den GenossInnen lernt und von der<br />
Revolution und von politischen Prozessen. Das ist im<br />
Aufbauprozess für RevolutionärInnen wichtig.<br />
Was denkst du über die aktuelle Entwicklung,<br />
die in <strong>Rojava</strong> läuft, auch mit den verschiedenen<br />
Operationen, die angefangen haben und die Schritt<br />
für Schritt vorwärts gehen. Kannst du dazu was<br />
sagen?<br />
Es ist so, dass YPG, MLKP, BÖG, TIKKO und die<br />
anderen revolutionären Kräfte, die da sind, einen grossen<br />
Sieg gegen Daesh errungen haben. Wenn Daesh nicht<br />
weitergekommen und nicht grösser geworden ist, gibt<br />
es dafür nur einen einzigen Grund, und das ist die YPG<br />
und die revolutionären Kräfte, die hier unterstützen und<br />
in diesem Krieg kämpfen und auch zu MärtyrerInnen<br />
wurden.<br />
Daesh ist nicht nur ein Problem für den Mittleren Osten,<br />
Daesh ist ein Problem für die ganze Welt. Das hat man<br />
in Belgien gesehen, das hat man in Frankreich gesehen<br />
Wer war Ivana Hoffmann?<br />
Ivana Hoffmann wurde am 1. September 1995 in<br />
Emmerich geboren. Sie starb am 7. März 2015<br />
im Alter von 19 Jahren in Tel Timir, ermordet von<br />
den Terroristen des IS. Ivana lebte als mutige<br />
Internationalistin, als Freiheitskämpferin und ist<br />
für viele heute schon ein Zeichen der Hoffnung.<br />
Ivana lernte 2009 die „Bildungsstreik“-<br />
Bewegung in Duisburg kennen und wurde in<br />
diesem Zuge zum ersten Mal politisch aktiv.<br />
Später begann sie sich gegen Missstände und<br />
Ungerechtigkeit einzusetzen, organisierte<br />
den Bildungsstreik in Duisburg und nahm an<br />
zahlreichen Aktionen wie dem Revolutionären 1.<br />
Mai, den Blockupy-Protesten, antifaschistischen<br />
Demonstrationen und Aktionen gegen<br />
Frauenunterdückung und Sozialkahlschlag teil.<br />
Auch der Klassenkampf interessierte sie zunehmend<br />
und sie organisierte sich in der Jugend der<br />
Marxistischen Leninistischen Kommunistischen<br />
Partei (MLKP) der Türkei/ Kurdistan, der KGÖ<br />
(Kommunistische Jugendorganisation). Im Sommer<br />
2013 beteiligte sie sich an einer Delegation, die an<br />
einem politischen Jugendcamp und verschiedenen<br />
Demonstrationen in der Türkei teilnahm.<br />
Im Frühjahr 2014 ging Ivana nach <strong>Rojava</strong> um dort<br />
gemeinsam mit der Bevölkerung vor Ort gegen die<br />
religiös-faschistischen Banden des IS zu kämpfen<br />
und die Bevölkerung vor weiteren Massakern, Mord<br />
und Vergewaltigungen zu schützen. In <strong>Rojava</strong> war<br />
sie Teil einer Einheit internationaler KämpferInnen<br />
aus verschiedenen Ländern Europas, die in den<br />
Reihen der MLKP gegen den IS kämpfen.<br />
Mehr Infos zu Ivana: https://ivanahoffmann.<br />
wordpress.com/<br />
49
und das hat man auch in Amerika gesehen. Daesh ist ein<br />
Problem für die Menschheit und die Menschlichkeit.<br />
Und darum geht es im Kampf der YPG schliesslich und<br />
deswegen hat dieser Kampf auch einen internationalen<br />
Charakter.<br />
Wir haben mittlerweile einige Siege hinter uns. Wir<br />
haben Kobanê erobert, wir haben Girê Spî erobert, wir<br />
haben Şengal von Daesh gereinigt. Wir sind jetzt bei<br />
Minbic und wenn dann die Unterstützung aus <strong>Rojava</strong><br />
zusammenkommen, dann wird auch das ein Erfolg. Bei<br />
unseren Siegen verliert nicht nur der Daesh, sondern auch<br />
die Türkei. Und schliesslich werden auch alle die Länder<br />
verlieren, die Daesh unterstützen, sei dies öffentlich oder<br />
sei dies heimlich. Der Kampf, den wir führen, ist nicht<br />
nur gegen Daesh, sondern auch gegen die kapitalistische<br />
Barbarei in der Welt. Darum kämpfen wir auch nicht nur<br />
gegen Daesh, wir kämpfen auch gegen den Kapitalismus<br />
und gegen den Imperialismus.<br />
Daesh hat mittlerweile viel Kraft verloren. Darum<br />
suchen sie auch nach neuer Unterstützung. Darum<br />
machen sie auch solche Angriffe wie in Amerika, wie in<br />
Frankreich oder in Belgien. Sie versuchen damit unter<br />
den islamischen Völkern Propaganda zu machen, sie<br />
versuchen deren Gedanken zu verändern. Sie versuchen<br />
die Barbarei und den Islam zusammen zu bringen. Das<br />
ist aber für die islamischen Menschen, die einen richtigen<br />
Glauben zum Islam haben, eine Beleidigung.<br />
Das sieht man ja eigentlich auch in <strong>Rojava</strong>. Alle<br />
Muslime, alle SyrierInnen, das ganze ezidische Volk,<br />
alle alevitischen Völker, alle SchiitInnen, sie alle<br />
können eigentlich zusammen leben. Das ist ein seltenes,<br />
alternatives Leben. Und genau das meinen wir, wenn wir<br />
sagen, dass die Völker eigentlich Brüder und Schwestern<br />
sind. Aber der Staat und der Kapitalismus produzieren<br />
ein Denken, das dem widerspricht. Diese Ursachen zu<br />
kennen ist wichtig.<br />
Ein letzter Punkt ist die Frage der internationalen<br />
Solidarität. Was ist ihre Bedeutung und was ist die<br />
beste Form von Solidarität für revolutionäre Kräfte?<br />
Es gibt viele Möglichkeiten für Solidarität. Eine<br />
Möglichkeit ist zum Beispiel zum Ort der Revolution<br />
zu kommen und mitzuhelfen. Dabei gibt es unzählige<br />
Möglichkeiten; sie dies im Krieg, im Hospital, oder sonst<br />
wo, man kann beim Aufbau mithelfen, unterstützen,<br />
für die Revolution kämpfen und die Revolution<br />
schützen. Das ist notwendig, denn diese ist für alle<br />
RevolutionärInnen ein Schatz, ein Schatz für die Welt,<br />
wenn ich das so ausdrücken darf. Daher ist es wichtig,<br />
dass wir einen Teil hierzu beitragen.<br />
Das ist eine Möglichkeit der Solidarität. Die andere ist<br />
natürlich finanzielle Hilfe und Hilfe mit Medikamenten.<br />
Auf der anderen Seite ist es auch wichtig in anderen<br />
Ländern zu berichten und Kundgebungen zu machen.<br />
Wir müssen <strong>Rojava</strong> bei allen Menschen und bei allen<br />
Völkern zum Thema machen, damit die Menschen sehen,<br />
hier geschieht etwas Wichtiges, hier kämpfen Menschen<br />
für etwas Gutes, hier müssen wir mitmachen und hier<br />
müssen wir uns solidarisieren.<br />
Unser Ziel im Freiheitsbataillon ist es, dass wie<br />
damals, als in Spanien gegen den Faschismus von<br />
Franco gekämpft wurde, auch in diesem Krieg eine<br />
internationale Solidarität aufgebaut wird. Ich denke, das<br />
hier ist für die RevolutionärInnen ein Aufbauprozess, bei<br />
dem man mitarbeiten sollte. Wichtig ist schlussendlich,<br />
dass man das irgendwie tut, egal wie.<br />
Letztlich sind wir hier aber nicht die Feuerwehr. Wir<br />
zünden hier das Feuer an! Wir zünden es in der ganzen<br />
Welt an aber in dem Feuer wird nur der Kapitalismus<br />
verbrannt, nicht die Welt der Arbeiter und Arbeiterinnen<br />
und die Welt der unterdrückten Völker. Das hier ist ein<br />
gutes Feuer und da ist es wichtig, dass wir praktische<br />
Solidarität aufbauen.<br />
50
Moah & Rohat<br />
«Wir sind mit dem Ziel nach <strong>Rojava</strong> gegangen,<br />
von dieser Bewegung zu lernen und das war<br />
auch der Grund, warum wir zuerst ins Tabûr<br />
der YPG gegangen sind. Wir wollten sehen,<br />
wie sie sich organisieren, wie das Ganze dort<br />
funktioniert.»<br />
Wir würden gerne von euch erfahren, was<br />
eure politischen Biographien sind und worin die<br />
Motivation bestand, nach <strong>Rojava</strong> zu gehen.<br />
Moah: Ich bin seit etwa zehn Jahren politisch aktiv.<br />
Ich war in verschiedenen anarchistischen Gruppen<br />
aktiv. Das heisst aber nicht unbedingt, dass ich mich<br />
als Anarchist sehe.<br />
Das Ziel, mit dem ich nach <strong>Rojava</strong> gegangen bin,<br />
war zu lernen was es heisst, einen revolutionären<br />
Prozess in der Praxis zu führen. Zudem ging es mir<br />
darum, von den Prozessen in <strong>Rojava</strong> zu lernen und<br />
dadurch Sachen in die Schweiz zurück nehmen zu<br />
können, um auch hier die Bewegung zu unterstützen<br />
und zu fördern.<br />
Rohat: Ich stamme aus einer Familie, die schon in<br />
Lateinamerika gegen das Regime ihres Heimatlandes<br />
gekämpft haben. Meine Familie war immer schon<br />
sehr politisch und so bin ich auch in ein politisches<br />
Klima hinein geboren. Dadurch bin ich auch in<br />
verschiedenen anarchistischen, antifaschistischen<br />
und antikapitalistischen Gruppen aktiv gewesen.<br />
Ich habe auch mal versucht, einer Partei beizutreten<br />
aber da es hier keine richtigen revolutionären<br />
Parteien gibt, dauerte das nur kurz.<br />
Die Motivation nach <strong>Rojava</strong> zu gehen, war dieselbe,<br />
wie der Genosse vorhin gesagt hat. Dazu kommt,<br />
dass wir einfach die Möglichkeit gehabt haben jetzt<br />
nach <strong>Rojava</strong> zu gehen und dass ich keine Familie<br />
habe und keine zu starken Bindungen, die mich hier<br />
halten würde. Zudem sehe ich es als Revolutionär<br />
auch als meine Pflicht an, von anderen Bewegungen<br />
zu lernen.<br />
Habt ihr euch zusammen vorbereitet, gab es einen<br />
kollektiven Prozess, der zu dieser Entscheidung<br />
geführt hat?<br />
Moah: Wir haben uns natürlich vorbereitet, wir<br />
haben mit unseren GenossInnen gesprochen und<br />
diskutiert, wie wir uns vorbereiten können. Wir<br />
haben auch eine Art Notfallteam organisiert, wo wir<br />
besprochen haben, was in einem Krisenfall alles<br />
gemacht werden müsste. Wir mussten natürlich<br />
auch alltägliche Dinge organisieren, beispielsweise<br />
Fragen nach den Wohnungen und Arbeitsplätzen der<br />
Genossen. Es waren natürlich nicht alle GenossInnen<br />
informiert. Aber die Leute, die informiert waren,<br />
bei denen gab es auch einen kollektiven Prozess.<br />
Dadurch haben sich mehrere Menschen mit unserer<br />
Reise und der Rückkehr beschäftigt.<br />
Was habt ihr aus diesem Prozess gelernt? Und habt<br />
ihr Tipps für andere Menschen, die einen solchen<br />
Prozess durchmachen wollen?<br />
Moah: Was die politische Vorbereitung betrifft,<br />
standen wir etwa zwei Jahre lang in Kontakt mit<br />
den kurdischen GenossInnen. Wir haben ihre<br />
politischen Texte gelesen und diskutiert und haben<br />
uns so auf die Philosophie und auf die Theorien,<br />
die uns in <strong>Rojava</strong> erwarteten, vorbereiten können.<br />
Was wir sicher verbessern würden, ist vor allem ein<br />
praktischer Punkt: Man sollte unbedingt die Sprache<br />
lernen, bevor man geht. Zumindest ansatzweise,<br />
sodass man schon ein bisschen Kurdisch oder<br />
Türkisch sprechen kann. Damit wäre vieles viel<br />
einfacher gewesen, um in <strong>Rojava</strong> einen Lernprozess<br />
zu erleben. Wenn man die Sprache spricht, hat man<br />
auch Zugang zu den theoretischen Diskussionen, zu<br />
den Texten, die sie dort schreiben und so weiter.<br />
Rohat: Was die Rückkehr betrifft, da müsste man<br />
51
sich auch besser vorbereiten. Wir waren ja ziemlich<br />
lange dort und dann müsste man vorbereiten,<br />
wie man wieder in ein normales Leben kommt.<br />
Wir haben unsere Wohnungen und auch unsere<br />
Arbeitsstellen aufgegeben und da ist es schon<br />
schwierig, sich nach so einer Reise wieder zu<br />
integrieren. Was vor allem auch noch wichtig ist, ist<br />
die psychologische Unterstützung von GenossInnen,<br />
die zurückkommen, sowohl die Unterstützung von<br />
Leuten, die Kriegshandlungen mitgemacht haben<br />
aber auch solche, die das nicht gemacht haben. Es<br />
ist sehr wichtig, dass die Leute, die zurückkommen,<br />
psychologisch unterstützt werden.<br />
Ihr habt euch entschieden nach <strong>Rojava</strong> zu gehen<br />
und euch dort dem militärischen und nicht dem zivilen<br />
Bereich anzuschliessen. Was war eure Motivation?<br />
Moah: Also ich beginne zuerst mit einer eher<br />
persönlichen Motivation, warum ich in den<br />
militärischen Bereich gegangen bin. Ich wollte vor<br />
allem sehen, wieweit ich bereit bin zu gehen, auch<br />
militärisch. Wenn man hier in Europa am Kampf<br />
beteiligt ist, dann ist es irgendwie immer einfach<br />
zu sagen, ich bin ein Revolutionär. Aber das dann<br />
auch in einer militärischen Auseinandersetzung<br />
zu überprüfen, wie weit ich überhaupt bereit bin<br />
zu gehen, ist nochmals etwas anders. So war das<br />
für mich so eine Art Test der Praxis. Zudem ist<br />
der militärische Bereich auch eine Vorbereitung,<br />
wenn es bei uns vielleicht auch einmal zu einer<br />
militärischen Auseinandersetzung kommen wird.<br />
<strong>Rojava</strong> ermöglicht hier Erfahrungen, wie auch<br />
im militärischen Bereich revolutionäre Elemente<br />
einfliessen können, beispielsweise das Erlebnis, wie<br />
man sich militärisch organisieren kann, ohne dass<br />
es zu Unterdrückung und Ausbeutung wie in einem<br />
bürgerlichen Militär kommt.<br />
Rohat: Ich schliesse mich betreffend der Motivation<br />
dem Genossen an. Dazu kann man vielleicht<br />
noch sagen, was der Unterschied zwischen dem<br />
militärischen und dem zivilen Bereich ist. Im<br />
militärischen Bereich muss man sich noch fester<br />
hineingeben, noch stärker in der Politik mitarbeiten.<br />
Auch wollte ich unbedingt vermeiden, dass ich<br />
in die humanitäre Hilfe abschweife. Ich hatte<br />
wirklich keine Lust den Leuten dort mit Mitleid<br />
Brot zu verteilen. Ich wollte ein Teil von dieser<br />
revolutionären Bewegung sein, ohne Mitleid und<br />
Geschenke verteilen zu müssen.<br />
Ihr seid dann losgezogen. Zuerst habt ihr eine<br />
Ausbildung bei YPG gemacht und danach wart ihr<br />
im Internationalen Bataillon. Das Internationale<br />
Bataillon ist ja auch bekannt dafür, dass es versucht<br />
die revolutionäre Solidarität von Europa noch <strong>Rojava</strong><br />
und wieder zurück zu tragen. Wie habt ihr euch da<br />
zurechtgefunden?<br />
Moah: Es ist wichtig zu betonen, dass es<br />
einen Unterschied zwischen der YPG und dem<br />
Internationalen Bataillon gibt. Die YPG ist eine<br />
Massenorganisation und zieht viele Leute an, die<br />
bislang keine politische Formierung hatten. Darum<br />
ist die Frage der Ausbildung auch in theoretischen<br />
Fragen viel wichtiger als im Internationalen<br />
Bataillon, wo vielfach Leute sind, die schon eine<br />
lange politische Formierung hinter sich haben.<br />
Dabei ist es egal, ob sie aus Westeuropa oder nicht<br />
kommen. Aber jedenfalls sind die Leute schon<br />
stark politisch formiert, haben viel Theoriewissen<br />
und so weiter und sind teilweise auch schon wegen<br />
politischen Sachen im Gefängnis eingesessen oder<br />
waren in verschiedenen politischen Organisationen<br />
aktiv.<br />
Wir sind ja mit dem Ziel nach <strong>Rojava</strong> gegangen,<br />
von dieser Bewegung zu lernen und das war auch<br />
der Grund, warum wir zuerst ins Tabûr der YPG<br />
gegangen sind. Wir wollten sehen, wie sie sich<br />
organisieren, wie das Ganze dort funktioniert. Auf<br />
einer persönlichen Ebene kann ich sagen, dass ich<br />
mich mit den Leuten im Internationalen Bataillon<br />
irgendwie näher verbunden fühlte. Einfach aus<br />
dem Grund, weil die eine ähnliche politische und<br />
persönliche Laufbahn hinter sich hatten. Weil sie<br />
entweder vorher StudentInnen, Lehrlinge oder<br />
ArbeiterInnen waren und dann damit begonnen<br />
haben, sich politisch zu formieren. Dies im Gegensatz<br />
zu vielen Leuten, die in der YPG organisiert sind.<br />
Die haben sich oft angeschlossen, um ihr Land zu<br />
verteidigen, was einer ganz anderen Art der eigenen<br />
politischen Formierung entspricht.<br />
Könnt ihr vielleicht kurz erzählen, wann ihr<br />
in <strong>Rojava</strong> gewesen seid und welche wichtigen<br />
Operationen in dieser Zeit gelaufen sind.<br />
Moah: Wir waren von Ende 2015 bis im Sommer<br />
2016 da. Das war eine Zeit zwischen den grossen<br />
Operationen. Die Operation in Şedade war gerade<br />
zu Ende und es war die Zeit der Vorbereitung der<br />
Operation in Minbic. Wir erlebten also eine ruhigere<br />
und stabilere Zeit zwischen zwei Operationen. Wir<br />
sind dann auch kurz vor dem Beginn der Minbic-<br />
Operation wieder zurückgekommen.<br />
52
Was für Erfahrungen könnt ihr mitbringen für<br />
den revolutionären Prozess hier?<br />
Moah: Es gibt natürlich sehr viele Sachen, die wir<br />
zurückgebracht haben und ich werde mich hier<br />
etwas beschränken. Zuerst einmal kann man sagen,<br />
dass wir von den kurdischen Bewegungen lernen<br />
können. Dass wir hier im Westen nicht die Weisheit<br />
mit Löffeln gefressen haben. Dass wir nicht der Welt<br />
beibringen müssen, wie ein revolutionärer Prozess zu<br />
funktionieren habe. Was wir auch gesehen haben, ist,<br />
wie wichtig die Organisation ist. Wir können keine<br />
diffuse Organisierung haben, damit es funktioniert.<br />
Es braucht ein gewisses Mass an Zentralisierung<br />
in der Organisierung, um erfolgreich zu sein und<br />
das ist eben auch ein Punkt aus der militärischen<br />
Erfahrung, die wir zurückbringen.<br />
Was wir auch gelernt haben, ist wie wichtig die<br />
Vorbereitung auf den Moment, auf das Eintreffen der<br />
Revolution ist. Wir hier im Westen haben oft ein zu<br />
grosses Interesse am Aufstand, an der Insurrektion<br />
selber und sehen zu wenig, wie viel Vorbereitung<br />
das alles eigentlich braucht. Bei der kurdischen<br />
Bewegung ist das anders. Schon bevor der Krieg<br />
in Syrien, der Bürgerkrieg und die Revolution<br />
ausgebrochen sind, gab es sehr viele Strukturen<br />
und Institutionen, die funktionierten. Einerseits<br />
militärische Strukturen aber auch Strukturen der<br />
Bildung, der Räte und so weiter. Es gab auch eine<br />
jahrelange Vorbereitung auf den entscheidenden<br />
Moment.<br />
Im Norden von Syrien wurden solche Strukturen<br />
schon seit gut 20 Jahren aufgebaut. Daher bestanden<br />
zum Zeitpunkt der Revolution schon effektive<br />
Strukturen, die verankert waren in der Bevölkerung<br />
und die dann nur noch eingesetzt wurden. Dort wo<br />
der syrische Staat das Gebiet aufgegeben hat, konnte<br />
man einfach den syrischen Staat mit revolutionären<br />
Strukturen ersetzen. Und man sieht ja aktuell wie<br />
gut das funktioniert hat, dass der Norden von Syrien<br />
als Gebiet jetzt einfach am besten funktioniert.<br />
Rohat: Ebenso interessant ist, dass der ganze Prozess<br />
auch im Zivilen langsam vor sich geht. Es wird<br />
nicht versucht, Dörfer oder das Land zwangsweise<br />
zu kollektivieren. Es wird versucht, möglichst<br />
wenig Zwang anzuwenden. Den Menschen wird<br />
Zeit gelassen. Zum Beispiel wird so gearbeitet,<br />
dass in einem Dorf, wo die Kollektivierung gut<br />
funktioniert, diese gefördert und erst dann auch<br />
in einem Nachbardorf, wo die Kollektivierung<br />
vielleicht nicht so gut funktioniert, eingeführt wird.<br />
Das funktionierende Dorf soll so als Beispiel dienen,<br />
um zu zeigen, wie gut und wichtig Kollektivierung<br />
ist.<br />
Moah: Auch sind wir durch unsere Reise in<br />
Kontakt mit anderen Gruppen bei uns hier in Europa<br />
getreten und wir haben neue Anknüpfungspunkte<br />
gefunden. Ich denke es ist sehr wichtig, dass die<br />
Organisationen hier in gewissen Punkten ihren<br />
Kampf verbinden. Das kann man ja auch in den<br />
verschiedenen Regionen Kurdistans sehen, wo<br />
sich viele Organisationen zusammentun, obwohl<br />
sie nicht die gleichen Ziele haben. Aber sie haben<br />
genug gemeinsame Ziele, um sich zu Bündnissen<br />
zusammenzuschliessen und zusammen zu kämpfen.<br />
53
Lions of <strong>Rojava</strong><br />
«Die seit der Schlacht um Kobanê errungenen<br />
Siege zeigen, dass Daesh mitnichten unbesiegbar<br />
ist, vor allem aber zeigen sie den<br />
ungebrochen Willen der Revolutionär*innen<br />
Kurdistans und Syriens, die gewaltige Überzeugung,<br />
die hinter dieser Revolution steht»<br />
Wer sind die Lions, aus welchem Kontext heraus<br />
sind sie entstanden, ihre Ziele?<br />
Die Lions of <strong>Rojava</strong> sind primär eine Facebookseite.<br />
Im Herbst 2014 trat Jordan Matson, ein ex-US-Soldat,<br />
als einer der ersten Westler den YPG bei und tauchte<br />
nach einer Verletzung mehrfach in kurdischen und<br />
internationalen Medien auf. Daraufhin kontaktierten<br />
mehr und mehr westliche Ex-Militärs die YPG, um sich<br />
dem Kampf gegen Daesh anzuschließen und die „Lions<br />
of <strong>Rojava</strong>“ wurden als Facebookseite gegründet. Sie<br />
wurde haupsächlich von ZivilistInnen in Bashur geleitet,<br />
die keinen direkten Bezug zur revolutionären Bewegung<br />
hatten. Der Slogan der Seite war „Send Terrorists to<br />
Hell And Save Humanity“ und der Inhalt, ähnlich den<br />
Interviews mit Jordan Matson, sprach vor allem ein<br />
konservatives männliches Publikum an, welches sich<br />
daraufhin aufmachte, das Böse in Gestalt von Daesh<br />
zu bekämpfen. Da die Facebook-Seite zum ersten<br />
Mal einen einfachen Weg nach <strong>Rojava</strong> und zur YPG<br />
eröffnete, wurde sie auch von Linken genutzt, vor allem<br />
AnarchistInnen, die wegen der Revolution und nicht<br />
wegen des Kriegs nach <strong>Rojava</strong> kamen.<br />
Welche verschiedenen Nationalitäten sind darin<br />
vertreten?<br />
Etwa die Hälfte der KämpferInnen kommen aus<br />
Großbritannien und den USA, die andere aus Australien,<br />
Neuseeland, Kanada und allen möglichen europäischen<br />
Ländern, aber auch aus dem Iran, Brasilien, China und<br />
weiteren Staaten.<br />
Welche verschiedenen Organisationen und<br />
politischen Positionen sind darin vertreten? Was<br />
sind die Unterschiede, was ihre Einheit? Wie ist der<br />
Umgang mit den Unterschiedlichkeiten zwischen den<br />
KämpferInnen?<br />
Wie gesagt, „Lions of <strong>Rojava</strong>“ ist der Name einer<br />
Facebookseite. Auch wenn es in den Medien oft so<br />
dargestellt wurde, gibt es keine militärische Einheit,<br />
die unter diesem Namen kämpft. Mensch könnte<br />
sagen, die „Lions of <strong>Rojava</strong>“ sind das Sammelbecken<br />
der Internationalen in der YPG. Die einzige wirkliche<br />
Institution, die man ihnen zuordnen könnte, ist die<br />
Akademie, in der die Freiwilligen von außerhalb<br />
ausgebildet werden.<br />
Der Unterschied zwischen den KämpferInnen ist riesig,<br />
die Bandbreite reicht von anarchokommunistischen<br />
Radikalen bis zu faschistischen Kreuzfahrern. Dies hat<br />
natürlich zu großen Problemen geführt. Mittlerweile<br />
gibt es zum Glück einen besseren Filter, sodass Leute,<br />
die zum AraberInnen töten kommen, nicht mehr<br />
angenommen bzw zurückgeschickt werden, doch<br />
der Schaden ist angerichtet, auch was das Image der<br />
InternationalistInnen in der YPG sowohl hier als auch<br />
außerhalb angeht.<br />
Es entstehen immer mehr Frauen-Teams in den<br />
verschiedensten Bataillonen. Wie sieht dies bei euch<br />
aktuell aus, wie perspektivisch aus?<br />
Unter den Lions gibt es im Moment allenfalls genug<br />
Frauen für ein Team. Diese kämpfen allerdings einzeln<br />
oder mit anderen Internationalisten in regulären YPG/<br />
YPJ-Einheiten.<br />
Was ist das Verhältnis zwischen dem poltischen<br />
und strategisch/militärischen Charakter eures<br />
Battalions? Wie können revolutionäre Ansätze<br />
Eingang ins Militärische finden?<br />
Die Lions of <strong>Rojava</strong> haben keine eigene Organisation,<br />
sie sind, zumindest theoretisch, ein regulärer Teil der<br />
YPG. Die Facebookseite und die Webseite, die seit<br />
Sommer 2015 existiert, unterliegen mittlerweile der<br />
YPG. Die Leute, die über diese Portale nach <strong>Rojava</strong><br />
kommen, durchlaufen ein Basistraining in der Şehîd-<br />
Kemal-Akademie, die für internationale Freiwillige in<br />
der YPG gegründet wurde, und gehen dann in reguläre<br />
54
YPG-Einheiten an der Front, meistens in Teams oder<br />
Taqims mit anderen Internationalen, um das Übersetzen<br />
zu vereinfachen.<br />
Die Ausbildung dauert in der Regel einen Monat und<br />
besteht zur Hälfte aus militärischer, zur Hälfte aus<br />
ideologischer Bildung. Zu Letzterer gehören mehrtägige<br />
Seminare über die Geschichte der Frau und die des<br />
Mittleren Ostens, den Demokratischen Konföderalismus<br />
und den Moralkodex der YPG.<br />
Auf welche militär-strategischen TheoretikerInnen<br />
und historische Erfahrungen bezieht ihr euch?<br />
Aufgrund der hohen Diversität ist die Grundlage der<br />
Militärtheorie, die in der Akademie unterrichtet wird,<br />
eine abgehalfterte Version der allgemeinen YPG-Taktik<br />
und beruht vor allem auf den Erfahrungen des Guerrilla-<br />
Krieges in den anderen Teilen Kurdistans, doch seit<br />
etwa einem Jahr auch auf den jüngeren Erfahrungen<br />
des Häuserkampfes in Aleppo und Kobanê, sowie zu<br />
einem begrenzten Maße auf dem Wissen der westlichen<br />
Ex-Soldaten, von denen viele in Afghanistan und Irak<br />
gekämpft haben.<br />
Erlaubt der militärische Charakter und Einsatz<br />
des Battalions politische Debatten zwischen den<br />
verschiedenen Positionen die im Battalion vertreten<br />
sind? Wir meinen nicht, „simple“ Diskussionen<br />
zwischen KämpferInnen, sondern organisierte<br />
Debatten. Wenn ja: Wie werden diese organisiert,<br />
was ist das Hauptthema?<br />
Auf Wunsch der Rekruten fanden mehrfach organisierte<br />
Debatten in der Akademie statt. Die beiden Themen,<br />
die am häufigsten diskutiert wurden, waren zum einen<br />
die Praxis des revolutionären Systems in <strong>Rojava</strong><br />
(Funktioniert es? Funktioniert es nicht? Wie sind<br />
Politik und Wirtschaft organisiert? Was ist der Plan<br />
für die Zukunft?), und zum anderen die Ethik der YPG<br />
(kommunales Miteinander, Autonomie der Frauen, die<br />
Rolle von Kadern als „BerufsrevolutionärInne“, das<br />
Tekmil-System). An diesen Debatten nahmen auch<br />
regelmäßig politische KommissarInne der YPG und<br />
KommandantInnen aus anderen Teilen <strong>Rojava</strong>s teil, um<br />
die Fragen der Teilnehmenden zu beantworten.<br />
Wie funktioniert die politische Arbeit innerhalb<br />
des Bataillons? Gibt es Akademien, politische<br />
Diskussionen?<br />
An der Front gab es kaum politische Arbeit in den<br />
internationalen Teams, vor allem aufgrund der<br />
Sprachbarriere. Auch beschreiben sich die RekrutInnen<br />
zum großen Teil als „unpolitisch“ - einige von ihnen<br />
wussten absolut nichts über die Situation, als sie hier<br />
ankamen, und dachten, sie würden den Pêşmerga<br />
beitreten. Daher geht es vor allem darum, überhaupt<br />
ein Bewusstsein für politische Ethik, die Werte der<br />
Revolution und den Gesellschaftsentwurf <strong>Rojava</strong>s zu<br />
schaffen. In der Akademie habe ich ein Portrait von<br />
Thomas Sankara aufgehängt mit einem Zitat von ihm:<br />
„Ein Soldat ohne politische oder ideologische Bildung<br />
ist ein potentieller Krimineller.“<br />
Welches Verhältnis haben die verschiedenen<br />
Bataillone zueinander und welche Rolle spielt<br />
dabei die YPG? Gibt es Zusammenschlüsse an der<br />
Front, oder unabhängige Operationen? Wenn ja,<br />
welche und warum? Zum Beispiel stellen wir uns<br />
vor, dass die Lions durch ihre internationalistische<br />
Herangehensweise eine grosse Bedeutung haben.<br />
Alle Einheiten mit internationalen KämpferInnen<br />
gehören in letzter Instanz den YPG an. Wie bereits<br />
erwähnt, kämpfen die „Lions of <strong>Rojava</strong>“-RekrutInnen<br />
meist in internationalen Teams als Teil regulärer YPG-<br />
Tabûrs. Eine Ausnahme ist das Tabûr Şehîd Bagok, auch<br />
als 22-3-Tabûr bekannt, als Referenz zu dem Datum,<br />
an dem Bagok Serhat letztes Jahr als erster westlicher<br />
Kämpfer fiel. Es besteht ausschließlich aus Westlern,<br />
hauptsächlich Ex-Soldaten, die über die Lions of <strong>Rojava</strong><br />
herkamen. Deshalb ist seine Praxis eng an die der<br />
NATO-Armeen angelehnt, es kämpft aber ebenfalls als<br />
mehr oder weniger reguläre YPG-Einheit.<br />
Insgesamt werden viele Internationale nie an vorderster<br />
Front eingesetzt, vor allem wegen fehlender sprachlicher<br />
und militärischer Fähigkeiten. Andere wiederum haben<br />
sich bewiesen und sind Teil der mobilen Einheiten,<br />
Artillerie- und Scharfschützen-Tabûrs geworden, welche<br />
die Hauptkraft jeder YPG-Offensive sind.<br />
Haben die Lions neben militärischen auch<br />
politische oder gesellschaftliche Aktivitäten mit den<br />
Menschen in <strong>Rojava</strong>? Welche und mit welchem Ziel?<br />
Mittlerweile haben einige Internationale, vor allem<br />
jene, die aus politische Gründen kamen, die Front<br />
verlassen, um mehr über die eigentliche Revolution zu<br />
erfahren. Sie arbeiten in verschiedenen Projekten in<br />
der Zivilgesellschaft. Als Schwerpunkte können hier<br />
Medienarbeit und Medizin genannt werden. Es gibt<br />
mittlerweile mehrere Initiativen von sozialistischen und<br />
anarchistischen Kräften, die sich politischer und sozialer<br />
Arbeit in <strong>Rojava</strong> gewidmet haben, diese haben aber nur<br />
indirekt mit den Lions zu tun.<br />
Welche anderen internationalistischen Einheiten<br />
sind in <strong>Rojava</strong>, was ist das Besondere an ihnen, ihrer<br />
politischen Motivation, ihren Beziehungen zu euch<br />
und der YPG / J.<br />
Das sind vor allem türkische MarxistInnen, allen<br />
voran das Internationale Freiheitsbatallion und die<br />
anderen Einheiten der MLKP, doch auch viele kleinere<br />
55
Gruppen, wie MLSPB, BÖG und weitere. Außerdem<br />
befinden sich die „Libertarias“-Brigaden internationaler<br />
AnarchistInnen im Aufbau, diese haben bisher allerdings<br />
noch nicht an Kämpfen teilgenommen.<br />
Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Einheiten<br />
sind generell gut. Politische Differenzen, die uns unter<br />
anderen Umständen, zum Beispiel in Europa, auseinander<br />
treiben würden, spielen hier eine viel kleinere Rolle.<br />
Hier verfolgen wir ein gemeinsames Ziel, und wichtiger<br />
noch, wir stehen Seite an Seite einem faschistischen<br />
Feind gegenüber. Das schafft Vertrauen, welches unter<br />
anderen Umständen nicht möglich wäre. Auch hilft es<br />
sehr, das keine der kämpfenden internationalen Gruppen<br />
irgendwelche Machtansprüche in <strong>Rojava</strong> erhebt.<br />
Wie würdet ihr die politisch-militärische Strategie<br />
der Kräfte von <strong>Rojava</strong> gegen die Daesh definieren?<br />
Daeshs mächtigste Waffe sind die Medien. Ihre<br />
größten militärischen Erfolge errangen sie ohne großen<br />
Widerstand seiner GegnerInnen. Durch ihre geniale<br />
Propaganda stilisierten sie sich, mit Hilfe der großen<br />
internationalen Mediennetzwerke, zu unbesiegbaren und<br />
erbarmungslosen Kriegern Gottes, ein Image, das viele<br />
unbezahlte Soldaten und deren korrupte Kommandanten<br />
von Mossul bis Raqqa zur Flucht oder zum Überlaufen<br />
trieb. Die eigentichen Schlachten sind meist kurz,<br />
Daesh zermürbt seine Gegner mit äußerst wirksamer<br />
psychologischer Kriegsführung. Es ist buchstäblich die<br />
Kunst des Terrors, die sie beherrschen.<br />
Der Grund, warum die YPG und YPJ und ihre Verbündeten<br />
als einzige Kampfverbände wirklich erfolgreich gegen<br />
Daesh sind, ist zum Einen ihre taktische Flexibilität,<br />
zum Anderen ihre ideologische Kraft. Die Taktiken von<br />
YPG und Daesh sind sich zum Teil sehr ähnlich - kleine<br />
Gruppen, mobile Kampfverbände, Guerrillakampf –<br />
beide kämpfen für ein klares Ziel und gemäß einer<br />
mächtigen Philosophie. Vor allem aufgrund ihrer starken<br />
ethischen Grundlage können die YPG dem psychischen<br />
und physischen Terror von Daesh standhalten. Die<br />
Armeen von Damaskus und Baghdad kämpfen für die<br />
Interessen von Regierungen, die nichts mit denen ihrer<br />
Soldaten zu tun haben. Zwang und Sold sind keine<br />
Motivationen gegen die Versprechen und Drohungen<br />
von Daesh.<br />
Eine wichtige Strategie ist die Beteiligung arabischer<br />
Kräfte, um mit dem Sektarianismus der syrischen<br />
Opposition zu brechen. Die YPG als Teil der Kräfte des<br />
Demokratischen Syriens (QSD) kämpfen momentan<br />
hauptsächlich außerhalb kurdisch besiedelter Gebiete.<br />
Eine kurdisch-arabische Allianz ist unerlässlich für die<br />
kommenden Offensiven gegen Minbej, Azaz und Raqqa.<br />
56
Was macht der Erfolg der Kämpfe gegen Daesh in<br />
seinem gesamten Kontext heraus betrachtet aus?<br />
Daesh ist an seiner nördlichen Front zurückgeschlagen<br />
worden, doch weit entfernt davon, besiegt zu sein.<br />
Nachdem seine Angriffe wieder und wieder von YPG<br />
und QSD zurückgeschlagen wurden, hat sich Daesh<br />
vermehrt auf klassischen Terror verlegt. Im letzten Jahr<br />
wurden hunderte Menschen bei Anschlägen in Hasakeh,<br />
Kobanê, Girê Sipî, Til Temir, Qamişlo und weiteren<br />
Orten in <strong>Rojava</strong> getötet.<br />
Die seit der Schlacht um Kobanê errungenen Siege<br />
zeigen, dass Daesh mitnichten unbesiegbar ist, vor<br />
allem aber zeigen sie den ungebrochen Willen der<br />
RevolutionärInnen Kurdistans und Syriens, die<br />
gewaltige Überzeugung, die hinter dieser Revolution<br />
steht, die entgegen aller Wahrscheinlichkeiten in <strong>Rojava</strong><br />
stattfindet. Oft sagt man hier, dass unsere Gefallenen<br />
uns den Weg weisen. Mittlerweile weiß ich, was das<br />
bedeutet. Ihre Hoffnung und ihr Kampfgeist lebt mit uns<br />
weiter. Niemals werden wir das Ziel verraten, für das sie<br />
gestorben sind.<br />
Was ist die politisch-militärische Strategie der<br />
Kräefte von <strong>Rojava</strong> gegen die aktuelle Intervention<br />
der Türkei?<br />
Deeskalation. Der türkische Staat hat seine Provokationen<br />
über die letzten Jahre Schritt um Schritt erhöht. Von<br />
immer offenerer Unterstützung für Daesh, über die<br />
Massaker in Bakur - oft unmittelbar an der Grenze zu<br />
<strong>Rojava</strong>, wie in Nisêbîn und Cizre – zu Bombardements<br />
auf YPG-Stellungen über die Grenze hinweg. Die YPG<br />
haben auf diese Angriffe wenn überhaupt ausschließlich<br />
defensiv reagiert. Der Staat will einen Vorwand, um in<br />
<strong>Rojava</strong> einmarschieren zu können, und wir werden nicht<br />
so dumm sein, ihm einen zu geben.<br />
Gibt es eine strategische Verbindung zwischen<br />
dem Kampf für die Befreiung von <strong>Rojava</strong> und dem<br />
revolutionären Kampf in der Türkei?<br />
Selbstverständlich. Beide Kämpfe sind untrennbar<br />
miteinander verbunden. Die Revolte in Bakur wäre nicht<br />
möglich gewesen ohne den Erfolg von <strong>Rojava</strong>, und der<br />
Ausgang des Krieges dort wird entscheidend sein für<br />
die Zukunft von <strong>Rojava</strong> und des konföderalen Mittleren<br />
Ostens.<br />
Was ist die Rolle und die Bedeutung der<br />
internationalen Solidarität für den Kampf in <strong>Rojava</strong><br />
und für die Lions im Besonderen?<br />
Ohne Unterstützung wird <strong>Rojava</strong> versagen. Soviel<br />
ist sicher. Mehr noch, die Unterstützung muss von<br />
nichtstaatlichen Gemeinschaften kommen. Die Apelle,<br />
die vonseiten der Lions-of-<strong>Rojava</strong>-Veteranen und der<br />
offiziellen Regierung <strong>Rojava</strong>s kommen, richten sich an<br />
Staaten und Regierungen, sie bitten EU, USA und NATO<br />
um Hilfe und internationale Anerkennung. Mit solchen<br />
Freunden kann aber keine Revolution stattfinden.<br />
Mit solchen Freunden werden die Anfänge der freien<br />
Gesellschaft zugunsten eines liberalen Staatsgebildes<br />
aufgegeben.<br />
Die neue Welt muss ohne Staaten und ohne ihre<br />
Hilfe aufgebaut werden. Deshalb ist die Solidarität<br />
von Individuen, Organisationen und Netzwerken,<br />
die die Ideale des Demokratischen Konföderalismus<br />
unterstützen, jetzt wichtiger denn je.<br />
Die Existenz der internationalen Bataillone<br />
erinnern uns an das Engagement der Internationalen<br />
Brigaden in Spanien. Wie seht ihr diesen Bezug?<br />
Wir sehen diesen Bezug oft und gerne. Und mit<br />
„wir“ meine ich hier so ziemlich alle internationalen<br />
GenossInnen, denen ich in der YPG begegnet bin.<br />
Zweifelsohne ist die Lage hier quantitativ ernüchternd.<br />
Statt zehntausender Freiwilliger binnen Monaten ein<br />
paar hundert amerikanischer Kriegstouristen in fünf<br />
Jahren. Syrien scheint europäischen Linken zu weit<br />
weg und die Revolution dort nicht unmittelbar oder<br />
echt genug zu sein, um dafür sein Leben auf Spiel zu<br />
setzen oder auch nur das komfortable Großstadtleben<br />
aufzugeben. In jedem Fall ist es ein Armutszeugnis für<br />
uns als internationale RevolutionärInnen.<br />
Tatsächlich ist die Realität der YPG erstaunlich nah an<br />
der der RevolutionärInnen von 1936. Unheimlich viel<br />
von dem, was George Orwell in „Mein Katalonien“<br />
niedergeschrieben hat, haben wir fast genauso an der<br />
Front in <strong>Rojava</strong> erlebt – im Guten wie im Schlechten.<br />
Das Ideal der Mujeres Libres wurde von der YPJ<br />
auf eine völlig neue Stufe gehoben. Doch während<br />
es uns Kraft und Hoffnung gibt, uns in der Tradition<br />
unserer GenossInnen von den Barrikaden Barcelonas<br />
(beiderseits) zu sehen, so muss uns gewahr sein, warum<br />
die Revolution in Spanien gescheitert ist, und wir müssen<br />
tun, was nötig ist, um die Fehler von damals nicht zu<br />
wiederholen.<br />
Was wäre der beste Solidaritäts-Beitrag der<br />
europäischen Revolutionsbewegung für die<br />
internationalen Bataillone?<br />
Beitreten. Mittlerweile gibt es Solidaritätsgruppen und<br />
Netzwerke auf aller Welt, doch weil so wenige tatsächlich<br />
mehr als ein paar Wochen nach <strong>Rojava</strong> gekommen<br />
sind, entfalten so viele der Initiativen keine langfristige<br />
Wirkung. Der Grund, warum es so wenige internationale<br />
Einheiten gibt, ist, dass so wenige KämpferInnen von<br />
außerhalb Kurdistans den Weg auf sich genommen<br />
haben. Von denen, die gekommen sind, sowohl über die<br />
Lions als auch als Teil des Freiheitsbataillons, sind die<br />
57
kapilalistischen System entwickelten.<br />
Ich messe den Erfahrungen des Krieges in Mesopotamien<br />
nur eine bedingte Bedeutung für den Kampf in Europa<br />
bei. Die Erfahrungen, die dort gebraucht werden,<br />
liegen jenseits von Straßenkampf und Autobomben.<br />
Professionelle und klandestine Sabotageakte können<br />
mächtige Werkzeuge europäischer Militanz sein.<br />
Sie müssen Ziele von strategischer Bedeutung<br />
anvisieren, nicht Polizeikasernen und Parteibüros,<br />
sondern empfindliche Punkte in Energie, Produktion,<br />
Kommunikation und Transport. Pipelines, Häfen,<br />
Kraftwerke. Das erfordert natürlich eine äußerst<br />
disziplinierte Untergrundorganisierung und eine starke<br />
revolutionäre Bewegung, die solche Schläge gegen das<br />
System koordinieren und ausnutzen kann.<br />
Habt ihr noch etwas hinzuzufügen? Habt ihr<br />
eine Nachricht an die europäische revolutionäre<br />
Bewegung?<br />
Meisten nur wenige Monate geblieben. Auf diese Weise<br />
werden die internationalen Batallione nicht darüber<br />
hinaus kommen, lediglich Propagandainstrumente zu<br />
sein, und von anderen GenossInnen auch nur als solche<br />
gesehen. Das ist nicht fair. Dutzende InternationalistInnen<br />
haben, als Individuen und in Einheiten, sich mit vollster<br />
Überzeugung dem Kampf angeschlossen, einige sind<br />
als Şehîd gefallen. Wir schulden es ihnen, genauso wie<br />
allen anderen gefallenen GenossInnen, die Verteidigung<br />
der Revolution als unsere unbestreitbare Pflicht zu<br />
sehen und dementsprechend zu handeln. Aufrichtige<br />
Solidarität muss sowohl die Revolution in <strong>Rojava</strong> als<br />
auch die Kämpfe in allen anderen Teilen der Welt nach<br />
vorne bringen und kann, wenn sie ernsthafte Praxis wird,<br />
ein völlig neues revolutionäres Momentum schaffen, das<br />
die Grundfesten der Welt erschüttert.<br />
Wir sind die Jugend einer neuen Welt. Um uns herum<br />
zerbrechen die Grundfesten der kapitalistischen<br />
Moderne wie die Schollen des einst ewigen Polareises<br />
und die letzten Gletscher der heilen westlichen Welt<br />
werden rapide immer kleiner. Das Chaos hat ein globales<br />
Ausmaß erreicht, dem die Allianz aus Kapital und<br />
Staat nicht mehr gewachsen ist. In einem Großteil von<br />
Amerika, Afrika, des Mittleren Ostens, Asiens, und im<br />
Hinterland zahlloser Staaten, herrscht schon lang eine<br />
ganz andere, oder überhaupt keine, Ordnung mehr.<br />
Angesichts dieser Krise dürfen wir aber nicht glauben,<br />
das sie das Ende von Kapitalismus oder Unterdrückung<br />
sein wird. Erscheinungen wie Daesh oder die Mafias im<br />
Ostkongo geben uns bereits einen Vorgeschmack darauf,<br />
wie eine auf das liberale Demokratietheater folgende<br />
Gesellschaftsordnung auch aussehen könnte. Wir dürfen<br />
uns nichts vormachen: Faschistische und totalitäre Kräfte<br />
sind weit besser auf dieses Jahrhundert vorbereitet als<br />
wir es sind. Walter Benjamin sagte einst: „Hinter jedem<br />
Faschismus steht eine gescheiterte Revolution.“ Lasst<br />
uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass diese Revolution<br />
nicht scheitern wird.<br />
Die Erfahrungen, die die internationalen<br />
KämpferInnen in ihr angestammtes Kampfterrain<br />
(z.b. Europa) zurück bringen werden, sollten dem<br />
revolutionären Prozess in den Metropolen zugänglich<br />
gemacht werden … Habt ihr eine Vorstellung, wie<br />
dies geschehen könnte, sollte?<br />
Wenn wir von Europa sprechen, so muss zuerst einmal<br />
ein Plan, eine Vision existieren, und eine Bewegung, die<br />
diese verwirklicht. Nur als Teil einer solchen macht eine<br />
Bewaffnung Sinn. Klar, Stadtguerillas sind sehr cool,<br />
doch wenn wir den Aufstieg und Fall von bewaffneten<br />
linken Kräften in Europa in den letzten Jahrzehnten<br />
analysieren, sehen wir, dass die meisten von ihnen<br />
versagt haben, weil sie keine wirkliche Alternative zum<br />
58
Internationalistin<br />
«Ich glaube, dass wir die Frauen, die schon<br />
organisiert sind, weiter fördern müssen. Wir<br />
müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass<br />
der Kampf für die Befreiung der Frau unsere<br />
Aufgabe ist.»<br />
Du bist vor Kurzem aus <strong>Rojava</strong> zurückgekommen.<br />
Kannst du zu deinem politisch-biographischen<br />
Hintergrund was sagen und was dich dorthin<br />
verschlagen hat?<br />
Ich hatte in meiner Jugend Kontakt zu Gewerkschaften.<br />
Aber es hat mich damals noch nicht wirklich<br />
motiviert, da mitzuarbeiten. Später habe ich dann<br />
die Widersprüchlichkeiten in diesem System erkannt<br />
und habe dann versucht, mich weiter zu informieren.<br />
Dann habe ich angefangen in der antimilitaristischen<br />
Bewegung mitzuarbeiten.<br />
Dazwischen hatte ich auch mal einen Unterbruch,<br />
wonach ich aber wieder in die politische Arbeit<br />
reingekommen bin. Ich glaube dieser Unterbruch war<br />
für mich notwendig, um einen Schritt vorwärts zu<br />
kommen. Ich habe dann ein paar Jahre mitgearbeitet<br />
und irgendwann hat sich das alles so verändert, dass sich<br />
die Bedeutung der politischen Arbeit gesteigert und ich<br />
mit Verantwortung und Bewusstsein da rangegangen<br />
bin. Das war nicht losgelöst von der ideologischen<br />
Entwicklung, die ich gelebt habe.<br />
Ich glaube dieser ideologische Schritt, der für mich<br />
sehr wichtig war, war auch der Entscheidungsgrund,<br />
warum ich nach <strong>Rojava</strong> gehen wollte. Insbesondere<br />
weil wir immer von der Perspektive sprechen. Ich bin<br />
Kommunistin und ich habe eine Perspektive und ein<br />
Ziel, woran ich glaube, ich weiss, dass es viel Arbeit<br />
kostet. Im Mittleren Osten ist eine Revolution passiert<br />
und ich denke, dass wir das nicht nur so sehen sollten,<br />
sondern ich wollte die Revolution lebend erfahren und<br />
von ihr lernen und für mich auch was mitnehmen.<br />
Nachdem ich mich entschieden hatte hinzugehen, war für<br />
mich klar, dass ich im zivilen Bereich arbeiten will. Als<br />
ich dann aber dort war, habe ich meine Ideen geändert<br />
und ich wollte in den militärischen Bereich gehen,<br />
einfach weil Frauen immer in der Reproduktionsarbeit<br />
stecken und ich denke, dass der bewaffnete Widerstand<br />
immer sehr weit entfernt war. Von mir war er vielleicht<br />
besonders entfernt, weil ich eine Frau bin oder weil ich in<br />
Deutschland lebe. Das wollte ich für mich durchbrechen<br />
und aus dieser Rolle rauskommen.<br />
In <strong>Rojava</strong> habe ich unterschiedliche Erfahrungen<br />
gemacht. Zum einen wie es ist, als Frau im bewaffneten<br />
Widerstand zu sein, mit all den Schwierigkeiten, die man<br />
als Frau aber auch mit den Genossinnen oder mit den<br />
Genossen hat. Ich kann sagen, dass das schon ein tiefer<br />
Kampf war, den ich auch mit mir selber geführt habe,<br />
um als Frau eine andere Freiheit zu entwickeln und um<br />
politisch besser agieren zu können.<br />
Bevor ich in <strong>Rojava</strong> war, wusste ich zwar, was diese<br />
Revolution gerade im Mittleren Osten bedeutet, dass sie<br />
eine Perspektive ist, die man unterstützen muss. Aber<br />
ich habe nie so wirklich verstanden, was das für die<br />
Frauenbewegung heisst. Beispielsweise war mir nicht<br />
klar, dass hier wichtige Schritte geschehen, die wir als<br />
Frauen in Europa gar nicht wahrnehmen, die einem aber<br />
mit Stolz erfüllen, wenn man das dann versteht und sieht,<br />
hey, Frauen sind in <strong>Rojava</strong> sowohl im zivilen Bereich aber<br />
auch im militärischen Bereich aktiv. Das gibt Hoffnung<br />
und Kraft, insbesondere zurück in Deutschland.<br />
Mit dem Blick zurück kann man auch feststellen, dass<br />
wir die Unterdrückung, die wir hier tagtäglich erleben<br />
oftmals gar nicht mehr spüren, weil das alles im System<br />
so fest eingebettet ist und wir SklavInnen unserer<br />
Lohnarbeit und unserer Geschlechterrollen sind.<br />
Was ich auf jeden Fall auch mitgenommen habe aus der<br />
Zeit, in der ich in <strong>Rojava</strong> war, ist das Wissen, dass wir<br />
in allem, was wir machen, undogmatischer vorgehen<br />
müssen. Wir müssen zwar unsere Linie behalten aber wir<br />
dürfen nicht so festgefahren sein. Wir müssen in unserer<br />
politischen Arbeit auf Gemeinsamkeiten zurückgreifen,<br />
ein etwas weiteres Blickfeld dafür entwickeln, wie wir<br />
was einbetten können, wie wir eine internationalistische,<br />
antimilitaristische Bewegung stärken können, gerade<br />
jetzt, wo Deutschland oder Europa sich im Rechtsruck<br />
befinden. Wie wir vielleicht auch eine Frauenbewegung<br />
wieder mehr mobilisieren können.<br />
59
Was für Diskussionen hast du in <strong>Rojava</strong> erlebt.<br />
Hast du etwas mitbekommen von der Bewegung<br />
wie sie entstanden ist und wo ihre Grenzen und<br />
Möglichkeiten in der Entwicklung noch liegen?<br />
Mit der YPJ gab es interessante Diskussionen. Es war ja<br />
ein Prozess, wie die YPJ entstanden ist und welche Rolle<br />
die Frau in diesem bewaffneten Widerstand einnahm.<br />
Kriege werden meistens den Männern zugeschrieben<br />
und die YPJ hatte deswegen zu Beginn Schwierigkeiten,<br />
weil es ein grosses Misstrauen den Frauen gegenüber<br />
gab und weil man ihnen das nicht zugetraut hat.<br />
Was sie dort machen und was sich auch bewährt hat, sind<br />
Schulungen über Frauenwiderstände oder Frauen im<br />
bewaffneten Widerstand. Es gab also unterschiedliche<br />
Schulungen, die das Bewusstsein verändern sollten und<br />
das hat sich auf jeden Fall positiv auf die gesamte YPG<br />
ausgewirkt, dies sagen zumindest die Genossinnen vor<br />
Ort.<br />
Ich kann sagen, dass ich die Frauensolidarität, von der<br />
ich in vielen Büchern schon gelesen habe, in <strong>Rojava</strong> am<br />
meisten gespürt habe. Dort existiert ein eindrücklicher<br />
Zusammenhalt, beispielsweise dann, wenn man mit einer<br />
Situation nicht klarkommt oder wenn man eine Waffe<br />
kennenlernen will oder generell in allen Situationen, wo<br />
es schwierig sein kann.<br />
Kannst du das ein bisschen beschreiben, wie das<br />
aussieht und was daran speziell ist?<br />
Zum Beispiel war ich in einer militärischen Ausbildung<br />
die einzige Frau in der Gruppe, das hat sich sicherlich<br />
bemerkbar gemacht. Ich habe immer versucht mein<br />
Bestes zu geben, aber trotzdem hat man immer versucht,<br />
mich zu beschützen oder man wollte mich immer behütet<br />
wissen. Da war immer ein beschützender Charakter<br />
gegenüber mir da und dies während der ganzen Zeit.<br />
Oder man hat mir den Umgang mit einer Waffe nicht<br />
zugetraut. Obwohl ich das mehrfach thematisiert habe,<br />
waren es die Genossinnen, die mich dann unterstützt<br />
haben, indem sie die männlichen Genossen darauf<br />
hingewiesen haben, dass ich das auch schaffen kann.<br />
Solche Sachen sind enorm wichtig, denn selbst wenn ich<br />
was falsch mache, dann lasst es mich falsch machen aber<br />
dann mache ich es vielleicht das nächste Mal richtig und<br />
wenn ich es zweimal falsch mache, dann mache ich es<br />
zweimal falsch. Aber die Option zu haben, etwas falsch<br />
zu machen, um es dann nachher richtig zu machen,<br />
ist wichtig und die Frauen dort, die haben mich dabei<br />
unterstützt, obwohl sie nicht direkt in meiner Ausbildung<br />
waren.<br />
Hast du zusammen mit anderen Frauen gekämpft?<br />
Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen<br />
Internationalistinnen und YPJ in dieser Frage?<br />
Ich hatte auch andere Frauen in meinem Team.<br />
Die Frauen, die an meiner Seite gekämpft haben,<br />
waren organisierte Frauen. Zum Teil haben sie sich<br />
untereinander organisiert, zum Teil haben sie sich in der<br />
Partei organisiert. Der Unterschied zur YPJ ist glaube<br />
ich einfach der, dass die Internationalistinnen schon als<br />
Organisierte mit politischem Bewusstsein kommen. Bei<br />
der YPJ sind es eher die Frauen aus der Bevölkerung,<br />
die teilnehmen, um <strong>Rojava</strong> zu verteidigen oder um als<br />
Kurdinnen gegen diese Unterdrückung vorzugehen.<br />
Ich würde sagen, dass das Bewusstsein, was einem lenkt<br />
oder was einem motiviert, unterschiedlich sein kann. Die<br />
einen treibt der Wunsch nach einem kommunistischen<br />
Gesellschaftsmodell an, die anderen treibt der Drang<br />
nach Freiheit als Kurdinnen an. Aber im Endeffekt ist<br />
es derselbe Kampf, den wir führen und in dem wir uns<br />
auch unterstützen müssen. Zudem will ich betonen, dass<br />
es bei allen Frauen immer eine Bereitschaft gab, Schritte<br />
vorwärts zu gehen und sich zu entwickeln. Ich habe bei<br />
den Frauen immer einen grossen Wunsch gespürt, das<br />
Beste rauszuholen.<br />
Als ich in <strong>Rojava</strong> war, ist mir aufgefallen, dass<br />
die Internationalistinnen begonnen haben, in ihren<br />
Tabûrs Frauenteams aufzubauen. Dies bedeutete für<br />
mich, dass es einen lebendigen Austausch zwischen<br />
Internationalistinen und der YPJ gibt und Ideen<br />
gegenseitig übernommen werden.<br />
Ich stimme dir zu. Bezüglich dem ist es auch wichtig,<br />
dass sich die Frauen untereinander organisieren und<br />
selbstständig planen können. Aber ich finde, dass es auch<br />
gemischt sein muss. Auch damit man sich nicht zu sehr<br />
abkapselt und im Dialog mit den Genossen bleibt, damit<br />
auch dort eine Veränderung stattfinden kann.<br />
Die YPJ hat als Frauenverteidigungseinheit in der<br />
Revolution schon einen starken Punkt gesetzt,<br />
wo jetzt viele darauf zurückblicken oder auf die<br />
Errungenschaften aufschauen. Ich denke, dass man<br />
sich nicht darauf ausruhen kann, dass es nun eine<br />
Frauenverteidigungseinheit gibt, weil auch unter den<br />
Frauen gibt es Frauen, die noch einen rückständigen<br />
Blick auf ihre eigene Rolle haben, oder als Frau noch<br />
rückständige Ansichten haben und das muss man ändern.<br />
Doch dass die Frauen sich organisieren ist wichtig. Denn<br />
ob man dies nun feudale oder kapitalistische Rollenbilder<br />
nennen will, weiss ich nicht, aber diese zu überwinden,<br />
das können Frauen nur mit Frauen machen.<br />
Du bist nun zurück. Wie verarbeitest du das, was dir<br />
Eindruck gemacht hat. Und gibt es Impulse Sachen,<br />
die du in <strong>Rojava</strong> gelernt hast, in die antikapitalistische<br />
Bewegung Europas zurückzutragen?<br />
60
Die Zeit, die ich in <strong>Rojava</strong> gelebt habe, hat mir<br />
nochmal verdeutlicht, warum es notwendig ist, dass<br />
wir antikapitalistische Politik machen und warum wir<br />
internationalistisch arbeiten und denken müssen. Auch<br />
wurde mir nochmals klar, warum es eine antimilitaristische<br />
Bewegung und warum es antifaschistische Arbeit geben<br />
muss und schliesslich auch, warum es wichtig ist, dass<br />
Frauen sich organisieren.<br />
Solange dieses System herrscht, wird es keinen Frieden<br />
geben. Im Mittleren Osten herrscht Krieg, solange der<br />
Daesh noch da ist. Wenn der Daesh irgendwann nicht<br />
mehr da ist, wird irgendwas Neues entstehen. Dies<br />
hängt mit dem System zusammen und ich denke, dass<br />
wir uns gerade in Europa oder in den unterschiedlichen<br />
Ländern, in denen wir leben, organisieren müssen, damit<br />
wir irgendwann perspektivisch als Gegenpol zu diesem<br />
System erscheinen. Das geht nur durch konsequentes<br />
Arbeiten an all den Schwierigkeiten, die wir erleben.<br />
Du hast von der Frauenbefreiung in <strong>Rojava</strong><br />
gesprochen, du hast eine Revolution erlebt und<br />
du hast gesehen, wie sich die Situation der Frau<br />
verändern kann. Welche Lehren ziehst du daraus?<br />
Grundsätzlich glaube ich, dass wir die Frauen, die schon<br />
organisiert sind, weiter fördern müssen. Wir müssen<br />
ein Bewusstsein dafür schaffen, dass der Kampf für die<br />
Befreiung der Frau zu unserer Aufgabe wird. Doch eins<br />
zu eins übertragen, kann man alles das, was ich erlebt<br />
habe, natürlich nicht. Eine wichtige Erfahrung, die ich<br />
in <strong>Rojava</strong> gemacht habe, ist zum Beispiel, dass es einen<br />
Teil Frauen gibt, die in der Revolution voll aufgehen,<br />
mit der Sache aufwachsen und ihre Stimme erheben, um<br />
gemeinsam eine Stimme zu sein. Auf der anderen Seite<br />
gibt es aber noch Frauen, die voll in ihrer alten Rolle<br />
feststecken. Dies kann man vielleicht auf die Situation<br />
in Europa übertragen, indem man sagt, es gibt auch<br />
hier Frauen, die sich durchaus politisch engagieren und<br />
dennoch in alten Rollenbildern festsitzen. Dies gilt es zu<br />
überwinden.<br />
Damit können wir auch nicht mehr warten. Wir müssen<br />
jetzt schon Stück für Stück damit anfangen, indem wir<br />
uns als Frauen trauen Verantwortung zu übernehmen in<br />
Punkten, wo wir vorher immer zurückgeschraubt haben.<br />
Wir dürfen uns nicht mehr den Genossen unterordnen,<br />
weil diese bisher immer irgendwelche Sachen gemacht<br />
haben und wir dachten, wir machen irgendwas falsch.<br />
Wir müssen einen Anspruch an uns entwickeln und<br />
als Frauen sagen, hey ich mach das jetzt, ich will das<br />
machen, ich will an das herangehen und ich will Fehler<br />
machen, damit ich aus den Fehlern lernen kann. Ich<br />
will mich nicht immer zurückstellen, aus Angst vor den<br />
Fehlern. Zu oft wurde uns Frauen eingetrichtert, dass wir<br />
immer alles perfekt machen müssen, um dem Anspruch<br />
an uns zu genügen.<br />
Solche Sachen kann man überwinden. Beispielsweise<br />
kann man als Frau sagen, „hey ich leite in der<br />
Demonstration“, „ich mach die Moderation bei einer<br />
Demonstration“ und so weiter. Dies geschieht, indem<br />
man sich traut, sich unter den Frauen gegenseitig<br />
motiviert, sich auch gegenseitig Mut macht und man<br />
seine eigenen Lehren weitergibt. Aber das ist nicht so<br />
einfach, weil wir zu oft denken, dass wir schon von allen<br />
Rollen, die uns zugesprochen werden, befreit seien, weil<br />
wir keine Kopfbedeckung tragen müssen, Fahrrad fahren<br />
dürfen, Zigarette rauchen dürfen, kommen und gehen<br />
dürfen wann wir wollen und so weiter. Wir fühlen uns<br />
alle befreit, dabei sind wir das gar nicht und das können<br />
wir nur mit Bewusstsein und Kampf verändern.<br />
61
Cûdî, Dilgês & Kemal<br />
« Ich bin bei der YPG wegen ihrer Standpunkte<br />
- ein bisschen das gleiche wie bei Judi -, vor<br />
allem wegen ihrer Toleranz. Toleranz scheint<br />
zur Zeit ein seltenes Gut im Mittleren Osten zu<br />
sein, und hier erscheint es in dieser Hinsich<br />
wie ein strahlendes Licht.»<br />
Könnt ihr uns sagen, wer ihr seid?<br />
Cûdî: Mein kurdischer Name ist Cûdî, ich bin 40 Jahre<br />
alt, in ein paar Tagen jedenfalls, und ich komme aus<br />
England.<br />
Dilgêş: Hallo, ich bin Dilgêş, das ist mein kurdischer<br />
Name. Ich komme aus Kanada und bin 28 Jahre alt.<br />
Kemal: Mein kurdischer Name ist Kemal, Ich bin aus<br />
Amerika, ich bin 28 und ich bin hier, um gegen Daesh<br />
zu kämpfen.<br />
Könnt ihr über eure politische Entwicklung<br />
sprechen und warum ihr hier seid?<br />
Cûdî: Ich bin seit Januar hier, weil ich weitgehend<br />
mit den Grundsätzen von dem, was zur Zeit in <strong>Rojava</strong><br />
passiert, einverstanden bin. Direkte Demokratie,<br />
Gleichstellung der Geschlechter, Pluralismus, Toleranz<br />
für verschiedene Religionen, Kulturen und Glauben und<br />
so weiter. Ich würde nicht sagen, dass ich ein Anhänger<br />
von Öcalan bin. Vor einiger Zeit war ich in ein paar<br />
anarchistischen Gruppen involviert. Jetzt bin ich nicht<br />
wirklich einer Ideologie verpflichtet, aber ich habe<br />
einige allgemeine Prinzipien, die mit dem was in <strong>Rojava</strong><br />
los ist, übereinstimmen.<br />
Ich bin auch hier, weil dies eine Notfall-Situation ist.<br />
ISIS ist einfach eine zu grosse Bedrohung geworden.<br />
Es gibt eine Menge anderer Probleme in verschiedenen<br />
Teilen der Welt. Aber ISIS wurde erlaubt zu wachsen,<br />
viel zu stark zu werden. Sie besetzen heute ein viel zu<br />
grosses Territorium und daher liegt in ihnen eine echte<br />
Bedrohung. Ich denke also, es ist wichtig, dass jede/r,<br />
die/der etwas tun kann, kommt und etwas tut.<br />
Das ist eine recht lange Zeit. Welche Art von<br />
Erfahrung hast du bis jetzt gemacht?<br />
Cûdî: Die tägliche Realität hier ist, um ehrlich zu sein, in<br />
der Regel eine Menge herumsitzen. Warten, dass etwas<br />
geschieht. Das heisst entweder, dass sie uns angreifen<br />
oder wir sie angreifen. Ab und zu gibt es Kämpfe, sonst<br />
gibt es hier die tägliche Routine: viele Pflichten, eine<br />
Art häusliche Tagesroutinen. Wir halten unsere Sachen<br />
zusammen, reinigen unsere Waffen und so weiter.<br />
Wenn wir in einem Gebiet sind, bleiben wir und bewachen<br />
diesen Bereich für eine recht lange Zeit. Dieser Tabûr<br />
tendiert dazu, der Front zu folgen und wenn die Front sich<br />
bewegt, bewegt sich der Tabûr mit ihr. Wir neigen dazu<br />
sehr viel mehr beschäftigt zu sein als reguläre Tabûrs,<br />
wo es immer noch viele Pflichten ohne Gefechte in einer<br />
statischen Position gibt. Das, weil wir die Möglichkeit<br />
haben, gepanzerte Transporte durchzuführen, manchmal<br />
auch schwerere Waffen und so weiter.<br />
Dilgêş: Wir holen Verwundete und wir holen die<br />
KämpferInnen, die gefallen sind. Wir machen<br />
Transporte nach ganz vorne, da die weißen LKWs und<br />
die Transportwagen zu empfindlich und zu anfällig sind.<br />
Sie sind ziemlich leicht zu zerstören. Und dann bringen<br />
wir Menschen zu den Kämpfen und manchmal gehen<br />
auch wir, um selbst zu kämpfen.<br />
Und was ist die Geschichte eurer politischen<br />
Motivation?<br />
Dilgêş: Ich bin bei der YPG wegen ihrer Standpunkte -<br />
ein bisschen das gleiche wie bei Cûdî -, vor allem wegen<br />
ihrer Toleranz. Toleranz scheint zur Zeit ein seltenes Gut<br />
im Mittlerer Osten zu sein, und hier erscheint es in dieser<br />
Hinsicht wie ein strahlendes Licht.<br />
Kemal: Ich stimme mit ihren Ansichten gegenüber der<br />
Politik überein. Aber ich bin kein Kommunist oder<br />
Sozialist. Ich bin eher konservativ, republikanisch, aber<br />
ich bin nicht hier, wegen der Politik. Ich bin hier, um<br />
im Kampf gegen Daesh zu helfen, und ich glaube, YPG<br />
62
sind die besten, die das hier tun. Darum, während sie<br />
kämpfen, bin ich hier, um ihnen zu helfen und sie in<br />
jeder Weise zu unterstützen die mir möglich ist.<br />
Und was ist deine Erfahrung?<br />
Kemal: Kein Militär. Es ist auch das erste Mal, dass ich<br />
ausserhalb der USA bin. Ich bin schon fast fünf Monate<br />
hier.<br />
Und du wirst noch länger bleiben?<br />
Kemal: Ja, bis die Daesh weg sind, werde ich sie<br />
bekämpfen.<br />
Was ist wichtig für die internationale revolutionäre<br />
Bewegung, um zusammen mit den YPJ, YPG und den<br />
FreiheitskämpferInnen zu kämpfen? Was würdet ihr<br />
der Bewegung raten zu tun?<br />
Dilgêş: Ich würde sagen, das beste ist,<br />
internationale Unterstützung in ihren Heimatländern<br />
zusammenzutrommeln. Die Menschen wissen nicht<br />
wirklich, was hier los ist, wenn sie nicht mit jemandem,<br />
der hier ist, Kontakt haben. Generell sind die Menschen<br />
ziemlich unwissend was die YPG betrifft und wofür<br />
sie stehen. Und was sie hier schon alles erreicht haben.<br />
Wie auch immer, dann könnten wir Unterstützung von<br />
den USA und Europa erhalten. Nicht nur militärische<br />
Unterstützung, sondern auch infrastrukturelle<br />
Unterstützung.<br />
Cûdî: Ich denke, es ist sehr wichtig, speziell für die YPG,<br />
dass sie alle Menschen gleich behandeln, wenn wir in<br />
unsere Dörfer gehen und das Gebiet kontrollieren. Dies<br />
betrifft insbesondere auch die Bereiche, die bisher nicht<br />
<strong>Rojava</strong> genannt wurden, wo man ein hohes Mass an<br />
Respekt bewahren muss, um die lokale Bevölkerung nicht<br />
zu entfremden. Dies ist kein stehendes Heer, sondern eine<br />
Volksmiliz und manchmal werden auch Fehler gemacht.<br />
Und das kann wirklich auf uns zurückfallen und uns in<br />
den Hintern beissen, wenn wir nicht aufpassen.<br />
Kemal: Ich stimme dem zu, was Cûdî sagt. Aber ich<br />
würde gerne mehr individuelle Freiheiten für die Männer<br />
und Frauen hier sehen, vor allem für die Frauen, und ein<br />
besseres Bildungssystem. Ich glaube, die Leute müssen<br />
mehr Bildung erhalten und aufgeklärter werden über die<br />
Welt und andere Dinge.
Internationalist<br />
«Ich denke für <strong>Rojava</strong> wird der Krieg heftiger<br />
werden, gerade mit der Türkei und jetzt muss<br />
man auch sehen, was Amerika machen wird,<br />
mit Trump als Präsident.»<br />
Kannst du etwas über dich und deine Beweggründe<br />
erzählen?<br />
Bevor ich hierher gekommen bin, war ich Student.<br />
Das Studium habe ich aber abgebrochen, um hierher<br />
zu kommen. Vermutlich komme ich aus einer Familie,<br />
die man als höheren Mittelstand beschreiben würde.<br />
Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen und dann<br />
eben studieren gegangen. Das war mein Leben. Politisch<br />
gesehen bin ich Anarchist.<br />
Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, nach <strong>Rojava</strong><br />
zu kommen aber es war immer mehr eine romantische<br />
Idee. Als ich angefangen habe zu studieren, habe ich<br />
dann aber gesehen, dass eigentlich jeder so ist wie ich.<br />
Dann dachte ich, jetzt musst du was machen oder du<br />
endest so wie die und redest dein ganzes Leben nur und<br />
dann bin ich hierher gekommen.<br />
Du hast dich für das Militärische und nicht für das<br />
Zivile entschieden. Was ist da der Grund?<br />
Ich denke, das Militärische ist essentiell und ich kann<br />
nichts im zivilen Bereich beitragen. Ich bin kein Arzt<br />
oder kein Medienprofi.<br />
Du bist jetzt sechs Monate in <strong>Rojava</strong> gewesen. Du<br />
hast dich auch an der Front beteiligt. Was waren<br />
deine Erfahrungen die du da gemacht hast, was hat<br />
es dir gebracht, was löste es bei dir aus?<br />
Ich gehe nach Europa zurück, weil ich das meiner<br />
Familie versprochen habe, als ich denen gesagt habe,<br />
dass ich hierher gehen werde. Später will ich aber zurück<br />
kommen, weil das was hier passiert noch nicht fertig ist<br />
und weil ich daran teilhaben will.<br />
Was ist noch nicht fertig?<br />
<strong>Rojava</strong> ist immer noch im Krieg und ich denke der<br />
internationale revolutionäre Aufbau, wenn es den gibt,<br />
findet am ehesten in <strong>Rojava</strong> statt. Auch ein Netzwerk<br />
mit anderen militanten RevolutionärInnen aus Europa<br />
kann man am Ehesten in <strong>Rojava</strong> aufbauen.<br />
Was denkst du, was jetzt auf die Region zukommen<br />
wird?<br />
Ich denke für <strong>Rojava</strong> wird der Krieg heftiger werden,<br />
gerade mit der Türkei und jetzt muss man auch sehen,<br />
was Amerika machen wird, mit Trump als Präsident.<br />
Weisst du schon wie lange du bleiben wirst, wenn<br />
du wieder kommst?<br />
Nein, aber ich will nächstes Mal auf jeden Fall länger als<br />
sechs Monate bleiben. Weil sechs Monate hört sich lange<br />
an, aber es ist im Grunde eine sehr kurze Zeit.<br />
Ich habe gelernt, dass die Revolution nichts Perfektes ist.<br />
Sie wird von Menschen gemacht, also gibt es menschliche<br />
Probleme. Ich habe gelernt, auch wenn etwas nicht<br />
perfekt ist, man sich dafür einsetzen muss, es besser zu<br />
machen und sich nicht einfach abwenden kann. Zudem<br />
natürlich auch viele praktische Dinge, darunter auch<br />
Sachen wie Essen machen, den Schlafplatz aufräumen,<br />
die Waffe reinigen und so weiter.<br />
Du gehst nun nach Europa zurück. Was war die<br />
Motivation für deine Rückkehr?<br />
64
65
REVOLUTIONÄRE<br />
ORGANISATIONEN<br />
Neben den kurdischen<br />
Organisationen leisten<br />
insbesondere verschiedene<br />
revolutionäre Parteien und<br />
Organisationen aus der<br />
Türkei einen wichtigen<br />
Beitrag zur Revolution in<br />
<strong>Rojava</strong>. Einigen von ihnen<br />
wollen wir im Folgenden<br />
das Wort geben.<br />
66
Komandantin MLKP<br />
«Das Neue und Einzigartige zu begreifen und<br />
zu verstehen und dementsprechend sich selbst<br />
zu rekonstruieren, fordert grosse Flexibilität<br />
und Kreativität, die in der Praxis umgesetzt<br />
werden muss. Entgegen dieser Erfahrung ist<br />
in revolutionären Bewegungen Nachahmung,<br />
Auswendiglernen und formalistische Theorie<br />
und Praxis leider noch weit verbreitet.»<br />
Kannst du kurz den historischen Beginn der<br />
Revolution in <strong>Rojava</strong> erläutern?<br />
<strong>Rojava</strong> war in jeder Hinsicht verarmt und das syrische<br />
Regime versuchte das Land ohne Identität zu lassen. Die<br />
KurdInnen in Syrien sind ein Volk, dem keine Identität<br />
zugestanden wird und dem eine nationale Präsenz,<br />
Sprache und Kultur verweigert wird. Es ist eine Realität,<br />
dass hier eine Gesellschaft in jeder Hinsicht zu einem<br />
Nichts gemacht wurde. Infolgedessen ist das kurdische<br />
Volk der Möglichkeit beraubt zu produzieren und sich<br />
sozial, kulturell, politisch, vital, materiell und moralisch<br />
zu entwickeln. KurdInnen, denen ihre Möglichkeit der<br />
Präsenz aus den Händen genommen wird, werden durch<br />
diese Politik der Ausbeutung vom Regime abhängig<br />
gemacht. Zusätzlich zu all dem werden fruchtbare Böden<br />
verändert, die Demografie der kurdischen Bevölkerung<br />
wird mit einer Politik der “Arabisierung” verändert und<br />
um Kurdistan von <strong>Rojava</strong> abzutrennen wurden Teile<br />
des Landes mit einer speziellen Politik und Strategie<br />
unterteilt, die “Arabischer Gürtel” genannt wird. Orte,<br />
in denen die Kräfte des Daesh am meisten Unterstützung<br />
erhielten, sind oftmals jene Gebiete, in die Menschen von<br />
aussen durch die Arabisierungs-Politik gebracht wurden.<br />
Die beschädigende Kolonialpolitik in Syrien wurde<br />
nach den 60er Jahren intensiver und härter. Ob unter den<br />
KurdInnen, die gezwungen waren, aus Nordkurdistan<br />
nach <strong>Rojava</strong> zu emigrieren oder denjenigen, die in<br />
Syrien geboren wurden, dort aufwuchsen und immer<br />
dort gewesen sind, war die Tendenz, sich zu organisieren<br />
und zu kämpfen immer vorhanden, weshalb dort auch<br />
verschiedene Organisationen anwesend sind. Diese<br />
illegalen Organisationen waren aktiv, um die nationale<br />
Identität der KurdInnen zu schützen und für ihre<br />
nationalen demokratischen Rechte zu kämpfen. Die durch<br />
das syrische Regime praktizierte KurdInnen-Politik<br />
entwickelte sich ab 1960 zu einer Zeit der Massaker.<br />
Am 30. November 1960 wurden 280 kurdische Kinder<br />
in einem Kino in Amûdê verbrannt, wo sie sich einen<br />
Film anschauen wollten, der die Revolution in Algerien<br />
erklärt. Dies war das erste der grossen Massaker, denen<br />
das kurdische Volk ausgesetzt wurde. Danach wurde<br />
an den KurdInnen, die inzwischen viele grössere und<br />
kleinere Massaker erlebt haben, am 12. März 2004<br />
wieder ein Massaker verübt. Dies geschah während<br />
eines Fussballspiels, bei dem das syrische Regime die<br />
KurdInnen abschlachtete. Als die Menge danach die toten<br />
Körper wegtragen wollte, wurden sie angegriffen und<br />
dutzende Menschen wurden getötet. Daraufhin fingen<br />
überall in den Städten, in denen kurdische Menschen<br />
lebten, Aufstände an.<br />
In der Zeit, bevor die Aufstände von 2004 begannen,<br />
hatte die Politik der Unterdrückung und des Terrors<br />
des syrischen Regimes einen Höhepunkt erreicht.<br />
Die Unterzeichnung des Vertrages von Adana am 20.<br />
September 1998 durch das syrische Regime und den<br />
türkischen Staat spielte eine entscheidende Rolle.<br />
Der Vorgang, der Abdullah Öcalan zwang, Syrien<br />
zu verlassen, wurde entsprechend den Bedingungen<br />
dieses Vertrages in die Praxis umgesetzt. So verschaffte<br />
sich die Türkei die Bedingungen, um sich in <strong>Rojava</strong><br />
aktiver einmischen zu können.Die Aktivitäten der PKK<br />
in <strong>Rojava</strong> begannen schon Ende der 70er Jahre. Die<br />
Erweiterung der Guerillakämpfe und Revolten und<br />
die nationalen, auf demokratischer Basis gewonnenen<br />
Rechte in Nord-Kurdistan, stärkten und beschleunigten<br />
die Dynamik der <strong>Rojava</strong> Revolution. Mit der Gründung<br />
der PYD (Partei der demokratischen Union) neben den<br />
12 kurdischen Gruppen, wurde der politische Unterbau<br />
der <strong>Rojava</strong> Revolution gebildet, was die Bedingungen<br />
68
schuf, dass die heutige Revolution Wirklichkeit wurde.<br />
Wenn wir die Bedingungen in der letzten Zeit anschauen,<br />
die zur <strong>Rojava</strong> Revolution führten, sehen wir, dass das<br />
syrischen Baath Regime unkontrolliert wirtschaftliche<br />
Ausbeutung und politische Unterdrückung aller sozialen<br />
Schichten, mit Ausnahme einer kleinen Minderheit,<br />
betrieb. Das syrische Volk, dem seine politischen<br />
Rechte entzogen worden waren und das in einem Leben<br />
voller Armut gefangen war, begann allmählich sich<br />
zum Prozess des individuellen und sozialen Kampfes<br />
zu erheben. Syrische ArbeiterInnen und Menschen,<br />
die auch durch die Serien der arabischen Revolutionen<br />
beeinflusst waren, füllten die Plätze im ganzen Land, um<br />
gegen die Baath Diktatur und für demokratische Rechte<br />
zu demonstrieren. Allerdings war der Funke, der das<br />
Feuer entfachte die Schriften auf den Mauern, die im<br />
Jahr 2011 von den Kindern in Deraa gemacht wurden.<br />
Diese lauteten „Sie sind jetzt an der Reihe Doktor“.<br />
Die Reaktion des Baath Regimes auf diese Schriften<br />
war hart und gnadenlos. Kinder wurden inhaftiert und<br />
gefoltert. Das Volk wehrte sich gegen diese Gewalt<br />
und gegen die unterdrückende Politik entschlossen und<br />
kämpferisch. Die Proteste gegen dieses Vorgehen breiten<br />
sich in fast alle Städte in <strong>Rojava</strong> und Syrien aus. Daraa<br />
war der erste Ort von dem aus sich grosser Widerstand<br />
bildete. Am 20ten Tag kam es zum Höhepunkt, als die<br />
Protestierenden das Stadtzentrums von Deraa besetzten.<br />
Am Anfang demonstrierte die Menschenmenge<br />
gegen Korruption und Verarmung. Dies mit dem Ziel<br />
demokratische Rechte und Gerechtigkeit zu finden.<br />
Als ihre Forderungen ignoriert wurden und die<br />
Interventionen des Regimes härter wurden, änderte sich<br />
der Charakter der Demonstrationen und Widerstand<br />
mit der Forderung Assad zu stürzen bildete sich. Als<br />
Assad diesen Widerstand nicht unterdrücken konnte,<br />
machte er einige Zugeständnisse. Der Gouverneur<br />
von Deraa wurde abgesetzt. Der Militärdienst wurde<br />
von 21 Monaten auf 18 Monate verkürzt. Ausserdem<br />
gab es andere Massnahmen, wie die Erhöhung der<br />
Beamtenlöhne, Pressefreiheit oder der Kampf gegen<br />
Korruption. Einem Teil des kurdischen Volkes wurde<br />
dabei die syrische Staatsbürgerschaft erteilt und einige<br />
bisherige Staatspraktiken wurden beendet. Gleichzeitig<br />
versuchte Assad Massaker durchzuführen, indem er<br />
Contra Gruppen, sebbiha [(ar.) „Geister“, Anm.d.R.]<br />
genannt, organisierte. Der Konflikt zwischen den Massen,<br />
von denen der Hauptteil aus Arabern bestand, und dem<br />
Baath Regime, verwandelte sich schliesslich in einen<br />
reaktionären Bürgerkrieg, in den sich ImperialistInnen<br />
und kollaborierende regionale Staaten einmischten. Die<br />
arabische demokratische Opposition wurde reaktionär<br />
und verlor ihre Legitimität und Rechtmässigkeit, da<br />
sie sich den ImperialistInnen und den kollaborierenden<br />
Staaten unterordnete.<br />
Die <strong>Rojava</strong> Revolution jedoch entschied sich für ihren<br />
eigenen Weg. Sie wählte statt eine reaktionäre Politik<br />
die Unabhängigkeit. Die zwei Möglichkeiten waren sich<br />
entweder zusammen mit der syrischen Opposition zu<br />
bewegen, die man als Marionetten von ImperialistInnen<br />
und Staaten in der Region bezeichnen könnte, oder sich<br />
gegen Assads Regime zu stellen und eine Revolution<br />
anzustreben. So begann eine national-demokratische<br />
libertäre Revolution in <strong>Rojava</strong>, indem wir erklärten,<br />
dass wir das unterdrückte Volk repräsentieren, das<br />
gequält und massakriert wurde und der Verweigerungs-<br />
Politik des syrischen Staates ausgesetzt war. Wir<br />
schoben das syrische Regime raus aus den Grenzen von<br />
<strong>Rojava</strong>. Mit Ausnahme des Flughafen in Qamıslo und<br />
mehreren symbolischen Institutionen wurde das Regime<br />
aus der Region weggeputzt. Die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
erreichte die heutige Situation durch Errichten einer<br />
Verteidigungslinie für die Gebiete von <strong>Rojava</strong> und einer<br />
Revolution mit einer Opposition gegen Syrien und dann<br />
gegen Daesh und die an-Nusra-Banden. Zur Zeit geht<br />
der Kampf mit demokratischen syrischen Kräften weiter,<br />
um diese libertäre Linie aktiv zu halten.<br />
Gehen wir über zum historischen Prozess der<br />
MLKP <strong>Rojava</strong>. Mit welchem Hintergrund und was für<br />
einem Vorgehen erklärt ihr die Entwicklungsprozesse<br />
und Phasen?<br />
Unsere Partei ist in der Türkei und Nordkurdistan<br />
organisiert. Sie verteidigt regionale Revolutionen,<br />
Gemeinschaften und Bündnisse. Aus diesem Grund<br />
sehen wir es als ein Recht und eine Mission sich im<br />
Mittleren Osten und in den vier Teilen Kurdistans, die<br />
von KolonistInnen besetzt werden, zu organisieren. Die<br />
Partei bekräftigt, dass die vier Teile Kurdistans in den<br />
verschiedenen Ländern zu einer Einheit vereinigt werden.<br />
Folglich werden alle Fragen, insbesondere die, welche<br />
die Interessen der Region und Kurdistan betreffen,<br />
ebenfalls in unserer Partei besprochen. Sie bestimmt den<br />
programmatischen und politischen Hintergrund unserer<br />
Präsenz in <strong>Rojava</strong>.<br />
Im August 2012 kamen unsere ersten Kräfte nach <strong>Rojava</strong>.<br />
Diese Kräfte arbeiteten zunächst daran, die Revolution<br />
zu den Massen zu bringen und sie zu einer Macht des<br />
Volkes zu machen, damit das Volk die Revolution zu<br />
ihrer eigenen Revolution macht und sie an diesem Kampf<br />
teilnehmen. Wir arbeiteten in Einrichtungen, die für<br />
den Aufbau von <strong>Rojava</strong> grundsätzlich notwendig sind,<br />
wie Sicherheit, eine Gemeindeverwaltung, Zollhaus<br />
und Informationsabteilung. Wir nahmen auch an der<br />
Verteidigung der Revolution teil und sandten Basiskräfte<br />
in verschiedene Bataillone. Ausserdem nahmen wir am<br />
Aufbau der YPG und YPJ teil und stellten GenossInnen<br />
zur Verfügung. Wir waren da als militärische Kraft,<br />
während wir gleichzeitig für die Beteiligung des Volkes<br />
sorgten und mit ihnen die Richtlinien erarbeiteten, die<br />
grundlegend für die Revolution sind. Als wir unsere<br />
Revolution allmählich aufgebaut hatten, sie sich<br />
69
entwickelte und institutionell wurde, die wirtschaftlichen,<br />
politischen, kulturellen und geographischen Fortschritte<br />
sich vervollständigten, kamen die ImperialistInnen,<br />
regionale reaktionäre Länder (wie Saudi-Arabien, Katar<br />
etc. Anm.d.R.) und in erster Linie die koloniale Türkei<br />
und ihre verbündeten Banden al-Nusra und Daesh, das<br />
syrische Regime und die KDP – erinnert euch an die<br />
Embargos und das Schliessen der südlichen Grenzen mit<br />
Gräbern – und versuchten, unsere Revolution von allen<br />
Seiten zu zerstören. Auch heute noch betreiben sie diese<br />
Politik.<br />
Als die militärischen Angriffe gegen unsere Revolution<br />
intensiver wurden, brachten wir die meisten unserer<br />
Kräfte in dieses Gebiet. Mit neuen UnterstützerInnen<br />
vermehrten wir unsere Streitkräfte sowohl in Quantität<br />
wie in Qualität. Die Befreiung Kobanês kam als<br />
Erstes, wir nahmen an sehr vielen Verteidigungs- und<br />
Befreiungsangriffen teil, wie Heseke, Serêkaniye, Girê<br />
Spî, Til Temir und Rûbar Qamişlo.<br />
Als unsere Kräfte sich an der Befreiung von Şengal,<br />
Hol und Tişrîn beteiligten, kämpften wir an fast allen<br />
Fronten von Kobanê bis Şengal. Unsere Streitkräfte<br />
im internationalen Freiheitsbataillon schlossen sich<br />
auch der Befreiung von Şengal und Hol an. Wir<br />
übernahmen verschiedene Aufgaben, und arbeiten<br />
weiterhin in Bereichen der Gesundheit und der Presse,<br />
bei den „Mala Gel“, das heisst dem Haus des Volkes,<br />
von kommunalen Arbeiten bis zum Frauenkampf, und<br />
wir sind außerdem in militärischen Bereichen und in<br />
Selbstverteidigungsgruppen tätig. Außerdem unterstützen<br />
wir auch die Einheit und Solidarität des Volkes. Diese<br />
Institution, SYPG, wird das sein, was ihr Name sagt: Sie<br />
wird im Volk eine Brücke zwischen den Menschen bauen,<br />
sie wird das Volk mit unserer Revolution vertraut machen<br />
und seine Unterstützung und Solidarität organisieren. Sie<br />
wird sowohl zur Entwicklung der Revolution beitragen<br />
und unserer Revolution einen sozialistischen Charakter<br />
geben.Unsere Partei kam nicht nach <strong>Rojava</strong>, nur um zu<br />
unterstützen, wir sind hier als eine feste Macht. Um es<br />
einfacher zu sagen: wir akzeptieren diese Revolution<br />
als unsere Revolution und ihre FreundInnen als unsere<br />
FreundInnen und ihre FeindInnen als unsere FeindInnen.<br />
Auf was für Kampf- und Kriegserfahrungen und<br />
auf was für Theorien beruft ihr euch?<br />
Wir versuchen eine Partei zu sein, welche die<br />
Erfahrungen aller Revolutionen der Welt analysiert, von<br />
ihnen lernt und ihre Erkenntnisse nutzt. Wir benutzen<br />
sie, indem wir sie in eine Form umwandeln, die für<br />
unser Land brauchbar ist. Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist mit<br />
keiner Revolution in der Vergangenheit vergleichbar.<br />
Aus diesem Grund konnten viele Gruppen die <strong>Rojava</strong><br />
Revolution nicht verstehen; oder wollten sie nicht<br />
verstehen. Diese Revolution entwickelt sich nicht wie<br />
die klassischen Revolutionen und ausserdem sind die<br />
historische Entstehung, die Bedingungen, sowie ihre<br />
militärische Struktur absolut einzigartig. Zum Beispiel<br />
gibt es nicht wie üblich eine starke Klassenbewegung.<br />
Die Basis der Revolution besteht aus nationalen<br />
demokratischen Forderungen. Das ist kein Ansatz, der<br />
nur eine enge nationalistische Perspektive beinhaltet.<br />
Obwohl das nationale Thema zentral ist, hat sie einen<br />
Charakter, der das ganze Volk in <strong>Rojava</strong> umfasst. Da dies<br />
gleichzeitig eine Frauenrevolution ist, sollte sie schon<br />
deshalb als gutes Beispiel verteidigt werden. Abgesehen<br />
davon bleibt diese Revolution speziell und einzigartig,<br />
da sie wirtschaftliche, demokratische, kulturelle und<br />
ökologische Programme hat.<br />
Zu Beginn wurde die Revolution von einem kleinen<br />
organisierten Teil des Volkes und der Streitkräfte<br />
begonnen. Organisierte bewaffnete Milizen und<br />
Guerilla lenkten die Unzufriedenheit erfolgreich und<br />
gingen gegen das Assad Regime auf die Strassen, um<br />
die staatlichen Institutionen zu besetzen. Die staatliche<br />
Armee und die Polizeikräfte in den Städten von <strong>Rojava</strong><br />
leisteten kaum Widerstand, weil sie vom Volk und<br />
von militärischen Kräften umgeben waren. Zu Beginn<br />
wurden deshalb militärische Strukturen gebildet, in der<br />
die Guerilla und die Milizen noch vermischt waren.<br />
Später wurden die Kräfte spezialisiert und als Folge<br />
voneinander getrennt. Die geographische Struktur von<br />
<strong>Rojava</strong> führt zu einer einzigartigen Kriegserfahrung und<br />
Kriegsform. Der Krieg in den Städten wie in Kobanê und<br />
der Umgebung war geprägt von sehr starken Kämpfen,<br />
die vor allem mit schweren Waffen, Bodenminen und<br />
Angriffe mit Minen geführt wurden. Attentate und<br />
Angriffe mit Autobomben (eine Methode, die von<br />
Banden verwendet wird) sind dabei grundlegende<br />
Kriegs- und Kampfformen. Eine weitere Besonderheit<br />
ist, dass hier Kampfstile einer regulären Armee und einer<br />
Guerilla gleichzeitig verwendet werden. Manchmal<br />
zwingen Konflikte dazu wie zwei reguläre Armeen zu<br />
kämpfen, ein anderes Mal wird im Guerillastil gekämpft<br />
(Hinterhalt, Sabotage, Attentate usw.). Von Zeit zu Zeit<br />
werden Taktiken aus allen Kampfformen angewendet.<br />
Der historische, kulturelle, soziale und wirtschaftliche<br />
Alltag in der Vergangenheit und der Gegenwart in<br />
<strong>Rojava</strong> ist der Grund dafür, dass diese Revolution<br />
keiner typischen Erfahrung einer Revolution ähnlich<br />
ist. Wenn diese Einmaligkeit vernachlässigt würde<br />
und wir schlicht bekannte Revolutionstaktiken und<br />
-theorien anwenden würden, dann würden wir heute<br />
über etwas reden, was nicht die <strong>Rojava</strong> Revolution ist.<br />
Für uns MarxistInnen ist es von grosser Wichtigkeit, die<br />
richtigen Mittel und Kampfformen zur richtigen Zeit,<br />
mit einer materialistischen Analyse der materialistischen<br />
Situation anzuwenden.<br />
Marxismus wäre nicht Marxismus, wenn er nicht auf<br />
Dialektik und historischem Materialismus basieren<br />
würde. Das Neue und Einzigartige zu begreifen und<br />
zu verstehen und dementsprechend sich selbst zu<br />
70
ekonstruieren, fordert grosse Flexibilität und Kreativität,<br />
die in der Praxis umgesetzt werden muss. Entgegen<br />
dieser Erfahrung ist in revolutionären Bewegungen<br />
Nachahmung, Auswendiglernen und formalistische<br />
Theorie und Praxis leider noch weit verbreitet.<br />
Dennoch, wie man es auf der ganzen Welt und zu allen<br />
Zeiten schon beobachten konnte, gibt es grundlegende<br />
Gesetze des Krieges, die auch hier in <strong>Rojava</strong> ihre<br />
Gültigkeit haben. Darunter gehören beispielsweise<br />
Aspekte des Militärlebens wie Disziplin, Regeln, Aspekte<br />
von Angriff und Verteidigung, Befehl und Gehorsam,<br />
Willenskraft, Glaube, Entschlossenheit, Hingabe, den<br />
Gegner und sich selbst kennen usw.. Die Antworten aller<br />
KriegstheoretikerInnen und KommandantInnen zu all<br />
diesen Themen würde fast gleich sein. Die militärische<br />
Logik ist dieselbe bei Clausewitz, Lenin und wohl auch<br />
bei anderen militärischen und politischen FührerInnen.<br />
Diejenigen, die erfolgreich sind, sind diejenigen, die<br />
eine militärische Kriegsstrategie und -taktik entwickeln,<br />
indem sie die eigenen historischen Bedingungen mit<br />
Objektivität, basierend auf der Realität und der sozialen<br />
materiellen Struktur, betrachten.Wir versuchen das, was<br />
wir als Erbe aus unserer eigenen Geschichte und von den<br />
weltweiten Erfahrungen wissen, in die Einmaligkeit der<br />
<strong>Rojava</strong> Revolution einzubringen. Dafür haben wir keine<br />
Form und kein Modell, das wir anwenden. Während dem<br />
wir die Revolution in den militärischen, wirtschaftlichen,<br />
kulturellen und sozialen Bereichen „Rojavisieren“,<br />
nähert sich unsere Revolution allmählich dem Sieg.<br />
Was heisst es, im MLKP <strong>Rojava</strong> Bataillon zu leben?<br />
Vor allem bedeutet es für uns KommunistInnen eine<br />
ideologische, politische und organisatorische Qualität.<br />
Eines der wichtigsten Probleme der revolutionären<br />
Bewegungen von heute ist es nicht entschlossen genug<br />
zu sein. Wenn die Einheit von Wort und Tat nicht<br />
vorhanden ist, kommt es zu einer Flut von Worten, die<br />
keine praktischen Konsequenzen haben. Wenn eine<br />
Bewegung ihre Glaubwürdigkeit verliert, verliert sie<br />
auch ihr Existenzrecht. Der grösste Teil revolutionärer<br />
Bewegungen ging wegen ihrer Politik zugrunde. Mangel<br />
an Strategie verursacht einen Mangel an Taktik und das<br />
bedeutet es wird keine Politik gemacht. Das zwangsläufige<br />
Ergebnis ist, nur ZuschauerIn und KommentatorIn zu<br />
sein. Diejenigen die in so ein Verhalten verfallen, können<br />
die Revolution weder aufbauen noch ein Teil von ihr sein.<br />
Im MLKP Bataillon zu leben bedeutet an einem Ort zu<br />
sein, wo RevolutionärInnen ihre revolutionäre Identität<br />
und ihre revolutionären Ansprüche stärken. Sie arbeiten<br />
in verschiedenen Bereichen und arbeiten daran, dem<br />
Volk und der Ideologie zu vertrauen, zur richtigen Zeit<br />
am richtigen Ort zu sein, den Traum einer neuen Welt<br />
zu verwirklichen und in die Zukunft zu schauen. Die<br />
MLKP ist eine Partei von Kurdistan. RevolutionärInnen<br />
aus vielen Nationen sind hier und kämpfen zusammen<br />
mit der MLKP <strong>Rojava</strong>. Wir sind offen für Menschen,<br />
die nicht Mitglieder der MLKP aber zuversichtliche<br />
RevolutionärInnen oder auch AnarchistInnen sind.<br />
Unsere Partei ist auch ein Ort für KämpferInnen die<br />
aus anderen Ländern kommen, vor allem aus Europa,<br />
um zusammen mit der MLKP gegen Barbarei und die<br />
reaktionären Daesh zu kämpfen. In diesem Sinne hat die<br />
MLKP sowohl lokale als auch internationale Merkmale.<br />
Welche Auswirkungen hat die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
auf das Leben und die Praxis im Bataillon?<br />
Wir sind in jeder Hinsicht ein Teil der <strong>Rojava</strong> Revolution.<br />
Abgesehen von unserer Einzigartigkeit, was unsere<br />
ideologische Struktur und unsere eigene Geschichte<br />
betrifft (die eine andere Perspektive und Vorteile bietet)<br />
ergänzen wir einander vor allem in militärischen Fragen.<br />
Wir beeinflussen so wie wir auch selber beeinflusst<br />
wurden. Zum Beispiel befinden sich die KämpferInnen<br />
unseres Bataillons auch an der Frontlinie und nehmen dort<br />
an allen Operationen teil. Das Leben im Bataillon bildet<br />
und festigt sie. Obwohl die Banden aus <strong>Rojava</strong> vertrieben<br />
worden sind, ist das Hauptthema zur Verteidigung der<br />
Revolution immer noch ein militärisches. Wir sollten<br />
eine militärische Verteidigungsperspektive entwickeln<br />
und uns ihren angemessenen Stellenwert überlegen.<br />
Natürlich bestimmt die militärische Perspektive und ihre<br />
Regeln den Lebensstil des Bataillons. Ausserdem werden<br />
regelmässig ideologische und politische Schulungen<br />
durchgeführt, damit die <strong>Rojava</strong> Revolution verstanden<br />
wird und damit man ein aktiver Teil der <strong>Rojava</strong><br />
Revolution sein kann, was eine wichtige Grundlage für<br />
den Kampf und die Schaffung des neuen sozialistischen<br />
Menschen bietet.<br />
Wie bildet und formt ihr neue KämpferInnen?<br />
Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist immer noch im Aufbau. Es<br />
ist eine Revolution, in der der militärische Charakter<br />
immer noch grundlegend ist. Deshalb hat die<br />
militärische Ausbildung immer noch Priorität und im<br />
Anschluss daran folgt die ideologische, politische und<br />
organisatorische Schulung. In dieser Schulung werden<br />
polytechnische Methoden angewendet. Wenn notwendig<br />
werden KämpferInnen, die an der Schulung teilnehmen,<br />
zu AusbilderInnen. Alle Schulungen werden zuerst im<br />
Bataillon erprobt und untersucht.<br />
Die militärische Ausbildung wird teilweise in der Realität<br />
der <strong>Rojava</strong> Revolution durchgeführt. Die Kriegsstrategie<br />
und -taktik von <strong>Rojava</strong> wird gelehrt. Besonders nach<br />
Angriffen bringen die Kräfte, die beim Angriff dabei<br />
waren, diese Erfahrung in das Bataillon und in die<br />
Partei. Tatsächlich bilden wir politische KämpferInnen<br />
aus, welche mit der Ideologie vertraut sind, welche das<br />
Vertrauen in die Partei haben, welche die Willenskraft<br />
haben die politische Parteilinie in die Praxis umzusetzen<br />
71
und welche widerstandsfähig, militant und mit der<br />
Revolution verbunden sind.<br />
Wie unterstützt ihr junge KämpferInnen darin,<br />
mit den schwierigen Bedingungen des Krieges<br />
umzugehen?<br />
Krieg ist die stumpfste, härteste und intensivste Phase<br />
des Kampfes. Deshalb sollte ein/e RevolutionärIn, den<br />
Krieg in seinem / ihrem Kopf gewinnen, um diesen<br />
harten Bedingungen des Krieges standzuhalten und mit<br />
ihnen umgehen zu lernen. Wir versuchen ihnen zuerst<br />
diese Eigenschaft beizubringen. Dies ist nur möglich,<br />
indem wir ideologisch stark sind und wissenschaftlich<br />
vorgehen. RevolutionärInnen, die wissen, wofür sie<br />
kämpfen, wofür sie leben und wofür sie sterben wenn<br />
es notwendig ist, können alle Schwierigkeiten des<br />
Krieges überwinden. Wenn ideologische Klarheit<br />
und Entschlossenheit auch mit Wissen, Fähigkeiten<br />
und technischen Erfahrungen gestärkt sind, gewinnen<br />
KämpferInnen Kampfgeist und Geschick, um die harten<br />
Bedingungen zu bewältigen.<br />
Es ist wichtig zu betonen, dass Ausbildung sowohl etwas<br />
Allgemeines als auch etwas Persönliches ist. Es ist nichts<br />
Einseitiges, Verallgemeinerndes und Herabsetzendes.<br />
Die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kapazitäten der<br />
einzelnen GenossInnen werden berücksichtigt, wenn die<br />
Ausbildung geplant wird. Wenn die Ausbildung an den<br />
Kriegsfronten untersucht wird, wird sie lehrhafter und<br />
dauerhafter.<br />
Wie kann die Idee der <strong>Rojava</strong> Revolution an den<br />
militärischen Kampf und an das Leben angepasst<br />
werden?<br />
Die Notwendigkeit zu verstehen ist der wichtigste<br />
Motivator. Die <strong>Rojava</strong> Revolution war am Anfang und<br />
in der Zeit der Verteidigung eine Revolution mit einem<br />
ausgeprägten militärischen Charakter. Diese Eigenschaft<br />
gehört zu dieser Revolution und ist einzigartig. In der<br />
Regel basieren Revolutionen auf Gewalt und militärischen<br />
Mitteln und Formen.Wenn wir das Problem praktisch<br />
definieren, können wir sagen, dass der Bürgerkrieg in<br />
Syrien dem Volk von <strong>Rojava</strong> die Möglichkeit gab, eine<br />
Revolution zu initiieren. Guerillakräfte übernahmen<br />
die Führung mit der Unterstützung des Volkes. Die<br />
Angriffe von Banden wie Al Nusra, die versuchten die<br />
Revolution zu zerstören und die von der Türkei und<br />
anderen unterstützt werden, nahmen rasch zu. Diese<br />
kolonialistischen FaschistInnen und reaktionären Kräfte<br />
versuchen unsere Revolution zu ersticken. Auch wenn<br />
der Widerstand der Feinde gebrochen ist und sie sich<br />
zurückziehen, ist die Revolution immer noch in Gefahr<br />
von diesen Konter-RevolutionärInnen angegriffen zu<br />
werden.<br />
Das ist der wichtigste Faktor, der die Anpassung an<br />
die Idee der Revolution mit militärischem Kampf und<br />
militärischem Leben leichter macht. Die Realität, die<br />
Verteidigung und Entwicklung der Revolution, ist<br />
direkt in Beziehung mit dem militärischen Kampf und<br />
dem militärischen Leben. Wenn du zum Beispiel nicht<br />
in militärischer Disziplin und militärischen Regeln<br />
organisiert bist und den Kampf damit entwickelst,<br />
kannst du die <strong>Rojava</strong> Revolution oder dich selber nicht<br />
verteidigen. Diese materialistische Tatsache ist eine<br />
Realität, die schnell von allen Kräften akzeptiert wird, die<br />
sich der Revolution anschliessen. Natürlich besteht ein<br />
grosser Unterschied zwischen Verstehen und in der Folge<br />
in die Praxis umzusetzen. Das ist die Qualität, die unsere<br />
KämpferInnen in ideologischen, organisatorischen und<br />
militärischen Schulungen erhalten. Wenn die Erfahrung<br />
im Gelände, an der Front dazukommt, ist die Anpassung<br />
an die <strong>Rojava</strong> Revolution und an die militärischen und<br />
wichtigen Aspekte vorhanden.<br />
Gibt es einen Zusammenhang zwischen <strong>Rojava</strong><br />
und dem revolutionären Kampf in der Türkei?<br />
<strong>Rojava</strong> ist ein Teil von Kurdistan. <strong>Rojava</strong> wurde zur<br />
AnführerIn sowohl in den anderen Teilen Kurdistans,<br />
wie auch in der Rolle, die es in anderen Revolutionen<br />
in der Region spielen wird. Die türkische Revolution<br />
ist auch ein Teil der regionalen Revolutionen. Jede<br />
Entwicklung in Kurdistan (vor allem in Bakûr und<br />
<strong>Rojava</strong>) vertieft die Krise des Regimes und ist von<br />
grosser Bedeutung im Klassenkonflikt mit seinen<br />
direkten Auswirkungen. Als Folge davon gibt es eine<br />
direkte Beziehung zwischen <strong>Rojava</strong> und der Türkei.<br />
Unsere Partei, welche die Richtung der Entwicklung<br />
des Befreiungskampfes in Kurdistan richtig eingeschätzt<br />
hat, definiert, dass Kurdistan die Einheit der Schicksale<br />
von vier Teilen des Landes erzwungen hat, indem die<br />
Grenzen ideologisch, politisch, kulturell und moralisch<br />
errichtet wurden. Dies veränderte die Perspektive,<br />
die den Kampf auf den Norden Kurdistans beschränkt<br />
sah. Mit dem 3. Kongress der Partei, der im Jahr 2002<br />
stattfand, bei dem die Perspektive der „regionalen<br />
Revolutionen“ entwickelt wurde, wurden die regionalen<br />
demokratischen und sozialistischen Verbände in das<br />
Programm aufgenommen. Dann, mit dem 5. Kongress,<br />
wurde der international verwendete Name MLKP/<br />
Türkei-Nordkurdistan zu MLKP/Türkei-Kurdistan<br />
geändert, womit die Arbeit in den anderen Teilen<br />
Kurdistans berücksichtigt wurde. Es ist ein Ansatz, der<br />
das Recht in Anspruch nimmt, die Einheit Kurdistans,<br />
das durch die KolonialistInnen zerteilt wurde, wieder<br />
herzustellen. Unsere Kurdistan Organisation betrachtet<br />
die vier Teile als den Kampf-Bereich. Diese Perspektive<br />
ist auch ein Schlag gegen den Kemalismus, der tief in die<br />
Seele der linken Bewegung eingedrungen ist.<br />
Auch heute noch können viele revolutionäre<br />
Organisationen, DemokratInnen und Intellektuelle die<br />
kurdische nationale Bewegung nicht richtig einschätzen.<br />
72
So wie sie auch die kurdische nationale Revolution,<br />
die sich 1993 zu entwickeln begann, nicht korrekt<br />
einschätzen und verstehen konnten, haben sie heute<br />
Schwierigkeiten, die <strong>Rojava</strong> Revolution zu begreifen<br />
und sie nähern sich ihr entweder oberflächlich, leugnen<br />
oder ignorieren sie.<br />
Da unsere Partei ein Teil, eine politische Kraft und<br />
eine Kampfkraft in der <strong>Rojava</strong> Revolution ist, die sich<br />
voll einsetzt, hatte das einen positiven Effekt auf die<br />
türkischen Linken und revolutionären Bewegungen<br />
und öffnete einen Weg, damit sie sich der <strong>Rojava</strong><br />
Revolution zuwenden konnten, wenn auch nur<br />
teilweise. Die offensive Politik der kolonialistischen<br />
Diktatur gegenüber unserem Volk, den ArbeiterInnen<br />
und allen Unterdrückten, geht an der türkischen Front<br />
intensiv weiter. Mit der <strong>Rojava</strong> Revolution zeigte es<br />
sich deutlicher, dass das Recht unseres Volkes auf<br />
Selbstbestimmung, der Wunsch nach Selbstverwaltung,<br />
Selbstverteidigung, wirtschaftliche, kulturelle und<br />
soziale Kontrolle, der Prozess zur Schaffung einer neuen<br />
Gesellschaft, alle Regionen betrifft. Tatsächlich füllt das<br />
Volk und die ArbeiterInnen in der Türkei ihre Segel mit<br />
dem Wind des revolutionären Sturms in der Region. Die<br />
<strong>Rojava</strong> Revolution zu verteidigen heisst auch die eigene<br />
Freiheit, die eigene Revolution, die eigene Kultur und<br />
die eigenen Werte zu verteidigen.<br />
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die kolonialistische<br />
faschistische Diktatur den Tod der 33 jungen Menschen<br />
des SGDF (Zusammenschluss sozialistischer<br />
Jugendverbände in der Türkei) plante, die sich mit<br />
Kobanê solidarisierten. Auch das Bombenattentat<br />
bei dem Treffen in Ankara, wo Zehntausende sich<br />
versammelten, um gegen den schmutzigen Krieg in<br />
Kurdistan zu demonstrieren, war durch den türkischen<br />
Staat organisiert, obwohl auch hier wie in Pirsus Daesh<br />
verantwortlich gemacht wurde. Die objektiven und<br />
subjektiven Bedingungen für die regionale Revolution<br />
hängen direkt mit der kurdischen Befreiungsbewegung<br />
zusammen und errangen mit der Revolution in <strong>Rojava</strong><br />
einen Sieg, der auch den Kampf in der Türkei betrifft.<br />
Der Kampf gegen die Feinde der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
und die Türkei ist ein Kampf gegen die reaktionären,<br />
imperialistischen Mächte, islamistische faschistische<br />
Banden und die kolonialistische faschistische türkische<br />
Diktatur. Gemeinsame Feinde zu haben, macht unseren<br />
Kampf und die Revolution zu etwas gemeinsamem.<br />
Bevor die Befreiung und der Kampf für den Sozialismus<br />
erfolgreich sind, wird die Revolution in <strong>Rojava</strong> immer in<br />
Gefahr sein. Es ist schwierig, den Erfolg der Revolution<br />
von <strong>Rojava</strong> zu gewährleisten, bevor Syrien in einen<br />
demokratischen Zustand getragen worden ist.<br />
Leistet die MLKP <strong>Rojava</strong> auch einen Beitrag zur<br />
Entwicklung der revolutionären Gesellschaft mit<br />
sozialen Projekten? Nicht nur militärisch, sondern<br />
auch in der Gesellschaft?<br />
<strong>Rojava</strong> erfährt in jeder Beziehung einen<br />
Wiederaufbauprozess. Die Gesellschaft reorganisiert<br />
sich und verwaltet sich neu in vielen Bereichen wie<br />
Gemeindeverwaltung, Genossenschaften, Bildung,<br />
Kultur und Gesundheit. Unsere Partei trägt auch zum<br />
Aufbau der Revolution mit ihren eigenen Möglichkeiten<br />
und Stärken bei, indem sie ihre Position im fortlaufenden<br />
Prozess einnimmt.<br />
Das Gebiet von <strong>Rojava</strong> beherbergt eine Vielzahl von<br />
Völkern, Religionen und Kulturen. Unsere Partei wird<br />
wie in der Vergangenheit weiterhin ihre ideologischen,<br />
politischen und organisatorischen Aufgaben<br />
wahrnehmen, mit der Perspektive, die Einheit, Freiheit<br />
und Solidarität der Bevölkerung zu stärken. Zusätzlich<br />
dazu setzen wir unsere Arbeit in der lokalen Verwaltung,<br />
der Presse und den Gesundheitsbereichen fort.<br />
Der imperialistische Krieg zwischen Ländern<br />
wie Russland und der Türkei wird von Tag zu Tag<br />
komplexer. Was ist eure Meinung dazu?<br />
In der Zeit, die arabischer Frühling genannt wird,<br />
entwickelte die Suche der Menschen, auch der<br />
unterdrückten Menschen, nach Demokratie und Freiheit,<br />
gegen die Diktaturen der Region, eine grosse Dynamik,<br />
die immer noch da ist, so sehr sie auch inzwischen<br />
historisch ist. Es gab Orte, an denen die Diktaturen<br />
gestürzt wurden, wie in Tunesien. Die ImperialistInnen<br />
und reaktionäre Staaten der Region wollten von dieser<br />
Dynamik profitieren und wollten eine Freiheit für<br />
ihre eigenen Profite, wie in Ägypten und in Libyen.<br />
Die Türkei war in dieser reaktionären Rivalität dabei.<br />
Sie begannen eine Suche nach Regionen mit neoosmanischer<br />
Politik, um dort eine Vorherrschaft zu<br />
konstruieren. Mit ihren so genannten Angriffen gegen<br />
Israel, versuchten sie arabische Menschen mit den<br />
eigenen zu ersetzen. Sie konzentrierten sich auch auf<br />
die Feindschaft gegen das kurdische Volk, indem sie<br />
versuchten den Prozess der <strong>Rojava</strong> Revolution, die<br />
eine nationale demokratische libertäre Bewegung für<br />
Selbstverwaltung und Selbstverteidigung ist, die ihre<br />
Wurzeln im Norden entwickelt hat, zu überwältigen und<br />
zu neutralisieren. Der Mittlere Osten ist wieder zu einem<br />
Gebiet für den Konkurrenzkampf und den Krieg der<br />
ImperialistInnen geworden. Die USA konnten mit den<br />
Kriegen, die sie gegen Afghanistan und den Irak geführt<br />
haben, nicht genau das erreichen, was sie wollten. Sie<br />
vergrösserten ihren eigenen Markt in einem Teil der alten<br />
Kolonien von Russland, in Lettland, Estland, Litauen<br />
und der Ukraine, auf der Basis der Zusammenarbeit<br />
mit UN-ImperialistInnen. Der Balkan wurde in einen<br />
Markt für die deutschen ImperialistInnen verwandelt,<br />
die eng mit den USA zusammenarbeiten. Die Franzosen<br />
begannen offensivere militärische Angriffe, vor allem in<br />
Afrika, durchzuführen. Dies machten sie mit ähnlicher<br />
Vorgehensweise auch in Syrien. Russland wartete auf<br />
73
eine Gelegenheit, sich die grossen Marktplätze zurück<br />
zu nehmen, die von den USA und dem imperialistischen<br />
UN Block genommen worden waren, um sich zu stärken<br />
und zu entwickeln, und traf hierzu wirtschaftliche,<br />
politische und militärische Vorbereitungen, um den<br />
Prozess von innen nach aussen zu drehen. Russland<br />
bewegt sich seit kurzem selbstbewusster in Syrien und<br />
mit einer grösseren militärischen Stärke. Sie zeigten<br />
damit, dass sie an diesem Wettbewerb und dem Krieg<br />
teilnehmen.<br />
Der USA-UN imperialistische Block, der die<br />
Auswirkungen der Daesh und anderer islamistisch<br />
faschistischer Banden im Nahen Osten nicht<br />
neutralisieren konnte, so wie sie auch die Einmischung<br />
von Russland nicht verhindern konnten, musste mit<br />
ihnen eine Vereinbarung treffen. Der Krieg in Syrien<br />
ist ein Ergebnis der Versuche von Russland, den USA<br />
und der Türkei ihren Anteil aus der Neuformierung der<br />
Region zu bekommen. Obwohl sie unfreiwillig Verträge<br />
schlossen, sind die Widersprüche und Spannungen,<br />
insbesondere zwischen Russland und den USA sehr<br />
gross, und es ist sehr wahrscheinlich, dass diese zu<br />
gewaltsamen Konflikten werden. Die Türkei hat schon<br />
seit langem, zusammen mit Saudi-Arabien und Katar,<br />
in der Region eine sunnitische Politik angewandt.<br />
Sie unterstützen islamistische faschistische Banden<br />
wie Daesh und Al Nusra und versuchen durch die<br />
Verwendung dieser Kräfte die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
und die kurdische nationale Befreiungsbewegung zu<br />
unterdrücken, und sich in der Region festzusetzen.<br />
Sowohl der Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs<br />
wie auch der Einzug in die Basika-Region, angeblich<br />
wegen den TurkmenInnen, hat denselben Grund. Die<br />
Politik und die Pläne Russlands betreffend Syrien sind<br />
nicht neu. Als ein Land, das enge Beziehungen zum<br />
Baath-Regime hat und dort Militärbasen eingerichtet hat,<br />
ist Russland einflussreich in der Region. Als die USA<br />
und ihre Alliierten jeder Methode, einschliesslich Krieg,<br />
zustimmten, um ihre Vorherrschaft in diesen Gebieten in<br />
Syrien zu sichern, wartete Russland nicht und gab jede<br />
Art von Unterstützung, damit das Assad Regime an der<br />
Macht bleiben konnte. Jetzt entwickelt Russland eine<br />
neue Politik indem sie direkt in der Region eingreifen.<br />
Die imperialistische Allianz der USA und der UN<br />
versuchen die Region nach ihren Ideen neu zu gestalten,<br />
haben damit aber Schwierigkeiten, weil sie dort nicht<br />
die einzigen sind, die dies wollen. Sie versuchen es in<br />
Syrien, aber genau wie im Irak gelang ihnen das nicht. Im<br />
Irak übernahmen verschiedene ethnische und religiöse<br />
Gruppen aus dem politischen Umfeld die Macht, um<br />
die Absichten der ImperialistInnen misslingen zu<br />
lassen. Tatsächlich wurde Daesh, mit der Hoffnung,<br />
diese Kräfte daran zu hindern, das Gleichgewicht in der<br />
Region zu stören, von den ImperialistInnen unterstützt<br />
und bewaffnet. Doch da die Daesh die regionalen<br />
Gegebenheiten nutzen wollten, um ihre eigene<br />
Vorherrschaft in der Region einzurichten, entzogen<br />
sie sich nach einer gewissen Zeit der Kontrolle durch<br />
die ImperialistInnen und der regionalen reaktionären<br />
Staaten, und wurden selber zu einer grossen Gefahr<br />
für ihre Profite. In der bestehenden Situation konnte<br />
die irakische Armee, die Peschmerga und die syrische<br />
Armee sich nicht gegen die Daesh behaupten. Die lahmen<br />
Angriffe der ImperialistInnen waren nicht genug, um das<br />
Vordringen und die Ausbreitung der Daesh zu verhindern.<br />
Sie kämpften gegen das Monster, das sie selbst<br />
geschaffen hatten. Zwar bildeten sie eine internationale<br />
Koalition, sie konnten die Daesh aber trotzdem nicht<br />
verhindern. Daesh war in einer Position, in der sie die<br />
Erwartungen an sie nicht erfüllten. Dies erinnert an die<br />
Situation in Deutschland während der Hitler-Herrschaft.<br />
Die ImperialistInnen jener Zeit unterstützten den<br />
Hitlerfaschismus, um den Einfluss der Sowjetunion zu<br />
verhindern. Doch das Monster, mit dem Ziel der Macht,<br />
begann sie aufzufressen. Aus diesem Grund spielte der<br />
Widerstand und der Sieg der Sowjetunion die Rolle<br />
eines Leibwächters für die von Hitler besetzten Staaten<br />
in der Region. Es ist kein Geheimnis, dass Teile des<br />
Anti-Daesh-Blocks GegnerInnen der ideologischen<br />
und politischen Perspektiven der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
und ihre Verteidigungskraft YPG sind, wenn sie diese<br />
mit ihren eigenen ideologischen und politischen Ziele<br />
vergleichen. Aber der Erfolg der YPG verpflichtete sie<br />
dazu, die aufopfernden Kämpfe und den Widerstand der<br />
YPG gegen Daesh und andere Gruppen anzuerkennen.<br />
Es ist eine Beziehung, der die ImperialistInnen zwar<br />
verpflichtet sind, sie hätten sie aber lieber dennoch nicht<br />
so.<br />
Es ist kein Problem für uns, dass einige der<br />
ImperialistInnen den Daesh schlagen, wie die BesitzerIn<br />
einen wilden Hund, der hier und da nicht gehorcht.<br />
Dieser Hund greift eigentlich uns an. Deshalb stört es<br />
uns nicht, wenn sie den Daesh etwas schlagen. Wir<br />
sollten auch betonen, dass sich die Zusammenarbeit der<br />
USA, der UN und Russland mit der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
und ihrer Pionierarbeit grundsätzlich nur auf eine<br />
militärische Zusammenarbeit beschränkt. Weder die<br />
<strong>Rojava</strong> Revolution noch die nationalen demokratischen<br />
Rechte der kurdischen Bevölkerung sind ein Thema.<br />
Was denkt ihr über die internationale Solidarität?<br />
Als Partei kümmern wir uns sehr um dieses Thema. Wir<br />
versuchen Bündnisse zu schliessen, machen Treffen,<br />
bilden Aktionseinheiten und üben Solidaritätspraktiken<br />
mit sehr vielen internationalen Gruppen. Allerdings<br />
können wir nicht sagen, dass Einheiten, die stark und weit<br />
verbreitet genug sind, wie es jetzt für eine revolutionäre<br />
internationale Zuständigkeit notwendig wäre, aufgebaut<br />
werden. Es genügt, sich die mordende Menge der Daesh<br />
anzusehen, um sich der beschämenden Situation der<br />
Gruppen, die sich als links, sozialistisch, revolutionär<br />
oder anarchistisch bezeichnen, zu sehen. Denkt an die<br />
74
Tausenden von Menschen aus fast 100 Ländern, die<br />
sich dieser mordenden Masse anschliessen. Die Zahl<br />
der InternationalistInnen, die für eine Alternative wie<br />
die <strong>Rojava</strong> Revolution Stellung beziehen, die für die<br />
Frauenbefreiung kämpft und Gleichberechtigung und<br />
Gerechtigkeit verteidigt, ist im Vergleich sehr klein.<br />
Wir sind uns sicher, dass die <strong>Rojava</strong> Revolution, die im<br />
wüstenartigen politischen Umfeld des Mittleren Ostens<br />
wie eine Oase und eine Quelle des Lebens ist, mehr<br />
Interesse, Unterstützung und Solidarität verdient.<br />
Um zu verstehen, was hier geschieht und um die Situation<br />
zu verbessern, sollte jede Art von internationaler<br />
Unterstützung geleistet werden. Unsere Revolution<br />
macht das möglich. Die <strong>Rojava</strong> Revolution mit dem,<br />
was sie verteidigt und verwirklicht, macht internationale<br />
Solidarität und die Einheit der RevolutionärInnen<br />
notwendig und zwingend. Es sollte betont werden, dass<br />
die RevolutionärInnen und KommunistInnen mehr<br />
an der Verteidigung und dem Aufbau der Revolution<br />
teilnehmen sollten. Dies um zu gewährleisten, dass<br />
die <strong>Rojava</strong> Revolution zur Demokratisierung Syriens<br />
beitragen wird, zur Befreiung von Nordkurdistan und<br />
für den Aufbau und die Entwicklung der sozialistischen<br />
Verbände / Einheiten. Unsere Partei betont noch<br />
einmal konkret die Anstrengungen zur Verteidigung,<br />
zur Verbreitung und Stärkung der eigenen Revolution<br />
der Völker und der Unterdrückten der Welt durch die<br />
Pionierarbeit im Internationalen Freiheits-Bataillon.<br />
Was wollt ihr den internationalen revolutionären<br />
Bewegungen sagen?<br />
Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist heute der Ort der Menschen<br />
und der Unterdrückten der Welt, die gegen den<br />
Kapitalismus, den Imperialismus und jede Art von<br />
religiösen Reaktionären kämpfen. Die Revolution von<br />
<strong>Rojava</strong> zu schützen bedeutet gegen den Kapitalismus,<br />
Imperialismus und reaktionäre Religionsbestrebungen<br />
Widerstand zu leisten und den Fortschritt der Revolution<br />
zu unterstützen. Der Sieg der Revolution von <strong>Rojava</strong><br />
wird ein starker Schlag gegen den Kapitalismus, den<br />
Imperialismus und reaktionäre Diktaturen in der Region<br />
sein.<br />
Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist heute das, was die Pariser<br />
Kommune, die bolschewistische Revolution, Kuba,<br />
China, Vietnam, Südafrika und Algerien bedeuten. Aus<br />
diesem Grund ist Schutz und Unterstützung aber auch<br />
die Teilnahme darin die konkreteste, unvermeidlichste<br />
und obligatorische ideologische und politische<br />
Verantwortung der revolutionären Bewegungen heute.<br />
75
TKP/ML & TIKKO<br />
«Es ist für uns sehr wichtig, dass wir als<br />
RevolutionärInne hier auch internationale<br />
Solidarität zeigen. Für die Öffentlichkeit<br />
ausserhalb <strong>Rojava</strong>s ist es ebenfalls sehr<br />
wichtig, dass die Leute sagen, dass da<br />
auch internationale KommunistInnen und<br />
RevolutionärInne kämpfen»<br />
Könnt ihr etwas über euch erzählen? Wie ist<br />
die TKP/ML-TIKKO hier im Kampf in <strong>Rojava</strong><br />
involviert?<br />
TKP/ML-TIKKO ist am Kampf des Internationalen<br />
Freiheitsbataillons beteiligt. Die TIKKO ist Mitbegründer<br />
dieses Bataillons. Wir sind bis jetzt aber nur im Bataillon<br />
tätig, extra ein Team zu formieren, das machen wir nicht.<br />
Wir kämpfen als TIKKO im Bataillon, aber in Zukunft<br />
werden wir an Operationen vielleicht auch einzelne<br />
Teams aufstellen.<br />
Kannst du ganz kurz sagen, was der Unterschied<br />
ist zwischen einem Bataillon und einem Team?<br />
Im Bataillon organisieren sich verschiedene revolutionäre<br />
Organisationen. Der Unterschiedlich ist, dass in Teams<br />
die Parteien ohne andere Organisationen auftreten.<br />
Also zum Beispiel könnte die TKP/ML und die MLKP<br />
ein eigenes Team stellen. Die wären dann unabhängig<br />
voneinander. Aber wenn wir im internationalen Bataillon<br />
kämpfen, dann sind wir alle zusammen.<br />
Das heisst, ihr könnt als Bataillon an einer Operation<br />
teilnehmen, aber auch als Team unabhängig davon?<br />
Genau! Das können wir so machen, das ist eigentlich uns<br />
selbst überlassen. Das Internationale Freiheitsbataillon<br />
ist für uns aber sehr wichtig, denn die revolutionären<br />
Kräfte, die hier aktiv sind, haben grosse Bedeutung für<br />
uns. Auch für die <strong>Rojava</strong> Revolution ist es wichtig, dass<br />
wir gemeinsam als ein Bataillon kämpfen. Letztlich ist<br />
aber beides, das heisst unser Kampf als Organisation und<br />
unser gemeinsamer Kampf, für uns von Bedeutung.<br />
Warum ist das Freiheitsbataillon für euch wichtig?<br />
Um die internationale Solidarität zu zeigen ist es<br />
wichtig, dass wir die <strong>Rojava</strong> Revolution verteidigen und<br />
dass wir ein Teil davon sind. Im internationalen Tabûr ist<br />
es unser Ziel, dass Leute auch vom Ausland beteiligen<br />
können. Dabei ist es egal, ob sie sich Demokraten oder<br />
Revolutionäre nennen oder ob sie SozialistInnen oder<br />
KommunistInnen sind. Wäre das nicht so, würden sie<br />
als Einzelpersonen in den YPG Bataillons kämpfen.<br />
Doch mit den Erfahrungen von Spanien im Rücken, als<br />
es damals im Kampf gegen Franco ein vergleichbares<br />
internationales Tabûr gab, wollten wir hier etwas<br />
Vergleichbares auf die Beine stellen. Dies ist umso<br />
wichtiger, weil hier eine Revolution stattfindet. Ob diese<br />
gut oder schlecht sein wird, ist eine andere Frage aber<br />
hier kämpft letztlich ein Volk, bei dessen Freiheitskampf<br />
wir beteiligt sind.<br />
Es ist für uns auch wichtig, dass wir hier als<br />
RevolutionärInne internationale Solidarität zeigen. Für<br />
die Öffentlichkeit ausserhalb <strong>Rojava</strong>s ist wichtig zu<br />
erfahren und zu sehen, dass hier auch internationale<br />
KommunistInnen und RevolutionärInnen kämpfen.<br />
Die Menschen sollen sehen, dass die hier dabei<br />
sind. Und die Menschen, das heisst insbesondere die<br />
RevolutionärInnen, sollen hierher kommen.<br />
Gibt es dabei auch politisch ideologische<br />
Unterschiede?<br />
Ja, es gibt verschiedene Organisationen, die jetzt<br />
am Bataillon beteiligt sind. Es gibt SozialistInnen,<br />
KommunistInnen, AnarchistInnen, DemokratInnen,<br />
Menschen, die nur die die Revolution von <strong>Rojava</strong><br />
verteidigen möchten und solche, die wegen den<br />
Menschenrechten hier sind. Es gibt also ganz<br />
verschiedene ideologische Ansichten. Wir sind aber<br />
alle Teil eines gemeinsamen Bataillons und kämpfen<br />
zusammen gegen Daesh.<br />
76
Wie geht ihr mit diesen Widersprüchen um?<br />
Wir versuchen, Konflikte zu vermeiden, weil es uns nicht<br />
weiterbringt, sondern nur bestimmte Gruppierungen<br />
hervorbringt. Das ist eigentlich jedem klar, aber das heisst<br />
nicht, dass wir unsere Widersprüche einfach ignorieren.<br />
Bestimmte Sachen diskutieren wir. Zumindest wenn wir<br />
Zeit haben, setzen wir uns hin und reden über bestimmte<br />
ideologische Themen. Beispielsweise darüber, wer was<br />
sagt, wer welche Ansichten hat und dann fangen wir<br />
an Diskussionen zu führen. Es ist normal, dass jede/r<br />
sich äussern kann. Eine/r die/der eine andere Ansicht<br />
hat, kann einem anderen einfach zuhören, um ihn zu<br />
verstehen. Da ist es auch sehr wichtig, die Gedanken des<br />
anderen erst mal aufzunehmen, darüber nachzudenken<br />
und damit zu leben.<br />
Diese Auffassung im Tabûr führt dazu, dass jeder hier<br />
ein Genosse ist. Das heisst, dass nicht nur die Leute<br />
aus der eigenen Organisation als solche begrüsst<br />
werden. Wir sagen nicht mehr: «du bist mein Genosse<br />
und die anderen sind halt nur Freunde». Denn alle, die<br />
im Bataillon leben und kämpfen, sind Genossen. Wir<br />
kämpfen nebeneinander und wenn wir im Kampf fallen,<br />
werden wir nebeneinander fallen. Wir werden die besten<br />
Tage im Kampf miteinander verbringen.<br />
Wir haben zum Beispiel an zwei Grossoperationen<br />
teilgenommen. Da haben wir auch Gefallene gehabt und<br />
das verbindet uns. Wir sind dadurch ein besseres Tabûr<br />
geworden. Die Qualität steigt durch die gemeinsame<br />
Erfahrung und die Solidarität.<br />
Und wie läuft die Arbeit bei euch im Tabûr?<br />
Wir versuchen viel Öffentlichkeitsarbeit zu machen.<br />
Wir haben auch viele Leute, die zum Tabûr kommen<br />
möchten und mit denen wir den Kontakt aufbauen. Wir<br />
haben viele internationale KämpferInnen, die bei uns<br />
sind: Aus den USA, von Brasilien, von Deutschland, aus<br />
der Schweiz, von Frankreich, auch von Russland sind<br />
einige GenossInnen da, die jetzt im Bataillon kämpfen.<br />
Gibt es im Bataillon auch Reflexionen, im Sinne<br />
von Kritik und Selbstkritik?<br />
Ja, das ist sehr wichtig bei uns. Wir machen täglich Kritik /<br />
Selbstkritik. Dabei formen wir Teams. Diese bestehen aus<br />
drei bis fünf Personen. Zwei Teams sind eine Mannschaft<br />
und es gibt einen Mannschaftskommandanten und die<br />
Teams haben auch Teamkommandanten. Jede Woche<br />
trifft sich die Mannschaft und nimmt am Treffen zur<br />
Kritik / Selbstkritik teil. Sie setzen sich hin und reden<br />
über etwas. Zum Beispiel, wer welche Kritikpunkte an<br />
wem hat, was falsch gemacht wurde, was wir in Zukunft<br />
vermeiden sollen. Täglich machen die Teams Kritik /<br />
Selbstkritik. Da werden Fragen besprochen, wie zum<br />
Beispiel wer an dem Tag was Falsches gemacht hat,<br />
wer was gemacht hat und so weiter. Dies führt dazu,<br />
dass Kritik / Selbstkritik uns hilft, dass viele Probleme<br />
gleich am Anfang gelöst werden und dass sie sich nicht<br />
sammeln und auf einmal platzen und es dann schwieriger<br />
ist sie zu lösen.<br />
Wenn wir täglich über Probleme reden, dann können<br />
wir diese besser lösen und die GenossInnen verstehen<br />
das dann auch besser. Wenn sich Probleme hingegen<br />
sammeln würden, dann haben wir auf einmal ein grosses<br />
Problem. Einmal im Monat üben wir als ganzes Tabûr<br />
Kritik / Selbstkritik aus. So läuft das bei uns. Auch darin<br />
haben wir also eine Art Ausbildung gemacht.<br />
Wir haben uns zudem hingesetzt und einen Bildungsplan<br />
gemacht, damit wir einerseits fähig sind, Selbstkritik<br />
auszuüben, andererseits aber auch andere Themen<br />
behandeln können. Beispielsweise beschäftigen wir uns<br />
auch immer wieder mit Fragen, wie was denken wir über<br />
die internationale Solidarität usw. Wenn wir also Zeit<br />
finden reden wir an zwei, drei Tagen über bestimmte<br />
Themen. Neben der internationalen Solidarität sind das<br />
zum Beispiel Fragen der Frau. Hierzu haben wir uns<br />
Fragen gestellt, zum Beispiel wie leben wir im Tabûr als<br />
Männer? Wie gehen wir hier mit Frauen um? Was ist ein<br />
richtiger Umgang? Über solche Themen diskutieren wir.<br />
Macht ihr auch militärische Ausbildungen?<br />
Ja, soweit es möglich ist, besuchen wir militärische<br />
Ausbildungen. Aber an sich werden wir von den eigenen<br />
Tabûrs und Parteien militärisch ausgebildet. Erst dann<br />
können die Leute zur Front und zum Bataillon kommen.<br />
Erst dann, weil das Bataillon ein Kampfbataillon ist, das<br />
nur an der Front ist und nicht zurückkommt. Darum ist<br />
es sehr wichtig davor schon eine Ausbildung zu haben.<br />
Aber wir versuchen auch an der Front den Leuten eine<br />
militärische Ausbildung zu geben, zum Beispiel denen,<br />
die eine Waffe nicht oder zu wenig kennen. Dann sagen<br />
wir zum Beispiel, «heute machen wie lieber eine RPG<br />
Ausbildung». Ja auch solche Sachen gehören zu unserem<br />
Alltag.<br />
Wie bewegt ihr euch militärisch?<br />
Das Bataillon ist immer an der Front und wir sind<br />
ein bewegliches Bataillon. Damit hat es keine festen<br />
Standorte, solange wir an Operationen teilnehmen. Die<br />
beweglichen Tabûrs bestehen in <strong>Rojava</strong> aus denjenigen<br />
Leuten, die an der vordersten Front kämpfen. Sie sind<br />
zum Beispiel diejenigen, die zuerst in ein Feinddorf oder<br />
in Feindstädte reingehen und dieses kontrollieren. Es<br />
gibt besondere bewegliche Tabûrs auch in der YPG. Wir<br />
sind ein Teil davon.<br />
Das kann aber auch wechseln. Wenn es keine Operation<br />
77
gibt, sind wir an der Front und halten dort einen<br />
Stützpunkt. Wenn an Operationen teilgenommen wird,<br />
sind wir wieder ein bewegliches Tabûr. Normalerweise<br />
bewegt sich das Tabûr nach der Operation und zieht sich<br />
dann erst zurück. Dann kann man sich dann doch auch<br />
erholen.<br />
Da wir verschiedene Parteien und Organisationen sind,<br />
können wir in dieser Situation der Ruhe Leute, also<br />
unsere GenossInnen, auswechseln. Die Leute, die sich<br />
erholt haben, kommen zum Tabûr und die, die richtig<br />
müde und kaputt sind, die kommen dann zurück und<br />
erholen sich. Deswegen müssen wir aber als Tabûr nicht<br />
von der Front zurückkommen. Das ist unser Vorteil.<br />
Die Müden kommen mal zurück, erholen sich und<br />
werden ausgewechselt durch diejenigen, die sich<br />
erholt haben?<br />
Genau, das ist ein Vorteil von uns. Die YPG ist nicht so<br />
beweglich.<br />
Das ist der Unterschied zwischen euch und der<br />
YPG?<br />
Die YPG sind die, die diesen Freiheitskampf für die<br />
<strong>Rojava</strong> Revolution anführen und wir solidarisieren uns<br />
mit ihnen. Wir befinden uns hierarchisch auch unter der<br />
YPG, gleichzeitig sind wir Teil der YPG. Wenn wir an<br />
der Operation teilnehmen, dann unter dem Kommando<br />
der YPG. Die sagen uns, wann wir wo an die Front<br />
gehen können und so weiter. Sie sagen was wir tun, sie<br />
koordinieren und dann gehen wir nach vorne oder wir<br />
bleiben zurück.<br />
Gefühl. Das wollen wir auch erreichen und wir müssen<br />
das noch besser machen. Das heisst, das wir nicht nur<br />
dreissig Leute im Tabûr bleiben, sondern mehr Leute<br />
werden, die hier die <strong>Rojava</strong> die Revolution verteidigen.<br />
Für die TKP/ML-TIKKO heisst das auch wachsen.<br />
Ist die Erfahrung die ihr sammelt, eine Erfahrung,<br />
die ihr auch in der Entwicklung von TKPML-TIKKO<br />
gebrauchen könnt?<br />
Ja, aber das ist ein anderer Kampf. Was wir hier lernen,<br />
ist unter anderem in den Städten mit verschiedenen<br />
Waffen Krieg zu führen. Worin wir bis jetzt Erfahrungen<br />
haben, war der Guerillakrieg. Wir waren in der Guerilla<br />
in den Bergen der Türkei und von dort lernten wir unsere<br />
Strategie. Dort haben wir nur eine Guerillaarmee, hier ist<br />
es anders. Hier lernst du in den Städten zu kämpfen, und<br />
das auch mit den grossen Waffen oder gar mit Panzern.<br />
Flugzeuge kommen hierher und bombardieren, wir gehen<br />
rein in die Städte und so weiter; das ist in der Guerilla<br />
halt alles nicht so. Dort bombardieren die Flugzeuge uns<br />
und nicht umgekehrt. In den Bergen greifst du den Feind<br />
an und ziehst dich wieder zurück. Hier greifst du an und<br />
bleibst. Das ist was ganz anderes. Hier kämpfst du täglich<br />
24 Stunden lang. Es ist ein aktiver Kampf. In den Bergen<br />
Also die YPG funktioniert nicht wie du vorher<br />
erzählt hast?<br />
Genau! Die funktionieren anders, weil wir durch die<br />
verschiedenen Organisationen und die verschiedenen<br />
Parteien ein internationales Bataillon bilden, ist bei uns<br />
alles ein bisschen anders. So haben wir das gegründet,<br />
so wurde es besprochen und bis jetzt läuft alles sehr gut.<br />
Eure Bilanz ist bis jetzt positiv?<br />
Ja, positiv. Wenn die YPG Krieger oder Kriegerinnen,<br />
die jetzt im Kampf sind, uns sehen, wissen sie, dass<br />
sie nicht alleine im Kampf sind. Sie wissen, dass wir,<br />
Sozialistinnen, KommunistInnen oder AnarchistInnen<br />
hier im Tabûr sind und für sie kämpfen und dass von<br />
uns auch schon GenossInnen gefallen sind. Das ist sehr<br />
wertvoll. Die schätzen das auch. Ja das ist wirklich<br />
wertvoll und das sagen sie uns auch. Wenn wir da<br />
hin gehen und die Gesichter der YPG Krieger oder<br />
Kriegerinnen anschauen, hat man dieses Gefühl, dass<br />
sie wissen, dass das was wir machen, was Gutes ist und<br />
wir das Richtige machen und das ist eben ein schönes<br />
78
dauert eine Operation durchzuführen drei, vier Minuten<br />
höchstens, dann musst du dich wieder zurückziehen, weil<br />
wir dort mit einer kleineren Kraft eine grössere Kraft<br />
angreifen und letztlich nur Moralschaden anrichten. Ein<br />
Guerillakampf ist dazu da, den Feind nicht komplett zu<br />
zerstören, das geht mit dieser Kampfform schlichtweg<br />
nicht.<br />
Hier ist es ganz anders. Hier kämpft eine grosse Kraft<br />
gegen eine grosse Kraft. Hier verteidigst du die Städte, hier<br />
versuchst du dein Land zu verteidigen. Diese Erfahrung<br />
ist für uns wichtig. In Zukunft werden wir auch in den<br />
Städten kämpfen und diese Erfahrungen brauchen wir,<br />
nicht nur militärisch, auch für das politische Leben. Das<br />
ist zum Beispiel das erste Mal, dass wir als revolutionäre<br />
Organisation oder Partei sehen, wie ein Land oder wie<br />
die Bevölkerung neu aufgebaut wird. Es kann sein, dass<br />
wir Kritikpunkte haben, aber hier findet eine Revolution<br />
statt und wir lernen durch diese Revolution.<br />
Wir haben bisher nur in den Büchern gelesen, wie eine<br />
Revolution gemacht wird; von Lenin, von Mao und so<br />
weiter. Von all diesen Leuten haben wir es gelesen und<br />
gelernt aber jetzt leben wir es. Wir sind mitten drin und<br />
wenn wir es irgendwann einmal schaffen in der Türkei<br />
die Revolution durchzuführen, dann werden wir das mit<br />
dieser Erfahrung machen. Also mit den hier erfahrenen<br />
militärischen und politischen Aspekten. Wichtig für die<br />
Revolution ist, dass wir kämpfen aber noch wichtiger ist<br />
die Arbeit mit der Bevölkerung und diese zu verändern.<br />
Das heisst den Kampf für den Sozialismus zu führen.<br />
Wie gesagt, es ist sehr schwer die Bevölkerung zu<br />
verändern. Lebt ein Mensch im Kapitalismus, lebt er<br />
beispielsweise automatisch auch im Egoismus. Ich<br />
würde sogar sagen, dass es immer mehr so ist. Das zu<br />
verändern, zum Beispiel Kooperativen zu gründen, wo<br />
alle Menschen gleich sind, das ist sehr schwer, doch<br />
genau das leben wir hier.<br />
Eine Gesellschaft neu aufzubauen, das ist wohl<br />
schwieriger als zu kämpfen. Du gehst und kämpfst, das<br />
ist in dieser Hinsicht einfach. Du weisst was du machen<br />
musst, du musst den Feind töten oder er tötet dich. Aber<br />
die Bevölkerung, das ist etwas ganz anders. Du musst<br />
Menschen ändern und Menschen zu verändern ist das<br />
Schwierigste was ein/e RevolutionärIn machen kann.<br />
In dieser schwierigsten Mission lernen wir viel von der<br />
YPG. Ebenso von den KurdInnen die hier leben. Sie sind<br />
fortschrittlicher als wir, sie kämpfen auch gut. Von ihnen<br />
lernen wir. Wir lernen auch in den Bergen von ihnen.<br />
Wir müssen versuchen SchülerInnen zu werden, nicht<br />
immer nur LehrerInnen zu sein.<br />
Das heisst ihr und die YPG verbindet den Kampf<br />
gegen den Feind mit dem Aufbau der Revolution?<br />
Ja, für uns ist die politische Sache gleich dem Krieg.<br />
Wir sagen nicht, Krieg und Politik ist was Getrenntes.<br />
Wir sagen Politik und Krieg ist das Gemeinsame.<br />
Ohne Politik kannst du nicht kämpfen. Das was dich<br />
zum Kampf bringt ist deine Politik, das heisst deine<br />
Ideologie. Ohne deine Ideologie kannst du nicht<br />
kämpfen. Wir sind keine KämpferInnen, die kämpfen<br />
nur um Action zu haben oder um Leute zu töten. Wir<br />
versuchen hier Leute zu verändern. Wir versuchen hier<br />
einen Freiheitskampf zu führen. Wir versuchen hier eine<br />
Revolution durchzuführen!<br />
Bei Gesprächen mit YPJ KommandantInnen ist<br />
mir aufgefallen, dass auch sie versuchen die Gedanken<br />
der Revolution in die militärischen Strukturen oder<br />
in den Umgang mit den RevolutionärInnen zu tragen.<br />
Bei der YPG oder bei den KurdInnen ist es so, dass sie<br />
im Krieg ideologische Ausbildung geben. Einerseits<br />
sind die an der Front beim Kämpfen und andererseits<br />
haben sie eine starke Kraft in Fragen der Ausbildung.<br />
Das macht die YPG sehr stark. Wie gesagt ist es für die<br />
Leute, die am Kampf beteiligt sind, besser, wenn sie<br />
mit einer Ideologie am Kampf beteiligt sind und wenn<br />
sie wissen warum man diesen Kampf führt. Das ist der<br />
79
Grund, weshalb sie sich nicht zurückziehen.<br />
Man nehme aber zum Beispiel ein imperialistisches<br />
Land oder ein kapitalistisches Land. Wenn man bei<br />
denen die Armee anschaut, da kann sich jeder einfach<br />
zurückziehen, weil er was zu verlieren hat. Aber hier<br />
haben wir nichts zu verlieren. Wir sind da, weil wir<br />
wissen, warum wir hier sind. Weil wir als Mensch sagen<br />
«wir sind RevolutionärInne» und wenn wir sagen, dass<br />
wir RevolutionärInne sind, sind wir auch da, um dafür<br />
was zu machen. Ausbildungen sind dazu da, dass du im<br />
Kampf stets ein Schritt voraus bist. Es kann sein, dass<br />
der Feind bessere Waffen hat aber das, was du im Kopf<br />
hast, deine Ideologie ist für dich ein Vorteil. Das stärkt<br />
dich, der Feind wird schwächer und du wirst stärker.<br />
Der Feind kann Angst haben, er kann sich zurückziehen<br />
aber du ziehst dich nicht zurück, weil du diesen Kampf<br />
führen musst. In der Struktur des YPG verhält es sich<br />
genau so. Im Kampf beteiligt zu sein bedeutet für sie<br />
auch sehr viel Wert auf die ideologische Ausbildung zu<br />
geben. Wenn ein Tabûr zum Beispiel an der Front ist, bei<br />
einer grossen Operation, dann zieht sich der Tabûr nach<br />
der grossen Operation zurück und es gibt nochmals eine<br />
ideologische Ausbildung. So ist die Struktur in der YPG<br />
und das ist sehr gut.<br />
Warum ist das so?<br />
Weil sie sich dadurch reproduzieren. Du bist als<br />
KämpferIn zum Beispiel an der Front, im Kampf kannst<br />
du viele Schwierigkeiten erleben. Du kannst sagen, ich<br />
gehe, ich will nicht mehr kämpfen aber wenn du die<br />
ganze Zeit zusätzlich ideologische Ausbildungen erhältst<br />
und weisst, warum du diesen Kampf führst, dann gehst<br />
du nicht.<br />
Wir Menschen haben durch das, was das kapitalistische<br />
System uns gibt, Schwächen. Ja wir haben viele<br />
Schwächen. Diese machen, dass wir nicht alle unsere<br />
Stärken herausbringen, dass wir Dinge vermeiden.<br />
Unsere revolutionäre Ideologie hilft uns aber damit<br />
umzugehen. Revolutionäre Gefühle, revolutionäres<br />
Denken ist sehr wichtig für dich und das was du tust.<br />
Es geht darum das andere, den Dreck den du in dir hast<br />
einfach rausschmeissen zu können.<br />
Und wenn du das nicht machst, und dich nicht ideologisch<br />
ausbildest, dann kann sich das in deinem Kopf festsetzen.<br />
Dieses «ich habe Angst, ich will nicht kämpfen» zum<br />
Beispiel. Das sind sehr menschliche Sachen aber<br />
damit umzugehen, das was für dich ein Heilmittel ist,<br />
ist deine politische Ideologie. Man kann zum Beispiel<br />
Depressionen haben, das ist sehr menschlich. Aber<br />
die Ideologie ist ein Heilmittel dagegen und dies zu<br />
erkennen ist ein Fortschritt für uns, auf den uns auch die<br />
YPG gebracht hat.<br />
Könnt ihr denn an all diesen Ausbildungen<br />
teilnehmen?<br />
Ja, das können wir. An den ideologischen Ausbildungen<br />
der YPG nehmen wir nicht teil. Aber an den militärischen<br />
Ausbildung können wir teilnehmen. Die ideologischen<br />
Ausbildungen bekommen wir von unseren eigenen<br />
Organisationen, aber militärische Ausbildungen, wenn<br />
wir zum Beispiel sagen, wir wollen für grossen Waffen<br />
eine Ausbildungen haben, können wir haben. Es ist<br />
eigentlich ganz einfach: Du gehst dann in eine Akademie<br />
und machst eine Ausbildung.<br />
Das ist alles sehr beeindruckend. Möchtest du noch<br />
was dazu fügen?<br />
Das sind wichtige Erfahrungen, die ich hier gemacht habe.<br />
Einige davon nimmt man mit, andere vergisst man aber<br />
eigentlich nehmen wir 90 Prozent dieser Erfahrungen mit<br />
uns. «Wir sind LehrerInnen und die sind SchülerInnen»<br />
so gehen wir oftmals vor, damit wir lernen können. Aber<br />
wenn man sagt «wir sind LehrerInnen», dann baust du dir<br />
eine Wand, weil du vermeidest es Schüler zu sein. Unser<br />
Motto, das wir hier erlernen, ist erst mal SchülerIn und<br />
dann erst LehrerIn zu werden. So schreiten wir voran.<br />
Was würdest du den jungen KommunistInnen,<br />
SozialistInnen auch AnarchistInnen in Europa sagen,<br />
die auf dem Weg sind einen revolutionären Prozess<br />
zu machen?<br />
Ich würde ihnen sagen, dass sie hier an der <strong>Rojava</strong><br />
Revolution teilnehmen sollen, weil es eine andere, eine<br />
neue Erfahrung ist. Hier wirst du lernen, wie man nach<br />
einer Revolution mit der Bevölkerung umgeht. Was für<br />
Fehler gemacht werden. Was du vermeiden sollst. Aber<br />
auch was für gute Sachen gemacht werden. Wie man die<br />
Bevölkerung verändert. Wie man an der Front kämpft.<br />
Und so weiter.<br />
Die Leute, die sich RevolutionärInne nennen, auch<br />
AnarchistInnen, die sollen hier in dieses kleine Gebiet,<br />
das wir <strong>Rojava</strong> nennen, kommen und lernen zu kämpfen.<br />
Vielleicht auch erst mal diese Kultur kennenzulernen.<br />
Dieser Kampf ist sehr wichtig und über diesen Kampf<br />
kannst du nicht einfach sagen, das was du hier lernst in<br />
diesem Land kannst du auch woanders tun. Jedes Land<br />
hat eine eigene Kultur und eine eigene Lebensweise und<br />
der Kampf wird dann auch anders sein. Aber es gibt viele<br />
Sachen, die du vom Kampf von hier da hin bringen<br />
kannst.<br />
Ich glaube es ist für alle RevolutionärInnen auf dieser<br />
Welt wichtig, dass wenn dein Feind dich mit der Waffe<br />
bekämpft, und das macht er hier aber auch anderswo,<br />
dann musst auch du lernen mit der Waffe zu kämpfen.<br />
Das ist sehr wichtig. In vielen Ländern ist es nicht wie<br />
hier, dass du wirklich an der Front bist. Aber irgendwann<br />
80
wirst auch du die Waffe gegen den Feind benutzen<br />
müssen. Der Feind sagt nicht, «du kannst jetzt kommen<br />
ich gehe». So wird es nicht sein. Deswegen muss man<br />
lernen, wie man mit der Waffe umgeht. Das gleiche gilt<br />
aber auch für das Politische. Auch hier muss man lernen,<br />
wie man mit der Bevölkerung umgeht. Wie man sie<br />
verändern kann.<br />
Hier lernen wir, was es heisst, ein/e wirkliche/r<br />
RevolutionärIn zu sein. Hier bekommst du das politische<br />
Verständnis, damit du weisst, warum man für die<br />
Revolution kämpft. Wenn man hier das Volk sieht, in<br />
welcher Armut sie leben und was für Sachen die hier<br />
erlebt haben, dann weisst du, was es zu tun gibt. Man<br />
muss das aber erst mal erleben, damit man sagen kann,<br />
wir müssen was dagegen tun, auch in unserem Land<br />
müssen wir dagegen was tun.<br />
Vielleicht kann es sein, dass dein Lebensstandard bei dir<br />
besser ist. Doch wenn man sagt, «ich bin RevolutionärIn»,<br />
dann sagst du, das System das herrscht ist ein falsches<br />
System. Was du dagegen machen kannst, ist entweder<br />
du bewaffnest dich oder du versuchst im Proletariat<br />
gute Arbeit zu leisten. Was du für eine Strategie hast,<br />
um dagegen zu kämpfen, das musst du hier lernen. Und<br />
genau das lernst du hier auch. Hier lernst du nicht nur<br />
zu kämpfen, hier lernst du wirklich alles, was du für die<br />
Revolution brauchst. Du kannst vielleicht nicht alles<br />
mitnehmen aber bestimmt kannst du etwas mitnehmen.<br />
Du wirst nicht leer von hier in dein Land zurückkehren,<br />
das kann ich den GenossInnen, die ausserhalb <strong>Rojava</strong>s<br />
leben, versprechen. Auch wenn sie den Krieg und den<br />
Kampf sonst nur vom Fernsehen und von den Medien<br />
lernen, sollen sie herkommen und Erfahrung sammeln.<br />
Grusswort der TIKKO<br />
Wenn man die Anschläge in Paris anschaut,<br />
kann man sehen, dass wir in <strong>Rojava</strong> für die<br />
richtige Sache kämpfen. Dieser Kampf hier<br />
reflektiert das Massaker in Paris.<br />
Es zeigt uns, warum wir die Waffe in die<br />
Hand nehmen müssen, nämlich um gegen die<br />
faschistische Daesh zu kämpfen. Das hat uns<br />
das Massaker in Paris gezeigt, das hat uns<br />
<strong>Rojava</strong> gezeigt und beides, Paris und <strong>Rojava</strong>,<br />
Ankara und Suruc, zeigen uns, dass unser<br />
Kampf für eine andere Welt richtig ist.<br />
Pariser Jugendliche, Frauen, Zürcher<br />
Jugendliche und Frauen aus Deutschland,<br />
die Jugendlichen und die Frauen in Europa<br />
ihr alle sollt keine Angst vor Daesh haben,<br />
sondern diese Angst für etwas Besseres, für<br />
etwas Gutes einsetzen. Ihr müsst gegen das<br />
System kämpfen und ihr solltet das organisiert<br />
machen. So ist es für uns wichtig, dass ihr ein<br />
Teil der Revolution seid. Genau wie Daesh<br />
hier verloren hat, wird das System auch in<br />
Europa verlieren. Doch dafür müssen sich die<br />
Völker organisieren, genauso wie sich auch<br />
die Jugendlichen, Kinder, Frauen oder das<br />
Proletariat organisieren muss.<br />
Diese Aufgabe kommt als erstes der<br />
kommunistischen Partei zu. Die revolutionären<br />
Kräfte müssen sich zuerst organisieren und<br />
zweitens dann auch das Volk. Doch das<br />
Potential, um diesen Kampf zu gewinnen, ist<br />
beim Volk stets vorhanden!<br />
Wir glauben das auch, weil das Volk schon<br />
Menschen wie Barbara Kistler gesehen hat. Sie<br />
hat etwas geschaffen, sie hat das Internationale<br />
dieses Kampfes vorangetrieben und das zeigt<br />
uns, dass das Volk es schaffen kann. Barbara<br />
Kistler ist eine Vertreterin des Internationalismus<br />
und des internationalistischen Kampfes für die<br />
gesamte internationale Bewegung. Wenn unsere<br />
Genossin Barbara noch leben würde, wenn sie<br />
hier wäre, würde sie genau dasselbe tun, was<br />
wir hier machen. Sie würde mit uns zusammen<br />
gegen die faschistische Daesh kämpfen.<br />
81
BÖG<br />
«Hier in <strong>Rojava</strong> hat sich eine Einheit entwickelt,<br />
wie damals im spanischen Bürgerkrieg, wie<br />
in Vietnam. Heute wächst in <strong>Rojava</strong> langsam<br />
aber stetig eine neue menschliche Kraft. Das<br />
ist nicht vergleichbar mit anderen historischen<br />
Erfahrungen. Hier entwickelt sich etwas Neues.<br />
Wir sind hier weil wir InternationalistInnen,<br />
RevolutionärInnen sind und wir sind hier für<br />
eine Revolution in der Türkei.»<br />
Die erste Frage ist: Was heisst BÖG (Birlesik<br />
Özgürlük Güçleri)?<br />
Einheit der Freiheits Kämpfe – United Freedom Forces.<br />
Könnt ihr etwas zum historischen Kontext sagen,<br />
der zur Gründung der BÖG führte? Was sind die<br />
Ziele?<br />
Dies ist eine interessante Situation. BÖG ist eine neue<br />
Bewegung in der Türkei und dies sind neue Schritte<br />
für uns. Bevor wir BÖG vorstellen, müssen wir etwas<br />
über die türkische revolutionäre Bewegung sagen. In<br />
den achtziger Jahren haben wir eine Diktatur erlebt.<br />
Nach der Diktatur sind die revolutionären türkischen<br />
Bewegungen viele verschieden Wege gegangen. Die<br />
Organisationen in der BÖG kommen aus verschiedenen<br />
alten Organisationen. Es sind heute zwei Organisationen<br />
bei uns, die eine Einheit gebildet haben. Sie kommen<br />
aus den siebziger Jahren, BÖG ist unsere bewaffnete<br />
revolutionäre Organisation.<br />
Wie heissen die zwei Organisationen?<br />
Eine heisst Kurtuluş (Befreiung / Liberation). Die andere<br />
heisst TDP, Türkiye Devrim Partisi – Revolutionspartei<br />
der Türkei. Jetzt sind die zwei Organisationen seit einem<br />
Jahr zusammen. Diese zwei Organisationen haben<br />
zusammen die BÖG gegründet.<br />
Was denkt ihr über die verschiedenen historischen<br />
Phasen, die die <strong>Rojava</strong> Revolution bis jetzt<br />
durchlaufen hat?<br />
Die Situation in <strong>Rojava</strong> ist für uns kein von uns getrenntes<br />
Problem. Wir sehen diese Situation als vergleichbar mit<br />
dem, was wir hier in der Türkei erleben. Denn was die<br />
Menschen in Kurdistan, in <strong>Rojava</strong> erleben, das sind alles<br />
vergleichbare Probleme. Was jetzt die KurdInnen in der<br />
Türkei oder in Kurdistan erleben sind Probleme, die im<br />
gesamten Mittleren Osten bestehen. Ausserdem gibt es<br />
im Mittleren Osten Probleme zwischen SchiitInnen und<br />
SunnitInnen. Diese Probleme sind auch unsere Probleme<br />
und sie betreffen alle Länder im Mittleren Osten. Über<br />
ISIS denken wir gleich. ISIS ist nicht nur ein Problem<br />
der KurdInnen oder der AraberInnen. Das ist nicht nur<br />
das Problem von Syrien oder dem Irak. ISIS ist auch für<br />
die Türkei ein Problem. ISIS hat in der Türkei Anschläge<br />
verübt, zum Beispiel in Suruç, Ankara, Sultanahmet<br />
und auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Neben diesen<br />
Anschlägen organisieren sich IslamistInnen und ISIS in<br />
der Türkei. Sie haben in der Türkei unter verschiedenen<br />
Namen Organisationen gegründet oder Lokale eröffnet.<br />
Die türkische Regierung unterstützt ISIS, sie geben<br />
ihnen Geld, Waffen usw. ISIS bewegt sich mit der AKP<br />
Regierung in der Türkei. Diese Situation kann nicht<br />
in einem Jahr beendet werden. Das können wir nicht<br />
einfach verändern. In den islamischen Ländern leben<br />
1,6 Milliarden MuslimInnen. Wir müssen einerseits die<br />
soziologische Situation angehen und andererseits die<br />
politische Situation.<br />
Wir sehen und denken, dass der Imperialismus die<br />
Ursache für das Entstehen der ISIS ist und zu diesem<br />
Krieg geführt hat. In den muslimischen Ländern haben<br />
die Einmischungen der ImperialistInnen nichts Gutes<br />
gebracht. Diese Eingriffe haben die muslimischen Länder<br />
82
zurückgeworfen. Deswegen ist diese Situation nicht<br />
leicht zu verändern. Das ist ein grosses und wichtiges<br />
Problem für uns. Wir müssen dieses Problem richtig<br />
verstehen um es richtig bekämpfen zu können. Das ist<br />
die soziologische Seite. Die politische Seite ist, dass<br />
die ImperialistInnen und Kräfte vor Ort diese Situation<br />
verursacht haben. ImperialistInnen und die türkische<br />
Regierung haben sich zusammen getan. Wir können mit<br />
ISIS nicht nur innerhalb dieser Grenzen kämpfen. Ihr<br />
Kampf ist ein Kampf gegen uns, gegen das Volk. Wir<br />
müssen sie überall wo sie sind bekämpfen, nicht nur<br />
innerhalb der Türkei. Wir leben in der Türkei und führen<br />
auch einen Krieg gegen ISIS und die AKP Regierung. Im<br />
Fernsehen, in den Medien usw. wird das, was wirklich<br />
geschieht nicht gezeigt oder darüber geschrieben. Was<br />
sie uns zeigen sind Lügen. Wir erleben in der Türkei jetzt<br />
einen Krieg. Über die AKP können wir sagen, dass sie<br />
eine legale Organisation von ISIS ist. Die AKP kämpft<br />
gegen die KurdInnen. Die AKP kämpft gegen das, was<br />
menschlich wäre. Sie bauen neue Gefängnisse. Aber auch<br />
die Städte werden zu Gefängnissen. Die Menschen, die in<br />
Kurdistan leben, leben in diesen grossen Gefängnissen.<br />
Uns wird gesagt: du kannst nicht raus gehen, du darfst<br />
nicht kämpfen, du kannst nicht leben. Sie töten die<br />
Kinder, sie töten die Frauen, sie töten jeden Mensch,<br />
der nicht diesem System leben will. Wir reden jetzt hier,<br />
aber in diesen Sekunden erleben diese Menschen etwas<br />
anderes. Sie kämpfen gegen eine faschistische Macht<br />
und für unsere Freiheit.<br />
Diese Macht kämpft nicht nur gegen KurdInnen, sie<br />
kämpft im Irak, in <strong>Rojava</strong>. Was das Volk in <strong>Rojava</strong>,<br />
in Syrien erlebt hat, daran sind diese faschistischen<br />
Kräfte schuld. Nicht nur der ISIS ist schuld für dieses<br />
Leiden. In der Türkei geht es den AlevitInnen auch<br />
nicht gut. Sie haben zum Beispiel eine Redewendung,<br />
die sagt: „ChristInnen in den Libanon, AlevitInnen<br />
in die Gräber.“ Und wenn wir nicht kämpfen wird der<br />
ISIS dort die Macht übernehmen. Die Regierung hat die<br />
Völker in zwei Gruppen geteilt. Sie sagt du bist entweder<br />
auf meiner Seite oder auf der Seite des Feindes, das ist<br />
deine Entscheidung. Wir haben in der Türkei eine legale<br />
Partei. Wir haben Frauen-, ArbeiterInnen- und Jugend-<br />
Organisationen. Und wir kämpfen für die Rechte von<br />
Frauen, ArbeiterInnen und die Rechte der Jugend. Wir<br />
kämpfen gegen ISIS, gegen die AKP Regierung, gegen<br />
das Patriarchat, gegen den Kapitalismus usw. Wir haben<br />
GenossInnen, die seit vielen Jahren im Gefängnis sind,<br />
und sie kämpfen im Gefängnis weiter. Das sind sehr<br />
schwierige Situationen.<br />
In den verschiedenen Ländern verübt ISIS Anschläge,<br />
zum Beispiel in Frankreich. Aber das ist nicht dasselbe,<br />
was wir in der Türkei erleben. In der Türkei haben wir<br />
Bombenattentate erlebt. Die Bomben der Daesh, damit<br />
hat die heutige Regierung etwas zu tun. Wir denken,<br />
dass sich die Angriffe, der Kampf gegen KurdInnen,<br />
AlevitInnen, RevolutionärInnen, KommunistInnen,<br />
83
intensiver wird, dass er täglich schlimmer wird.<br />
Deswegen sind wir heute in <strong>Rojava</strong> und kämpfen gegen<br />
ISIS.<br />
Wir denken, wenn wir heute nicht den Kampf gegen<br />
Faschismus und Militarismus führen, wird es in unserer<br />
Zukunft noch schlimmer sein. Dann wird nicht nur die<br />
AKP zu ISIS gehören, sondern der Staat wird wie ISIS<br />
sein, die Bürokratie wird ISIS sein. Zum Beispiel wird<br />
die Polizei unsere uniformierte ISIS sein. Seit 40 Jahren<br />
ist die Situation in der Türkei so. In der Bürokratie<br />
arbeiten spezielle Menschen. In den Universitäten oder<br />
in Staatsämtern bekommen die AlevitInnen, KurdInnen,<br />
RevolutionärInnen usw. kaum Arbeit. Nur die Leute<br />
die die Regierung gewählt haben können da arbeiten.<br />
Wenn Menschen dort arbeiten wollen, müssen sie die<br />
Regierung unterstützen. Sie nimmt überall Einfluss,<br />
sie ist der Feind des Volkes. Sie arbeitet mit mafiösen<br />
Organisationen, wie zum Beispiel damals in Russland<br />
die Schwarzhemden.<br />
Wir brauchen dringend Waffen für den Krieg. Wir sind<br />
hier weil wir kämpfen wollen. Diesen Kampf kämpfen<br />
wir für die Menschen die kein menschliches Leben<br />
führen können.<br />
Hier in <strong>Rojava</strong> hat sich eine Einheit entwickelt, wie<br />
damals im spanischen Bürgerkrieg, wie in Vietnam.<br />
Heute wächst in <strong>Rojava</strong> langsam aber stetig eine neue<br />
menschliche Kraft. Das ist nicht vergleichbar mit anderen<br />
historischen Erfahrungen. Hier entwickelt sich etwas<br />
Neues. Wir sind hier, weil wir InternationalistInnen,<br />
RevolutionärInnen sind und wir sind hier für eine<br />
Revolution in der Türkei.<br />
Ihr seid auch im Internationalen Freiheits-<br />
Bataillon. Hat das, was ihr bis jetzt gesagt habt,<br />
damit zu tun, dass ihr auch die Einheit mit anderen<br />
kommunistischen und fortschrittlichen Kräften<br />
sucht, um den Krieg gegen ISIS zu führen und<br />
gleichzeitig die Revolution zu verteidigen?<br />
verschiedenen Ländern haben sich bis jetzt<br />
GenossInnen angeschlossen?<br />
Wir hatten bis jetzt GenossInnen aus Griechenland, den<br />
USA, Italien, Spanien. Manche waren KommunistInnen,<br />
manche Anarcho-KommunistInnen.<br />
Was sind die Erfahrungen die ihr in diesem Jahr<br />
gemacht habt?<br />
Das ist eine schwierige Frage. Wir hatten am meisten<br />
junge Universitäts-StudentInnen, Frauen und Männer,<br />
oder jüngere ArbeiterInnen. Sie haben “ihre Zukunft“<br />
zurückgestellt. Sie waren hier sehr aktiv im Krieg. Wir<br />
haben deshalb in einem Jahr sehr viel Erfahrungen im<br />
Kriegs gesammelt. Unter anderem haben wir dabei<br />
gelernt wie wichtig die Einheit ist.<br />
Wir bereiten uns hier für einen schweren Kampf in der<br />
Türkei vor. Die Aufgaben die wir jetzt haben sind schwer.<br />
Wir wollen uns auch vergrössern, aber nicht nur das.<br />
Wir wollen unsere politische Bildung erweitern, über<br />
die Politik der marxistischen Theorie noch einmal lesen<br />
und das Thema wieder behandeln. Hier ist für uns eine<br />
politische Schule. Seit den Kommunen bis jetzt wollen wir<br />
alle Kämpfe noch einmal besprechen. Die Erfahrungen<br />
der Pariser Kommune, der Oktober Revolution, der<br />
chinesischen Revolution, der lateinamerikanischen<br />
Revolutionen, schauen wir nochmals an. Wir wollen<br />
Fehler nicht wiederholen, und mit den Erfahrungen,<br />
die andere machten, wollen wir uns weiter entwickeln.<br />
Wir machen hier etwas Neues, wir wollen eine andere<br />
Grundlage aufbauen. Wir organisieren ein neues Leben<br />
mit unseren GenossInnen. Hier ist für uns eine neue<br />
Kommunen-Erfahrung.<br />
Das ist nur ein kleiner Anfang. Wir wollen für die Einheit,<br />
dass der Kampf nicht nur in diesen Grenzen bleibt. Das<br />
ist etwas, was alle RevolutionärInnen weltweit betrifft.<br />
Vielleicht bleibt das kein Traum aber im Libanon war<br />
es damals so. Da waren RevolutionärInnen aus Japan,<br />
Nicaragua, Korea, Pakistan, der Türkei, Deutschland.<br />
Vielleicht wird es hier in den kommenden Jahren auch<br />
so sein. Wir hoffen das.<br />
Für die türkischen RevolutionärInnen ist das zumindest<br />
so. Im Mittleren Osten kann sich die Bevölkerung nicht<br />
alleine befreien. Unsere Probleme sind gemeinsame<br />
Probleme. Wir müssen den Imperialismus und auch die<br />
ISIS zusammen bekämpfen.<br />
Es gibt euch seit einem Jahr. Aus wie vielen<br />
84
85
Ez Naçim!<br />
Ich gehe nicht!<br />
In <strong>Rojava</strong> gibt es eine Initiative der SYPG (Organisation für die<br />
Union und Unterstützung der Völker), welche Flüchtlinge dazu aufruft,<br />
zurückzukehren oder erst gar nicht zu flüchten, sondern sich am<br />
Aufbau einer neuen Gesellschaft zu beteiligen.<br />
Könnt ihr uns vorweg, etwas zu eurer<br />
Organisation, der SYPG, sagen. Wer seid ihr, seit<br />
wann gibt es euch, was ist euer Ziel und so weiter?<br />
Die SYPG befindet sich im Kampf für die Revolution,<br />
die Freiheit, den sozialistischen Kampf für die Einheit<br />
der Völker und für die Solidarität. <strong>Rojava</strong> ist ein<br />
revolutionärer Ort der unterdrückten Völker. Unsere<br />
politische Devise lautet “Diese Revolution ist unsere<br />
Revolution”. Organisationen, welche diese Losung<br />
mittragen, wollen die Revolution weiterbringen und<br />
sich daran beteiligen. Die MLKP, KommunistInnen, die<br />
fortschrittlichen und revolutionären Kräfte im Mittleren<br />
Osten die InternationalistInnen, die <strong>Rojava</strong> unterstützen,<br />
wollen diesen historischen Kampf gemeinsam<br />
unterstützen.<br />
Für die SYPG gibt es einerseits den internationalistischen<br />
Kampf, andererseits auch denjenigen im Mittleren Osten<br />
und den in Kurdistan. Aus unserem Gründungstext zitiert<br />
“... um den Weg in die Freiheit der unterdrückten Völker<br />
schrittweise zu vergrössern; es gehört zur Aufgabe aller<br />
hier lebenden Völker sich vorzubereiten und von Anfang<br />
an für eine revolutionäre Veränderung im Nahen Osten<br />
einzustehen. Wir stehen ein für die Selbstbestimmung<br />
der Völker, Unterdrückten, Frauen, Natur, Arbeit,<br />
Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit im Nahen Osten.<br />
Wir wollen so eine neue freiheitliche Gesellschaft im<br />
Nahen Osten gründen und ein Leben mit erhobenem<br />
Haupt ermöglichen. Im jetzigen Geschichtsvorgang<br />
rufen wir dazu auf, „um den freiheitlichen Garten der<br />
Völker zu schaffen, den Kampf zu verstärken!“. Das<br />
ist ein unausweichlicher Kampf und im Vergleich zur<br />
Vergangenheit eine mögliche Realität.“<br />
SYPG wurde im vergangenen Jahr am 16. Oktober im<br />
Kanton Cizîre in <strong>Rojava</strong> gegründet. Die teilnehmenden<br />
GenossInnen wollen eine verstärkte Rolle in der<br />
Unterstützung und im Aufbau der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
spielen. Denn durch diese ist eine historische<br />
Verantwortung entstanden. Um diese Verantwortung zu<br />
tragen und um in der politischen und gesellschaftlichen<br />
Revolution Problemen effizienter zu begegnen haben<br />
wir die SYPG gegründet.<br />
Wir haben gehört, dass ihr die Flüchtlinge aufruft<br />
wieder zurück zu kommen, um beim Aufbau von<br />
<strong>Rojava</strong> mitzuhelfen. Das ist ein sehr interessanter<br />
Ansatz der Flüchtlingspolitik. Könnt ihr uns mehr<br />
zum politischen Hintergrund dieser Aufgabe sagen?<br />
Wir sind eine Teilorganisation von TEV-DEM (Bewegung<br />
für eine demokratische Gesellschaft) und wir sind auch<br />
Teil der Exekutive von TEV-DEM. Wir verstehen uns<br />
als Mitverantwortliche für diese Revolution. Weil wir<br />
uns für diese Revolution verantwortlich fühlen - für<br />
Erfolge sowie auch Rückschläge, haben wir in unseren<br />
Sitzungen in der TEV-DEM das Problem erkannt, dass<br />
viele Leute aus dem Kriegsgebiet aber auch anderen<br />
Regionen flüchten, und wollten deswegen herausfinden,<br />
was wir dagegen tun können.<br />
Es gehört zur konterrevolutionären Politik und Ideologie<br />
dazu, Menschen anzugreifen und in die Flucht zu treiben.<br />
Unsere Organisation hat gegen diese konterrevolutionären<br />
Angriffe den Kampf begonnen. Europa, oder eher das<br />
kapitalistische System, gibt den Unterdrückten eine<br />
falsche Hoffnung. Gegen diese falsche Hoffnung wollen<br />
wir mit der Kampagne „EZ NAÇIM!“ (Ich gehe nicht!)<br />
kämpfen, weil wir hier zusammen mit den Menschen ein<br />
revolutionäres Bewusstsein bilden wollen. Wir haben<br />
uns entschieden, mit unserer langjährigen Erfahrung, die<br />
wir im Kampf gegen die Konterrevolution gewonnen<br />
haben, Teil dieses Kampfes zu sein.<br />
Im Nahen Osten ist Revolution gleichzusetzen mit<br />
<strong>Rojava</strong>. Wer unsere Revolution erfolglos angreift,<br />
wird weitere Wege suchen uns anzugreifen. Hinter<br />
diesem Angriffskonzept steht die Türkei, lokale und<br />
internationale imperialistische Staaten und die KDP<br />
(Demokratische Partei Kurdistan, angeführt von Barzani.<br />
Anm. d. Ü.) aus Südkurdistan mit ihren Verbündeten in<br />
86
<strong>Rojava</strong>.<br />
Unser oberstes Ziel ist die Menschen, die in <strong>Rojava</strong><br />
leben, Hoffnung, Freiheit, das Leben mit Würde und<br />
die Bedeutung der Revolution zu vermitteln. Deswegen<br />
rufen wir diejenigen, die gegangen sind, auf zurück<br />
zu kommen. Die Freiheit und die Möglichkeit ein<br />
selbstbestimmtes Leben zu führen nehmen zu. Die<br />
Flüchtenden sollen auf ihrem Weg nicht sterben müssen.<br />
Sie sollen aber auch nicht ein Leben als Unterdrückte<br />
weiterleben müssen. Hier gibt es immer noch die<br />
Möglichkeit als freie Menschen zu leben. Zudem wollen<br />
wir aber klar sagen, dass die tragischen Unfälle auf<br />
der Flucht die Wahrheit nicht überdecken sollen. Was<br />
diese Menschen auf der Flucht<br />
erleben ist ein Massaker. Und die<br />
Mörder sind nicht Menschenhändler,<br />
sondern die internationalen und lokalen<br />
imperialistischen Staaten.<br />
Und ganz konkret: Wie könnt ihr sie darin<br />
unterstützen? Und wie unterstützt ihr den<br />
Wiederaufbau politisch? Wie sieht das alles praktisch<br />
aus?<br />
Wir versuchen den Zurückkehrenden in gesellschaftlicher<br />
Solidarität mit allen Möglichkeiten zu helfen. Wir<br />
versuchen zuerst mit den Grundbedürfnissen zu helfen:<br />
Gesundheit, Nahrung und einem Dach über dem Kopf.<br />
87
Gleichzeitig versuchen wir die Menschen im Verarbeiten<br />
von ihren Erlebnissen zu unterstützen. Wir kriegen<br />
Unterstützung von solidarischen Gruppen in der Gegend,<br />
aber auch von ausserhalb <strong>Rojava</strong>s. Wir arbeiten dafür,<br />
dass an die <strong>Rojava</strong> Revolution geglaubt wird und dass<br />
sich Menschen anschliessen diese Revolution weiter<br />
aufzubauen und zu verteidigen. Jede Person kann sich<br />
mit ihren eigenen Fähigkeiten einsetzen.<br />
Es gibt viele traumatisierende Erlebnisse, die sie<br />
mit bringen werden. Wie geht ihr damit um?<br />
Die Geflüchteten und die Hiergebliebenen haben<br />
viele Traumata erlebt. Doch in der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
versuchen wir vorwärts zu schreiten und diese Traumata<br />
hinter uns zu lassen. Denn das Leben geht weiter.<br />
Diejenigen, die während der Revolution hier geblieben<br />
sind, sind mit mehr traumatisierenden Umständen<br />
konfrontiert als jene die geflüchtet sind. Weil sie hier<br />
mit mehr Schmerz, Problemen und Schwierigkeiten<br />
Widerstand leisten und kämpfen mussten. Am Kampf<br />
und der Revolution teilzunehmen macht die Menschen<br />
stark. Für die Zurückkehrenden hilft folgender Vergleich<br />
die Umstände besser zu verstehen: es ist so als ob eine<br />
ausgerissene Pflanze wieder in ihre Heimaterde gepflanzt<br />
wird. Für die Seele wie auch für die Gesellschaft ist<br />
das Zurückkehren zur eigenen Erde die beste Lösung.<br />
Die Kommunen und die revolutionären Organisationen<br />
helfen den Zurückkehrenden ihre Probleme zu lösen.<br />
Fragen und Probleme auf gesellschaftlicher Ebene<br />
zu lösen gehört zu unserem Ansatz. Wir sagen den<br />
Zurückkehrenden, dass diese Revolution auch die ihrige<br />
ist. Die Zurückkehrenden sollten sich nicht fremd fühlen,<br />
wir schlagen vor, dass wir gesellschaftliche Probleme<br />
gemeinsam lösen. Wir möchten die Zurückkehrenden<br />
ermutigen sich in den Organisationen und an der<br />
Verantwortung zu beteiligen.<br />
Es gibt hier viele Minderjährige, die ihre Eltern<br />
verloren haben und hier alleine leben, wendet ihr<br />
euch auch an sie?<br />
Alle Menschen die von <strong>Rojava</strong> geflüchtet sind, rufen<br />
wir auf zurückzukommen. Weil <strong>Rojava</strong> der Ort ist, an<br />
dem diese Menschen ihre Sprachen reden, Religionen<br />
ausleben und frei leben können. Dies ist sehr wichtig,<br />
weil die Menschen hier ihren kulturellen Bezugspunkt<br />
haben. Im Allgemeinen beginnt die Sozialisation bei den<br />
Eltern. Beim Erwachsenwerden wird die Sozialisation<br />
vervollständigt. Diese Werte sind die Basis des<br />
gesellschaftlichen Zusammenlebens. Diese Werte geben<br />
der Gesellschaft und den Menschen einen Lebenssinn,<br />
ohne den sich die Menschen nicht zugehörig und<br />
unglücklich fühlen. Wer flüchtet lässt in diesem Sinne<br />
auch ein Teil der Kultur zurück und verliert sie. So findet<br />
eine Entfremdung und folglich eine Identitätskrise statt.<br />
Um den Kampf voranzutreiben, um etwas aufzubauen<br />
und um frei zu werden wird ein Ort gebraucht.<br />
Deswegen ist es wichtig, das die Jugend in <strong>Rojava</strong> bleibt<br />
oder zurückkehrt. Flüchten ist nicht nur eine physische<br />
Verschiebung seiner selbst, sondern eine Veränderung<br />
aller äusseren Umständen. Aus der Ferne ist es schwierig<br />
am Aufbau einer neuen Gesellschaft beteiligt zu sein.<br />
Die Imperialisten und Mörder unterdrücken die Völker<br />
und spalten mit ihren Kriegen die Länder. Deswegen<br />
ist die <strong>Rojava</strong> Revolution auch ein Kampf gegen den<br />
Kapitalismus.<br />
Welche Unterstützung wäre für euch von Europa<br />
aus wichtig? Wie kann die Linke hier euch in eurer<br />
Arbeit unterstützen?<br />
In erster Linie müssen die Originalität und die<br />
Eigenschaften der Revolution in <strong>Rojava</strong> richtig<br />
verstanden werden, um sich auf sie beziehen zu können.<br />
Die ideologische Dimension der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
muss richtig verstanden werden. Wenn der politische<br />
und ideologische Charakter der Revolution nicht richtig<br />
erfasst wird, wird die gegenseitige Beziehung schwach.<br />
Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist eine Revolution:<br />
• für die Freiheit und Einheit unserer Völker<br />
• für den Wunsch unserer Völker gleichberechtigt und<br />
kooperativ zu leben, gegen den Imperialismus, den Kolonialismus<br />
und die Plünderung<br />
• zum Aufbau einer neuen, sozialen, wissenschaftlichen,<br />
kulturellen Existenz gegen den Kapitalismus<br />
• gegen Imperialisten und Besetzungsmächte zur<br />
Verteidigung unseres Bodens und menschlicher Werte<br />
• gegen den Kampf zwischen verschiedenen Völker,<br />
Kulturen, Religionen, Ethnien und für die Einigkeit,<br />
Solidarität und Einheit unter den Menschen<br />
• für eine Emanzipation der Frauen, gegen die Mentalität<br />
der AKP und Daesh Anhänger, die die Frauen versklaven<br />
Kurz gesagt, die Revolution ist Antikapitalistisch,<br />
gegen Besatzungsmächte, Antiimperialistisch,<br />
Antikolonialistisch; Die Revolution pflanzt voller<br />
Hoffnung ein neues Leben für die Menschen, die<br />
Gesellschaft, die Natur, die Frauen, die Kinder, die<br />
Freiheit und Gleichheit.<br />
Wenn all diese Eigenschaften richtig verstanden werden,<br />
kann ein besseres Solidaritätsnetzwerk geschaffen<br />
werden. Die Aufklärung über die <strong>Rojava</strong> Revolution hat<br />
einen grossen politischen und ideologischen Wert. Dies ist<br />
wichtig für <strong>Rojava</strong> selbst wie auch für alle Unterdrückten<br />
bei euch. Weil der imperialistische Kapitalismus die<br />
Arbeiterklasse und alle Unterdrückten in Europa weiter<br />
angreift und sie ausbeutet. Die Revolution ist heute in<br />
Europa viel dringender geworden als gestern. In diesem<br />
Zusammenhang kann über die Revolution mit vielen<br />
sozialen Aktivitäten informiert werden, Agitation und<br />
Propaganda (visuell und in Textform), Demonstrationen<br />
88
und Versammlungen können dafür genutzt werden. Es<br />
muss dagegen gekämpft werden, dass die Flüchtlinge<br />
als billige Arbeitskräfte benutzt werden und sie in den<br />
Meeren getötet werden. Lokale regionale, temporäre und<br />
permanente Büros können gegründet werden. Dadurch<br />
kann man mit der <strong>Rojava</strong> Revolution dauerhaftere und<br />
dynamischere Beziehungen herstellen. Die <strong>Rojava</strong><br />
Revolution ist kein „vorübergehender“ Zustand, sie ist die<br />
Chinesische, Kubanische Revolution, die Sowjetunion<br />
und die Pariser Kommune von heute. Ein weiterer Punkt:<br />
mit SYPG und anderen Institutionen der Revolution<br />
sollten mehrere und kraftvollere Beziehungen entwickelt<br />
werden. Dies kann via IT-Netzwerke entstehen oder<br />
dadurch direkt hierher zu kommen und direkten Kontakt<br />
aufzubauen.<br />
Insbesondere sollte hier die medizinische Versorgung<br />
menschlich wie auch materiell, also technisch unterstützt<br />
werden. All dies und noch vieles mehr kann viel besser<br />
und dynamischer durchgeführt werden, wenn direkte<br />
und aktuelle Beziehungen bestehen. Alle Menschen in<br />
Europa, die für Frieden, Gleichheit und Freiheit sind,<br />
müssen zuerst die heuchlerische Politik ihrer Staaten im<br />
Bezug zum Nahen Osten blossstellen. Die Politik, die<br />
die Unterdrückten in Westler und Ostler, in Christen und<br />
Muslime getrennt hat, schwächt den Kampf für Freiheit,<br />
Revolution und Sozialismus. Die grösste Unterstützung<br />
in Europa für die <strong>Rojava</strong> Revolution liegt darin, die<br />
eigenen bürgerlichen Staaten zu bekämpfen. Für alle<br />
Probleme die mit Migration zusammen hängen sind die<br />
bürgerlichen, europäischen Staaten verantwortlich. Die<br />
ArbeiterInnen und Unterdrückten in Europa sollen ihre<br />
Wut gegen die Bourgeoisie richten.<br />
Es existiert ein jahrelanges Embargo gegen <strong>Rojava</strong>, das<br />
Embargo ist ein Teil der Zerstörungspolitik des Westens.<br />
Die Aufhebung des Embargos bleibt ein wichtiger Punkt<br />
in der Revolution. Europäischer Imperialismus ist ein<br />
Teil davon und es ist notwendig gegen ihn zu kämpfen.<br />
In Europa können Kampagnen zur Anerkennung <strong>Rojava</strong>s<br />
lanciert werden.<br />
Auch gegen die Politik der Europäischen Staaten<br />
repressiv gegen die InternationalistInnen, welche die<br />
<strong>Rojava</strong> Revolution unterstützt und verteidigt haben,<br />
vorzugehen, muss bekämpft werden. In solchen Fällen<br />
muss äusserst aktiv und solidarisch vorgegangen werden.<br />
Imperialistische Staaten haben die faschistischen Daesh<br />
aufgebaut und gefördert und Daesh stellt den nackten<br />
Kapitalismus dar.<br />
Die Flüchtlinge werden in Europa oftmals nicht als<br />
Flüchtlinge, sondern als Last aufgenommen, wenn<br />
überhaupt. Die Flüchtlingsfrage wird nicht als Folge<br />
der imperialistisch-kapitalistischen Krisen- und<br />
Kriegspolitik verstanden, sondern als ein Problem<br />
des ISIS oder einer falschen Politik in Afrika etc.<br />
dargestellt. Welche Fragen wären euch dazu noch<br />
wichtig? Welche Unterstützung wäre für euch<br />
wichtig?<br />
Die Emigration heute ist nicht mehr natürlich, sondern<br />
die Folge des kapitalistischen Systems. Seit der<br />
Kapitalismus imperialistische Formen angenommen hat<br />
führen Kriege, Hunger und Armut zu einer grösseren,<br />
kontinentalen Migration. Dies ist die Folge des Gesetzes<br />
der ungleichen Entwicklung der kapitalistischen Länder.<br />
Die blutsaugenden KapitalistInnen umschlingen unsere<br />
Welt wie eine Krake und nutzen die Unterdrückten bis<br />
aufs Knochenmark aus. Sie versuchen von ihrer Krise mit<br />
89
den neuen imperialistischen und ausgelagerten Kriegen<br />
abzulenken. Sie versuchen mit der Demagogie von<br />
Freiheit, Gleichheit und Demokratie ihre eigene Krise<br />
zu überdecken. Der Nationalismus ist nur reaktionäre<br />
Politik, um die wahre Ursache des Problems zu verbergen,<br />
um den gemeinsamen Kampf der Unterdrückten<br />
zu verhindern, um Zustimmung zur Herrschaft zu<br />
produzieren und um die ArbeiterInnen künstlich mit<br />
religiösen, sektiererischen, nationalistischen Trennungen<br />
gegeneinander aufzubringen. Mit dieser reaktionären<br />
Politik betäuben und vergiften sie das Bewusstsein der<br />
Unterdrückten.<br />
Auf jeden Fall ist ein starker politischer und ideologischer<br />
Kampf dagegen nötig. Europäische ArbeiterInnen und<br />
Unterdrückte sollten sich gegen die Ideologie, welche<br />
sie zu SklavInnen macht, mit den Menschen im Nahen<br />
Osten und mit der <strong>Rojava</strong> Revolution solidarisieren<br />
und sich aktiv aufeinander beziehen. Die Polarisation<br />
die in der Frage erwähnt wird ist reaktionär. Die<br />
richtige Polarisation sollte zwischen KapitalistInnen<br />
und Unterdrückten, zwischen FaschistInnen und<br />
AntifaschistInnen und zwischen ImperialistInnen und<br />
AntiimperialistInnen stattfinden. Die Vorstellungen,<br />
welche die Bevölkerung Afrikas und des Nahen Ostens<br />
als rückständig, unwissend, primitiv, bigott usw.<br />
darstellen und sie ausschliessen wollen, müssen mit aller<br />
Härte abgelehnt werden.<br />
ist der Bruder die dominante, männliche Denkweise.<br />
Leider sind einige der Unterdrückten Europas dieser<br />
bürgerlichen Ideologie verfallen. Dies sollte unbedingt<br />
bekämpft werden.<br />
Diejenigen die sich mit uns solidarisieren wollen,<br />
sollen die Revolution in <strong>Rojava</strong> zuerst als Teil der<br />
Weltrevolution, und darin als Vertreter des Mittleren<br />
Ostens sehen. Daesh ist eine Kraft, die dem Kapitalismus<br />
dient, sie vertreten alle reaktionären und unmenschlichen<br />
Erfahrungen der Geschichte. Doch <strong>Rojava</strong> steht für die<br />
aufstehende und sich verteidigende Menschheit wie<br />
in Kobanê. Das Bewusstsein von GenossInnen wie<br />
Avaşin und Şehîd Bagok Serhat (am 23.2.2015 als erster<br />
westlicher YPGler gefallen Anm. d. Red.) bewässern<br />
mit ihrem Blut den <strong>Rojava</strong> Boden. Wenn wir uns an<br />
Sie erinnern, danken wir herzlich den Unterdrückten in<br />
Europa ,welche die <strong>Rojava</strong> Bevölkerung nicht alleine<br />
gelassen haben. Wir erwarten, dass die Unterdrückten<br />
Europas mehr mit ihrem Herzen, ihrem Bewusstsein und<br />
in ihrem Handeln auf unserer Seite sind. SYPG ist für<br />
alle eine Adresse, welche mit der Revolution in <strong>Rojava</strong><br />
eine stärkere Beziehung aufbauen wollen.Wir grüssen<br />
euch im Namen der SYPG aus dem Land der Revolution<br />
und wünschen euch viel Erfolg bei eurem Kampf!<br />
Europäische Imperialisten sehen sich als Grosser Bruder<br />
Afrikas und des Nahen Ostens. In dieser Mentalität<br />
90
Ellas (MLKP)<br />
«Deshalb rufen wir alle dazu auf, wieder<br />
zurückzukommen und denen die hier sind,<br />
sagen wir, sie sollen bleiben und auf ihre<br />
eigene Identität aufpassen, dass sie sie nicht<br />
verlassen. »<br />
Warum bist du hier? Was kannst du über dich<br />
sagen?<br />
Mein Name ist Ellas. Ich bin in der Schweiz geboren und<br />
auch dort aufgewachsen. Ich bin 22 Jahre alt. Ich befinde<br />
mich heute aus vielen politischen Gründen in <strong>Rojava</strong>.<br />
Einer dieser Gründe ist mein kurdischer Hintergrund<br />
und andererseits, dass ich sozialistisch eingestellt bin<br />
und mich als eine internationale Kämpferin sehe.<br />
Wir erleben heute in <strong>Rojava</strong> eine Revolution, das heisst<br />
vor allem eine Frauenrevolution. Dies ist aber nicht<br />
nur abhängig von der aktuellen militärischen Front.<br />
Zwar ist diese ein sehr wichtiger Teil dieser Revolution<br />
aber wir haben gleichzeitig auch ein Volk, das aus<br />
unterschiedlichen Gründen aufbegehrt. Deswegen<br />
haben wir eine Institution (SYPG) gegründet, die<br />
für die Solidarität und für die Zusammenarbeit der<br />
verschiedenen Völker hier in <strong>Rojava</strong> steht.<br />
<strong>Rojava</strong> ist ein Mosaik, das aus vielen Völkern besteht:<br />
Seien es die AssyrerInnen, seien es die SyrierInnen, seien<br />
es die ChristInnen, die ArmenierInnen, KurdInnenen,<br />
AraberInnen. Mit unserer Institution wollen wir, dass von<br />
diese verschiedenen Völkern jeder diese Revolution als<br />
seine eigene ansieht und für diese Revolution arbeiten,<br />
das heisst irgendwo mithelfen kann.<br />
Wir haben diese Institution gleichzeitig auch für die<br />
GenossInnen aus aller Welt gegründet. Weil wir uns als<br />
InternationalistInnen verstehen, wollen wir, dass diese<br />
Revolution für jeden, für alle, die sich irgendwie als<br />
RevolutionärIn betrachten oder irgendwie <strong>Rojava</strong> helfen<br />
möchten, einen Weg bietet, um am Wiederaufbau von<br />
<strong>Rojava</strong> mitzuhelfen. Das gilt auch für diejenigen, die aus<br />
menschlichen oder aus humanitären Gründen hier sein<br />
wollen.<br />
Das heisst konkret, dass wir Kontakte mit FreundInnen<br />
ausserhalb von <strong>Rojava</strong> aufbauen, sei es aus Europa, aus<br />
Asien, aus Lateinamerika. Wir sagen immer wieder,<br />
dass diese Revolution nicht nur den KurdInnen gehört,<br />
sondern dass diese Revolution allen gehört und jede/r<br />
irgendetwas für diese Revolution beitragen kann.<br />
Das sind die Hauptgründe, warum wir unsere Gruppe<br />
gegründet haben.<br />
Unsere Organisation ist relativ neu. Wir hatten am 16.<br />
Oktober die Eröffnung, wo viele verschiedene Völker<br />
und deren VertreterInnen dabei waren. Es war ein Tag,<br />
an dem alle an unserer Eröffnung teilnehmen und etwas<br />
dazu sagen konnten.<br />
Heute führen wir zum Beispiel eine Kampagne für die<br />
Leute, die in dieser Zeit nach Europa ausgewandert sind.<br />
Das ist für uns ein sehr grosses politisches Problem und<br />
ein sehr wichtiges politisches Thema. Deswegen haben<br />
wir eine Kampagne gestartet, wo wir dem Volk sagen:<br />
«geht nicht weg». Und den Leuten, die schon gegangen<br />
sind, sagen wir: «kommt wieder zurück».<br />
Dazu muss man auch den Hintergrund verstehen. Denn<br />
unter dem Baath-Regime, oder unter vielen verschiedenen<br />
Regimen, mussten alle Völker jahrelang ihre eigene<br />
Identität verleugnen und sie haben sehr gelitten darunter.<br />
Vor allem die Frauen, die zweimal, dreimal, jedes Mal<br />
von diesem System unterdrückt wurden. Aber heute<br />
erleben wir eine Revolution, in welcher alle frei ihre<br />
Identität ausleben können. Deshalb rufen wir alle dazu<br />
auf, wieder zurückzukommen und denen die hier sind,<br />
sagen wir eben, dass sie bleiben sollen und auf ihre<br />
eigene Identität aufpassen müssen.<br />
Wie macht ihr das konkret?<br />
Wir haben jetzt eine Kampagne gestartet und das erste<br />
was wir gemacht haben, waren die GenossInnen aus<br />
unserer Nähe, aus dem Volk, zu rufen, um uns mit<br />
ihnen auszutauschen. Wir haben mit ihnen zum Beispiel<br />
einen bestimmten Plan ausgearebeitet, um in unserem<br />
Mala Gel, also dem Haus des Volkes, verschiedene<br />
Versammlungen durchzuführen.<br />
91
Also ihr habt extra ein Haus eröffnet?<br />
Nein, diese Häuser existierten schon. In diesen Häusern<br />
machen wir jetzt aber verschiedene Versammlungen, die<br />
für das dem Volk offen sind und erklären ihnen, warum<br />
sie hier bleiben sollten und warum sie ihrer Familie,<br />
oder den Leuten in ihrer Nähe sagen sollten, dass sie<br />
zurückkommen sollen und was diese Revolution für eine<br />
Bedeutung hat.<br />
Ausserdem produzierten wir einen Kurzfilm, den wir<br />
auch in den Versammlungen zeigen und zum Beispiel<br />
auf RonahîTV auch veröffentlichen möchten. Zudem<br />
gehen wir auf die Strassen und machen Graffitis, woran<br />
die Kinder am meisten Spass haben und dabei gerne<br />
mithelfen. Auch ist dies eine sehr guten Möglichkeit,<br />
um mit den Menschen Kontakt aufzubauen, weil sie sich<br />
direkt interessieren und fragen, warum du jetzt auf die<br />
Wand malst, was du malst und was du schreibst etc. und<br />
es gibt wirklich viele, die auch mithelfen und wir können<br />
das dann zusammen machen.<br />
Schwieriger ist es wahrscheinlich, jene zu erreichen,<br />
die bereits weg sind. Habt ihr da Pläne?<br />
Wir denken auch, dass das ein sehr wichtiges<br />
Projekt ist. Gleichzeitig zeigt es ja auch, dass man<br />
hier in <strong>Rojava</strong> tatsächlich auch emanzipatorisch<br />
arbeiten kann und es bietet sich an, die Leute<br />
aufzufordern an diesem emanzipatorischen Prozess<br />
aktiv teilzunehmen.<br />
Genau. Jeder Mensch ist irgendwie anders, aber wir<br />
haben alle ein Ziel und das ist die Revolution in <strong>Rojava</strong><br />
aufrecht zu erhalten und wir sagen einfach mit unseren<br />
Institutionen den Menschen von hier und von aussen,<br />
dass sie bestimmt irgendetwas machen können.<br />
Sie können beispielsweise im Krankenhaus helfen. Sie<br />
können an die Front gehen. Sie können politisch aktiv<br />
sein. Sie können Strassen reinigen. Sie können abends<br />
an verschiedenen wichtigen Orten und Kontrollpunkten<br />
Wache halten. Irgendetwas können sie bestimmt tun. Für<br />
die Kinder vielleicht einen Kindergarten aufbauen. Jeder<br />
kann irgend etwas für diese Revolution tun, und das ist<br />
für die internationale Solidarität ein sehr, sehr wichtiger<br />
Punkt.<br />
Das ist tatsächlich die grosse Schwierigkeit! Wir haben<br />
GenossInnen angefragt, die in den verschiedenen<br />
Asylzentren mit den Menschen in Kontakt kommen<br />
können. Dort wollen wir mit den Leuten verschiedene<br />
Interviews darüber machen, wie sie auf ihrer Flucht erlebt<br />
haben, was passiert ist, wie es in den Asylzentren ist, in<br />
was für einer Lage sie heute stecken usw.. Dies machen<br />
wir, weil wir oft hören, wie Eltern oder Geschwister<br />
klagen, dass ihr Bruder, ihr Vater, ihre Mutter oder ihre<br />
Schwester nach Europa gegangen ist und dass sie danach<br />
darüber klagen, wie schlecht es ihnen dort geht und wie<br />
schlecht sie behandelt werden. Dass also alles was ihnen<br />
vom wunderschönen Europa vorgesagt wurde real gar<br />
nicht so ist. Solche Menschen haben aber oftmals keinen<br />
Weg mehr, um zurückzukommen. Sie haben alles was<br />
sie sich hier aufgebaut haben verlassen, zum Teil alles<br />
verkauft und sind jetzt in Europa, ohne Möglichkeit<br />
zurückzukommen.<br />
Mit verschiedenen Interviews wollen wir dem Volk<br />
hier zeigen, dass das paradisische Europa eigentlich<br />
gar nicht existiert. Gleichzeitig haben wir auch viele<br />
Genossen, die aus Europa kommen und mit ihnen gehen<br />
wir konkret zu den Familien nach Hause. Wir bleiben<br />
bei ihnen, übernachten bei ihnen oder essen zusammen<br />
etwas und haben dann lange Diskussionen, wo dann der<br />
GenossInne aus Europa erzählen kann, was in Europa<br />
wirklich passiert; wie auch in Europa die verschiedenen<br />
Identitäten verleugnet werden, wie sie unterdrückt<br />
werden, wie sie ausgegrenzt werden usw.. Weil, wenn<br />
das Volk von jemandem hört, was dieser alles erlebt<br />
hat, dann erweckt das etwas anderes, als wenn wir nur<br />
Informationen weitergeben.<br />
92
Meine Frage geht jetzt nochmals an dich als<br />
Genossin und Frau. Du bist eine junge Frau. Du hast<br />
dich entschieden, hier zu kämpfen. Was bedeutet das<br />
konkret als Frau, als junge Frau hier zu sein?<br />
Das bedeutet, als Frau eine wirkliche Freiheit zu<br />
gewinnen. Man sagt nicht umsonst, dass die Revolution<br />
in <strong>Rojava</strong> eine Revolution der Frau ist. Wenn ich heute<br />
sehe, wie die Mütter in den Kommunen arbeiten, dann<br />
kann ich dem nur zustimmen.<br />
Wenn ich die Geschichten von Frauen höre, die<br />
früher nur zuhause waren, heute aber in irgendeiner<br />
Organisation in der Führungsposition sitzen, oder wenn<br />
ich die Frauenkommunen sehe, dann sehe ich Frauen,<br />
die wirklich wie neu erschaffen sind.<br />
Man sieht dies auch immer wieder in den Häusern, wenn<br />
man die Familien besuchen geht und dort beobachten<br />
kann, wie die Frauen wirklich mit ihren Männern oder<br />
mit ihren Brüdern kämpfen. Wenn zum Beispiel – ich hör<br />
das sehr oft – jemand, das heisst eine männliche Person,<br />
einer Frau das Wort wegnimmt oder sie unterbricht,<br />
dann akzeptiert das heute keine einzige Frau mehr. Das<br />
erweckt in mir als Frau etwas.<br />
Frauen, die früher nichts ausserhalb machen konnten<br />
ausser Hausreinigung und Küche, arbeiten heute in<br />
Funktionen der Asayîş, das ist die Polizei und halten<br />
dort beispielsweise Wache oder sie sind in YPG und<br />
beschützen ihr eigenes Land. Das gibt ihnen eine Kraft,<br />
wie sie sich wieder neu entdecken können.<br />
Man spürt hier wirklich, wie man hier als Frau akzeptiert<br />
wird. Man sagt hier oft, wenn diese Revolution aufrecht<br />
erhalten wird, dann nur wegen den Frauen, weil die<br />
Frauen hier ihre Freiheit erlangt haben. Also ausser dass<br />
ihre Identität unterdrückt wurde und ihr Land ausgebeutet<br />
wurde, haben sie auch als Frau ihre Freiheit neu erlangt<br />
und wenn diese Revolution hier wirklich aufrecht bleibt,<br />
dann dank den Frauen.<br />
93
Barbara (TKP/ML)<br />
«Darum steht die Frauenrevolution an erster<br />
Stelle, weil die Frauen hier unterdrückt werden.<br />
Die AnführerInnen hier sind Frauen und wenn<br />
es nicht so wäre, dann gäbe es hier keine<br />
Revolution, denn die Befreiung <strong>Rojava</strong>s können<br />
nur die Frauen machen. Ohne die Frauen könnte<br />
man das hier nicht vorantreiben, denn erst die<br />
Frauen schaffen es wirklich das Frauenproblem<br />
hier zu lösen»<br />
Ich spreche jetzt mit Genossin Barbara. Warum<br />
heisst du Barbara?<br />
Wegen Barbara Kistler<br />
Das freut mich natürlich. Die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />
wird ja auch als die Revolution der Frau bezeichnet.<br />
Du bist eine Revolutionärin, die hier kämpft. Kannst<br />
du vielleicht zwei, drei Worte zu deiner politischen<br />
Biographie sagen und wie du diese Revolution der<br />
Frau als Kämpferin hier konkret erlebst?<br />
Als erstes müssen wir sagen, warum wir sagen, die<br />
<strong>Rojava</strong> Revolution sei eine Frauenrevolution. Die Frauen<br />
in <strong>Rojava</strong> wurden immer schlechter behandelt als die<br />
Männer. Hier hatten die Frauen wirklich sehr schwierige<br />
Zeiten. Das, was eine Frau hier erlebt hat, erlebt keine<br />
Frau in Europa. Hier wird die Frau unterdrückt und<br />
deswegen ist es sehr wichtig, dass man sagt, dass die<br />
Frauen in den Vordergrund gerückt werden.<br />
Das Assad Regime hat die KurdInnen schlecht behandelt.<br />
Sie haben nicht einmal einen Ausweis bekommen. Sie<br />
wurden nicht als Menschen gesehen und in diesem<br />
Regime wurden die Frauen unterdrückt. Sie sind die<br />
Unterdrücktesten der Unterdrückten.<br />
Mein Kampf in <strong>Rojava</strong> hat in Kobanê angefangen, als<br />
es dort noch einen sehr aktiven Kampf gab. Damals<br />
habe ich mich am Kampf in <strong>Rojava</strong> beteiligt. Da habe<br />
ich gesehen, dass die Frauen auch hier lange unterdrückt<br />
wurden. Das war offensichtlich!<br />
Eine Sache, die zu erwähen ist, ist dass die Frauen<br />
zum Beispiel in Şengal durch die ISIS einfach verkauft<br />
wurden. Ihre Körper wurde verkauft und sie wurden<br />
umgebracht. Das habe ich gesehen. Das haben wir<br />
erlebt. Sogar hier in Gisi, im Kanton Cisire, ist es so,<br />
dass die Frauen immer verfolgt wurden, sie immer<br />
unterdrückt wurden. Auch hier haben wir gesehen, dass<br />
die Unterdrückten von Unterdrückern die Frauen sind.<br />
Darum steht die Frauenrevolution an erster Stelle, weil<br />
die Frauen hier unterdrückt werden. Wir erleben hier eine<br />
Frauenrevolution, mit den Frauen im Vordergrund. Die<br />
Anführer hier sind Frauen und wenn es nicht so wäre,<br />
dann gäbe es hier keine Revolution, denn die Befreiung<br />
<strong>Rojava</strong>s können nur die Frauen machen. Ohne die Frauen<br />
könnte man das hier nicht vorantreiben, denn erst die<br />
Frauen schaffen es wirklich das Frauenproblem hier zu<br />
lösen. Die Frauensache hier, dass die Frauen im Kampf<br />
sehr aktiv sind, dass sie die Führerinnen der Revolution<br />
sind, das ist sehr normal und das muss so sein. Ohne die<br />
Frauen würde es keine Revolution geben. So sehe ich es<br />
hier in <strong>Rojava</strong>.<br />
Es ist für uns wichtig, dass die Frauen eine eigene<br />
Armee gegründet haben, damit sie diese Revolution<br />
weiterführen können. Die <strong>Rojava</strong> Revolution braucht die<br />
Frauen als die Anführerinnen der Revolution, denn die<br />
Frauen haben sich hier organisiert, haben hier eine eigene<br />
Armee gegründet. Diese Armee nennt sich YPJ. Die YPJ,<br />
die Frauenarmee ist eine bedeutende historische Sache.<br />
Was es hier vorher nicht gegeben hat, haben wir jetzt<br />
zum ersten Mal erlebt und dieses Land braucht das. Im<br />
Nahen Osten wird die Frau so sehr unterdrückt , darum<br />
kann die Befreiung dieses Nahen Ostens nur durch die<br />
Frauenrevolution geschehen. Das ist für uns, für die<br />
94
türkische revolutionäre Organisation, für die Partei<br />
sehr wichtig. Wir müssen die YPJ als Beispiel nehmen,<br />
die Frauenbewegung und all das, was sie hier gemacht<br />
haben. Sie haben es geschafft, eine Armee aus Frauen<br />
zu gründen. In dieser Armee haben sie Mechanismen<br />
erarbeitet, damit sie ihre eigenen Beschlüsse machen<br />
können. Da kann keiner, kein Mann und kein Vertreter<br />
der YPG, von aussen kommen und sagen, dass er einen<br />
Beschluss nicht einsehe. Die dürfen das nicht.<br />
Diese Mechanismen sorgen dafür, dass die Frauen ihre<br />
eigenen Beschlüsse erfassen, ihre eigenen Kämpfe<br />
planen und ihr eigenes System, ihre eigene Struktur<br />
aufgebaut haben. Dafür sind sie beispielhaft und das ist<br />
für mich sehr wichtig und wir sind auch ein Teil davon.<br />
Du bist ja Mitglied der TKP/ML-TIKKO. Und<br />
wenn du nun sagt, du bist ein Teil davon, von der<br />
YPJ, wie geht das?<br />
In <strong>Rojava</strong> ist es so: Unsere Dachorganisation hier in<br />
<strong>Rojava</strong> ist die YPG und die YPJ. Es ist auf militärischer<br />
Seite so, dass wir unter ihnen kämpfen. Wir nehmen als<br />
Frauen und als Männer an einer ihrer Grossoperationen<br />
teil und kämpfen unter ihnen. Deswegen ist das unsere<br />
Dachorganisation.<br />
Es kann sein, dass wir unsere eigenen Punkte haben,<br />
eigene Kräfte haben, das sind unsere Freiheitsräume.<br />
Aber im Kampf, auf der militärischen Seite, sind wir<br />
abhängig von ihnen. Dass wir unter ihrem Kommando<br />
kämpfen sehen wir nicht als etwas falsches, nein wir<br />
glauben, dass ist etwas gutes. Wir können nicht sagen,<br />
dass wir hier etwas ganz anderes machen oder wir alleine<br />
kämpfen gehen. Wir kämpfen unter ihnen, deswegen<br />
sind wir als Frauen ein Teil der YPG und ein Teil der<br />
YPJ.<br />
Ich frage nochmals: Du, als Frau innerhalb der<br />
TPK/ML-TIKKO; bist du in Kontakt mit der YPJ<br />
oder ist es die TIKKO, die den Kontakt hat zur YPJ?<br />
Wie kann man das verstehen?<br />
Ich bin unter der YPJ, eine Frauenkämpferin in<br />
der YPJ, in der Frauenarmee. Was die TKP/ML im<br />
Frauenfreiheitskampf verteidigt, das verteidigt auch die<br />
YPJ. So sehe ich das und so sehen wir es und deswegen<br />
ist da nichts was dich trennt, sondern nur das, was uns<br />
eigentlich vereinigt. Wir sind und ich bin Kriegerin<br />
der YPJ aber was die YPJ zum Beispiel bei uns nicht<br />
kann, ist zu sagen, dass ich heute oder morgen dort hin<br />
kommen solle. Das kann sie nicht aber normalerweise<br />
bin ich bei der YPJ und das ist eine Frauenarmee und<br />
was die Frauenarmee hier verteidigt ist sehr wichtig und<br />
das verteidigen wir alle.<br />
Deswegen trennen wir das nicht, das müssen wir stets<br />
detailliert erklären, damit es keine falschen Ansichten<br />
gibt. Das verbindet sich, die Ansichten, auf militärischer<br />
Seite sind wir dabei und ich bin auch eine Kriegerin<br />
darin.<br />
Ich habe noch eine Frage: Ist es dir möglich auch<br />
an den Frauenakademien teilzunehmen, könntest du<br />
das wenn du das möchtest?<br />
Wir können teilnehmen aber für uns ist das nicht<br />
wichtig. Also so eine Erfahrung habe ich bisher nicht<br />
gemacht. An einer Akademie der YPJ teilgenommen<br />
habe ich nicht. In Kobanê habe ich am Anfang von der<br />
YPJ eine militärische Ausbildung bekommen. Damals<br />
gab es keine Trennung, da war es gemischt. Aber die<br />
Ausbilderinnen waren Frauen und später habe ich bei der<br />
YPJ eine Ausbildung als Sniper und für solche Sachen<br />
bekomme. Das war in Kobanê meine Ausbildung.<br />
Aber wenn ich das möchte, kann ich teilnehmen.<br />
In Kobanê war das so, dass es keine Unterschiede<br />
zwischen Frauen und Männern gab, denn es gab diese<br />
Kriegssituation, eine sehr aktive Kriegssituation. Da<br />
gab es diese Strukturen noch nicht, aber als der Krieg<br />
um Kobanê vorbei war, als Kobanê frei war von ISIS,<br />
da haben wir angefangen diese Strukturen aufzubauen.<br />
Zwischen YPG und YPJ gab es Unterschiede und in<br />
<strong>Rojava</strong> generell haben sich jetzt Strukturen aufgebaut<br />
und die YPJ kann jetzt unabhängige Beschlüsse machen<br />
und eigene Mechanismen entwickeln und das ist für uns<br />
sehr wichtig.<br />
Es ist hierbei zentral, erst mal SchülerIn zu werden. Bei<br />
uns in den Guerilla ist es so, dass wir ein Frauenkomitee<br />
haben. Wir haben auch das Ziel eine Frauenarmee zu<br />
gründen, aber dazu haben wir die Kraft noch nicht.<br />
Aber wir können sagen, dass das ein Ziel ist von uns.<br />
Von der YPJ können wir vieles lernen, können wir viele<br />
gute Erfahrungen sammeln, das ist für uns sehr wichtig<br />
und deswegen ist auch die YPJ sehr wichtig. Wir sagen<br />
auch, dass in <strong>Rojava</strong> die YPJ eine sehr wichtige Rolle<br />
spielt, aber nicht nur hier, sondern dass sich davon alle<br />
revolutionären Organisationen wirklich ein Beispiel<br />
nehmen sollten in ihrem Kampf für die Frauen.<br />
Im Kampf in der YPJ, in den Teams, im Bataillon, ist<br />
es wichtig, in welchen KommandantenInnen-Rollen die<br />
Frauen sind, welche KommandantInnen-Positionen sie<br />
in Missionen haben, was für eine Rolle sie im Kampf<br />
haben. Solche Erfahrungen müssen wir als Frauen<br />
machen oder als TKP/ML-TIKKO. Durch diese<br />
Erfahrungen haben wir jetzt ein Frauenkomitee in der<br />
Guerilla und das wird später eine Frauenarmee werden.<br />
Diese Erfahrungen haben ihre guten Seite darin, dass sie<br />
als Beispiel für andere Frauenorganisationen wirklich<br />
wertvoll sind.<br />
Es ist ja nicht so, dass Frauen nicht kämpfen können.Die<br />
YPJ hat der ganzen Welt gezeigt, dass Frauen kämpfen<br />
95
können; wirklich auch sehr aktiv kämpfen und sehr<br />
erfolgreich dabei sein können. Es wird oft gesagt, dass<br />
Frauen nicht kämpfen können, dass, wenn sie kämpfen,<br />
sie nicht gut kämpfen können, dass sie das nicht<br />
schaffen können. Aber die YPJ hat uns gezeigt, dass es<br />
ganz anders ist. Die ganze Welt hat von der YPJ gehört.<br />
Wer sich das anschaut, speziell türkische revolutionäre<br />
Organisationen nehmen sich ein Beispiele daraus.<br />
In der Türkei kannst du sehen, dass die Frauen durch die<br />
revolutionären Frauenorganisationen jetzt militanter und<br />
radikaler an die Sache herangehen und jetzt sagen können,<br />
dass sie auch radikale Sachen machen können. Denn<br />
das müssen wir auch als Frauen machen. Ich kann nur<br />
nochmals wiederholen, was die YPJ für eine Rolle spielt.<br />
Die YPJ hat uns gezeigt, dass Frauen selbstbewusster an<br />
diese Sache herangehen. Also richtig selbstbewusst ,das<br />
muss ich nochmals wiederholen, denn das ist ein sehr<br />
wichtiger Aspekt für uns.<br />
Die ganze Welt hat gesehen, dass wir Frauen sind.<br />
Frauen wurden von aussen so gesehen, dass sie Angst<br />
haben, dass sie keine Waffe haben können, keine Waffen<br />
tragen können, dass sie nur gut kochen, dass eine gute<br />
Frau, nur eine gute Hausfrau sein kann. So wurden wir<br />
als Frauen gesehen. Die Menschen glaubten, dass wir<br />
es nicht schaffen können, irgendwas zu machen. Auch<br />
wenn Frauen getötet, verhaftet oder gefoltert wurden,<br />
war es immer so, dass sie nichts dagegen getan haben,<br />
weil sie das Selbstbewusstsein nicht hatten.<br />
Aber jetzt hat uns die YPJ gezeigt, wer wir wirklich sind<br />
und dass wir sagen können, das ist eine Frauenrevolution<br />
hier. Diese Frauenrevolution hat uns gezeigt, dass die<br />
Frauen selbstbewusster sein sollten. Hier in <strong>Rojava</strong> sehen<br />
wir, wie die Frauen selbstbewusster geworden sind, sogar<br />
in dieser Bevölkerung in der alle Frauen wirklich sehr<br />
unterdrückt sind. Viele Frauen in dieser Bevölkerung<br />
sehen jetzt, dass in der YPJ Frauen Kriegerinnen sind<br />
und Kommandantinnen werden und Beschlüsse machen.<br />
Das ist fortschrittlicher als in der ganzen Welt. Das wollte<br />
ich nur nochmals wiederholen. Das ist sehr wichtig für<br />
uns, und für die Frauen weltweit.<br />
Die ganze Welt hat Angst vor dem IS. Die haben mit ihren<br />
Propaganda Videos und mit ihren verschiedenen Sachen,<br />
die sie gemacht haben, der ganzen Welt Angst gemacht.<br />
Das waren Frauenfeinde, die in Şengal viele Frauen<br />
vergewaltigt haben und Frauen verkauft haben. Für die<br />
Frauen war das wirklich ein Horror, für die Bevölkerung<br />
war es ein Horror und die Imperialisten wussten nicht,<br />
von wo das kam. Die ganze Welt war erschrocken.<br />
Aber das, was wir dagegen gemacht haben, also dass<br />
die YPJ dagegen gekämpft hat, dass die junge Frau<br />
gesagt hat «hier du wirst jetzt sehen, ich lasse mich<br />
nicht mehr unterdrücken», dass wir wirklich gegen<br />
radikale Frauenfeinde gekämpft haben.Wir kämpften<br />
hier nicht gegen ein System, gegen ein kapitalistisches<br />
Land, sondern gegen eine sehr sehr bedrohliche, eine<br />
terroristische Bedrohung gegen die Frauen. Die ganze<br />
Welt hat zugesehen, was den Frauen in Şengal passiert<br />
ist. Wir, die YPJ, hat gesagt «wir lassen uns nicht<br />
mehr unterdrücken» und hat die Waffen in die Hände<br />
genommen. Das hat uns gezeigt, dass wir gegen unsere<br />
Unterdrücker auch was machen können und dass sich<br />
eine Frau auch verteidigen kann.<br />
Die Welt hat vor einem Jahr zugesehen und hat dann<br />
gesehen, dass Frauen als Antwort auf die Unterdrückung<br />
eine Frauenrevolution machen. Wir haben gesehen,<br />
dass es sich in der Öffentlichkeit, in vielen Medien<br />
herumgesprochen hat, was für eine Rolle die YPJ für den<br />
Frauenkampf international getan hat. Das ist wirklich<br />
etwas Wertvolles, was die YPJ geschafft hat und das<br />
wird für uns ein Beispiel sein. Wir haben gezeigt, dass<br />
wir es schaffen können und wir werden es auch weiter<br />
schaffen.<br />
Was noch wichtiger ist, ist dass wir für uns, für unsren<br />
inneren revolutionäre Prozess sehr wichtig ist, etwas<br />
mitnehmen können. Es ist doch so, dass bei den<br />
Revolutionären immer etwas vergessen worden ist: Die<br />
Frau, die Frauensache, die Frauenprobleme, ja das wurde<br />
immer vergessen. Dass die Frauenfrage Teil der Frage<br />
nach der Revolution ist, haben sie uns hier gezeigt, denn<br />
ohne die Frauen kannst du keine Revolution machen.<br />
Aber die Revolutionäre und auch die Revolutionärinnen<br />
in unserem Land, haben das vergessen. Der Kampf in<br />
<strong>Rojava</strong> hat uns gezeigt, dass die Frauen nicht mehr<br />
vergessen werden dürfen, dass die Frauen wirklich gut<br />
ihre Rolle spielen können und dass sie in Zukunft auch<br />
ihre Rolle spielen werden.<br />
Als TKP/ML-TIKKO Kriegerin habe ich gesehen und<br />
habe gelernt, dass ich jetzt auch in meinem Land dagegen<br />
kämpfen kann, dass ich dagegen was machen kann. Jeden<br />
Tag werden Frauen getötet, Frauen vergewaltigt; ich<br />
weiss jetzt was ich dagegen machen kann. Dafür habe<br />
ich jetzt mein Selbstbewusstsein und ich kann mir hier<br />
ein Beispiel nehmen. Jetzt kann ich sagen, wir können<br />
gegen Frauenfeinde, gegen diese Leute, die Frauen<br />
vergewaltigen, gegen alle diese Menschen können wir<br />
ankämpfen. Das ist wirklich wichtig für uns und ich<br />
hab dass hier gelernt als Mitglied der TKP/ML-TIKKO.<br />
Unser Ziel ist es auch eine Frauenarmee hier zu gründen.<br />
Zwar sind wir jetzt noch klein und wir haben die Kraft<br />
dazu noch nicht aber wir lernen und wir werden immer<br />
noch weiter lernen.<br />
In der Sache der internationalen Solidarität spielt die Frau<br />
eine sehr grosse Rolle. Eine Frau wird unterdrückt, eine<br />
Frau wird vergewaltigt, eine Frau wird getötet, eine Frau<br />
muss immer arbeiten, im Haus ist sie immer diejenige,<br />
die alles machen muss, immer Dienstleistungen machen<br />
96
muss, immer in dem schwierigsten Beruf arbeiten muss.<br />
Überall in der Gesellschaft, überall, sei es im Leben,<br />
sei es bei der Arbeit, sei es zuhause, wird die Frau<br />
unterdrückt und es ist doch überall das Gleiche. Es ist<br />
nicht so, dass die Frau in Europa oder im Nahen Osten<br />
anders unterdrückt wird. Alle Frauen werden gleich<br />
unterdrückt und der Feind ist auch ein ähnlicher Feind,<br />
ein gleicher Feind, mit dem wir kämpfen.<br />
In der Türkei, da wurde vor einiger Zeit eine Frau von<br />
türkischen Polizisten oder Spezialeinheiten getötet. Sie<br />
war schwanger und hier sehen wir, dass so etwas auch<br />
hier passiert. Der Feind ist gleich und deswegen ist es<br />
wichtig, dass sich die internationale Solidarität, die<br />
internationale Bewegung fortschrittlich weiterbildet,<br />
einen Schritt nach vorne macht zum Thema Frau. Die<br />
Frau weiss, wie es ist unterdrückt zu werden, weil<br />
die Frau überall unterdrückt wird und das ist ein sehr<br />
wichtiger Punkt. Deswegen muss dies ein wichtiger<br />
Teil in der internationalen Bewegung sein. Denn im<br />
internationalen Kampf spielt die Frau eine sehr grosse<br />
Rolle.<br />
Wenn wir zum Beispiel sagen, dass die Genossin Barbara<br />
von der Zelle in die Berge ging, dann können wir für sie<br />
sagen, dass das ein sehr grosser internationaler Kampf<br />
ist. Barbara war eine internationale Kämpferin, die in<br />
den Bergen für den internationalen Kampf gefallen ist.<br />
Wir können das auch für Ivana Hoffmann sagen, die jetzt<br />
hier in <strong>Rojava</strong> als internationale Kämpferin gefallen ist.<br />
Das sind unsere Symbole, die nehmen wir uns als<br />
Vorbild in unserem Kampf. Wir wollen sie auch in<br />
unserem Kampf als Vorbild nehmen, weil sie das getan<br />
haben, was wir jetzt hier machen. Sie haben das getan<br />
und deshalb werden wir sie uns als Vorbild nehmen.<br />
97
Freiheitsbataillon<br />
«Wenn du an der Front gegen Daesh kämpfst,<br />
dann spielt es für dich keine Rolle, wer jetzt<br />
die WaffengenossInnen neben dir sind. Unser<br />
Bataillon macht auf diese Weise Politik, wir<br />
erleben Politik am stärksten im Kampf und<br />
unser Bataillon macht Politik, indem wir unseren<br />
Zusammenhalt zeigen. Es ist ein militärisches<br />
Bataillon und unsere Art Politik zu machen ist<br />
an der Front miteinander zu kämpfen.»<br />
Wer ist das Internationale Freiheitsbataillon.<br />
Das internationale Freiheitsbataillon besteht aus<br />
verschiedenen Menschen, die ein revolutionäres,<br />
antifaschistisches, anarchistisches oder fortschrittliches<br />
Bewusstsein haben.<br />
Das Bataillon besteht aus verschiedenen Parteien und es<br />
will die Revolution von <strong>Rojava</strong> schützen und sie weiter<br />
nach vorne tragen, sowohl gegen Daesh als auch gegen<br />
die imperialistischen Mächte, die verschiedene Pläne für<br />
<strong>Rojava</strong> haben.<br />
Wir wollen eine Alternative zum alten System aufzeigen.<br />
Die Revolution von <strong>Rojava</strong> wollen wir beschützen und<br />
weiter nach vorne tragen. Zur Zeit befinden sich im<br />
Bataillon verschiedene Gruppen, wie die MLKP, die<br />
TKP/ML-TIKKO, BÖG, und unter anderem Menschen<br />
aus Italien, aus Spanien, aus Griechenland, aus<br />
Frankreich, aus Deutschland.<br />
Auch einzelne Personen, die ein fortschrittliches Denken<br />
haben, seien es DemokratInnen, AntifaschistInnen oder<br />
auch AnarchistInnen, sind hier dabei und alle sehen die<br />
Revolution in <strong>Rojava</strong> als ihre eigene Revolution und<br />
wollen sie beschützen.<br />
Was sind die strategischen Ausrichtungen<br />
und Prinzipien vom Freiheitsbataillon und wo<br />
unterscheidet es sich von den anderen Bataillonen,<br />
die es gibt, inklusive YPG und YPJ?<br />
Was uns von den YPG / YPJ Bataillonen unterscheidet ist,<br />
dass wir organisatorisch unabhängig sind von ihnen. Wir<br />
entscheiden selbst, wer der/die höchste KommandantIn<br />
des Bataillons ist, wer die verschiedenen Team-<br />
KommandantInnen sind und so weiter. Aber vom System<br />
her sind wir abhängig von der YPG, das heisst, wir üben<br />
beispielsweise auch jeden Tag Kritik und Selbstkritik<br />
genau wie die anderen Bataillons auch. Auch können wir<br />
bei grösseren strategischen Entscheiden mitreden und<br />
unsere Ideen einbringen. Wenn wir direkt an der Front<br />
sind, bewegen wir uns zusammen mit den YPG und YPJ<br />
Bataillonen.<br />
Also ihr seid in der Entscheidung mit dabei und<br />
handelt dann zusammen? Und was ist der Unterschied<br />
zu den anderen Bataillonen?<br />
Der Unterschied zu den andern Bataillonen ist eben<br />
genau das, dass sie unabhängig entscheiden können, wer<br />
die KommandantInnen sind. In den anderen Bataillone<br />
nentscheidet die YPG, wer jetzt in dem Bataillon der/<br />
die höchste Kader ist. Aber das Freiheitsbataillon hat die<br />
Unabhängigkeit und kann selber entscheiden.<br />
Heisst das, dass zum Beispiel TIKKO und MLKP<br />
nicht selber entscheiden können, sondern dass die<br />
YPG für sie entscheidet?<br />
Nein, die haben auch ihre Unabhängigkeit.<br />
Aber was ist der Unterschied zum Beispiel zwischen<br />
dem Freiheitsbataillon und der MLKP oder TKP/<br />
ML-TIKKO?<br />
Ein anderer Punkt der uns unterscheidet ist, wie ich<br />
schon vorher erwähnt habe, dass unsere Bataillone aus<br />
verschiedenen Parteien und aus verschiedenen einzelnen<br />
Menschen besteht, die unabhängig kommen aber ein<br />
fortschrittliches Bewusstsein und einen homogenen<br />
Zusammenhalt haben. Also wir haben alle vielleicht<br />
98
verschiedene ideologische Blickrichtungen aber wir<br />
treffen uns alle an einem Punkt und das ist, dass wir die<br />
Revolution von <strong>Rojava</strong> beschützen wollen und dass wir<br />
dafür immer an vorderster Front kämpfen werden.<br />
Gibt es auch gemeinsame politische Schulungen?<br />
Wir haben ideologische Schulungen aber in diesen<br />
Schulungen diskutieren wir nicht, was uns voneinander<br />
trennt, sondern wir diskutieren eher Sachen wie<br />
beispielsweise „wie sollte sich ein Revolutionär im<br />
Alltag organisieren“, halt Themen die breiter sind.<br />
Wir schauen, dass wir nicht in die verschiedenen<br />
ideologischen Richtungen rein gehen, sodass wir<br />
keine Zersplitterungen haben. Uns geht es um den<br />
Zusammenhalt. Wir schauen, dass wir Themen<br />
besprechen, wo wir uns auf die eine Seite stellen können.<br />
Ausserdem haben wir auch militärische Schulungen, wie<br />
zum Beispiel Taktik und Schulungen mit Waffen.<br />
Heisst das, dass ihr die Einheit ins Zentrum stellt<br />
und nicht den Unterschied? Und damit akzeptiert<br />
ihr auch, dass es mehr als nur eine ideologische<br />
Ausrichtung gibt?<br />
Ja. Wir haben zum Beispiel TKP/ML-TIKKO, die<br />
MaoistInnen sind, was halt zum Beispiel BÖG und die<br />
MLKP nicht sind, aber wir schauen nicht darauf, was uns<br />
unterscheidet, sondern wo wir zusammentreffen, was<br />
uns zusammen bringt, das ist die Revolution von <strong>Rojava</strong>.<br />
Dazu gehören auch die AnarchistInnen.<br />
Alle drei Parteien, die ich erwähnt habe, haben auch<br />
ihre eigene Arbeit in <strong>Rojava</strong> aber im internationalen<br />
Freiheitsbataillon haben wir alle nur etwas, was<br />
uns zusammenbringt und das ist die Revolution zu<br />
beschützen. Da treffen wir uns alle. Deshalb erleben wir<br />
auch eine Kameradschaft auf einem anderen Niveau, das<br />
heisst für uns, dass wir trotz all der Unterschiede, die<br />
Gemeinschaft und die Wärme weiter tragen wollen.<br />
Wenn du an der Front gegen Daesh kämpfst, dann spielt<br />
es für dich keine Rolle, wer jetzt die WaffengenossInnen<br />
neben dir sind. Ob eine/r jetzt ein MaoistIn, TrotzkistIn,<br />
ob er/sie anarchistisch oder marxistisch leninistisch<br />
denkt, das spielt keine Rolle mehr. Unser Bataillon macht<br />
auf diese Weise Politik, wir erleben Politik am stärksten<br />
im Kampf und unser Bataillon macht Politik, indem wir<br />
unseren Zusammenhalt zeigen. Es ist ein militärisches<br />
Bataillon und unsere Art Politik zu machen ist an der<br />
Front miteinander zu kämpfen.<br />
Gibt es militärische, taktische und strategische<br />
TheoretikerInnen oder historische Erfahrungen, die<br />
für euch wichtig sind?<br />
Geschichtlich vergleichen wir uns mit dem Spanischen<br />
Bürgerkrieg, wo es gegen Francos Faschismus auch ein<br />
internationales Bataillon gegeben hat. Dort trafen sich<br />
auch viele verschiedene Menschen und Ideologien, die<br />
alle ein gemeinsames Ziel hatten. Wir vergleichen auch<br />
oft Kobanê mit Stalingrad, was uns immer wieder zeigt,<br />
dass der Sieg möglich ist und dass es einen solchen<br />
Kampf schon einmal gegeben hat. Das gibt uns immer<br />
wieder Hoffnungen.<br />
In der Revolution von <strong>Rojava</strong> spielen im<br />
militärischen Bereich Frauen eine grosse Rolle. Ist<br />
das bei euch auch so?<br />
Wir bezeichnen die Revolution von <strong>Rojava</strong> als eine<br />
Frauenrevolution und wir sehen auch wirklich wie<br />
wichtig der Aufbau der YPJ gewesen ist und was für<br />
einen grossen Wert das trägt. Vielleicht haben wir es<br />
nicht geschafft, von Anfang an in unserem Bataillon ein<br />
Frauenteam aufzubauen, weil wir im Bataillon zu wenig<br />
Frauen gehabt haben. Aber dann später hatten wir eine<br />
Frauenkommandantin neben dem Höchstkommandanten.<br />
Wir haben es auch geschafft, dass wir ein Frauenteam<br />
aufbauen konnten und wir sehen wirklich im Kampf,<br />
was für eine wichtige Rolle Frauen spielen.<br />
Was haltet ihr von der internationalen Solidarität,<br />
was bedeutet diese in der Revolution von <strong>Rojava</strong>?<br />
Auf der ganzen Welt sind alle Augen, vor allem die der<br />
imperialistischen Mächte, auf <strong>Rojava</strong> gerichtet. Das<br />
sieht man an den Koalitionen, die uns heute mit ihren<br />
Flugzeugen helfen. Aber das machen sie nicht, weil wir<br />
schöne Augenbrauen und schöne Augen haben, sondern<br />
sie haben alle ihre Pläne für <strong>Rojava</strong>. Diese Mächte sind<br />
vor allem Amerika, Russland und Frankreich. Sie wollen<br />
sich unbedingt in diese Revolution einmischen und ihr<br />
eine andere Richtung geben.<br />
Aber wir haben eine Revolution, die ihren eigenen<br />
Weg gemacht hat und die eine Alternative auch gegen<br />
Mächte und Grossmächte im Mittleren Osten, wie<br />
Assad und das Baath Regime, ist. Wir brauchen<br />
wirklich alle InternationalistInnen auf der ganzen<br />
Welt, die fortschrittlich sind, sich als AntifaschistIn als<br />
KommunistIn bezeichnen. Es kommen viele Kämpfer<br />
Innenaus der ganzen Welt aber wir brauchen mehr<br />
KämpferInnen, damit wir eine Revolution auch vor<br />
diesen Grossmächten schützen können.<br />
Ihr zieht oftmals Bilanz in der Form von Kritik /<br />
Selbstkritik. Was für Erfahrungen damit habt ihr bis<br />
jetzt gemacht?<br />
Kritik und Selbstkritik, die wir im Bataillon führen, ist<br />
ein Punkt, den wir nicht auslassen können, weil man<br />
jede/jeden GenossIn, der/die im Bataillon ist, kritisieren<br />
beziehungsweise Selbstkritik ausüben kann. Dies ist für<br />
eine gesunde Zusammenarbeit sehr wichtig ist, denn erst<br />
99
dort, wo man seine Gedanken und Ideen frei sagen kann,<br />
können wir auch Demokratie erleben.<br />
Wir sind alle aus einem bestimmten Grund hier. Weil<br />
wir alle an etwas glauben; weil jede/r einzelne aus einem<br />
bestimmten Grund hierher gekommen ist, aus einer<br />
bestimmten ideologischen Richtung oder aufgrund eines<br />
Bewusstseins. Nur deshalb haben wir die Waffen in die<br />
Hand genommen. Das heisst aber nicht, dass wir jetzt<br />
besser kämpfen als andere Bataillone. Aber wir glauben,<br />
dass wir mindestens genau so gut sind, wie die anderen<br />
Bataillone auch.<br />
Welche Rolle spielt für euch die Ideologie?<br />
Sie ist ausgesprochen wichtig. Denn dass wir<br />
SozialistInnen sind, hat uns ja nach <strong>Rojava</strong> geführt. Als<br />
SozialistInnen war es unsere Aufgabe hierher zu kommen.<br />
Wir sind keine nationalistischen SozialistInnen. Wir sind<br />
internationale SozialistInnen, das heisst, egal wo es<br />
einen Kampf gibt, dort müssen wir sein. Wenn wir so ein<br />
Bewusstsein haben und das verteidigen, sagen wir, dass<br />
die Revolution von <strong>Rojava</strong> auch unsere Revolution ist.<br />
Wir betrachten die Vorgänge hier auch als unsere eigene<br />
Revolution.<br />
sagen, seit wir uns gegründet haben. Unser Bataillon hat<br />
sich am 10. Juni 2015 gegründet, am 11. Juni sind wir<br />
an die Front gegangen. In diesen ersten Operationen<br />
sind zwei von unseren Kämpfern als Märtyrer gefallen:<br />
Halil Aksakal und Alper Çakas. Zudem haben wir<br />
sieben Genossen, die verletzt worden sind. Darunter<br />
ein deutscher Genosse und ein griechischer Genosse,<br />
die schwere Verletzungen gehabt haben. Nach diesen<br />
Operationen sind wir nach Hol gegangen, wo die<br />
nächsten Freiheitsoperationen angefangen haben. Seit<br />
unser Bataillon sich gegründet hat, waren wir immer<br />
an vorderster Front, weil auch in unseren Statuten<br />
geschrieben haben, dass wir da sind, um die Revolution<br />
von <strong>Rojava</strong> zu beschützen und das machen wir auch an<br />
vorderster Front. Wir sind immer an der vordersten Front<br />
und weil wir an der vordersten Front sind, haben wir<br />
es schwer. Wir leiden darunter, weil unsere Genossen<br />
als Märtyrer gefallen sind aber wir haben auch unsere<br />
Gegnern schwer leiden lassen.<br />
Wir rufen alle fortschrittlichen Menschen und<br />
Organisationen in der ganzen Welt auf: kommt hierher!<br />
Die Revolution von <strong>Rojava</strong> ist auch eure Revolution,<br />
es ist unsere und eure Revolution kommt und beschützt<br />
eure Revolution.<br />
100<br />
Gibt es noch etwas was du sagen willst?<br />
Ich will etwas zu den Erfahrungen der letzten fünf Monate
Kommandant Sengal (MLKP)<br />
«Dennoch muss ich sagen, dass, wenn wir die<br />
letzte Möglichkeit irgendwann erreicht haben,<br />
dass wir dann natürlich auch mit der KDP<br />
kämpfen werden. Aber das hat keine Priorität.<br />
Zuerst wollen wir die Dörfer von Daesh befreien<br />
und damit ein freies Land schaffen, damit für<br />
die Menschen alles besser wird.<br />
Wir sitzen hier im Tabûr zusammen mit dem<br />
Kommandanten der MLKP Sengal und wir würden<br />
gerne wissen, was Sengal ist und wie es zur aktuellen<br />
Situation kam.<br />
Zuerst einige grundlegende Infos. Die Stadt Şengal liegt<br />
am Fuss von riesigen Bergen. Dort leben vier verschiedene<br />
Völker: SunnitInnen, EzidInnen, KurdInnen und<br />
TurkmenInnen. Bis zum Angriff von Daesh hatten sie<br />
keine zu grossen Probleme untereinander gehabt. Sie<br />
hatten auch keine grossen Probleme mit der KDP, die sie<br />
regierte. Bevor Daesh die Stadt angriff, hatten sie gar die<br />
Möglichkeit in der KDP mitzureden.<br />
Wie es zur jetzigen Situation kam? Nun grundsätzlich<br />
kann man sagen, dass es mit dem Irak-Krieg und nach<br />
den Ereignissen in Syrien für Daesh einfach war im<br />
Nahen Osten zu erscheinen. Zuerst nutzten sie <strong>Rojava</strong><br />
als Basis, um die KurdInnen anzugreifen. Sie ergriffen<br />
damit die Gelegenheit als wichtiger Akteur im Nahen<br />
Osten zu erscheinen. Später begannen sie dann auch<br />
Südkurdistan anzugreifen.<br />
Die Terrororganisation Daesh will einen sunnitischen<br />
muslimisch-islamischen Staat im Nahen Osten aufbauen.<br />
Darum sehen sie das kurdische Volk, das armenische<br />
Volk, das Volk der kurdischen EzidInnen aber auch<br />
die revolutionären und fortschrittlichen arabischen<br />
Menschen als Hindernis für ihr Ziel. Deswegen griffen<br />
sie 2014 auch Şengal an.<br />
Natürlich gab es letztlich mehrere Gründe hierfür.<br />
Zunächst versteht Daesh die Religion der EzidInnen<br />
als Religion, die sie angreifen müssen. Ganz einfach<br />
deswegen, weil die EzidInnen eine andere religiöse<br />
Kultur, andere religiöse Überzeugungen und so weiter<br />
haben, und sie so im Widerspruch zur sunnitischen<br />
muslimischen Religion und ihren Sitten stehen.<br />
Zweitens fehlte in Şengal eine starke Autorität. Man<br />
kann sagen, die Verwaltung dort hatte keine Macht.<br />
Außerdem waren die EzidInnen nicht gut organisiert und<br />
auch diejenigen, die sich in der Stadt Şengal befanden,<br />
waren nicht stark genug, um eine Antwort auf die<br />
Angriffe der Daesh zu geben. Aus diesem Grund sagen<br />
wir heute, dass die Invasion von Şengal durch Daesh<br />
mit der Hilfe der KDP stattfand. Die KDP-Regierung<br />
ist deshalb mitschuldig, weil sie gegen die Invasion<br />
keinen Widerstand leistete. Sie hat buchstäblich keine<br />
einzige Kugel gegen den Angriff der Daesh in Şengal<br />
verschossen. Vielmehr zog sie sich aus der Stadt zurück<br />
und überließ die EzidInnen dem Massaker durch die<br />
Daesh.<br />
Die EzidInnen nennen das, was passiert ist, das 73.<br />
Massaker, denn im Laufe ihrer Geschichte erlitten die<br />
EzidInnen insgesamt 72 Massaker. Die EzidInnen<br />
mussten also beim Angriff aus ihren Städten und von<br />
ihrem Land fliehen. Sie verließen ihre Häuser, ihre<br />
Arbeit, ihre Tiere und all das, was immer ein Teil ihres<br />
Lebens war. Um einen sicheren Ort zu finden, mussten<br />
sie entweder nach <strong>Rojava</strong> fliehen oder sich nach Norden<br />
zurückziehen. Deshalb mussten sie tagelang mit den<br />
Kindern und alten Menschen und ohne Wasser wandern.<br />
Viele von ihnen starben bei dieser Flucht, oft weil sie<br />
zurückfielen und nicht schnell genug gehen konnten.<br />
Beim Angriff von Daesh im August 2014 wurden auch<br />
hunderte Menschen in einem grossen Massaker getötet.<br />
Diejenigen, die nicht in der Lage waren zu fliehen, wie<br />
alte Menschen, kleine Kinder und so weiter, wurden von<br />
Daesh einfach ermordet. Daesh nahm zudem auch viele<br />
ezidische Frauen als Sklavinnen.<br />
Als wir die Operation in Şengal durchführten, haben<br />
wir Massengräber gefunden. Wir können also sagen,<br />
dass Daesh gefoltert und getötet und die Menschen dann<br />
alle zusammen begraben hat. Es gibt zahlreiche solche<br />
101
Gräber in Şengal, die von diesen Gräueltaten zeugen.<br />
Als die Daesh im August 2014 Şengal angriff, reagierte<br />
die MLKP, die PKK und auch die YPG. Sie schafften<br />
es, Daesh am Fusse des Berges zu stoppen. Sonst<br />
wären Daesh weitergegangen und hätten die Menschen<br />
verfolgt, die in die Berge liefen. So begann die Befreiung<br />
von Şengal City, die später als totale Befreiung endete.<br />
Aber der Prozess zur Befreiung begann direkt nach dem<br />
Angriff von Daesh. Die Kämpfe dauerten eine lange Zeit<br />
aber schliesslich erreichten wir die Befreiung.<br />
Zu den politischen und militärischen Prozessen in Şengal:<br />
Es war also so, dass unsere Partei, die MLKP, zusammen<br />
mit den Kräften der PKK, die wir bezüglich der Politik im<br />
Nahen Osten und der kurdische Frage übereinstimmen,<br />
sofort eine Antwort auf die Angriffe auf Şengal gaben.<br />
Zusammen mit der PKK wurden wir Teil einer Front, die<br />
gemeinsam gegen Daesh kämpfte. Daraus ergab sich ein<br />
grösserer Widerstand gegen Daesh. Wir kämpften und<br />
Schritt für Schritt befreiten wir schliesslich die Dörfer<br />
und vertrieben Daesh vom Fuss der Berge.<br />
Aber dann schloss die KDP plötzlich den Durchgang,<br />
durch den wir versorgt wurden und wir waren mit<br />
Bedingungen konfrontiert, wo wir keine Verpflegung<br />
mehr hatten. Das heisst, wir hatten plötzlich auch keine<br />
Munition, keine Waffen und vergleichbare Dinge mehr.<br />
Die KDP tat dies absichtlich, weil sie nicht wollten, dass<br />
die PKK und MLKP eine bestimmende Kraft für die<br />
EzidInnen und das kurdische Volk in Şengal werden.<br />
Der Grund hierfür ist recht einfach zu erklären. Die KDP<br />
will nicht, dass die EzidInnen sich selbst organisierien<br />
oder mit den revolutionären und kommunistischen<br />
Organisationen Bekanntschaft schliessen. Sie wollen<br />
einfach nicht, dass die Bevölkerung unter den Fahnen der<br />
revolutionären Organisationen, wie der MLKP oder der<br />
PKK, organisiert werden. Unter solchen Schwierigkeiten,<br />
die von der KDP stammen, leben wir immer noch. Also<br />
kämpfen wir aktuell sowohl gegen Daesh als auch gegen<br />
die KDP, jedoch hier ohne revolutionäre Absicht. Wir<br />
wollen einzig die Schwierigkeiten minimieren, die die<br />
KDP uns bereitet.<br />
Als wir mit den vereinten Kräften der PKK, der MLKP<br />
und der YPG gegen Daesh zu kämpfen begannen,<br />
befreiten wir etwa 10% des Şengal Gebietes und<br />
errichteten eine Frontlinie in diesem Bereich. Dieses<br />
10%-Gebiet können wir das alte Şengal nennen. Es ist<br />
ein strategisch sehr wichtiges Gebiet und hat Bedeutung<br />
in der ganzen Region, weil wir von diesem Gebiet aus die<br />
weiter unten liegende Stadt Şengal kontrollieren konnten.<br />
Für etwa 14, 15 Monate hielten die gemeinsamen Kräfte<br />
die Frontlinie und bereiteten sich auf die Operation zur<br />
Befreiung von Şengal vor.<br />
Während dieser 14, 15 Monate des Widerstandes<br />
waren die Bedingungen und die Möglichkeiten, die<br />
wir hatten begrenzt. Auch hat uns Daesh in dieser Zeit<br />
immer wieder angegriffen. Wir hatten viele Gefallene,<br />
einschließlich Frauen und Männer der PKK, aber mit<br />
starkem Widerstand hielten wir die Frontlinie und<br />
wichen nicht zurück. Wir bauten den Widerstand weiter<br />
aus und bereiteten uns auf die Befreiungs-Operation vor.<br />
Die KDP jedoch, obwohl sie viele schwere Waffen<br />
und technische Geräte haben, organisierten keinen<br />
Widerstand. Sie machten keine Operation gegen die<br />
Daesh, um zu reagieren. Doch wenn wir dies so sagen,<br />
dann wollen wir die KDP nicht als die einzig Schuldigen<br />
benennen, auch die imperialistischen Staaten sind<br />
mitschuldig. Denn als unsere GenossInnen durch die<br />
hinterhältige Angriffe von Daesh starben und als Daesh<br />
uns mit schweren Waffen, mit Maschinengewehren und<br />
Raketen angriffen, da reagierten die imperialistischen<br />
Staaten, das heisst diie USA, Italien, Deutschland,<br />
England, nicht einmal, obwohl sie der Welt eine andere<br />
Geschichte erzählen.<br />
Zwar griffen ihre Flugzeuge die Daesh Positionen<br />
an, aber sie kommunizierten nur mit der KDP. Für die<br />
Imperialisten war die KDP der einzige Partner. Wenn die<br />
KDP ein Problem hatte, reagierten die imperialistischen<br />
Kräfte und bombardierten die Positionen von Daesh.<br />
Aber wenn unsere Kräfte ein Problem hatten und<br />
unsere KämpferInnen getötet wurden, taten diese<br />
imperialistischen Staaten nichts. Der Grund dafür war,<br />
dass die Imperialisten nicht wollten, dass wir in uns<br />
selbständig organisierten in Şengal bewegten, ohne sie<br />
zuerst zu fragen. Wenn etwas nicht ihren Wünschen<br />
entsprach, überliessen sie uns einfach den Daesh. Nicht<br />
direkt, sondern indirekt und deswegen sind auch sie<br />
mitschuldig.<br />
Nach diesem 15 Monate langen Prozess erreichten wir<br />
schliesslich eine Situation, in der es darum ging, dass wir<br />
entweder die Daesh angreifen oder sie eine Operation<br />
gegen uns machen würden. Zu diesem Zeitpunkt hatten<br />
wir unsere Frontlinie bereits 15 Monate gehalten. Im<br />
November 2015 begann YPG, MLKP, YBŞ (Yekîneyên<br />
Berxwedana Şingal, Widerstandseinheiten Şengal), und<br />
YJA STAR (Yekîneyên Jinên Azad ên Star, Fraueneinheit<br />
der PKK) die Operation zur Befreiung von Şengal.<br />
Vor Beginn der Operation hatten wir einen Kontakt mit<br />
der KDP, der YNK und auch mit den Staaten Frankreich,<br />
Belgien, England, und wir liessen sie wissen, dass wir<br />
mit unserer Operation beginnen würden. Dann suchten<br />
wir nach Wegen, wie wir dies zusammen tun könnten,<br />
das heisst auch zusammen mit der KDP. Aber die KDP<br />
sagte, ihr seid nicht die tatsächlichen Kräfte in Şengal, ihr<br />
seid nur Gäste. Sie sagten, wir werden dies durchführen<br />
und ihr werdet nur weglaufen. Natürlich haben wir das<br />
nicht akzeptiert, wir hatten in diesen 15 Monaten viele<br />
Gefallene und wir waren es, die als BeschützerInnen der<br />
102
EzidInnen handelten. So gaben wir ihnen die Antwort,<br />
ob ihr es akzeptiert oder nicht, wir werden die Operation<br />
starten. Nach diesen Kontakten mit den anderen<br />
AkteurInnen, insbesondere den USA und Frankreich, die<br />
unsere Leistungen in diesen 15 Monate gesehen hatten,<br />
gaben sie uns indirekt zu verstehen, dass sie uns bei<br />
dieser Operation unterstützen wollen.<br />
Am 15. November am Morgen dieses ersten<br />
Tages begannen die Flugzeuge von Frankreich<br />
mit Bombardierungen und am Morgen gingen die<br />
KämpferInnen der YBŞ, YPG, MLKP und YJA STAR in<br />
die Stadt und überwältigten alle Daesh Kräfte, die durch<br />
die Bombardierungen der ersten Nacht geschwächt<br />
waren. Dann wurde Şengal eine freie Stadt, frei von<br />
Daesh.<br />
Am Morgen, als die Operation begann und unsere Kräfte<br />
in die Stadt einzogen, ging natürlich auch die KDP mit<br />
Tausenden ihrer Soldaten und mit einem gewaltigen<br />
Waffenarsenal, darunter auch Panzern und anderen<br />
Waffen, in die Stadt und inszenierten eine grosse Show.<br />
Sie wollten die Macht im Stadtzentrum übernehmen und<br />
von den anderen Kräften als Autorität auftreten. Auch<br />
wenn sie unsere Operation nicht akzeptierten: Als wir<br />
in die Stadt einzogen, wollten sie plötzlich das ganze<br />
Gebiet besetzen und führten deswegen eine riesige Show<br />
auf, um ihre Macht zu demonstrieren. Aber als wir das<br />
sahen, versuchten wir der KDP keine Möglichkeit zu<br />
geben, dass sie die Stadt Şengal besetzen konnten.<br />
Zur Zeit sind es drei Hauptkräfte, die das Şengal<br />
Stadtzentrum kontrollieren, die YPG, YBŞ und die KDP.<br />
Wir, die Kräfte der MLKP sind unter dem Kommando<br />
der YPG. Wir befolgen ihre Befehle, da wir eine grosse<br />
Solidarität zwischen uns und ihnen sehen.<br />
Die EzidInnen aber, mehr oder weniger alle von ihnen,<br />
gehen immer noch nicht in ihre Stadt zurück, weil sie der<br />
KDP und den imperialistischen Kräften nicht trauen. Sie<br />
erlitten ein riesiges Massaker und haben grosse Angst in<br />
ihre Städte zurückzukehren. Lieber leben sie zusammen<br />
mit den Kräften der YPG in Zelten in den ländlichen<br />
Gebieten rund um Şengal. Sie vertrauen der YPG und<br />
wenn die YPG zum Beispiel ein Dorf befreit hat, bringen<br />
sie ihre Zelte und leben dort zusammen mit ihnen.<br />
Kannst du etwas darüber erzählen, wie sich die<br />
EzidInnen selbst organisieren?<br />
Also die YBŞ über die ich schon gesprochen haben, ist<br />
die Selbstorganisation von EzidInnen. Sie wurde im Jahr<br />
2015 durch die Unterstützung von YPG und MLKP und<br />
YJA STAR organisiert. Sie lassen EzidInnen sich selbst<br />
organisieren, damit sie nicht mit weiteren Massakern<br />
konfrontiert werden. Wenn die EzidInnen sich selber<br />
schützen, indem sie ihre eigenen Kräfte verwalten, sind<br />
sie zukünftig die erste Kraft gegen weitere Massaker.<br />
Also wurde die YBŞ im Jahr 2015 gegründet.<br />
Wir können sagen, dass mit der Gründung der YBŞ, die<br />
Propaganda, die die KDP gegen die MLKP und die YPG<br />
bei den EzidInnen einbrachte, vermindert werden konnte.<br />
Wenn sich die EzidInnen selbst organisieren, wird die<br />
Propaganda der KDP irgendwann bedeutungslos werden.<br />
Jetzt arbeiten YPG und YBŞ Kräfte in Şengal<br />
zusammen. Die irakische Regierung anerkennt YPJ<br />
als eine eigenständige Kraft im Şengal Gebiet und sie<br />
bieten der YBŞ eine Art wirtschaftliche Möglichkeiten,<br />
indem sie sie als eine eigenständige Kraft anerkennen.<br />
Auch auf internationaler Ebene beginnt die YBŞ von<br />
der irakischen Regierung anerkannt zu werden. Dies<br />
hat eine grosse Bedeutung, denn das Wichtigste hier ist,<br />
dass die EzidInnen in der Zukunft kein Massaker mehr<br />
erleben müssen. Wenn sie auf internationaler Ebene<br />
anerkannt werden, wird ihnen das helfen, ihr Land gut<br />
zu organisieren.<br />
Aber die Barzani-Regierung, die KDP, anerkennt die<br />
YBŞ nicht an, und das obwohl selbst die irakische<br />
Regierung sie anerkennt. Sie wollen gar, dass sie aus<br />
der Stadt Şengal weggeschickt werden. Darüber hinaus<br />
will das Barzani-Regime, dass unsere Kräfte in einen<br />
Konflikt mit der lokalen Bevölkerung in Şengal geraten.<br />
Zu diesem Zweck haben sie ein wirtschaftliches Embargo<br />
gegen unsere Kräfte ausgerufen und auch religiöse<br />
ezidische Organisationen zusammengetrommelt, damit<br />
diese sich gegen unsere Kräfte organisieren.<br />
Aber trotz all dieser politischen und wirtschaftlichen<br />
Aktionen der KDP, leben die EzidInnen, und alle anderen<br />
Menschen von Şengal ihr Leben selbst und organisieren<br />
sich gemeinsam mit unseren Kräften.<br />
Wie sieht das im Alltag aus? Und wie wirkt sich<br />
eure Anwesenheit auf die Politik der KDP aus?<br />
Wir organisieren Bildung. Wir haben Volksräte und<br />
Kommissionen von Frauen. Durch solche Institutionen<br />
beginnen die Menschen sich selbst zu regieren und sie<br />
versuchen nun, ihre eigene wirtschaftliche und politische<br />
Struktur aufzubauen.<br />
Wir als Befreiungskräfte wollen keinen Krieg mit der<br />
KDP. Aber die KDP versucht, die Leute gegen uns<br />
aufzuhetzen. Wir wollen, dass die Menschen hier unsere<br />
Politik verstehen und annehmen und ihr eigenes Leben<br />
gemeinsam mit uns aufbauen. Aber die KDP versuchen<br />
zu provozieren. Nur um ein Beispiel zu nennen: Im<br />
Mai sprach die KDP zu den wichtigsten religiösen<br />
Organisationen der EzidInnen und versuchte sie gegen<br />
uns aufzubringen. Aber die Vertreter dieser religiösen<br />
Organisationen sagten, wir werden keine einzige Kugel<br />
gegen die Befreiungskräfte aufbringen.<br />
103
Dennoch muss ich sagen, dass, wenn wir die letzte<br />
Möglichkeit irgendwann erreicht haben, dass wir dann<br />
natürlich auch mit der KDP kämpfen werden. Aber das<br />
hat keine Priorität, auch weil wir die letzten Dörfer von<br />
Daesh befreien wollen, die zwischen Şengal und <strong>Rojava</strong><br />
liegen. Wir wollen diese Dörfer befreien und damit<br />
ein freies Landes schaffen, damit für die Menschen<br />
alles besser wird. Die EzidInnen werden dann Zugang<br />
zur <strong>Rojava</strong> Revolution haben. Weil uns das wichtig ist<br />
haben wir noch immer eine Menge von unseren Kräften<br />
in Şengal, um hier auch weiter die Stadt zu halten.<br />
Das hat auch eine andere Seite. Denn unsere Kräfte hier<br />
sammeln viel Erfahrung, insbesondere solche, welche<br />
für den militärischen Kampf in den Städten von Nutzen<br />
ist. Wir befinden uns in Şengal City ja in einer Stadt. Hier<br />
halten wir nicht nur eine Position, sondern unsere Kräfte<br />
verändern auch das Gebiet. Zurzeit gibt es in Şengal<br />
viele verschiedene Akademien für die KämpferInnen<br />
und unsere Truppen. Wir haben also dynamische<br />
Beziehungen zur Stadt Şengal und das geht weiter.<br />
Auch gibt es hier eine Neuerung für uns. Vor dem Krieg<br />
hier hatten wir keinen Kontakt mit EzidInnen. In diesem<br />
Krieg hatten wir die Chance, den EzidInnen nahe zu<br />
kommen. Wir hatten die Möglichkeit, ihr Leben und ihre<br />
Kultur zu verstehen und uns mit ihnen solidarisch zu<br />
zeigen. Gleichzeitig fingen die EzidInnen an uns und die<br />
kommunistische Kultur kennenzulernen. Mittlerweile<br />
zeigen sie grosses Interesse für unsere Organisationen.<br />
Sie besuchen uns an unseren Standorten in Şengal und<br />
verfolgen auch unsere Politik in Şengal. Daher ist dies<br />
ein grosser Erfolg, den wir durch unsere KämpferInnen<br />
erreichten, die gute Beziehungen zu allen Menschen und<br />
fortschrittlichen Organisationen in diesem Krieg hatten.<br />
für die Befreiung von Şengal angeschlossen. Aktuell<br />
halten sie einige Orte im Stadtzentrum. Sie formierten<br />
sich im Jahr 2015, vor der grossen Operation.<br />
Aber sie sind das Ergebnis dieses Prozesses den du<br />
beschrieben hast?<br />
Ja, genau, gleich wie YBŞ. Es ist ein Ergebnis dieser 15<br />
Monate.<br />
Das heisst, sie schufen Raum für Frauen, um sich<br />
innerhalb des Prozesses der Operationsvorbereitungen<br />
zu organisieren?<br />
Das Vorgehen ist mehr oder weniger dasselbe wie bei der<br />
YPG. YPG begann EzidInnen erst unter YPG Kräften<br />
zu organisieren und danach, als sich eine Möglichkeit<br />
zeigte, konnte YBŞ aus ihren eigenen ezidischen<br />
Kräften aufgebaut werden. Genauso wie die YJA STAR<br />
Kämpferinnen die ezidischen Frauen zu organisieren<br />
begannen. Sie organisierten sie für YJA STAR und<br />
nachdem YBŞ aufgebaut war, begannen sie, einen Weg<br />
für Frauen zu organisieren und gaben ihnen ihre eigene<br />
Organisation und die Möglichkeit, YJÊ aufzubauen.<br />
Die Befehlsstruktur innerhalb der YBŞ ist halb/halb. Das<br />
heisst, bei den KommandantInnen gibt es die gleiche<br />
Vertretung durch Frauen und Männer. Für YBŞ sind<br />
die KommandantInnen gemischt. Das heisst auch, dass<br />
die Genossinnen das gleiche Recht für die Organisation<br />
haben. Darüber hinaus haben die Frauen ihre eigene<br />
Organisation für die Missionen oder für die weiteren<br />
Regelungen innerhalb der YBŞ, die Kommandantinnen<br />
haben ihre eigene Initiative.<br />
Auch die Solidarität, die wir mit der PKK, der YPG<br />
und der YBŞ aufbauten, stärkte unser revolutionäres<br />
Bewusstsein. Wir lernten viel für unsere revolutionären<br />
Werte. Das betrifft natürlich beide Seiten. So gewann<br />
unsere Kameradschaft eine neue historische Bedeutung,<br />
das heisst auch eine revolutionäre Bedeutung.<br />
Diese Beziehung halten wir auch mit unseren Gefallenen.<br />
Denn Krieg bedeutet auch Gewalt und Tod. In diesem<br />
Krieg gab es viele MärtyrerInnen. Sie lehrten die MLKP<br />
revolutionäre Werte und sie übergaben uns die grosse<br />
Verantwortung, ihren revolutionären Willen fortzusetzen<br />
und zu verstärken. Schliesslich werden wir ihre Träume<br />
für Şengal wahr werden lassen.<br />
Ich habe nur noch eine Frage. Wir hörten von den<br />
ezidischen Frauen, dass sie sich auch organisieren<br />
und bewaffnen.<br />
YJÊ (Verteidigungseinheit der Frauen Êzîdxan, ehemals<br />
YPJ-Shingal) sind Streitkräfte, die die Frauen selbst<br />
organisiert haben. Sie haben sich auch den Operationen<br />
104
Die Rolle der Gefallenen<br />
«Die gefallene Genossin Sarya fragt mich:<br />
Was hast du gelesen, um dich dem Feind gegenüber<br />
zu stärken, was für ein Bewusstsein<br />
hast du geschaffen?»<br />
Welche Bedeutung haben die Gefallenen für dich?<br />
Die Erde von <strong>Rojava</strong> ist der Boden der Gefallenen.<br />
Wie bei jeder Revolution wurde auch in <strong>Rojava</strong> Leben<br />
gegeben, damit die Revolution entsteht und verteidigt<br />
werden kann. In <strong>Rojava</strong> findet ein grosser ein Krieg<br />
für die Freiheit und die Ehre statt. Dieser andauernde<br />
Krieg der unterdrückten Völker ist ein Kampf gegen<br />
Kapitalismus, imperialistische Barbarei und deren<br />
Folgen, also auch gegen den barbarischen Daesh. Wenn<br />
du als eine Kämpferin deinen Platz an der Front finden<br />
und gegen die Feinde kämpfen willst, musst du zuerst die<br />
Bedürfnisse und die Notwendigkeiten des revolutionären<br />
Krieges verinnerlichen. Also musst du dich ideologisch<br />
stärken. Du brauchst ein politisches Verständnis und<br />
Ziele, die dich in den Krieg und an die Front bringen.<br />
Diejenigen, die am mutigsten, am selbstlosesten und<br />
am loyalsten sind, kämpfen an vordersten Front gegen<br />
den Feind. Deshalb sind die Gefallenen und die tapferen<br />
GenossInnen immer unter uns. Darum versuchen<br />
wir deren Fahne der Ehre, die uns unsere gefallenen<br />
GenossInnen hinterlassen haben, zu schützen und noch<br />
höher zu halten. Deshalb versuchen wir von deren<br />
revolutionären Leben, Aktionen und deren Praxis zu<br />
lernen.<br />
Die Definition von Şehit [Gefallener Anm. d. Red] hat<br />
eine andere Bedeutung für uns. Unsere GenossInnen, die<br />
nun Teil der Karawane der Gefallenen sind, haben für die<br />
Revolution ihr Leben gelassen. Sie sind gestorben für das<br />
werktätige Volk, für die Unterdrückten, die Verarmten<br />
und für die Natur. Deshalb sind sie die Avantgarde. Das<br />
Leben und die Aktionen der gefallenen GenossInnen<br />
sind eins. Weil sie eine starke Bindung mit dem Leben<br />
und dem Kampf aufgebaut haben, haben sie die stärkste<br />
Praxis zum Vorschein gebracht.<br />
Wenn wir an der Front nicht wissen, wie wir weitermachen<br />
sollen, erhellen uns unsere Gefallenen mit ihrer<br />
Lebenspraxis und ihren Aktionen. Sie geben uns Kraft<br />
und zeigen uns durch ihre Praxis, wie wir etwas angehen<br />
können. Die gefallenen GenossInnen hinterlassen uns<br />
das Erbe vom Kampf, den wir erhöhen und dem wir neue<br />
Qualität geben müssen. Um die Qualität zu erhöhen,<br />
müssen wir von ihnen lernen.<br />
Wir haben für die Genossin Ivana eine<br />
Gedenkveranstaltung organisiert, dafür sollte ein Gedicht<br />
vorgetragen werden. Ich habe das für die Genossin Ivana<br />
übernommen. Eigentlich liegt mir das nicht, doch immer<br />
wenn ich an sie gedacht habe, ist meine Zurückhaltung<br />
zurückgedrängt worden und ich hatte den Anspruch das<br />
Gedicht so gut wie es nur geht vorzutragen. Darum fragt<br />
mich die gefallene Genossin Ivana jeden Tag aufs Neue:<br />
Was hast du heute für den internationalen Kampf getan,<br />
wie hast du dich weiterentwickelt?<br />
Die gefallene Genossin Sarya fragt mich: Was hast du<br />
gelesen, um dich dem Feind gegenüber zu stärken, was<br />
für ein Bewusstsein hast du geschaffen? Die gefallene<br />
Genossin Raperin fragt mich: Welchen Anteil hast du<br />
an den Frauenbefreiungskampf geleistet, was für einen<br />
Kampf hast du geführt? Die gefallenen Genossinnen<br />
Berçem und Ekin fragen mich: Was hast du gemacht,<br />
um die Beschlüsse der Partei zu erfüllen, um den<br />
bewaffneten Arm zu entwickeln und wie viel hast du der<br />
Partei beigetragen?<br />
Welche Rolle und Bedeutung haben die Gefallenen<br />
der Partei?<br />
Nicht nur in dem bewaffneten Kampf der Partei, sondern<br />
in allen Bereichen haben die gefallenen GenossInnen<br />
den gleichen Wert. Zum Beispiel die gefallene Genossin<br />
Şengül Boran, die bei ihrer militärischen Ausbildung<br />
um gegen die faschistische Diktatur zu kämpfen,<br />
gefallen ist. Genauso der gefallene Genosse Yılmaz<br />
Selçuk, der in den befreiten Gebieten der PKK bei einer<br />
militärischen Ausbildung durch einen Unfall gefallen ist.<br />
Jetzt ist es unsere Aufgabe die halberfüllten Hoffnungen<br />
zu vervollständigen. Genauso wie bei Yasemin Çiftçi,<br />
Ali Haydar Göçer oder die im Kampf gegen den Daesh<br />
unsterblich geworden sind; wie Sibel Bulut, Serkan<br />
Tosun, Ivana, Tekoser, Supi, Sinan, Sevda, Ismet, Emre,<br />
Oguz, Halil und die vielen gefallen GenossInnen, deren<br />
Namen ich nicht aufzählen kann. Ich denke jeden Tag an<br />
sie und teile es mit meinen GenossInnen.<br />
Ich denke auch an die 33 WeggefährtInnen, die in<br />
Suruç durch die Zusammenarbeit des ausbeuterischen<br />
faschistischen Staat mit Daesh massakriert wurden. Unter<br />
105
ihnen waren SympathisantInnen unserer Partei aber auch<br />
Militante der Partei, AntikapitalistInnen, AnarchistInnen<br />
und KurdInnen. Sie wollten der Revoltion von <strong>Rojava</strong><br />
helfen und ein Teil des Wideraufbaus in Kobanê sein.<br />
Sie haben ihre Schritte, Kräfte, Stimmen und Gedanken<br />
geteilt und wurden zu einer grossen Kraft. Indem sie<br />
gesagt haben, „zusammen haben wir es verteidigt,<br />
zusammen werden wir es aufbauen“, wollten sie in<br />
Kobanê ein Backstein aufbauen, einen Samen pflanzen,<br />
eine Bücherei aufbauen. Allein um das Lächeln von<br />
einem Kind zu sichern, würde es sich lohnen, all dies<br />
zu machen, das haben sie sich gedacht. Der Daesh und<br />
der türkische Staat, die gegen den schönen kräftigen<br />
Kampf verloren hatten, konnten es nicht akzeptieren<br />
und sie haben sie barbarisch angegriffen. Die Träume<br />
unserer GenossInnen sind einer der wichtigsten Werte<br />
für uns und ihre Träume sind unsere Träume. Die<br />
Träume zu verwirklichen heisst für uns, unsere Wut<br />
gegen den Feind zu stärken und unseren Glauben an<br />
die Revolution zu erhöhen. Wir als Revolutionäre sind<br />
nicht nur mit unseren Gefallenen eins, indem wir ihren<br />
Kampf schultern. Dies macht uns zu GenossInnen, zu<br />
einer Partei und uns zu einem Kollektiv.<br />
In der Geschichte und in der Kultur wird den<br />
Gefallenen viel gewidmet. Gibt es Unterschiede<br />
zwischen der kurdischen Befreiungsbewegung und<br />
der türkischen Befreiungsbewegung?<br />
Es macht keinen Unterschied für die MLKP. Sowohl<br />
die PKK als auch wir sind eine Partei der Gefallenen. In<br />
Hinsicht des Kampfes ist die PKK eine Volksbewegung,<br />
die seid 40 Jahren einen starken Krieg führt. An den<br />
Fronten sind wir GenossInnen. Ohne einen Unterschied<br />
zu setzten, führen wir unseren Kampf gemeinsam<br />
gegen unsere Feinde. Die PKK, die wir uns als<br />
Beispiel nehmen, hat unzählige Gefallene. Wir haben<br />
gefallene GenossInnen, die als KommandantInnen,<br />
als KriegerInnen und als GenossInnen ein Beispiel für<br />
uns sind und unsern Weg erhellen. Und hier nimmt die<br />
organisationsübergreifende Kameradschaft eine starke<br />
Bedeutung ein. Das revolutionäre Leben können wir<br />
erweitern, indem wir gemeinsame Werte teilen.<br />
Wie erlebt ihr an der Front, im Batallion oder in<br />
der Illegalität eure Trauer oder euren Stolz?<br />
Es spielt keine Rolle wo man ist, wenn man die<br />
Emotionen auslebt. Der Freiheitskampf, ob in der Türkei<br />
oder in Kurdistan, wird mit hohen Opfern und Arbeit<br />
erweitert. In diesem Kampf lebt man die Schmerzen, die<br />
Freude und die Wut im Innersten. Es gibt etwas, was wir<br />
im Krieg gelernt haben: Die Emotionen zu verwalten.<br />
Die Freude und das Glück der unterdrückten Völker<br />
in die Tiefe zu spüren aber auch deren Schmerzen als<br />
unserer Schmerzen zu leben.<br />
Schmerzen und Wut sin menschliche Gefühle. Das was<br />
das Leben von revolutionären KommunistInnen von<br />
anderen Menschen unterscheidet, ist dass wir unsere<br />
Gefühle verwalten. Egal auf welchem Kampffeld wir<br />
sind, sind unsere Schmerzen und Lebensform gleich.<br />
Unsere Schmerzen stärken unsere Wut gegen den<br />
Klassenfeind und festigen unsere Entschlossenheit im<br />
Kampf. So leben wir ohne unsere Schmerzen oder Trauer<br />
zur Qual zu machen.<br />
106
Welche Bedeutung haben internationalistische<br />
Gefallene für die Kriege in der Bewegung und in<br />
eurer Partei?<br />
Die Internationalistischen Gefallenen haben auch eine<br />
grosse Bedeutung. Unsere Partei ist eine Partei, die<br />
durch die Einheit der KommunistInnen entstanden ist,<br />
Wir haben das Ziel einer Revolution in der Türkei, in<br />
Kurdistan aber auch auf der Welt. Und wenn ein/e<br />
RevolutionärIn die Schmerzen der ArbeiterInnen,<br />
unterdrückten Völker, Werktätigen, Jugendlichen oder<br />
Frauen fühlt und für deren Ideale selbstlos in den Kampf<br />
zieht, ist deren Bedeutung und Wert sehr gross. Um<br />
diese Praxis zu leben, müssen grosse Brüche organisiert<br />
werden und es muss eine starke ideologische Festigung<br />
unsererseits geben.<br />
den berechtigten Kampf der kurdischen Bevölkerung<br />
verstanden und die Schmerzen gefühlt. Ihr Kampf gegen<br />
den Daesh ist ein Beispiel für die ganze Bevölkerung<br />
hier. Sie hat das Schuldgefühl der Verräter vertieft und<br />
hat eine grosse Ehre für die Kämpfenden hinterlassen.<br />
Internationale Solidarität ist eine Notwendigkeit, auf die<br />
man in einer Revolution nicht verzichten kann.<br />
Ein schönes Beispiel haben wir im Widerstand in Kobanê<br />
erlebt. Die ganze Welt hat Kobanê ihre Stimme gegeben<br />
und war Teil des Erfolgs. Es gab Gefallene, die für<br />
sich selbst, für Kobanê, für <strong>Rojava</strong> und für ihre eigene<br />
Freiheit gekämpft haben. Bei jedem kritischen Moment<br />
der Revolution von <strong>Rojava</strong> kamen internationalistische<br />
RevolutionärInne aus den unterschiedlischten Teile der<br />
Welt und haben ihr Leben hier gelassen. Diese ehrenvolle<br />
Haltung ist für uns ein wichtiger Wert.<br />
Egal an welchem Ort man auf dieser Welt aktiv ist, ist<br />
es sehr wertvoll bei denjenigen zu sein, die für Veramte,<br />
Unterdrückte, Ehre, und Freiheit kämpfen. Ihr kennt<br />
villeicht das Beispiel von der gefallenen Genossin<br />
Ivana. Sie kam als eine junge Frau aus Deutschland und<br />
nahm ihren Platz im revolutionären Kampf ein. Sie hat<br />
107
Frauenteam (MLKP)<br />
«Das Frauenteam zielt darauf ab, Frauen zu<br />
organisieren, die an der militärischen Front des<br />
Kampfes kämpfen.»<br />
108<br />
Woher kommst du?<br />
Ich war Studentin, als ich mit dem revolutionären Kampf<br />
begann. Während den Jahren in der Oberschule traf ich<br />
Leute, die schon Teil der revolutionären Bewegung<br />
waren. In der Türkei gibt es in allen Bereichen des Lebens<br />
Probleme mit der fehlenden Freiheit und Gerechtigkeit.<br />
Gegenüber dem faschistischen System in der Türkei<br />
zu schweigen, bedeutet mitschuldig zu sein und die<br />
Versklavung zu akzeptieren. Ich entschied mich für ein<br />
freies und ehrenhaftes Leben und wurde Revolutionärin.<br />
Ich arbeitete in der Jugend- und Studierenden-Politik, wie<br />
auch in anderen Bereichen des politischen Kampfes. Zu<br />
Beginn der Revolution von <strong>Rojava</strong> kam ich nach <strong>Rojava</strong>.<br />
Ich habe an vielen Operationen, wie in Serêkaniyê, Til<br />
Temir, Heseke und Şengal, teilgenommen. Während<br />
jener Zeit habe ich in militärischen und politischen<br />
Bereichen gearbeitet. Der Krieg lehrt, viele Waffen und<br />
Methoden gegen den Feind zu benutzen.<br />
Was sind deine Gründe für den Aufbau und den<br />
Kampf in einem Frauenteam?<br />
Wie alle anderen Kämpfe auch benötigt der Kampf für<br />
die Befreiung der Frauen eine organisierte Kraft. Wenn<br />
proletarische Frauen gegen Diskriminierung aufgrund<br />
des Geschlechts in der bürgerlichen Gesellschaft<br />
kämpfen, sollten sie auch gegen die Vorherrschaft von<br />
Männern aller Klassen kämpfen, um die Diskriminierung<br />
aufgrund des Geschlechts endgültig zu beenden. Frauen<br />
sollten mit weiblicher Willenskraft und weiblichem<br />
Bewusstsein gegen männliche Herrschaft vorgehen,<br />
genau so wie sie den Klassenkampf mit Willenskraft<br />
und Bewusstsein führen. Die Rolle, die Frauen in der<br />
Gesellschaft wirklich haben sollten, wird nur ermöglicht,<br />
wenn ihre revolutionäre Seele lebendig wird. Dieser<br />
Kampf wird die Mechanismen und die Ursachen der<br />
sozialen Herrschaft zerstören, welche die Versklavung<br />
der Frauen ermöglichen. Aus diesen Gründen sind<br />
wir als Frauen organisiert, um mit gemeinsamer und<br />
organisierter Kraft gegen die männliche Vorherrschaft<br />
zu kämpfen.<br />
Was ist das Ziel des neu gegründeten Frauenteams?<br />
Das Frauenteam zielt darauf ab, Frauen zu organisieren,<br />
die an der militärischen Front kämpfen. Dies ist in<br />
mehreren Punkten wichtig. Erstens soll auch in diesem<br />
Bereich die Willenskraft und die Organisierung der<br />
Frauen gestärkt werden. Der militärische Bereich ist ein<br />
Ort, wo männliche Herrschaft reproduziert wird und wo<br />
Frauen als dem Mann unterlegen gesehen werden. Hier<br />
können Frauen nur dann für sich selbst Raum schaffen,<br />
wenn sie aktivere Subjekte sind. Der zweite Punkt ist,<br />
dass die <strong>Rojava</strong> Revolution auch eine Frauenrevolution<br />
ist. Frauen haben hier so viele Dinge getan und zeigten,<br />
dass sie den revolutionären Kampf auch für ihren Platz<br />
in der Gesellschaft führen. Dies gelang ihnen durch den<br />
organisierten Kampf. Sie organisierten Frauenteams,<br />
Bataillone und eine Armee. Das bedeutet auch, dass eine<br />
neue Front im Frauenkampf entstand. Dieser Erfolg war<br />
wichtig; nicht nur um die Männer auf unserer eigenen<br />
Seite zu überzeugen, sondern auch für den Sieg gegen<br />
Daesh, die versuchen, Frauen anzugreifen. Denn sie<br />
wissen genau, dass Frauen die stärksten Subjekte der<br />
Revolution sind!<br />
Ist es ein Vorteil bei dieser Art des Kampfes eine<br />
Frau zu sein?<br />
In dieser Art des Kampfes eine Frau zu sein hat sehr viele<br />
Nachteile, weil die Formen der Gewalt sehr lange durch<br />
Männer benutzt wurden. Die Formen der Gewalt wurden<br />
dazu benutzt Frauen zu versklaven, zu diskriminieren<br />
und auszubeuten. Wie die Bourgeoisie eine Armee und<br />
andere Kräfte in ihren Händen hat, um die Ausbeutung<br />
des Proletariats zu sichern, so benutzen Männer ihre<br />
Macht, um ihre Herrschaft über die Frauen zu sichern.<br />
Man findet dies zum Teil noch im Bewusstsein unserer<br />
Genossen, mit denen zusammen wir kämpfen. Dagegen<br />
kämpfen wir als Frauen und als Partei und versuchen<br />
auch mehr Frauen zu finden, die an diesem Kampf<br />
teilnehmen und die Kommandeure dazu bringen, ihr<br />
eigenes Bewusstsein zu verändern.<br />
Denkt ihr, dass sich Männer und Frauen im Kampf<br />
ergänzen? Was ist der Unterschied?<br />
Wenn proletarische Frauen gegen die Bourgeoisie als<br />
Ganzes kämpfen, kämpfen sie auch gegen die Herrschaft<br />
der Männer. Keiner dieser Kämpfe kann an die Stelle<br />
des anderen gesetzt werden. Die Arbeiterin kämpft
zusammen mit dem Arbeiter gegen die Bourgeoisie und<br />
sie muss zusammen mit den anderen werktätigen Frauen<br />
gegen die von Männern dominierte Politik und Praxis<br />
kämpfen. Es sind dies zwei Arten der Organisierung, die<br />
untrennbar miteinander in Beziehung stehen. Der Kampf<br />
gegen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts<br />
kann nicht nur als Teil des Klassenkampfes gesehen<br />
werden, denn diese Meinung produziert wieder die<br />
männliche Herrschaft. Deshalb sollten Frauen niemals<br />
ihren eigenen Befreiungskampf aufgeben.<br />
Wie konntet ihr euch euren Platz machen in dieser<br />
Männerwelt des Krieges?<br />
Die Worte „Männerwelt des Krieges“ erklären eigentlich<br />
alles. Diejenigen, die dieses Problem nicht aus einer<br />
Frauen befreienden Perspektive sehen, glauben, dass<br />
die Welt ihnen gehöre. Da die Männer insbesondere<br />
den militärischen Bereich unter ihrer Herrschaft haben,<br />
schaffen sie die Voraussetzungen andere zu besitzen. Wie<br />
gesagt, sie schaffen alle Arten von Barrieren, in einer<br />
Welt der Macht und Herrschaft, um Frauen diesen Krieg<br />
zu verweigern. Wir wissen jedoch, dass genauso wie wir<br />
für eine soziale Revolution kämpfen, müssen wir auch für<br />
eine Frauenrevolution kämpfen, die den Besitzanspruch<br />
der Männer über die Welt des Krieges ändert. Unsere<br />
Partei hat versucht, diesen Schritt zu garantieren, sowohl<br />
ideologisch wie auch indem wir die Rechte der Frauen<br />
in der Partei stärken. Wir werden dies tun, indem wir<br />
uns organisieren, ein starkes Geschlechterbewusstsein<br />
und eine starke Willenskraft haben. Wir kämpfen an<br />
allen Fronten, die eine politische, ideologische und<br />
organisatorische Basis gegen die Männerherrschaft<br />
darstellen können.<br />
Wie geht ihr mit Unterschieden und Widersprüchen<br />
um?<br />
Wir versuchen, den Frauenkampf zu einem Teil des<br />
täglichen Lebens machen. Wie die Realität des Krieges<br />
erscheint auch der Kampf zwischen den Geschlechtern<br />
in einem solchen Gebiet klarer. Wir versuchen uns hier<br />
zu bewegen und mehr über Taktik und die Mittel des<br />
Krieges zu lernen. Wenn man weiss und das Bewusstsein<br />
dazu hat, wird es einfacher, die von Männern dominierte<br />
Verhaltensweisen zu bekämpfen. Darüber hinaus<br />
nutzen wir unsere Rechte, die uns formal von unserer<br />
Partei garantiert werden. Wir kritisieren falsche<br />
Verhaltensweisen in kurzen Sitzungen, die wir jeden Tag<br />
als Teil der militärischen Organisation und in anderen<br />
Diskussionen machen.<br />
Habt ihr Gruppen, in denen ihr diese Dinge unter<br />
Frauen und Männern diskutiert, um zu lernen, mit<br />
Widersprüchen und Unterschieden umzugehen?<br />
Wir haben täglich kurze Kritik-Sitzungen, um den Tag<br />
zu reflektieren und Kritik anzubringen. Diese Treffen<br />
werden in jedem Team getrennt durchgeführt und in<br />
festgelegten Zeiträumen treffen wir uns alle zusammen,<br />
um die Dinge aus einem Zeitraum mit den anderen<br />
Teams zu diskutieren. Durch dieses System können wir<br />
Dinge zuerst unter Frauen diskutieren und dann mit<br />
allen zusammen, um notwendige Veränderungen zu<br />
organisieren. Wir besprechen in diesen Sitzungen alle<br />
Arten von männlichen Verhaltensweisen und diskutieren<br />
diese ideologischen Elemente mit dem Fokus auf<br />
Veränderungen.<br />
Wie ist euer tägliches Leben in der Guerilla? Was<br />
sind die grössten Schwierigkeiten?<br />
Disziplin im Alltag ist von entscheidender Bedeutung<br />
im Leben der Guerilla. Der ganze Tag wird Minuten um<br />
Minute geplant. Wir stehen vor dem Sonnenaufgang auf,<br />
ordnen unseren Schlafraum und machen uns bereit für<br />
die tägliche Sitzung. Nach dieser Versammlung wird<br />
ein/e Verantwortliche/r für den Tagesplan gewählt und<br />
109
jemand der kocht. Er oder sie kocht für die GenossInnen<br />
alle Mahlzeiten des Tages, aber wir versuchen jeweils,<br />
dies gemeinsam zu machen. Danach erstellt der/<br />
die KommandantIn einen Tagesplan mit den Team-<br />
KommandantInnen. Die Arbeiten des Tages wie etwa<br />
neue Unterstände bauen, Logistik Materialien aus dem<br />
Hauptlager zu bringen werden an die Teams verteilt.<br />
Jedes Team übernimmt eine Arbeit für den Tag und<br />
beendet diese im Laufe des Tages mit den Mitgliedern des<br />
Teams. Wenn es politisch-ideologische oder militärische<br />
Schulungen gibt, werden die anderen praktischen<br />
Arbeiten dem Zeitplan der Ausbildung angepasst. Bei<br />
einem Angriff oder einer Operation an der Front werden<br />
alle anderen Dinge entsprechend angepasst. Egal was die<br />
Bedingungen sind, wir sind die ganze Zeit in Bewegung.<br />
Sicherheit bei Tag und in der Nacht ist immer von<br />
entscheidender Bedeutung. 24 Stunden lang hält immer<br />
ein Genosse Wache. Dieser ist damit für die Sicherheit<br />
der Region und der GenossInnen verantwortlich.<br />
Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, erleben<br />
die Personen verschieden. Jemand kann Schwierigkeiten<br />
haben, sich an die Bedingungen anzupassen, während<br />
jemand anders Schwierigkeiten in den Schulungen hat.<br />
Es geht dabei oft um Gewohnheiten. Da wir alles für uns<br />
selbst produzieren, lernen wir jede Minute etwas. In den<br />
Städten geht man einfach und kauft was man braucht,<br />
während wir hier alles selber machen und produzieren<br />
müssen. In diesen Lernperioden kommt es manchmal<br />
zu Schwierigkeiten, aber wir lernen und in kurzer Zeit<br />
gewöhnen sich in der Regel alle an alles.<br />
Ist das Frauen-Team Teil der IFB, MLKP <strong>Rojava</strong><br />
und YPJ?<br />
Wir sind als Frauenteams in der MLKP <strong>Rojava</strong> und auch<br />
in der YPJ organisiert. Wir sind auch als Frauenteams<br />
in der IFB organisiert. Im MLKP Bataillon sind wir als<br />
Teams bestehend aus 3 bis 5 Personen organisiert. In<br />
diesen Teams gibt es auch Teams, die nur aus Frauen<br />
bestehen. Genossinnen, die zum IFB gehen, sind dort<br />
in gemischten Teams und es gibt auch getrennte Frauen<br />
Teams, in denen wir als Frauen der MLKP teilnehmen.<br />
Wie seht ihr die Strategie für den Kampf in der<br />
Türkei? Was sind die strategischen Unterschiede<br />
zwischen dem Kampf in <strong>Rojava</strong>, dem Kampf gegen<br />
Daesh und dem Kampf in der Türkei und in Europa?<br />
In der Türkei gibt es eine faschistische Diktatur. Selbst<br />
die einfachsten demokratischen Rechte werden nicht<br />
gewährt. Zusätzlich dazu, dass man diese Rechte<br />
nicht hat, wird man entweder ins Gefängnis gesperrt<br />
oder durch den Faschismus getötet. Selbst wegen<br />
Überzeugungen und Identitäten wird Druck ausgeübt<br />
oder gar Massaker verübt. Aus diesen Gründen ist in<br />
der Türkei als erster Schritt eine antiimperialistische<br />
demokratische Revolution notwendig.<br />
Obwohl die türkische faschistische Regierung versucht<br />
im Mittleren Osten eine wichtige Rolle zu spielen, kann<br />
ihr das nicht gelingen. Ausserdem spielt sie die Rolle<br />
eines Prügels in den Händen der Imperialisten, vor allem<br />
der USA.<br />
Die Türkei hat während der 13 Jahre der Vorherrschaft der<br />
faschistischen AKP-Regierung versucht, zu einem Zentrum<br />
des islamischen Konservativismus zu werden. Dabei wurde<br />
die Regierung aber ein Zentrum von Banden wie Daesh,<br />
an-Nusra oder Esedullah. Die Türkei unterstützt diese<br />
Gruppen sowohl militärisch als auch logistisch und legt<br />
ihnen strategische und taktische Pläne vor. Das Zentrum<br />
der Daesh in Syrien ist nicht Reqa, sondern Ankara.<br />
Diesbezüglich haben sie eine gemeinsame Strategie. Es<br />
gibt nicht den winzigsten Unterschied zwischen der Gewalt<br />
von Daesh und der Politik der Massaker des türkischen<br />
faschistischen Staates. Da das Gleichgewicht im Mittleren<br />
Osten sich von Minute zu Minute ändern kann, schafft dies<br />
sehr viele komplizierte Beziehungen. Die USA, die Daesh<br />
erschufen und wachsen ließen, versuchen nun, sie wieder<br />
auf ihre Linie zurück zu bringen. Die Kriege im Mittleren<br />
Osten sind nicht unabhängig von den imperialistischen<br />
Staaten und ihren lokalen Unterstützern. Alle unterdrückten<br />
Menschen hier sollten den Kampf gegen diese Barbaren<br />
führen und ein demokratisches Syrien aufbauen. Es gibt<br />
keinen Unterschied zwischen dem Kampf gegen Daesh und<br />
dem Kampf gegen die faschistische Bourgeoise der Türkei.<br />
Der Inhalt ist gleich, nur der Name ist anders.<br />
In Europa gab es nach den vielen Kämpfen Rechte und<br />
Gewinne. Es wurden Vorteile geschaffen. Allerdings<br />
herrscht auch dort schlussendlich die Bourgeoise. Wenn<br />
die Bourgeoise fürchtet, ihre Vorherrschaft zu verlieren,<br />
zögert sie nicht, unterdrückerische und faschistische<br />
Methoden anzuwenden. Deshalb sollten sich die<br />
unterdrückten Menschen und Klassen in Europa in<br />
jedem Teil des Kampfes organisieren und den Mut und<br />
die Entschlossenheit haben, alle Mittel anzuwenden,<br />
einschliesslich dem bewaffneten Kampf.<br />
Gibt es Pläne für ein Frauen-Bataillon?<br />
Kurzfristig wohl nicht. Doch als Perspektive ist es<br />
sogar eines unserer Hauptziele, ein Frauen-Bataillon<br />
zu erschaffen. Denn das wird bedeuten, dass in dieser<br />
Welt des Krieges nicht nur Männer, sondern auch Frauen<br />
kämpfen. Es zeigt auch eine Entwicklung und eine neue<br />
Front des Kampfes, denn es wird mehr Frauen geben, die<br />
ihre Rolle im Kampf ohne Grenzen und Einschränkungen<br />
wahrnehmen und die die Notwendigkeit für den Kampf<br />
und die Revolution sehen.<br />
110
Wandbilder für <strong>Rojava</strong><br />
Von Paris über Stuttgart bis nach<br />
Zürich sind in den letzen Jahren einige<br />
Wandbilder entstanden, die sich zum<br />
Thema <strong>Rojava</strong> positionieren. Denn eine<br />
Öffentlichkeit für die Geschehnisse in<br />
<strong>Rojava</strong> zu schaffen heisst auch sich den<br />
öffentlichen Raum zu nehmen.<br />
111
Kämpferin der MLKP<br />
«Wir sagen, der Sieg dieser Revolution, dieser<br />
Bewegung hier, ist nicht der der Lebenden,<br />
sondern der, der Gefallenen und wir widmen<br />
auch den Sieg den gefallenen Genossen und<br />
Genossinnen.»<br />
Kannst du etwas über dich erzählen?<br />
Mein politischer Weg begann in der Türkei. Ich bin<br />
seit etwa 15 Jahren bei der MLKP und nehme so am<br />
revolutionären Kampf teil. Es gab einen Aufruf von<br />
unserer Partei, dass die Revolution in <strong>Rojava</strong> auch unsere<br />
Revolution sei. Eine Truppe kam hierher um zu kämpfen<br />
und ich habe mich ihnen angeschlossen.<br />
Wann war das?<br />
Vor etwa zwei Jahren. Ich kann kurz die Hintergründe<br />
dazu erläutern. Die YPG und die MLKP haben sich<br />
hier wegen der Daesh etabliert, die auf der ganzen Welt<br />
Angst und Schrecken verbreitet haben und gegen die<br />
sich zuvor keine Macht behaupten konnte. Die MLKP<br />
und die YPG kämpften hingegen von Anfang an gegen<br />
Daesh und konnten sich, wie man sieht, auch gegen sie<br />
behaupten.<br />
Da Daesh Teile der grossen Länder Irak und Syrien<br />
bezwungen haben und dort auch Land besetzen<br />
konnten, dachten sie am Anfang, dass sie auch <strong>Rojava</strong><br />
und seine Bevölkerung unterwerfen können. Aber die<br />
Liebe der Bevölkerung in <strong>Rojava</strong> zur Freiheit war so<br />
gross, dass sie sich hier nicht behaupten konnten. Sie<br />
haben verloren und mussten sich zurückziehen. Als<br />
die Imperialisten, wie es auch früher schon geschah,<br />
bemerkten, dass das Monster, dass sie geschaffen<br />
haben, ihren eigenen Profiten geschadet hat, haben sie<br />
angefangen, die einzige Kraft, die gegen Daesh kämpft,<br />
zu unterstützen; natürlich aber nur so lange, bis sie ihr<br />
Territorium wieder gesichert haben.<br />
Die imperialistischen Kräfte sahen, dass die YPG<br />
die einzige Kraft ist, welche Daesh aufhalten und<br />
zurückdrängen konnte. Daher fingen sie an, jene<br />
Kräfte zu unterstützen. Die YPG ist die Hauptkraft der<br />
112
kurdischen Bewegung hier. Sie führt den bewaffneten<br />
wie auch den ideologischen Kampf und hält dabei<br />
die Führungsposition inne. Genau so soll auch die<br />
Geschichte geschrieben werden: Es war die YPG,<br />
welche die massgebende Rolle gespielt hat, um Daesh<br />
zu besiegen, auch wenn die grossen ImperialistInnen das<br />
vielleicht anders sehen.<br />
Wir, mit unserer Partei und unserer Macht, haben uns an<br />
der Revolution beteiligt. Es sind nicht nur die KurdInnen,<br />
die hier kämpfen; es gibt hier arabische Leute, und es<br />
gibt InternationalistInnen, die hier kämpfen und hier<br />
gestorben sind. Wir sagen, der Sieg dieser Revolution<br />
und der Bewegung ist nicht der, der Lebenden, sondern<br />
der, der Gefallenen und wir widmen den Sieg den<br />
gefallenen Genossen und Genossinnen.<br />
Kurz gesagt ist es so, dass der Sieg hier, der Sieg der<br />
Völker aller Länder ist. Entgegen der Propaganda, dass<br />
der Sozialismus versagt habe und dass der Kapitalismus<br />
der einzige richtige Weg sei, hat das Volk in <strong>Rojava</strong><br />
nämlich erneut gezeigt, dass ein anderes System möglich<br />
ist. Das klingt jetzt wie eine Parole aber es ist tatsächlich<br />
so, dass der Sieg hier der Sieg aller Völker ist, die hier<br />
gekämpft haben.<br />
Wir haben gezeigt, dass der Kapitalismus nicht der einzige<br />
Weg oder das einzig funktionierende System ist, sondern<br />
dass hier etwas anderes möglich ist. Die Menschen, die<br />
hierher kommen, um sich zu solidarisieren und um uns<br />
zu unterstützen sind der Beweis hierfür. Wir wissen auch,<br />
dass alle Völker auf der Welt sehen, was wir hier machen<br />
und uns beachten und sich solidarisieren.<br />
Das ist auch unser Ziel: Der Welt zu vermitteln,<br />
auch denen, die nicht hierher kommen können, dass<br />
dies tatsächlich eine Alternative zum bestehenden<br />
kapitalistischen und imperialistischen Krieg und<br />
System ist und dass die GenossInnen es hier schaffen,<br />
auf der einen Seite Daesh zu bekämpfen und<br />
gleichzeitig die Revolution zu verteidigen und eine<br />
neue Gesellschaft aufzubauen.<br />
Wir kämpfen hier und wir wissen auch, dass die<br />
unterdrückten Menschen auf der Welt ihren Blick hierher<br />
gerichtet haben und sich erhoffen auch etwas hier zu<br />
machen. Wir wissen um die hungernden Menschen in<br />
Afrika und die unterdrückten Menschen in Europa und<br />
wir versuchen eine Hoffnung für sie zu sein. Wir wollen<br />
nicht bei der Revolution in <strong>Rojava</strong> bleiben, sondern sie<br />
auch im ganzen Mittleren Osten und nachher auf der<br />
ganzen Welt verbreiten.<br />
dass sie sich nicht nur auf die kurdische Bewegung oder<br />
auf den Nahen Osten beschränkt hat, sondern dass sie die<br />
ganze Welt meinte. Sie war auch ein wichtiges Element<br />
hier. Wir wissen, dass viele Frauen, viele Familien ihre<br />
Kinder Ivana genannt haben. Das ist ein Zeichen der<br />
Ehrung und wir wissen, dass wir jeden Schuss, den wir<br />
hier schiessen, jede Kugel die hier fliegt, jeder Verletzte<br />
und jeder Verlust, den wir hier haben, ein Schlag gegen<br />
den Kapitalismus und den Imperialismus ist. Auch das<br />
zeigt, dass ein anderes System möglich ist und dass der<br />
Sozialismus nicht tot ist, sondern dass es den Sozialismus<br />
weiter gibt und wir diesen umsetzen werden.<br />
Wir wissen, dass der Sozialismus in dieser Region und<br />
auf der ganzen Welt bestehen wird und dafür kämpfen<br />
wir hier. Wir sind NachfolgerInnen von Barbara Kistler,<br />
von Ulrike Meinhof und Che Geuvara und wir wollen,<br />
dass die Fahne, die sie wehen liessen, überall auf der<br />
Welt weht. Wir wollen diesen Kampf überall hintragen<br />
und wir wollen den Kampf weiter führen.<br />
Gibt es noch etwas, das du sagen möchtest?<br />
Ich weiss, dass viele RevolutionärInnen und<br />
SozialisteInnen in Europa mit uns mitfühlen und ich<br />
würde liebend gerne diese GenossInnen hier in unseren<br />
militärischen Basen und hier mit uns an der Front sehen,<br />
oder zumindest, dass sie hierher kommen und sich hier<br />
an dieser Revolution irgendwie beteiligen.<br />
Ich möchte kurz eine Geschichte über Ivana Hoffmann<br />
erzählen. Als sie an die Front kam, haben viele Leute sie<br />
angeschaut und sie sagte, wenn ihr KurdInnen seid, dann<br />
bin ich auch Kurdin; ich bin Afrikanerin, ich bin Asiatin,<br />
ich bin alles. Und das ist eine äusserst symbolische Geste,<br />
113
Kämpferin der BÖG<br />
«Nur mit Dialog und nur mit Demonstrationen<br />
kann man das nicht verhindern. Wir haben<br />
gesehen, wie ISIS in Ankara eine linke<br />
Demonstration, eine Friedenskundgebung<br />
zerbombt hat. Wir haben gesehen, dass man<br />
dagegen mit Demonstrationen alleine nicht<br />
ankommt. Darum kämpfen wir und darum<br />
müssen wir uns hier formieren.»<br />
Wann hast du mit deiner politischen Arbeit<br />
begonnen?<br />
Ich war 15 Jahre alt, als ich meine Organisation<br />
kennenlernte. Damals war ich an der Oberstufe, wo<br />
ich Mitglied einer Jugendorganisation war. Diese heißt<br />
Dev-Lis, revolutionäre Gymnasiale StudentInnen. Ich<br />
habe drei Jahre mit dieser Organisation gearbeitet.<br />
Unsere Jugendorganisation war die größte revolutionäre<br />
Jugendorganisation in der Türkei. Das war damals so<br />
und ist auch heute noch so.<br />
Nach dem Gymnasium bin ich nach Istanbul an die Uni<br />
gegangen. An der Uni hatten wir eine StudentInnen-<br />
Gewerkschaft. In dieser war ich ebenso aktiv wie in<br />
unserer Partei (eine legale Partei in der Türkei). Die<br />
hiess früher SDP. Vielleicht erinnert ihr euch daran<br />
noch, denn während den Gezi-Park-Demonstrationen<br />
war die SDP sehr aktiv. Jetzt hat sich die SDP mit der<br />
TDP zusammengetan und heisst jetzt DKP, das ist die<br />
türkische Revolutions-Partei. Zu dieser Zeit war ich aber<br />
schon in <strong>Rojava</strong>.<br />
Wieso haben die SDP und die TDP fusioniert?<br />
Wir denken, wir brauchen das jetzt in der Türkei. Es<br />
gibt in der Türkei sehr viele revolutionäre Parteien und<br />
Organisationen. Wir denken, dass es die Einheit jetzt<br />
braucht weil wir in der Türkei eine faschistische Diktatur<br />
der Regierungspartei AKP erwarten. Wenn wir dann<br />
kämpfen müssen, können wir nicht alleine kämpfen.<br />
Dann müssen wir zusammen kämpfen und deswegen<br />
brauchen wir die Einheit heute.<br />
Wir haben mit vielen Organisationen darüber geredet<br />
und wir haben uns vor einem Jahr zu einem Bündnis<br />
zusammengeschlossen. Letzte Woche hatten wir einen<br />
Kongress organisiert und das lief sehr gut. Leute, die<br />
dort teilgenommen habe, sind jetzt auch hier und wir<br />
kämpfen hier nun zusammen.<br />
Der Kongress war hier in <strong>Rojava</strong>?<br />
Nein, der war in der Türkei, in Ankara. Wir konnten das<br />
tun, weil das in der Türkei legal durchgeführt wurde.<br />
Heisst das, dass ihr militärisch zusammen kämpft<br />
oder haben sie auch ein Tabûr?<br />
Wir sind jetzt zusammen hier, aber nicht als BÖG. BÖG<br />
ist die bewaffnete Organisation unserer revolutionären<br />
kommunistischen Partei der DKP.<br />
Wie hast du dich entschieden zum bewaffneten Teil<br />
der Partei zu gehen und nicht zu dem Teil der Partei<br />
der nicht bewaffnet ist?<br />
In der Türkei habe ich viele Jahre in der Partei gearbeitet.<br />
Als wir damals das erste Mal hierher gekommen sind,<br />
nach Kobanê, da haben wir BÖG gegründet. Seit einem<br />
halben Jahr ist BÖG hier in <strong>Rojava</strong> aktiv. Damals waren<br />
wir nur sieben GenossInnen in <strong>Rojava</strong> und jetzt sind wir<br />
fünfzig und jeden Tag werden wir mehr.<br />
Alle können sehen, dass wir eine bewaffnete Organisation<br />
sind. Das wird später auch für die Türkei gelten. Wie<br />
gesagt, wir erwarten eine faschistische Diktatur. Wir<br />
erwarten, dass diese in den kommenden Jahren einsetzen<br />
wird und wir können nicht einfach abwarten, wenn wir<br />
wissen, dass das kommt. Nur zu reden reicht deswegen<br />
nicht. In der Türkei töten sie KurdInnen, sie sperren<br />
die Bewaffneten und alle RevolutionärInnen in die<br />
Gefängnisse.<br />
114
Nur mit Dialog und nur mit Demonstrationen kann<br />
man das nicht verhindern. Wir haben gesehen,<br />
wie ISIS in Ankara eine linke Demonstration, eine<br />
Friedenskundgebung, zerbombt hat. Wir haben gesehen,<br />
dass man dagegen mit Demonstrationen alleine nicht<br />
ankommt. Darum kämpfen wir und darum müssen wir<br />
uns hier formieren. Wir haben hier Vieles gelernt und das<br />
ist hier wie unsere Vorbereitung für den anderen Kampf.<br />
Diese Erfahrung wollen wir in den nächsten Jahren auch<br />
in die Türkei ausweiten.<br />
Seid ihr auch in Bakur?<br />
Nein, da sind nur die KurdInnen. Wir RevolutionärInnen<br />
aus der Türkei kämpfen hier. Wir könnten schon nach<br />
Bakur gehen um zu kämpfen aber wir kämpfen in <strong>Rojava</strong>.<br />
Später we