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Rojava Report

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<strong>Rojava</strong><br />

<strong>Report</strong><br />

Einführung und Erläuterungen zum<br />

revolutionären Krieg in <strong>Rojava</strong><br />

Interviews mit kämpfenden<br />

InternationalistInnen<br />

Interviews mit revolutionären<br />

Organisationen


Inhalt<br />

4<br />

Einleitung<br />

32 Karker: Antifaschistsicher<br />

Kämpfer aus Deutschland<br />

10<br />

41 Nanuk: Berichte<br />

von der Front<br />

Bericht zur<br />

aktuellen Lage<br />

Einführung<br />

InternationalistInnen<br />

4 Einleitung<br />

6 Militärische Geschichte <strong>Rojava</strong>s<br />

8 Begriffsregister<br />

10 Zur Situation in der Türkei<br />

19 Karten<br />

22 Kenan<br />

29 Internationalist I<br />

32 Karker<br />

35 Internationalist II<br />

41 Nanuk<br />

43 Internationalist III<br />

48 Mahid Eahir<br />

Herausgeber: Revolutionärer Aufbau Schweiz<br />

Weitere Infos: www.aufbau.org<br />

Kontakt: info@aufbau.org<br />

51 Moah & Rohat<br />

54 Lions of <strong>Rojava</strong><br />

59 Internationalistin


68<br />

Interview mit<br />

einer Kommandantin<br />

der MLKP<br />

125-129<br />

Berichte aus dem<br />

Alltag<br />

94<br />

Barbara von der<br />

TKP/ML<br />

Revolutionäre<br />

Organisationen<br />

68 Kommandantin MLKP<br />

76 TKP/ML-TIKKO<br />

82 BÖG<br />

86 SYPG<br />

91 Ellas (MLKP)<br />

94 Barbara (TKP/ML)<br />

99 Freiheitsbataillon<br />

101 Kommandant Sengal (MLKP)<br />

105 Die Rolle der Gefallenen<br />

108 Frauenteam (MLKP)<br />

112 Kämpferin MLKP<br />

114 Kämpferin BÖG<br />

118 Kommandantin TIKKO<br />

Kämpfender<br />

Alltag<br />

125 Militanter I (PKK)<br />

126 Mehrmet (TKP/ML)<br />

127 Militanter II (MLKP)<br />

128 Militanter III (MLKP)<br />

129 Militanter IV (SYKP)<br />

130 Bataillone des International Freedom<br />

Battalion


Einleitung<br />

„Biji berxwedane Kobanê! Es lebe der Widerstand in<br />

Kobanê!“ - Dieser Ruf steht nicht nur für die wichtige<br />

Verteidigung Kobanês vor den Schlächtern des IS<br />

im Frühjahr 2014, er steht auch für das Umschlagen<br />

eines regionalen Kampfes in ein globales Projekt. Der<br />

Übergang von der Verteidigung in den Angriff, der<br />

Aufbau einer neuen Gesellschaft auf den Ruinen des<br />

syrischen Krieges und in direkter Konfrontation mit den<br />

barbarischen Auswüchsen des Imperialismus – überall<br />

auf der Welt ist das Projekt <strong>Rojava</strong> seither zu einem<br />

wichtigen Bezugspunkt linker Politik geworden.<br />

Revolutionärer Internationalismus besteht immer aus<br />

zwei Teilen. Der eine ist die praktische Unterstützung der<br />

kämpfenden GenossInnen und findet seinen Ausdruck<br />

in Demos, Geldsammlungen sowie an der Front und<br />

im Aufbau des Internationalen Freiheitsbattallions. Der<br />

andere Teil besteht darin, Erfahrungen, die an anderen<br />

Orten gemacht werden für den hiesigen Prozess nutzbar<br />

zu machen. Keine Frage, unsere Kampfbedingungen<br />

in Westeuropa unterscheiden sich grundsätzlich von<br />

jenen in Nordsyrien. Dennoch sind wir überzeugt, als<br />

europäische RevolutionärInnen viel von <strong>Rojava</strong> lernen<br />

zu können.<br />

Auf ihre spezifische historische Situation findet die<br />

kurdische Bewegung ihre spezifischen Antworten.<br />

Aus unserer Realität hier können wir diese Antworten<br />

weder einfach kopieren noch aus dem Nichts bewerten.<br />

Hingegen können und müssen wir versuchen zu lernen,<br />

wie methodisch zu diesen Antworten gefunden werden<br />

kann. Während mehreren Aufenthalten in <strong>Rojava</strong> und<br />

benachbarten Gebieten konnten wir einen Blick auf den<br />

methodischen Umgang des Projektes mit Widersprüchen<br />

und Ungleichzeitigkeiten, auf das Verhältnis von<br />

Verteidigung und Angriff, genauso wie auf jenes von<br />

Taktik und Strategie, erhaschen.<br />

Internationalen Freiheitsbataillon nahestehen. Unter<br />

anderem hat sich kurz vor dem Abschluss dieses<br />

Buches ein anarchistisches Bataillon gegründet, dessen<br />

Gründungserklärung wir gerne abdrucken wollen. Auf<br />

dass diese unterschiedlichen Blicke unsere eigenen<br />

Augen und Waffen schärfen.<br />

Wer in diesen Fenstern die Stimme der kurdischen<br />

Kampforganisationen vermisst, insbesondere diejenige<br />

der YPG, hat freilich recht. Wie in fast allen Interviews<br />

betont wird, möchten auch wir hier nochmals<br />

bekräftigen können, sind sie es, von deren militärischer<br />

und politischer Führung wir letztlich lernen müssen.<br />

Sie führen und leiten den Kampf in <strong>Rojava</strong> an und<br />

sie sind verantwortlich für den Wiederaufbau. Einzig<br />

den Erfahrungen des kurdischen Befreiungskampfes<br />

und den hierbei Gefallenen ist es zu verdanken, dass<br />

in <strong>Rojava</strong> überhaupt Siege errungen werden konnten.<br />

Wenn im vorliegenden Buch ihre Stimme vermisst<br />

wird, dann hängt dies einzig damit zusammen, dass wir<br />

hier eine andere Erfahrung wiedergeben möchten: Die<br />

Erfahrung des gelebten Internationalismus und dessen<br />

Möglichkeiten im Kampf um die Befreiung weltweit.<br />

Die HerausgeberInnen<br />

Gewidmet allen Gefallenen der Kriege und bewaffneten<br />

Kämpfe um eine Zukunft frei von Ausbeutung und<br />

Unterdrückung.<br />

Es ist dieser Blick, den wir mittels dieses Buches mit<br />

anderen InternationalistInnen teilen wollen. Teilen,<br />

indem wir ein Fenster öffnen, das ermöglicht durch die<br />

Augen der Beteiligten auf den Prozess in <strong>Rojava</strong> zu<br />

blicken.<br />

Eine solche Perspektive versuchen wir erstens über die<br />

Stimme der InternationalistInnen herzustellen, die sich<br />

temporär der Revolution in <strong>Rojava</strong> angeschlossen haben.<br />

Zweitens präsentieren wir eine Auswahl von Interviews<br />

mit VertrerterInnen verschiedener revolutionärer<br />

Organisationen. Drittens existieren alltägliche<br />

Erfahrungen, die wir kurz wiedergeben möchten. Auf<br />

den letzten beiden Seiten werfen wir zudem einen<br />

kurzen Einblick auf verschiedene Bataillone, die dem<br />

4


Militärische Geschichte <strong>Rojava</strong>s<br />

März 2011<br />

Volksaufstände in allen größeren syrischen Städten.<br />

Auch KurdInnen demonstrieren en masse gegen das<br />

Regime.<br />

2011 - 2012<br />

Eine Handvoll kurdischer und arabischer<br />

Jugendlicher gründen die YXG, „Volks-<br />

Selbstverteidigungs-Einheiten“. Wenig später<br />

benennen sie sich um in YPG.<br />

19. Juli 2012<br />

Die YPG umstellen Regierungsgebäude und<br />

Militärbaracken in Kobanê. Nach Verhandlungen<br />

ziehen die Regime-Truppen kampflos ab.<br />

Sommer und Herbst 2012<br />

Weitere Städte folgen dem Beispiel Kobanês,<br />

darunter Amûdê, Derbesiye, Serêkaniyê,<br />

Tirbespiyê, Girkê Legê, Dêrik und Efrîn. In Aleppo<br />

übernehmen YPG und YPJ die Kontrolle über die<br />

Stadtteile Şêx Meqsûd und Eşrefiye. Vor 2011 im<br />

Untergrund agierende Gruppen wie PYD und die<br />

Kurdische Frauenbewegung beginnen mit dem<br />

Aufbau provisorischer Volksräte zur Verwaltung der<br />

nun autonomen Gebiete.<br />

November 2012<br />

Jabhat an-Nusra fallen in Serêkaniyê ein.<br />

Frühjahr 2013<br />

<strong>Rojava</strong> ist Ziel verschiedener islamistischer Gruppen<br />

geworden, deren Angriffe die YPG nur mühsam<br />

abwehren können. Die Kommune von Aleppo<br />

wird Ziel von schweren Bombardierungen sowohl<br />

vonseiten des Regimes als auch oppositioneller<br />

Gruppen, woraufhin ein Großteil der dort lebenden<br />

Bevölkerung nach Efrîn evakuiert wird.<br />

Juli 2013<br />

Nach schweren Kämpfen erobern YPG und YPJ<br />

Serêkaniyê entgegen aller Erwartungen zurück.<br />

Es ist der erste wichtige militärische Erfolg gegen<br />

einen kräftemäßig weit überlegenen Gegner.<br />

Oktober 2013<br />

YPG und YPJ erobern Til Koçer von Daesh zurück.<br />

Januar 2014<br />

Die drei Kantone Efrîn, Kobanê und Cizîre<br />

erklären nacheinander ihre Autonomie gemäß einer<br />

gemeinsamen Verfassung.<br />

Frühjahr 2014<br />

Die Türkei beginnt mit dem Bau einer Mauer<br />

entlang der Grenze nach Syrien/<strong>Rojava</strong>.<br />

Juli 2014<br />

Daesh beginnt eine Offensive gegen Kobanê, wird<br />

aber zurückgeschlagen.<br />

August 2014<br />

Am 2. August überfällt Daesh Şengal. Tausende<br />

EzidInnen werden ermordet, vergewaltigt und<br />

versklavt. Hunderttausende flüchten in die Berge,<br />

viele sterben auf dem Weg an den Entbehrungen.<br />

Mit Unterstützung der HPG-Guerrilla erkämpfen<br />

YPG und YPJ einen Korridor von Cizîre bis zum<br />

Bergrücken und evakuieren die Geflüchteten nach<br />

<strong>Rojava</strong>.<br />

September 2014<br />

Am 14. September greift Daesh Kobanê erneut an.<br />

Innerhalb von drei Wochen überrennen sie hunderte<br />

Dörfer und stehen schließlich vor der Stadt selbst.<br />

7. Oktober 2014<br />

Nach tagelangen Kämpfen um den Miştenûr-Hügel<br />

nehmen Daesh-Truppen die Anhöhe ein und fallen<br />

in die Stadt Kobanê ein.<br />

Herbst 2014<br />

Im Häuserkampf erobert Daesh nach und nach über<br />

die Hälfte des Stadtgebiets. Als Kobanê trotzdem<br />

nicht fällt, beginnt die Koalition unter Führung<br />

der USA mit Luftschlägen zur Unterstützung der<br />

VerteidigerInnen.<br />

27. Januar 2015<br />

YPG und YPJ haben die Stadt Kobanê wieder<br />

vollständig eingenommen. Sie ist weitestgehend<br />

zerstört. Die Rückeroberung der Dörfer beginnt.<br />

Februar 2015<br />

YPG und YPJ beginnen eine Offensive gegen Tel<br />

Hemîs, Daeshs Brückenkopf in Cizîre. Sie erobern<br />

Tel Hemîs und Tel Birak.<br />

6


Daesh beginnt einen Gegenangriff im Westen<br />

Cezîres. Sie erobern mehrere assyrische Dörfer<br />

und rücken vor bis an den Xabûr und die Stadt<br />

Til Temir. Nach mehreren Wochen werden sie<br />

zurückgeschlagen.<br />

Mai - Juli 2015<br />

YPG und YPJ beginnen die Operation Şehîd Rûbar<br />

Qamişlo. Sie nehmen die Kizwan-Berge und Teile<br />

Hesekes ein, erobern Mabrûka und schließlich Girê<br />

Spî. Damit sind Kobanê und Cizîre miteinander<br />

verbunden und die gesamte türkisch-syrische<br />

Grenze zwischen Euphrat und Tigris befindet sich<br />

unter Kontrolle der YPG.<br />

24. Juli 2015<br />

Der türkische Präsident Erdoğan beginnt mit einer<br />

neuen Operation gegen linke und pro-kurdische<br />

Kräfte in der Türkei. Ein Dutzend kurdischer Städte<br />

gehen zur offenen Rebellion gegen die Besatzung<br />

über und rufen die Autonomie aus. Über das<br />

nächste Jahr hinweg wird das türkische Regime<br />

vergeblich versuchen, die Städte zurück zu erobern,<br />

und sie schließlich mit Beschuss von Artillerie und<br />

Luftwaffe weitgehend zerstören.<br />

Oktober 2015<br />

Das QSD-Militärbündnis wird gegründet.<br />

November 2015<br />

QSD nehmen Hol ein.<br />

Die Stadt Şengal wird von YPG, HPG und YBŞ<br />

eingenommen.<br />

Dezember 2015<br />

Eroberung des Tişrîn-Staudamms. QSD überqueren<br />

den Euphrat westwärts.<br />

Şehîd Fermandar Feysel Ebû Leyla die Belagerung<br />

von Minbic.<br />

August 2016<br />

Nach wochenlangen Gefechten im Stadtgebiet<br />

ist Minbic am 12. August vollständig von Daesh<br />

befreit. Der Cerablus-Militärrat und der Bab-<br />

Militärrat werden ins Leben gerufen.<br />

Heseke wird von Regime-Truppen angegriffen, die<br />

den Rückzug von QSD und Asayîş aus der Stadt<br />

fordern. Erstmals bombardiert die Luftwaffe des<br />

Regimes die Stadt. Die Kämpfe enden nach einer<br />

Woche mit einem Rückzug aller Regime-Truppen<br />

aus dem Stadtgebiet.<br />

Der türkische Geheimdienst tötet den<br />

Kommandanten des Cerablus-Militärrats. Zwei<br />

Tage später, am 24. August, marschieren türkische<br />

Truppen und mehrere islamistische Milizen in<br />

Syrien ein und übernehmen Cerablus von Daesh.<br />

Bald darauf greifen sie die QSD-Verbände im<br />

Norden Minbics an.<br />

Herbst 2016<br />

QSD rücken von Efrîn und Minbic her auf Bab<br />

vor. Truppen unter türkischer Führung nehmen das<br />

Gebiet entlang der Grenze zwischen Cerablus und<br />

Ezaz ein und beginnen ihrerseits den Angriff auf<br />

Bab.<br />

November 2016<br />

QSD beginnen mit der Operation Xezeba Firatê<br />

zum Sturm Reqas.<br />

Dezember 2016<br />

Das Regime besiegt die islamistischen Rebellen in<br />

Aleppo und stellt ein Ultimatum an YPG, sich bis<br />

Jahresende aus der Stadt zurückzuziehen.<br />

Februar 2016<br />

QSD nehmen Şedade ein.<br />

April 2016<br />

In Qamişlo brechen erneut Kämpfe zwischen<br />

Regime-treuen und <strong>Rojava</strong>-treuen Milizen aus.<br />

Erstmals bombardiert das Regime die Stadt mit<br />

Artillerie. YPG nehmen das Aliya-Gefängnis ein.<br />

Nach vier Tagen wird ein Waffenstillstand erklärt.<br />

Mai-Juni 2016. Nach einem Scheinangriff der<br />

QSD auf Reqa beginnt der Minbic-Militärrat, eine<br />

Abteilung der QSD, im Rahmen der Operation<br />

7


Begriffsregister<br />

Asayîş<br />

Miliz für innere Sicherheit in <strong>Rojava</strong>. Nicht zu<br />

verwechseln mit den Asayîş in Südkurdistan, die<br />

der dortigen Regierung unterstehen.<br />

Asayîşa Jin<br />

Frauenarm der Asayîş in <strong>Rojava</strong><br />

Baath (Baath-Regime, Baath-Partei, hizba Baas)<br />

(ar.) „Wiedererweckung“. Arabisch-nationalistische<br />

Ideologie, begründet in den 60ern. Der Irak wurde<br />

bis 2003, Syrien bis zum Aufstand von 2011 von der<br />

Baath-Partei regiert.<br />

Bakûr (Küzey, Nordkurdistan)<br />

Von der Türkei besetzte kurdische Gebiete.<br />

Başûr (Südkurdistan)<br />

Überwiegend kurdische Gebiete innerhalb des<br />

irakischen Staatsgebiets, größtenteils Teil der<br />

„Autonomen Region Kurdistan“ und kontrolliert<br />

von PDK und YNK.<br />

BÖG<br />

Birleşik Özgürlük Güçleri (tr.), Vereinigte<br />

Freiheitskräfte. Allianz linker türkischer Gruppen<br />

in den YPG, Teil des IFB.<br />

Daesh (IS, ISIS, ISIL, Daeş, IŞİD<br />

ad-dawlah al-Islāmiyah fī ‚l-ʿerāq wa-sh-shām (ar.),<br />

Islamischer Staat im Irak und der Levante. Das<br />

arabische Akronym „Daesh“ wird derogativ von<br />

GegnerInnen der Gruppe verwendet.<br />

ENK-S (KNC)<br />

Encûmena Niştîmanî ya Kurd li Sûriye (krm.),<br />

Kurdischer Nationalrat in Syrien. Nationalistische<br />

kurdische Partei, Ableger der PDK in <strong>Rojava</strong>.<br />

HBDH<br />

Halkların Birleşik Devrim Hareketi (tr.), Vereinte<br />

Revolutionsbewegung der Völker. Bewaffnete<br />

Allianz sozialistischer Gruppen in der Türkei und<br />

Nordkurdistan, gegründet 2016.<br />

HPG<br />

Hêzên Parastina Gel (krm.),<br />

Volksverteidigungskräfte. Bergguerilla in Nordund<br />

Südkurdistan, bewaffneter Arm des KCK.<br />

IFB<br />

Internationales Freiheits-Bataillon. Militärische<br />

Einheit von InternationalistInnen in den YPG, unter<br />

dem Kommando der MLKP.<br />

Jabhat an-Nusra (JN, An-Nusra-Front)<br />

jabhat an-nusrah li-ahli ash-shām (ar.), Siegesfront<br />

des Volkes der Levante. Islamistische bewaffnete<br />

Gruppe in Syrien. Spaltete sich 2016 von al-Qaida<br />

ab und benannte sich um in „Jabhat Fateh al-Sham“,<br />

Front der Eroberung der Levante.<br />

KCK<br />

Koma Civakên Kurdistan (krm.), Gruppe der<br />

Gemeinschaften Kurdistans. Dachverband<br />

des demokratischen Konföderalismus. Größte<br />

Teilorganisation ist die PKK.<br />

Kongreya Star<br />

(krm.), Star-Kongress. Autonome<br />

Frauenorganisation <strong>Rojava</strong>s. Ehemals Yekîtiya Star.<br />

Mala Gel<br />

(krm.), Volkshaus. Gemeindehäuser für soziale<br />

und politische Aktivitäten, wurden im Rahmen der<br />

Rätebewegung in ganz <strong>Rojava</strong> aufgebaut.<br />

MLKP<br />

Marksist Leninist Komünist Parti (tr.), politische<br />

Organisation, aktiv in der Türkei und Nordkurdistan,<br />

seit 2012 auch in <strong>Rojava</strong>.<br />

MLSPB<br />

Marksist Leninist Silahlı Propaganda Birliği (tr.),<br />

„Marxistisch-Leninistische bewaffnete Propaganda-<br />

Einheit“. Türkische Gruppierung in der Tradition<br />

von Dev-Genç und Mahir Çayan. Kämpft in <strong>Rojava</strong><br />

als Teil der YPG. Teil der BÖG und des IFB.<br />

MSD (SDC)<br />

medjlisa sūriyā al-dīmuqrāṭīya (ar.), Rat des<br />

Demokratischen Syriens. Gegründet 2015 als<br />

Allianz verschiedener syrischer Parteien und<br />

Gruppen zur Lösung des Syrienkonfliktes durch ein<br />

konföderales, dezentrales System.<br />

PDK (KDP)<br />

Partiya Demokrat a Kurdistanê (krm.). Partei des<br />

Barzanî-Clans, stärkste Partei in Südkurdistan.<br />

8


Politisch nationalistisch, neoliberal.<br />

Pêşmerga (Peshmerga)<br />

Armee Südkurdistans. Sammelbezeichnung für die<br />

bewaffneten Arme von PDK und YNK.<br />

PKK<br />

Partiya Karkerên Kurdistan (krm.),<br />

ArbeiterInnenpartei Kurdistan. Organisation des<br />

KCK in Nordkurdistan, stärkste Partei des KCK.<br />

PYD<br />

Partiya Yekîtiya Demokrat (krm.), „Partei der<br />

demokratischen Union“. Kurdische politische<br />

Partei in <strong>Rojava</strong>, ihr Programm ist der Aufbau des<br />

demokratischen Konföderalismus. Stärkste Partei<br />

des TEV-DEM.<br />

QSD (HSD, SDF)<br />

quwwāt sūriyā al-dīmuqrāṭīya (ar.), Kräfte des<br />

Demokratischen Syriens. Von den YPG geführte<br />

Allianz arabischer und kurdischer Kampfverbände.<br />

Militärischer Arm des MSD, Streitkräfte der<br />

Föderation von <strong>Rojava</strong> und Nordsyrien.<br />

<strong>Rojava</strong> (Westkurdistan)<br />

Krm. „Westen“. Überwiegend kurdisch besiedelte<br />

Gebiete innerhalb des syrischen Staatsgebiets.<br />

Rojhilat (Ostkurdistan)<br />

Von Iran besetzte kurdische Gebiete.<br />

RPG (Bîsfîng)<br />

Sowjetischer Raketenwerfer, vergleiche dt.<br />

„Panzerfaust“.<br />

SYPG<br />

Saziya Yekîtî û Piştgiriya Gelan (krm.) „Einrichtung<br />

der Einigkeit und Solidarität der Völker“. Zivile<br />

Institution in <strong>Rojava</strong>.<br />

Tabûr (Bataillon)<br />

(ar.) - Standardabteilung der YPG mit im Schnitt 40<br />

KämpferInnen. Die Begriffe Tabûr und Bataillon<br />

werden in diesem Buch synonym verwendet.<br />

Team (Tîm)<br />

In den YPG eine Einheit von 4 oder 5 Leuten.<br />

TEV-DEM<br />

Tevgera Civaka Demokratîk (krm.), Bewegung der<br />

demokratischen Gesellschaft. Politische Koalition<br />

der Räterevolution in <strong>Rojava</strong>.<br />

TİKKO<br />

Türkiye İşci ve Köylü Kurtuluş Ordusu (tr.),<br />

Befreiungsarmee der Arbeiter und Bauern der<br />

Türkei. Bewaffneter Arm von TKP/ML. Teil des<br />

IFB<br />

TKP/ML<br />

Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (tr.).<br />

Gegründet 1972.<br />

YBŞ<br />

Yekîneyên Berxwedana Şengal (krm.), Şengal-<br />

Widerstandseinheiten.<br />

YJA-Star<br />

Yekîneyên Jinên Azad ên Star (krm.), Einheiten der<br />

freien Frauen Star. Autonome Frauenorganisation<br />

der HPG.<br />

YJÊ (YPJ-Ş)<br />

Yekinêyen Jinên Êzîdxan (krm.), Einheiten<br />

der esidchanischen Frauen. Autonome<br />

Frauenorganisation der YBŞ.<br />

YNK (PUK)<br />

Yekîtiya Nîştimanî ya Kurdistanê (krm.),<br />

„Patriotische Union Kurdistans“. Partei des<br />

Talabanî-Clans, teilt sich die Kontrolle über<br />

Südkurdistan mit PDK. Politisch Mitte-links<br />

YPG<br />

Yekîneyên Parastina Gel (krm.),<br />

„Volksverteidigungseinheiten“. Streitkräfte der<br />

selbstverwalteten Gebiete <strong>Rojava</strong>s.<br />

YPJ<br />

Yekîneyên Parastina Jin (krm.),<br />

„Frauenverteidigungseinheiten“. Autonome<br />

Organisierung aller Frauen in den YPG.<br />

YPS<br />

Yekîneyên Parastina Sivîl (krm.), zivile<br />

Verteidigungseinheiten. Milizen des bewaffneten<br />

Widerstands gegen die türkische Besatzung in den<br />

Städten Nordkurdistans.<br />

YPS-Jin<br />

Autonome Frauenorganisation der YPS.<br />

9


Zur Situation in der Türkei<br />

Transkription eines Vortrags im April 2016, der<br />

sich der aktuellen Situation in der Türkei und<br />

Bakur annimmt. Dabei werden einerseits der<br />

Demokratische Kongress der Völker (Halklarin<br />

Demokratik Kongresi – HDK) und die Demokratische<br />

Partei der Völker (Halklarin Demokratik<br />

Partisi – HDP) vorgestellt. Andererseits<br />

geht es um ein neues Bündnis, ausgerufen<br />

am 12. März 2016, von nicht legalen militanten<br />

Parteien und Organisationen namens Revolutionäre<br />

Einheitsbewegung der Völker (Halklarin<br />

Birlesik Devrim Hareketi – HBDH).<br />

In diesem Vortrag geht es um die aktuelle Situation<br />

in der Türkei und Bakur. Einerseits geht es um den<br />

Demokratischen Kongress der Völker (Halklarin<br />

Demokratik Kongresi – HDK) und die Demokratische<br />

Partei der Völker (Halklarin Demokratik Partisi –<br />

HDP). Andererseits um ein neues Bündnis, ausgerufen<br />

am 12. März 2016, von nicht legalen militanten<br />

Parteien und Organisationen namens Revolutionäre<br />

Einheitsbewegung der Völker (Halklarin Birleşik<br />

Devrim Hareketi – HBDH).<br />

Mein Name ist Ibrahim Ciçek, ich bin Journalist. Ich<br />

habe in einer Chemiefabrik angefangen zu arbeiten,<br />

wurde dann aber aufgrund eines Berichtes von einem<br />

Geheimdienst-Mitarbeiter entlassen. Seitdem bin ich<br />

politisch aktiv. Ich kann mein Leben in wenigen Sätzen<br />

zusammenfassen. Ich war 1977 im Juni im Gefängnis,<br />

ich war 1987 im Gefängnis, ich war 1996 im Gefängnis<br />

und ich war 2006 nochmals im Gefängnis. Als ich im<br />

Mai 2011 aus dem Gefängnis entlassen wurde, war ich<br />

Kandidat als Abgeordneter in Istanbul. Ein Jahr später<br />

wurde ich erneut inhaftiert und man hat ein Verfahren<br />

wegen Neugründung einer Organisation eröffnet.<br />

Anschliessend musste ich das Land verlassen.<br />

Der Genosse, der zuvor gesprochen hat, gab einen<br />

Überblick über die Türkei und Kurdistan. Er hat von der<br />

Situation der Menschen im Widerstand erzählt. Wir werden<br />

uns aus folgenden Gründen auch mit dem Widerstand<br />

befassen: Wir alle kennen die Pariser Kommune, das<br />

Proletariat, dass in Paris 1871 aufgestanden ist und 72<br />

Tage lang eine Kommune in Paris geschaffen hat. In Sur<br />

(Altstadt von Diyarbakır), Lice, Nusaybin, Idir, Cizre<br />

und anderen Orten kämpfen die Menschen seit vielen<br />

Jahren. Sie leisten Widerstand gegen eine Kraft, die<br />

die zweitgrösste Armee der Nato darstellt und die über<br />

eine Polizeimacht von 300‘000 PolizistInnen verfügt.<br />

Sie leisten immer noch Widerstand. Sur ist nicht nur<br />

irgendein Stadtteil von Diyarbakır, Sur ist das Zentrum,<br />

die Altstadt von Diyarbakır, es ist der älteste Stadtteil in<br />

Diyarbakır und hat eine lange Tradition. Die Menschen<br />

in Sur kämpfen gegen die zweitgrösste Armee der Nato,<br />

ohne Wasser, ohne Elektrizität, ohne Nahrungsmittel.<br />

Sie leisten Widerstand und obwohl die Bedingungen<br />

nicht unterschiedlicher sein könnten, leisten sie gegen<br />

die türkisch-faschistische Diktatur Widerstand.<br />

Ich bin hierhergekommen, um aus türkischer<br />

und kurdischer Sicht den Rahmen des neuen<br />

Zusammenschlusses der vereinten revolutionären Kräfte<br />

aus der Sichtweise der MLKP und auch mit historischen<br />

Beispielen zu erklären, warum dieser Zusammenschluss<br />

entstanden ist. In der Geschichte der Türkei gibt es ein<br />

wichtiges Datum, der 30. März 1972. An diesem Tag<br />

hatten zehn Kader der THKP/C und Kader der THKO eine<br />

gemeinsame Aktion gemacht. Das waren die Vorgänger-<br />

Organisationen der heutigen DHKP-C. Mit dieser Aktion<br />

wollte man die Anführer, Gefangene, revolutionäre<br />

Gefangene aus den Gefängnissen befreien, indem man<br />

englische Militäringenieure entführte. Das Wichtige<br />

an der Geschichte ist Folgendes: Eine Organisation,<br />

nämlich diejenige von Mahir Cayan, welche die<br />

10


Vorgänger-Organisation der heutigen DHKP-C war,<br />

wollte die Anführer einer anderen Organisation, Deniz<br />

Gezmiş und seine Freunde, befreien und hat für diese<br />

Aktion ihre ganzen Kräfte eingesetzt. Die Genossen<br />

der Organisation, die für die andere Organisation alles<br />

eingesetzt hat, wurden am 30. März 1972 alle ermordet.<br />

Auch Deniz Gezmiş und seine beiden Genossen, Yusuf<br />

Aslan und Hüseyn Inan, wurden am 6.Mai gehängt.<br />

Diese Aktion war ein Höhepunkt der revolutionären<br />

Solidarität. Anschliessend, zwischen 1975 und 1980, gab<br />

es viele Aufsplitterungen bei den Organisationen, Zum<br />

Schluss hatte man nur noch kleine Gruppen. Das war eine<br />

lange Zeit, wo man die Fähigkeit sich zusammenzusetzen<br />

und sich für ein gemeinsames Vorgehen einig zu werden<br />

verloren hatte. Das war einer der Schwachpunkte der<br />

revolutionären Bewegung, der beseitigt werden musste.<br />

Als die MLKP sich 1994 aus vier Organisationen<br />

zusammenschloss, hat sie aus ihrer damals<br />

dreissigjährigen Geschichte Lehren gezogen. Sie hat<br />

die Geschichte analysiert und danach diskutiert und<br />

gestritten, wie man die Probleme lösen und wie man<br />

die Situation ändern könnte. Die MLKP hat gesagt,<br />

dass sie diese negative Tradition des Sich-Immer-Mehr-<br />

Spaltens aufheben wolle und eine neue Renaissance<br />

der Vereinigung, der Zusammenschlüsse, aufbauen<br />

will. Das ging so weit, dass sie eine revolutionäre<br />

Einheitspolitik aufgebaut hat. Man kann die Strategie so<br />

beschreiben, dass die Einheit zwischen der Revolution<br />

in der Türkei und in Kurdistan, mit der Einheit der<br />

revolutionären Bewegung in Nordkurdistan beginnt. Das<br />

Hauptaugenmerk ist jetzt darauf gerichtet, dass man in<br />

der Türkei eine neue, weitere Einheit aufzubauen. Als<br />

Beobachter kann ich sagen: Die MLKP versucht seit 22<br />

Jahren, die zwei Fronten der Revolution so zu vereinen,<br />

dass von jeder Seite, also von Istanbul als auch von<br />

Diyarbakır aus, eine gemeinsame Vernetzung aufgebaut<br />

wird, um die Regierung in Ankara in die Zange zu<br />

nehmen.<br />

Um an der vorherigen Rede anzuknüpfen, das was im<br />

Juni 2015 mit den Parlamentswahlen in der Türkei<br />

entstanden ist, war das Ergebnis dieser Strategie, die man<br />

seit Jahren versucht hat aufzubauen. Um einige Beispiele<br />

aus der fünfzehnjährigen Geschichte der MLKP zu<br />

geben: In den ersten 7 Jahren wurde zum Beispiel eine<br />

gemeinsame Front in den Gefängnissen aufgebaut. Es<br />

gab eine gemeinsame Gefängnis-Koordination, die aus<br />

8 Organisationen bestand und die bis zum Jahre 2001<br />

funktionierte. Man hat in diesen Jahren versucht eine<br />

gemeinsame Front aller revolutionären Organisationen<br />

aufzubauen. Durch die Art und Weise wie verschiedene<br />

Organisationen funktionierten, gelang das nicht.<br />

Man hat versucht in den 2000er Jahren eine Front<br />

von ArbeiterInnen zu bilden, Freiheits-, Arbeits- und<br />

Friedens-Aktionseinheiten, aber dies hat sich nach ein<br />

paar Jahren auch wieder aufgelöst.<br />

Die Ziele wurden weiterverfolgt. Man hat sich durch<br />

die negativen Ergebnisse nicht zurückdrängen lassen,<br />

sondern im Juni 2011 gab es eine weitere Entwicklung<br />

dieser Zusammenschlüsse. Zuvor gab es einen<br />

parlamentaristischen Block für Arbeit und Frieden und<br />

verschiedene weitere Blöcke. Das war Juni 2011 während<br />

der Wahlen. Aber nach den Wahlen gab es Diskussionen<br />

darüber, dass man aus verschiedenen Kräften eine grosse<br />

Dachpartei aufbauen sollte. Diese wäre dann Teil einer<br />

grösseren Organisation. Es gab einen Vorschlag von der<br />

ESP (Ezilenlerin Sosyalist Partisi – Sozialistische Partei<br />

der Unterdrückten; legale Partei die der MLKP nahesteht),<br />

dass man eine Dachorganisation aufbaut, die nicht nur<br />

aus Parteien besteht, sondern dass auch Einzelpersonen,<br />

Frauengruppen, alle möglichen Gruppierungen, alle<br />

möglichen Interessengemeinschaften sich darin finden<br />

können. Ein Kongress der Völker wurde vorgeschlagen.<br />

Ich selber war an diesem Aufbauprozess beteiligt<br />

und im August, September, Oktober 2011 wurde<br />

der demokratische Kongress der Völker aufgebaut.<br />

Ich möchte ein paar Besonderheiten betonen. Eine<br />

Besonderheit war, dass auch einzelne Personen<br />

in diesem Prozess teilnehmen durften, nicht nur<br />

Parteien. Teilnehmende Parteien dürfen insgesamt nur<br />

60% ausmachen. Parteiorganisationen, Stiftungen,<br />

Gewerkschaften hatten gleiche Rechte, es wurde<br />

niemand bevorzugt. Es wurde auch beschlossen, dass<br />

die Gleichhberechtigung von Frau und Mann zentral<br />

war. Der Anteil beider Geschlechter wurde auf je 50%<br />

festgelegt. Das war auch etwas Neues für die Region.<br />

Die meisten Frauenorganisationen, Gruppen von<br />

unterdrückten religiösen Minderheiten, verschiedene<br />

ökologische Minderheiten, verschiedene mögliche<br />

Organisationsformen haben sich dort wiedergefunden.<br />

Folgendes wurde erreicht: Man hat Organisationen,<br />

Parteien, Kräfte, die sich seit dreissig, vierzig Jahren<br />

politisch bekämpft haben, dazu gebracht, dass sie<br />

kontinuierlich zusammen arbeiten. Dass die kurdische<br />

Bewegung da drin war, hatte einen sehr positiven<br />

Ansatz. Sie hat moralisch das Ganze nochmals gestärkt.<br />

In Europa gibt es keine Aleviten. In der Türkei leben sie<br />

als eine religiöse unterdrückte Minderheit. Die Aleviten<br />

nehmen als demokratische alevitische Bewegung<br />

auch an diesem Prozess teil. Sowohl gesellschaftliche<br />

Gruppierungen, aber auch politische Gruppierungen<br />

haben diesen Kongress mitaufgebaut.<br />

Und die HDP wurde vom Kongress der Völker im<br />

Jahre 2013 gegründet und 2014 ist der Kongress dazu<br />

übergegangen, die HDP aufzubauen, die Partei ist also<br />

ein Ausdruck des Kongresses. Die Idee war, dass man<br />

alle Beschlüsse basisdemokratisch von unten nach oben<br />

beschliesst. Das war eigentlich auch der Vorläufer der<br />

Juni Aufstände [gemeint sind die Gezipark-Proteste<br />

2013, Anmr. d. Red.], bei dem auch Foren gegründet<br />

worden waren.<br />

11


Jetzt möchte ich auch auf den Zusammenschluss<br />

der Revolutionären Einheitsbewegung der Völker<br />

eingehen und darauf, aus welchen Gründen sie<br />

sich zusammengeschlossen hat. Also von dieser<br />

Revolutionären Einheitsbewegung der Völker<br />

unterstützen ganz wenige den grossen Kongress<br />

der Völker. Ein wichtiger Teil dieses revolutionären<br />

Bündnisses sieht den Kongress der Völker als ein<br />

reformistisches und auch als ein unnötiges Instrument.<br />

Nur die MLKP und die PKK sehen den Kongress der<br />

Völker als notwendig. Sie sehen beide Seiten nicht als<br />

Konkurrenzprodukt an, sondern sie denken, dass sie sich<br />

gegenseitig ergänzen.<br />

Der Grund der organisatorischen Zusammenarbeit<br />

dieses Bündnisses der revolutionären Kräfte entstand<br />

durch den Kobanê-Widerstand und durch den <strong>Rojava</strong>-<br />

Widerstand. Denn die Organisationen der HBDH<br />

sind Organisationen, die dort zusammen kamen, die<br />

dort zusammen gekämpft haben, sich zusammen<br />

ausgetauscht und auch dieses Bündnis dort gegründet<br />

haben. Nach den Parlamentswahlen im Juni 2015, also<br />

nach dem ersten Wahlgang, hat ja die AKP-Herrschaft<br />

eine Palastrevolution erlebt und die Situation hat sich um<br />

ein Vielfaches verschärft. Die Lage hat sich so verschärft,<br />

dass kleine Angriffe zu grossen Angriffen wurden. Selbst<br />

die Föderation der sozialistischen Jugendverbände der<br />

Türkei (Sosyalist Genclik Dernekleri Federasyonu<br />

- SGDF), die am 20.Juli 2015 nach <strong>Rojava</strong> gehen<br />

wollte, um sich an der Wiederaufbauarbeit in Kobanê<br />

zu beteiligen, angegriffen wurde. In einem grossen<br />

Massaker wurden 32 Jugendliche von ihnen ermordet.<br />

Man wollte von Seiten der fortschrittlichen Kräfte<br />

versuchen, zwischen dem Westen der Türkei, zwischen<br />

Istanbul und <strong>Rojava</strong>, eine Brücke aufzubauen und diese<br />

Brücke sollte verhindert werden. Erdogan und die AKP<br />

versuchten also diesen Zusammenschluss zwischen<br />

Istanbul und <strong>Rojava</strong>, diese Brücke, zu verhindern.<br />

Die Lage hat sich aus folgendem Grund erhärtet. Die<br />

KurdInnen wollen ihre Identität haben, ihre Rechte<br />

haben. Der Staat hat bis zu einem bestimmten Punkt<br />

so getan als wäre er dazu bereit, diese Zugeständnisse<br />

zu machen. Aber nach den Wahlen hat der Staat<br />

gesagt, jetzt wollen wir das nicht mehr, jetzt setzen<br />

wir auf Krieg. Das Ergebnis des Ganzen war, der Staat<br />

akzeptierte die KurdInnen nicht, ihre Sprache nicht, ihre<br />

Identität nicht, ihre demokratischen Rechte nicht, ihre<br />

Autonomiebestrebungen nicht. Was können wir machen,<br />

wenn der Staat sich nicht mehr mit ihnen an einenmTisch<br />

setzt? Das einzige, was wir machen können, ist uns<br />

unsere Rechte selbst zu holen. Das war ihre einzige<br />

Möglichkeit.<br />

Das Ergebnis war, dass nach den Autonomieerklärungen in<br />

Bakur, im Westen des Landes alle demokratischen Rechte<br />

beseitigt oder sehr stark eingeschränkt worden sind. Die<br />

12<br />

Lage hat sich so drastisch verschärft, dass demokratische<br />

Proteste auf der Strasse so erschwert worden sind, dass<br />

der Raum der HDP und der HDK im Westen der Türkei<br />

sehr stark eingeschränkt worden ist. Dadurch, dass die<br />

Möglichkeiten für demokratische gemeinsame Kämpfe<br />

eingeschränkt worden sind, musste man nach anderen<br />

Mitteln suchen, um seinen Forderungen Nachdruck zu<br />

verleihen und das war auf dieser Ebene natürlich auch die<br />

Einheit der Revolutionären Kräfte (HBDH). Man konnte<br />

nicht mehr nur mit legalen demokratischen öffentlichen<br />

offiziellen Mitteln für seine Rechte eintreten. Denn durch<br />

die extreme Gewaltbereitschaft, durch den extremen<br />

Staatsterror, musste man die Rechte der ArbeiterInnen<br />

und der breiten Bevölkerung durch revolutionäre<br />

Aktionseinheiten und durch den revolutionären Weg<br />

verteidigen. Das Erfordernis auf revolutionärer Ebene


gemeinsam auf der Strasse zu agieren und aber auch die<br />

Möglichkeit, die man dadurch hatte, dass man durch die<br />

Revolution in <strong>Rojava</strong> schon zusammen arbeitete, hat<br />

die Notwendigkeit erhöht, dass man eine revolutionäre<br />

Aktionseinheit bildet.<br />

Und, wie man das ausgerufen hat, war auch sinnbildlich.<br />

Es wurde am 12. März 2016 aufgerufen. Einerseits wurde<br />

eine Presseerklärung in den Bergen von Kandil, mit<br />

Fotos und so gemacht. Andererseits wurden im Stadtteil<br />

Gazi in Istanbul, zum Jahrestag des Gazi-Aufstandes<br />

1995, militante Strassenaktionen durch Milizen der<br />

revolutionären gemeinsamen Kräfte durchgeführt.<br />

Der Staat wendete mit Hilfe der Gerichte und der<br />

verschiedenen Staatsapparate äusserste Gewalt an gegen<br />

JournalistInnen, gegen die Frauenbewegung, gegen die<br />

Jugendbewegung, Gewerkschaften, AkademikerInnen<br />

und so weiter, gegen alle Formen von Kritik und<br />

Bewegungen, die auch nur ein bisschen oppositionell<br />

sind. Dagegen musste diese revolutionäre Aktionseinheit<br />

einschreiten. Es ging um die Selbstverteidigung dieser<br />

unterdrückten Minderheiten, also dieser unterdrückten<br />

Massen. Diese müssen auf den Staatsterror antworten,<br />

denn die unterdrückten Massen, die können nicht mehr<br />

auf normalem Wege ihren Forderungen Ausdruck<br />

verleihen, deswegen muss das durch revolutionäre<br />

Aktionseinheiten gewährleistet sein und deswegen<br />

wurde das so stark in den Vordergrund gedrängt.<br />

Man erwartet, dass die Gruppen der HBDH sich<br />

illegal organisieren. Auf Deutsch übersetzt würde man<br />

sagen, sich im Untergrund organisieren. Wenn man<br />

13


evolutionäre Aktionen durchführt, erwartet man auch,<br />

dass die revolutionäre Guerillabewegung im Westen<br />

des Landes durch die Stadtguerilla, durch revolutionäre<br />

Kräfte, durch Milizkräfte sich in den Städten fortsetzen<br />

wird. Wenn die revolutionäre Aktionseinheit erfolgreich<br />

sein sollte, dann kann es sein, dass die Polizei nicht mehr<br />

in die Stadtteile von Istanbul reingehen kann, oder dass<br />

sich Guerillabewegungen in den ländlichen Gebieten der<br />

Türkei und auch in der Nordtürkei bilden können. Es<br />

scheint sich so zu organisieren, dass sich an der Spitze<br />

der HBDH ein gemeinsamer Rat gebildet hat und dass<br />

drunter sich Komitees gebildet haben, die zu bestimmten<br />

Punkten arbeiten.<br />

Diese Aktionseinheit besteht aus neun Organisationen.<br />

Diese Organisationen haben keinen Massencharakter<br />

oder eine starke Basis in den Städten. So eine Basis<br />

existiert in den Städten nicht. Alle diese Organisationen<br />

haben eine Strategie für einen bewaffneten Kampf oder für<br />

eine Organisation im Untergrund. Die militärische Kraft<br />

ist sehr unterschiedlich. Die PKK hat natürlich andere<br />

Möglichkeiten als andere Organisationen. Die politischen<br />

Kräfte sind unterschiedlich, die Herangehensweise zu<br />

militärischen Fragen ist unterschiedlich. Dass es neun<br />

Organisationen sind heisst nicht, dass sie alle gleich stark<br />

sind oder gleiche Möglichkeiten haben. Ich kann das so<br />

formulieren oder bewerten, dass wenn die Revolutionäre<br />

Einheitsbewegung der Völker (HBDH) in Istanbul nur 10<br />

– 15% Erfolg hat, dann wird das die ganze Türkei und das<br />

ganze Gebiet sehr stark beeinflussen. Diese Bewegungen<br />

haben ja eigentlich eine Basis in der Bevölkerung, bei<br />

den Jugendlichen in den Stadtteilen, breite Schichten in<br />

den Stadtteilen sind ja schon vorhanden, aber die Frage<br />

ist, ob man in der Lage ist, solch eine breite Masse zu<br />

organisieren, zu integrieren, auszubilden, auch in den<br />

beiden Teilen des Landes, das ist eine organisatorische<br />

Frage, die diese Bewegungen auch noch beantworten<br />

müssen.<br />

Die Frage ist nicht, was diese Bewegung in Kurdistan<br />

macht, sondern was diese Bewegung in der Türkei macht.<br />

Denn in Kurdistan besteht eine Guerilla, es besteht eine<br />

Stadtguerilla, es ist alles organisiert, es besteht eine<br />

revolutionäre Entwicklung. Die Frage ist, was diese<br />

Bewegung in der Türkei schaffen wird und je nachdem,<br />

ob sie in der Türkei Erfolg haben wird oder nicht, wird<br />

sich das auf die gesamte Region auswirken. Wir als<br />

RevolutionärInnen aus der Türkei, aus Mesopotamien<br />

und Anatolien, sind in einer Situation, die wir noch<br />

nicht erlebt haben und wir versuchen in dieser Situation<br />

unseren Weg zu finden. Ich möchte meine Worte so<br />

beenden: Die revolutionäre Entwicklung wird nicht so<br />

sein wie in Lateinamerika oder wie in Kuba, sie wird auch<br />

nicht so sein wie in China oder Sowjetrussland, sie wird<br />

einen anderen Weg nehmen und wir müssen natürlich für<br />

unsere revolutionäre Entwicklung unseren eigenen Weg<br />

finden. Wenn wir es geschafft haben, wenn wir einen<br />

Weg finden, wenn die Revolution stattfindet, dann wird<br />

sich das wie ein Virus verbreiten und dieser Virus, dieses<br />

Licht, diese Waffe, wird sich natürlich in andere Länder<br />

verbreiten und zu einer grösseren Kraft werden und das<br />

hoffen wir. Ich möchte zum Schluss Ivana Hoffmann<br />

ehren, die auch als eine revolutionäre Kämpferin aus<br />

Deutschland in <strong>Rojava</strong> gekämpft hat und diese Einheit<br />

der revolutionären Bewegung mit geschaffen hat. Ab<br />

jetzt können wir eure Fragen beantworten.<br />

Was hat sich in den Quartieren von Istanbul in den<br />

letzten Monaten entwickelt?<br />

Die Slums in Istanbul, man nennt sie Varosch, sind die<br />

Orte, wo die ganzen Konflikte, die ganzen Widersprüche<br />

sich vereinen. Dort widerspiegelt sich die Ausbeutung,<br />

dort widerspiegelt sich die Unterdrückung des kurdischen<br />

Volkes, die Unterdrückung der religiösen Minderheiten<br />

in extremster Form wieder. Das Besondere an diesen<br />

Stadtteilen ist, dass dort revolutionäre Geschichte<br />

geschrieben wurde. Seit 50 Jahren gab es dort Aufstände,<br />

deshalb besteht dort eine bestimmte historische Erfahrung.<br />

Als im Jahre 2013 die Gezi Aufstände waren, sind aus<br />

dem Stadtteil Gazi mehr als 10‘000 Leute marschierend<br />

zum Gezi Aufstand gegangen weil die Strassen, die Wege<br />

blockiert waren. In einer kritischen Situation können<br />

die Menschen aus diesen Stadtteilen auf die Strasse<br />

gehen, um Autobahnen und wichtige Verkehrswege zu<br />

blockieren. Natürlich sind auch die Hauptkräft, welche<br />

die revolutionäre Aktionseinheit gebildet haben, auch<br />

in diesen Stadtteilen. Diese Bewegungen versuchen<br />

eine Strategie zu entwickeln. Eine Kampfstrategie zu<br />

entwickeln, um die Jugendlichen, die aus den Slums,<br />

aus den Stadtteilen kommen, aber auch studierende<br />

Jugendliche für den Kampf zu gewinnen.<br />

Zwei Dinge finden sich zusammen: die Kräfte, die man<br />

aktivieren will, befinden sich in den Stadtteilen. Und<br />

die Kräfte, die aktivierend wirken, befinden sich in den<br />

selben Stadtteilen. Wenn man eine starke Milizenkraft<br />

dort bilden könnte, wäre es so gut wie unmöglich, dass<br />

der Staat diese Stadtteile kontrollieren könnte. Für den<br />

Staat würde sich das als sehr, sehr schwierig erweisen,<br />

besonders in Istanbul, weil Istanbul eine sehr, sehr grosse<br />

Stadt ist. Es ist für den Staat schwierig so eine grosse<br />

Stadt zu kontrollieren. Istanbul ist nicht vergleichbar<br />

mit Ankara, Bursa, Izmir oder mit anderen Städten<br />

in der Türkei. Man muss noch hinzufügen, dass die<br />

Jugendlichen in den Stadtteilen mittlerweile auch eine<br />

bestimmte Erfahrung mit den Aufständen gemacht hat.<br />

Gibt es neben den bekannteren Formen des<br />

bewaffneten Kampfes in den Stadtteilen und<br />

Quartieren auch andere Formen der politischen<br />

Arbeit? Hat es da eine Entwicklung gegeben, was<br />

macht man?<br />

Es gibt neue Aktionsformen. Die PKK wendet diese am<br />

meisten an, zum Beispiel Angriffe auf Polizeistationen.<br />

14


Man nennt das Attentate, gezielte Angriffe, auch gegen<br />

Personen oder gegen Polizeikräfte. Aber die Angriffe<br />

richten sich vor allem gegen staatliche Organe, gegen<br />

Polizeikräfte. Populärer ist es nach Demos oder während<br />

Kundgebungen, Demos, öffentlichen Veranstaltungen,<br />

Barrikaden aufzubauen und eine Auseinandersetzung<br />

mit der Polizei zu haben. Die Methode in den Stadtteilen<br />

ist folgend: In jedem grossen Stadtteil gibt es eine<br />

Hauptstrasse. Der Staat versucht diese Hauptstrasse zu<br />

halten und mitten in dem Stadtteil baut er eine grosse<br />

Polizeistation auf. Die Methode der revolutionären<br />

Kräfte, das hat sich in den letzten Jahren so etabliert,<br />

ist zuerst werden die Nebenstadtteile neben der grossen<br />

Hauptstrasse gehalten und danach versucht man auf der<br />

Hauptstrasse die Staatskräfte so zu trennen, dass man ein<br />

bestimmtes Areal hat, wo man sich bewegen kann.<br />

Das gestaltet sich so. Es sind Milizengruppen, Leute,<br />

die tagsüber normal zur Arbeit gehen, ihre normalen<br />

Dinge verrichten und abends als Milizen arbeiten. Und<br />

es sind sowohl Frauen als auch Männer, bestehend aus<br />

kleinen Gruppen, aus fünf Personen, sieben Personen,<br />

acht Personen, also kleinere Gruppen, die diese<br />

Arbeit verrichten. Wenn die revolutionären Kräfte die<br />

Möglichkeiten hätten und es schaffen könnten, den Staat<br />

zurückzudrängen und für sich selber dauerhaft ein Areal<br />

zu schaffen, dann könnten sich die Milizenkräfte um ein<br />

Vielfaches verstärken.<br />

Wenn sie es schaffen können, dass sich die Milizen<br />

dauerhaft in dieser Form organisieren können, dann<br />

könnten sie die Situation in Istanbul beeinflussen<br />

und Istanbul bedeutet, dass man die gesamte Türkei<br />

beeinflusst. Mit Istanbul kann man die gesamte Türkei<br />

beeinflussen. Der Staat versucht mit seiner äussersten<br />

Aggressivität gegen normale Demonstrationen,<br />

Kundgebungen, gegen AkademikerInnen, gegen<br />

einfache Flugblätter, zu verhindern, dass sich so eine<br />

Entwicklung ergeben könnte. Das ist weil es hier einen<br />

grossen Ansatz für so eine Entwicklung gibt.<br />

Also man kann das so umschreiben: In Kurdistan gibt<br />

es eine revolutionäre Situation und in der Türkei kann<br />

eine revolutionäre Situation entstehen. Es kann aus ganz<br />

einfachen Situationen heraus ein Aufstand entstehen.<br />

Die Bevölkerung möchte nicht mehr so regiert werden,<br />

wie sie regiert wurde, und der Staat kann nicht mehr<br />

so regieren, wie er regiert und deswegen ist so eine<br />

Möglichkeit gegeben.<br />

Wenn wir schon bei der revolutionären Vorsituation<br />

sind, was mich interessieren würde ist kurz über den<br />

Zeitpunkt zu reden, wo sich dieses revolutionäre<br />

Bündnis formiert hat. Ihr habt es jetzt in einem<br />

ersten Moment sehr stark so geschildert, dass das<br />

auch eine Reaktion auf die kriegerische Politik des<br />

Staates ist, aber ihr habt auch noch ein bisschen<br />

angedeutet, dass es tatsächlich auch darum geht,<br />

einen Schritt vorwärts zu machen. Darin spielt sicher<br />

auch die Erfahrung in <strong>Rojava</strong> eine riesige Rolle. Vor<br />

allem im Allgemeinen, dass es sicher eine Stärke<br />

der türkisch-kurdischen Linke ist, dass man nicht<br />

nur aufzeigt wogegen man ist, sondern auch wofür<br />

man ist und eben versucht verschiedene Formen der<br />

Gegenmacht aufzubauen, eine eigene Organisierung<br />

und so weiter. Diese offene Deklaration ist schon auch<br />

ein offensiver Schritt und nicht nur ein militärisch<br />

notwendiger Schritt, um sich vor dem Angriff der<br />

Erdogan Regierung zu schützen oder so?<br />

Es geht nicht nur darum, die ArbeiterInnen, die<br />

Werktätigen die Menschen auf der Strasse zu verteidigen,<br />

dieser Schritt der Aktionseinheit der revolutionären Kräfte<br />

wurde auch gemacht, um die faschistische Diktatur in<br />

der Türkei zu stürzen. Es wurde auch ein Programm mit<br />

der Erklärung veröffentlicht. Dieses Programm enthält<br />

antikapitalistische Bestandteile, es enthält demokratische<br />

Bestandteile, es enthält antiimperialistische Bestandteile,<br />

es hat sehr viele verschiedene Bestandteile in diesem<br />

Programm. Es ist kein sozialistisches Programm, aber<br />

dieses Programm zielt darauf, die faschistische Diktatur<br />

zu zerschlagen und auf dem Weg in die Freiheit zu gehen.<br />

Das sieht folgendermassen aus. In Nordkurdistan haben<br />

wir es geschafft, eine starke revolutionäre Einheit zu<br />

schaffen und diese starke revolutionäre Einheit ist auch<br />

sehr standhaft. Aber wenn wir es schaffen, im Westen<br />

auch eine revolutionäre starke Aktionseinheit zu schaffen<br />

und aufzubauen, dann ist der Weg offen für eine weitere<br />

revolutionäre Entwicklung. Taktisch ist das natürlich ein<br />

Verteidigungsschritt aber strategisch gesehen ist es ein<br />

Angriffsschritt denn er zielt darauf, die Situation, die<br />

Verhältnisse in der Türkei, in Kurdistan grundlegend<br />

zu verändern. In Kurdistan herrscht ja der Status Quo,<br />

also weder die Kräfte in Kandil noch die in kurdischen<br />

Gebieten schaffen es, komplett den türkischen Staat in<br />

Nordkurdistan zu besiegen, noch schafft es Ankara und<br />

die türkischen Streitkräfte, die kurdische Bewegung zu<br />

zerschlagen. Aber es ist ein Status Quo vorhanden. Wenn<br />

wir es schaffen, eine revolutionäre zweite Front im<br />

Westen der Türkei aufzubauen, dann würde sich dieser<br />

Status Quo aufheben. Also wir versuchen die Situation,<br />

diesen Stillstand seit 20, 30 Jahren zu durchbrechen<br />

und diesen Weg für eine revolutionäre Entwicklung zu<br />

öffnen.<br />

Durch diese genannte Offensive könnte die<br />

kurdische Diaspora im Westen der Türkei ins<br />

Fadenkreuz der Konterrevolution geraten. Es<br />

könnte ja sein, dass die kurdische Diaspora und<br />

Andere, z.b. sprachliche oder religiöse Minderheiten<br />

vielleicht nicht so organisiert sind um diese Angriffe<br />

abzuwehren. Wie ist der Umgang mit dieser Situation?<br />

Das ist eine organisatorische Frage, die Kräfte sind<br />

vorhanden aber diese Kräfte müssen ja einen Weg<br />

15


finden. In Kurdistan ist es so, dass diese Kräfte diesen<br />

Weg und ein Mittel gefunden haben. Aber im Westen ist<br />

es so, dass sich die Kräfte noch entwickeln müssen, sie<br />

müssen noch voranschreiten um das zu gewährleisten.<br />

Es ist so, während die Übergriffe in Kurdistan extrem<br />

hart sind, ist es manchmal auch so, dass die Übergriffe<br />

gegen KurdInnen im Westen der Türkei nicht so hart<br />

sind. Man versucht, die KurdInnen in der Türkei auf die<br />

Seite der Regierung zu kriegen und deswegen macht<br />

man auch unterschiedliche Politik dazu. Der türkische<br />

Staat hat auch eine bestimmte Tradition, die Kräfte,<br />

die gegen ihn sind, zu zerschlagen oder zu zerteilen.<br />

Revolutionäre kurdische, türkische, alle möglichen<br />

Kräfte werden zerstreut und zersprengt. Man versucht<br />

einen Keil zwischen sie zu treiben, um die Kräfte für<br />

sich zu gewinnen und diese Bewegungen zu schwächen.<br />

Diese Tradition hat der türkische Staat, das darf man nicht<br />

übersehen. Die Politik einer gemeinsamen Aktionsfront<br />

ist eine Politik, die gegen diese Politik des Staates der<br />

Teilung und Zersplitterung gerichtet ist.<br />

Also es gibt traditionalistische, konservative KurdInnen,<br />

die die Stimme der AKP geben. Das Ziel ist diese<br />

Stimmen der KurdInnen für uns zu gewinnen. Es gibt<br />

zum Beispiel AlevitInnen, die staatstreu sind und der CHP<br />

ihre Stimmen geben. Es geht darum, dass man versucht,<br />

diese AlevitInnen für unseren Weg zu gewinnen. Der<br />

Kampf wird auch in diesem Bereich noch fortgesetzt.<br />

Um nochmals auf die Frage zurückzukommen, wir<br />

können das schaffen, aber die Frage, wie man sich dazu<br />

organisiert und welche Methoden man dazu findet, ist<br />

noch nicht komplett geklärt.<br />

Die moderne türkische Republik war nie besonders<br />

demokratisch und ist ganz einfach ausgedrückt,<br />

irgendwo was zwischen pseudodemokratisch,<br />

bonapartistisch und faschistisch. Ich meine aber,<br />

was wir in den letzten Jahren in der Türkei gesehen<br />

haben, da zeigt sich dann doch nicht der reine oder<br />

offene Faschismus. In den letzten Jahren nach Gezi<br />

gab sehr grosse Massen- und Volksdynamiken. Ein<br />

Beispiel: Anfang 2015 bis in den Sommer hinein,<br />

gab es einen riesigen MetallarbeiterInnen und<br />

AutomobilarbeiterInnen Streik, Hunderttausende<br />

von ArbeiterInnen waren involviert gegen die<br />

bestimmende Gewerkschaftsführung. Alles spontan,<br />

nicht organisiert und sicherlich nicht organisiert von<br />

der revolutionären Linken. Nach Gezi gab es auch<br />

eine massive Welle an Frauenwiderstand. 2016 gab es<br />

den Cerattepe-Widerstand, das war ein ökologischer<br />

Volkswiderstand, an der Schwarzmeerküste. Die<br />

organisierte Linke, auch revolutionäre Linke fehlte<br />

oder sie schaffte es nicht diese Sorgen mitzutragen.<br />

Ich meine der HDK, dieser Kongress hätte das<br />

machen sollen, hat es aber nicht gemacht und ich<br />

glaube nicht, dass da das Hauptproblem der türkische<br />

Faschismus war, sondern ein Desinteresse der meisten<br />

organisierten linken Kräfte. Das Problem, auf das<br />

ich hinweisen möchte, ist, wenn man als organisierte<br />

Linke, auch aus revolutionärer Perspektive in diesen<br />

Massenaufständen, die weiterhin stattfinden, nicht<br />

dabei ist, dann habe ich Zweifel daran, ob dann<br />

andere Taktiken und Strategien zu der Revolution<br />

führen.<br />

Also die Frage, ob die revolutionäre organisierte<br />

Bewegung in dieser Bewegungen drin war, ist<br />

folgendermassen zu beantworten: Sie war in dem Gezi<br />

Aufstand sehr stark vorhanden. Allein von der ESP<br />

hatten 180 Leute ein Verfahren am Hals, davon laufen<br />

noch heute 86 Verfahren, also ernsthafte Verfahren,<br />

die längere Strafen ergeben könnten. Auch andere<br />

Organisationen haben Verfahren am Hals, allein wegen<br />

dem Gezi Aufstand.<br />

Die linken Bewegungen kann man in zwei Kategorien<br />

aufteilen, die eine isoliert sich von diesen sozialen<br />

Bewegungen und erlebt eigentlich schrittweise ihren<br />

eigenen Tod und ist weg von den Massen. Die zweite<br />

Gruppe kann man die Gruppe nennen, die versucht die<br />

Massen zu begreifen, sich in den Massen zu integrieren,<br />

neue Möglichkeiten sucht. Diese Massen sind eigentlich<br />

die Kräfte, die eine Entwicklung erleben. Ich möchte<br />

keine Diskussion über die Faschismusdefinition<br />

anfangen, über Bonapartismus oder Cäsarismus oder<br />

sonst was anderes, das ist nicht mein Hauptanliegen, aber<br />

wenn du in Kurdistan oder in den Gebieten die Leute<br />

fragst, was ist Faschismus, die würden sagen, wenn das<br />

nicht Faschismus ist, was ist dann Faschismus.<br />

Es ging auch um die Frage, dass es wichtig ist im<br />

Westen der Türkei, in Istanbul, in Ankara und so<br />

weiter eine weitere Front zu eröffnen. Uns interessiert<br />

natürlich auch die Frage, was wir hier (in der<br />

Schweiz) tun können, um die Situation in der Türkei<br />

zu unterstützen, um die kämpfenden Strukturen in<br />

der Türkei zu unterstützen. Seien es diejenigen, die<br />

sich im Rahmen von HBDH organisiert haben oder<br />

seien es andere. Die Bedeutung der internationalen<br />

Solidarität sah man stark bei Kobanê, sah man stark<br />

bei <strong>Rojava</strong>, wo es immer wieder Aktionen gab, wo es<br />

gelang dieses Thema in die Öffentlichkeit zu tragen<br />

einerseits, und andererseits auch einen konkreten<br />

Inhalt zu vermitteln, dass es da um ein revolutionäres<br />

Projekt geht, mit dem man sich solidarisieren muss.<br />

Darum machen wir auch diese Veranstaltung,<br />

nicht nur, damit man zuhört und sagt „Ah, das ist<br />

spannend“, sondern dass wir uns auch die Frage<br />

stellen müssen hier, was bedeutet es, wenn in der<br />

Türkei sich eine derartige Situation entwickelt. Wir<br />

machen es uns mal einfach fragen euch: Was erwartet<br />

ihr von uns hier?<br />

Wir verlangen nicht viel von euch. Wenn ihr eine<br />

Revolution in Europa macht, dann haben wir schon<br />

16


alles geregelt. Wenn es keine Unterstützung von den<br />

europäischen ImperialistInnen geben würde, dann würde<br />

die Beseitigung des türkischen Faschismus viel leichter<br />

voran gehen. Wenn die Nato, die USA und auch die<br />

europäischen ImperialistInnen das nicht unterstützen<br />

würden, dann würden wir es wirklich erledigen können.<br />

Das war jetzt ein bisschen Spass dabei, aber es ist auch<br />

wichtig, gegen den europäischen Imperialismus und die<br />

Bourgeoisie den Kampf zu stärken. Die europäische<br />

Bourgeoisie verbündet sich ja, verbrüdert sich ja mit<br />

der türkischen Bourgeoisie. Genau so sagen wir zu den<br />

Werktätigen zu den ArbeiterInnen in Europa, verbrüdert<br />

euch mit euren Geschwistern in den anderen Ländern<br />

und führt den gemeinsamen Kampf gegen diese Kräfte<br />

genau so wie sie gegen euch kämpfen.<br />

Ich weiss, das ist sehr verallgemeint, was ich sage. Das<br />

was ihr tun müsst, ist auch das Licht, das durch die<br />

<strong>Rojava</strong> Revolution erschaffen worden ist, nach Europa<br />

zu tragen und den Kampf auch in Europa fortzusetzen.<br />

Vielleicht müssen wir noch mehr diskutieren und noch<br />

mehr unsere Erfahrungen austauschen. Aber im Hinblick<br />

auf die Solidarität glaube ich an eure Fähigkeiten, an eure<br />

Motivation, eure Ziele. Wir müssen unsere Erfahrungen<br />

weiter austauschen. Danke, dass ihr uns an diesem kalten<br />

Tag die Möglichkeit gegeben habt zu reden und wir<br />

wünschen euch allen Erfolg und wir danken auch den<br />

Leuten, die bereit waren so lange zuzuhören.<br />

Zur Aussprache<br />

Zur Vereinheitlichung der Orts- und Eigennamen<br />

haben wir weitestgehend die kurdisch-lateinischen<br />

Schreibweisen benutzt. Die Buchstaben, die im<br />

Deutschen nicht vorkommen, oder abweichend<br />

ausgesprochen werden, sind folgende:<br />

C, c<br />

dsch wie in „Dschungel“<br />

Ç, ç<br />

tsch wie in „Tschechien“<br />

E, e<br />

Kurzes, stimmloses a oder e; wie das ä in „älter“<br />

Ê, ê<br />

Langes e wie in „Emu“<br />

I, i<br />

Kurzes, stimmloses i wie in „Insel“<br />

Î, î<br />

Langes i wie in „Igel“<br />

J, j<br />

Weiches sch, wie das j in „Jaqueline“<br />

Q, q<br />

Aus der tiefen Kehle gesprochenes k, vgl.<br />

arab. ق R, r<br />

Gerolltes r<br />

Ş, ş<br />

sch wie in „Schnee“<br />

U, u<br />

Kurzes, stimmloses u wie in „Unterwelt“<br />

Û, û<br />

Langes u wie in „Urlaub“<br />

V, v<br />

w wie in „Wolke“<br />

W, w<br />

Wie das w in dem Ausruf „Wow“<br />

X, x<br />

ch wie in Bach<br />

Y, y<br />

j wie in Joghurt<br />

Z, z<br />

Weiches s wie in „Sonne“<br />

17


Karten Syrien und Frontverlauf<br />

Der Frontverlauf ändert sich in Syrien fast täglich. Entsprechend schwierig sind politische Karten zu finden,<br />

welche die Realität abbilden. Zur besseren Orientierung drucken wir deshalb eine allgemeine Karte von<br />

Syrien und zwei politische Vergleichskarten ab, die den Frontverlauf in Nordsyrien zwischen Dezember<br />

2015 und März 2016 beziehungsweise zwischen Dezember 2014 und Februar 2017 zeigen. Eine Sammlung<br />

von mehr oder weniger hilfreichen Karten zum Kriegsverlauf gibt es auf: http://www.lib.utexas.edu/maps/<br />

syria.html.<br />

18


19


INTERNATIONALISTINNEN<br />

<strong>Rojava</strong> ist nicht nur<br />

Bezugspunkt für die<br />

revolutionäre Linke<br />

geworden, sondern ist<br />

auch ein Ort des gelebten<br />

Internationalismus. Etliche<br />

Freiwillige sammeln<br />

hier militärische und<br />

politische Erfahrungen<br />

und unterstützen die<br />

Befreiungskräfte.<br />

Die Beweggründe,<br />

Erfahrungen und erste<br />

Reflexionen verschiedener<br />

KämpferInnen wollen<br />

wir im Folgenden näher<br />

beleuchten.<br />

20


Kenan<br />

«Ich glaube es war wichtig, dass sowohl<br />

Genossin Ivana, ich, als auch andere Leute<br />

damals als Erste gesagt haben, wir werden jetzt<br />

den Schritt machen und einfach mal vor Ort<br />

hingehen. Nicht nur irgendwie als Delegierte,<br />

sondern tatsächlich um am Kampf dran<br />

teilzunehmen. Um Erfahrungen zu sammeln,<br />

die man überhaupt transportieren kann. »<br />

Kannst du dich kurz vorstellen, wer du bist und<br />

was deine politische Geschichte ist?<br />

Ich bin Kenan. 2007 habe ich angefangen politisch<br />

aktiv zu werden. Damals war ich in Deutschland in<br />

der Bildungsstreik-Bewegung aktiv. Das war eine Zeit,<br />

als in vielen Städten Jugendliche angefangen haben,<br />

sich zu politisieren. Das heisst konkret sich mit Politik<br />

auseinanderzusetzen und dabei auch angefangen haben,<br />

ihre ersten Erfahrungen in Organisierungsprozessen zu<br />

sammeln. Ich war ebenfalls einer dieser Menschen.<br />

Vorher hatte ich überhaupt keinen Bezug dazu, weder<br />

über Verwandte noch über Bekannte. Ich habe auch<br />

angefangen mich antifaschistisch zu organisieren und<br />

ich bin nach einiger Zeit in Kontakt zu Leuten der MLKP<br />

gekommen, die hier in Deutschland gearbeitet haben und<br />

noch immer arbeiten. Ich habe aufgrund der Schwäche der<br />

revolutionären Bewegung in Deutschland, von grösseren<br />

Strukturzusammenhängen und so weiter, in der MLKP<br />

eine politische Heimat gefunden. Wohl aufgrund dessen,<br />

dass ich damals nach etwas gesucht habe; Das heisst ich<br />

habe eine Organisation gesucht, die eine Geschichte hat,<br />

die schon Erfahrung hat, die mir auch in gewisser Weise<br />

einen Weg zeigen kann und Erfahrungen mitgeben kann.<br />

Das waren Dinge, die ich bei deutschen Organisationen<br />

in meiner Umgebung nicht gefunden habe.<br />

Deswegen ist ein Grossteil meiner politischen Laufbahn,<br />

meiner politischen Sozialisierung über diese Organisation<br />

und die Revolution in der Türkei und Kurdistan gelaufen.<br />

Weswegen ich auch nach einiger Zeit die Entwicklungen<br />

und die Kämpfe dort für mich genau so gespürt habe,<br />

wie die revolutionäre Bewegung und die politischen<br />

Kämpfe in Deutschland.<br />

Dabei gab es bezüglich den verschiedenen Kämpfen<br />

aber nie eine Abstufung für mich. Also es ging nicht<br />

darum, dass dies hier meine politische Heimat wäre<br />

und ich für die da drüben nur ein Solidaritätsempfinden<br />

empfand. Ein solches Empfinden ist vielmehr aus dem<br />

internationalistischen Verständnis heraus gewachsen:<br />

Einfach aufgrund dessen, dass man Leute kennengelernt<br />

hat, die im Todesfasten in der Türkei waren oder die in<br />

der Türkei gefoltert worden sind. Das waren auch Leute,<br />

die vieleicht in Deutschland aufgewachsen sind, deren<br />

Eltern schon in der Türkei gekämpft haben und sich<br />

dann auch entschlossen haben, rüber und in die illegale<br />

Arbeit zu gehen oder sich der Guerilla anzuschliessen.<br />

Deswegen war der revolutionäre Kampf in der Türkei<br />

und Kurdistan für mich auf derselben Ebene, wie die<br />

politischen Kämpfe hier in Deutschland. Als sich die<br />

Ereignisse in Syrien überschlagen haben und als das<br />

Projekt <strong>Rojava</strong> ins Leben gerufen worden ist, war da<br />

auch vom ersten Tag an ein sehr starkes Interesse in mir.<br />

Recht schnell hatte ich auch schon die ersten Gefühle<br />

gehabt, dass dies etwas ist, wo ich gerne direkt dran<br />

teilnehmen möchte. Da kamen in mir die Gedanken und<br />

Fragen: Ist das etwas was ich direkt sehen möchte, was<br />

also kann ich davon lernen, was geschieht da, in welche<br />

Richtung geht das?<br />

Denn irgendwie ist da ein Ansatz, bei dem man sagen<br />

kann, in <strong>Rojava</strong> findet eine Revolution statt, die irgendwie<br />

in den Sozialismus gehen könnte. Dann habe ich 2013<br />

schon das erste Mal den Wunsch geäussert dorthin zu<br />

gehen. Das war aber eine Zeit, als GenossInnen mit mir<br />

diskutiert haben, die gesagt haben, dass das vielleicht<br />

jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist, dass man<br />

da später nochmal darüber diskutieren kann. Als dann<br />

auch meine Freundin und Genossin Ivana gegangen ist,<br />

war dann aber noch mal ein zweiter Punkt, bei dem ich<br />

gesagt habe, ich will auch gehen.<br />

Der allerletzte Moment, als ich dann auch gesagt habe,<br />

22


jetzt hält mich erst Mal gar nichts mehr hier (ob mit<br />

Hilfe, ob mit dem Segen oder nicht, werde ich dort<br />

hingehen um zu kämpfen) war dann, als im September<br />

und Oktober 2014 Kobanê belagert worden ist und wir<br />

eigentlich im Minutentakt vor dem Rechner hingen und<br />

versucht haben die neusten Informationen, den Stand<br />

der Kämpfe zu erfahren. Es war eine Zeit, in der es<br />

innerlich in mir gebrannt hat, wo ich nicht mehr ruhig<br />

sitzen konnte hier, wo mir das Auf-Demonstrationen-<br />

Gehen nicht mehr gereicht hat. Dann habe ich gesagt,<br />

in spätestens zwei Wochen bin ich drüben. Irgend einen<br />

Weg werde ich schon finden und ja, es hat dann auch<br />

geklappt.<br />

Im Oktober und November 2014 bin ich dann nach<br />

<strong>Rojava</strong> gereist und habe mich dort dem MLKP-Bataillon<br />

angeschlossen, das gerade neu aufgebaut worden war.<br />

Schon ein, zwei Jahre vorher haben einzelne MLKP<br />

KämpferInnen in den Reihen der YPG gekämpft und<br />

zu dem Zeitpunkt wurde eine eigene Einheit aufgebaut,<br />

ein eigenes Bataillon gegründet und auch die ersten<br />

Vorbereitungen und Diskussionen zur Gründung des<br />

internationalen Bataillons wurden damals gemacht.<br />

Darin wurde ich dann auch direkt eingebunden.<br />

Damals habe ich auch lange Zeit mit der Genossin Ivana<br />

zusammen gekämpft und gelebt. Dann haben wir im<br />

Juni das internationale Freiheitsbataillon gegründet,<br />

was erst mal ein Zusammenschluss von bereits dort<br />

kämpfenden revolutionären Organisationen aus der<br />

Türkei war, woran aber eben auch einzelne Leute aus<br />

anderen Ländern teilnahmen; zum Beispiel ich oder<br />

andere Leute aus Deutschland. Zudem waren da ein<br />

Genosse aus Griechenland, GenossInnen aus Spanien<br />

usw., die alle dort die ersten Schritte des internationalen<br />

Freiheitsbataillon mitgegangen sind. Das hat sich<br />

mittlerweile auch recht stark ausgebreitet; das heisst<br />

das Bataillon ist gewachsen, auch an internationaler<br />

Beteiligung.<br />

Ich bin jetzt seit einem halben Jahr wieder zurück in<br />

Deutschland. Ich musste <strong>Rojava</strong> verlassen, weil ich<br />

verletzt wurde, wäre aber aus eigenem Antrieb vielleicht<br />

noch ungefähr ein halbes Jahr länger geblieben.<br />

Es war von Anfang an mein Ziel mindestens ein Jahr<br />

zu bleiben, um wirklich auch etwas sagen zu können<br />

über die Erfahrung, die man dort macht. Das bedingt<br />

über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit zu<br />

haben, verschiedene Seiten des Ganzen zu sehen, und<br />

damit einen umfassenderen Einblick in die Sache zu<br />

bekommen.<br />

23


Kannst du genauer beschreiben, was für einen<br />

Einblick du meinst?<br />

Da wäre natürlich auch die Möglichkeit gewesen drei<br />

Monate oder ein halbes Jahr dort zu bleiben. Aber wir<br />

haben sehr schnell rausgefunden, dass es, wenn man<br />

nur so einen kurzen Zeitraum bleibt, sehr vom Glück<br />

abhängig ist, wie viel man dort miterleben kann. Es<br />

gibt verständlicherweise auch Zeiträume, wo man lange<br />

Zeit nicht im heissen Krieg ist und wo quasi eine Patt-<br />

Situation vorherrscht. Es sind beispielsweise Situationen,<br />

wenn aufgrund der Jahreszeit keine grossen Operationen<br />

möglich sind oder wenn Kräfte gerade gesammelt und<br />

Pläne gemacht werden für die nächsten Angriffe und<br />

Operationen. Deswegen wollte ich ein Jahr bleiben und<br />

das hat dann auch ziemlich geholfen.<br />

Das bedingt aber auch, dass ich Zeiten mitgemacht habe,<br />

wo die grosse Herausforderung darin lag, irgendwie die<br />

Zeit totzukriegen. Das sind Zeiträume, in denen man<br />

monatelang darauf gewartet hat, dass die Operationen<br />

losgehen. Dann gab es aber auch Momente, als Schlag auf<br />

Schlag die heisse Phase kam, wo wir innerhalb kürzester<br />

Zeit in den Kampf um die Südgrenze <strong>Rojava</strong>s eingezogen<br />

wurden. Dort kämpften wir um die Gebirgskette<br />

Kizwanan (arab.Abdul Aziz). Ich habe auch im Kampf<br />

um die Stadt Heseke mitgemacht. Dort existierte lange<br />

Zeit eine dreifache Teilung der Stadt; das heisst es gab<br />

ein Teil, der von den Assad Truppen besetzt war, ein Teil<br />

Daesh und ein Teil, der schon von der YPG kontrolliert<br />

wurde. Ein anderer Kampf war die Zusammenführung<br />

der Kantone Cizîre und Kobanê, wo wir in den Kämpfen<br />

um Girê Spî (ar. Tel Abyad) teilnehmen konnten. Das<br />

waren dann auch die prägenden Erfahrungspunkte, die<br />

ich dort erlebt habe.<br />

Was würdest du sagen, hast du aus dieser<br />

Erfahrung heraus gelernt?<br />

Das habe ich schon so oft irgendwie versucht zu erzählen<br />

und ich habe mir auch selber Gedanken darüber gemacht.<br />

Aber immer wieder, wenn ich darüber gefragt werde,<br />

finde ich es schwer, eine gute Antwort darauf zu finden.<br />

Eine Sache, die ich aus dem ganzen Prozess <strong>Rojava</strong><br />

gelernt habe, ist, dass die revolutionäre Realität<br />

oftmals nicht so abläuft, wie wir uns das vorstellen,<br />

oder wie wir uns das aus theoretischen Analysen<br />

heraus denken. Es ist doch so, dass das Leben<br />

tagtäglich immer wieder konkrete Fragen stellt,<br />

auf die man als Revolutionär und als revolutionäre<br />

Bewegung Antworten finden muss. Oftmals kann<br />

man dabei nicht mit fertigen Konzepten daran<br />

arbeiten. Doch wenn man diese fertigen Konzepte<br />

noch nicht hat, muss das nicht zwangsläufig bedeuten,<br />

dass man sich zurückzieht um mögliche Konzepte zu<br />

erschliessen. Es geht nicht darum ja keine Fehler zu<br />

machen und dadurch letztendlich gar nichts machen<br />

zu können, sondern darum, dass man immer wieder<br />

ins kalte Wasser gehen und Dinge auch ausprobieren<br />

muss.<br />

Ich finde, dass die kurdischen GenossInnen bewiesen<br />

haben, dass dies enorm wichtig ist um zu überleben<br />

und um überhaupt eine revolutionäre Perspektive<br />

im Chaos des weltweiten politischen Geschehens<br />

aufbauen zu können. Die gleiche Erfahrung habe ich<br />

mit den kommunistischen GenossInnen gemacht, die<br />

aus der Türkei nach <strong>Rojava</strong> gegangen sind. Bevor<br />

sie sagen konnten, was <strong>Rojava</strong> für ein Projekt ist, das<br />

heisst ob das nun eine Revolution ist, wie man sie aus<br />

dem marxistischen Lehrbuch kennt usw., wollten sie<br />

die Sitation vor Ort erleben. Natürlich gibt es dabei<br />

wichtige Fragen: Kann man das, was hier geschieht,<br />

tatsächlich unterstützen? Wollen wir das unterstützen?<br />

Inwiefern wollen wir das unterstützen? Machen wir eine<br />

Solidaritätserklärung dazu oder schicken wir dutzende<br />

GenossInnen hin, mit dem Bewusstsein, dass diese dort<br />

auch sterben können und damit in der politischen Praxis<br />

im eigenen Land dementsprechend fehlen werden? Doch<br />

die GenossInnen sind den Schritt gegangen zu sagen, ok,<br />

wir wissen noch nicht wohin das geht und dieser Prozess<br />

ist in alle Richtungen offen, trotzdem werden wir uns,<br />

mit allen möglichen Konsequenzen, daran beteiligen.<br />

Das ist etwas, was auch mir die Motivation gegeben<br />

hat zu sagen, ja ich werde das jetzt auch machen, ohne<br />

schon vorher eine klare Antwort auf mögliche Fragen<br />

zu haben. Aber natürlich stellen sich mir auch diese: Ist<br />

es für mich als Revolutionär beispielsweise wichtiger<br />

in Deutschland oder in Europa zu arbeiten, wo die<br />

revolutionäre Bewegung in der Defensive ist und da<br />

alle meine Kraft aufzuwenden? Wäre es nicht wichtiger,<br />

gerade dort zu sein und zu kämpfen? Solche Fragen<br />

konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht abschliessend klären,<br />

aber bevor ich daraus eine Lähmung oder so erfahren<br />

habe, habe ich gesagt, ok ich mache das jetzt und ich<br />

kann im Nachhinein bewerten ob das richtig war oder<br />

nicht. Ich werde nichts verlieren! Und gerade das ist<br />

auch eine Erfahrung, die ich mitgenommen habe und<br />

die ich versuchen werde in meiner revolutionären Arbeit<br />

und in meinen politischen Perspektiven einzubauen.<br />

Die Frage, die du am Schluss angegangen bist, ist<br />

ja gar nicht so einfach zu beantworten. Denn der<br />

Transport von den Erfahrungen in den Prozess hier<br />

in Europa, wo die revolutionäre Seite tatsächlich<br />

in der Defensive ist, obwohl oder gerade weil auch<br />

wahrscheinlich die Verschärfung, die Polarisierung<br />

sehr stark und sehr schnell zunimmt und die Rechte<br />

eine andere Antwort bereit hat als wir von der linken<br />

Seite, ist ja nicht ganz einfach. Wie kann dieser<br />

Transport, diese Erfahrung, diese Fragestellung<br />

denn für hier verwendet werden?<br />

Ich glaube dafür war es wichtig, dass sowohl Genossin<br />

24


Ivana, ich, als auch andere Leute damals als erste gesagt<br />

haben, wir werden jetzt den Schritt machen und einfach<br />

mal vor Ort hingehen. Das heisst nach <strong>Rojava</strong> zu gehen<br />

und dies nicht nur irgendwie als Delegierte, sondern<br />

tatsächlich um am Kampf daran teilzunehmen. Um<br />

Erfahrungen zu sammeln, die man transportieren kann.<br />

Und man sieht ja heute, dass wir damit auf jeden Fall ein<br />

grosses Ziel erreicht haben, nämlich Leute zu bewegen,<br />

selber aktiv zu werden: Beispielsweise indem Leute<br />

aktiver in der Solidaritätsarbeit wurden oder eben auch<br />

den Schritt gewagt haben zu sagen, auch wir wollen das<br />

machen.<br />

Viele Leute, die vielleicht im Kopf schon ähnliche<br />

Gedanken hatten, aber die das zu dem Zeitpunkt nicht<br />

konkretisieren konnten, haben durch unsere Praxis<br />

den Entschluss fassen können, eine solche Erfahrung<br />

ebenfalls zu machen. Unsere Aktivitäten haben<br />

gezeigt, dass in <strong>Rojava</strong> Strukturen bestehen und es die<br />

Möglichkeiten gibt, dorthin zu gehen. Jetzt ist es natürlich<br />

wichtig, damit das Ganze nicht irgendwie verpufft<br />

oder zumindest nicht ins Leere läuft, die Erfahrungen<br />

auch zu verallgemeinern, zu konkretisieren und daraus<br />

Schlussfolgerungen zu ziehen.<br />

Dafür wird es auch noch ein bisschen Zeit brauchen.<br />

Denn das sind alles auch persönliche Erfahrungen, die<br />

man macht, die man auch erst einmal mit sich selbst<br />

ausarbeiten muss. Es gibt da auch viele Sachen, für<br />

die man erst für sich eine Antwort finden muss. Aber<br />

dann kommt eben auch der Schritt, wo man sagt, ich<br />

habe nicht nur eine private Erfahrung gemacht, sondern<br />

habe aufgrund dessen, was ich erlebt habe, auch eine<br />

Verantwortung gegenüber anderen Menschen und<br />

gegenüber der Bewegung. Diese Verantwortung besteht<br />

darin, die Erfahrungen mitzuteilen und Einschätzungen<br />

abzugeben, um diese zur Diskussion zu stellen. Nur<br />

weil ich oder andere jetzt da waren, heisst das nicht,<br />

dass wir bessere Analysen zu der Revolution dort oder<br />

zum bewaffneten Kampf haben. Aber wir haben andere<br />

Sachen sehen können, mit anderen Leuten sprechen<br />

können, dadurch haben wir eine andere Perspektive<br />

gewonnen. Eventuell konnten wir andere Ideen<br />

entwickeln und die kann man diskutieren und dann wird<br />

die Bewegung zeigen müssen, ob und was sie daraus<br />

mitnimmt und zu welchen Punkten sie sagt, ja das sind<br />

Sachen, die für uns wichtig sind oder das sind Sachen,<br />

mit denen wir arbeiten können. Das heisst natürlich<br />

auch, dass man bei einigen Punkten sagen wird, dass das<br />

Fragen sind, die in <strong>Rojava</strong> gelten aber für Europa anders<br />

gestellt werden müssen. Dafür ist es wichtig, dass die<br />

Diskussion und der Austausch stattfindet und dass dies<br />

auch eine Kontinuität erhält.<br />

Was mich in der Auseinandersetzung mit der<br />

YPJ, oder überhaupt mit der kurdischen Bewegung,<br />

beindruckt hat, ist, dass sie eine Methode entwickelt<br />

haben, wie sie zur Analyse kommen und wie sie<br />

entscheiden, was für ihren Kampf wichtig ist oder<br />

nicht. Ich denke, dass es viele Sachen gibt, die man<br />

lernen kann und man sagen kann, das lässt sich<br />

verallgemeinern und auch übertragen. Für mich<br />

bedeutet dies insbesondere die Übertragung einer<br />

Methode, wie man zu Einschätzungen und daraus<br />

25


auch zu richtigen strategischen Zielsetzungen kommt.<br />

Die Herangehensweise wie die kurdische Bewegung<br />

mit Situationen umgeht, um herauszufinden was zu tun<br />

sei, hat mich sehr beeindruckt. Sie stellen die Frage<br />

danach, was die richtige Antwort in dieser Etappe ist,<br />

in der sie sich jetzt befinden. Solche methodischen<br />

Herangehensweisen habe ich für mich mitgenommen.<br />

Man sieht den Erfolg ihrer Methode ja auch in ihrer<br />

Praxis, denn sie sind tatsächlich in der Lage, im Moment<br />

auf jeden Fall, die strategischen Aufgaben, die sich ihnen<br />

stellen, beantworten zu können.<br />

Wahrscheinlich müssen wir uns in dieser Richtung<br />

auch überlegen, welche Elemente sind für uns wichtig.<br />

Ich hatte das Glück auch in einen Schulungskurs über<br />

Strategie und Taktik reinhören zu dürfen und das war<br />

sehr beeindruckend. Das heisst interessant war vor<br />

allem, mit welcher Methode sie an Fragestellungen ran<br />

gehen und weniger die konkrete Umsetzung, weil das<br />

ist viel zu verschieden von unserer Geschichte, unserer<br />

Kultur und unserer Bedingungen. Aber die Methodik<br />

vom Erkenntnisprozessen und dann die Umsetzung<br />

in Theorie und Praxis, diese ganze Reflexion, diese<br />

Dialektik, die sie sich erarbeiteten und auch noch immer<br />

am entwickeln sind, ist schon sehr beeindruckend.<br />

Ich glaube, dass das etwas ist, was wir sehr gut von<br />

den Strukturen der PKK lernen können. Vielleicht liegt<br />

ihre Stärke darin, dass sie aufgrund ihrer konkreten<br />

Situation einfach dazu getrieben worden sind, viel zu<br />

experimentieren und mit offenem Kopf an die Sachen zu<br />

gehen. Was heissen kann, auch alte Konzepte über Bord<br />

zu schmeissen und sich neuen Konzepten zu öffnen. Ein<br />

weiterer Grund ist nicht zuletzt auch, dass die PKK mit<br />

einem Volk zu tun haben, das über mehrere Länder verteilt<br />

ist, in denen überall eine andere politische Situation<br />

vorherrscht. Das heisst beispielsweise andere Arten der<br />

Repression existieren. Das bedeutet, dass sie irgendwann<br />

gemerkt haben, wir können nicht ein Konzept verfolgen,<br />

das überall gleich gilt, sondern wir haben entweder in<br />

den verschiedenen Ländern unterschiedliche Fragen<br />

vorgefunden oder wir haben gelernt, dass auf dieselben<br />

Fragen unter unterschiedlichen Bedingungen andere<br />

Antworten gefunden werden müssen.<br />

26


Dadurch, dass die PKK eine Partei und zugleich eine<br />

Bewegung ist, die es seit Jahrzehnten gibt, haben sie auch<br />

einen reichen Schatz an Erfahrungen und das ist etwas,<br />

worauf wir als RevolutionärInnen aus Europa schauen<br />

müssen und woraus wir lernen können. Denn es ist eine<br />

der grössten Schwächen von revolutionären Bewegungen<br />

in imperialistischen Zentren, dass sie noch immer stark<br />

durch Betonköpfigkeit oder durch Dogmatismus geprägt<br />

ist. Und nun habe ich die Erfahrungen gemacht, mit denen<br />

ich mit dem Vorschlaghammer auf diese Betonköpfe ein<br />

bisschen draufhauen kann.<br />

Wenn man mit den gleichen Organisationen hier in<br />

imperialistischen Zentren diskutiert, oder in <strong>Rojava</strong>,<br />

dann hat man manchmal das Gefühl, es handelt sich<br />

nicht um dieselben Gruppen. Da realisiert man dann,<br />

dass Organisationen und Menschen sich im Kampf<br />

entwickeln und im Kampf diese Beweglichkeit, von<br />

der du gesprochen hast, notwendig ist. Darunter<br />

fällt auch die Frage nach der Einheit. Das kann<br />

zum Beispiel heissen, die Einheit ins Zentrum zu<br />

stellen und nicht das Trennende. Das ist auch in den<br />

anderen Interviews immer wieder betont worden.<br />

Zum Beispiel hat der Verantwortliche der TKP/ML-<br />

TIKKO zum Schluss gesagt: „Sag den GenossInnen<br />

in Europa die Wahrheit: Die revolutionäre Wahrheit<br />

liegt im Kampf und der Kampf der ist hier.“<br />

Ja, das ist auch etwas, was gerade für die Organisationen<br />

aus der Türkei wichtig ist. Wenn man zum Beispiel auf die<br />

Gründung des internationalen Freiheitsbataillons schaut:<br />

Da haben sie einen Schritt in Richtung Aufreissen der<br />

Grenzen zwischen den Organisationen gemacht, die sich<br />

sonst im politischen Alltag mit Argusaugen anschauen<br />

und immer abwägen, was der andere macht und will.<br />

Durch den gemeinsamen Kampf ist eine neuere Qualität<br />

entstanden. Die Gründung des Bataillons ist eben nicht<br />

nur wertvoll, weil da Kampfeinheiten zusammen gezogen<br />

worden sind und nicht nur, weil man nach klassischer<br />

Algebra einfach fünf plus fünf zusammenzählt und dann<br />

die Einheit plötzlich aus zehn Leute besteht. Sondern<br />

weil ein dialektischer Sprung gemacht wurde und<br />

mehrere Leute und Gruppen zusammengekommen sind.<br />

Die neue Kraft basiert auf einer neuen Qualität und ich<br />

glaube so ein Denken kann man auch gut nach Europa<br />

transportieren.<br />

Wenn ich zum Beispiel einen Genossen anschaue, der<br />

mittlerweile wieder in Deutschland ist: Früher hätte<br />

er niemals die theoretischen Publikationen irgend<br />

einer anderen Partei ausser seiner eigenen in die Hand<br />

genommen und mittlerweile macht er keinen Unterschied<br />

mehr, aus welcher politischen Tradition man jetzt kommt,<br />

oder in welcher Partei man organisiert ist, sondern er<br />

bewertet die Leute danach, ob sie im Kampf sind und<br />

erklärt die Leute dadurch zu seinen GenossInnen und<br />

nicht mehr dadurch, dass sie im selben Verein oder in<br />

derselben Partei aktiv sind. Das sind Sachen, die einen<br />

auf jeden Fall verändern.<br />

Und die gehören meiner Meinung auch zur<br />

Verallgemeinerung, das kann man auf jeden Fall<br />

transportieren. Ich fand auch interessant, was du zum<br />

Freiheitsbataillon gesagt hast. Kannst du vielleicht<br />

noch was zur Gründung sagen?<br />

Ja die Gründung war insofern interessant, als dass die<br />

ersten Schritte noch ziemlich von einer alten Denkweise<br />

begleitet waren. Das heisst, dass die Diskussionen zu<br />

Beginn der Gründung noch stark von einem Denken<br />

begleitet war, wo es stets nur um «meine Gruppe, meine<br />

Gruppe» ging. Danach hat sich dies verändert und alte<br />

Denkweisen sind mehr und mehr aufgebrochen worden.<br />

Am Anfang mussten natürlich grundsätzliche Dinge<br />

geklärt werden; zum Beispiel, dass es eine militärische<br />

Einheit ist. Die Hierarchie musste geklärt werden, das<br />

heisst wer ist Kommandant, wer ist Unterkommandant<br />

und so weiter. Am Anfang erlebte ich hierbei noch eine<br />

Denkeweise, in der sich die Leute gefragt haben, was es<br />

bedeutet, wenn jetzt jemand Kommandant aus der einen<br />

Partei ist und man selbst aber von der anderen kommt.<br />

Daraus ergaben sich Fragen, wie etwa ist der Kommandant<br />

in der Hierarchie nun mein Ansprechpartner, oder habe<br />

ich mich nach der Hierachie meiner Partei zu richten?<br />

Es war zu Beginn auch ein wenig ein Aushandeln.<br />

Beispielsweise indem die einen sagen, eure Partei<br />

darf den Kommandanten des Bataillons stellen, dafür<br />

darf unsere Partei den Pressesprecher stellen. Es gab<br />

zu Beginn also ein falsches Gerechtigkeitsgefühl,<br />

wo man vielmehr geschaut hat, dass es für alle gleich<br />

sein muss und nicht danach gefragt hat, wer bringt die<br />

besten Voraussetzungen für etwas mit. Das wurde aber<br />

immer besser verstanden. Leider bin ich aber schon<br />

anderthalb Monate nach der Gründung verletzt worden<br />

und musste <strong>Rojava</strong> verlassen. Deswegen kann ich<br />

nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, wie es<br />

weitergegangen ist. Aber schon nach den ersten Wochen<br />

habe ich eine positive Veränderung wahrgenommen und<br />

hoffe, dass es auch in diese Richtung weiter gegangen<br />

ist.<br />

Das heisst es gab schon von Anfang an Kritik<br />

/ Selbstkritik und diese Reflektionen war ein Teil<br />

davon?<br />

Ja, auf jeden Fall! Das sind Sachen, die auch bei den<br />

ersten Kritik / Selbstkritiken immer wieder ein Thema<br />

waren.


28


Internationalist I<br />

«Ich wollte nicht nur in Büchern lesen oder<br />

in Filmen sehen, was eine Revolution ist. Ich<br />

wollte es mit den eigenen Augen sehen.»<br />

Kannst du von dir erzählen, wer du bist, woher du<br />

kommst?<br />

Ich habe 2011 angefangen politische Arbeit zu machen.<br />

Als Folge von Stress mit Nazis habe ich mich dann<br />

im antifaschistischen Bereich organisiert und bin<br />

durch diese Arbeit mit antifaschistischen Gruppen<br />

in Kontakt gekommen, auch mit den GenossInnen<br />

der MLKP. Durch die MLKP habe ich relativ schnell<br />

Kontakt zum kurdischen Befreiungskampf bekommen.<br />

Ich habe angefangen, mich mehr mit diesem Thema<br />

zu beschäftigen, also alles was den kurdischen<br />

Freiheitskampf angeht und so weiter.<br />

Was heisst und so weiter? Das heisst, du hast dich<br />

inhaltlich damit beschäftigt?<br />

Ja, ich habe mich von Deutschland aus mit dem Kampf<br />

beschäftigt, dabei führte ich auch viele Gespräche mit<br />

GenossInnen, die in <strong>Rojava</strong> gekämpft haben oder immer<br />

noch kämpfen. Manchmal, wenn man dann in die Türkei<br />

gereist ist, kam man dann direkt in Kontakt mit den<br />

GenossInnen und lernte diese noch besser kennen.<br />

Wann war das, in welchem Jahr?<br />

Das war kurz nach den Protesten rund um den Gezi-Park.<br />

Dort habe ich ein besseres Gefühl dafür bekommen, was<br />

in der Türkei und in Kurdistan los ist. Und dann kam die<br />

Revolution in <strong>Rojava</strong>. Dann fing es auch in Europa mit<br />

den Solidaritätskundgebungen an.<br />

Ich habe mich intensiv mit dieser Revolution beschäftigt.<br />

Schliesslich habe ich, nachdem Ivana gegangen war,<br />

den Entschluss gefasst, ich möchte jetzt mehr tun, ich<br />

möchte nicht mehr hier sitzen, ich möchte aktiv vor Ort<br />

sein und mich in den Reihen der YPG oder der MLKP<br />

anschliessen und bewaffnet in <strong>Rojava</strong> kämpfen, um<br />

praktische Solidarität auszuüben.<br />

Das war das, was ich machen wollte und warum ich nach<br />

<strong>Rojava</strong> gegangen bin. Ich wollte nicht nur in Büchern<br />

lesen oder in Filmen sehen, was eine Revolution ist. Ich<br />

wollte es mit den eigenen Augen sehen. Zudem wollte ich<br />

auch lernen, was ein Krieg ist, was da mit den Menschen<br />

passiert, was wahr und was falsch ist und so weiter.<br />

Da habe ich mich entschlossen für ein Jahr nach <strong>Rojava</strong><br />

zu gehen. Ich blieb fast anderthalb Jahre. Die lange Zeit<br />

entstand, weil ich auch eine grosse Erfahrung machen<br />

wollte. Das heisst nicht nur drei Monate bleiben und dann<br />

sofort wieder gehen, sondern wirklich die Menschen,<br />

den Krieg, das Kämpfen und <strong>Rojava</strong> kennen lernen. All<br />

das nimmt Zeit in Anspruch. Darum hab ich gesagt, ich<br />

möchte mindestens ein Jahr bleiben und das, was ich<br />

dort gesehen habe und erlebt habe, dann später wieder<br />

nach Deutschland zurücktragen.<br />

Was sind denn deine Erfahrungen?<br />

In <strong>Rojava</strong> habe ich erlebt, wie die Realität aussieht,<br />

also das, was man sich vorher vielleicht in seinen<br />

romantischen Gedanken ganz anders vorstellt und man<br />

dann brutal auf den Boden der Tatsachen zurückgerissen<br />

wird. Plötzlich sieht man was der Krieg ausrichtet, selbst<br />

wenn es ein revolutionärer fortschrittlicher Krieg ist,<br />

den wir führen. Auch dieser hat seine Auswirkungen auf<br />

die Bevölkerung und auf das Land. Man ist deswegen<br />

immer in dieser Zwickmühle, zwischen einem „ok es<br />

ist schön“ und einem „es ist schrecklich“. Da steht man<br />

immer dazwischen.<br />

Wirklich schade fand ich, dass ich nicht die Chance<br />

hatte, öfters mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten.<br />

Dieses Versäumnis liegt darin, dass ich die ganze Zeit<br />

als Soldat dort war und wir nicht die Zeit hatten, wirklich<br />

mit der Zivilbevölkerung zu diskutieren. Ausser wir<br />

nahmen irgendwelche Dörfer ein und so, dann kamen wir<br />

manchmal in Kontakt. In solchen Situationen sieht man<br />

dann, was es wirklich heisst, wenn vor einer Woche noch<br />

Daesh hier war und nun plötzlich wir als revolutionäre<br />

Kraft anwesend sind. In solchen Situationen hatten wir<br />

dann schon Kontakt mit der Bevölkerung.<br />

Aber innerhalb von <strong>Rojava</strong> zum Beispiel, wo schon ein,<br />

zwei Jahre kein Krieg mehr war und wo die Revolution<br />

schon langsam angefangen hat zu arbeiten, dort hatten<br />

wir nicht die Möglichkeit, die Revolution besser kennen<br />

zu lernen. Die Frage, wie sich die Revolution entwickelt<br />

und wie das Leben weitergeht, das hat mir dann<br />

wirklich ein bisschen gefehlt, auch weil ich darin gerne<br />

Erfahrungen gemacht hätte.<br />

29


Kannst du etwas zu deiner Zeit an der Front sagen?<br />

Habt ihr da auch die Möglichkeit gehabt, über das<br />

was ihr erlebt habt zu reflektieren, zu diskutieren?<br />

Gab es da eine Möglichkeit, der Verarbeitung?<br />

Als ausländische KämpferInnen hatten wir am Anfang<br />

ein Sprachproblemen. Deswegen gab es wenig<br />

Möglichkeiten und ich glaube auch nicht, dass dies<br />

generell gemacht wird. Davon habe ich zumindest nichts<br />

mitbekommen.<br />

Da ist ein bisschen ein Defizit, darüber haben wir auch<br />

gesprochen. Denn man muss auch damit einen kollektiven<br />

Umgang finden. Man muss darüber reden, was man<br />

sieht, was man erlebt und was man macht. Es ist wirklich<br />

wichtig, damit umzugehen, sonst geht es auch einmal<br />

nach hinten los. So was ist schon auch vorgekommen.<br />

Es ist nicht die Regel, sondern es sind Einzelfälle.<br />

Dennoch gab es Situationen, wo Leute Flashbacks und<br />

so was hatten und dann auch durchgedreht sind. Das<br />

passiert aber nicht oft. Das sind halt auch die normalen<br />

Auswirkungen vom Krieg und das braucht dann wirklich<br />

einen richtigen Umgang damit.<br />

Nach jedem Fronteinsatz gibt es immer diese<br />

Kritikrunden und da hat man ein bisschen die Chancen<br />

über Probleme zu sprechen. Doch oft geht es mehr<br />

um alltägliche Sachen, die man zu kritisieren hat.<br />

Beispielsweise im Sinne davon, dass ich dort mehr<br />

Teller spülen hätte können und so weiter. Es geht nicht<br />

um den psychologischen Bereich, es geht mehr um die<br />

alltägliche Praxis, praktische Begriffe, was man gesehen<br />

hat, was man gemacht hat und so weiter.<br />

Aber trotzdem: Auf Grund dessen, dass man nach<br />

<strong>Rojava</strong> mit dem Bewusstsein hingeht, dass das eine<br />

fortschrittliche Sache ist, und dadurch, dass es eine<br />

bewusste Entscheidung ist, dass ich nicht für Geld nach<br />

<strong>Rojava</strong> gehe, sondern dass ich für die Werte von Freiheit,<br />

von Gerechtigkeit kämpfe, komme ich auch leichter mit<br />

möglichen Problemen zurecht. Es ist nicht so, wie wenn<br />

ein amerikanischer Soldat nach Vietnam geht und dort<br />

irgendwelche Massaker begeht. Er hat wahrscheinlich<br />

schwerer an seinen Erlebnissen zu arbeiten, als wenn<br />

ich mit GenossInnen zusammen Seite an Seite für die<br />

Freiheit kämpfe.<br />

Als Kehrseite nanntest du den Schrecken des<br />

Krieges. Doch du hast erwähnt, dass es auch eine<br />

schöne Seite gab?<br />

Dass man beispielsweise mit GenossInnen zusammen<br />

dort ist und dass man sich an der Revolution beteiligt ist<br />

eine wirklich tolle Erfahrung. Oder dass man Teil dieses<br />

Fortschritts ist, dass das Blut, das man vergiesst, nicht<br />

umsonst ist. Ich mach hier wirklich was, wir kämpfen<br />

zusammen für eine Veränderung. Ganz klar, wenn ich<br />

einen töte, dann hab ich einen Feind weniger und das ist<br />

dann auch schön. Schön ist auch diese Lagerromantik<br />

oder wie man das nennen soll. Du sitzt da und hast deine<br />

GenossInnen um dich rum, kochst, isst zusammen, das<br />

sind durchaus schöne Aspekte. Oder du kommst in<br />

das Dorf rein, dann freuen sich alle, dass du sie befreit<br />

hast. Auch das sind Sachen, die in positiver Erinnerung<br />

30


leiben.<br />

Du bist erst seit kurzem zurück?<br />

Ja, seit einer Woche ungefähr, ein bisschen länger.<br />

Du brauchst wahrscheinlich auch noch ein bisschen<br />

Zeit, um wieder hier anzukommen?<br />

Absolut. Aktuell ist es noch schwer, da alles noch so<br />

euphorisch ist. Man kommt halt zurück, sieht alle Freunde<br />

und GenossInnen wieder. Aber wenn sich das alles setzt,<br />

dann hat man vielleicht die Zeit darüber nachzudenken,<br />

was ich aus dem Jahr, das ich erlebt habe, herausnehmen<br />

und weitergeben kann.<br />

Das Reflektieren ist noch ein grosser Sprung, du<br />

kommst von dort hier nach Europa zurück und dann<br />

muss man zuerst wieder klar kommen in dieser anderen<br />

Welt. Erst wenn das dann alles sitzt, hat man vielleicht<br />

einen klareren Blick darauf, was man dort gemacht und<br />

gesehen hat.<br />

Du hast Ivana erwähnt. Kannst du noch mehr über<br />

sie sagen? Hast du sie auch direkt vor Ort gesehen,<br />

warst du mit ihr zusammen?<br />

Ja, wir waren einige Monate zusammen in derselben<br />

Einheit der MLKP. Man kann über sie sagen, dass sie zu<br />

einem Symbol für den Internationalismus geworden ist<br />

und das ist wichtig.<br />

Hast du bereits den Eindruck, dass das, was dich<br />

angetrieben hat hinzugehen, sich bestätigt hat?<br />

Ich glaub schon. Man hat dort auch immer gemerkt,<br />

dass die GenossInnen wirklich froh darüber sind, dass<br />

man da ist. Man hat auch gesehen, dass durch unsere<br />

Entscheidung dort hinzugehen, durch Ivana, durch die<br />

anderen GenossInnen die nach <strong>Rojava</strong> gegangen sind,<br />

ein Stein ins Rollen gebracht wurde. Dieser hat dafür<br />

gesorgt, dass immer mehr Leute gingen, dass mehr über<br />

<strong>Rojava</strong> gesprochen und mehr gemacht wurde. Dadurch<br />

kann ich wirklich sagen: Ich muss nichts bereuen, es war<br />

auf jeden Fall gut, dass ich das gemacht habe und ich<br />

würde es auch wieder tun, wenn ich jetzt noch mal die<br />

Wahl hätte so etwas zu machen.<br />

Weitere Infos zu <strong>Rojava</strong>?<br />

Du bist auf der Suche nach weiteren Infos zu<br />

<strong>Rojava</strong> oder du möchtest dich mehr mit dem<br />

Thema Kurdistan befassen? Die folgenden<br />

Bücher und Webseiten bieteten hierfür einen<br />

guten Einstieg und stets aktuelle News zum<br />

Thema:<br />

Bücher:<br />

Sabio, Oso: <strong>Rojava</strong>: Die Alternative zu<br />

Imperialismus, Nationalismus und Islamismus im<br />

Nahen Osten.<br />

Schmidinger, Thomas: Krieg und Revolution in<br />

Syrisch-Kurdistan: Analysen und Stimmen aus<br />

<strong>Rojava</strong>.<br />

Flach, Anja et al.: Revolution in <strong>Rojava</strong>:<br />

Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen<br />

Krieg und Embargo.<br />

Brauns, Nick und Kiechle, Brigitte: PKK:<br />

Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes:<br />

Zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam.<br />

Webseiten:<br />

Tatort Kurdistan: http://tatortkurdistan.blogsport.<br />

de/<br />

Informationsstelle Kurdistan: https://isku.<br />

blackblogs.org/<br />

Firatnews English: http://anfenglish.com/<br />

Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit:<br />

http://civaka-azad.org/<br />

Solidaritätskampagne verschiedener<br />

internationalistischer Gruppen: https://<br />

secoursrouge.org/Solidaritatskampagne-mit-dem-<br />

Internationalen-Freiheitsbataillion-in-<strong>Rojava</strong>


Karker<br />

«Im Freiheits-Bataillon gibt es vor allem<br />

SozialistInnen, MarxistInnen, Titel LeninistInnen,<br />

KommunistInnen, so was halt. Teilweise auch<br />

AnarchistInnen.»<br />

Kannst du dich kurz vorstellen und berichten<br />

woher du kommst?<br />

Mein kurdischer Name ist Karker, ich komme aus<br />

Deutschland, stamme ursprünglich aber aus Osteuropa.<br />

Ich bin nach Deutschland eingewandert, als ich 6 Jahre<br />

alt war. Nach meiner Abitur habe ich einen freiwilligen<br />

Wehrdienst gemacht und bin danach hierher nach <strong>Rojava</strong><br />

gegangen und habe mich der YPG angeschlossen.<br />

Nach einem zweiwöchigen Training, bei dem wir mit<br />

den Waffen, die hier vorhanden sind, vertraut gemacht<br />

wurden, ging ich zunächst zu einer Einheit an den<br />

Eufrates, die auch mit vielen ausländischen Freiwilligen<br />

gefüllt war. Dort blieb ich einen Monat, bis ich mich<br />

entschied zum internationalen Tabûr zu kommen. Im<br />

internationalen Tabûr bin ich seit Ende September, also,<br />

ein paar Monate schon.<br />

Was hat dich bewogen nach <strong>Rojava</strong> zu kommen?<br />

Nach dem Abitur hast du gedacht Uni oder <strong>Rojava</strong>?<br />

Ich habe mir gedacht <strong>Rojava</strong>. Aber falls nicht,<br />

habe ich mich auch für eine Uni beworben. Das<br />

Bestätigungsschreiben habe ich dann per Email hierher<br />

nach <strong>Rojava</strong> bekommen. Aber ich hab mir gedacht, nein,<br />

ich bleibe hier. Es hat mich bewogen nach <strong>Rojava</strong> zu<br />

kommen, weil <strong>Rojava</strong> erstens wenig Unterstützung von<br />

aussen erhält. Eigentlich herrscht eine Totalblockade.<br />

Materiell ist kaum Unterstützung vorhanden. Die<br />

Menschen sind auf sich selbst gestellt und es gibt ständig<br />

diese Bedrohung durch Daesh, aber auch durch Al-Nusra<br />

und andere islamistische Gruppen.<br />

Das ist natürlich der Hauptgrund, weshalb ich nach<br />

<strong>Rojava</strong> kam. Aber man ist ja auch Teil von einem Versuch<br />

eine andere, zumindest eine bessere Gesellschaft hier im<br />

Mittleren Osten aufzubauen, in der Werte gelten können,<br />

die in Deutschland teilweise schon selbstverständlich<br />

32


sind, beispielsweise jegliches Miteinander, Demokratie,<br />

Menschenrechte, also Rechtsstaatlichkeit. Das ist hier<br />

im Mittleren Osten überhaupt nicht selbstverständlich.<br />

Es wird versucht, so etwas zu erreichen. Deshalb bin ich<br />

hier.<br />

Warum hast du gewechselt von YPG zum Freiheits-<br />

Bataillon? Was war deine Motivation?<br />

Bei der YPG gibt es erstens viele Sprachschwierigkeiten.<br />

Ausserdem war die Stimmung in meiner Einheit eher<br />

negativ. Viele andere ausländische Freiwillige sind auch<br />

oft frustriert, haben eine negative Meinung von den<br />

Kurden und sie kommen teilweise auch psychisch und<br />

körperlich nicht so sehr mit der Situation klar. Deshalb<br />

wollte ich aus meiner Einheit weg.<br />

Das internationale Bataillon bot sich halt an, weil hier<br />

mehr auf die Sprachprobleme geachtet wird. Es gibt<br />

mehr Leute, die Englisch sprechen. Die Ausbildung die<br />

jemand hier bekommt, vor allem wenn er aus einem<br />

Land wie Deutschland kommt, habe ich als ernsthafter<br />

erlebt, als bei der YPG. Wir hatten eine kleinere Gruppe,<br />

es wurde alles ernsthafter gemacht und auch kompetent.<br />

Deshalb bin ich hier.<br />

Würdest du sagen, das Freiheits-Bataillon<br />

unterscheidet sich auch politisch von den andern<br />

Bataillonen?<br />

Die YPG ist die kurdische Befreiungsbewegung. Da sind<br />

leider auch viele ungebildete Leute und unpolitische<br />

Leute dabei. Zumindest sind sie politisch nicht so hoch<br />

gebildet, denn es ist eine Volksarmee. Im Freiheits-<br />

Bataillon gibt’s vor allem SozialistInnen, MarxistInnen,<br />

LeninistInnen, KommunistInnen, so was halt. Teilweise<br />

auch Anarchisten.<br />

Bei westlichen Freiwilligen, die über die YPG Einheiten<br />

verteilt sind, ist alles vertreten. Von liberal und neutral<br />

eingestellt zu dieser Befreiungsbewegung. Leute, die<br />

halt herkommen, um gegen den Islamischen Staat zu<br />

kämpfen, weil die das für eine gute Sache halten. Das ist<br />

ihre Hauptmotivation. Manche sind politisch eher links.<br />

Nicht so sehr wie hier im IFB und manche haben auch<br />

überhaupt keine politischen Ansichten oder merkwürdige<br />

politische Ansichten. Teilweise islamophob.<br />

Das war die Erfahrung, die du gemacht hast?<br />

Nicht in meiner Einheit, aber ich habe schon ein paar<br />

Leute getroffen und von Leuten gehört, die ein bisschen<br />

islamophob sind und die hierher kommen, weil sie sagen,<br />

sonst greift uns Daesh zuhause an.<br />

Kannst du das Leben im Freiheits-Bataillon<br />

beschreiben?<br />

Derzeit sieht das Leben an der Front so aus: man hält<br />

Wache, man ist da draussen ziemlich abgeschieden,<br />

man wartet auf Operationen. Nachts muss man oft zu<br />

komischen Zeiten aufstehen.<br />

Manchmal geht man raus zu anderen Punkten wo man<br />

versucht zu beobachten und Lücken zu schliessen, die<br />

sich dadurch ergeben, dass man nachts nichts sieht.<br />

Das ist so der Tagesbetrieb auch in vielen YPG Einheiten.<br />

Man ist an der Front, man bewacht. Manchmal schiesst<br />

Daesh mit Waffen wie Raketenbatterien, Mörsern rüber,<br />

teilweise aber selten wird’s dann gefährlich. Bei den<br />

Operationen letztens, in Hol, wars schon anders. Man ist<br />

oft unterwegs, aber es kam bei den letzten Operationen<br />

nicht zu Gefechten, die sehr nahe geführt wurden. Es<br />

gab viele Luftschläge und die YPG hat schwere Waffen<br />

hingebracht. Ausserdem hat sich Daesh zurückgezogen,<br />

ziemlich geordnet. Deshalb sind wir in die Dörfer<br />

gegangen und haben die Versorgungswege gesichert. Als<br />

wir in Hol ankamen war das Ganze auch schon vorbei.<br />

Wie sieht es aus, es wird ja darüber spekuliert,<br />

dass eine nächste Offensive organisiert wird. Werdet<br />

ihr da mit einbezogen? Wisst ihr davon etwas? Wie<br />

bereitet ihr euch darauf vor?<br />

Uns wurde gesagt, falls eine Offensive gegen Rakka<br />

stattfindet, dass der Punkt den wir vorher gesichert<br />

haben, also die letzten paar Monate, bevor es nach Hol<br />

ging, dass erwartet wird, dass es dort sehr aktiv sein wird.<br />

Daher erwarten wir schon, mit einbezogen zu werden.<br />

Bald erfahre ich mehr in den kommenden Tagen.<br />

Setzt du dich damit auseinander wenn du an die<br />

Front gehst, was es bedeuten kann?<br />

Bevor ich hierher kam habe ich mich auseinander gesetzt<br />

und hatte Gespräche mit Leuten, die so was schon erlebt<br />

hatten. Aber jetzt bevor ich das erste Mal an die Front<br />

gegangen bin mit dem internationalen Bataillon und<br />

bevor ich jetzt an die Front gehe, brauche ich mich nicht<br />

zusätzlich damit auseinander zu setzen. Das habe ich<br />

schon getan.<br />

Wie sieht das bei anderen aus? Redet ihr darüber?<br />

Wir reden mehr über alltägliche Sachen. Wir reden nicht<br />

über Sachen wie «ah ich habe Angst, morgen könnte ich<br />

vielleicht sterben». Das ist auch nicht gut für die Moral,<br />

das braucht man nicht zu tun.<br />

Die Moral ist ja ein Aspekt und das Bewusstsein<br />

ein anderer Aspekt. Für das Bewusstsein, wird da im<br />

Bataillon etwas getan?<br />

Es gibt politische Schulung, die wird von der MLKP<br />

und von BÖG organisiert. Diese beiden Gruppen<br />

33


sprechen aber eben auf türkisch, die Mehrheit ist dort<br />

türkisch. Auf englisch ist halt nichts passiert. Aber<br />

man erfährt ein bisschen was durch Gespräche mit den<br />

englischsprachigen Genossen, die dort auch türkisch<br />

sprechen.<br />

Was würdest du den Genossen und Genossinnen<br />

in Europa sagen, was bedeutet es, sich für <strong>Rojava</strong><br />

einzusetzen, was bedeutet die Solidarität?<br />

Die Solidarität bedeutet hier ganz einfach praktische und<br />

materielle Hilfe. <strong>Rojava</strong> ist total blockiert. Ich war in<br />

<strong>Rojava</strong>, ich war in Şengal und ich habe sofort gesehen,<br />

dass es Unterschiede bei der Versorgung gab. In Şengal<br />

gibt es besseres Essen. Alles was wir hier haben, wird<br />

entweder hier hergestellt oder geschmuggelt. Offiziell<br />

ist <strong>Rojava</strong> ja blockiert. Deshalb bedeutet materielle Hilfe<br />

halt einen materiellen Vorteil für uns, der die YPG nach<br />

vorne bringt.<br />

Politisch gesehen braucht es mehr Informationen<br />

der gesamten Bevölkerung über die ganze kurdische<br />

Befreiungsbewegung nicht nur <strong>Rojava</strong>. Um das hier<br />

zu verstehen muss man auch verstehen was die Kurden<br />

versuchen zu erreichen. Der durchschnittliche Deutsche<br />

glaubt die PKK sei eine Terrororganisation, die kämpfen<br />

gegen die Türkei. Die YPG, die kämpfen gegen ISIS und<br />

im Irak gibt’s halt die Barzani-Regierung. Aber wofür die<br />

kurdische Bewegung kämpft und was die versuchen zu<br />

erreichen, dafür ist kein Bewusstsein da und ich denke,<br />

wenn es da wäre, dann würden auch grössere Teile der<br />

Bevölkerung das hier unterstützen.<br />

Könnte das bedeuten, dass man auch mehr<br />

vermittelt, was hier passiert und warum und<br />

wofür es passiert, damit ein breiteres Bewusstsein<br />

darüber entsteht und dann eventuell auch grössere<br />

Unterstützung?<br />

Ich erwarte nicht, dass Europa oder die USA deshalb von<br />

einem Tag auf den anderen ihre Position ändern. Aber<br />

ich denke, dass es ein Schritt sein könnte <strong>Rojava</strong> hier<br />

weiter zu unterstützen auch moralisch, politisch und<br />

militärisch.<br />

Zusatz 2016<br />

Wir haben uns vor etwa einem Jahr im Tabûr<br />

gesehen. Zwischenzeitlich warst du zurück in<br />

Deutschland, nun willst du aber wieder nach <strong>Rojava</strong><br />

gehen. Was ist deine Motivation?<br />

darin weiter zu machen, weil ich halt schon so einiges<br />

an Anstrengung da rein gesteckt habe. Während diesem<br />

Jahr habe ich mehr über die Realität in <strong>Rojava</strong> gelernt<br />

und auch darüber welche Probleme es gibt und welche<br />

Möglichkeiten <strong>Rojava</strong> für die Zukunft hat. Ich habe auch<br />

die Menschen dort kennen gelernt und so steigerte sich<br />

auch meine Motivation weiter mit den Menschen dort<br />

zusammenzuarbeiten und nicht wegzugehen und sie<br />

hängen zu lassen. Deshalb will ich zurück gehen, um<br />

weiter zu machen.<br />

Kannst du nochmals kurz was zu deiner<br />

Ursprungsmotivation sagen?<br />

Ich wollte gegen den Islamischen Staat kämpfen, wegen<br />

all dem wofür er steht, das brauche ich ja nicht zu<br />

erklären. Alle wissen warum man gegen die sein sollte.<br />

Diese Motivation ist immer noch da, genau so aber meine<br />

Motivation für die Revolution in <strong>Rojava</strong> zu kämpfen.<br />

Jetzt hat sich das vertieft, weil ich die Situation dort<br />

mittlerweile besser verstehe und weil ich mich da einige<br />

Zeit engagiert habe und mit den Menschen zusammen<br />

gelebt habe.<br />

Und da willst du weiter anknüpfen?<br />

Ja, jetzt bin ich in der TMU, der medizinischen Einheit.<br />

Das ist etwas, was in der YPG noch nicht so sehr entwickelt<br />

ist. In westlichen Ländern ist es selbstverständlich, dass<br />

jeder Soldat und Soldatin eine medizinische Ausbildung<br />

bekommt, zumindest die Grundlagen und auch etwas an<br />

grundlegender Ausrüstung mit sich trägt. In der YPG ist<br />

das noch nicht der Fall und deshalb möchte ich meine<br />

Einheit damit weiter unterstützen. Wenn es notwendig ist<br />

oder wenn ich denke, dass es eine bessere Idee ist, werde<br />

ich in ein mobiles Tabûr gehen und schauen, wie sich das<br />

entwickelt.<br />

Kannst du sagen, was ein mobiles Tabûr ist?<br />

Mobile Tabûrs sind Einheiten, die während Operationen<br />

an vorderster Front sind und die besseres Personal und<br />

eine bessere Ausrüstung haben und auch mehr Zeit<br />

abseits der Front verbringen, um zu trainieren und sich<br />

auf die nächste Operation vorzubereiten. Diese Einheiten<br />

haben einen sehr hohen Anteil an Kadern und auch viele<br />

ausländische Freiwillige, die nicht politisch gebunden<br />

sind und deren Engagement ausschliesslich militärisch<br />

ist.<br />

Meine Ursprungsmotivation ist immer noch da und<br />

dadurch, dass ich einige Zeit in <strong>Rojava</strong> war und dort<br />

Erfahrungen gesammelt habe und ich jetzt auch die<br />

Sprache so einigermassen beherrsche, bin ich bestärkt<br />

34


Titel Internationalist II<br />

«Ich denke, dass der Kampf, den wir als<br />

Revolutionäre in <strong>Rojava</strong> führen und der Kampf,<br />

den wir als Revolutionäre in Deutschland oder<br />

anderswo führen, derselbe ist, auch wenn er<br />

natürlich mit ganz anderen Mitteln und auf ganz<br />

anderen Ebenen geführt wird.»<br />

Du kommst aus Deutschland und du kämpfst im<br />

Freiheitsbataillon. Kannst du kurz sagen, was dich<br />

hierher gebracht hat, und was deine Biographie ist?<br />

Hierher gebracht hat mich meine bisherige<br />

internationalistische Arbeit. Ganz direkt hergebracht hat<br />

mich dann die Zusammenarbeit mit den kurdischen und<br />

türkischen revolutionären Strukturen in Deutschland.<br />

Vor allem die Solidaritätsarbeit, die wir von Anfang an<br />

zu <strong>Rojava</strong> gemacht haben. Seit der Erklärung <strong>Rojava</strong>‘s<br />

als befreite Gebiete, haben wir in Deutschland zu <strong>Rojava</strong><br />

gearbeitet, haben uns solidarisch auf das demokratische<br />

Projekt in <strong>Rojava</strong> bezogen, haben hervorgehoben,<br />

dass es nicht notwendig, das heisst, dass es falsch ist,<br />

sich im syrischen Bürgerkrieg auf die Seite Assads<br />

oder der freien syrischen Armee und den Handlangern<br />

des Westens zu stellen, sondern, dass mit <strong>Rojava</strong>,<br />

mit dem fortschrittlichen Kampf der KurdInnen, der<br />

revolutionären Strukturen einen dritten Weg gibt, ein<br />

fortschrittliches Modell, auf das sich revolutionäre Linke<br />

beziehen können. Wir müssen nicht zwischen Pest und<br />

Cholera wählen müssen.<br />

Am Anfang standen wir da abgesehen von den kurdischen<br />

und den türkischen Strukturen, allein und wurden<br />

auch von verschiedenen Trotzkisten als Handlanger<br />

des Imperialismus und des Westens angegriffen. Die<br />

Solidaritätsarbeit hat dann vor allem zugenommen, als<br />

<strong>Rojava</strong> mit der Schlacht um Kobanê in den Medien<br />

aufkam und sich die breite Öffentlichkeit, zumindest für<br />

die Schlacht um Kobanê, interessiert hat. Da hat auch<br />

unsere Solidaritätsarbeit nochmals zugenommen. Da<br />

haben wir viele Demonstrationen und Veranstaltungen<br />

für <strong>Rojava</strong> organisiert.<br />

Am Anfang waren es emotionale Gründe, warum ich<br />

hierher wollte. Die Grausamkeit der Daesh, also wie<br />

der Islamische Staat gegen Kobanê vorging, hat mich<br />

bewegt. Ebenso die Überfälle der an-Nusra-Banden<br />

auf <strong>Rojava</strong>. Ich wollte also hierher kommen, um hier<br />

mitzukämpfen und ganz direkt das fortschrittliche Projekt<br />

oder die fortschrittlichen Entwicklungen in <strong>Rojava</strong><br />

zu verteidigen. Dann aber, das war 2014 im Herbst<br />

und Winter, habe ich mich doch dagegen entschieden<br />

zu gehen. Ich habe alles nochmal ein bisschen sacken<br />

lassen, um im Frühjahr dann zu entscheiden hierher zu<br />

gehen. Weniger aus emotionalen Gründen, sondern um<br />

mir das Projekt <strong>Rojava</strong> näher anzuschauen und davon zu<br />

lernen und auch Erfahrungen zu sammeln auch mit dem<br />

Blick auf Deutschland mit unserer Arbeit dort.<br />

Also du suchst die Verbindung zwischen den<br />

Erfahrungen hier und dem Kampf in Deutschland?<br />

Ja, ich denke, dass der Kampf, den wir als Revolutionäre in<br />

<strong>Rojava</strong> führen und der Kampf, den wir als Revolutionäre<br />

in Deutschland oder anderswo führen, derselbe ist, auch<br />

wenn er natürlich mit ganz anderen Mitteln und auf<br />

ganz anderen Ebenen geführt wird und die Bedingungen<br />

ganz unterschiedliche sind. So kämpfen wir doch egal<br />

wo für eine menschliche Zukunft und eine lebenswerte<br />

Perspektive für alle Menschen oder für einen Grossteil<br />

der Menschen. Das ist die Verbindung. Ich denke nicht,<br />

dass ich die Erfahrung, die ich hier mache, eins zu eins in<br />

Deutschland direkt umsetzen kann, aber die Erfahrungen,<br />

die ich hier mache, die bringen mich voran und viel werde<br />

ich nutzen können.<br />

Es gibt aber einen Sprung zwischen der<br />

revolutionären Solidarität in Europa und dann die<br />

Entscheidung zu treffen, hier mit der Kalaschnikow<br />

zu kämpfen. Das bedingt ja eine reifliche Überlegung.<br />

Ja, und ich glaube viele revolutionäre Linke in<br />

Deutschland und Europa spielen mit dem Gedanken<br />

hierher zu kommen und hier wirklich mit der Waffe in<br />

der Hand zu kämpfen aber oftmals bleibt es eben bei dem<br />

Gedankenspiel, bei der Vorstellung, bei der Überlegung<br />

und ich denke erst mal haben viele ein heldenhaftes Bild<br />

oder ein heroisches Bild vom Krieg und was wir hier<br />

in <strong>Rojava</strong> machen und wie das aussieht und die meisten<br />

gehen nicht.<br />

35


Ich habe auch zuerst das emotionale wieder beiseite<br />

geschoben und reichlich überlegt, was ich will und ob<br />

ich überhaupt weg kann. Ich habe mit den Genossen und<br />

Genossinnen diskutiert. Niemand wollte, dass ich gehe.<br />

Niemand hat gesagt, «hurra, super, du bist der Held».<br />

Das Thema war auch, wie weit wir unser Land verlassen<br />

sollen und die politische Arbeit, die wir dort führen,<br />

ein Stück weit ruhen lassen sollen, um uns dann hier<br />

einzubringen.<br />

Schlussendlich war der Gedanke auf jeden Fall<br />

nochmals ganz deutlich aufzuzeigen, dass die Kämpfe<br />

zusammenhängen, auch wenn wir natürlich mit<br />

unterschiedlichen Mitteln kämpfen. In Deutschland<br />

gehen wir auf die Strasse, organisieren Demonstrationen<br />

und hier lernen wir schiessen und das ist unterschiedlich.<br />

Seit wann bist du hier?<br />

Seit dem Spätsommer 2015, also zweieinhalb Monate.<br />

Kannst du schon eine vorläufige Bilanz ziehen?<br />

Hier ist nichts so, wie ich‘s mir in Deutschland<br />

vorgestellt habe. Ich hatte ein ganz, ganz anderes Bild<br />

und in grossen Teilen, wenn man nicht direkt an der<br />

Front ist oder hinter der Front, sieht das Leben <strong>Rojava</strong><br />

ganz normal aus. Was auffällt sind die Checkpoints der<br />

Asaisch, der Polizei und es ist ganz anders und auch das<br />

Leben im Tabûr, die Ausbildung. Ich habe gedacht, die<br />

Ausbildung ist viel härter, es gäbe bedeutend mehr Sport,<br />

die Anforderungen seien höher, es sei strenger, doch das<br />

ist nicht der Fall. Es ist vielmehr ein bisschen zu liberal,<br />

die Disziplin wird zu wenig durchgesetzt denke ich, aber<br />

um jetzt ein wirkliches Fazit zu ziehen ist es zu früh.<br />

Ich bin hergekommen und zu lernen, um Erfahrungen<br />

zu sammeln und ich lerne auch, aber nicht so, wie ich es<br />

gedacht hätte.<br />

Ich kann mir vorstellen, dass, wenn du zurück bist,<br />

du dann auch zusammen mit den Genossinnen und<br />

Genossen eine Bilanz ziehen kannst und sicher auch<br />

verallgemeinern kannst, was die Lehren sind, die wir<br />

für die Revolution oder den revolutionären Prozess in<br />

Europa ziehen können.<br />

Ich denke, dass wenn ich wieder zurück bin in<br />

Deutschland, dass ich dann vor allem mit den Genossinnen<br />

und Genossen rede. Dann kann ich zum Beispiel meine<br />

Eindrücke schildern und alles nach und nach erzählen<br />

und dadurch nochmal alles mehr oder weniger in Ruhe<br />

reflektieren und auch ausführlich auf Fragen antworten,<br />

wo ich mir dann auch deutlich die Sachen nochmal ein<br />

Stück weit ins Gedächtnis rufe und nochmal überlege.<br />

Ich glaube mit einem bisschen Abstand ist es auch<br />

viel besser, wirklich ein Fazit zu ziehen und wie die<br />

Erfahrungen ein Stück weit auszuwerten.<br />

Was wir hier zum Beispiel haben, oder was vor allem<br />

ich jetzt gerade habe, ist sehr viel freie Zeit. Wenn die<br />

Ausbildung abgeschlossen ist und jetzt bin ich von der<br />

Front zurück, dann habe ich eigentlich direkt nichts zu<br />

tun. Ich muss mich den ganzen Tag selber beschäftigen<br />

und habe einfach ganz, ganz viel Zeit zum Nachdenken.<br />

Während ich in Deutschland immer mehr oder weniger<br />

in so einem Trott drin war. Ich lebte zwischen Aufstehen,<br />

arbeiten, nach Hause kommen, Essen, vielleicht Sport<br />

machen und dann die politische Arbeit und so erledigen.<br />

Selten ist eigentlich wirkliche Zeit da, um einfach in<br />

Ruhe nachzudenken. Auch wenn man nachdenkt, wenn<br />

man reflektiert, wenn man irgendwelche theoretischen<br />

Diskussionen führt, man ist immer unter einem gewissen<br />

Zeitdruck, immer damit verbunden, dass es ein Ergebnis<br />

haben muss, möglichst schnell, sonst sitzt man tagelang<br />

über irgendwelchen Texten und am Ende ist man nicht<br />

weiter.<br />

Hier ist das alles alles gar nicht der Fall. Hier hat man<br />

einfach Zeit und hier muss man auch nicht zu Ergebnissen<br />

kommen, sondern man kann einfach nachdenken und<br />

reflektieren, gar nicht mit dem Anspruch hier jetzt sofort<br />

ein Ergebnis zu haben, wo man was niederschreiben<br />

kann und weiter diskutieren kann. Ich glaube da nehme<br />

36


eden und vieles ist dann halt nicht gezielte Diskussion,<br />

sondern ist dann einfach Gespräch, was sich dann zu<br />

einer Diskussion entwickelt, wo man schlussendlich zu<br />

einem Ergebnis kommt. Aber man hat halt sehr, sehr<br />

viel freie Zeit. Viele verbringen auch sehr viel Zeit mit<br />

Lesen. Man muss die Zeit, die man zur Verfügung hat,<br />

nutzen und sich selber überlegen, wie man die nutzt und<br />

das dann anpacken.<br />

Es gibt auch einige Leute, die kommen damit nicht<br />

zurecht. Neulich gab es einen Internationalen, der hat<br />

jetzt das Tabûr verlassen, der war nur sehr kurz hier, der<br />

sass einfach den ganzen Tag auf dem Stuhl in der Sonne<br />

und hat geraucht und gewartet, dass der Tag vorbei geht.<br />

Vielfach verbringen wir die Zeit einfach mit Warten.<br />

Wir haben die Ausbildung gehabt an der Waffe, Taktik-<br />

Ausbildung und nach der Ausbildung warten wir drauf,<br />

dass man an die Front geht. Die Sache ist eben, ob man<br />

das Warten als Warten verbringt. Das passiert vielen, sie<br />

warten oder sie fangen an zu schlafen, damit das Warten<br />

schneller rum geht, anstatt etwas zu lesen. Es gibt eine<br />

reichhaltige Bibliothek auch mit deutschen Büchern. Es<br />

gibt Bücher in allen Sprachen von den Internationalen,<br />

die die hier zurückgelassen haben.<br />

Sicher auch ein Tip an diejenigen, die sich<br />

überlegen zu fahren, ist sich auf einem USB-Stick<br />

Literatur mitzunehmen. Sich auch vorzubereiten<br />

auf diese Zeit, wo keine Aktion und keine Operation<br />

stattfinden.<br />

ich dann auch einiges mit; von Gedanken, die ich mir<br />

gemacht habe über die Arbeit in Deutschland und so was.<br />

Also ich freue mich vor allem, wenn ich wieder zurück<br />

bin, mit den Genossinnen und Genossen zu diskutieren<br />

und meine Erfahrungen auszutauschen, schauen, was<br />

wir irgendwie gemeinsam da draus ziehen. Hier fällt mir<br />

das einfach noch sehr schwer.<br />

Aber hier ist es ja auch so, dass du einfach in eine<br />

neue Erfahrung eintauchst, das ist eine andere Kultur,<br />

eine andere Sprache, ein zeitliches Verständnis, das<br />

total unterschiedlich ist zur hektischen Metropole<br />

und das ist wahrscheinlich auch noch eine Umstellung<br />

und das macht wahrscheinlich auch aus, dass man<br />

sich zuerst mental auch umstellen muss. Ihr habt<br />

zum Beispiel keine Schulung. Die türkischen und<br />

kurdischen GenossInnen sitzen jetzt gerade im<br />

Schulungsraum und haben Schulung. Wie geht ihr<br />

damit um?<br />

Ja, die türkischen und kurdischen GenossInnen hatten<br />

dafür den letzten halben Monat frei, während wir an<br />

der Front waren oder teilweise noch Ausbildung hatten,<br />

hatten die nichts zu tun und dann besteht der Alltag<br />

darin, im Tabûr kleinere Arbeiten zu erledigen; ein<br />

bisschen renovieren oder einfach zusammenzusitzen, zu<br />

Literatur auf einnem Stick, Flash für den Computer oder<br />

sonst wie als Ebook mitzunehmen ist sicherlich ein guter<br />

Tipp. Also ich kam schon lange nicht mehr so viel zum<br />

Lesen.<br />

Ich habe mit einer YPJ-Kommandantin geredet.<br />

Ich hab sie gefragt - weil die ja an vorderster Front<br />

sind und Daesh nicht nur einfach ein Kriegsgegner ist,<br />

sondern sich ja auch auszeichnet durch die Barbarei<br />

- ,wie das verarbeitet wird. Da war die Antwort,<br />

dass sie versuchen, die Bildung, die Schulung, die<br />

Akademien auch mit an die Front zu nehmen und<br />

vielleicht einfach mal eine Lektion über Geschichte<br />

oder über Geographie, über Kunst, Ideologie oder<br />

strategische Schulungen zu machen. Weil die die<br />

politische Auseinandersetzung das Bewusstsein<br />

erweitert und einem dadurch auch klarer wird,<br />

warum man diese Erlebnisse überhaupt eingeht.<br />

Was wir nicht haben, ist, dass irgend jemand eine<br />

richtige Schulung oder eine strukturierte Theoriearbeit<br />

oder so was vorbereitet. Was in der freien Zeit die ganze<br />

Zeit stattfindet ist ein Erfahrungsaustausch zwischen<br />

den Internationalen auf jeden Fall und auch mit - je<br />

nachdem wie das so hinhaut mit der Sprache - mit den<br />

türkischen und kurdischen Genossen. Und das passiert<br />

die ganze Zeit und die Gründe, warum die verschiedenen<br />

37


Internationalen hier sind, sind ja ganz unterschiedlich.<br />

Obwohl das irgendwie sehr nah an der MLKP dran ist,<br />

das internationale Tabûr, quasi ideologisch und man<br />

eigentlich davon ausgehen könnte, dass die meisten<br />

Leute hier Revolutionäre sind, sich als Revolutionäre<br />

verstehen, ob sie jetzt Anarchisten sind oder<br />

Kommunisten, davon bin ich zwar ausgegangen, aber das<br />

ist nicht der Fall. Die Hälfte von den Internationalen, die<br />

hier sind, hat eigentlich keinen politischen Hintergrund.<br />

Dann gibt es natürlich ganz einfach unterschiedliche<br />

Erfahrungen. Das zeigt sich auch darin, dass die Leute<br />

ganz unterschiedliche Gründe nennen, warum sie hier<br />

sind so.<br />

Was ich zum Beispiel nie erwartet hätte, dass ich hier<br />

in <strong>Rojava</strong>, im Tabûr, auf einen Antideutschen treffe.<br />

Den gibt es hier und die Diskussionen über Israel und<br />

Palästina, die haben wir abgebrochen oder die führe ich<br />

nicht mehr. Dann geht es vielmehr um die Beweggründe,<br />

um hier zu sein. Ich will Daesh töten, ich will hier lernen<br />

und von den Revolutionären und Revolutionärinnen<br />

Erfahrungen sammeln. Es gibt natürlich dann auch<br />

ellenlange Diskussionen, die gar nicht zu Ende geführt<br />

werden und immer mal wieder fortgeführt werden.<br />

Das wirkt alles lebendig!<br />

Sehr lebendig, ja, das passiert die ganze Zeit.<br />

Und trotzdem ist man gemeinsam dann an der<br />

Front.<br />

Ja, ja, und auch nur deswegen findet glaube ich die<br />

Diskussion statt. Also in Deutschland hätte ich schon<br />

lange die Geduld verloren. Hier verlässt mich auch die<br />

Geduld, aber das ist dann ein bisschen problematisch.<br />

Aber in Deutschland hätte ich zum Beispiel die Diskussion<br />

so nicht geführt oder irgendwann beim Thema Israel und<br />

Palästina hätte ich die Geduld verloren.<br />

Gelernt habe ich hier auch, dass ich auch mit jemandem<br />

mit dem ich überhaupt nicht übereinstimme einfach<br />

geduldig sein muss. Zudem sind wir alle gemeinsam<br />

hier. Dadurch dass man im selben Boot sitzt, und wir<br />

aufeinander angewiesen sind, selbst bei grösseren<br />

ideologischen Widersprüchen und den verschiedenen<br />

Meinungen, leidet das gegenseitige Vertrauen nicht. Wir<br />

vertrauen uns gegenseitig. Aber in Deutschland wären<br />

schon ein paarmal von meiner Seite aus die Fetzen<br />

geflogen und das habe ich definitiv hier gelernt.<br />

Man lernt hier, dass man auch die Einheit und die<br />

verbindenden Elemente in den Vordergrund stellen<br />

kann?<br />

Ja es gibt auch keinen anderen Weg. Aus der Not heraus.<br />

Es kann nicht jeder für sich.<br />

38


Das ist aber eine wichtige Erfahrung!<br />

Ja, das ist teilweise auch hart zu merken, dass wir im<br />

selben Boot sitzen aber man verfolgt durchaus auch<br />

dasselbe Ziel.<br />

Was kann <strong>Rojava</strong> für uns bedeuten? Gibt es sonst<br />

noch etwas, das du sagen willst?<br />

Zusätzlich dazu, dass <strong>Rojava</strong> in den Wirren des syrischen<br />

Bürgerkriegs seinen eigenen, einen dritten Weg gegangen<br />

ist, ist <strong>Rojava</strong> für uns in Europa auch so wichtig, weil<br />

es seit langem wieder die Möglichkeit einer anderen<br />

Gesellschaft aufzeigt und uns eben eine fortschrittliche<br />

Perspektive bietet. Seit Jahren versuchen wir in Europa<br />

wieder revolutionäre Strukturen aufzubauen. Uns<br />

gelingt es aber nur bedingt, den Leuten eine Perspektive,<br />

abseits der kapitalistischen Ausbeutung oder der<br />

kapitalistischen Barbarei, aufzuzeigen und hier in <strong>Rojava</strong><br />

wird diese Perspektive seit langem wieder greifbar oder<br />

es wird versucht, diese Perspektive in die Wirklichkeit<br />

umzusetzen und aufzubauen und darum ist es eben für<br />

uns in Europa, oder für unseren Kampf, so wichtig.<br />

Internationale Solidarität<br />

Um die Kämpfe in <strong>Rojava</strong> und Bakur<br />

zu unterstützen fanden in den letzten<br />

Monaten und Jahren auch in zahlreichen<br />

europäischen Städten Solidaritätsanlässe<br />

und Demonstrationen statt. Für einen<br />

proletarischen Internationalismus!<br />

Ich will nochmals betonen, dass ich mich entschieden<br />

habe hierher zu kommen, um <strong>Rojava</strong> aus der Nähe zu<br />

betrachten, um zu lernen, um hier mitzukämpfen. Ich bin<br />

nicht wegen des Krieges hier und hoffe, dass der Krieg<br />

in <strong>Rojava</strong> bald vorbei ist, denn eine andere Gesellschaft,<br />

oder gar eine kommunistische Gesellschaft werden wir<br />

nicht in der aktuellen Kriegssituation aufbauen. Ich bin<br />

nicht hier wegen dem Krieg und auch nicht unbedingt<br />

scharf auf den Krieg. Wenn ich an die Front gehe, mache<br />

ich das, weil ich lernen will und das gehört dazu zum<br />

Lernen und zu den Erfahrungen, aber ich bin nicht scharf<br />

darauf diese Erfahrungen zu machen, aber wenns sein<br />

muss mache ich sie. Zuerst mal hoffe ich, dass alle Leute,<br />

die hier sind und kämpfen wieder gesund und munter<br />

nach Hause kommen auch wenn es wahrscheinlich nicht<br />

der Fall sein wird aber hoffen und wünschen kann man<br />

ja viel.


40


Titel Nanuk<br />

«Man hat also eine direkte Erfahrung. Man<br />

kann auf einmal von einer Utopie zu einer Praxis<br />

kommen.»<br />

Kannst du kurz sagen, wer du bist und seit wann<br />

du da bist?<br />

Ich bin Nanuk und bin jetzt ein bisschen über zwei<br />

Monate hier. Ich bin seit zirka eineinhalb Monaten im<br />

internationalen Tabûr.<br />

Kannst du auch was darüber sagen, was deine<br />

politische Geschichte ist, die dich hierher geführt<br />

hat?<br />

Ich habe eine klassische politische Laufbahn. Das<br />

heisst, ich bin seit zwanzig Jahren im Antifaschismus<br />

aktiv. Das heisst auch im militanten Antifaschismus und<br />

in der linksradikalen Bewegung und ich komme aus<br />

einer Grossstadt in Deutschland. Es ist so, dass das hier<br />

eigentlich die Fortsetzung des Antifaschismus ist, wie<br />

ich ihn in Deutschland gelebt habe. So sind es eigentlich<br />

auch dieselben Beweggründe dafür, wieso ich mich aktiv<br />

gegen Nazis geäussert und gekämpft habe und warum<br />

ich heute hier bin.<br />

Kannst du sagen, wie sich deine Entscheidung<br />

hierher zu kommen entwickelt hat?<br />

Es gibt seit vier Jahren einen Bürgerkrieg in Syrien. Da<br />

wird gegen eine Diktatur gekämpft, es gibt zehntausende<br />

Tote und das ganze wird von Europa völlig ignoriert.<br />

Das war der Hauptgrund, warum ich letztes Jahr, das<br />

heisst im im August 2014, in den Irak gegangen bin und<br />

dort konkret Flüchtlingslager besucht habe. Wir haben<br />

medizinisches Equipment und ein bisschen Kleinkram<br />

für die Kinder hingebracht. Wir haben dort auch<br />

Interviews mit den Peschmerga gemacht und ich war<br />

kurz nach einer Operation in einem PKK-Gebiet. Dort<br />

hab ich sehr viele Erfahrungen für mich gemacht, ich<br />

konnte mir dadurch sehr viel erklären und habe mir ein<br />

besseres Bild machen können.<br />

Dann kam kurz darauf Kobanê und Kobanê war etwas,<br />

was sehr, sehr präsent in der deutschen Presse war. Zu der<br />

Zeit hatte ich eine Freundin hier, die jetzt auch hier ist,<br />

und hier arbeitet. Sie bewirkt hier viel und ich hatte zu<br />

der Zeit viel Kontakt mit ihr. Das war insofern wichtig,<br />

als dass wir in Deutschland eigentlich ein Bild der<br />

Verzweiflung der Menschen und des Kampfes gesehen<br />

haben. Doch was mir hier vermittelt wurde, war<br />

vielmehr, dass die Menschen in ihrem Kampf äusserst<br />

hoffnungsvoll sind. Die Bilder, die wir in Deutschland<br />

gesehen haben, haben etwas ganz anderes vermittelt.<br />

Jedenfalls kam im Zuge dieser Kontakte dann auch die<br />

konkrete Frage, „wann kommst du?“. Ich war damals<br />

der Meinung, was soll ich da, wie kann ich da helfen?<br />

Denn ich habe ja weder eine militärische Ausbildung,<br />

noch kenne ich die Sprache. Ich hab auch keine andere<br />

Qualifikation, die ich mitbringen kann. Ich bin kein<br />

Ingenieur, der hier irgend etwas aufbauen kann oder<br />

so.<br />

Dennoch habe ich mich dann letztes Jahr im Dezember<br />

dazu entschlossen hierher zu kommen. Ab Dezember<br />

habe mich darauf vorbereitet; unter anderem mit einem<br />

Sprachkurs und mit verschiedenen Kursen, die mir hier<br />

helfen, zum Beispiel im Umgang mit Waffen. Im Juni<br />

habe ich dann konkret das Datum abgemacht und bin<br />

jetzt seit September hier.<br />

Kannst du was zu deiner bisherigen Erfahrung<br />

und deinen Eindrücken sagen?<br />

Ich kann nochmal kurz was zu dem Thema davor<br />

sagen, das heisst zu der Frage warum man hierher<br />

kommt. Im Sommer und Herbst 2015 gab es einen<br />

riesigen Flüchtlingsstrom aus Syrien nach Europa. Alle<br />

haben die Bilder des kurdischen Kindes gesehen, das<br />

im türkischen Meer ertrunken ist. Die Reflexe daraus<br />

waren, betroffen zu sein oder wegzuschauen. Europa<br />

hat auf Grund des Flüchtlingsstromes angefangen<br />

Zäune aufzubauen, da die Toten des Mittelmeeres die<br />

Menschen alleine nicht abgeschreckt haben. Europa<br />

hat gesagt, wir müssen die bösen Schleuser jagen.<br />

Doch das sind Menschen, die auf der Suche nach<br />

Zukunft, nach Hoffnung und nach Glück sind. Hier<br />

in <strong>Rojava</strong> entsteht eine Demokratie, hier entsteht eine<br />

Gesellschaft und man hat hier die Möglichkeit, diese<br />

Gesellschaft mitzugestalten, mitaufzubauen und auch<br />

zu verteidigen. Das ist der Grund warum ich hier bin.<br />

Man redet immer von Flucht und Fluchtursachen. Ich<br />

glaube, die Fluchtursache liegt hier hauptsächlich im<br />

Bürgerkrieg mit Assad. Es ist dies eine Situation, in<br />

41


Aufstehzeit. Es gibt Pläne für die Wache oder für den<br />

Küchendienstes und es gibt klare Regeln und Strukturen.<br />

Zum Beispiel, dass man den ganzen Tag in seiner<br />

Uniform zu sein hat. Man schläft hier in seiner Uniform.<br />

Doch zurück zur Struktur: Man hat Wachdienst, man<br />

hat Ausbildung an den Waffen, geht zum Frühsport<br />

und trotzdem ist es stets ein Gefühl der Freiheit, das<br />

ich vorher so nicht erlebt habe. Denn man bekommt<br />

eine ganz andere Einstellung zur Zeit. Es geht nicht<br />

mehr darum, welcher Wochentag heute ist oder welche<br />

Termine ich habe, etwa wann ich wo wie arbeiten muss.<br />

Dieses Gefühl der Freiheit besteht, obwohl es doch ein<br />

ganz enges Konstrukt ist, in dem man sich bewegt.<br />

Wir sind eigentlich ein bewegliches Tabûr. Wenn wir uns<br />

aber nicht bewegen, sind wir hier und das ist ein fünfzig<br />

mal fünfzig Meter grosser Platz, umgeben von einem<br />

Schutzwall. Also es ist räumlich sehr eng und dennoch<br />

ist dieses Gefühl der Freiheit unbeschreiblich. Gerade<br />

solche Sachen musste ich aber auch immer reflektieren,<br />

um sie für mich erklären zu können.<br />

der die demokratischen Kräfte jahrelang allein gelassen<br />

wurden und nun die islamistischen Kräfte sehr, sehr<br />

stark wurden. <strong>Rojava</strong> gibt den Menschen hingegen<br />

Hoffnung. Ja das Projekt hier gibt der ganzen Region<br />

Hoffnung, denn vom arabischen Frühling ist nicht viel<br />

übrig geblieben.<br />

Und genau das war konkret meine Erfahrung in Kobanê.<br />

Denn wann immer die Leute mich gefragt haben, warum<br />

ich aus Deutschland hierher komme, da habe ich sie<br />

gefragt, warum sie denn hier bleiben. Da haben sie<br />

gesagt, sie sind sehr stolz auf Kobanê und sie verstehen<br />

nicht, wie die Menschen fliehen können, wenn es hier<br />

etwas aufzubauen gibt. Sie waren alle sehr, sehr dankbar,<br />

dass wir aus Europa herkommen und aktiv mit unseren<br />

Möglichkeiten helfen.<br />

Doch nun zu meinen Erfahrungen im internationalen<br />

Bataillon. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, wie<br />

man hier helfen und wie man mitgestalten kann. Ich habe<br />

mich im Moment für den militärischen Teil entschieden.<br />

Man kann auch humanistische Arbeit leisten. Man kann<br />

konkrete Sachen aufbauen. Man kann sich aber auch den<br />

Tabûrs und dem Bataillon anschliessen.<br />

Es ist alles sehr, sehr strukturiert hier. Es gibt eine feste<br />

Das internationale Tabûr wird hauptsächlich von zwei<br />

politischen Gruppen organisiert. Das ist einmal die MLKP<br />

und dann die BÖG. Das sind beides türkische Parteien.<br />

Die sind, sag ich mal, ideologisch sehr starr. Wir sind<br />

meistens eine kleine Gruppe europäischer Freiwilliger,<br />

die in diesem Tabûr sind. Das Zusammenleben kann sich<br />

manchmal durchaus schwierig gestalten. Es gibt hierbei<br />

natürlich die Sprachschwierigkeiten, denn wenn zwei<br />

Drittel oder drei Viertel des Tabûrs Türkisch sprechen<br />

und der Rest sich auf Englisch unterhält, ist das nicht<br />

ganz einfach. Aber das wird alles irgendwie immer<br />

organisiert.<br />

Wir waren ungefähr zwei Wochen an dieser Stellung,<br />

bevor wir in unserer eigentlichen Aufgabe als<br />

bewegliches Tabûr an einer Operation teilgenommen<br />

haben. Die Operation war eine Operation der YPG.<br />

Da ging es erstens darum, im Bereich von <strong>Rojava</strong><br />

nach Şengal einen sicheren Korridor zu schaffen und<br />

zweitens auch um einen Schlag gegen Daesh, der diese<br />

hauptsächlich wirtschaftlich treffen sollte, weil es auch<br />

gegen die Stadt Hol ging. Hol ist nämlich eine Stadt, in<br />

der sehr viel Erdöl abgebaut wird. Als Bataillon wurden<br />

wir in dieser Operation beweglich und haben dort an<br />

diesem Angriff teilgenommen.<br />

Was kannst du zu deinen Erfahrungen an der<br />

Front sagen?<br />

Ich habe sehr viel über die Taktik der YPG und über<br />

die Struktur gelernt. Wenn man jetzt keinen harten<br />

militärischen Background hat, dann sind das sehr viele<br />

neue Erfahrungen. Beispielsweise haben wir uns als<br />

Bataillon in zwei Taxims aufgeteilt; erstens in eine<br />

offensiv und zweitens in eine defensiv.<br />

42


Was sind Taxims?<br />

Taxims sind grössere Einheiten. Es gibt erstens das<br />

Tabûr. Dann ist das Tabûr unterteilt in zwei, drei Taxims<br />

und ein Taxims ist unterteilt in Teams. Ein Taxim ist<br />

sozusagen eine grössere Einheit. Als defensives Taxim<br />

haben wir direkt an den Bergen die Front gehalten. In<br />

den Bergen waren auch die Daesh Stellungen. Wir<br />

wurden von Raketen und von Mörsern aus den Bergen<br />

heraus beschossen.Wir haben diese Stellungen gehalten,<br />

damit die offensiven Kräfte vorrücken konnten. Es war<br />

eine Offensive, die 15 Tage gedauert hat.<br />

Als persönliche Erfahrungen kann ich etwas von zwei<br />

Tagen berichten, als ich direkt am Angriff beteiligt war.<br />

Das waren die beiden Tage, an denen wir direkt Hol<br />

angegriffen haben. Ich war in einer der beiden Angriffs-<br />

Spitzen von jeweils 8 Leuten. Den ersten Tag haben wir<br />

die Berge um Hol eingenommen und sind direkt bis auf<br />

500 Meter an Hol ran. Am zweiten Tag sind wir dann<br />

früh um sieben direkt nach Hol rein und haben Hol von<br />

Daesh befreit.<br />

Ich kann kurz berichten, was ich in Hol gesehen habe.<br />

Es war auf jeden Fall eine Hochburg von Daesh. In<br />

jedem Haus, in dem ich war, habe ich Daesh Utensilien<br />

wie Fahnen, Propaganda, Zeitungen, CDs gefunden.<br />

Militärisches Equipment war auch in jedem Haus.<br />

Ich gehe davon aus, dass es viele Europäer waren,<br />

die in Hol gelebt haben. Dies schliesse ich aufgrund<br />

der Kleidungsstücke, die man dort gefunden hat oder<br />

aufgrund der Bad-Ausstattung. Es gab beispielsweise<br />

Sitztoiletten, die es sonst hier nicht gibt.<br />

Daesh selber hat sich aber, nachdem es die ersten zwei,<br />

drei Dörfer sehr hart verteidigt hat, rasch zurückgezogen.<br />

Insgesamt gab es glaube ich 33 oder 34 Tote auf Seiten<br />

der YPG. Die YPG spricht von 200 – 400 Toten Daesh.<br />

Aber Hol selber hat Daesh sehr wenig verteidigt und sie<br />

haben vorgezogen zu fliehen. Wir haben in Hol viele<br />

fertige Autobomben gefunden. Ich selber habe vier Stück<br />

gesehen. Das waren verminte Autos, die zu Bomben<br />

ausgebaut wurden. Insgesamt gab es wohl sieben davon.<br />

Es gab auch verminte Häuser und es gab Minen vor den<br />

Dörfern. Mit drei dieser Autobomben wurden wir im<br />

Kampf auch direkt angegriffen. Dabei gab auch Tote bei<br />

uns. Die Operation war auch eine Zusammenarbeit von<br />

der YPG und den westlichen Kräften. Es wurden sehr<br />

viele Drohnen-Angriffe geflogen. Es war auch eine sehr<br />

schnelle Operation, schneller glaube ich, als es die YPG<br />

selbst erwartete.<br />

gewonnen und kann sagen, wie es funktioniert. Ich kann<br />

jetzt einschätzen, wie ich mit dem psychischen Druck, der<br />

gegeben ist, wenn man an der Front ist, zurechtkomme.<br />

Man muss auch sagen, dass das Zwischenmenschliche<br />

manchmal schwierig ist. Die Versorgungslage ist nicht<br />

immer gut. Das heisst, dass es halt doch Entbehrung und<br />

Warten gibt, aber das ist eben so in solchen Kriegen. Es<br />

wird neue Offensiven geben. Es gab neuerdings vermehrt<br />

Zusammenarbeit mit der syrisch-demokratischen<br />

Armee. Das sind arabische Kräfte, mit denen die YPG<br />

zusammenarbeitet, die das Gebiet nach uns dann weiter<br />

kontrolliert und halten wird. Das ist wichtig für die Zeit,<br />

wenn es dann gegen Rakka gehen wird und wenn es<br />

dann der Zusammenschluss von <strong>Rojava</strong> und Afrin (der<br />

dritten Kanton) geschehen soll.<br />

Was willst du den Revolutionären und<br />

Revolutionärinnen in Europa sagen? Wie kann<br />

revolutionäre Solidarität nebst dem Weg, den du jetzt<br />

eingeschlagen hast, aussehen?<br />

Dieses <strong>Rojava</strong> ist ein historischer Moment, es ist<br />

eine historische Chance. Es bildet sich hier eine neue<br />

Gesellschaft heraus. Es bildet sich eine ganz neue<br />

Demokratie und man hat die Chance, sich daran zu<br />

beteiligen. Man hat hier die Chance mitzugestalten und<br />

es ist eine Möglichkeit, hier revolutionäre Praxis zu<br />

erfahren, auch unabhängig vom militärischen Bereich.<br />

Man kann auch herkommen und in andern Projekten<br />

arbeiten.<br />

Man bekommt also immer eine direkte Erfahrung. Man<br />

kann hier auf einmal von einer Utopie zu einer Praxis<br />

kommen. Es ist eine Chance, die wir haben, denn sonst<br />

sitzen wir in Europa und träumen nur von einer besseren<br />

Welt und davon, was man alles ändern möchte. Hier aber<br />

kann man mit den Menschen zusammenarbeiten, man<br />

kann an den wirklichen Ereignissen arbeiten und kann<br />

sehen, wie es wirklich funktioniert.<br />

Und man kann sehen, dass es funktioniert.<br />

Und dass es funktioniert genau! Aber auch, dass es<br />

noch viel zu zu tun und zu arbeiten gibt. Man kann<br />

also nicht nur lernen, man kann auch teilhaben. Es ist<br />

eine Möglichkeit für Revolutionäre in Europa, dass sie<br />

von ihrer Utopie in die Praxis gehen können und diese<br />

Möglichkeit, die gibt es glaube ich nicht oft.<br />

Was ist deine Bilanz aus dieser Erfahrung?<br />

Meine Bilanz ist, dass ich, wenn ich <strong>Rojava</strong> verlassen<br />

werde, wiederkomme und dass ich länger hier bleiben<br />

werde und mich weiterhin in dem militärischen Bereich<br />

engagieren werde. Ich habe jetzt einen Eindruck<br />

43


Titel Internationalist III<br />

«Man findet da Hoffnung wie ein Geschenk.<br />

Mit so wenig führen da die Menschen ihre<br />

Revolution. Sie geben ihre Zeit und arbeiten,<br />

haben den Willen weiter zu machen.»<br />

Kannst du uns sagen, wer du bist, woher du<br />

kommst und was dein politischer Hintergrund ist?<br />

Ich komme aus den Pyrenäen. Das sind die Berge<br />

zwischen Spanien und Frankreich. Ich stamme aus<br />

dem Baskenland. Meine ersten politischen Erfahrungen<br />

habe ich in einer antimilitaristischen Bewegung<br />

gemacht. Es gab früher eine grosse Bewegung gegen<br />

die Militärpflicht, das heisst gegen die Pflicht im Militär<br />

oder auch im Zivildienst zu dienen. Darin lag mein<br />

politischer Anfang. Ich bin Anarchist und immer am<br />

lernen, denn man entwickelt sich beständig weiter. Meine<br />

persönliche Entwicklung und Erfahrung beinhaltete<br />

vieles; vom Antimilitarismus bis zur Ökologie oder<br />

zum Antifaschismus. Dazu gehörten immer auch direkte<br />

Aktionen. Ich orientierte mich nicht so sehr nach<br />

grösseren Aktionen, sondern wir haben oft versucht<br />

Sachen mit Freunden zu organisieren; bei uns heisst<br />

das Affinitäts-Gruppen. Natürlich haben wir auch mit<br />

anderen Leuten und anderen Organisationen gearbeitet.<br />

Wir waren beispielsweise in Prag und in Genua wegen<br />

all diesen Gipfeltreffen, wie beispielsweise dem G8. In<br />

Prag war es noch schön, da hatten wir noch Hoffnungen,<br />

dass wir den Kampf aufnehmen können. Genua war<br />

hingegen eine grosse Enttäuschung. Politisch hat das<br />

weh getan, denn es war klar, es gab viele Trennungen,<br />

viel Dogmatismus und das hat eine grosse Zersplitterung<br />

in der Bewegung provoziert.<br />

Dann haben wir uns in unserer Arbeitsweise mehr auf<br />

kleine Gruppen konzentriert. Das bedeutete vor allem<br />

etwas in unserem Gebiet, in unserem Viertel oder in<br />

unserem Dorf zu machen. Dort betätigten wir uns<br />

durch Besetzungen und andere Arten von Aktionen;<br />

angefangen mit Sabotage bis hin zum Druck von kleinen<br />

Zeitungen oder einfach Sprays, Graffiti Aktionen was<br />

auch immer. Es war aber immer klar, dass man etwas<br />

Direktes machen muss; aber es braucht auch einen<br />

Austausch mit der Gesellschaft, sonst bleibt man alleine.<br />

Wir haben an vielen verschiedene Aspekten der<br />

sozialen Bewegungen teilgenommen und gelernt,<br />

viele Enttäuschungen erlebt und versucht uns wieder<br />

neu aufzubauen. Klar man ist ab und zu in den Knast<br />

gekommen, ab und zu in die Klandestinität gegangen,<br />

hat versucht verschiedene Wege zu entwickeln, mehr<br />

Leute zu erreichen. Man war halt immer in Bewegung.<br />

Das war ungefähr meine politische Laufbahn. Dann hatte<br />

ich am Anfang dieses neuen Jahrhunderts den Eindruck,<br />

dass es in Europa oder im Baskenland und in Spanien<br />

nicht mehr so viel zu machen gab. Das ist ja eigentlich<br />

falsch, im Gegenteil man muss alles machen. Aber wir,<br />

meine Freunde und ich, fühlten Grenzen, weil am Ende<br />

alles zu Strafen führte, das heisst ins Gefängnis, obwohl<br />

sich eigentlich nicht viel in der Gesellschaft veränderte.<br />

Wir haben dann in unserem kleinen Kreis überlegt,<br />

wie wir weiter gehen sollen. Wir haben in den Städten<br />

Besetzungen gemacht und da kam die Frage, ob es in<br />

den Städten überhaupt möglich ist, mehr zu machen. Der<br />

Feind ist gross und was kann man in einer so grossen<br />

Gesellschaft mit all diesem Konsum in seinen immensen<br />

Dimensionen tun? Klar, man kann vieles durch<br />

direkte Arbeit mit Menschen machen und man kann<br />

den Menschen auf der Strasse direkt helfen. Aber als<br />

Kollektiv war es sehr schwierig, weil man immer damit<br />

konfrontiert war, dass wenn man sich selber wirklich<br />

treu bleibt, man am Ende in den Knast gehen muss.<br />

Und im Knast, es tut mir leid, dass sagen zu müssen,<br />

kann man nicht viel machen, man ist eben eingesperrt.<br />

Dann gingen wir in die Berge, das ist ein freier Ort. Da<br />

wird man nicht kontrolliert und man kann versuchen freie<br />

autonome Gebiete zu schaffen. Man kann ein Haus in den<br />

Bergen besetzen, oder auch kleine Dörfer, die verlassen<br />

sind. Das wird auch gemacht. Aber irgendwann ist auch<br />

das eine Enttäuschung, weil jedes Mal, wenn man was<br />

versucht, kann man zwar kleine Erfolge erzielen aber<br />

dennoch resultiert daraus nie etwas grösseres. Wir haben<br />

die Erfahrung gemacht, wie man mit wenigen Mitteln<br />

und kollektiv arbeiten kann, aber man bleibt isoliert, das<br />

alles prägt die Gesellschaft nicht. Man kann zwar stolz<br />

darauf sein, was man geleistet hat und es bleibt dieses<br />

Kollektiv. Es bleibt auch die Auseinandersetzung in den<br />

Kollektiven und das geht natürlich auch weiter. Man<br />

hinterlässt schon einen Eindruck, denn hier in Europa, in<br />

unseren Gesellschaften, gibt es nicht vieles zu erschaffen.<br />

44


Und dennoch, in einem grösseren Rahmen betrachtet,<br />

sind wir in den Bergen stets isoliert geblieben.<br />

Irgendwann bin ich dann in eine Grossstadt nach<br />

Deutschland gezogen. Davor war ich in einem kleinen<br />

Dorf in den Pyrenäen, wo es keine Menschen gab. Der<br />

Umzug war im politischen Sinn eine Enttäuschung. Ich<br />

war schon 1994 in Deutschland und wenn man vergleicht<br />

wie es damals war, war das eine grosse Enttäuschung.<br />

Ich habe nicht die gleichen Menschen getroffen, die ich<br />

von früher kannte und die sozialen Bewegungen waren<br />

abgebaut. Hier in Deutschland habe ich eine ironische<br />

Linke gefunden. Ich hatte den Eindruck, die Menschen<br />

haben sich unterdrücken lassen. Es gibt keinen<br />

Widerstand mehr. Wir gehen auf Demos und die Bullen<br />

kommen und sie können sagen, das kannst du sagen, das<br />

nicht, das kann auf deinem Plakat stehen, das kann da<br />

nicht stehen.<br />

Es gibt sehr schöne Veranstaltungen, Performances,<br />

alles sehr kunstvoll. Es gibt trotzdem Initiativen, die<br />

sehr schön sind aber eben nicht kämpferisch. Ich glaube<br />

die Menschen, die Linke hier in Deutschland, haben sich<br />

kaufen lassen. Es gibt viele Stiftungen und die Leute<br />

sitzen in ihren Stiftungen und in neuen Büros, wo sie<br />

Co-Work machen. Aber was bleibt am Ende davon? Die<br />

Strasse ist verloren.<br />

Wir bleiben hier in unseren schönen Vierteln in Kreuzberg.<br />

Macht jemand die Arbeit in der Peripherie, wo die<br />

Nazis Platz gewinnen? Wo ist die Zusammenarbeit mit<br />

den Flüchtlingen oder mit den KurdInnen oder mit den<br />

TürkInnen? Eigentlich gibt es hier Menschen aus 140<br />

Ländern und wir bleiben unter uns. Mir gefällt die Arbeit<br />

auf der Strasse. Es gefällt mir, nicht nur in unserem Kitz<br />

zu bleiben.<br />

Aus persönlichen Gründen konnte ich aber nicht<br />

vieles machen, weil ich von Spanien eine Strafe auf<br />

Bewährung habe. Deswegem bin ich nicht so frei,<br />

weil ich sonst in den Knast gehe. In Spanien hatte ich<br />

Freunde, wir kennen uns seit Jahren und dann lande ich<br />

hier, wo die Menschen, die ich kannte nicht mehr da<br />

sind. Ich glaube um bestimmte Sachen zu machen und<br />

zu organisieren braucht man persönliches Vertrauen.<br />

Dann bin ich ins östliche Grenzgebiet gegangen und da<br />

war die Enttäuschung noch grösser, weil das ein braunes<br />

Gebiet ist. Da können die Nazis ganz frei ohne Probleme<br />

ihre Plakate an den Strassen plazieren. Die Leute da stört<br />

das nicht, die sind wahrscheinlich bei der NPD. Es war<br />

krass zu sehen, wie sich das entwickelt hat. Ich hatte mir<br />

das für Deutschland nicht vorstellen können, dass die<br />

Rechte so grosse Schritte nach vorne macht. Man weiss,<br />

die Leute da, die haben Waffen und es passiert nichts.<br />

Ich hatte trotzdem gute Erfahrungen gemacht, vor<br />

allem mit Kindern. Ich hatte da allein und spontan<br />

antifaschistische Erziehung gemacht. Dann bin ich<br />

wieder in die Grosstadt gegangen und irgendwann<br />

habe ich dieses Plakat auf der Strasse gefunden:<br />

Eine Solidaritätsparty und Aktionen für Kobanê und<br />

Unterstützung der Internationalen Brigaden, die ein<br />

Krankenhaus bauen wollten. Ich war überrascht, weil<br />

das war im Juni letztes Jahr und ich hätte nicht gedacht,<br />

dass die Möglichkeit da einen Wiederaufbau zu leisten so<br />

schnell kommen würde. Kobanê wurde im Januar letztes<br />

Jahr wieder erobert und im Juni gab es dann schon einen<br />

richtigen Wiederaufbau! Ich interessierte mich dafür<br />

und dachte, vielleicht ist jetzt die Gelegenheit, da was<br />

zu machen. In der Vergangenheit hatte ich schon meine<br />

ersten Erfahrungen mit KurdInnen gemacht. Ich bin<br />

Baske und natürlich gibt es ein Gefühl der Empathie.<br />

Was den KurdInnen angetan wird und was uns passiert,<br />

ist ähnlich und doch sind es andere Umstände. Europa ist<br />

nicht Kurdistan.<br />

Und so habe ich gedacht, irgendwann würde ich gerne<br />

diesen Kampf unterstützen. Einige Zeit später war ich im<br />

Baskenland und da hatte ich eine Begegnung mit einer<br />

kurdischen Familie. Geblieben ist das Gefühl diesen<br />

Menschen etwass zurückgeben zu wollen, was die mir<br />

gegeben haben. Wieder in Deutschland sagte ich mir, ich<br />

muss nur ein paar Arbeitstermine absagen, dann habe ich<br />

Zeit; ich habe die Beine und die Hände, ich gehe einfach<br />

hin und schaue mir diese Revolution an. Mein Gefühl<br />

sagte mir, dass das richtig ist. Ich habe mich informiert<br />

und dann bin ich im August letztes Jahr einfach nach<br />

Kobanê gegangen. Das war zwischen August und<br />

September 2015.<br />

Was hast du dann dort erlebt? Hast du da gefunden,<br />

wonach du gesucht hast?<br />

Ich war nicht richtig auf der Suche, ich war spontan<br />

da gelandet. Ich fragte mich, was kann ich da arbeiten,<br />

dann habe ich gedacht, ich habe meine Hände, da<br />

kann ich mindestens die Strassen reinigen. Ich bin<br />

eigentlich mit einer Gruppe des internationalen<br />

Komitee der revolutionären Organisationen (ICOR),<br />

einer Gruppe der MLPD, der Marxistisch Leninistische<br />

Partei Deutschlands, hingegangen. Da habe ich gute<br />

GenossInnen um mich gehabt. Mit den Menschen vor<br />

Ort haben wir zusammen gearbeitet und den Alltag mit<br />

ihnen verbracht. Das waren Erlebnisse mit den Menschen<br />

in Kobanê, die trotz allem da geblieben sind, trotz den<br />

Daesh, trotz dem Druck der durch den Boykott da war,<br />

trotz dem Krieg, den die Türkei gegen sie führt.<br />

Diese Menschen haben teilweise nicht einmal ein<br />

richtiges Haus. Zum Teil stehen da noch zwei Wände<br />

ohne Dach, dann machen sie eine Plane drüber und<br />

führen ihr Leben weiter. Sie bleiben da und verteidigen<br />

sich. Wer da hin kommt, ist willkommen. Das eigentlich<br />

Revolutionäre dabei ist, ohne etwas zu haben, das Leben<br />

weiter zu führen. Und dies mit Respekt für alle Menschen,<br />

die als Nachbarn und Familien da geblieben aber auch<br />

45


für die, die neu gekommen sind. Denn es kommen auch<br />

Flüchtlinge aus Syrien. Die haben auch alles verloren<br />

und sind ohne etwas nach Kobanê gekommen. Denn das<br />

ist jetzt ein sicheres Gebiet und obwohl die Front nur<br />

35km entfernt ist, sind die befreiten Gebiete natürlich<br />

die weitaus besseren Orte, als direkt an der Front leben<br />

zu müssen.<br />

Dadurch findet man dort Hoffnung wie ein Geschenk.<br />

Mit so wenig führen die Menschen ihre Revolution. Sie<br />

geben ihre Zeit und arbeiten, und haben dennoch den<br />

Willen weiter zu machen. Sie kümmern sich um ihre<br />

eigenen und die kollektiven Bedürfnisse. Die Waffen<br />

sind wichtig, weil ohne Waffen wäre diese Revolution im<br />

Moment leider nicht möglich. Man muss die Menschen<br />

verteidigen und die Dörfer, die Städte und das Land.<br />

Die Waffen, das sind nur alte Kalaschnikows. Mit diesen<br />

Kalaschnikows und ihrem Willen kämpfen sie weiter und<br />

man wundert sich, wie das möglich ist. Nach drei, vier<br />

Jahren mit so starken Feinden führen diese einfachen<br />

Menschen einen Verteidigungskampf und sie haben so<br />

grosse Schritte gemacht. Es gibt die Kräfte der YPG.<br />

Diese Milizarmee wird durch die Menschen getragen,<br />

die teilweise an der Front kämpfen und teilweise auf<br />

den Baustellen arbeiten. Die hauen auch nicht ab, die<br />

bleiben da. In Europa hört man Fragen, ob das eigentlich<br />

eine Revolution ist – tut mir leid, jetzt werde ich über<br />

das typische deutsche oder europäische Verhalten etwas<br />

sagen: Die Leute insistieren beispielsweise, dass es da<br />

aber doch noch Privatbesitz gäbe, wo also ist eigentlich<br />

eine Revolution. Dazu kann ich nur sagen: Ja, es ist eine<br />

Revolution.<br />

Die Wiedereroberung Kobanês ist der YPG zu verdanken.<br />

Die haben einen Hintergrund von 40 Jahren Kämpfe,<br />

sowohl in der Türkei als auch im Iran oder im Irak. Sie<br />

haben dabei etwas gelernt und entwickelt. Als eine der<br />

ersten Aktionen nach der Wiedereroberung Kobanês, das<br />

hat mich sehr berührt, haben sie den Kindern in Kobanê<br />

einen Film gezeigt. Das war dieser Film von Charlie<br />

Chaplin, ‚der Kid‘. Die Kinder haben viel Schweres<br />

erlebt und sie haben diesen Kindern damit wieder ein<br />

bisschen das Lachen zurückgebracht. 4 Tage lang haben<br />

sie für alle Kinder in Kobanê ‚der Kid‘ gezeigt. Das<br />

ist auch revolutionär. Welche Menschen kommen auf so<br />

eine Idee?<br />

Das trifft auch auf die Menschen zu, mit denen ich<br />

zusammen gearbeitet habe. Jeden Tag geht man arbeiten.<br />

Um 5 Uhr aufwachen, am Mittag ist es an der Sonne 40<br />

Grad, aber diese Menschen verlieren das Lachen nicht.<br />

Man kann diese Menschen nicht alles fragen. Wenn<br />

man fragt, hast du Familie, dann müssen sie vielleicht<br />

antworten, ich habe fünf Geschwister verloren und auch<br />

meinen Vater. Dennoch sind sie mit dir bei der Arbeit<br />

und zeigen keine Trauer und keine traurigen Gesichter.<br />

Im Gegenteil, sie kommen zu dir und sie singen und<br />

sie versuchen dich zu verstehen. Sie sind neugierig,<br />

wollen wissen, was du in deinem Alltag machst und<br />

sie versuchen zu lernen. Die Sprache konnte ich nicht<br />

sprechen. Aber dann singen wir miteinander und stell dir<br />

vor, ich habe sogar Geschichten auf baskisch erzählt.<br />

Die konnten sie nicht verstehen und trotzdem erzählte<br />

ich ihnen eine baskische Dichtung und sie hörten zu.<br />

Man macht sich Gedanken wegen dem bewaffneten<br />

Kampf, das ist ja auch eine moralische Entscheidung.<br />

Als ich im Sommer in Kobanê war, gab es eine Situation,<br />

wo ich fast geblieben wäre. Es war mir klar, wenn jetzt<br />

ein Angriff kommt, dann bleibe ich hier und werde<br />

kämpfen. Zum Glück ist das nicht passiert. Da habe ich<br />

auch andere Menschen getroffen und erneut habe ich fast<br />

die Entscheidung getroffen dort zu bleiben und die Waffe<br />

46


zu nehmen. Da redete ich mit ein paar Internationalen<br />

von der YPG und die haben gesagt, wir brauchen dich<br />

jetzt auf der Baustelle. Uns ist es wichtiger, dass du diese<br />

Arbeit als Zivilist, als Bauarbeiter leistest. Wir brauchen<br />

ein Gesundheitszentrum, wir brauchen ein Krankenhaus.<br />

Da habe ich gedacht, die haben recht. Meine zwei Hände<br />

sind nicht viel aber ich war nicht alleine und wenn acht<br />

Hände zusammen kommen, leisten die viel Arbeit. Da<br />

gibt es auch keine Maschinen, richtige Maschinen meine<br />

ich. Da bin ich eben auf der Baustelle geblieben.<br />

Ich hatte aber noch Verbindungen zuhause und musste<br />

deswegen zurückkommen. Ich hatte nicht geplant<br />

längere Zeit weg zu bleiben und ich konnte auch den<br />

Menschen nicht einfach die Verantwortung übergeben,<br />

sich um meine Sachen zu kümmern.<br />

Zurück in Deutschland war die Sehnsucht aber enorm.<br />

Es schmerzte nur Informationen zu bekommen, wie sich<br />

die Dinge in <strong>Rojava</strong> entwickelten. Dann kam die Frage,<br />

wann gehe ich zurück? Wie kann ich das überhaupt<br />

machen? Ich muss noch ein paar Sachen hier erledigen,<br />

bevor ich wieder gehen kann. Ich lerne jetzt auch<br />

Kurdisch, Kurmancî und irgendwann gehe ich zurück.<br />

Und dann willst du dich den YPG anschliessen?<br />

Ja, ich weiss nicht wie und ich weiss auch nicht welche<br />

Einheit aber das wird sich von selbst ergeben. Es gibt<br />

verschiedene Möglichkeiten. Es gibt das Internationale<br />

Bataillon oder es gibt die YPG. Ich glaube, ich muss<br />

zuerst dort sein und bis dann kann ich nicht sagen, ich<br />

will da oder dort hin. Ich muss sehen, was die Menschen<br />

dort wollen. Ich habe etwas Angst, weil man sieht, dass<br />

alles sehr fragil ist. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass<br />

die Dinge nicht ewig dauern. Freunde von mir sagen das<br />

immer so: wir sind jetzt hier es gibt nur den heutigen Tag.<br />

Heute, das heisst jetzt, versuchen wir alles zu machen.<br />

In <strong>Rojava</strong> gibt es das Soziale, das Militär, das<br />

Revolutionäre, das Politische und das Ökologische.<br />

Doch das alles läuft zusammen. Man kann nicht sagen,<br />

wir müssen zuerst den Krieg gewinnen und dann machen<br />

wir weiter, das geht nicht. Alles läuft gleichzeitig. Meine<br />

Angst gilt diesen Umständen.<br />

Wie lange das dauert, weiss man nicht. Das ist auch<br />

eine persönliche Sache. Denn vielleicht kann ich dieses<br />

Jahr gehen, ich weiss es nicht. Jeden Tag, den ich hier<br />

verbleiben muss, denke ich, bitte macht weiter, wartet<br />

auf mich. Ich fühle, dass ich da notwendig bin. Es gibt in<br />

Kobanê einen kleinen Containerplatz, wo die Leute mit<br />

Behinderungen, Kriegsbehinderungen, aufgenommen<br />

werden. Da gibt es ein kleine Gruppe von 10 vielleicht 15<br />

Therapeuten und Therapeutinnen. Die müssen sich um<br />

12‘500 Leuten kümmern, die durch den Krieg verletzt<br />

wurden.<br />

Ein anderer spezieller Ort ist der Friedhof von Kobanê.<br />

Da sieht man die Gräber. Da liegen Menschen, die sind<br />

1992, 1995 geboren. Ich trainiere Kinder, die bald so<br />

alt sein werden und ich denke, so, es ist genug! Es ist<br />

genug! Ich bin hier und ich habe meine Händen und<br />

ich will keinen Menschen töten aber ich will diese<br />

Menschen verteidigen. Diese Kinder übernehmen viel<br />

Verantwortung, nicht nur in den Kämpfe, auch im Alltag.<br />

Sie müssen die Familie unterstützen, müssen bei ihrer<br />

Arbeit grosse Verantwortung übernehmen. Ich sehe sie<br />

nicht mehr als Kinder, ich selbst bin nicht so fähig wie<br />

diese Menschen.<br />

Das ist auch ein Grund, wieso ich wieder gehen will.<br />

Es gibt Menschen, die füreinander Arbeit leisten,<br />

die notwendig ist, so wie diese Therapeuten und<br />

Therapeutinnen und dann gibt es solche, die wünschen<br />

sehr, dass sie woanders sein könnten, beispielsweise nicht<br />

an der Front. Und dort lägen auch meine Möglichkeiten.<br />

Denn ich bin fit, ich bin gesund und ich liebe die Freiheit.<br />

Aber ich finde Freiheit kann man nur geniessen, wenn<br />

man sie teilen kann und wenn alle anderen auch frei<br />

sind. Ich klettere in den Bergen aber wenn ich das nicht<br />

teilen kann oder wenn ich es nicht schaffen kann, dass<br />

jeder der will das erlebt, dann relativiert sich das. Diese<br />

Freiheit hat einen Sinn, wenn wir alle dafür kämpfen,<br />

dass alle Menschen diese Freiheit haben.<br />

Das ist die Motivation, aus der heraus du dich jetzt<br />

darauf vorbereitest wieder zurück zu gehen?<br />

Ja, vor allem wegen den Menschen die ich da getroffen<br />

habe, weil die sind ja dort geblieben, und irgendwann<br />

stehen sie entweder hinter einer Barrikade, wenn die<br />

Front zu ihnen kommt oder sie müssen selbst an die<br />

Front gehen. Und diese Menschen darf man nicht alleine<br />

lassen.<br />

Die Einsamkeit kann Menschen kaputt machen. Ich<br />

glaube jede/r der politischen RevolutionärInnen versucht<br />

zu kämpfen und oft fühlen wir uns alleine. Und in Kobanê,<br />

in <strong>Rojava</strong>, da haben die KurdInnen, die FreundInnen<br />

diese Einsamkeit genommen und sie kaputt gemacht. Du<br />

hast vorher gesagt, da ist man nie alleine und das ist so,<br />

denn dort gibt es immer zwei Augen in deiner Nähe und<br />

es gibt auch eine Hand, die zu dir kommt und ich glaube<br />

es ist auch ein menschlicher Aspekt zu sagen, wir sind<br />

nicht alleine.<br />

47


Mahid Eahir<br />

«Vielleicht werde ich im Krieg in <strong>Rojava</strong> schon<br />

in zwei Tagen ums Leben kommen, aber das<br />

ist für mich nicht wichtig. Für mich ist aktuell<br />

wichtiger, dass ich den Kapitalismus nicht<br />

akzeptiere.»<br />

Kannst du dich kurz vorstellen?<br />

Mein Name ist Mahid Eahir. Ich komme ursprünglich<br />

aus Europa und bin 28 Jahre alt. Was mich nach<br />

<strong>Rojava</strong> brachte? Das hat eigentlich damit angefangen,<br />

dass ich mich für revolutionäre politische Aktivitäten<br />

entschieden habe. Da ich viel gesehen und gelernt habe,<br />

weiss ich, dass es die Aufgabe eines Revolutionärs ist,<br />

die Revolution aufzubauen. Das beginnt mit der eigenen<br />

Person.<br />

Wenn man für sich ein neues Leben, ein alternatives<br />

Leben zum Kapitalismus aufbauen will, muss man<br />

mit der Arbeit an sich selber anfangen. Wir sind in der<br />

kapitalistischen Welt aufgewachsen und wir sind vom<br />

Kapitalismus beeinflusst, deshalb muss der Kampf<br />

immer bei sich selber beginnen. Wenn man diesen<br />

Kampf mit sich selber führt, kann man ihn auch für eine<br />

bessere Welt führen.<br />

Dieser Kampf bedeutet, dass man gegen die<br />

eigenen Gewohnheiten, das heisst primär gegen die<br />

kleinbürgerlichen Angewohnheiten kämpfen muss.<br />

Diese kleinen Angewohnheiten produzieren letztlich<br />

nämlich den Kapitalismus. Sie wieder loszuwerden,<br />

dazu dient der Kampf für sich selber. Ein Kampf für<br />

Disziplin und für ein kollektives Leben ist deshalb<br />

ebenso wichtig wie der ideologische Kampf, den wir für<br />

sozialistische Verhältnisse führen. Das betrifft für mich<br />

alle Beziehungen, das heisst, solche mit den Menschen,<br />

zur Umwelt, zur Politik und so weiter. All das führt<br />

irgendwann dann zur Revolution.<br />

Meine eigene „Revolution“ hat mich nach <strong>Rojava</strong><br />

gebracht, denn <strong>Rojava</strong> ist eine Revolution und meine<br />

Aufgabe ist es die Revolution mitaufzubauen. Es ist<br />

eigentlich ganz einfach: Wo eine Revolution ist, da<br />

gehört ein Revolutionär hin, dafür bin ich da; aber<br />

natürlich nicht nur dafür.<br />

In <strong>Rojava</strong> gibt es sehr viele Möglichkeiten, für<br />

alle Menschen der Welt. <strong>Rojava</strong> ist ein Ort für ein<br />

alternatives Leben. Es ist der Ort für eine alternative<br />

Gesellschaft und das ist der Weg, für den ich mich<br />

entschieden habe. Was das für mich bedeutet, kann es<br />

auch für andere bedeuten. Eine solche Entscheidung den<br />

Weg der Revolution einzuschlagen kann von der ganzen<br />

Menschheit getroffen werden. Somit ist es letztlich keine<br />

egoistische Entscheidung, die ich getroffen habe. Die<br />

Entscheidung hierher zu kommen, ist eine Entscheidung<br />

für die Zukunft aller Menschen.<br />

Vielleicht werde ich im Krieg in <strong>Rojava</strong> schon in zwei<br />

Tagen ums Leben kommen, aber das ist für mich nicht<br />

wichtig. Für mich ist aktuell wichtiger, dass ich den<br />

Kapitalismus nicht akzeptiere. Das heisst, dass ich das<br />

Leben, das der Kapitalismus mir anbietet nicht leben<br />

will. Ich will Sozialismus und ich würde, wenn andere<br />

dadurch in einer sozialistischen Welt leben können, für<br />

diesen Kampf auch sterben.<br />

Du bist aufgebrochen aus deinem Leben und<br />

bist hier als Mensch gewachsen. Kannst du etwas<br />

über dein politisches Wachsen vermitteln über die<br />

Erfahrungen, die du hier machen konntest?<br />

Politisches Wachsen das ist so: Die Revolution bringt<br />

den Menschen immer vieles bei. Doch hier haben wir<br />

den Krieg, da ist alles sehr klar. Denn was letztlich unser<br />

Ziel ist, und das gilt für alle Menschen in der Welt,<br />

sieht man hier sehr klar. Auf der einen Seite herrscht<br />

die von den ImperialistInnen, den kapitalistischen<br />

Ländern unterstützte Barbarei. Konkret bedeutet das hier<br />

Vergewaltigung und Massaker. Auf der anderen Seite<br />

erleben wir hier eine Freiheit. Und dies ist die Alternative<br />

zur Barbarei; es ist dies ein kollektives Leben.<br />

Wenn man hierher kommt, ist der Unterschied zwischen<br />

den beiden Möglichkeiten und der Kampf darum sehr<br />

sichtbar und das ist ansteckend. Du kannst das nicht<br />

mehr los werden, weil du siehst, so ist Leben. Du siehst<br />

all diese Unterschiede zwischen einem richtigen Leben<br />

und einem Leben irgendwo im Cyberspace.<br />

Du bist hierher gekommen und standest am<br />

Anfang von deinem Prozess. Was für Etappen hast<br />

48


du bis heute durchlaufen?<br />

Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten gehabt, weil auch<br />

ich beeinflusst war vom kapitalistischen Leben. Es war<br />

beispielsweise schwierig für 20 Leute zu kochen. Es<br />

war schwierig mit anderen zusammen zu arbeiten. Es ist<br />

schwierig gewesen, Arbeiten selbständig zu machen, und<br />

es war auch schwierig die Kritik von den GenossInnen<br />

zu verstehen. Manchmal sieht man das nicht so, aber die<br />

Kritik gilt eigentlich den Gewohnheiten, die man aus<br />

dem kapitalistischen Leben mitgebracht hat, nicht den<br />

Menschen an sich.<br />

Mit der Zeit versteht man das, mit der Zeit sieht man<br />

besser, wofür der Kampf hier ist. Der Kampf ist nicht<br />

gegen den Menschen, gegen die Person, der Kampf ist<br />

gegen die Gedanken, gegen die Angewohnheiten der<br />

Menschen. Das sieht man dann, aber natürlich ist es<br />

schwierig, das alles von Anfang an zu verstehen. Man<br />

versteht es erst mit der Zeit.<br />

Manchmal ist man wütend, manchmal versteht man nicht<br />

ganz, was eigentlich gemeint ist, aber irgendwann wurde<br />

auch das zu einer Etappe für mich. Es ist sozusagen eine<br />

Aufbauarbeit, die man erleben muss. Für mich ist das<br />

also auch ein Prozess gewesen und dieser Prozess geht<br />

immer weiter. Es ist nie zu Ende, es geht immer weiter<br />

und weiter.<br />

Man darf nicht aufhören auch wenn man glaubt, die Arbeit<br />

ist getan, wenn man denkt es ist fertig, dann macht man<br />

Fehler und dann fällt man zurück. Das Leben produziert<br />

sich immer neu und wir als RevolutionärInnen müssen<br />

uns ebenfalls täglich neu reproduzieren, sowohl politisch<br />

als auch ideologisch und das muss man offensiver lernen.<br />

Man muss immer offen sein, damit man etwas von den<br />

Menschen und von den GenossInnen lernt und von der<br />

Revolution und von politischen Prozessen. Das ist im<br />

Aufbauprozess für RevolutionärInnen wichtig.<br />

Was denkst du über die aktuelle Entwicklung,<br />

die in <strong>Rojava</strong> läuft, auch mit den verschiedenen<br />

Operationen, die angefangen haben und die Schritt<br />

für Schritt vorwärts gehen. Kannst du dazu was<br />

sagen?<br />

Es ist so, dass YPG, MLKP, BÖG, TIKKO und die<br />

anderen revolutionären Kräfte, die da sind, einen grossen<br />

Sieg gegen Daesh errungen haben. Wenn Daesh nicht<br />

weitergekommen und nicht grösser geworden ist, gibt<br />

es dafür nur einen einzigen Grund, und das ist die YPG<br />

und die revolutionären Kräfte, die hier unterstützen und<br />

in diesem Krieg kämpfen und auch zu MärtyrerInnen<br />

wurden.<br />

Daesh ist nicht nur ein Problem für den Mittleren Osten,<br />

Daesh ist ein Problem für die ganze Welt. Das hat man<br />

in Belgien gesehen, das hat man in Frankreich gesehen<br />

Wer war Ivana Hoffmann?<br />

Ivana Hoffmann wurde am 1. September 1995 in<br />

Emmerich geboren. Sie starb am 7. März 2015<br />

im Alter von 19 Jahren in Tel Timir, ermordet von<br />

den Terroristen des IS. Ivana lebte als mutige<br />

Internationalistin, als Freiheitskämpferin und ist<br />

für viele heute schon ein Zeichen der Hoffnung.<br />

Ivana lernte 2009 die „Bildungsstreik“-<br />

Bewegung in Duisburg kennen und wurde in<br />

diesem Zuge zum ersten Mal politisch aktiv.<br />

Später begann sie sich gegen Missstände und<br />

Ungerechtigkeit einzusetzen, organisierte<br />

den Bildungsstreik in Duisburg und nahm an<br />

zahlreichen Aktionen wie dem Revolutionären 1.<br />

Mai, den Blockupy-Protesten, antifaschistischen<br />

Demonstrationen und Aktionen gegen<br />

Frauenunterdückung und Sozialkahlschlag teil.<br />

Auch der Klassenkampf interessierte sie zunehmend<br />

und sie organisierte sich in der Jugend der<br />

Marxistischen Leninistischen Kommunistischen<br />

Partei (MLKP) der Türkei/ Kurdistan, der KGÖ<br />

(Kommunistische Jugendorganisation). Im Sommer<br />

2013 beteiligte sie sich an einer Delegation, die an<br />

einem politischen Jugendcamp und verschiedenen<br />

Demonstrationen in der Türkei teilnahm.<br />

Im Frühjahr 2014 ging Ivana nach <strong>Rojava</strong> um dort<br />

gemeinsam mit der Bevölkerung vor Ort gegen die<br />

religiös-faschistischen Banden des IS zu kämpfen<br />

und die Bevölkerung vor weiteren Massakern, Mord<br />

und Vergewaltigungen zu schützen. In <strong>Rojava</strong> war<br />

sie Teil einer Einheit internationaler KämpferInnen<br />

aus verschiedenen Ländern Europas, die in den<br />

Reihen der MLKP gegen den IS kämpfen.<br />

Mehr Infos zu Ivana: https://ivanahoffmann.<br />

wordpress.com/<br />

49


und das hat man auch in Amerika gesehen. Daesh ist ein<br />

Problem für die Menschheit und die Menschlichkeit.<br />

Und darum geht es im Kampf der YPG schliesslich und<br />

deswegen hat dieser Kampf auch einen internationalen<br />

Charakter.<br />

Wir haben mittlerweile einige Siege hinter uns. Wir<br />

haben Kobanê erobert, wir haben Girê Spî erobert, wir<br />

haben Şengal von Daesh gereinigt. Wir sind jetzt bei<br />

Minbic und wenn dann die Unterstützung aus <strong>Rojava</strong><br />

zusammenkommen, dann wird auch das ein Erfolg. Bei<br />

unseren Siegen verliert nicht nur der Daesh, sondern auch<br />

die Türkei. Und schliesslich werden auch alle die Länder<br />

verlieren, die Daesh unterstützen, sei dies öffentlich oder<br />

sei dies heimlich. Der Kampf, den wir führen, ist nicht<br />

nur gegen Daesh, sondern auch gegen die kapitalistische<br />

Barbarei in der Welt. Darum kämpfen wir auch nicht nur<br />

gegen Daesh, wir kämpfen auch gegen den Kapitalismus<br />

und gegen den Imperialismus.<br />

Daesh hat mittlerweile viel Kraft verloren. Darum<br />

suchen sie auch nach neuer Unterstützung. Darum<br />

machen sie auch solche Angriffe wie in Amerika, wie in<br />

Frankreich oder in Belgien. Sie versuchen damit unter<br />

den islamischen Völkern Propaganda zu machen, sie<br />

versuchen deren Gedanken zu verändern. Sie versuchen<br />

die Barbarei und den Islam zusammen zu bringen. Das<br />

ist aber für die islamischen Menschen, die einen richtigen<br />

Glauben zum Islam haben, eine Beleidigung.<br />

Das sieht man ja eigentlich auch in <strong>Rojava</strong>. Alle<br />

Muslime, alle SyrierInnen, das ganze ezidische Volk,<br />

alle alevitischen Völker, alle SchiitInnen, sie alle<br />

können eigentlich zusammen leben. Das ist ein seltenes,<br />

alternatives Leben. Und genau das meinen wir, wenn wir<br />

sagen, dass die Völker eigentlich Brüder und Schwestern<br />

sind. Aber der Staat und der Kapitalismus produzieren<br />

ein Denken, das dem widerspricht. Diese Ursachen zu<br />

kennen ist wichtig.<br />

Ein letzter Punkt ist die Frage der internationalen<br />

Solidarität. Was ist ihre Bedeutung und was ist die<br />

beste Form von Solidarität für revolutionäre Kräfte?<br />

Es gibt viele Möglichkeiten für Solidarität. Eine<br />

Möglichkeit ist zum Beispiel zum Ort der Revolution<br />

zu kommen und mitzuhelfen. Dabei gibt es unzählige<br />

Möglichkeiten; sie dies im Krieg, im Hospital, oder sonst<br />

wo, man kann beim Aufbau mithelfen, unterstützen,<br />

für die Revolution kämpfen und die Revolution<br />

schützen. Das ist notwendig, denn diese ist für alle<br />

RevolutionärInnen ein Schatz, ein Schatz für die Welt,<br />

wenn ich das so ausdrücken darf. Daher ist es wichtig,<br />

dass wir einen Teil hierzu beitragen.<br />

Das ist eine Möglichkeit der Solidarität. Die andere ist<br />

natürlich finanzielle Hilfe und Hilfe mit Medikamenten.<br />

Auf der anderen Seite ist es auch wichtig in anderen<br />

Ländern zu berichten und Kundgebungen zu machen.<br />

Wir müssen <strong>Rojava</strong> bei allen Menschen und bei allen<br />

Völkern zum Thema machen, damit die Menschen sehen,<br />

hier geschieht etwas Wichtiges, hier kämpfen Menschen<br />

für etwas Gutes, hier müssen wir mitmachen und hier<br />

müssen wir uns solidarisieren.<br />

Unser Ziel im Freiheitsbataillon ist es, dass wie<br />

damals, als in Spanien gegen den Faschismus von<br />

Franco gekämpft wurde, auch in diesem Krieg eine<br />

internationale Solidarität aufgebaut wird. Ich denke, das<br />

hier ist für die RevolutionärInnen ein Aufbauprozess, bei<br />

dem man mitarbeiten sollte. Wichtig ist schlussendlich,<br />

dass man das irgendwie tut, egal wie.<br />

Letztlich sind wir hier aber nicht die Feuerwehr. Wir<br />

zünden hier das Feuer an! Wir zünden es in der ganzen<br />

Welt an aber in dem Feuer wird nur der Kapitalismus<br />

verbrannt, nicht die Welt der Arbeiter und Arbeiterinnen<br />

und die Welt der unterdrückten Völker. Das hier ist ein<br />

gutes Feuer und da ist es wichtig, dass wir praktische<br />

Solidarität aufbauen.<br />

50


Moah & Rohat<br />

«Wir sind mit dem Ziel nach <strong>Rojava</strong> gegangen,<br />

von dieser Bewegung zu lernen und das war<br />

auch der Grund, warum wir zuerst ins Tabûr<br />

der YPG gegangen sind. Wir wollten sehen,<br />

wie sie sich organisieren, wie das Ganze dort<br />

funktioniert.»<br />

Wir würden gerne von euch erfahren, was<br />

eure politischen Biographien sind und worin die<br />

Motivation bestand, nach <strong>Rojava</strong> zu gehen.<br />

Moah: Ich bin seit etwa zehn Jahren politisch aktiv.<br />

Ich war in verschiedenen anarchistischen Gruppen<br />

aktiv. Das heisst aber nicht unbedingt, dass ich mich<br />

als Anarchist sehe.<br />

Das Ziel, mit dem ich nach <strong>Rojava</strong> gegangen bin,<br />

war zu lernen was es heisst, einen revolutionären<br />

Prozess in der Praxis zu führen. Zudem ging es mir<br />

darum, von den Prozessen in <strong>Rojava</strong> zu lernen und<br />

dadurch Sachen in die Schweiz zurück nehmen zu<br />

können, um auch hier die Bewegung zu unterstützen<br />

und zu fördern.<br />

Rohat: Ich stamme aus einer Familie, die schon in<br />

Lateinamerika gegen das Regime ihres Heimatlandes<br />

gekämpft haben. Meine Familie war immer schon<br />

sehr politisch und so bin ich auch in ein politisches<br />

Klima hinein geboren. Dadurch bin ich auch in<br />

verschiedenen anarchistischen, antifaschistischen<br />

und antikapitalistischen Gruppen aktiv gewesen.<br />

Ich habe auch mal versucht, einer Partei beizutreten<br />

aber da es hier keine richtigen revolutionären<br />

Parteien gibt, dauerte das nur kurz.<br />

Die Motivation nach <strong>Rojava</strong> zu gehen, war dieselbe,<br />

wie der Genosse vorhin gesagt hat. Dazu kommt,<br />

dass wir einfach die Möglichkeit gehabt haben jetzt<br />

nach <strong>Rojava</strong> zu gehen und dass ich keine Familie<br />

habe und keine zu starken Bindungen, die mich hier<br />

halten würde. Zudem sehe ich es als Revolutionär<br />

auch als meine Pflicht an, von anderen Bewegungen<br />

zu lernen.<br />

Habt ihr euch zusammen vorbereitet, gab es einen<br />

kollektiven Prozess, der zu dieser Entscheidung<br />

geführt hat?<br />

Moah: Wir haben uns natürlich vorbereitet, wir<br />

haben mit unseren GenossInnen gesprochen und<br />

diskutiert, wie wir uns vorbereiten können. Wir<br />

haben auch eine Art Notfallteam organisiert, wo wir<br />

besprochen haben, was in einem Krisenfall alles<br />

gemacht werden müsste. Wir mussten natürlich<br />

auch alltägliche Dinge organisieren, beispielsweise<br />

Fragen nach den Wohnungen und Arbeitsplätzen der<br />

Genossen. Es waren natürlich nicht alle GenossInnen<br />

informiert. Aber die Leute, die informiert waren,<br />

bei denen gab es auch einen kollektiven Prozess.<br />

Dadurch haben sich mehrere Menschen mit unserer<br />

Reise und der Rückkehr beschäftigt.<br />

Was habt ihr aus diesem Prozess gelernt? Und habt<br />

ihr Tipps für andere Menschen, die einen solchen<br />

Prozess durchmachen wollen?<br />

Moah: Was die politische Vorbereitung betrifft,<br />

standen wir etwa zwei Jahre lang in Kontakt mit<br />

den kurdischen GenossInnen. Wir haben ihre<br />

politischen Texte gelesen und diskutiert und haben<br />

uns so auf die Philosophie und auf die Theorien,<br />

die uns in <strong>Rojava</strong> erwarteten, vorbereiten können.<br />

Was wir sicher verbessern würden, ist vor allem ein<br />

praktischer Punkt: Man sollte unbedingt die Sprache<br />

lernen, bevor man geht. Zumindest ansatzweise,<br />

sodass man schon ein bisschen Kurdisch oder<br />

Türkisch sprechen kann. Damit wäre vieles viel<br />

einfacher gewesen, um in <strong>Rojava</strong> einen Lernprozess<br />

zu erleben. Wenn man die Sprache spricht, hat man<br />

auch Zugang zu den theoretischen Diskussionen, zu<br />

den Texten, die sie dort schreiben und so weiter.<br />

Rohat: Was die Rückkehr betrifft, da müsste man<br />

51


sich auch besser vorbereiten. Wir waren ja ziemlich<br />

lange dort und dann müsste man vorbereiten,<br />

wie man wieder in ein normales Leben kommt.<br />

Wir haben unsere Wohnungen und auch unsere<br />

Arbeitsstellen aufgegeben und da ist es schon<br />

schwierig, sich nach so einer Reise wieder zu<br />

integrieren. Was vor allem auch noch wichtig ist, ist<br />

die psychologische Unterstützung von GenossInnen,<br />

die zurückkommen, sowohl die Unterstützung von<br />

Leuten, die Kriegshandlungen mitgemacht haben<br />

aber auch solche, die das nicht gemacht haben. Es<br />

ist sehr wichtig, dass die Leute, die zurückkommen,<br />

psychologisch unterstützt werden.<br />

Ihr habt euch entschieden nach <strong>Rojava</strong> zu gehen<br />

und euch dort dem militärischen und nicht dem zivilen<br />

Bereich anzuschliessen. Was war eure Motivation?<br />

Moah: Also ich beginne zuerst mit einer eher<br />

persönlichen Motivation, warum ich in den<br />

militärischen Bereich gegangen bin. Ich wollte vor<br />

allem sehen, wieweit ich bereit bin zu gehen, auch<br />

militärisch. Wenn man hier in Europa am Kampf<br />

beteiligt ist, dann ist es irgendwie immer einfach<br />

zu sagen, ich bin ein Revolutionär. Aber das dann<br />

auch in einer militärischen Auseinandersetzung<br />

zu überprüfen, wie weit ich überhaupt bereit bin<br />

zu gehen, ist nochmals etwas anders. So war das<br />

für mich so eine Art Test der Praxis. Zudem ist<br />

der militärische Bereich auch eine Vorbereitung,<br />

wenn es bei uns vielleicht auch einmal zu einer<br />

militärischen Auseinandersetzung kommen wird.<br />

<strong>Rojava</strong> ermöglicht hier Erfahrungen, wie auch<br />

im militärischen Bereich revolutionäre Elemente<br />

einfliessen können, beispielsweise das Erlebnis, wie<br />

man sich militärisch organisieren kann, ohne dass<br />

es zu Unterdrückung und Ausbeutung wie in einem<br />

bürgerlichen Militär kommt.<br />

Rohat: Ich schliesse mich betreffend der Motivation<br />

dem Genossen an. Dazu kann man vielleicht<br />

noch sagen, was der Unterschied zwischen dem<br />

militärischen und dem zivilen Bereich ist. Im<br />

militärischen Bereich muss man sich noch fester<br />

hineingeben, noch stärker in der Politik mitarbeiten.<br />

Auch wollte ich unbedingt vermeiden, dass ich<br />

in die humanitäre Hilfe abschweife. Ich hatte<br />

wirklich keine Lust den Leuten dort mit Mitleid<br />

Brot zu verteilen. Ich wollte ein Teil von dieser<br />

revolutionären Bewegung sein, ohne Mitleid und<br />

Geschenke verteilen zu müssen.<br />

Ihr seid dann losgezogen. Zuerst habt ihr eine<br />

Ausbildung bei YPG gemacht und danach wart ihr<br />

im Internationalen Bataillon. Das Internationale<br />

Bataillon ist ja auch bekannt dafür, dass es versucht<br />

die revolutionäre Solidarität von Europa noch <strong>Rojava</strong><br />

und wieder zurück zu tragen. Wie habt ihr euch da<br />

zurechtgefunden?<br />

Moah: Es ist wichtig zu betonen, dass es<br />

einen Unterschied zwischen der YPG und dem<br />

Internationalen Bataillon gibt. Die YPG ist eine<br />

Massenorganisation und zieht viele Leute an, die<br />

bislang keine politische Formierung hatten. Darum<br />

ist die Frage der Ausbildung auch in theoretischen<br />

Fragen viel wichtiger als im Internationalen<br />

Bataillon, wo vielfach Leute sind, die schon eine<br />

lange politische Formierung hinter sich haben.<br />

Dabei ist es egal, ob sie aus Westeuropa oder nicht<br />

kommen. Aber jedenfalls sind die Leute schon<br />

stark politisch formiert, haben viel Theoriewissen<br />

und so weiter und sind teilweise auch schon wegen<br />

politischen Sachen im Gefängnis eingesessen oder<br />

waren in verschiedenen politischen Organisationen<br />

aktiv.<br />

Wir sind ja mit dem Ziel nach <strong>Rojava</strong> gegangen,<br />

von dieser Bewegung zu lernen und das war auch<br />

der Grund, warum wir zuerst ins Tabûr der YPG<br />

gegangen sind. Wir wollten sehen, wie sie sich<br />

organisieren, wie das Ganze dort funktioniert. Auf<br />

einer persönlichen Ebene kann ich sagen, dass ich<br />

mich mit den Leuten im Internationalen Bataillon<br />

irgendwie näher verbunden fühlte. Einfach aus<br />

dem Grund, weil die eine ähnliche politische und<br />

persönliche Laufbahn hinter sich hatten. Weil sie<br />

entweder vorher StudentInnen, Lehrlinge oder<br />

ArbeiterInnen waren und dann damit begonnen<br />

haben, sich politisch zu formieren. Dies im Gegensatz<br />

zu vielen Leuten, die in der YPG organisiert sind.<br />

Die haben sich oft angeschlossen, um ihr Land zu<br />

verteidigen, was einer ganz anderen Art der eigenen<br />

politischen Formierung entspricht.<br />

Könnt ihr vielleicht kurz erzählen, wann ihr<br />

in <strong>Rojava</strong> gewesen seid und welche wichtigen<br />

Operationen in dieser Zeit gelaufen sind.<br />

Moah: Wir waren von Ende 2015 bis im Sommer<br />

2016 da. Das war eine Zeit zwischen den grossen<br />

Operationen. Die Operation in Şedade war gerade<br />

zu Ende und es war die Zeit der Vorbereitung der<br />

Operation in Minbic. Wir erlebten also eine ruhigere<br />

und stabilere Zeit zwischen zwei Operationen. Wir<br />

sind dann auch kurz vor dem Beginn der Minbic-<br />

Operation wieder zurückgekommen.<br />

52


Was für Erfahrungen könnt ihr mitbringen für<br />

den revolutionären Prozess hier?<br />

Moah: Es gibt natürlich sehr viele Sachen, die wir<br />

zurückgebracht haben und ich werde mich hier<br />

etwas beschränken. Zuerst einmal kann man sagen,<br />

dass wir von den kurdischen Bewegungen lernen<br />

können. Dass wir hier im Westen nicht die Weisheit<br />

mit Löffeln gefressen haben. Dass wir nicht der Welt<br />

beibringen müssen, wie ein revolutionärer Prozess zu<br />

funktionieren habe. Was wir auch gesehen haben, ist,<br />

wie wichtig die Organisation ist. Wir können keine<br />

diffuse Organisierung haben, damit es funktioniert.<br />

Es braucht ein gewisses Mass an Zentralisierung<br />

in der Organisierung, um erfolgreich zu sein und<br />

das ist eben auch ein Punkt aus der militärischen<br />

Erfahrung, die wir zurückbringen.<br />

Was wir auch gelernt haben, ist wie wichtig die<br />

Vorbereitung auf den Moment, auf das Eintreffen der<br />

Revolution ist. Wir hier im Westen haben oft ein zu<br />

grosses Interesse am Aufstand, an der Insurrektion<br />

selber und sehen zu wenig, wie viel Vorbereitung<br />

das alles eigentlich braucht. Bei der kurdischen<br />

Bewegung ist das anders. Schon bevor der Krieg<br />

in Syrien, der Bürgerkrieg und die Revolution<br />

ausgebrochen sind, gab es sehr viele Strukturen<br />

und Institutionen, die funktionierten. Einerseits<br />

militärische Strukturen aber auch Strukturen der<br />

Bildung, der Räte und so weiter. Es gab auch eine<br />

jahrelange Vorbereitung auf den entscheidenden<br />

Moment.<br />

Im Norden von Syrien wurden solche Strukturen<br />

schon seit gut 20 Jahren aufgebaut. Daher bestanden<br />

zum Zeitpunkt der Revolution schon effektive<br />

Strukturen, die verankert waren in der Bevölkerung<br />

und die dann nur noch eingesetzt wurden. Dort wo<br />

der syrische Staat das Gebiet aufgegeben hat, konnte<br />

man einfach den syrischen Staat mit revolutionären<br />

Strukturen ersetzen. Und man sieht ja aktuell wie<br />

gut das funktioniert hat, dass der Norden von Syrien<br />

als Gebiet jetzt einfach am besten funktioniert.<br />

Rohat: Ebenso interessant ist, dass der ganze Prozess<br />

auch im Zivilen langsam vor sich geht. Es wird<br />

nicht versucht, Dörfer oder das Land zwangsweise<br />

zu kollektivieren. Es wird versucht, möglichst<br />

wenig Zwang anzuwenden. Den Menschen wird<br />

Zeit gelassen. Zum Beispiel wird so gearbeitet,<br />

dass in einem Dorf, wo die Kollektivierung gut<br />

funktioniert, diese gefördert und erst dann auch<br />

in einem Nachbardorf, wo die Kollektivierung<br />

vielleicht nicht so gut funktioniert, eingeführt wird.<br />

Das funktionierende Dorf soll so als Beispiel dienen,<br />

um zu zeigen, wie gut und wichtig Kollektivierung<br />

ist.<br />

Moah: Auch sind wir durch unsere Reise in<br />

Kontakt mit anderen Gruppen bei uns hier in Europa<br />

getreten und wir haben neue Anknüpfungspunkte<br />

gefunden. Ich denke es ist sehr wichtig, dass die<br />

Organisationen hier in gewissen Punkten ihren<br />

Kampf verbinden. Das kann man ja auch in den<br />

verschiedenen Regionen Kurdistans sehen, wo<br />

sich viele Organisationen zusammentun, obwohl<br />

sie nicht die gleichen Ziele haben. Aber sie haben<br />

genug gemeinsame Ziele, um sich zu Bündnissen<br />

zusammenzuschliessen und zusammen zu kämpfen.<br />

53


Lions of <strong>Rojava</strong><br />

«Die seit der Schlacht um Kobanê errungenen<br />

Siege zeigen, dass Daesh mitnichten unbesiegbar<br />

ist, vor allem aber zeigen sie den<br />

ungebrochen Willen der Revolutionär*innen<br />

Kurdistans und Syriens, die gewaltige Überzeugung,<br />

die hinter dieser Revolution steht»<br />

Wer sind die Lions, aus welchem Kontext heraus<br />

sind sie entstanden, ihre Ziele?<br />

Die Lions of <strong>Rojava</strong> sind primär eine Facebookseite.<br />

Im Herbst 2014 trat Jordan Matson, ein ex-US-Soldat,<br />

als einer der ersten Westler den YPG bei und tauchte<br />

nach einer Verletzung mehrfach in kurdischen und<br />

internationalen Medien auf. Daraufhin kontaktierten<br />

mehr und mehr westliche Ex-Militärs die YPG, um sich<br />

dem Kampf gegen Daesh anzuschließen und die „Lions<br />

of <strong>Rojava</strong>“ wurden als Facebookseite gegründet. Sie<br />

wurde haupsächlich von ZivilistInnen in Bashur geleitet,<br />

die keinen direkten Bezug zur revolutionären Bewegung<br />

hatten. Der Slogan der Seite war „Send Terrorists to<br />

Hell And Save Humanity“ und der Inhalt, ähnlich den<br />

Interviews mit Jordan Matson, sprach vor allem ein<br />

konservatives männliches Publikum an, welches sich<br />

daraufhin aufmachte, das Böse in Gestalt von Daesh<br />

zu bekämpfen. Da die Facebook-Seite zum ersten<br />

Mal einen einfachen Weg nach <strong>Rojava</strong> und zur YPG<br />

eröffnete, wurde sie auch von Linken genutzt, vor allem<br />

AnarchistInnen, die wegen der Revolution und nicht<br />

wegen des Kriegs nach <strong>Rojava</strong> kamen.<br />

Welche verschiedenen Nationalitäten sind darin<br />

vertreten?<br />

Etwa die Hälfte der KämpferInnen kommen aus<br />

Großbritannien und den USA, die andere aus Australien,<br />

Neuseeland, Kanada und allen möglichen europäischen<br />

Ländern, aber auch aus dem Iran, Brasilien, China und<br />

weiteren Staaten.<br />

Welche verschiedenen Organisationen und<br />

politischen Positionen sind darin vertreten? Was<br />

sind die Unterschiede, was ihre Einheit? Wie ist der<br />

Umgang mit den Unterschiedlichkeiten zwischen den<br />

KämpferInnen?<br />

Wie gesagt, „Lions of <strong>Rojava</strong>“ ist der Name einer<br />

Facebookseite. Auch wenn es in den Medien oft so<br />

dargestellt wurde, gibt es keine militärische Einheit,<br />

die unter diesem Namen kämpft. Mensch könnte<br />

sagen, die „Lions of <strong>Rojava</strong>“ sind das Sammelbecken<br />

der Internationalen in der YPG. Die einzige wirkliche<br />

Institution, die man ihnen zuordnen könnte, ist die<br />

Akademie, in der die Freiwilligen von außerhalb<br />

ausgebildet werden.<br />

Der Unterschied zwischen den KämpferInnen ist riesig,<br />

die Bandbreite reicht von anarchokommunistischen<br />

Radikalen bis zu faschistischen Kreuzfahrern. Dies hat<br />

natürlich zu großen Problemen geführt. Mittlerweile<br />

gibt es zum Glück einen besseren Filter, sodass Leute,<br />

die zum AraberInnen töten kommen, nicht mehr<br />

angenommen bzw zurückgeschickt werden, doch<br />

der Schaden ist angerichtet, auch was das Image der<br />

InternationalistInnen in der YPG sowohl hier als auch<br />

außerhalb angeht.<br />

Es entstehen immer mehr Frauen-Teams in den<br />

verschiedensten Bataillonen. Wie sieht dies bei euch<br />

aktuell aus, wie perspektivisch aus?<br />

Unter den Lions gibt es im Moment allenfalls genug<br />

Frauen für ein Team. Diese kämpfen allerdings einzeln<br />

oder mit anderen Internationalisten in regulären YPG/<br />

YPJ-Einheiten.<br />

Was ist das Verhältnis zwischen dem poltischen<br />

und strategisch/militärischen Charakter eures<br />

Battalions? Wie können revolutionäre Ansätze<br />

Eingang ins Militärische finden?<br />

Die Lions of <strong>Rojava</strong> haben keine eigene Organisation,<br />

sie sind, zumindest theoretisch, ein regulärer Teil der<br />

YPG. Die Facebookseite und die Webseite, die seit<br />

Sommer 2015 existiert, unterliegen mittlerweile der<br />

YPG. Die Leute, die über diese Portale nach <strong>Rojava</strong><br />

kommen, durchlaufen ein Basistraining in der Şehîd-<br />

Kemal-Akademie, die für internationale Freiwillige in<br />

der YPG gegründet wurde, und gehen dann in reguläre<br />

54


YPG-Einheiten an der Front, meistens in Teams oder<br />

Taqims mit anderen Internationalen, um das Übersetzen<br />

zu vereinfachen.<br />

Die Ausbildung dauert in der Regel einen Monat und<br />

besteht zur Hälfte aus militärischer, zur Hälfte aus<br />

ideologischer Bildung. Zu Letzterer gehören mehrtägige<br />

Seminare über die Geschichte der Frau und die des<br />

Mittleren Ostens, den Demokratischen Konföderalismus<br />

und den Moralkodex der YPG.<br />

Auf welche militär-strategischen TheoretikerInnen<br />

und historische Erfahrungen bezieht ihr euch?<br />

Aufgrund der hohen Diversität ist die Grundlage der<br />

Militärtheorie, die in der Akademie unterrichtet wird,<br />

eine abgehalfterte Version der allgemeinen YPG-Taktik<br />

und beruht vor allem auf den Erfahrungen des Guerrilla-<br />

Krieges in den anderen Teilen Kurdistans, doch seit<br />

etwa einem Jahr auch auf den jüngeren Erfahrungen<br />

des Häuserkampfes in Aleppo und Kobanê, sowie zu<br />

einem begrenzten Maße auf dem Wissen der westlichen<br />

Ex-Soldaten, von denen viele in Afghanistan und Irak<br />

gekämpft haben.<br />

Erlaubt der militärische Charakter und Einsatz<br />

des Battalions politische Debatten zwischen den<br />

verschiedenen Positionen die im Battalion vertreten<br />

sind? Wir meinen nicht, „simple“ Diskussionen<br />

zwischen KämpferInnen, sondern organisierte<br />

Debatten. Wenn ja: Wie werden diese organisiert,<br />

was ist das Hauptthema?<br />

Auf Wunsch der Rekruten fanden mehrfach organisierte<br />

Debatten in der Akademie statt. Die beiden Themen,<br />

die am häufigsten diskutiert wurden, waren zum einen<br />

die Praxis des revolutionären Systems in <strong>Rojava</strong><br />

(Funktioniert es? Funktioniert es nicht? Wie sind<br />

Politik und Wirtschaft organisiert? Was ist der Plan<br />

für die Zukunft?), und zum anderen die Ethik der YPG<br />

(kommunales Miteinander, Autonomie der Frauen, die<br />

Rolle von Kadern als „BerufsrevolutionärInne“, das<br />

Tekmil-System). An diesen Debatten nahmen auch<br />

regelmäßig politische KommissarInne der YPG und<br />

KommandantInnen aus anderen Teilen <strong>Rojava</strong>s teil, um<br />

die Fragen der Teilnehmenden zu beantworten.<br />

Wie funktioniert die politische Arbeit innerhalb<br />

des Bataillons? Gibt es Akademien, politische<br />

Diskussionen?<br />

An der Front gab es kaum politische Arbeit in den<br />

internationalen Teams, vor allem aufgrund der<br />

Sprachbarriere. Auch beschreiben sich die RekrutInnen<br />

zum großen Teil als „unpolitisch“ - einige von ihnen<br />

wussten absolut nichts über die Situation, als sie hier<br />

ankamen, und dachten, sie würden den Pêşmerga<br />

beitreten. Daher geht es vor allem darum, überhaupt<br />

ein Bewusstsein für politische Ethik, die Werte der<br />

Revolution und den Gesellschaftsentwurf <strong>Rojava</strong>s zu<br />

schaffen. In der Akademie habe ich ein Portrait von<br />

Thomas Sankara aufgehängt mit einem Zitat von ihm:<br />

„Ein Soldat ohne politische oder ideologische Bildung<br />

ist ein potentieller Krimineller.“<br />

Welches Verhältnis haben die verschiedenen<br />

Bataillone zueinander und welche Rolle spielt<br />

dabei die YPG? Gibt es Zusammenschlüsse an der<br />

Front, oder unabhängige Operationen? Wenn ja,<br />

welche und warum? Zum Beispiel stellen wir uns<br />

vor, dass die Lions durch ihre internationalistische<br />

Herangehensweise eine grosse Bedeutung haben.<br />

Alle Einheiten mit internationalen KämpferInnen<br />

gehören in letzter Instanz den YPG an. Wie bereits<br />

erwähnt, kämpfen die „Lions of <strong>Rojava</strong>“-RekrutInnen<br />

meist in internationalen Teams als Teil regulärer YPG-<br />

Tabûrs. Eine Ausnahme ist das Tabûr Şehîd Bagok, auch<br />

als 22-3-Tabûr bekannt, als Referenz zu dem Datum,<br />

an dem Bagok Serhat letztes Jahr als erster westlicher<br />

Kämpfer fiel. Es besteht ausschließlich aus Westlern,<br />

hauptsächlich Ex-Soldaten, die über die Lions of <strong>Rojava</strong><br />

herkamen. Deshalb ist seine Praxis eng an die der<br />

NATO-Armeen angelehnt, es kämpft aber ebenfalls als<br />

mehr oder weniger reguläre YPG-Einheit.<br />

Insgesamt werden viele Internationale nie an vorderster<br />

Front eingesetzt, vor allem wegen fehlender sprachlicher<br />

und militärischer Fähigkeiten. Andere wiederum haben<br />

sich bewiesen und sind Teil der mobilen Einheiten,<br />

Artillerie- und Scharfschützen-Tabûrs geworden, welche<br />

die Hauptkraft jeder YPG-Offensive sind.<br />

Haben die Lions neben militärischen auch<br />

politische oder gesellschaftliche Aktivitäten mit den<br />

Menschen in <strong>Rojava</strong>? Welche und mit welchem Ziel?<br />

Mittlerweile haben einige Internationale, vor allem<br />

jene, die aus politische Gründen kamen, die Front<br />

verlassen, um mehr über die eigentliche Revolution zu<br />

erfahren. Sie arbeiten in verschiedenen Projekten in<br />

der Zivilgesellschaft. Als Schwerpunkte können hier<br />

Medienarbeit und Medizin genannt werden. Es gibt<br />

mittlerweile mehrere Initiativen von sozialistischen und<br />

anarchistischen Kräften, die sich politischer und sozialer<br />

Arbeit in <strong>Rojava</strong> gewidmet haben, diese haben aber nur<br />

indirekt mit den Lions zu tun.<br />

Welche anderen internationalistischen Einheiten<br />

sind in <strong>Rojava</strong>, was ist das Besondere an ihnen, ihrer<br />

politischen Motivation, ihren Beziehungen zu euch<br />

und der YPG / J.<br />

Das sind vor allem türkische MarxistInnen, allen<br />

voran das Internationale Freiheitsbatallion und die<br />

anderen Einheiten der MLKP, doch auch viele kleinere<br />

55


Gruppen, wie MLSPB, BÖG und weitere. Außerdem<br />

befinden sich die „Libertarias“-Brigaden internationaler<br />

AnarchistInnen im Aufbau, diese haben bisher allerdings<br />

noch nicht an Kämpfen teilgenommen.<br />

Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Einheiten<br />

sind generell gut. Politische Differenzen, die uns unter<br />

anderen Umständen, zum Beispiel in Europa, auseinander<br />

treiben würden, spielen hier eine viel kleinere Rolle.<br />

Hier verfolgen wir ein gemeinsames Ziel, und wichtiger<br />

noch, wir stehen Seite an Seite einem faschistischen<br />

Feind gegenüber. Das schafft Vertrauen, welches unter<br />

anderen Umständen nicht möglich wäre. Auch hilft es<br />

sehr, das keine der kämpfenden internationalen Gruppen<br />

irgendwelche Machtansprüche in <strong>Rojava</strong> erhebt.<br />

Wie würdet ihr die politisch-militärische Strategie<br />

der Kräfte von <strong>Rojava</strong> gegen die Daesh definieren?<br />

Daeshs mächtigste Waffe sind die Medien. Ihre<br />

größten militärischen Erfolge errangen sie ohne großen<br />

Widerstand seiner GegnerInnen. Durch ihre geniale<br />

Propaganda stilisierten sie sich, mit Hilfe der großen<br />

internationalen Mediennetzwerke, zu unbesiegbaren und<br />

erbarmungslosen Kriegern Gottes, ein Image, das viele<br />

unbezahlte Soldaten und deren korrupte Kommandanten<br />

von Mossul bis Raqqa zur Flucht oder zum Überlaufen<br />

trieb. Die eigentichen Schlachten sind meist kurz,<br />

Daesh zermürbt seine Gegner mit äußerst wirksamer<br />

psychologischer Kriegsführung. Es ist buchstäblich die<br />

Kunst des Terrors, die sie beherrschen.<br />

Der Grund, warum die YPG und YPJ und ihre Verbündeten<br />

als einzige Kampfverbände wirklich erfolgreich gegen<br />

Daesh sind, ist zum Einen ihre taktische Flexibilität,<br />

zum Anderen ihre ideologische Kraft. Die Taktiken von<br />

YPG und Daesh sind sich zum Teil sehr ähnlich - kleine<br />

Gruppen, mobile Kampfverbände, Guerrillakampf –<br />

beide kämpfen für ein klares Ziel und gemäß einer<br />

mächtigen Philosophie. Vor allem aufgrund ihrer starken<br />

ethischen Grundlage können die YPG dem psychischen<br />

und physischen Terror von Daesh standhalten. Die<br />

Armeen von Damaskus und Baghdad kämpfen für die<br />

Interessen von Regierungen, die nichts mit denen ihrer<br />

Soldaten zu tun haben. Zwang und Sold sind keine<br />

Motivationen gegen die Versprechen und Drohungen<br />

von Daesh.<br />

Eine wichtige Strategie ist die Beteiligung arabischer<br />

Kräfte, um mit dem Sektarianismus der syrischen<br />

Opposition zu brechen. Die YPG als Teil der Kräfte des<br />

Demokratischen Syriens (QSD) kämpfen momentan<br />

hauptsächlich außerhalb kurdisch besiedelter Gebiete.<br />

Eine kurdisch-arabische Allianz ist unerlässlich für die<br />

kommenden Offensiven gegen Minbej, Azaz und Raqqa.<br />

56


Was macht der Erfolg der Kämpfe gegen Daesh in<br />

seinem gesamten Kontext heraus betrachtet aus?<br />

Daesh ist an seiner nördlichen Front zurückgeschlagen<br />

worden, doch weit entfernt davon, besiegt zu sein.<br />

Nachdem seine Angriffe wieder und wieder von YPG<br />

und QSD zurückgeschlagen wurden, hat sich Daesh<br />

vermehrt auf klassischen Terror verlegt. Im letzten Jahr<br />

wurden hunderte Menschen bei Anschlägen in Hasakeh,<br />

Kobanê, Girê Sipî, Til Temir, Qamişlo und weiteren<br />

Orten in <strong>Rojava</strong> getötet.<br />

Die seit der Schlacht um Kobanê errungenen Siege<br />

zeigen, dass Daesh mitnichten unbesiegbar ist, vor<br />

allem aber zeigen sie den ungebrochen Willen der<br />

RevolutionärInnen Kurdistans und Syriens, die<br />

gewaltige Überzeugung, die hinter dieser Revolution<br />

steht, die entgegen aller Wahrscheinlichkeiten in <strong>Rojava</strong><br />

stattfindet. Oft sagt man hier, dass unsere Gefallenen<br />

uns den Weg weisen. Mittlerweile weiß ich, was das<br />

bedeutet. Ihre Hoffnung und ihr Kampfgeist lebt mit uns<br />

weiter. Niemals werden wir das Ziel verraten, für das sie<br />

gestorben sind.<br />

Was ist die politisch-militärische Strategie der<br />

Kräefte von <strong>Rojava</strong> gegen die aktuelle Intervention<br />

der Türkei?<br />

Deeskalation. Der türkische Staat hat seine Provokationen<br />

über die letzten Jahre Schritt um Schritt erhöht. Von<br />

immer offenerer Unterstützung für Daesh, über die<br />

Massaker in Bakur - oft unmittelbar an der Grenze zu<br />

<strong>Rojava</strong>, wie in Nisêbîn und Cizre – zu Bombardements<br />

auf YPG-Stellungen über die Grenze hinweg. Die YPG<br />

haben auf diese Angriffe wenn überhaupt ausschließlich<br />

defensiv reagiert. Der Staat will einen Vorwand, um in<br />

<strong>Rojava</strong> einmarschieren zu können, und wir werden nicht<br />

so dumm sein, ihm einen zu geben.<br />

Gibt es eine strategische Verbindung zwischen<br />

dem Kampf für die Befreiung von <strong>Rojava</strong> und dem<br />

revolutionären Kampf in der Türkei?<br />

Selbstverständlich. Beide Kämpfe sind untrennbar<br />

miteinander verbunden. Die Revolte in Bakur wäre nicht<br />

möglich gewesen ohne den Erfolg von <strong>Rojava</strong>, und der<br />

Ausgang des Krieges dort wird entscheidend sein für<br />

die Zukunft von <strong>Rojava</strong> und des konföderalen Mittleren<br />

Ostens.<br />

Was ist die Rolle und die Bedeutung der<br />

internationalen Solidarität für den Kampf in <strong>Rojava</strong><br />

und für die Lions im Besonderen?<br />

Ohne Unterstützung wird <strong>Rojava</strong> versagen. Soviel<br />

ist sicher. Mehr noch, die Unterstützung muss von<br />

nichtstaatlichen Gemeinschaften kommen. Die Apelle,<br />

die vonseiten der Lions-of-<strong>Rojava</strong>-Veteranen und der<br />

offiziellen Regierung <strong>Rojava</strong>s kommen, richten sich an<br />

Staaten und Regierungen, sie bitten EU, USA und NATO<br />

um Hilfe und internationale Anerkennung. Mit solchen<br />

Freunden kann aber keine Revolution stattfinden.<br />

Mit solchen Freunden werden die Anfänge der freien<br />

Gesellschaft zugunsten eines liberalen Staatsgebildes<br />

aufgegeben.<br />

Die neue Welt muss ohne Staaten und ohne ihre<br />

Hilfe aufgebaut werden. Deshalb ist die Solidarität<br />

von Individuen, Organisationen und Netzwerken,<br />

die die Ideale des Demokratischen Konföderalismus<br />

unterstützen, jetzt wichtiger denn je.<br />

Die Existenz der internationalen Bataillone<br />

erinnern uns an das Engagement der Internationalen<br />

Brigaden in Spanien. Wie seht ihr diesen Bezug?<br />

Wir sehen diesen Bezug oft und gerne. Und mit<br />

„wir“ meine ich hier so ziemlich alle internationalen<br />

GenossInnen, denen ich in der YPG begegnet bin.<br />

Zweifelsohne ist die Lage hier quantitativ ernüchternd.<br />

Statt zehntausender Freiwilliger binnen Monaten ein<br />

paar hundert amerikanischer Kriegstouristen in fünf<br />

Jahren. Syrien scheint europäischen Linken zu weit<br />

weg und die Revolution dort nicht unmittelbar oder<br />

echt genug zu sein, um dafür sein Leben auf Spiel zu<br />

setzen oder auch nur das komfortable Großstadtleben<br />

aufzugeben. In jedem Fall ist es ein Armutszeugnis für<br />

uns als internationale RevolutionärInnen.<br />

Tatsächlich ist die Realität der YPG erstaunlich nah an<br />

der der RevolutionärInnen von 1936. Unheimlich viel<br />

von dem, was George Orwell in „Mein Katalonien“<br />

niedergeschrieben hat, haben wir fast genauso an der<br />

Front in <strong>Rojava</strong> erlebt – im Guten wie im Schlechten.<br />

Das Ideal der Mujeres Libres wurde von der YPJ<br />

auf eine völlig neue Stufe gehoben. Doch während<br />

es uns Kraft und Hoffnung gibt, uns in der Tradition<br />

unserer GenossInnen von den Barrikaden Barcelonas<br />

(beiderseits) zu sehen, so muss uns gewahr sein, warum<br />

die Revolution in Spanien gescheitert ist, und wir müssen<br />

tun, was nötig ist, um die Fehler von damals nicht zu<br />

wiederholen.<br />

Was wäre der beste Solidaritäts-Beitrag der<br />

europäischen Revolutionsbewegung für die<br />

internationalen Bataillone?<br />

Beitreten. Mittlerweile gibt es Solidaritätsgruppen und<br />

Netzwerke auf aller Welt, doch weil so wenige tatsächlich<br />

mehr als ein paar Wochen nach <strong>Rojava</strong> gekommen<br />

sind, entfalten so viele der Initiativen keine langfristige<br />

Wirkung. Der Grund, warum es so wenige internationale<br />

Einheiten gibt, ist, dass so wenige KämpferInnen von<br />

außerhalb Kurdistans den Weg auf sich genommen<br />

haben. Von denen, die gekommen sind, sowohl über die<br />

Lions als auch als Teil des Freiheitsbataillons, sind die<br />

57


kapilalistischen System entwickelten.<br />

Ich messe den Erfahrungen des Krieges in Mesopotamien<br />

nur eine bedingte Bedeutung für den Kampf in Europa<br />

bei. Die Erfahrungen, die dort gebraucht werden,<br />

liegen jenseits von Straßenkampf und Autobomben.<br />

Professionelle und klandestine Sabotageakte können<br />

mächtige Werkzeuge europäischer Militanz sein.<br />

Sie müssen Ziele von strategischer Bedeutung<br />

anvisieren, nicht Polizeikasernen und Parteibüros,<br />

sondern empfindliche Punkte in Energie, Produktion,<br />

Kommunikation und Transport. Pipelines, Häfen,<br />

Kraftwerke. Das erfordert natürlich eine äußerst<br />

disziplinierte Untergrundorganisierung und eine starke<br />

revolutionäre Bewegung, die solche Schläge gegen das<br />

System koordinieren und ausnutzen kann.<br />

Habt ihr noch etwas hinzuzufügen? Habt ihr<br />

eine Nachricht an die europäische revolutionäre<br />

Bewegung?<br />

Meisten nur wenige Monate geblieben. Auf diese Weise<br />

werden die internationalen Batallione nicht darüber<br />

hinaus kommen, lediglich Propagandainstrumente zu<br />

sein, und von anderen GenossInnen auch nur als solche<br />

gesehen. Das ist nicht fair. Dutzende InternationalistInnen<br />

haben, als Individuen und in Einheiten, sich mit vollster<br />

Überzeugung dem Kampf angeschlossen, einige sind<br />

als Şehîd gefallen. Wir schulden es ihnen, genauso wie<br />

allen anderen gefallenen GenossInnen, die Verteidigung<br />

der Revolution als unsere unbestreitbare Pflicht zu<br />

sehen und dementsprechend zu handeln. Aufrichtige<br />

Solidarität muss sowohl die Revolution in <strong>Rojava</strong> als<br />

auch die Kämpfe in allen anderen Teilen der Welt nach<br />

vorne bringen und kann, wenn sie ernsthafte Praxis wird,<br />

ein völlig neues revolutionäres Momentum schaffen, das<br />

die Grundfesten der Welt erschüttert.<br />

Wir sind die Jugend einer neuen Welt. Um uns herum<br />

zerbrechen die Grundfesten der kapitalistischen<br />

Moderne wie die Schollen des einst ewigen Polareises<br />

und die letzten Gletscher der heilen westlichen Welt<br />

werden rapide immer kleiner. Das Chaos hat ein globales<br />

Ausmaß erreicht, dem die Allianz aus Kapital und<br />

Staat nicht mehr gewachsen ist. In einem Großteil von<br />

Amerika, Afrika, des Mittleren Ostens, Asiens, und im<br />

Hinterland zahlloser Staaten, herrscht schon lang eine<br />

ganz andere, oder überhaupt keine, Ordnung mehr.<br />

Angesichts dieser Krise dürfen wir aber nicht glauben,<br />

das sie das Ende von Kapitalismus oder Unterdrückung<br />

sein wird. Erscheinungen wie Daesh oder die Mafias im<br />

Ostkongo geben uns bereits einen Vorgeschmack darauf,<br />

wie eine auf das liberale Demokratietheater folgende<br />

Gesellschaftsordnung auch aussehen könnte. Wir dürfen<br />

uns nichts vormachen: Faschistische und totalitäre Kräfte<br />

sind weit besser auf dieses Jahrhundert vorbereitet als<br />

wir es sind. Walter Benjamin sagte einst: „Hinter jedem<br />

Faschismus steht eine gescheiterte Revolution.“ Lasst<br />

uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass diese Revolution<br />

nicht scheitern wird.<br />

Die Erfahrungen, die die internationalen<br />

KämpferInnen in ihr angestammtes Kampfterrain<br />

(z.b. Europa) zurück bringen werden, sollten dem<br />

revolutionären Prozess in den Metropolen zugänglich<br />

gemacht werden … Habt ihr eine Vorstellung, wie<br />

dies geschehen könnte, sollte?<br />

Wenn wir von Europa sprechen, so muss zuerst einmal<br />

ein Plan, eine Vision existieren, und eine Bewegung, die<br />

diese verwirklicht. Nur als Teil einer solchen macht eine<br />

Bewaffnung Sinn. Klar, Stadtguerillas sind sehr cool,<br />

doch wenn wir den Aufstieg und Fall von bewaffneten<br />

linken Kräften in Europa in den letzten Jahrzehnten<br />

analysieren, sehen wir, dass die meisten von ihnen<br />

versagt haben, weil sie keine wirkliche Alternative zum<br />

58


Internationalistin<br />

«Ich glaube, dass wir die Frauen, die schon<br />

organisiert sind, weiter fördern müssen. Wir<br />

müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass<br />

der Kampf für die Befreiung der Frau unsere<br />

Aufgabe ist.»<br />

Du bist vor Kurzem aus <strong>Rojava</strong> zurückgekommen.<br />

Kannst du zu deinem politisch-biographischen<br />

Hintergrund was sagen und was dich dorthin<br />

verschlagen hat?<br />

Ich hatte in meiner Jugend Kontakt zu Gewerkschaften.<br />

Aber es hat mich damals noch nicht wirklich<br />

motiviert, da mitzuarbeiten. Später habe ich dann<br />

die Widersprüchlichkeiten in diesem System erkannt<br />

und habe dann versucht, mich weiter zu informieren.<br />

Dann habe ich angefangen in der antimilitaristischen<br />

Bewegung mitzuarbeiten.<br />

Dazwischen hatte ich auch mal einen Unterbruch,<br />

wonach ich aber wieder in die politische Arbeit<br />

reingekommen bin. Ich glaube dieser Unterbruch war<br />

für mich notwendig, um einen Schritt vorwärts zu<br />

kommen. Ich habe dann ein paar Jahre mitgearbeitet<br />

und irgendwann hat sich das alles so verändert, dass sich<br />

die Bedeutung der politischen Arbeit gesteigert und ich<br />

mit Verantwortung und Bewusstsein da rangegangen<br />

bin. Das war nicht losgelöst von der ideologischen<br />

Entwicklung, die ich gelebt habe.<br />

Ich glaube dieser ideologische Schritt, der für mich<br />

sehr wichtig war, war auch der Entscheidungsgrund,<br />

warum ich nach <strong>Rojava</strong> gehen wollte. Insbesondere<br />

weil wir immer von der Perspektive sprechen. Ich bin<br />

Kommunistin und ich habe eine Perspektive und ein<br />

Ziel, woran ich glaube, ich weiss, dass es viel Arbeit<br />

kostet. Im Mittleren Osten ist eine Revolution passiert<br />

und ich denke, dass wir das nicht nur so sehen sollten,<br />

sondern ich wollte die Revolution lebend erfahren und<br />

von ihr lernen und für mich auch was mitnehmen.<br />

Nachdem ich mich entschieden hatte hinzugehen, war für<br />

mich klar, dass ich im zivilen Bereich arbeiten will. Als<br />

ich dann aber dort war, habe ich meine Ideen geändert<br />

und ich wollte in den militärischen Bereich gehen,<br />

einfach weil Frauen immer in der Reproduktionsarbeit<br />

stecken und ich denke, dass der bewaffnete Widerstand<br />

immer sehr weit entfernt war. Von mir war er vielleicht<br />

besonders entfernt, weil ich eine Frau bin oder weil ich in<br />

Deutschland lebe. Das wollte ich für mich durchbrechen<br />

und aus dieser Rolle rauskommen.<br />

In <strong>Rojava</strong> habe ich unterschiedliche Erfahrungen<br />

gemacht. Zum einen wie es ist, als Frau im bewaffneten<br />

Widerstand zu sein, mit all den Schwierigkeiten, die man<br />

als Frau aber auch mit den Genossinnen oder mit den<br />

Genossen hat. Ich kann sagen, dass das schon ein tiefer<br />

Kampf war, den ich auch mit mir selber geführt habe,<br />

um als Frau eine andere Freiheit zu entwickeln und um<br />

politisch besser agieren zu können.<br />

Bevor ich in <strong>Rojava</strong> war, wusste ich zwar, was diese<br />

Revolution gerade im Mittleren Osten bedeutet, dass sie<br />

eine Perspektive ist, die man unterstützen muss. Aber<br />

ich habe nie so wirklich verstanden, was das für die<br />

Frauenbewegung heisst. Beispielsweise war mir nicht<br />

klar, dass hier wichtige Schritte geschehen, die wir als<br />

Frauen in Europa gar nicht wahrnehmen, die einem aber<br />

mit Stolz erfüllen, wenn man das dann versteht und sieht,<br />

hey, Frauen sind in <strong>Rojava</strong> sowohl im zivilen Bereich aber<br />

auch im militärischen Bereich aktiv. Das gibt Hoffnung<br />

und Kraft, insbesondere zurück in Deutschland.<br />

Mit dem Blick zurück kann man auch feststellen, dass<br />

wir die Unterdrückung, die wir hier tagtäglich erleben<br />

oftmals gar nicht mehr spüren, weil das alles im System<br />

so fest eingebettet ist und wir SklavInnen unserer<br />

Lohnarbeit und unserer Geschlechterrollen sind.<br />

Was ich auf jeden Fall auch mitgenommen habe aus der<br />

Zeit, in der ich in <strong>Rojava</strong> war, ist das Wissen, dass wir<br />

in allem, was wir machen, undogmatischer vorgehen<br />

müssen. Wir müssen zwar unsere Linie behalten aber wir<br />

dürfen nicht so festgefahren sein. Wir müssen in unserer<br />

politischen Arbeit auf Gemeinsamkeiten zurückgreifen,<br />

ein etwas weiteres Blickfeld dafür entwickeln, wie wir<br />

was einbetten können, wie wir eine internationalistische,<br />

antimilitaristische Bewegung stärken können, gerade<br />

jetzt, wo Deutschland oder Europa sich im Rechtsruck<br />

befinden. Wie wir vielleicht auch eine Frauenbewegung<br />

wieder mehr mobilisieren können.<br />

59


Was für Diskussionen hast du in <strong>Rojava</strong> erlebt.<br />

Hast du etwas mitbekommen von der Bewegung<br />

wie sie entstanden ist und wo ihre Grenzen und<br />

Möglichkeiten in der Entwicklung noch liegen?<br />

Mit der YPJ gab es interessante Diskussionen. Es war ja<br />

ein Prozess, wie die YPJ entstanden ist und welche Rolle<br />

die Frau in diesem bewaffneten Widerstand einnahm.<br />

Kriege werden meistens den Männern zugeschrieben<br />

und die YPJ hatte deswegen zu Beginn Schwierigkeiten,<br />

weil es ein grosses Misstrauen den Frauen gegenüber<br />

gab und weil man ihnen das nicht zugetraut hat.<br />

Was sie dort machen und was sich auch bewährt hat, sind<br />

Schulungen über Frauenwiderstände oder Frauen im<br />

bewaffneten Widerstand. Es gab also unterschiedliche<br />

Schulungen, die das Bewusstsein verändern sollten und<br />

das hat sich auf jeden Fall positiv auf die gesamte YPG<br />

ausgewirkt, dies sagen zumindest die Genossinnen vor<br />

Ort.<br />

Ich kann sagen, dass ich die Frauensolidarität, von der<br />

ich in vielen Büchern schon gelesen habe, in <strong>Rojava</strong> am<br />

meisten gespürt habe. Dort existiert ein eindrücklicher<br />

Zusammenhalt, beispielsweise dann, wenn man mit einer<br />

Situation nicht klarkommt oder wenn man eine Waffe<br />

kennenlernen will oder generell in allen Situationen, wo<br />

es schwierig sein kann.<br />

Kannst du das ein bisschen beschreiben, wie das<br />

aussieht und was daran speziell ist?<br />

Zum Beispiel war ich in einer militärischen Ausbildung<br />

die einzige Frau in der Gruppe, das hat sich sicherlich<br />

bemerkbar gemacht. Ich habe immer versucht mein<br />

Bestes zu geben, aber trotzdem hat man immer versucht,<br />

mich zu beschützen oder man wollte mich immer behütet<br />

wissen. Da war immer ein beschützender Charakter<br />

gegenüber mir da und dies während der ganzen Zeit.<br />

Oder man hat mir den Umgang mit einer Waffe nicht<br />

zugetraut. Obwohl ich das mehrfach thematisiert habe,<br />

waren es die Genossinnen, die mich dann unterstützt<br />

haben, indem sie die männlichen Genossen darauf<br />

hingewiesen haben, dass ich das auch schaffen kann.<br />

Solche Sachen sind enorm wichtig, denn selbst wenn ich<br />

was falsch mache, dann lasst es mich falsch machen aber<br />

dann mache ich es vielleicht das nächste Mal richtig und<br />

wenn ich es zweimal falsch mache, dann mache ich es<br />

zweimal falsch. Aber die Option zu haben, etwas falsch<br />

zu machen, um es dann nachher richtig zu machen,<br />

ist wichtig und die Frauen dort, die haben mich dabei<br />

unterstützt, obwohl sie nicht direkt in meiner Ausbildung<br />

waren.<br />

Hast du zusammen mit anderen Frauen gekämpft?<br />

Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen<br />

Internationalistinnen und YPJ in dieser Frage?<br />

Ich hatte auch andere Frauen in meinem Team.<br />

Die Frauen, die an meiner Seite gekämpft haben,<br />

waren organisierte Frauen. Zum Teil haben sie sich<br />

untereinander organisiert, zum Teil haben sie sich in der<br />

Partei organisiert. Der Unterschied zur YPJ ist glaube<br />

ich einfach der, dass die Internationalistinnen schon als<br />

Organisierte mit politischem Bewusstsein kommen. Bei<br />

der YPJ sind es eher die Frauen aus der Bevölkerung,<br />

die teilnehmen, um <strong>Rojava</strong> zu verteidigen oder um als<br />

Kurdinnen gegen diese Unterdrückung vorzugehen.<br />

Ich würde sagen, dass das Bewusstsein, was einem lenkt<br />

oder was einem motiviert, unterschiedlich sein kann. Die<br />

einen treibt der Wunsch nach einem kommunistischen<br />

Gesellschaftsmodell an, die anderen treibt der Drang<br />

nach Freiheit als Kurdinnen an. Aber im Endeffekt ist<br />

es derselbe Kampf, den wir führen und in dem wir uns<br />

auch unterstützen müssen. Zudem will ich betonen, dass<br />

es bei allen Frauen immer eine Bereitschaft gab, Schritte<br />

vorwärts zu gehen und sich zu entwickeln. Ich habe bei<br />

den Frauen immer einen grossen Wunsch gespürt, das<br />

Beste rauszuholen.<br />

Als ich in <strong>Rojava</strong> war, ist mir aufgefallen, dass<br />

die Internationalistinnen begonnen haben, in ihren<br />

Tabûrs Frauenteams aufzubauen. Dies bedeutete für<br />

mich, dass es einen lebendigen Austausch zwischen<br />

Internationalistinen und der YPJ gibt und Ideen<br />

gegenseitig übernommen werden.<br />

Ich stimme dir zu. Bezüglich dem ist es auch wichtig,<br />

dass sich die Frauen untereinander organisieren und<br />

selbstständig planen können. Aber ich finde, dass es auch<br />

gemischt sein muss. Auch damit man sich nicht zu sehr<br />

abkapselt und im Dialog mit den Genossen bleibt, damit<br />

auch dort eine Veränderung stattfinden kann.<br />

Die YPJ hat als Frauenverteidigungseinheit in der<br />

Revolution schon einen starken Punkt gesetzt,<br />

wo jetzt viele darauf zurückblicken oder auf die<br />

Errungenschaften aufschauen. Ich denke, dass man<br />

sich nicht darauf ausruhen kann, dass es nun eine<br />

Frauenverteidigungseinheit gibt, weil auch unter den<br />

Frauen gibt es Frauen, die noch einen rückständigen<br />

Blick auf ihre eigene Rolle haben, oder als Frau noch<br />

rückständige Ansichten haben und das muss man ändern.<br />

Doch dass die Frauen sich organisieren ist wichtig. Denn<br />

ob man dies nun feudale oder kapitalistische Rollenbilder<br />

nennen will, weiss ich nicht, aber diese zu überwinden,<br />

das können Frauen nur mit Frauen machen.<br />

Du bist nun zurück. Wie verarbeitest du das, was dir<br />

Eindruck gemacht hat. Und gibt es Impulse Sachen,<br />

die du in <strong>Rojava</strong> gelernt hast, in die antikapitalistische<br />

Bewegung Europas zurückzutragen?<br />

60


Die Zeit, die ich in <strong>Rojava</strong> gelebt habe, hat mir<br />

nochmal verdeutlicht, warum es notwendig ist, dass<br />

wir antikapitalistische Politik machen und warum wir<br />

internationalistisch arbeiten und denken müssen. Auch<br />

wurde mir nochmals klar, warum es eine antimilitaristische<br />

Bewegung und warum es antifaschistische Arbeit geben<br />

muss und schliesslich auch, warum es wichtig ist, dass<br />

Frauen sich organisieren.<br />

Solange dieses System herrscht, wird es keinen Frieden<br />

geben. Im Mittleren Osten herrscht Krieg, solange der<br />

Daesh noch da ist. Wenn der Daesh irgendwann nicht<br />

mehr da ist, wird irgendwas Neues entstehen. Dies<br />

hängt mit dem System zusammen und ich denke, dass<br />

wir uns gerade in Europa oder in den unterschiedlichen<br />

Ländern, in denen wir leben, organisieren müssen, damit<br />

wir irgendwann perspektivisch als Gegenpol zu diesem<br />

System erscheinen. Das geht nur durch konsequentes<br />

Arbeiten an all den Schwierigkeiten, die wir erleben.<br />

Du hast von der Frauenbefreiung in <strong>Rojava</strong><br />

gesprochen, du hast eine Revolution erlebt und<br />

du hast gesehen, wie sich die Situation der Frau<br />

verändern kann. Welche Lehren ziehst du daraus?<br />

Grundsätzlich glaube ich, dass wir die Frauen, die schon<br />

organisiert sind, weiter fördern müssen. Wir müssen<br />

ein Bewusstsein dafür schaffen, dass der Kampf für die<br />

Befreiung der Frau zu unserer Aufgabe wird. Doch eins<br />

zu eins übertragen, kann man alles das, was ich erlebt<br />

habe, natürlich nicht. Eine wichtige Erfahrung, die ich<br />

in <strong>Rojava</strong> gemacht habe, ist zum Beispiel, dass es einen<br />

Teil Frauen gibt, die in der Revolution voll aufgehen,<br />

mit der Sache aufwachsen und ihre Stimme erheben, um<br />

gemeinsam eine Stimme zu sein. Auf der anderen Seite<br />

gibt es aber noch Frauen, die voll in ihrer alten Rolle<br />

feststecken. Dies kann man vielleicht auf die Situation<br />

in Europa übertragen, indem man sagt, es gibt auch<br />

hier Frauen, die sich durchaus politisch engagieren und<br />

dennoch in alten Rollenbildern festsitzen. Dies gilt es zu<br />

überwinden.<br />

Damit können wir auch nicht mehr warten. Wir müssen<br />

jetzt schon Stück für Stück damit anfangen, indem wir<br />

uns als Frauen trauen Verantwortung zu übernehmen in<br />

Punkten, wo wir vorher immer zurückgeschraubt haben.<br />

Wir dürfen uns nicht mehr den Genossen unterordnen,<br />

weil diese bisher immer irgendwelche Sachen gemacht<br />

haben und wir dachten, wir machen irgendwas falsch.<br />

Wir müssen einen Anspruch an uns entwickeln und<br />

als Frauen sagen, hey ich mach das jetzt, ich will das<br />

machen, ich will an das herangehen und ich will Fehler<br />

machen, damit ich aus den Fehlern lernen kann. Ich<br />

will mich nicht immer zurückstellen, aus Angst vor den<br />

Fehlern. Zu oft wurde uns Frauen eingetrichtert, dass wir<br />

immer alles perfekt machen müssen, um dem Anspruch<br />

an uns zu genügen.<br />

Solche Sachen kann man überwinden. Beispielsweise<br />

kann man als Frau sagen, „hey ich leite in der<br />

Demonstration“, „ich mach die Moderation bei einer<br />

Demonstration“ und so weiter. Dies geschieht, indem<br />

man sich traut, sich unter den Frauen gegenseitig<br />

motiviert, sich auch gegenseitig Mut macht und man<br />

seine eigenen Lehren weitergibt. Aber das ist nicht so<br />

einfach, weil wir zu oft denken, dass wir schon von allen<br />

Rollen, die uns zugesprochen werden, befreit seien, weil<br />

wir keine Kopfbedeckung tragen müssen, Fahrrad fahren<br />

dürfen, Zigarette rauchen dürfen, kommen und gehen<br />

dürfen wann wir wollen und so weiter. Wir fühlen uns<br />

alle befreit, dabei sind wir das gar nicht und das können<br />

wir nur mit Bewusstsein und Kampf verändern.<br />

61


Cûdî, Dilgês & Kemal<br />

« Ich bin bei der YPG wegen ihrer Standpunkte<br />

- ein bisschen das gleiche wie bei Judi -, vor<br />

allem wegen ihrer Toleranz. Toleranz scheint<br />

zur Zeit ein seltenes Gut im Mittleren Osten zu<br />

sein, und hier erscheint es in dieser Hinsich<br />

wie ein strahlendes Licht.»<br />

Könnt ihr uns sagen, wer ihr seid?<br />

Cûdî: Mein kurdischer Name ist Cûdî, ich bin 40 Jahre<br />

alt, in ein paar Tagen jedenfalls, und ich komme aus<br />

England.<br />

Dilgêş: Hallo, ich bin Dilgêş, das ist mein kurdischer<br />

Name. Ich komme aus Kanada und bin 28 Jahre alt.<br />

Kemal: Mein kurdischer Name ist Kemal, Ich bin aus<br />

Amerika, ich bin 28 und ich bin hier, um gegen Daesh<br />

zu kämpfen.<br />

Könnt ihr über eure politische Entwicklung<br />

sprechen und warum ihr hier seid?<br />

Cûdî: Ich bin seit Januar hier, weil ich weitgehend<br />

mit den Grundsätzen von dem, was zur Zeit in <strong>Rojava</strong><br />

passiert, einverstanden bin. Direkte Demokratie,<br />

Gleichstellung der Geschlechter, Pluralismus, Toleranz<br />

für verschiedene Religionen, Kulturen und Glauben und<br />

so weiter. Ich würde nicht sagen, dass ich ein Anhänger<br />

von Öcalan bin. Vor einiger Zeit war ich in ein paar<br />

anarchistischen Gruppen involviert. Jetzt bin ich nicht<br />

wirklich einer Ideologie verpflichtet, aber ich habe<br />

einige allgemeine Prinzipien, die mit dem was in <strong>Rojava</strong><br />

los ist, übereinstimmen.<br />

Ich bin auch hier, weil dies eine Notfall-Situation ist.<br />

ISIS ist einfach eine zu grosse Bedrohung geworden.<br />

Es gibt eine Menge anderer Probleme in verschiedenen<br />

Teilen der Welt. Aber ISIS wurde erlaubt zu wachsen,<br />

viel zu stark zu werden. Sie besetzen heute ein viel zu<br />

grosses Territorium und daher liegt in ihnen eine echte<br />

Bedrohung. Ich denke also, es ist wichtig, dass jede/r,<br />

die/der etwas tun kann, kommt und etwas tut.<br />

Das ist eine recht lange Zeit. Welche Art von<br />

Erfahrung hast du bis jetzt gemacht?<br />

Cûdî: Die tägliche Realität hier ist, um ehrlich zu sein, in<br />

der Regel eine Menge herumsitzen. Warten, dass etwas<br />

geschieht. Das heisst entweder, dass sie uns angreifen<br />

oder wir sie angreifen. Ab und zu gibt es Kämpfe, sonst<br />

gibt es hier die tägliche Routine: viele Pflichten, eine<br />

Art häusliche Tagesroutinen. Wir halten unsere Sachen<br />

zusammen, reinigen unsere Waffen und so weiter.<br />

Wenn wir in einem Gebiet sind, bleiben wir und bewachen<br />

diesen Bereich für eine recht lange Zeit. Dieser Tabûr<br />

tendiert dazu, der Front zu folgen und wenn die Front sich<br />

bewegt, bewegt sich der Tabûr mit ihr. Wir neigen dazu<br />

sehr viel mehr beschäftigt zu sein als reguläre Tabûrs,<br />

wo es immer noch viele Pflichten ohne Gefechte in einer<br />

statischen Position gibt. Das, weil wir die Möglichkeit<br />

haben, gepanzerte Transporte durchzuführen, manchmal<br />

auch schwerere Waffen und so weiter.<br />

Dilgêş: Wir holen Verwundete und wir holen die<br />

KämpferInnen, die gefallen sind. Wir machen<br />

Transporte nach ganz vorne, da die weißen LKWs und<br />

die Transportwagen zu empfindlich und zu anfällig sind.<br />

Sie sind ziemlich leicht zu zerstören. Und dann bringen<br />

wir Menschen zu den Kämpfen und manchmal gehen<br />

auch wir, um selbst zu kämpfen.<br />

Und was ist die Geschichte eurer politischen<br />

Motivation?<br />

Dilgêş: Ich bin bei der YPG wegen ihrer Standpunkte -<br />

ein bisschen das gleiche wie bei Cûdî -, vor allem wegen<br />

ihrer Toleranz. Toleranz scheint zur Zeit ein seltenes Gut<br />

im Mittlerer Osten zu sein, und hier erscheint es in dieser<br />

Hinsicht wie ein strahlendes Licht.<br />

Kemal: Ich stimme mit ihren Ansichten gegenüber der<br />

Politik überein. Aber ich bin kein Kommunist oder<br />

Sozialist. Ich bin eher konservativ, republikanisch, aber<br />

ich bin nicht hier, wegen der Politik. Ich bin hier, um<br />

im Kampf gegen Daesh zu helfen, und ich glaube, YPG<br />

62


sind die besten, die das hier tun. Darum, während sie<br />

kämpfen, bin ich hier, um ihnen zu helfen und sie in<br />

jeder Weise zu unterstützen die mir möglich ist.<br />

Und was ist deine Erfahrung?<br />

Kemal: Kein Militär. Es ist auch das erste Mal, dass ich<br />

ausserhalb der USA bin. Ich bin schon fast fünf Monate<br />

hier.<br />

Und du wirst noch länger bleiben?<br />

Kemal: Ja, bis die Daesh weg sind, werde ich sie<br />

bekämpfen.<br />

Was ist wichtig für die internationale revolutionäre<br />

Bewegung, um zusammen mit den YPJ, YPG und den<br />

FreiheitskämpferInnen zu kämpfen? Was würdet ihr<br />

der Bewegung raten zu tun?<br />

Dilgêş: Ich würde sagen, das beste ist,<br />

internationale Unterstützung in ihren Heimatländern<br />

zusammenzutrommeln. Die Menschen wissen nicht<br />

wirklich, was hier los ist, wenn sie nicht mit jemandem,<br />

der hier ist, Kontakt haben. Generell sind die Menschen<br />

ziemlich unwissend was die YPG betrifft und wofür<br />

sie stehen. Und was sie hier schon alles erreicht haben.<br />

Wie auch immer, dann könnten wir Unterstützung von<br />

den USA und Europa erhalten. Nicht nur militärische<br />

Unterstützung, sondern auch infrastrukturelle<br />

Unterstützung.<br />

Cûdî: Ich denke, es ist sehr wichtig, speziell für die YPG,<br />

dass sie alle Menschen gleich behandeln, wenn wir in<br />

unsere Dörfer gehen und das Gebiet kontrollieren. Dies<br />

betrifft insbesondere auch die Bereiche, die bisher nicht<br />

<strong>Rojava</strong> genannt wurden, wo man ein hohes Mass an<br />

Respekt bewahren muss, um die lokale Bevölkerung nicht<br />

zu entfremden. Dies ist kein stehendes Heer, sondern eine<br />

Volksmiliz und manchmal werden auch Fehler gemacht.<br />

Und das kann wirklich auf uns zurückfallen und uns in<br />

den Hintern beissen, wenn wir nicht aufpassen.<br />

Kemal: Ich stimme dem zu, was Cûdî sagt. Aber ich<br />

würde gerne mehr individuelle Freiheiten für die Männer<br />

und Frauen hier sehen, vor allem für die Frauen, und ein<br />

besseres Bildungssystem. Ich glaube, die Leute müssen<br />

mehr Bildung erhalten und aufgeklärter werden über die<br />

Welt und andere Dinge.


Internationalist<br />

«Ich denke für <strong>Rojava</strong> wird der Krieg heftiger<br />

werden, gerade mit der Türkei und jetzt muss<br />

man auch sehen, was Amerika machen wird,<br />

mit Trump als Präsident.»<br />

Kannst du etwas über dich und deine Beweggründe<br />

erzählen?<br />

Bevor ich hierher gekommen bin, war ich Student.<br />

Das Studium habe ich aber abgebrochen, um hierher<br />

zu kommen. Vermutlich komme ich aus einer Familie,<br />

die man als höheren Mittelstand beschreiben würde.<br />

Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen und dann<br />

eben studieren gegangen. Das war mein Leben. Politisch<br />

gesehen bin ich Anarchist.<br />

Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, nach <strong>Rojava</strong><br />

zu kommen aber es war immer mehr eine romantische<br />

Idee. Als ich angefangen habe zu studieren, habe ich<br />

dann aber gesehen, dass eigentlich jeder so ist wie ich.<br />

Dann dachte ich, jetzt musst du was machen oder du<br />

endest so wie die und redest dein ganzes Leben nur und<br />

dann bin ich hierher gekommen.<br />

Du hast dich für das Militärische und nicht für das<br />

Zivile entschieden. Was ist da der Grund?<br />

Ich denke, das Militärische ist essentiell und ich kann<br />

nichts im zivilen Bereich beitragen. Ich bin kein Arzt<br />

oder kein Medienprofi.<br />

Du bist jetzt sechs Monate in <strong>Rojava</strong> gewesen. Du<br />

hast dich auch an der Front beteiligt. Was waren<br />

deine Erfahrungen die du da gemacht hast, was hat<br />

es dir gebracht, was löste es bei dir aus?<br />

Ich gehe nach Europa zurück, weil ich das meiner<br />

Familie versprochen habe, als ich denen gesagt habe,<br />

dass ich hierher gehen werde. Später will ich aber zurück<br />

kommen, weil das was hier passiert noch nicht fertig ist<br />

und weil ich daran teilhaben will.<br />

Was ist noch nicht fertig?<br />

<strong>Rojava</strong> ist immer noch im Krieg und ich denke der<br />

internationale revolutionäre Aufbau, wenn es den gibt,<br />

findet am ehesten in <strong>Rojava</strong> statt. Auch ein Netzwerk<br />

mit anderen militanten RevolutionärInnen aus Europa<br />

kann man am Ehesten in <strong>Rojava</strong> aufbauen.<br />

Was denkst du, was jetzt auf die Region zukommen<br />

wird?<br />

Ich denke für <strong>Rojava</strong> wird der Krieg heftiger werden,<br />

gerade mit der Türkei und jetzt muss man auch sehen,<br />

was Amerika machen wird, mit Trump als Präsident.<br />

Weisst du schon wie lange du bleiben wirst, wenn<br />

du wieder kommst?<br />

Nein, aber ich will nächstes Mal auf jeden Fall länger als<br />

sechs Monate bleiben. Weil sechs Monate hört sich lange<br />

an, aber es ist im Grunde eine sehr kurze Zeit.<br />

Ich habe gelernt, dass die Revolution nichts Perfektes ist.<br />

Sie wird von Menschen gemacht, also gibt es menschliche<br />

Probleme. Ich habe gelernt, auch wenn etwas nicht<br />

perfekt ist, man sich dafür einsetzen muss, es besser zu<br />

machen und sich nicht einfach abwenden kann. Zudem<br />

natürlich auch viele praktische Dinge, darunter auch<br />

Sachen wie Essen machen, den Schlafplatz aufräumen,<br />

die Waffe reinigen und so weiter.<br />

Du gehst nun nach Europa zurück. Was war die<br />

Motivation für deine Rückkehr?<br />

64


65


REVOLUTIONÄRE<br />

ORGANISATIONEN<br />

Neben den kurdischen<br />

Organisationen leisten<br />

insbesondere verschiedene<br />

revolutionäre Parteien und<br />

Organisationen aus der<br />

Türkei einen wichtigen<br />

Beitrag zur Revolution in<br />

<strong>Rojava</strong>. Einigen von ihnen<br />

wollen wir im Folgenden<br />

das Wort geben.<br />

66


Komandantin MLKP<br />

«Das Neue und Einzigartige zu begreifen und<br />

zu verstehen und dementsprechend sich selbst<br />

zu rekonstruieren, fordert grosse Flexibilität<br />

und Kreativität, die in der Praxis umgesetzt<br />

werden muss. Entgegen dieser Erfahrung ist<br />

in revolutionären Bewegungen Nachahmung,<br />

Auswendiglernen und formalistische Theorie<br />

und Praxis leider noch weit verbreitet.»<br />

Kannst du kurz den historischen Beginn der<br />

Revolution in <strong>Rojava</strong> erläutern?<br />

<strong>Rojava</strong> war in jeder Hinsicht verarmt und das syrische<br />

Regime versuchte das Land ohne Identität zu lassen. Die<br />

KurdInnen in Syrien sind ein Volk, dem keine Identität<br />

zugestanden wird und dem eine nationale Präsenz,<br />

Sprache und Kultur verweigert wird. Es ist eine Realität,<br />

dass hier eine Gesellschaft in jeder Hinsicht zu einem<br />

Nichts gemacht wurde. Infolgedessen ist das kurdische<br />

Volk der Möglichkeit beraubt zu produzieren und sich<br />

sozial, kulturell, politisch, vital, materiell und moralisch<br />

zu entwickeln. KurdInnen, denen ihre Möglichkeit der<br />

Präsenz aus den Händen genommen wird, werden durch<br />

diese Politik der Ausbeutung vom Regime abhängig<br />

gemacht. Zusätzlich zu all dem werden fruchtbare Böden<br />

verändert, die Demografie der kurdischen Bevölkerung<br />

wird mit einer Politik der “Arabisierung” verändert und<br />

um Kurdistan von <strong>Rojava</strong> abzutrennen wurden Teile<br />

des Landes mit einer speziellen Politik und Strategie<br />

unterteilt, die “Arabischer Gürtel” genannt wird. Orte,<br />

in denen die Kräfte des Daesh am meisten Unterstützung<br />

erhielten, sind oftmals jene Gebiete, in die Menschen von<br />

aussen durch die Arabisierungs-Politik gebracht wurden.<br />

Die beschädigende Kolonialpolitik in Syrien wurde<br />

nach den 60er Jahren intensiver und härter. Ob unter den<br />

KurdInnen, die gezwungen waren, aus Nordkurdistan<br />

nach <strong>Rojava</strong> zu emigrieren oder denjenigen, die in<br />

Syrien geboren wurden, dort aufwuchsen und immer<br />

dort gewesen sind, war die Tendenz, sich zu organisieren<br />

und zu kämpfen immer vorhanden, weshalb dort auch<br />

verschiedene Organisationen anwesend sind. Diese<br />

illegalen Organisationen waren aktiv, um die nationale<br />

Identität der KurdInnen zu schützen und für ihre<br />

nationalen demokratischen Rechte zu kämpfen. Die durch<br />

das syrische Regime praktizierte KurdInnen-Politik<br />

entwickelte sich ab 1960 zu einer Zeit der Massaker.<br />

Am 30. November 1960 wurden 280 kurdische Kinder<br />

in einem Kino in Amûdê verbrannt, wo sie sich einen<br />

Film anschauen wollten, der die Revolution in Algerien<br />

erklärt. Dies war das erste der grossen Massaker, denen<br />

das kurdische Volk ausgesetzt wurde. Danach wurde<br />

an den KurdInnen, die inzwischen viele grössere und<br />

kleinere Massaker erlebt haben, am 12. März 2004<br />

wieder ein Massaker verübt. Dies geschah während<br />

eines Fussballspiels, bei dem das syrische Regime die<br />

KurdInnen abschlachtete. Als die Menge danach die toten<br />

Körper wegtragen wollte, wurden sie angegriffen und<br />

dutzende Menschen wurden getötet. Daraufhin fingen<br />

überall in den Städten, in denen kurdische Menschen<br />

lebten, Aufstände an.<br />

In der Zeit, bevor die Aufstände von 2004 begannen,<br />

hatte die Politik der Unterdrückung und des Terrors<br />

des syrischen Regimes einen Höhepunkt erreicht.<br />

Die Unterzeichnung des Vertrages von Adana am 20.<br />

September 1998 durch das syrische Regime und den<br />

türkischen Staat spielte eine entscheidende Rolle.<br />

Der Vorgang, der Abdullah Öcalan zwang, Syrien<br />

zu verlassen, wurde entsprechend den Bedingungen<br />

dieses Vertrages in die Praxis umgesetzt. So verschaffte<br />

sich die Türkei die Bedingungen, um sich in <strong>Rojava</strong><br />

aktiver einmischen zu können.Die Aktivitäten der PKK<br />

in <strong>Rojava</strong> begannen schon Ende der 70er Jahre. Die<br />

Erweiterung der Guerillakämpfe und Revolten und<br />

die nationalen, auf demokratischer Basis gewonnenen<br />

Rechte in Nord-Kurdistan, stärkten und beschleunigten<br />

die Dynamik der <strong>Rojava</strong> Revolution. Mit der Gründung<br />

der PYD (Partei der demokratischen Union) neben den<br />

12 kurdischen Gruppen, wurde der politische Unterbau<br />

der <strong>Rojava</strong> Revolution gebildet, was die Bedingungen<br />

68


schuf, dass die heutige Revolution Wirklichkeit wurde.<br />

Wenn wir die Bedingungen in der letzten Zeit anschauen,<br />

die zur <strong>Rojava</strong> Revolution führten, sehen wir, dass das<br />

syrischen Baath Regime unkontrolliert wirtschaftliche<br />

Ausbeutung und politische Unterdrückung aller sozialen<br />

Schichten, mit Ausnahme einer kleinen Minderheit,<br />

betrieb. Das syrische Volk, dem seine politischen<br />

Rechte entzogen worden waren und das in einem Leben<br />

voller Armut gefangen war, begann allmählich sich<br />

zum Prozess des individuellen und sozialen Kampfes<br />

zu erheben. Syrische ArbeiterInnen und Menschen,<br />

die auch durch die Serien der arabischen Revolutionen<br />

beeinflusst waren, füllten die Plätze im ganzen Land, um<br />

gegen die Baath Diktatur und für demokratische Rechte<br />

zu demonstrieren. Allerdings war der Funke, der das<br />

Feuer entfachte die Schriften auf den Mauern, die im<br />

Jahr 2011 von den Kindern in Deraa gemacht wurden.<br />

Diese lauteten „Sie sind jetzt an der Reihe Doktor“.<br />

Die Reaktion des Baath Regimes auf diese Schriften<br />

war hart und gnadenlos. Kinder wurden inhaftiert und<br />

gefoltert. Das Volk wehrte sich gegen diese Gewalt<br />

und gegen die unterdrückende Politik entschlossen und<br />

kämpferisch. Die Proteste gegen dieses Vorgehen breiten<br />

sich in fast alle Städte in <strong>Rojava</strong> und Syrien aus. Daraa<br />

war der erste Ort von dem aus sich grosser Widerstand<br />

bildete. Am 20ten Tag kam es zum Höhepunkt, als die<br />

Protestierenden das Stadtzentrums von Deraa besetzten.<br />

Am Anfang demonstrierte die Menschenmenge<br />

gegen Korruption und Verarmung. Dies mit dem Ziel<br />

demokratische Rechte und Gerechtigkeit zu finden.<br />

Als ihre Forderungen ignoriert wurden und die<br />

Interventionen des Regimes härter wurden, änderte sich<br />

der Charakter der Demonstrationen und Widerstand<br />

mit der Forderung Assad zu stürzen bildete sich. Als<br />

Assad diesen Widerstand nicht unterdrücken konnte,<br />

machte er einige Zugeständnisse. Der Gouverneur<br />

von Deraa wurde abgesetzt. Der Militärdienst wurde<br />

von 21 Monaten auf 18 Monate verkürzt. Ausserdem<br />

gab es andere Massnahmen, wie die Erhöhung der<br />

Beamtenlöhne, Pressefreiheit oder der Kampf gegen<br />

Korruption. Einem Teil des kurdischen Volkes wurde<br />

dabei die syrische Staatsbürgerschaft erteilt und einige<br />

bisherige Staatspraktiken wurden beendet. Gleichzeitig<br />

versuchte Assad Massaker durchzuführen, indem er<br />

Contra Gruppen, sebbiha [(ar.) „Geister“, Anm.d.R.]<br />

genannt, organisierte. Der Konflikt zwischen den Massen,<br />

von denen der Hauptteil aus Arabern bestand, und dem<br />

Baath Regime, verwandelte sich schliesslich in einen<br />

reaktionären Bürgerkrieg, in den sich ImperialistInnen<br />

und kollaborierende regionale Staaten einmischten. Die<br />

arabische demokratische Opposition wurde reaktionär<br />

und verlor ihre Legitimität und Rechtmässigkeit, da<br />

sie sich den ImperialistInnen und den kollaborierenden<br />

Staaten unterordnete.<br />

Die <strong>Rojava</strong> Revolution jedoch entschied sich für ihren<br />

eigenen Weg. Sie wählte statt eine reaktionäre Politik<br />

die Unabhängigkeit. Die zwei Möglichkeiten waren sich<br />

entweder zusammen mit der syrischen Opposition zu<br />

bewegen, die man als Marionetten von ImperialistInnen<br />

und Staaten in der Region bezeichnen könnte, oder sich<br />

gegen Assads Regime zu stellen und eine Revolution<br />

anzustreben. So begann eine national-demokratische<br />

libertäre Revolution in <strong>Rojava</strong>, indem wir erklärten,<br />

dass wir das unterdrückte Volk repräsentieren, das<br />

gequält und massakriert wurde und der Verweigerungs-<br />

Politik des syrischen Staates ausgesetzt war. Wir<br />

schoben das syrische Regime raus aus den Grenzen von<br />

<strong>Rojava</strong>. Mit Ausnahme des Flughafen in Qamıslo und<br />

mehreren symbolischen Institutionen wurde das Regime<br />

aus der Region weggeputzt. Die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

erreichte die heutige Situation durch Errichten einer<br />

Verteidigungslinie für die Gebiete von <strong>Rojava</strong> und einer<br />

Revolution mit einer Opposition gegen Syrien und dann<br />

gegen Daesh und die an-Nusra-Banden. Zur Zeit geht<br />

der Kampf mit demokratischen syrischen Kräften weiter,<br />

um diese libertäre Linie aktiv zu halten.<br />

Gehen wir über zum historischen Prozess der<br />

MLKP <strong>Rojava</strong>. Mit welchem Hintergrund und was für<br />

einem Vorgehen erklärt ihr die Entwicklungsprozesse<br />

und Phasen?<br />

Unsere Partei ist in der Türkei und Nordkurdistan<br />

organisiert. Sie verteidigt regionale Revolutionen,<br />

Gemeinschaften und Bündnisse. Aus diesem Grund<br />

sehen wir es als ein Recht und eine Mission sich im<br />

Mittleren Osten und in den vier Teilen Kurdistans, die<br />

von KolonistInnen besetzt werden, zu organisieren. Die<br />

Partei bekräftigt, dass die vier Teile Kurdistans in den<br />

verschiedenen Ländern zu einer Einheit vereinigt werden.<br />

Folglich werden alle Fragen, insbesondere die, welche<br />

die Interessen der Region und Kurdistan betreffen,<br />

ebenfalls in unserer Partei besprochen. Sie bestimmt den<br />

programmatischen und politischen Hintergrund unserer<br />

Präsenz in <strong>Rojava</strong>.<br />

Im August 2012 kamen unsere ersten Kräfte nach <strong>Rojava</strong>.<br />

Diese Kräfte arbeiteten zunächst daran, die Revolution<br />

zu den Massen zu bringen und sie zu einer Macht des<br />

Volkes zu machen, damit das Volk die Revolution zu<br />

ihrer eigenen Revolution macht und sie an diesem Kampf<br />

teilnehmen. Wir arbeiteten in Einrichtungen, die für<br />

den Aufbau von <strong>Rojava</strong> grundsätzlich notwendig sind,<br />

wie Sicherheit, eine Gemeindeverwaltung, Zollhaus<br />

und Informationsabteilung. Wir nahmen auch an der<br />

Verteidigung der Revolution teil und sandten Basiskräfte<br />

in verschiedene Bataillone. Ausserdem nahmen wir am<br />

Aufbau der YPG und YPJ teil und stellten GenossInnen<br />

zur Verfügung. Wir waren da als militärische Kraft,<br />

während wir gleichzeitig für die Beteiligung des Volkes<br />

sorgten und mit ihnen die Richtlinien erarbeiteten, die<br />

grundlegend für die Revolution sind. Als wir unsere<br />

Revolution allmählich aufgebaut hatten, sie sich<br />

69


entwickelte und institutionell wurde, die wirtschaftlichen,<br />

politischen, kulturellen und geographischen Fortschritte<br />

sich vervollständigten, kamen die ImperialistInnen,<br />

regionale reaktionäre Länder (wie Saudi-Arabien, Katar<br />

etc. Anm.d.R.) und in erster Linie die koloniale Türkei<br />

und ihre verbündeten Banden al-Nusra und Daesh, das<br />

syrische Regime und die KDP – erinnert euch an die<br />

Embargos und das Schliessen der südlichen Grenzen mit<br />

Gräbern – und versuchten, unsere Revolution von allen<br />

Seiten zu zerstören. Auch heute noch betreiben sie diese<br />

Politik.<br />

Als die militärischen Angriffe gegen unsere Revolution<br />

intensiver wurden, brachten wir die meisten unserer<br />

Kräfte in dieses Gebiet. Mit neuen UnterstützerInnen<br />

vermehrten wir unsere Streitkräfte sowohl in Quantität<br />

wie in Qualität. Die Befreiung Kobanês kam als<br />

Erstes, wir nahmen an sehr vielen Verteidigungs- und<br />

Befreiungsangriffen teil, wie Heseke, Serêkaniye, Girê<br />

Spî, Til Temir und Rûbar Qamişlo.<br />

Als unsere Kräfte sich an der Befreiung von Şengal,<br />

Hol und Tişrîn beteiligten, kämpften wir an fast allen<br />

Fronten von Kobanê bis Şengal. Unsere Streitkräfte<br />

im internationalen Freiheitsbataillon schlossen sich<br />

auch der Befreiung von Şengal und Hol an. Wir<br />

übernahmen verschiedene Aufgaben, und arbeiten<br />

weiterhin in Bereichen der Gesundheit und der Presse,<br />

bei den „Mala Gel“, das heisst dem Haus des Volkes,<br />

von kommunalen Arbeiten bis zum Frauenkampf, und<br />

wir sind außerdem in militärischen Bereichen und in<br />

Selbstverteidigungsgruppen tätig. Außerdem unterstützen<br />

wir auch die Einheit und Solidarität des Volkes. Diese<br />

Institution, SYPG, wird das sein, was ihr Name sagt: Sie<br />

wird im Volk eine Brücke zwischen den Menschen bauen,<br />

sie wird das Volk mit unserer Revolution vertraut machen<br />

und seine Unterstützung und Solidarität organisieren. Sie<br />

wird sowohl zur Entwicklung der Revolution beitragen<br />

und unserer Revolution einen sozialistischen Charakter<br />

geben.Unsere Partei kam nicht nach <strong>Rojava</strong>, nur um zu<br />

unterstützen, wir sind hier als eine feste Macht. Um es<br />

einfacher zu sagen: wir akzeptieren diese Revolution<br />

als unsere Revolution und ihre FreundInnen als unsere<br />

FreundInnen und ihre FeindInnen als unsere FeindInnen.<br />

Auf was für Kampf- und Kriegserfahrungen und<br />

auf was für Theorien beruft ihr euch?<br />

Wir versuchen eine Partei zu sein, welche die<br />

Erfahrungen aller Revolutionen der Welt analysiert, von<br />

ihnen lernt und ihre Erkenntnisse nutzt. Wir benutzen<br />

sie, indem wir sie in eine Form umwandeln, die für<br />

unser Land brauchbar ist. Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist mit<br />

keiner Revolution in der Vergangenheit vergleichbar.<br />

Aus diesem Grund konnten viele Gruppen die <strong>Rojava</strong><br />

Revolution nicht verstehen; oder wollten sie nicht<br />

verstehen. Diese Revolution entwickelt sich nicht wie<br />

die klassischen Revolutionen und ausserdem sind die<br />

historische Entstehung, die Bedingungen, sowie ihre<br />

militärische Struktur absolut einzigartig. Zum Beispiel<br />

gibt es nicht wie üblich eine starke Klassenbewegung.<br />

Die Basis der Revolution besteht aus nationalen<br />

demokratischen Forderungen. Das ist kein Ansatz, der<br />

nur eine enge nationalistische Perspektive beinhaltet.<br />

Obwohl das nationale Thema zentral ist, hat sie einen<br />

Charakter, der das ganze Volk in <strong>Rojava</strong> umfasst. Da dies<br />

gleichzeitig eine Frauenrevolution ist, sollte sie schon<br />

deshalb als gutes Beispiel verteidigt werden. Abgesehen<br />

davon bleibt diese Revolution speziell und einzigartig,<br />

da sie wirtschaftliche, demokratische, kulturelle und<br />

ökologische Programme hat.<br />

Zu Beginn wurde die Revolution von einem kleinen<br />

organisierten Teil des Volkes und der Streitkräfte<br />

begonnen. Organisierte bewaffnete Milizen und<br />

Guerilla lenkten die Unzufriedenheit erfolgreich und<br />

gingen gegen das Assad Regime auf die Strassen, um<br />

die staatlichen Institutionen zu besetzen. Die staatliche<br />

Armee und die Polizeikräfte in den Städten von <strong>Rojava</strong><br />

leisteten kaum Widerstand, weil sie vom Volk und<br />

von militärischen Kräften umgeben waren. Zu Beginn<br />

wurden deshalb militärische Strukturen gebildet, in der<br />

die Guerilla und die Milizen noch vermischt waren.<br />

Später wurden die Kräfte spezialisiert und als Folge<br />

voneinander getrennt. Die geographische Struktur von<br />

<strong>Rojava</strong> führt zu einer einzigartigen Kriegserfahrung und<br />

Kriegsform. Der Krieg in den Städten wie in Kobanê und<br />

der Umgebung war geprägt von sehr starken Kämpfen,<br />

die vor allem mit schweren Waffen, Bodenminen und<br />

Angriffe mit Minen geführt wurden. Attentate und<br />

Angriffe mit Autobomben (eine Methode, die von<br />

Banden verwendet wird) sind dabei grundlegende<br />

Kriegs- und Kampfformen. Eine weitere Besonderheit<br />

ist, dass hier Kampfstile einer regulären Armee und einer<br />

Guerilla gleichzeitig verwendet werden. Manchmal<br />

zwingen Konflikte dazu wie zwei reguläre Armeen zu<br />

kämpfen, ein anderes Mal wird im Guerillastil gekämpft<br />

(Hinterhalt, Sabotage, Attentate usw.). Von Zeit zu Zeit<br />

werden Taktiken aus allen Kampfformen angewendet.<br />

Der historische, kulturelle, soziale und wirtschaftliche<br />

Alltag in der Vergangenheit und der Gegenwart in<br />

<strong>Rojava</strong> ist der Grund dafür, dass diese Revolution<br />

keiner typischen Erfahrung einer Revolution ähnlich<br />

ist. Wenn diese Einmaligkeit vernachlässigt würde<br />

und wir schlicht bekannte Revolutionstaktiken und<br />

-theorien anwenden würden, dann würden wir heute<br />

über etwas reden, was nicht die <strong>Rojava</strong> Revolution ist.<br />

Für uns MarxistInnen ist es von grosser Wichtigkeit, die<br />

richtigen Mittel und Kampfformen zur richtigen Zeit,<br />

mit einer materialistischen Analyse der materialistischen<br />

Situation anzuwenden.<br />

Marxismus wäre nicht Marxismus, wenn er nicht auf<br />

Dialektik und historischem Materialismus basieren<br />

würde. Das Neue und Einzigartige zu begreifen und<br />

zu verstehen und dementsprechend sich selbst zu<br />

70


ekonstruieren, fordert grosse Flexibilität und Kreativität,<br />

die in der Praxis umgesetzt werden muss. Entgegen<br />

dieser Erfahrung ist in revolutionären Bewegungen<br />

Nachahmung, Auswendiglernen und formalistische<br />

Theorie und Praxis leider noch weit verbreitet.<br />

Dennoch, wie man es auf der ganzen Welt und zu allen<br />

Zeiten schon beobachten konnte, gibt es grundlegende<br />

Gesetze des Krieges, die auch hier in <strong>Rojava</strong> ihre<br />

Gültigkeit haben. Darunter gehören beispielsweise<br />

Aspekte des Militärlebens wie Disziplin, Regeln, Aspekte<br />

von Angriff und Verteidigung, Befehl und Gehorsam,<br />

Willenskraft, Glaube, Entschlossenheit, Hingabe, den<br />

Gegner und sich selbst kennen usw.. Die Antworten aller<br />

KriegstheoretikerInnen und KommandantInnen zu all<br />

diesen Themen würde fast gleich sein. Die militärische<br />

Logik ist dieselbe bei Clausewitz, Lenin und wohl auch<br />

bei anderen militärischen und politischen FührerInnen.<br />

Diejenigen, die erfolgreich sind, sind diejenigen, die<br />

eine militärische Kriegsstrategie und -taktik entwickeln,<br />

indem sie die eigenen historischen Bedingungen mit<br />

Objektivität, basierend auf der Realität und der sozialen<br />

materiellen Struktur, betrachten.Wir versuchen das, was<br />

wir als Erbe aus unserer eigenen Geschichte und von den<br />

weltweiten Erfahrungen wissen, in die Einmaligkeit der<br />

<strong>Rojava</strong> Revolution einzubringen. Dafür haben wir keine<br />

Form und kein Modell, das wir anwenden. Während dem<br />

wir die Revolution in den militärischen, wirtschaftlichen,<br />

kulturellen und sozialen Bereichen „Rojavisieren“,<br />

nähert sich unsere Revolution allmählich dem Sieg.<br />

Was heisst es, im MLKP <strong>Rojava</strong> Bataillon zu leben?<br />

Vor allem bedeutet es für uns KommunistInnen eine<br />

ideologische, politische und organisatorische Qualität.<br />

Eines der wichtigsten Probleme der revolutionären<br />

Bewegungen von heute ist es nicht entschlossen genug<br />

zu sein. Wenn die Einheit von Wort und Tat nicht<br />

vorhanden ist, kommt es zu einer Flut von Worten, die<br />

keine praktischen Konsequenzen haben. Wenn eine<br />

Bewegung ihre Glaubwürdigkeit verliert, verliert sie<br />

auch ihr Existenzrecht. Der grösste Teil revolutionärer<br />

Bewegungen ging wegen ihrer Politik zugrunde. Mangel<br />

an Strategie verursacht einen Mangel an Taktik und das<br />

bedeutet es wird keine Politik gemacht. Das zwangsläufige<br />

Ergebnis ist, nur ZuschauerIn und KommentatorIn zu<br />

sein. Diejenigen die in so ein Verhalten verfallen, können<br />

die Revolution weder aufbauen noch ein Teil von ihr sein.<br />

Im MLKP Bataillon zu leben bedeutet an einem Ort zu<br />

sein, wo RevolutionärInnen ihre revolutionäre Identität<br />

und ihre revolutionären Ansprüche stärken. Sie arbeiten<br />

in verschiedenen Bereichen und arbeiten daran, dem<br />

Volk und der Ideologie zu vertrauen, zur richtigen Zeit<br />

am richtigen Ort zu sein, den Traum einer neuen Welt<br />

zu verwirklichen und in die Zukunft zu schauen. Die<br />

MLKP ist eine Partei von Kurdistan. RevolutionärInnen<br />

aus vielen Nationen sind hier und kämpfen zusammen<br />

mit der MLKP <strong>Rojava</strong>. Wir sind offen für Menschen,<br />

die nicht Mitglieder der MLKP aber zuversichtliche<br />

RevolutionärInnen oder auch AnarchistInnen sind.<br />

Unsere Partei ist auch ein Ort für KämpferInnen die<br />

aus anderen Ländern kommen, vor allem aus Europa,<br />

um zusammen mit der MLKP gegen Barbarei und die<br />

reaktionären Daesh zu kämpfen. In diesem Sinne hat die<br />

MLKP sowohl lokale als auch internationale Merkmale.<br />

Welche Auswirkungen hat die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

auf das Leben und die Praxis im Bataillon?<br />

Wir sind in jeder Hinsicht ein Teil der <strong>Rojava</strong> Revolution.<br />

Abgesehen von unserer Einzigartigkeit, was unsere<br />

ideologische Struktur und unsere eigene Geschichte<br />

betrifft (die eine andere Perspektive und Vorteile bietet)<br />

ergänzen wir einander vor allem in militärischen Fragen.<br />

Wir beeinflussen so wie wir auch selber beeinflusst<br />

wurden. Zum Beispiel befinden sich die KämpferInnen<br />

unseres Bataillons auch an der Frontlinie und nehmen dort<br />

an allen Operationen teil. Das Leben im Bataillon bildet<br />

und festigt sie. Obwohl die Banden aus <strong>Rojava</strong> vertrieben<br />

worden sind, ist das Hauptthema zur Verteidigung der<br />

Revolution immer noch ein militärisches. Wir sollten<br />

eine militärische Verteidigungsperspektive entwickeln<br />

und uns ihren angemessenen Stellenwert überlegen.<br />

Natürlich bestimmt die militärische Perspektive und ihre<br />

Regeln den Lebensstil des Bataillons. Ausserdem werden<br />

regelmässig ideologische und politische Schulungen<br />

durchgeführt, damit die <strong>Rojava</strong> Revolution verstanden<br />

wird und damit man ein aktiver Teil der <strong>Rojava</strong><br />

Revolution sein kann, was eine wichtige Grundlage für<br />

den Kampf und die Schaffung des neuen sozialistischen<br />

Menschen bietet.<br />

Wie bildet und formt ihr neue KämpferInnen?<br />

Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist immer noch im Aufbau. Es<br />

ist eine Revolution, in der der militärische Charakter<br />

immer noch grundlegend ist. Deshalb hat die<br />

militärische Ausbildung immer noch Priorität und im<br />

Anschluss daran folgt die ideologische, politische und<br />

organisatorische Schulung. In dieser Schulung werden<br />

polytechnische Methoden angewendet. Wenn notwendig<br />

werden KämpferInnen, die an der Schulung teilnehmen,<br />

zu AusbilderInnen. Alle Schulungen werden zuerst im<br />

Bataillon erprobt und untersucht.<br />

Die militärische Ausbildung wird teilweise in der Realität<br />

der <strong>Rojava</strong> Revolution durchgeführt. Die Kriegsstrategie<br />

und -taktik von <strong>Rojava</strong> wird gelehrt. Besonders nach<br />

Angriffen bringen die Kräfte, die beim Angriff dabei<br />

waren, diese Erfahrung in das Bataillon und in die<br />

Partei. Tatsächlich bilden wir politische KämpferInnen<br />

aus, welche mit der Ideologie vertraut sind, welche das<br />

Vertrauen in die Partei haben, welche die Willenskraft<br />

haben die politische Parteilinie in die Praxis umzusetzen<br />

71


und welche widerstandsfähig, militant und mit der<br />

Revolution verbunden sind.<br />

Wie unterstützt ihr junge KämpferInnen darin,<br />

mit den schwierigen Bedingungen des Krieges<br />

umzugehen?<br />

Krieg ist die stumpfste, härteste und intensivste Phase<br />

des Kampfes. Deshalb sollte ein/e RevolutionärIn, den<br />

Krieg in seinem / ihrem Kopf gewinnen, um diesen<br />

harten Bedingungen des Krieges standzuhalten und mit<br />

ihnen umgehen zu lernen. Wir versuchen ihnen zuerst<br />

diese Eigenschaft beizubringen. Dies ist nur möglich,<br />

indem wir ideologisch stark sind und wissenschaftlich<br />

vorgehen. RevolutionärInnen, die wissen, wofür sie<br />

kämpfen, wofür sie leben und wofür sie sterben wenn<br />

es notwendig ist, können alle Schwierigkeiten des<br />

Krieges überwinden. Wenn ideologische Klarheit<br />

und Entschlossenheit auch mit Wissen, Fähigkeiten<br />

und technischen Erfahrungen gestärkt sind, gewinnen<br />

KämpferInnen Kampfgeist und Geschick, um die harten<br />

Bedingungen zu bewältigen.<br />

Es ist wichtig zu betonen, dass Ausbildung sowohl etwas<br />

Allgemeines als auch etwas Persönliches ist. Es ist nichts<br />

Einseitiges, Verallgemeinerndes und Herabsetzendes.<br />

Die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kapazitäten der<br />

einzelnen GenossInnen werden berücksichtigt, wenn die<br />

Ausbildung geplant wird. Wenn die Ausbildung an den<br />

Kriegsfronten untersucht wird, wird sie lehrhafter und<br />

dauerhafter.<br />

Wie kann die Idee der <strong>Rojava</strong> Revolution an den<br />

militärischen Kampf und an das Leben angepasst<br />

werden?<br />

Die Notwendigkeit zu verstehen ist der wichtigste<br />

Motivator. Die <strong>Rojava</strong> Revolution war am Anfang und<br />

in der Zeit der Verteidigung eine Revolution mit einem<br />

ausgeprägten militärischen Charakter. Diese Eigenschaft<br />

gehört zu dieser Revolution und ist einzigartig. In der<br />

Regel basieren Revolutionen auf Gewalt und militärischen<br />

Mitteln und Formen.Wenn wir das Problem praktisch<br />

definieren, können wir sagen, dass der Bürgerkrieg in<br />

Syrien dem Volk von <strong>Rojava</strong> die Möglichkeit gab, eine<br />

Revolution zu initiieren. Guerillakräfte übernahmen<br />

die Führung mit der Unterstützung des Volkes. Die<br />

Angriffe von Banden wie Al Nusra, die versuchten die<br />

Revolution zu zerstören und die von der Türkei und<br />

anderen unterstützt werden, nahmen rasch zu. Diese<br />

kolonialistischen FaschistInnen und reaktionären Kräfte<br />

versuchen unsere Revolution zu ersticken. Auch wenn<br />

der Widerstand der Feinde gebrochen ist und sie sich<br />

zurückziehen, ist die Revolution immer noch in Gefahr<br />

von diesen Konter-RevolutionärInnen angegriffen zu<br />

werden.<br />

Das ist der wichtigste Faktor, der die Anpassung an<br />

die Idee der Revolution mit militärischem Kampf und<br />

militärischem Leben leichter macht. Die Realität, die<br />

Verteidigung und Entwicklung der Revolution, ist<br />

direkt in Beziehung mit dem militärischen Kampf und<br />

dem militärischen Leben. Wenn du zum Beispiel nicht<br />

in militärischer Disziplin und militärischen Regeln<br />

organisiert bist und den Kampf damit entwickelst,<br />

kannst du die <strong>Rojava</strong> Revolution oder dich selber nicht<br />

verteidigen. Diese materialistische Tatsache ist eine<br />

Realität, die schnell von allen Kräften akzeptiert wird, die<br />

sich der Revolution anschliessen. Natürlich besteht ein<br />

grosser Unterschied zwischen Verstehen und in der Folge<br />

in die Praxis umzusetzen. Das ist die Qualität, die unsere<br />

KämpferInnen in ideologischen, organisatorischen und<br />

militärischen Schulungen erhalten. Wenn die Erfahrung<br />

im Gelände, an der Front dazukommt, ist die Anpassung<br />

an die <strong>Rojava</strong> Revolution und an die militärischen und<br />

wichtigen Aspekte vorhanden.<br />

Gibt es einen Zusammenhang zwischen <strong>Rojava</strong><br />

und dem revolutionären Kampf in der Türkei?<br />

<strong>Rojava</strong> ist ein Teil von Kurdistan. <strong>Rojava</strong> wurde zur<br />

AnführerIn sowohl in den anderen Teilen Kurdistans,<br />

wie auch in der Rolle, die es in anderen Revolutionen<br />

in der Region spielen wird. Die türkische Revolution<br />

ist auch ein Teil der regionalen Revolutionen. Jede<br />

Entwicklung in Kurdistan (vor allem in Bakûr und<br />

<strong>Rojava</strong>) vertieft die Krise des Regimes und ist von<br />

grosser Bedeutung im Klassenkonflikt mit seinen<br />

direkten Auswirkungen. Als Folge davon gibt es eine<br />

direkte Beziehung zwischen <strong>Rojava</strong> und der Türkei.<br />

Unsere Partei, welche die Richtung der Entwicklung<br />

des Befreiungskampfes in Kurdistan richtig eingeschätzt<br />

hat, definiert, dass Kurdistan die Einheit der Schicksale<br />

von vier Teilen des Landes erzwungen hat, indem die<br />

Grenzen ideologisch, politisch, kulturell und moralisch<br />

errichtet wurden. Dies veränderte die Perspektive,<br />

die den Kampf auf den Norden Kurdistans beschränkt<br />

sah. Mit dem 3. Kongress der Partei, der im Jahr 2002<br />

stattfand, bei dem die Perspektive der „regionalen<br />

Revolutionen“ entwickelt wurde, wurden die regionalen<br />

demokratischen und sozialistischen Verbände in das<br />

Programm aufgenommen. Dann, mit dem 5. Kongress,<br />

wurde der international verwendete Name MLKP/<br />

Türkei-Nordkurdistan zu MLKP/Türkei-Kurdistan<br />

geändert, womit die Arbeit in den anderen Teilen<br />

Kurdistans berücksichtigt wurde. Es ist ein Ansatz, der<br />

das Recht in Anspruch nimmt, die Einheit Kurdistans,<br />

das durch die KolonialistInnen zerteilt wurde, wieder<br />

herzustellen. Unsere Kurdistan Organisation betrachtet<br />

die vier Teile als den Kampf-Bereich. Diese Perspektive<br />

ist auch ein Schlag gegen den Kemalismus, der tief in die<br />

Seele der linken Bewegung eingedrungen ist.<br />

Auch heute noch können viele revolutionäre<br />

Organisationen, DemokratInnen und Intellektuelle die<br />

kurdische nationale Bewegung nicht richtig einschätzen.<br />

72


So wie sie auch die kurdische nationale Revolution,<br />

die sich 1993 zu entwickeln begann, nicht korrekt<br />

einschätzen und verstehen konnten, haben sie heute<br />

Schwierigkeiten, die <strong>Rojava</strong> Revolution zu begreifen<br />

und sie nähern sich ihr entweder oberflächlich, leugnen<br />

oder ignorieren sie.<br />

Da unsere Partei ein Teil, eine politische Kraft und<br />

eine Kampfkraft in der <strong>Rojava</strong> Revolution ist, die sich<br />

voll einsetzt, hatte das einen positiven Effekt auf die<br />

türkischen Linken und revolutionären Bewegungen<br />

und öffnete einen Weg, damit sie sich der <strong>Rojava</strong><br />

Revolution zuwenden konnten, wenn auch nur<br />

teilweise. Die offensive Politik der kolonialistischen<br />

Diktatur gegenüber unserem Volk, den ArbeiterInnen<br />

und allen Unterdrückten, geht an der türkischen Front<br />

intensiv weiter. Mit der <strong>Rojava</strong> Revolution zeigte es<br />

sich deutlicher, dass das Recht unseres Volkes auf<br />

Selbstbestimmung, der Wunsch nach Selbstverwaltung,<br />

Selbstverteidigung, wirtschaftliche, kulturelle und<br />

soziale Kontrolle, der Prozess zur Schaffung einer neuen<br />

Gesellschaft, alle Regionen betrifft. Tatsächlich füllt das<br />

Volk und die ArbeiterInnen in der Türkei ihre Segel mit<br />

dem Wind des revolutionären Sturms in der Region. Die<br />

<strong>Rojava</strong> Revolution zu verteidigen heisst auch die eigene<br />

Freiheit, die eigene Revolution, die eigene Kultur und<br />

die eigenen Werte zu verteidigen.<br />

Es gibt keinen Zweifel daran, dass die kolonialistische<br />

faschistische Diktatur den Tod der 33 jungen Menschen<br />

des SGDF (Zusammenschluss sozialistischer<br />

Jugendverbände in der Türkei) plante, die sich mit<br />

Kobanê solidarisierten. Auch das Bombenattentat<br />

bei dem Treffen in Ankara, wo Zehntausende sich<br />

versammelten, um gegen den schmutzigen Krieg in<br />

Kurdistan zu demonstrieren, war durch den türkischen<br />

Staat organisiert, obwohl auch hier wie in Pirsus Daesh<br />

verantwortlich gemacht wurde. Die objektiven und<br />

subjektiven Bedingungen für die regionale Revolution<br />

hängen direkt mit der kurdischen Befreiungsbewegung<br />

zusammen und errangen mit der Revolution in <strong>Rojava</strong><br />

einen Sieg, der auch den Kampf in der Türkei betrifft.<br />

Der Kampf gegen die Feinde der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

und die Türkei ist ein Kampf gegen die reaktionären,<br />

imperialistischen Mächte, islamistische faschistische<br />

Banden und die kolonialistische faschistische türkische<br />

Diktatur. Gemeinsame Feinde zu haben, macht unseren<br />

Kampf und die Revolution zu etwas gemeinsamem.<br />

Bevor die Befreiung und der Kampf für den Sozialismus<br />

erfolgreich sind, wird die Revolution in <strong>Rojava</strong> immer in<br />

Gefahr sein. Es ist schwierig, den Erfolg der Revolution<br />

von <strong>Rojava</strong> zu gewährleisten, bevor Syrien in einen<br />

demokratischen Zustand getragen worden ist.<br />

Leistet die MLKP <strong>Rojava</strong> auch einen Beitrag zur<br />

Entwicklung der revolutionären Gesellschaft mit<br />

sozialen Projekten? Nicht nur militärisch, sondern<br />

auch in der Gesellschaft?<br />

<strong>Rojava</strong> erfährt in jeder Beziehung einen<br />

Wiederaufbauprozess. Die Gesellschaft reorganisiert<br />

sich und verwaltet sich neu in vielen Bereichen wie<br />

Gemeindeverwaltung, Genossenschaften, Bildung,<br />

Kultur und Gesundheit. Unsere Partei trägt auch zum<br />

Aufbau der Revolution mit ihren eigenen Möglichkeiten<br />

und Stärken bei, indem sie ihre Position im fortlaufenden<br />

Prozess einnimmt.<br />

Das Gebiet von <strong>Rojava</strong> beherbergt eine Vielzahl von<br />

Völkern, Religionen und Kulturen. Unsere Partei wird<br />

wie in der Vergangenheit weiterhin ihre ideologischen,<br />

politischen und organisatorischen Aufgaben<br />

wahrnehmen, mit der Perspektive, die Einheit, Freiheit<br />

und Solidarität der Bevölkerung zu stärken. Zusätzlich<br />

dazu setzen wir unsere Arbeit in der lokalen Verwaltung,<br />

der Presse und den Gesundheitsbereichen fort.<br />

Der imperialistische Krieg zwischen Ländern<br />

wie Russland und der Türkei wird von Tag zu Tag<br />

komplexer. Was ist eure Meinung dazu?<br />

In der Zeit, die arabischer Frühling genannt wird,<br />

entwickelte die Suche der Menschen, auch der<br />

unterdrückten Menschen, nach Demokratie und Freiheit,<br />

gegen die Diktaturen der Region, eine grosse Dynamik,<br />

die immer noch da ist, so sehr sie auch inzwischen<br />

historisch ist. Es gab Orte, an denen die Diktaturen<br />

gestürzt wurden, wie in Tunesien. Die ImperialistInnen<br />

und reaktionäre Staaten der Region wollten von dieser<br />

Dynamik profitieren und wollten eine Freiheit für<br />

ihre eigenen Profite, wie in Ägypten und in Libyen.<br />

Die Türkei war in dieser reaktionären Rivalität dabei.<br />

Sie begannen eine Suche nach Regionen mit neoosmanischer<br />

Politik, um dort eine Vorherrschaft zu<br />

konstruieren. Mit ihren so genannten Angriffen gegen<br />

Israel, versuchten sie arabische Menschen mit den<br />

eigenen zu ersetzen. Sie konzentrierten sich auch auf<br />

die Feindschaft gegen das kurdische Volk, indem sie<br />

versuchten den Prozess der <strong>Rojava</strong> Revolution, die<br />

eine nationale demokratische libertäre Bewegung für<br />

Selbstverwaltung und Selbstverteidigung ist, die ihre<br />

Wurzeln im Norden entwickelt hat, zu überwältigen und<br />

zu neutralisieren. Der Mittlere Osten ist wieder zu einem<br />

Gebiet für den Konkurrenzkampf und den Krieg der<br />

ImperialistInnen geworden. Die USA konnten mit den<br />

Kriegen, die sie gegen Afghanistan und den Irak geführt<br />

haben, nicht genau das erreichen, was sie wollten. Sie<br />

vergrösserten ihren eigenen Markt in einem Teil der alten<br />

Kolonien von Russland, in Lettland, Estland, Litauen<br />

und der Ukraine, auf der Basis der Zusammenarbeit<br />

mit UN-ImperialistInnen. Der Balkan wurde in einen<br />

Markt für die deutschen ImperialistInnen verwandelt,<br />

die eng mit den USA zusammenarbeiten. Die Franzosen<br />

begannen offensivere militärische Angriffe, vor allem in<br />

Afrika, durchzuführen. Dies machten sie mit ähnlicher<br />

Vorgehensweise auch in Syrien. Russland wartete auf<br />

73


eine Gelegenheit, sich die grossen Marktplätze zurück<br />

zu nehmen, die von den USA und dem imperialistischen<br />

UN Block genommen worden waren, um sich zu stärken<br />

und zu entwickeln, und traf hierzu wirtschaftliche,<br />

politische und militärische Vorbereitungen, um den<br />

Prozess von innen nach aussen zu drehen. Russland<br />

bewegt sich seit kurzem selbstbewusster in Syrien und<br />

mit einer grösseren militärischen Stärke. Sie zeigten<br />

damit, dass sie an diesem Wettbewerb und dem Krieg<br />

teilnehmen.<br />

Der USA-UN imperialistische Block, der die<br />

Auswirkungen der Daesh und anderer islamistisch<br />

faschistischer Banden im Nahen Osten nicht<br />

neutralisieren konnte, so wie sie auch die Einmischung<br />

von Russland nicht verhindern konnten, musste mit<br />

ihnen eine Vereinbarung treffen. Der Krieg in Syrien<br />

ist ein Ergebnis der Versuche von Russland, den USA<br />

und der Türkei ihren Anteil aus der Neuformierung der<br />

Region zu bekommen. Obwohl sie unfreiwillig Verträge<br />

schlossen, sind die Widersprüche und Spannungen,<br />

insbesondere zwischen Russland und den USA sehr<br />

gross, und es ist sehr wahrscheinlich, dass diese zu<br />

gewaltsamen Konflikten werden. Die Türkei hat schon<br />

seit langem, zusammen mit Saudi-Arabien und Katar,<br />

in der Region eine sunnitische Politik angewandt.<br />

Sie unterstützen islamistische faschistische Banden<br />

wie Daesh und Al Nusra und versuchen durch die<br />

Verwendung dieser Kräfte die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

und die kurdische nationale Befreiungsbewegung zu<br />

unterdrücken, und sich in der Region festzusetzen.<br />

Sowohl der Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs<br />

wie auch der Einzug in die Basika-Region, angeblich<br />

wegen den TurkmenInnen, hat denselben Grund. Die<br />

Politik und die Pläne Russlands betreffend Syrien sind<br />

nicht neu. Als ein Land, das enge Beziehungen zum<br />

Baath-Regime hat und dort Militärbasen eingerichtet hat,<br />

ist Russland einflussreich in der Region. Als die USA<br />

und ihre Alliierten jeder Methode, einschliesslich Krieg,<br />

zustimmten, um ihre Vorherrschaft in diesen Gebieten in<br />

Syrien zu sichern, wartete Russland nicht und gab jede<br />

Art von Unterstützung, damit das Assad Regime an der<br />

Macht bleiben konnte. Jetzt entwickelt Russland eine<br />

neue Politik indem sie direkt in der Region eingreifen.<br />

Die imperialistische Allianz der USA und der UN<br />

versuchen die Region nach ihren Ideen neu zu gestalten,<br />

haben damit aber Schwierigkeiten, weil sie dort nicht<br />

die einzigen sind, die dies wollen. Sie versuchen es in<br />

Syrien, aber genau wie im Irak gelang ihnen das nicht. Im<br />

Irak übernahmen verschiedene ethnische und religiöse<br />

Gruppen aus dem politischen Umfeld die Macht, um<br />

die Absichten der ImperialistInnen misslingen zu<br />

lassen. Tatsächlich wurde Daesh, mit der Hoffnung,<br />

diese Kräfte daran zu hindern, das Gleichgewicht in der<br />

Region zu stören, von den ImperialistInnen unterstützt<br />

und bewaffnet. Doch da die Daesh die regionalen<br />

Gegebenheiten nutzen wollten, um ihre eigene<br />

Vorherrschaft in der Region einzurichten, entzogen<br />

sie sich nach einer gewissen Zeit der Kontrolle durch<br />

die ImperialistInnen und der regionalen reaktionären<br />

Staaten, und wurden selber zu einer grossen Gefahr<br />

für ihre Profite. In der bestehenden Situation konnte<br />

die irakische Armee, die Peschmerga und die syrische<br />

Armee sich nicht gegen die Daesh behaupten. Die lahmen<br />

Angriffe der ImperialistInnen waren nicht genug, um das<br />

Vordringen und die Ausbreitung der Daesh zu verhindern.<br />

Sie kämpften gegen das Monster, das sie selbst<br />

geschaffen hatten. Zwar bildeten sie eine internationale<br />

Koalition, sie konnten die Daesh aber trotzdem nicht<br />

verhindern. Daesh war in einer Position, in der sie die<br />

Erwartungen an sie nicht erfüllten. Dies erinnert an die<br />

Situation in Deutschland während der Hitler-Herrschaft.<br />

Die ImperialistInnen jener Zeit unterstützten den<br />

Hitlerfaschismus, um den Einfluss der Sowjetunion zu<br />

verhindern. Doch das Monster, mit dem Ziel der Macht,<br />

begann sie aufzufressen. Aus diesem Grund spielte der<br />

Widerstand und der Sieg der Sowjetunion die Rolle<br />

eines Leibwächters für die von Hitler besetzten Staaten<br />

in der Region. Es ist kein Geheimnis, dass Teile des<br />

Anti-Daesh-Blocks GegnerInnen der ideologischen<br />

und politischen Perspektiven der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

und ihre Verteidigungskraft YPG sind, wenn sie diese<br />

mit ihren eigenen ideologischen und politischen Ziele<br />

vergleichen. Aber der Erfolg der YPG verpflichtete sie<br />

dazu, die aufopfernden Kämpfe und den Widerstand der<br />

YPG gegen Daesh und andere Gruppen anzuerkennen.<br />

Es ist eine Beziehung, der die ImperialistInnen zwar<br />

verpflichtet sind, sie hätten sie aber lieber dennoch nicht<br />

so.<br />

Es ist kein Problem für uns, dass einige der<br />

ImperialistInnen den Daesh schlagen, wie die BesitzerIn<br />

einen wilden Hund, der hier und da nicht gehorcht.<br />

Dieser Hund greift eigentlich uns an. Deshalb stört es<br />

uns nicht, wenn sie den Daesh etwas schlagen. Wir<br />

sollten auch betonen, dass sich die Zusammenarbeit der<br />

USA, der UN und Russland mit der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

und ihrer Pionierarbeit grundsätzlich nur auf eine<br />

militärische Zusammenarbeit beschränkt. Weder die<br />

<strong>Rojava</strong> Revolution noch die nationalen demokratischen<br />

Rechte der kurdischen Bevölkerung sind ein Thema.<br />

Was denkt ihr über die internationale Solidarität?<br />

Als Partei kümmern wir uns sehr um dieses Thema. Wir<br />

versuchen Bündnisse zu schliessen, machen Treffen,<br />

bilden Aktionseinheiten und üben Solidaritätspraktiken<br />

mit sehr vielen internationalen Gruppen. Allerdings<br />

können wir nicht sagen, dass Einheiten, die stark und weit<br />

verbreitet genug sind, wie es jetzt für eine revolutionäre<br />

internationale Zuständigkeit notwendig wäre, aufgebaut<br />

werden. Es genügt, sich die mordende Menge der Daesh<br />

anzusehen, um sich der beschämenden Situation der<br />

Gruppen, die sich als links, sozialistisch, revolutionär<br />

oder anarchistisch bezeichnen, zu sehen. Denkt an die<br />

74


Tausenden von Menschen aus fast 100 Ländern, die<br />

sich dieser mordenden Masse anschliessen. Die Zahl<br />

der InternationalistInnen, die für eine Alternative wie<br />

die <strong>Rojava</strong> Revolution Stellung beziehen, die für die<br />

Frauenbefreiung kämpft und Gleichberechtigung und<br />

Gerechtigkeit verteidigt, ist im Vergleich sehr klein.<br />

Wir sind uns sicher, dass die <strong>Rojava</strong> Revolution, die im<br />

wüstenartigen politischen Umfeld des Mittleren Ostens<br />

wie eine Oase und eine Quelle des Lebens ist, mehr<br />

Interesse, Unterstützung und Solidarität verdient.<br />

Um zu verstehen, was hier geschieht und um die Situation<br />

zu verbessern, sollte jede Art von internationaler<br />

Unterstützung geleistet werden. Unsere Revolution<br />

macht das möglich. Die <strong>Rojava</strong> Revolution mit dem,<br />

was sie verteidigt und verwirklicht, macht internationale<br />

Solidarität und die Einheit der RevolutionärInnen<br />

notwendig und zwingend. Es sollte betont werden, dass<br />

die RevolutionärInnen und KommunistInnen mehr<br />

an der Verteidigung und dem Aufbau der Revolution<br />

teilnehmen sollten. Dies um zu gewährleisten, dass<br />

die <strong>Rojava</strong> Revolution zur Demokratisierung Syriens<br />

beitragen wird, zur Befreiung von Nordkurdistan und<br />

für den Aufbau und die Entwicklung der sozialistischen<br />

Verbände / Einheiten. Unsere Partei betont noch<br />

einmal konkret die Anstrengungen zur Verteidigung,<br />

zur Verbreitung und Stärkung der eigenen Revolution<br />

der Völker und der Unterdrückten der Welt durch die<br />

Pionierarbeit im Internationalen Freiheits-Bataillon.<br />

Was wollt ihr den internationalen revolutionären<br />

Bewegungen sagen?<br />

Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist heute der Ort der Menschen<br />

und der Unterdrückten der Welt, die gegen den<br />

Kapitalismus, den Imperialismus und jede Art von<br />

religiösen Reaktionären kämpfen. Die Revolution von<br />

<strong>Rojava</strong> zu schützen bedeutet gegen den Kapitalismus,<br />

Imperialismus und reaktionäre Religionsbestrebungen<br />

Widerstand zu leisten und den Fortschritt der Revolution<br />

zu unterstützen. Der Sieg der Revolution von <strong>Rojava</strong><br />

wird ein starker Schlag gegen den Kapitalismus, den<br />

Imperialismus und reaktionäre Diktaturen in der Region<br />

sein.<br />

Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist heute das, was die Pariser<br />

Kommune, die bolschewistische Revolution, Kuba,<br />

China, Vietnam, Südafrika und Algerien bedeuten. Aus<br />

diesem Grund ist Schutz und Unterstützung aber auch<br />

die Teilnahme darin die konkreteste, unvermeidlichste<br />

und obligatorische ideologische und politische<br />

Verantwortung der revolutionären Bewegungen heute.<br />

75


TKP/ML & TIKKO<br />

«Es ist für uns sehr wichtig, dass wir als<br />

RevolutionärInne hier auch internationale<br />

Solidarität zeigen. Für die Öffentlichkeit<br />

ausserhalb <strong>Rojava</strong>s ist es ebenfalls sehr<br />

wichtig, dass die Leute sagen, dass da<br />

auch internationale KommunistInnen und<br />

RevolutionärInne kämpfen»<br />

Könnt ihr etwas über euch erzählen? Wie ist<br />

die TKP/ML-TIKKO hier im Kampf in <strong>Rojava</strong><br />

involviert?<br />

TKP/ML-TIKKO ist am Kampf des Internationalen<br />

Freiheitsbataillons beteiligt. Die TIKKO ist Mitbegründer<br />

dieses Bataillons. Wir sind bis jetzt aber nur im Bataillon<br />

tätig, extra ein Team zu formieren, das machen wir nicht.<br />

Wir kämpfen als TIKKO im Bataillon, aber in Zukunft<br />

werden wir an Operationen vielleicht auch einzelne<br />

Teams aufstellen.<br />

Kannst du ganz kurz sagen, was der Unterschied<br />

ist zwischen einem Bataillon und einem Team?<br />

Im Bataillon organisieren sich verschiedene revolutionäre<br />

Organisationen. Der Unterschiedlich ist, dass in Teams<br />

die Parteien ohne andere Organisationen auftreten.<br />

Also zum Beispiel könnte die TKP/ML und die MLKP<br />

ein eigenes Team stellen. Die wären dann unabhängig<br />

voneinander. Aber wenn wir im internationalen Bataillon<br />

kämpfen, dann sind wir alle zusammen.<br />

Das heisst, ihr könnt als Bataillon an einer Operation<br />

teilnehmen, aber auch als Team unabhängig davon?<br />

Genau! Das können wir so machen, das ist eigentlich uns<br />

selbst überlassen. Das Internationale Freiheitsbataillon<br />

ist für uns aber sehr wichtig, denn die revolutionären<br />

Kräfte, die hier aktiv sind, haben grosse Bedeutung für<br />

uns. Auch für die <strong>Rojava</strong> Revolution ist es wichtig, dass<br />

wir gemeinsam als ein Bataillon kämpfen. Letztlich ist<br />

aber beides, das heisst unser Kampf als Organisation und<br />

unser gemeinsamer Kampf, für uns von Bedeutung.<br />

Warum ist das Freiheitsbataillon für euch wichtig?<br />

Um die internationale Solidarität zu zeigen ist es<br />

wichtig, dass wir die <strong>Rojava</strong> Revolution verteidigen und<br />

dass wir ein Teil davon sind. Im internationalen Tabûr ist<br />

es unser Ziel, dass Leute auch vom Ausland beteiligen<br />

können. Dabei ist es egal, ob sie sich Demokraten oder<br />

Revolutionäre nennen oder ob sie SozialistInnen oder<br />

KommunistInnen sind. Wäre das nicht so, würden sie<br />

als Einzelpersonen in den YPG Bataillons kämpfen.<br />

Doch mit den Erfahrungen von Spanien im Rücken, als<br />

es damals im Kampf gegen Franco ein vergleichbares<br />

internationales Tabûr gab, wollten wir hier etwas<br />

Vergleichbares auf die Beine stellen. Dies ist umso<br />

wichtiger, weil hier eine Revolution stattfindet. Ob diese<br />

gut oder schlecht sein wird, ist eine andere Frage aber<br />

hier kämpft letztlich ein Volk, bei dessen Freiheitskampf<br />

wir beteiligt sind.<br />

Es ist für uns auch wichtig, dass wir hier als<br />

RevolutionärInne internationale Solidarität zeigen. Für<br />

die Öffentlichkeit ausserhalb <strong>Rojava</strong>s ist wichtig zu<br />

erfahren und zu sehen, dass hier auch internationale<br />

KommunistInnen und RevolutionärInnen kämpfen.<br />

Die Menschen sollen sehen, dass die hier dabei<br />

sind. Und die Menschen, das heisst insbesondere die<br />

RevolutionärInnen, sollen hierher kommen.<br />

Gibt es dabei auch politisch ideologische<br />

Unterschiede?<br />

Ja, es gibt verschiedene Organisationen, die jetzt<br />

am Bataillon beteiligt sind. Es gibt SozialistInnen,<br />

KommunistInnen, AnarchistInnen, DemokratInnen,<br />

Menschen, die nur die die Revolution von <strong>Rojava</strong><br />

verteidigen möchten und solche, die wegen den<br />

Menschenrechten hier sind. Es gibt also ganz<br />

verschiedene ideologische Ansichten. Wir sind aber<br />

alle Teil eines gemeinsamen Bataillons und kämpfen<br />

zusammen gegen Daesh.<br />

76


Wie geht ihr mit diesen Widersprüchen um?<br />

Wir versuchen, Konflikte zu vermeiden, weil es uns nicht<br />

weiterbringt, sondern nur bestimmte Gruppierungen<br />

hervorbringt. Das ist eigentlich jedem klar, aber das heisst<br />

nicht, dass wir unsere Widersprüche einfach ignorieren.<br />

Bestimmte Sachen diskutieren wir. Zumindest wenn wir<br />

Zeit haben, setzen wir uns hin und reden über bestimmte<br />

ideologische Themen. Beispielsweise darüber, wer was<br />

sagt, wer welche Ansichten hat und dann fangen wir<br />

an Diskussionen zu führen. Es ist normal, dass jede/r<br />

sich äussern kann. Eine/r die/der eine andere Ansicht<br />

hat, kann einem anderen einfach zuhören, um ihn zu<br />

verstehen. Da ist es auch sehr wichtig, die Gedanken des<br />

anderen erst mal aufzunehmen, darüber nachzudenken<br />

und damit zu leben.<br />

Diese Auffassung im Tabûr führt dazu, dass jeder hier<br />

ein Genosse ist. Das heisst, dass nicht nur die Leute<br />

aus der eigenen Organisation als solche begrüsst<br />

werden. Wir sagen nicht mehr: «du bist mein Genosse<br />

und die anderen sind halt nur Freunde». Denn alle, die<br />

im Bataillon leben und kämpfen, sind Genossen. Wir<br />

kämpfen nebeneinander und wenn wir im Kampf fallen,<br />

werden wir nebeneinander fallen. Wir werden die besten<br />

Tage im Kampf miteinander verbringen.<br />

Wir haben zum Beispiel an zwei Grossoperationen<br />

teilgenommen. Da haben wir auch Gefallene gehabt und<br />

das verbindet uns. Wir sind dadurch ein besseres Tabûr<br />

geworden. Die Qualität steigt durch die gemeinsame<br />

Erfahrung und die Solidarität.<br />

Und wie läuft die Arbeit bei euch im Tabûr?<br />

Wir versuchen viel Öffentlichkeitsarbeit zu machen.<br />

Wir haben auch viele Leute, die zum Tabûr kommen<br />

möchten und mit denen wir den Kontakt aufbauen. Wir<br />

haben viele internationale KämpferInnen, die bei uns<br />

sind: Aus den USA, von Brasilien, von Deutschland, aus<br />

der Schweiz, von Frankreich, auch von Russland sind<br />

einige GenossInnen da, die jetzt im Bataillon kämpfen.<br />

Gibt es im Bataillon auch Reflexionen, im Sinne<br />

von Kritik und Selbstkritik?<br />

Ja, das ist sehr wichtig bei uns. Wir machen täglich Kritik /<br />

Selbstkritik. Dabei formen wir Teams. Diese bestehen aus<br />

drei bis fünf Personen. Zwei Teams sind eine Mannschaft<br />

und es gibt einen Mannschaftskommandanten und die<br />

Teams haben auch Teamkommandanten. Jede Woche<br />

trifft sich die Mannschaft und nimmt am Treffen zur<br />

Kritik / Selbstkritik teil. Sie setzen sich hin und reden<br />

über etwas. Zum Beispiel, wer welche Kritikpunkte an<br />

wem hat, was falsch gemacht wurde, was wir in Zukunft<br />

vermeiden sollen. Täglich machen die Teams Kritik /<br />

Selbstkritik. Da werden Fragen besprochen, wie zum<br />

Beispiel wer an dem Tag was Falsches gemacht hat,<br />

wer was gemacht hat und so weiter. Dies führt dazu,<br />

dass Kritik / Selbstkritik uns hilft, dass viele Probleme<br />

gleich am Anfang gelöst werden und dass sie sich nicht<br />

sammeln und auf einmal platzen und es dann schwieriger<br />

ist sie zu lösen.<br />

Wenn wir täglich über Probleme reden, dann können<br />

wir diese besser lösen und die GenossInnen verstehen<br />

das dann auch besser. Wenn sich Probleme hingegen<br />

sammeln würden, dann haben wir auf einmal ein grosses<br />

Problem. Einmal im Monat üben wir als ganzes Tabûr<br />

Kritik / Selbstkritik aus. So läuft das bei uns. Auch darin<br />

haben wir also eine Art Ausbildung gemacht.<br />

Wir haben uns zudem hingesetzt und einen Bildungsplan<br />

gemacht, damit wir einerseits fähig sind, Selbstkritik<br />

auszuüben, andererseits aber auch andere Themen<br />

behandeln können. Beispielsweise beschäftigen wir uns<br />

auch immer wieder mit Fragen, wie was denken wir über<br />

die internationale Solidarität usw. Wenn wir also Zeit<br />

finden reden wir an zwei, drei Tagen über bestimmte<br />

Themen. Neben der internationalen Solidarität sind das<br />

zum Beispiel Fragen der Frau. Hierzu haben wir uns<br />

Fragen gestellt, zum Beispiel wie leben wir im Tabûr als<br />

Männer? Wie gehen wir hier mit Frauen um? Was ist ein<br />

richtiger Umgang? Über solche Themen diskutieren wir.<br />

Macht ihr auch militärische Ausbildungen?<br />

Ja, soweit es möglich ist, besuchen wir militärische<br />

Ausbildungen. Aber an sich werden wir von den eigenen<br />

Tabûrs und Parteien militärisch ausgebildet. Erst dann<br />

können die Leute zur Front und zum Bataillon kommen.<br />

Erst dann, weil das Bataillon ein Kampfbataillon ist, das<br />

nur an der Front ist und nicht zurückkommt. Darum ist<br />

es sehr wichtig davor schon eine Ausbildung zu haben.<br />

Aber wir versuchen auch an der Front den Leuten eine<br />

militärische Ausbildung zu geben, zum Beispiel denen,<br />

die eine Waffe nicht oder zu wenig kennen. Dann sagen<br />

wir zum Beispiel, «heute machen wie lieber eine RPG<br />

Ausbildung». Ja auch solche Sachen gehören zu unserem<br />

Alltag.<br />

Wie bewegt ihr euch militärisch?<br />

Das Bataillon ist immer an der Front und wir sind<br />

ein bewegliches Bataillon. Damit hat es keine festen<br />

Standorte, solange wir an Operationen teilnehmen. Die<br />

beweglichen Tabûrs bestehen in <strong>Rojava</strong> aus denjenigen<br />

Leuten, die an der vordersten Front kämpfen. Sie sind<br />

zum Beispiel diejenigen, die zuerst in ein Feinddorf oder<br />

in Feindstädte reingehen und dieses kontrollieren. Es<br />

gibt besondere bewegliche Tabûrs auch in der YPG. Wir<br />

sind ein Teil davon.<br />

Das kann aber auch wechseln. Wenn es keine Operation<br />

77


gibt, sind wir an der Front und halten dort einen<br />

Stützpunkt. Wenn an Operationen teilgenommen wird,<br />

sind wir wieder ein bewegliches Tabûr. Normalerweise<br />

bewegt sich das Tabûr nach der Operation und zieht sich<br />

dann erst zurück. Dann kann man sich dann doch auch<br />

erholen.<br />

Da wir verschiedene Parteien und Organisationen sind,<br />

können wir in dieser Situation der Ruhe Leute, also<br />

unsere GenossInnen, auswechseln. Die Leute, die sich<br />

erholt haben, kommen zum Tabûr und die, die richtig<br />

müde und kaputt sind, die kommen dann zurück und<br />

erholen sich. Deswegen müssen wir aber als Tabûr nicht<br />

von der Front zurückkommen. Das ist unser Vorteil.<br />

Die Müden kommen mal zurück, erholen sich und<br />

werden ausgewechselt durch diejenigen, die sich<br />

erholt haben?<br />

Genau, das ist ein Vorteil von uns. Die YPG ist nicht so<br />

beweglich.<br />

Das ist der Unterschied zwischen euch und der<br />

YPG?<br />

Die YPG sind die, die diesen Freiheitskampf für die<br />

<strong>Rojava</strong> Revolution anführen und wir solidarisieren uns<br />

mit ihnen. Wir befinden uns hierarchisch auch unter der<br />

YPG, gleichzeitig sind wir Teil der YPG. Wenn wir an<br />

der Operation teilnehmen, dann unter dem Kommando<br />

der YPG. Die sagen uns, wann wir wo an die Front<br />

gehen können und so weiter. Sie sagen was wir tun, sie<br />

koordinieren und dann gehen wir nach vorne oder wir<br />

bleiben zurück.<br />

Gefühl. Das wollen wir auch erreichen und wir müssen<br />

das noch besser machen. Das heisst, das wir nicht nur<br />

dreissig Leute im Tabûr bleiben, sondern mehr Leute<br />

werden, die hier die <strong>Rojava</strong> die Revolution verteidigen.<br />

Für die TKP/ML-TIKKO heisst das auch wachsen.<br />

Ist die Erfahrung die ihr sammelt, eine Erfahrung,<br />

die ihr auch in der Entwicklung von TKPML-TIKKO<br />

gebrauchen könnt?<br />

Ja, aber das ist ein anderer Kampf. Was wir hier lernen,<br />

ist unter anderem in den Städten mit verschiedenen<br />

Waffen Krieg zu führen. Worin wir bis jetzt Erfahrungen<br />

haben, war der Guerillakrieg. Wir waren in der Guerilla<br />

in den Bergen der Türkei und von dort lernten wir unsere<br />

Strategie. Dort haben wir nur eine Guerillaarmee, hier ist<br />

es anders. Hier lernst du in den Städten zu kämpfen, und<br />

das auch mit den grossen Waffen oder gar mit Panzern.<br />

Flugzeuge kommen hierher und bombardieren, wir gehen<br />

rein in die Städte und so weiter; das ist in der Guerilla<br />

halt alles nicht so. Dort bombardieren die Flugzeuge uns<br />

und nicht umgekehrt. In den Bergen greifst du den Feind<br />

an und ziehst dich wieder zurück. Hier greifst du an und<br />

bleibst. Das ist was ganz anderes. Hier kämpfst du täglich<br />

24 Stunden lang. Es ist ein aktiver Kampf. In den Bergen<br />

Also die YPG funktioniert nicht wie du vorher<br />

erzählt hast?<br />

Genau! Die funktionieren anders, weil wir durch die<br />

verschiedenen Organisationen und die verschiedenen<br />

Parteien ein internationales Bataillon bilden, ist bei uns<br />

alles ein bisschen anders. So haben wir das gegründet,<br />

so wurde es besprochen und bis jetzt läuft alles sehr gut.<br />

Eure Bilanz ist bis jetzt positiv?<br />

Ja, positiv. Wenn die YPG Krieger oder Kriegerinnen,<br />

die jetzt im Kampf sind, uns sehen, wissen sie, dass<br />

sie nicht alleine im Kampf sind. Sie wissen, dass wir,<br />

Sozialistinnen, KommunistInnen oder AnarchistInnen<br />

hier im Tabûr sind und für sie kämpfen und dass von<br />

uns auch schon GenossInnen gefallen sind. Das ist sehr<br />

wertvoll. Die schätzen das auch. Ja das ist wirklich<br />

wertvoll und das sagen sie uns auch. Wenn wir da<br />

hin gehen und die Gesichter der YPG Krieger oder<br />

Kriegerinnen anschauen, hat man dieses Gefühl, dass<br />

sie wissen, dass das was wir machen, was Gutes ist und<br />

wir das Richtige machen und das ist eben ein schönes<br />

78


dauert eine Operation durchzuführen drei, vier Minuten<br />

höchstens, dann musst du dich wieder zurückziehen, weil<br />

wir dort mit einer kleineren Kraft eine grössere Kraft<br />

angreifen und letztlich nur Moralschaden anrichten. Ein<br />

Guerillakampf ist dazu da, den Feind nicht komplett zu<br />

zerstören, das geht mit dieser Kampfform schlichtweg<br />

nicht.<br />

Hier ist es ganz anders. Hier kämpft eine grosse Kraft<br />

gegen eine grosse Kraft. Hier verteidigst du die Städte, hier<br />

versuchst du dein Land zu verteidigen. Diese Erfahrung<br />

ist für uns wichtig. In Zukunft werden wir auch in den<br />

Städten kämpfen und diese Erfahrungen brauchen wir,<br />

nicht nur militärisch, auch für das politische Leben. Das<br />

ist zum Beispiel das erste Mal, dass wir als revolutionäre<br />

Organisation oder Partei sehen, wie ein Land oder wie<br />

die Bevölkerung neu aufgebaut wird. Es kann sein, dass<br />

wir Kritikpunkte haben, aber hier findet eine Revolution<br />

statt und wir lernen durch diese Revolution.<br />

Wir haben bisher nur in den Büchern gelesen, wie eine<br />

Revolution gemacht wird; von Lenin, von Mao und so<br />

weiter. Von all diesen Leuten haben wir es gelesen und<br />

gelernt aber jetzt leben wir es. Wir sind mitten drin und<br />

wenn wir es irgendwann einmal schaffen in der Türkei<br />

die Revolution durchzuführen, dann werden wir das mit<br />

dieser Erfahrung machen. Also mit den hier erfahrenen<br />

militärischen und politischen Aspekten. Wichtig für die<br />

Revolution ist, dass wir kämpfen aber noch wichtiger ist<br />

die Arbeit mit der Bevölkerung und diese zu verändern.<br />

Das heisst den Kampf für den Sozialismus zu führen.<br />

Wie gesagt, es ist sehr schwer die Bevölkerung zu<br />

verändern. Lebt ein Mensch im Kapitalismus, lebt er<br />

beispielsweise automatisch auch im Egoismus. Ich<br />

würde sogar sagen, dass es immer mehr so ist. Das zu<br />

verändern, zum Beispiel Kooperativen zu gründen, wo<br />

alle Menschen gleich sind, das ist sehr schwer, doch<br />

genau das leben wir hier.<br />

Eine Gesellschaft neu aufzubauen, das ist wohl<br />

schwieriger als zu kämpfen. Du gehst und kämpfst, das<br />

ist in dieser Hinsicht einfach. Du weisst was du machen<br />

musst, du musst den Feind töten oder er tötet dich. Aber<br />

die Bevölkerung, das ist etwas ganz anders. Du musst<br />

Menschen ändern und Menschen zu verändern ist das<br />

Schwierigste was ein/e RevolutionärIn machen kann.<br />

In dieser schwierigsten Mission lernen wir viel von der<br />

YPG. Ebenso von den KurdInnen die hier leben. Sie sind<br />

fortschrittlicher als wir, sie kämpfen auch gut. Von ihnen<br />

lernen wir. Wir lernen auch in den Bergen von ihnen.<br />

Wir müssen versuchen SchülerInnen zu werden, nicht<br />

immer nur LehrerInnen zu sein.<br />

Das heisst ihr und die YPG verbindet den Kampf<br />

gegen den Feind mit dem Aufbau der Revolution?<br />

Ja, für uns ist die politische Sache gleich dem Krieg.<br />

Wir sagen nicht, Krieg und Politik ist was Getrenntes.<br />

Wir sagen Politik und Krieg ist das Gemeinsame.<br />

Ohne Politik kannst du nicht kämpfen. Das was dich<br />

zum Kampf bringt ist deine Politik, das heisst deine<br />

Ideologie. Ohne deine Ideologie kannst du nicht<br />

kämpfen. Wir sind keine KämpferInnen, die kämpfen<br />

nur um Action zu haben oder um Leute zu töten. Wir<br />

versuchen hier Leute zu verändern. Wir versuchen hier<br />

einen Freiheitskampf zu führen. Wir versuchen hier eine<br />

Revolution durchzuführen!<br />

Bei Gesprächen mit YPJ KommandantInnen ist<br />

mir aufgefallen, dass auch sie versuchen die Gedanken<br />

der Revolution in die militärischen Strukturen oder<br />

in den Umgang mit den RevolutionärInnen zu tragen.<br />

Bei der YPG oder bei den KurdInnen ist es so, dass sie<br />

im Krieg ideologische Ausbildung geben. Einerseits<br />

sind die an der Front beim Kämpfen und andererseits<br />

haben sie eine starke Kraft in Fragen der Ausbildung.<br />

Das macht die YPG sehr stark. Wie gesagt ist es für die<br />

Leute, die am Kampf beteiligt sind, besser, wenn sie<br />

mit einer Ideologie am Kampf beteiligt sind und wenn<br />

sie wissen warum man diesen Kampf führt. Das ist der<br />

79


Grund, weshalb sie sich nicht zurückziehen.<br />

Man nehme aber zum Beispiel ein imperialistisches<br />

Land oder ein kapitalistisches Land. Wenn man bei<br />

denen die Armee anschaut, da kann sich jeder einfach<br />

zurückziehen, weil er was zu verlieren hat. Aber hier<br />

haben wir nichts zu verlieren. Wir sind da, weil wir<br />

wissen, warum wir hier sind. Weil wir als Mensch sagen<br />

«wir sind RevolutionärInne» und wenn wir sagen, dass<br />

wir RevolutionärInne sind, sind wir auch da, um dafür<br />

was zu machen. Ausbildungen sind dazu da, dass du im<br />

Kampf stets ein Schritt voraus bist. Es kann sein, dass<br />

der Feind bessere Waffen hat aber das, was du im Kopf<br />

hast, deine Ideologie ist für dich ein Vorteil. Das stärkt<br />

dich, der Feind wird schwächer und du wirst stärker.<br />

Der Feind kann Angst haben, er kann sich zurückziehen<br />

aber du ziehst dich nicht zurück, weil du diesen Kampf<br />

führen musst. In der Struktur des YPG verhält es sich<br />

genau so. Im Kampf beteiligt zu sein bedeutet für sie<br />

auch sehr viel Wert auf die ideologische Ausbildung zu<br />

geben. Wenn ein Tabûr zum Beispiel an der Front ist, bei<br />

einer grossen Operation, dann zieht sich der Tabûr nach<br />

der grossen Operation zurück und es gibt nochmals eine<br />

ideologische Ausbildung. So ist die Struktur in der YPG<br />

und das ist sehr gut.<br />

Warum ist das so?<br />

Weil sie sich dadurch reproduzieren. Du bist als<br />

KämpferIn zum Beispiel an der Front, im Kampf kannst<br />

du viele Schwierigkeiten erleben. Du kannst sagen, ich<br />

gehe, ich will nicht mehr kämpfen aber wenn du die<br />

ganze Zeit zusätzlich ideologische Ausbildungen erhältst<br />

und weisst, warum du diesen Kampf führst, dann gehst<br />

du nicht.<br />

Wir Menschen haben durch das, was das kapitalistische<br />

System uns gibt, Schwächen. Ja wir haben viele<br />

Schwächen. Diese machen, dass wir nicht alle unsere<br />

Stärken herausbringen, dass wir Dinge vermeiden.<br />

Unsere revolutionäre Ideologie hilft uns aber damit<br />

umzugehen. Revolutionäre Gefühle, revolutionäres<br />

Denken ist sehr wichtig für dich und das was du tust.<br />

Es geht darum das andere, den Dreck den du in dir hast<br />

einfach rausschmeissen zu können.<br />

Und wenn du das nicht machst, und dich nicht ideologisch<br />

ausbildest, dann kann sich das in deinem Kopf festsetzen.<br />

Dieses «ich habe Angst, ich will nicht kämpfen» zum<br />

Beispiel. Das sind sehr menschliche Sachen aber<br />

damit umzugehen, das was für dich ein Heilmittel ist,<br />

ist deine politische Ideologie. Man kann zum Beispiel<br />

Depressionen haben, das ist sehr menschlich. Aber<br />

die Ideologie ist ein Heilmittel dagegen und dies zu<br />

erkennen ist ein Fortschritt für uns, auf den uns auch die<br />

YPG gebracht hat.<br />

Könnt ihr denn an all diesen Ausbildungen<br />

teilnehmen?<br />

Ja, das können wir. An den ideologischen Ausbildungen<br />

der YPG nehmen wir nicht teil. Aber an den militärischen<br />

Ausbildung können wir teilnehmen. Die ideologischen<br />

Ausbildungen bekommen wir von unseren eigenen<br />

Organisationen, aber militärische Ausbildungen, wenn<br />

wir zum Beispiel sagen, wir wollen für grossen Waffen<br />

eine Ausbildungen haben, können wir haben. Es ist<br />

eigentlich ganz einfach: Du gehst dann in eine Akademie<br />

und machst eine Ausbildung.<br />

Das ist alles sehr beeindruckend. Möchtest du noch<br />

was dazu fügen?<br />

Das sind wichtige Erfahrungen, die ich hier gemacht habe.<br />

Einige davon nimmt man mit, andere vergisst man aber<br />

eigentlich nehmen wir 90 Prozent dieser Erfahrungen mit<br />

uns. «Wir sind LehrerInnen und die sind SchülerInnen»<br />

so gehen wir oftmals vor, damit wir lernen können. Aber<br />

wenn man sagt «wir sind LehrerInnen», dann baust du dir<br />

eine Wand, weil du vermeidest es Schüler zu sein. Unser<br />

Motto, das wir hier erlernen, ist erst mal SchülerIn und<br />

dann erst LehrerIn zu werden. So schreiten wir voran.<br />

Was würdest du den jungen KommunistInnen,<br />

SozialistInnen auch AnarchistInnen in Europa sagen,<br />

die auf dem Weg sind einen revolutionären Prozess<br />

zu machen?<br />

Ich würde ihnen sagen, dass sie hier an der <strong>Rojava</strong><br />

Revolution teilnehmen sollen, weil es eine andere, eine<br />

neue Erfahrung ist. Hier wirst du lernen, wie man nach<br />

einer Revolution mit der Bevölkerung umgeht. Was für<br />

Fehler gemacht werden. Was du vermeiden sollst. Aber<br />

auch was für gute Sachen gemacht werden. Wie man die<br />

Bevölkerung verändert. Wie man an der Front kämpft.<br />

Und so weiter.<br />

Die Leute, die sich RevolutionärInne nennen, auch<br />

AnarchistInnen, die sollen hier in dieses kleine Gebiet,<br />

das wir <strong>Rojava</strong> nennen, kommen und lernen zu kämpfen.<br />

Vielleicht auch erst mal diese Kultur kennenzulernen.<br />

Dieser Kampf ist sehr wichtig und über diesen Kampf<br />

kannst du nicht einfach sagen, das was du hier lernst in<br />

diesem Land kannst du auch woanders tun. Jedes Land<br />

hat eine eigene Kultur und eine eigene Lebensweise und<br />

der Kampf wird dann auch anders sein. Aber es gibt viele<br />

Sachen, die du vom Kampf von hier da hin bringen<br />

kannst.<br />

Ich glaube es ist für alle RevolutionärInnen auf dieser<br />

Welt wichtig, dass wenn dein Feind dich mit der Waffe<br />

bekämpft, und das macht er hier aber auch anderswo,<br />

dann musst auch du lernen mit der Waffe zu kämpfen.<br />

Das ist sehr wichtig. In vielen Ländern ist es nicht wie<br />

hier, dass du wirklich an der Front bist. Aber irgendwann<br />

80


wirst auch du die Waffe gegen den Feind benutzen<br />

müssen. Der Feind sagt nicht, «du kannst jetzt kommen<br />

ich gehe». So wird es nicht sein. Deswegen muss man<br />

lernen, wie man mit der Waffe umgeht. Das gleiche gilt<br />

aber auch für das Politische. Auch hier muss man lernen,<br />

wie man mit der Bevölkerung umgeht. Wie man sie<br />

verändern kann.<br />

Hier lernen wir, was es heisst, ein/e wirkliche/r<br />

RevolutionärIn zu sein. Hier bekommst du das politische<br />

Verständnis, damit du weisst, warum man für die<br />

Revolution kämpft. Wenn man hier das Volk sieht, in<br />

welcher Armut sie leben und was für Sachen die hier<br />

erlebt haben, dann weisst du, was es zu tun gibt. Man<br />

muss das aber erst mal erleben, damit man sagen kann,<br />

wir müssen was dagegen tun, auch in unserem Land<br />

müssen wir dagegen was tun.<br />

Vielleicht kann es sein, dass dein Lebensstandard bei dir<br />

besser ist. Doch wenn man sagt, «ich bin RevolutionärIn»,<br />

dann sagst du, das System das herrscht ist ein falsches<br />

System. Was du dagegen machen kannst, ist entweder<br />

du bewaffnest dich oder du versuchst im Proletariat<br />

gute Arbeit zu leisten. Was du für eine Strategie hast,<br />

um dagegen zu kämpfen, das musst du hier lernen. Und<br />

genau das lernst du hier auch. Hier lernst du nicht nur<br />

zu kämpfen, hier lernst du wirklich alles, was du für die<br />

Revolution brauchst. Du kannst vielleicht nicht alles<br />

mitnehmen aber bestimmt kannst du etwas mitnehmen.<br />

Du wirst nicht leer von hier in dein Land zurückkehren,<br />

das kann ich den GenossInnen, die ausserhalb <strong>Rojava</strong>s<br />

leben, versprechen. Auch wenn sie den Krieg und den<br />

Kampf sonst nur vom Fernsehen und von den Medien<br />

lernen, sollen sie herkommen und Erfahrung sammeln.<br />

Grusswort der TIKKO<br />

Wenn man die Anschläge in Paris anschaut,<br />

kann man sehen, dass wir in <strong>Rojava</strong> für die<br />

richtige Sache kämpfen. Dieser Kampf hier<br />

reflektiert das Massaker in Paris.<br />

Es zeigt uns, warum wir die Waffe in die<br />

Hand nehmen müssen, nämlich um gegen die<br />

faschistische Daesh zu kämpfen. Das hat uns<br />

das Massaker in Paris gezeigt, das hat uns<br />

<strong>Rojava</strong> gezeigt und beides, Paris und <strong>Rojava</strong>,<br />

Ankara und Suruc, zeigen uns, dass unser<br />

Kampf für eine andere Welt richtig ist.<br />

Pariser Jugendliche, Frauen, Zürcher<br />

Jugendliche und Frauen aus Deutschland,<br />

die Jugendlichen und die Frauen in Europa<br />

ihr alle sollt keine Angst vor Daesh haben,<br />

sondern diese Angst für etwas Besseres, für<br />

etwas Gutes einsetzen. Ihr müsst gegen das<br />

System kämpfen und ihr solltet das organisiert<br />

machen. So ist es für uns wichtig, dass ihr ein<br />

Teil der Revolution seid. Genau wie Daesh<br />

hier verloren hat, wird das System auch in<br />

Europa verlieren. Doch dafür müssen sich die<br />

Völker organisieren, genauso wie sich auch<br />

die Jugendlichen, Kinder, Frauen oder das<br />

Proletariat organisieren muss.<br />

Diese Aufgabe kommt als erstes der<br />

kommunistischen Partei zu. Die revolutionären<br />

Kräfte müssen sich zuerst organisieren und<br />

zweitens dann auch das Volk. Doch das<br />

Potential, um diesen Kampf zu gewinnen, ist<br />

beim Volk stets vorhanden!<br />

Wir glauben das auch, weil das Volk schon<br />

Menschen wie Barbara Kistler gesehen hat. Sie<br />

hat etwas geschaffen, sie hat das Internationale<br />

dieses Kampfes vorangetrieben und das zeigt<br />

uns, dass das Volk es schaffen kann. Barbara<br />

Kistler ist eine Vertreterin des Internationalismus<br />

und des internationalistischen Kampfes für die<br />

gesamte internationale Bewegung. Wenn unsere<br />

Genossin Barbara noch leben würde, wenn sie<br />

hier wäre, würde sie genau dasselbe tun, was<br />

wir hier machen. Sie würde mit uns zusammen<br />

gegen die faschistische Daesh kämpfen.<br />

81


BÖG<br />

«Hier in <strong>Rojava</strong> hat sich eine Einheit entwickelt,<br />

wie damals im spanischen Bürgerkrieg, wie<br />

in Vietnam. Heute wächst in <strong>Rojava</strong> langsam<br />

aber stetig eine neue menschliche Kraft. Das<br />

ist nicht vergleichbar mit anderen historischen<br />

Erfahrungen. Hier entwickelt sich etwas Neues.<br />

Wir sind hier weil wir InternationalistInnen,<br />

RevolutionärInnen sind und wir sind hier für<br />

eine Revolution in der Türkei.»<br />

Die erste Frage ist: Was heisst BÖG (Birlesik<br />

Özgürlük Güçleri)?<br />

Einheit der Freiheits Kämpfe – United Freedom Forces.<br />

Könnt ihr etwas zum historischen Kontext sagen,<br />

der zur Gründung der BÖG führte? Was sind die<br />

Ziele?<br />

Dies ist eine interessante Situation. BÖG ist eine neue<br />

Bewegung in der Türkei und dies sind neue Schritte<br />

für uns. Bevor wir BÖG vorstellen, müssen wir etwas<br />

über die türkische revolutionäre Bewegung sagen. In<br />

den achtziger Jahren haben wir eine Diktatur erlebt.<br />

Nach der Diktatur sind die revolutionären türkischen<br />

Bewegungen viele verschieden Wege gegangen. Die<br />

Organisationen in der BÖG kommen aus verschiedenen<br />

alten Organisationen. Es sind heute zwei Organisationen<br />

bei uns, die eine Einheit gebildet haben. Sie kommen<br />

aus den siebziger Jahren, BÖG ist unsere bewaffnete<br />

revolutionäre Organisation.<br />

Wie heissen die zwei Organisationen?<br />

Eine heisst Kurtuluş (Befreiung / Liberation). Die andere<br />

heisst TDP, Türkiye Devrim Partisi – Revolutionspartei<br />

der Türkei. Jetzt sind die zwei Organisationen seit einem<br />

Jahr zusammen. Diese zwei Organisationen haben<br />

zusammen die BÖG gegründet.<br />

Was denkt ihr über die verschiedenen historischen<br />

Phasen, die die <strong>Rojava</strong> Revolution bis jetzt<br />

durchlaufen hat?<br />

Die Situation in <strong>Rojava</strong> ist für uns kein von uns getrenntes<br />

Problem. Wir sehen diese Situation als vergleichbar mit<br />

dem, was wir hier in der Türkei erleben. Denn was die<br />

Menschen in Kurdistan, in <strong>Rojava</strong> erleben, das sind alles<br />

vergleichbare Probleme. Was jetzt die KurdInnen in der<br />

Türkei oder in Kurdistan erleben sind Probleme, die im<br />

gesamten Mittleren Osten bestehen. Ausserdem gibt es<br />

im Mittleren Osten Probleme zwischen SchiitInnen und<br />

SunnitInnen. Diese Probleme sind auch unsere Probleme<br />

und sie betreffen alle Länder im Mittleren Osten. Über<br />

ISIS denken wir gleich. ISIS ist nicht nur ein Problem<br />

der KurdInnen oder der AraberInnen. Das ist nicht nur<br />

das Problem von Syrien oder dem Irak. ISIS ist auch für<br />

die Türkei ein Problem. ISIS hat in der Türkei Anschläge<br />

verübt, zum Beispiel in Suruç, Ankara, Sultanahmet<br />

und auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Neben diesen<br />

Anschlägen organisieren sich IslamistInnen und ISIS in<br />

der Türkei. Sie haben in der Türkei unter verschiedenen<br />

Namen Organisationen gegründet oder Lokale eröffnet.<br />

Die türkische Regierung unterstützt ISIS, sie geben<br />

ihnen Geld, Waffen usw. ISIS bewegt sich mit der AKP<br />

Regierung in der Türkei. Diese Situation kann nicht<br />

in einem Jahr beendet werden. Das können wir nicht<br />

einfach verändern. In den islamischen Ländern leben<br />

1,6 Milliarden MuslimInnen. Wir müssen einerseits die<br />

soziologische Situation angehen und andererseits die<br />

politische Situation.<br />

Wir sehen und denken, dass der Imperialismus die<br />

Ursache für das Entstehen der ISIS ist und zu diesem<br />

Krieg geführt hat. In den muslimischen Ländern haben<br />

die Einmischungen der ImperialistInnen nichts Gutes<br />

gebracht. Diese Eingriffe haben die muslimischen Länder<br />

82


zurückgeworfen. Deswegen ist diese Situation nicht<br />

leicht zu verändern. Das ist ein grosses und wichtiges<br />

Problem für uns. Wir müssen dieses Problem richtig<br />

verstehen um es richtig bekämpfen zu können. Das ist<br />

die soziologische Seite. Die politische Seite ist, dass<br />

die ImperialistInnen und Kräfte vor Ort diese Situation<br />

verursacht haben. ImperialistInnen und die türkische<br />

Regierung haben sich zusammen getan. Wir können mit<br />

ISIS nicht nur innerhalb dieser Grenzen kämpfen. Ihr<br />

Kampf ist ein Kampf gegen uns, gegen das Volk. Wir<br />

müssen sie überall wo sie sind bekämpfen, nicht nur<br />

innerhalb der Türkei. Wir leben in der Türkei und führen<br />

auch einen Krieg gegen ISIS und die AKP Regierung. Im<br />

Fernsehen, in den Medien usw. wird das, was wirklich<br />

geschieht nicht gezeigt oder darüber geschrieben. Was<br />

sie uns zeigen sind Lügen. Wir erleben in der Türkei jetzt<br />

einen Krieg. Über die AKP können wir sagen, dass sie<br />

eine legale Organisation von ISIS ist. Die AKP kämpft<br />

gegen die KurdInnen. Die AKP kämpft gegen das, was<br />

menschlich wäre. Sie bauen neue Gefängnisse. Aber auch<br />

die Städte werden zu Gefängnissen. Die Menschen, die in<br />

Kurdistan leben, leben in diesen grossen Gefängnissen.<br />

Uns wird gesagt: du kannst nicht raus gehen, du darfst<br />

nicht kämpfen, du kannst nicht leben. Sie töten die<br />

Kinder, sie töten die Frauen, sie töten jeden Mensch,<br />

der nicht diesem System leben will. Wir reden jetzt hier,<br />

aber in diesen Sekunden erleben diese Menschen etwas<br />

anderes. Sie kämpfen gegen eine faschistische Macht<br />

und für unsere Freiheit.<br />

Diese Macht kämpft nicht nur gegen KurdInnen, sie<br />

kämpft im Irak, in <strong>Rojava</strong>. Was das Volk in <strong>Rojava</strong>,<br />

in Syrien erlebt hat, daran sind diese faschistischen<br />

Kräfte schuld. Nicht nur der ISIS ist schuld für dieses<br />

Leiden. In der Türkei geht es den AlevitInnen auch<br />

nicht gut. Sie haben zum Beispiel eine Redewendung,<br />

die sagt: „ChristInnen in den Libanon, AlevitInnen<br />

in die Gräber.“ Und wenn wir nicht kämpfen wird der<br />

ISIS dort die Macht übernehmen. Die Regierung hat die<br />

Völker in zwei Gruppen geteilt. Sie sagt du bist entweder<br />

auf meiner Seite oder auf der Seite des Feindes, das ist<br />

deine Entscheidung. Wir haben in der Türkei eine legale<br />

Partei. Wir haben Frauen-, ArbeiterInnen- und Jugend-<br />

Organisationen. Und wir kämpfen für die Rechte von<br />

Frauen, ArbeiterInnen und die Rechte der Jugend. Wir<br />

kämpfen gegen ISIS, gegen die AKP Regierung, gegen<br />

das Patriarchat, gegen den Kapitalismus usw. Wir haben<br />

GenossInnen, die seit vielen Jahren im Gefängnis sind,<br />

und sie kämpfen im Gefängnis weiter. Das sind sehr<br />

schwierige Situationen.<br />

In den verschiedenen Ländern verübt ISIS Anschläge,<br />

zum Beispiel in Frankreich. Aber das ist nicht dasselbe,<br />

was wir in der Türkei erleben. In der Türkei haben wir<br />

Bombenattentate erlebt. Die Bomben der Daesh, damit<br />

hat die heutige Regierung etwas zu tun. Wir denken,<br />

dass sich die Angriffe, der Kampf gegen KurdInnen,<br />

AlevitInnen, RevolutionärInnen, KommunistInnen,<br />

83


intensiver wird, dass er täglich schlimmer wird.<br />

Deswegen sind wir heute in <strong>Rojava</strong> und kämpfen gegen<br />

ISIS.<br />

Wir denken, wenn wir heute nicht den Kampf gegen<br />

Faschismus und Militarismus führen, wird es in unserer<br />

Zukunft noch schlimmer sein. Dann wird nicht nur die<br />

AKP zu ISIS gehören, sondern der Staat wird wie ISIS<br />

sein, die Bürokratie wird ISIS sein. Zum Beispiel wird<br />

die Polizei unsere uniformierte ISIS sein. Seit 40 Jahren<br />

ist die Situation in der Türkei so. In der Bürokratie<br />

arbeiten spezielle Menschen. In den Universitäten oder<br />

in Staatsämtern bekommen die AlevitInnen, KurdInnen,<br />

RevolutionärInnen usw. kaum Arbeit. Nur die Leute<br />

die die Regierung gewählt haben können da arbeiten.<br />

Wenn Menschen dort arbeiten wollen, müssen sie die<br />

Regierung unterstützen. Sie nimmt überall Einfluss,<br />

sie ist der Feind des Volkes. Sie arbeitet mit mafiösen<br />

Organisationen, wie zum Beispiel damals in Russland<br />

die Schwarzhemden.<br />

Wir brauchen dringend Waffen für den Krieg. Wir sind<br />

hier weil wir kämpfen wollen. Diesen Kampf kämpfen<br />

wir für die Menschen die kein menschliches Leben<br />

führen können.<br />

Hier in <strong>Rojava</strong> hat sich eine Einheit entwickelt, wie<br />

damals im spanischen Bürgerkrieg, wie in Vietnam.<br />

Heute wächst in <strong>Rojava</strong> langsam aber stetig eine neue<br />

menschliche Kraft. Das ist nicht vergleichbar mit anderen<br />

historischen Erfahrungen. Hier entwickelt sich etwas<br />

Neues. Wir sind hier, weil wir InternationalistInnen,<br />

RevolutionärInnen sind und wir sind hier für eine<br />

Revolution in der Türkei.<br />

Ihr seid auch im Internationalen Freiheits-<br />

Bataillon. Hat das, was ihr bis jetzt gesagt habt,<br />

damit zu tun, dass ihr auch die Einheit mit anderen<br />

kommunistischen und fortschrittlichen Kräften<br />

sucht, um den Krieg gegen ISIS zu führen und<br />

gleichzeitig die Revolution zu verteidigen?<br />

verschiedenen Ländern haben sich bis jetzt<br />

GenossInnen angeschlossen?<br />

Wir hatten bis jetzt GenossInnen aus Griechenland, den<br />

USA, Italien, Spanien. Manche waren KommunistInnen,<br />

manche Anarcho-KommunistInnen.<br />

Was sind die Erfahrungen die ihr in diesem Jahr<br />

gemacht habt?<br />

Das ist eine schwierige Frage. Wir hatten am meisten<br />

junge Universitäts-StudentInnen, Frauen und Männer,<br />

oder jüngere ArbeiterInnen. Sie haben “ihre Zukunft“<br />

zurückgestellt. Sie waren hier sehr aktiv im Krieg. Wir<br />

haben deshalb in einem Jahr sehr viel Erfahrungen im<br />

Kriegs gesammelt. Unter anderem haben wir dabei<br />

gelernt wie wichtig die Einheit ist.<br />

Wir bereiten uns hier für einen schweren Kampf in der<br />

Türkei vor. Die Aufgaben die wir jetzt haben sind schwer.<br />

Wir wollen uns auch vergrössern, aber nicht nur das.<br />

Wir wollen unsere politische Bildung erweitern, über<br />

die Politik der marxistischen Theorie noch einmal lesen<br />

und das Thema wieder behandeln. Hier ist für uns eine<br />

politische Schule. Seit den Kommunen bis jetzt wollen wir<br />

alle Kämpfe noch einmal besprechen. Die Erfahrungen<br />

der Pariser Kommune, der Oktober Revolution, der<br />

chinesischen Revolution, der lateinamerikanischen<br />

Revolutionen, schauen wir nochmals an. Wir wollen<br />

Fehler nicht wiederholen, und mit den Erfahrungen,<br />

die andere machten, wollen wir uns weiter entwickeln.<br />

Wir machen hier etwas Neues, wir wollen eine andere<br />

Grundlage aufbauen. Wir organisieren ein neues Leben<br />

mit unseren GenossInnen. Hier ist für uns eine neue<br />

Kommunen-Erfahrung.<br />

Das ist nur ein kleiner Anfang. Wir wollen für die Einheit,<br />

dass der Kampf nicht nur in diesen Grenzen bleibt. Das<br />

ist etwas, was alle RevolutionärInnen weltweit betrifft.<br />

Vielleicht bleibt das kein Traum aber im Libanon war<br />

es damals so. Da waren RevolutionärInnen aus Japan,<br />

Nicaragua, Korea, Pakistan, der Türkei, Deutschland.<br />

Vielleicht wird es hier in den kommenden Jahren auch<br />

so sein. Wir hoffen das.<br />

Für die türkischen RevolutionärInnen ist das zumindest<br />

so. Im Mittleren Osten kann sich die Bevölkerung nicht<br />

alleine befreien. Unsere Probleme sind gemeinsame<br />

Probleme. Wir müssen den Imperialismus und auch die<br />

ISIS zusammen bekämpfen.<br />

Es gibt euch seit einem Jahr. Aus wie vielen<br />

84


85


Ez Naçim!<br />

Ich gehe nicht!<br />

In <strong>Rojava</strong> gibt es eine Initiative der SYPG (Organisation für die<br />

Union und Unterstützung der Völker), welche Flüchtlinge dazu aufruft,<br />

zurückzukehren oder erst gar nicht zu flüchten, sondern sich am<br />

Aufbau einer neuen Gesellschaft zu beteiligen.<br />

Könnt ihr uns vorweg, etwas zu eurer<br />

Organisation, der SYPG, sagen. Wer seid ihr, seit<br />

wann gibt es euch, was ist euer Ziel und so weiter?<br />

Die SYPG befindet sich im Kampf für die Revolution,<br />

die Freiheit, den sozialistischen Kampf für die Einheit<br />

der Völker und für die Solidarität. <strong>Rojava</strong> ist ein<br />

revolutionärer Ort der unterdrückten Völker. Unsere<br />

politische Devise lautet “Diese Revolution ist unsere<br />

Revolution”. Organisationen, welche diese Losung<br />

mittragen, wollen die Revolution weiterbringen und<br />

sich daran beteiligen. Die MLKP, KommunistInnen, die<br />

fortschrittlichen und revolutionären Kräfte im Mittleren<br />

Osten die InternationalistInnen, die <strong>Rojava</strong> unterstützen,<br />

wollen diesen historischen Kampf gemeinsam<br />

unterstützen.<br />

Für die SYPG gibt es einerseits den internationalistischen<br />

Kampf, andererseits auch denjenigen im Mittleren Osten<br />

und den in Kurdistan. Aus unserem Gründungstext zitiert<br />

“... um den Weg in die Freiheit der unterdrückten Völker<br />

schrittweise zu vergrössern; es gehört zur Aufgabe aller<br />

hier lebenden Völker sich vorzubereiten und von Anfang<br />

an für eine revolutionäre Veränderung im Nahen Osten<br />

einzustehen. Wir stehen ein für die Selbstbestimmung<br />

der Völker, Unterdrückten, Frauen, Natur, Arbeit,<br />

Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit im Nahen Osten.<br />

Wir wollen so eine neue freiheitliche Gesellschaft im<br />

Nahen Osten gründen und ein Leben mit erhobenem<br />

Haupt ermöglichen. Im jetzigen Geschichtsvorgang<br />

rufen wir dazu auf, „um den freiheitlichen Garten der<br />

Völker zu schaffen, den Kampf zu verstärken!“. Das<br />

ist ein unausweichlicher Kampf und im Vergleich zur<br />

Vergangenheit eine mögliche Realität.“<br />

SYPG wurde im vergangenen Jahr am 16. Oktober im<br />

Kanton Cizîre in <strong>Rojava</strong> gegründet. Die teilnehmenden<br />

GenossInnen wollen eine verstärkte Rolle in der<br />

Unterstützung und im Aufbau der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

spielen. Denn durch diese ist eine historische<br />

Verantwortung entstanden. Um diese Verantwortung zu<br />

tragen und um in der politischen und gesellschaftlichen<br />

Revolution Problemen effizienter zu begegnen haben<br />

wir die SYPG gegründet.<br />

Wir haben gehört, dass ihr die Flüchtlinge aufruft<br />

wieder zurück zu kommen, um beim Aufbau von<br />

<strong>Rojava</strong> mitzuhelfen. Das ist ein sehr interessanter<br />

Ansatz der Flüchtlingspolitik. Könnt ihr uns mehr<br />

zum politischen Hintergrund dieser Aufgabe sagen?<br />

Wir sind eine Teilorganisation von TEV-DEM (Bewegung<br />

für eine demokratische Gesellschaft) und wir sind auch<br />

Teil der Exekutive von TEV-DEM. Wir verstehen uns<br />

als Mitverantwortliche für diese Revolution. Weil wir<br />

uns für diese Revolution verantwortlich fühlen - für<br />

Erfolge sowie auch Rückschläge, haben wir in unseren<br />

Sitzungen in der TEV-DEM das Problem erkannt, dass<br />

viele Leute aus dem Kriegsgebiet aber auch anderen<br />

Regionen flüchten, und wollten deswegen herausfinden,<br />

was wir dagegen tun können.<br />

Es gehört zur konterrevolutionären Politik und Ideologie<br />

dazu, Menschen anzugreifen und in die Flucht zu treiben.<br />

Unsere Organisation hat gegen diese konterrevolutionären<br />

Angriffe den Kampf begonnen. Europa, oder eher das<br />

kapitalistische System, gibt den Unterdrückten eine<br />

falsche Hoffnung. Gegen diese falsche Hoffnung wollen<br />

wir mit der Kampagne „EZ NAÇIM!“ (Ich gehe nicht!)<br />

kämpfen, weil wir hier zusammen mit den Menschen ein<br />

revolutionäres Bewusstsein bilden wollen. Wir haben<br />

uns entschieden, mit unserer langjährigen Erfahrung, die<br />

wir im Kampf gegen die Konterrevolution gewonnen<br />

haben, Teil dieses Kampfes zu sein.<br />

Im Nahen Osten ist Revolution gleichzusetzen mit<br />

<strong>Rojava</strong>. Wer unsere Revolution erfolglos angreift,<br />

wird weitere Wege suchen uns anzugreifen. Hinter<br />

diesem Angriffskonzept steht die Türkei, lokale und<br />

internationale imperialistische Staaten und die KDP<br />

(Demokratische Partei Kurdistan, angeführt von Barzani.<br />

Anm. d. Ü.) aus Südkurdistan mit ihren Verbündeten in<br />

86


<strong>Rojava</strong>.<br />

Unser oberstes Ziel ist die Menschen, die in <strong>Rojava</strong><br />

leben, Hoffnung, Freiheit, das Leben mit Würde und<br />

die Bedeutung der Revolution zu vermitteln. Deswegen<br />

rufen wir diejenigen, die gegangen sind, auf zurück<br />

zu kommen. Die Freiheit und die Möglichkeit ein<br />

selbstbestimmtes Leben zu führen nehmen zu. Die<br />

Flüchtenden sollen auf ihrem Weg nicht sterben müssen.<br />

Sie sollen aber auch nicht ein Leben als Unterdrückte<br />

weiterleben müssen. Hier gibt es immer noch die<br />

Möglichkeit als freie Menschen zu leben. Zudem wollen<br />

wir aber klar sagen, dass die tragischen Unfälle auf<br />

der Flucht die Wahrheit nicht überdecken sollen. Was<br />

diese Menschen auf der Flucht<br />

erleben ist ein Massaker. Und die<br />

Mörder sind nicht Menschenhändler,<br />

sondern die internationalen und lokalen<br />

imperialistischen Staaten.<br />

Und ganz konkret: Wie könnt ihr sie darin<br />

unterstützen? Und wie unterstützt ihr den<br />

Wiederaufbau politisch? Wie sieht das alles praktisch<br />

aus?<br />

Wir versuchen den Zurückkehrenden in gesellschaftlicher<br />

Solidarität mit allen Möglichkeiten zu helfen. Wir<br />

versuchen zuerst mit den Grundbedürfnissen zu helfen:<br />

Gesundheit, Nahrung und einem Dach über dem Kopf.<br />

87


Gleichzeitig versuchen wir die Menschen im Verarbeiten<br />

von ihren Erlebnissen zu unterstützen. Wir kriegen<br />

Unterstützung von solidarischen Gruppen in der Gegend,<br />

aber auch von ausserhalb <strong>Rojava</strong>s. Wir arbeiten dafür,<br />

dass an die <strong>Rojava</strong> Revolution geglaubt wird und dass<br />

sich Menschen anschliessen diese Revolution weiter<br />

aufzubauen und zu verteidigen. Jede Person kann sich<br />

mit ihren eigenen Fähigkeiten einsetzen.<br />

Es gibt viele traumatisierende Erlebnisse, die sie<br />

mit bringen werden. Wie geht ihr damit um?<br />

Die Geflüchteten und die Hiergebliebenen haben<br />

viele Traumata erlebt. Doch in der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

versuchen wir vorwärts zu schreiten und diese Traumata<br />

hinter uns zu lassen. Denn das Leben geht weiter.<br />

Diejenigen, die während der Revolution hier geblieben<br />

sind, sind mit mehr traumatisierenden Umständen<br />

konfrontiert als jene die geflüchtet sind. Weil sie hier<br />

mit mehr Schmerz, Problemen und Schwierigkeiten<br />

Widerstand leisten und kämpfen mussten. Am Kampf<br />

und der Revolution teilzunehmen macht die Menschen<br />

stark. Für die Zurückkehrenden hilft folgender Vergleich<br />

die Umstände besser zu verstehen: es ist so als ob eine<br />

ausgerissene Pflanze wieder in ihre Heimaterde gepflanzt<br />

wird. Für die Seele wie auch für die Gesellschaft ist<br />

das Zurückkehren zur eigenen Erde die beste Lösung.<br />

Die Kommunen und die revolutionären Organisationen<br />

helfen den Zurückkehrenden ihre Probleme zu lösen.<br />

Fragen und Probleme auf gesellschaftlicher Ebene<br />

zu lösen gehört zu unserem Ansatz. Wir sagen den<br />

Zurückkehrenden, dass diese Revolution auch die ihrige<br />

ist. Die Zurückkehrenden sollten sich nicht fremd fühlen,<br />

wir schlagen vor, dass wir gesellschaftliche Probleme<br />

gemeinsam lösen. Wir möchten die Zurückkehrenden<br />

ermutigen sich in den Organisationen und an der<br />

Verantwortung zu beteiligen.<br />

Es gibt hier viele Minderjährige, die ihre Eltern<br />

verloren haben und hier alleine leben, wendet ihr<br />

euch auch an sie?<br />

Alle Menschen die von <strong>Rojava</strong> geflüchtet sind, rufen<br />

wir auf zurückzukommen. Weil <strong>Rojava</strong> der Ort ist, an<br />

dem diese Menschen ihre Sprachen reden, Religionen<br />

ausleben und frei leben können. Dies ist sehr wichtig,<br />

weil die Menschen hier ihren kulturellen Bezugspunkt<br />

haben. Im Allgemeinen beginnt die Sozialisation bei den<br />

Eltern. Beim Erwachsenwerden wird die Sozialisation<br />

vervollständigt. Diese Werte sind die Basis des<br />

gesellschaftlichen Zusammenlebens. Diese Werte geben<br />

der Gesellschaft und den Menschen einen Lebenssinn,<br />

ohne den sich die Menschen nicht zugehörig und<br />

unglücklich fühlen. Wer flüchtet lässt in diesem Sinne<br />

auch ein Teil der Kultur zurück und verliert sie. So findet<br />

eine Entfremdung und folglich eine Identitätskrise statt.<br />

Um den Kampf voranzutreiben, um etwas aufzubauen<br />

und um frei zu werden wird ein Ort gebraucht.<br />

Deswegen ist es wichtig, das die Jugend in <strong>Rojava</strong> bleibt<br />

oder zurückkehrt. Flüchten ist nicht nur eine physische<br />

Verschiebung seiner selbst, sondern eine Veränderung<br />

aller äusseren Umständen. Aus der Ferne ist es schwierig<br />

am Aufbau einer neuen Gesellschaft beteiligt zu sein.<br />

Die Imperialisten und Mörder unterdrücken die Völker<br />

und spalten mit ihren Kriegen die Länder. Deswegen<br />

ist die <strong>Rojava</strong> Revolution auch ein Kampf gegen den<br />

Kapitalismus.<br />

Welche Unterstützung wäre für euch von Europa<br />

aus wichtig? Wie kann die Linke hier euch in eurer<br />

Arbeit unterstützen?<br />

In erster Linie müssen die Originalität und die<br />

Eigenschaften der Revolution in <strong>Rojava</strong> richtig<br />

verstanden werden, um sich auf sie beziehen zu können.<br />

Die ideologische Dimension der <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

muss richtig verstanden werden. Wenn der politische<br />

und ideologische Charakter der Revolution nicht richtig<br />

erfasst wird, wird die gegenseitige Beziehung schwach.<br />

Die <strong>Rojava</strong> Revolution ist eine Revolution:<br />

• für die Freiheit und Einheit unserer Völker<br />

• für den Wunsch unserer Völker gleichberechtigt und<br />

kooperativ zu leben, gegen den Imperialismus, den Kolonialismus<br />

und die Plünderung<br />

• zum Aufbau einer neuen, sozialen, wissenschaftlichen,<br />

kulturellen Existenz gegen den Kapitalismus<br />

• gegen Imperialisten und Besetzungsmächte zur<br />

Verteidigung unseres Bodens und menschlicher Werte<br />

• gegen den Kampf zwischen verschiedenen Völker,<br />

Kulturen, Religionen, Ethnien und für die Einigkeit,<br />

Solidarität und Einheit unter den Menschen<br />

• für eine Emanzipation der Frauen, gegen die Mentalität<br />

der AKP und Daesh Anhänger, die die Frauen versklaven<br />

Kurz gesagt, die Revolution ist Antikapitalistisch,<br />

gegen Besatzungsmächte, Antiimperialistisch,<br />

Antikolonialistisch; Die Revolution pflanzt voller<br />

Hoffnung ein neues Leben für die Menschen, die<br />

Gesellschaft, die Natur, die Frauen, die Kinder, die<br />

Freiheit und Gleichheit.<br />

Wenn all diese Eigenschaften richtig verstanden werden,<br />

kann ein besseres Solidaritätsnetzwerk geschaffen<br />

werden. Die Aufklärung über die <strong>Rojava</strong> Revolution hat<br />

einen grossen politischen und ideologischen Wert. Dies ist<br />

wichtig für <strong>Rojava</strong> selbst wie auch für alle Unterdrückten<br />

bei euch. Weil der imperialistische Kapitalismus die<br />

Arbeiterklasse und alle Unterdrückten in Europa weiter<br />

angreift und sie ausbeutet. Die Revolution ist heute in<br />

Europa viel dringender geworden als gestern. In diesem<br />

Zusammenhang kann über die Revolution mit vielen<br />

sozialen Aktivitäten informiert werden, Agitation und<br />

Propaganda (visuell und in Textform), Demonstrationen<br />

88


und Versammlungen können dafür genutzt werden. Es<br />

muss dagegen gekämpft werden, dass die Flüchtlinge<br />

als billige Arbeitskräfte benutzt werden und sie in den<br />

Meeren getötet werden. Lokale regionale, temporäre und<br />

permanente Büros können gegründet werden. Dadurch<br />

kann man mit der <strong>Rojava</strong> Revolution dauerhaftere und<br />

dynamischere Beziehungen herstellen. Die <strong>Rojava</strong><br />

Revolution ist kein „vorübergehender“ Zustand, sie ist die<br />

Chinesische, Kubanische Revolution, die Sowjetunion<br />

und die Pariser Kommune von heute. Ein weiterer Punkt:<br />

mit SYPG und anderen Institutionen der Revolution<br />

sollten mehrere und kraftvollere Beziehungen entwickelt<br />

werden. Dies kann via IT-Netzwerke entstehen oder<br />

dadurch direkt hierher zu kommen und direkten Kontakt<br />

aufzubauen.<br />

Insbesondere sollte hier die medizinische Versorgung<br />

menschlich wie auch materiell, also technisch unterstützt<br />

werden. All dies und noch vieles mehr kann viel besser<br />

und dynamischer durchgeführt werden, wenn direkte<br />

und aktuelle Beziehungen bestehen. Alle Menschen in<br />

Europa, die für Frieden, Gleichheit und Freiheit sind,<br />

müssen zuerst die heuchlerische Politik ihrer Staaten im<br />

Bezug zum Nahen Osten blossstellen. Die Politik, die<br />

die Unterdrückten in Westler und Ostler, in Christen und<br />

Muslime getrennt hat, schwächt den Kampf für Freiheit,<br />

Revolution und Sozialismus. Die grösste Unterstützung<br />

in Europa für die <strong>Rojava</strong> Revolution liegt darin, die<br />

eigenen bürgerlichen Staaten zu bekämpfen. Für alle<br />

Probleme die mit Migration zusammen hängen sind die<br />

bürgerlichen, europäischen Staaten verantwortlich. Die<br />

ArbeiterInnen und Unterdrückten in Europa sollen ihre<br />

Wut gegen die Bourgeoisie richten.<br />

Es existiert ein jahrelanges Embargo gegen <strong>Rojava</strong>, das<br />

Embargo ist ein Teil der Zerstörungspolitik des Westens.<br />

Die Aufhebung des Embargos bleibt ein wichtiger Punkt<br />

in der Revolution. Europäischer Imperialismus ist ein<br />

Teil davon und es ist notwendig gegen ihn zu kämpfen.<br />

In Europa können Kampagnen zur Anerkennung <strong>Rojava</strong>s<br />

lanciert werden.<br />

Auch gegen die Politik der Europäischen Staaten<br />

repressiv gegen die InternationalistInnen, welche die<br />

<strong>Rojava</strong> Revolution unterstützt und verteidigt haben,<br />

vorzugehen, muss bekämpft werden. In solchen Fällen<br />

muss äusserst aktiv und solidarisch vorgegangen werden.<br />

Imperialistische Staaten haben die faschistischen Daesh<br />

aufgebaut und gefördert und Daesh stellt den nackten<br />

Kapitalismus dar.<br />

Die Flüchtlinge werden in Europa oftmals nicht als<br />

Flüchtlinge, sondern als Last aufgenommen, wenn<br />

überhaupt. Die Flüchtlingsfrage wird nicht als Folge<br />

der imperialistisch-kapitalistischen Krisen- und<br />

Kriegspolitik verstanden, sondern als ein Problem<br />

des ISIS oder einer falschen Politik in Afrika etc.<br />

dargestellt. Welche Fragen wären euch dazu noch<br />

wichtig? Welche Unterstützung wäre für euch<br />

wichtig?<br />

Die Emigration heute ist nicht mehr natürlich, sondern<br />

die Folge des kapitalistischen Systems. Seit der<br />

Kapitalismus imperialistische Formen angenommen hat<br />

führen Kriege, Hunger und Armut zu einer grösseren,<br />

kontinentalen Migration. Dies ist die Folge des Gesetzes<br />

der ungleichen Entwicklung der kapitalistischen Länder.<br />

Die blutsaugenden KapitalistInnen umschlingen unsere<br />

Welt wie eine Krake und nutzen die Unterdrückten bis<br />

aufs Knochenmark aus. Sie versuchen von ihrer Krise mit<br />

89


den neuen imperialistischen und ausgelagerten Kriegen<br />

abzulenken. Sie versuchen mit der Demagogie von<br />

Freiheit, Gleichheit und Demokratie ihre eigene Krise<br />

zu überdecken. Der Nationalismus ist nur reaktionäre<br />

Politik, um die wahre Ursache des Problems zu verbergen,<br />

um den gemeinsamen Kampf der Unterdrückten<br />

zu verhindern, um Zustimmung zur Herrschaft zu<br />

produzieren und um die ArbeiterInnen künstlich mit<br />

religiösen, sektiererischen, nationalistischen Trennungen<br />

gegeneinander aufzubringen. Mit dieser reaktionären<br />

Politik betäuben und vergiften sie das Bewusstsein der<br />

Unterdrückten.<br />

Auf jeden Fall ist ein starker politischer und ideologischer<br />

Kampf dagegen nötig. Europäische ArbeiterInnen und<br />

Unterdrückte sollten sich gegen die Ideologie, welche<br />

sie zu SklavInnen macht, mit den Menschen im Nahen<br />

Osten und mit der <strong>Rojava</strong> Revolution solidarisieren<br />

und sich aktiv aufeinander beziehen. Die Polarisation<br />

die in der Frage erwähnt wird ist reaktionär. Die<br />

richtige Polarisation sollte zwischen KapitalistInnen<br />

und Unterdrückten, zwischen FaschistInnen und<br />

AntifaschistInnen und zwischen ImperialistInnen und<br />

AntiimperialistInnen stattfinden. Die Vorstellungen,<br />

welche die Bevölkerung Afrikas und des Nahen Ostens<br />

als rückständig, unwissend, primitiv, bigott usw.<br />

darstellen und sie ausschliessen wollen, müssen mit aller<br />

Härte abgelehnt werden.<br />

ist der Bruder die dominante, männliche Denkweise.<br />

Leider sind einige der Unterdrückten Europas dieser<br />

bürgerlichen Ideologie verfallen. Dies sollte unbedingt<br />

bekämpft werden.<br />

Diejenigen die sich mit uns solidarisieren wollen,<br />

sollen die Revolution in <strong>Rojava</strong> zuerst als Teil der<br />

Weltrevolution, und darin als Vertreter des Mittleren<br />

Ostens sehen. Daesh ist eine Kraft, die dem Kapitalismus<br />

dient, sie vertreten alle reaktionären und unmenschlichen<br />

Erfahrungen der Geschichte. Doch <strong>Rojava</strong> steht für die<br />

aufstehende und sich verteidigende Menschheit wie<br />

in Kobanê. Das Bewusstsein von GenossInnen wie<br />

Avaşin und Şehîd Bagok Serhat (am 23.2.2015 als erster<br />

westlicher YPGler gefallen Anm. d. Red.) bewässern<br />

mit ihrem Blut den <strong>Rojava</strong> Boden. Wenn wir uns an<br />

Sie erinnern, danken wir herzlich den Unterdrückten in<br />

Europa ,welche die <strong>Rojava</strong> Bevölkerung nicht alleine<br />

gelassen haben. Wir erwarten, dass die Unterdrückten<br />

Europas mehr mit ihrem Herzen, ihrem Bewusstsein und<br />

in ihrem Handeln auf unserer Seite sind. SYPG ist für<br />

alle eine Adresse, welche mit der Revolution in <strong>Rojava</strong><br />

eine stärkere Beziehung aufbauen wollen.Wir grüssen<br />

euch im Namen der SYPG aus dem Land der Revolution<br />

und wünschen euch viel Erfolg bei eurem Kampf!<br />

Europäische Imperialisten sehen sich als Grosser Bruder<br />

Afrikas und des Nahen Ostens. In dieser Mentalität<br />

90


Ellas (MLKP)<br />

«Deshalb rufen wir alle dazu auf, wieder<br />

zurückzukommen und denen die hier sind,<br />

sagen wir, sie sollen bleiben und auf ihre<br />

eigene Identität aufpassen, dass sie sie nicht<br />

verlassen. »<br />

Warum bist du hier? Was kannst du über dich<br />

sagen?<br />

Mein Name ist Ellas. Ich bin in der Schweiz geboren und<br />

auch dort aufgewachsen. Ich bin 22 Jahre alt. Ich befinde<br />

mich heute aus vielen politischen Gründen in <strong>Rojava</strong>.<br />

Einer dieser Gründe ist mein kurdischer Hintergrund<br />

und andererseits, dass ich sozialistisch eingestellt bin<br />

und mich als eine internationale Kämpferin sehe.<br />

Wir erleben heute in <strong>Rojava</strong> eine Revolution, das heisst<br />

vor allem eine Frauenrevolution. Dies ist aber nicht<br />

nur abhängig von der aktuellen militärischen Front.<br />

Zwar ist diese ein sehr wichtiger Teil dieser Revolution<br />

aber wir haben gleichzeitig auch ein Volk, das aus<br />

unterschiedlichen Gründen aufbegehrt. Deswegen<br />

haben wir eine Institution (SYPG) gegründet, die<br />

für die Solidarität und für die Zusammenarbeit der<br />

verschiedenen Völker hier in <strong>Rojava</strong> steht.<br />

<strong>Rojava</strong> ist ein Mosaik, das aus vielen Völkern besteht:<br />

Seien es die AssyrerInnen, seien es die SyrierInnen, seien<br />

es die ChristInnen, die ArmenierInnen, KurdInnenen,<br />

AraberInnen. Mit unserer Institution wollen wir, dass von<br />

diese verschiedenen Völkern jeder diese Revolution als<br />

seine eigene ansieht und für diese Revolution arbeiten,<br />

das heisst irgendwo mithelfen kann.<br />

Wir haben diese Institution gleichzeitig auch für die<br />

GenossInnen aus aller Welt gegründet. Weil wir uns als<br />

InternationalistInnen verstehen, wollen wir, dass diese<br />

Revolution für jeden, für alle, die sich irgendwie als<br />

RevolutionärIn betrachten oder irgendwie <strong>Rojava</strong> helfen<br />

möchten, einen Weg bietet, um am Wiederaufbau von<br />

<strong>Rojava</strong> mitzuhelfen. Das gilt auch für diejenigen, die aus<br />

menschlichen oder aus humanitären Gründen hier sein<br />

wollen.<br />

Das heisst konkret, dass wir Kontakte mit FreundInnen<br />

ausserhalb von <strong>Rojava</strong> aufbauen, sei es aus Europa, aus<br />

Asien, aus Lateinamerika. Wir sagen immer wieder,<br />

dass diese Revolution nicht nur den KurdInnen gehört,<br />

sondern dass diese Revolution allen gehört und jede/r<br />

irgendetwas für diese Revolution beitragen kann.<br />

Das sind die Hauptgründe, warum wir unsere Gruppe<br />

gegründet haben.<br />

Unsere Organisation ist relativ neu. Wir hatten am 16.<br />

Oktober die Eröffnung, wo viele verschiedene Völker<br />

und deren VertreterInnen dabei waren. Es war ein Tag,<br />

an dem alle an unserer Eröffnung teilnehmen und etwas<br />

dazu sagen konnten.<br />

Heute führen wir zum Beispiel eine Kampagne für die<br />

Leute, die in dieser Zeit nach Europa ausgewandert sind.<br />

Das ist für uns ein sehr grosses politisches Problem und<br />

ein sehr wichtiges politisches Thema. Deswegen haben<br />

wir eine Kampagne gestartet, wo wir dem Volk sagen:<br />

«geht nicht weg». Und den Leuten, die schon gegangen<br />

sind, sagen wir: «kommt wieder zurück».<br />

Dazu muss man auch den Hintergrund verstehen. Denn<br />

unter dem Baath-Regime, oder unter vielen verschiedenen<br />

Regimen, mussten alle Völker jahrelang ihre eigene<br />

Identität verleugnen und sie haben sehr gelitten darunter.<br />

Vor allem die Frauen, die zweimal, dreimal, jedes Mal<br />

von diesem System unterdrückt wurden. Aber heute<br />

erleben wir eine Revolution, in welcher alle frei ihre<br />

Identität ausleben können. Deshalb rufen wir alle dazu<br />

auf, wieder zurückzukommen und denen die hier sind,<br />

sagen wir eben, dass sie bleiben sollen und auf ihre<br />

eigene Identität aufpassen müssen.<br />

Wie macht ihr das konkret?<br />

Wir haben jetzt eine Kampagne gestartet und das erste<br />

was wir gemacht haben, waren die GenossInnen aus<br />

unserer Nähe, aus dem Volk, zu rufen, um uns mit<br />

ihnen auszutauschen. Wir haben mit ihnen zum Beispiel<br />

einen bestimmten Plan ausgearebeitet, um in unserem<br />

Mala Gel, also dem Haus des Volkes, verschiedene<br />

Versammlungen durchzuführen.<br />

91


Also ihr habt extra ein Haus eröffnet?<br />

Nein, diese Häuser existierten schon. In diesen Häusern<br />

machen wir jetzt aber verschiedene Versammlungen, die<br />

für das dem Volk offen sind und erklären ihnen, warum<br />

sie hier bleiben sollten und warum sie ihrer Familie,<br />

oder den Leuten in ihrer Nähe sagen sollten, dass sie<br />

zurückkommen sollen und was diese Revolution für eine<br />

Bedeutung hat.<br />

Ausserdem produzierten wir einen Kurzfilm, den wir<br />

auch in den Versammlungen zeigen und zum Beispiel<br />

auf RonahîTV auch veröffentlichen möchten. Zudem<br />

gehen wir auf die Strassen und machen Graffitis, woran<br />

die Kinder am meisten Spass haben und dabei gerne<br />

mithelfen. Auch ist dies eine sehr guten Möglichkeit,<br />

um mit den Menschen Kontakt aufzubauen, weil sie sich<br />

direkt interessieren und fragen, warum du jetzt auf die<br />

Wand malst, was du malst und was du schreibst etc. und<br />

es gibt wirklich viele, die auch mithelfen und wir können<br />

das dann zusammen machen.<br />

Schwieriger ist es wahrscheinlich, jene zu erreichen,<br />

die bereits weg sind. Habt ihr da Pläne?<br />

Wir denken auch, dass das ein sehr wichtiges<br />

Projekt ist. Gleichzeitig zeigt es ja auch, dass man<br />

hier in <strong>Rojava</strong> tatsächlich auch emanzipatorisch<br />

arbeiten kann und es bietet sich an, die Leute<br />

aufzufordern an diesem emanzipatorischen Prozess<br />

aktiv teilzunehmen.<br />

Genau. Jeder Mensch ist irgendwie anders, aber wir<br />

haben alle ein Ziel und das ist die Revolution in <strong>Rojava</strong><br />

aufrecht zu erhalten und wir sagen einfach mit unseren<br />

Institutionen den Menschen von hier und von aussen,<br />

dass sie bestimmt irgendetwas machen können.<br />

Sie können beispielsweise im Krankenhaus helfen. Sie<br />

können an die Front gehen. Sie können politisch aktiv<br />

sein. Sie können Strassen reinigen. Sie können abends<br />

an verschiedenen wichtigen Orten und Kontrollpunkten<br />

Wache halten. Irgendetwas können sie bestimmt tun. Für<br />

die Kinder vielleicht einen Kindergarten aufbauen. Jeder<br />

kann irgend etwas für diese Revolution tun, und das ist<br />

für die internationale Solidarität ein sehr, sehr wichtiger<br />

Punkt.<br />

Das ist tatsächlich die grosse Schwierigkeit! Wir haben<br />

GenossInnen angefragt, die in den verschiedenen<br />

Asylzentren mit den Menschen in Kontakt kommen<br />

können. Dort wollen wir mit den Leuten verschiedene<br />

Interviews darüber machen, wie sie auf ihrer Flucht erlebt<br />

haben, was passiert ist, wie es in den Asylzentren ist, in<br />

was für einer Lage sie heute stecken usw.. Dies machen<br />

wir, weil wir oft hören, wie Eltern oder Geschwister<br />

klagen, dass ihr Bruder, ihr Vater, ihre Mutter oder ihre<br />

Schwester nach Europa gegangen ist und dass sie danach<br />

darüber klagen, wie schlecht es ihnen dort geht und wie<br />

schlecht sie behandelt werden. Dass also alles was ihnen<br />

vom wunderschönen Europa vorgesagt wurde real gar<br />

nicht so ist. Solche Menschen haben aber oftmals keinen<br />

Weg mehr, um zurückzukommen. Sie haben alles was<br />

sie sich hier aufgebaut haben verlassen, zum Teil alles<br />

verkauft und sind jetzt in Europa, ohne Möglichkeit<br />

zurückzukommen.<br />

Mit verschiedenen Interviews wollen wir dem Volk<br />

hier zeigen, dass das paradisische Europa eigentlich<br />

gar nicht existiert. Gleichzeitig haben wir auch viele<br />

Genossen, die aus Europa kommen und mit ihnen gehen<br />

wir konkret zu den Familien nach Hause. Wir bleiben<br />

bei ihnen, übernachten bei ihnen oder essen zusammen<br />

etwas und haben dann lange Diskussionen, wo dann der<br />

GenossInne aus Europa erzählen kann, was in Europa<br />

wirklich passiert; wie auch in Europa die verschiedenen<br />

Identitäten verleugnet werden, wie sie unterdrückt<br />

werden, wie sie ausgegrenzt werden usw.. Weil, wenn<br />

das Volk von jemandem hört, was dieser alles erlebt<br />

hat, dann erweckt das etwas anderes, als wenn wir nur<br />

Informationen weitergeben.<br />

92


Meine Frage geht jetzt nochmals an dich als<br />

Genossin und Frau. Du bist eine junge Frau. Du hast<br />

dich entschieden, hier zu kämpfen. Was bedeutet das<br />

konkret als Frau, als junge Frau hier zu sein?<br />

Das bedeutet, als Frau eine wirkliche Freiheit zu<br />

gewinnen. Man sagt nicht umsonst, dass die Revolution<br />

in <strong>Rojava</strong> eine Revolution der Frau ist. Wenn ich heute<br />

sehe, wie die Mütter in den Kommunen arbeiten, dann<br />

kann ich dem nur zustimmen.<br />

Wenn ich die Geschichten von Frauen höre, die<br />

früher nur zuhause waren, heute aber in irgendeiner<br />

Organisation in der Führungsposition sitzen, oder wenn<br />

ich die Frauenkommunen sehe, dann sehe ich Frauen,<br />

die wirklich wie neu erschaffen sind.<br />

Man sieht dies auch immer wieder in den Häusern, wenn<br />

man die Familien besuchen geht und dort beobachten<br />

kann, wie die Frauen wirklich mit ihren Männern oder<br />

mit ihren Brüdern kämpfen. Wenn zum Beispiel – ich hör<br />

das sehr oft – jemand, das heisst eine männliche Person,<br />

einer Frau das Wort wegnimmt oder sie unterbricht,<br />

dann akzeptiert das heute keine einzige Frau mehr. Das<br />

erweckt in mir als Frau etwas.<br />

Frauen, die früher nichts ausserhalb machen konnten<br />

ausser Hausreinigung und Küche, arbeiten heute in<br />

Funktionen der Asayîş, das ist die Polizei und halten<br />

dort beispielsweise Wache oder sie sind in YPG und<br />

beschützen ihr eigenes Land. Das gibt ihnen eine Kraft,<br />

wie sie sich wieder neu entdecken können.<br />

Man spürt hier wirklich, wie man hier als Frau akzeptiert<br />

wird. Man sagt hier oft, wenn diese Revolution aufrecht<br />

erhalten wird, dann nur wegen den Frauen, weil die<br />

Frauen hier ihre Freiheit erlangt haben. Also ausser dass<br />

ihre Identität unterdrückt wurde und ihr Land ausgebeutet<br />

wurde, haben sie auch als Frau ihre Freiheit neu erlangt<br />

und wenn diese Revolution hier wirklich aufrecht bleibt,<br />

dann dank den Frauen.<br />

93


Barbara (TKP/ML)<br />

«Darum steht die Frauenrevolution an erster<br />

Stelle, weil die Frauen hier unterdrückt werden.<br />

Die AnführerInnen hier sind Frauen und wenn<br />

es nicht so wäre, dann gäbe es hier keine<br />

Revolution, denn die Befreiung <strong>Rojava</strong>s können<br />

nur die Frauen machen. Ohne die Frauen könnte<br />

man das hier nicht vorantreiben, denn erst die<br />

Frauen schaffen es wirklich das Frauenproblem<br />

hier zu lösen»<br />

Ich spreche jetzt mit Genossin Barbara. Warum<br />

heisst du Barbara?<br />

Wegen Barbara Kistler<br />

Das freut mich natürlich. Die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

wird ja auch als die Revolution der Frau bezeichnet.<br />

Du bist eine Revolutionärin, die hier kämpft. Kannst<br />

du vielleicht zwei, drei Worte zu deiner politischen<br />

Biographie sagen und wie du diese Revolution der<br />

Frau als Kämpferin hier konkret erlebst?<br />

Als erstes müssen wir sagen, warum wir sagen, die<br />

<strong>Rojava</strong> Revolution sei eine Frauenrevolution. Die Frauen<br />

in <strong>Rojava</strong> wurden immer schlechter behandelt als die<br />

Männer. Hier hatten die Frauen wirklich sehr schwierige<br />

Zeiten. Das, was eine Frau hier erlebt hat, erlebt keine<br />

Frau in Europa. Hier wird die Frau unterdrückt und<br />

deswegen ist es sehr wichtig, dass man sagt, dass die<br />

Frauen in den Vordergrund gerückt werden.<br />

Das Assad Regime hat die KurdInnen schlecht behandelt.<br />

Sie haben nicht einmal einen Ausweis bekommen. Sie<br />

wurden nicht als Menschen gesehen und in diesem<br />

Regime wurden die Frauen unterdrückt. Sie sind die<br />

Unterdrücktesten der Unterdrückten.<br />

Mein Kampf in <strong>Rojava</strong> hat in Kobanê angefangen, als<br />

es dort noch einen sehr aktiven Kampf gab. Damals<br />

habe ich mich am Kampf in <strong>Rojava</strong> beteiligt. Da habe<br />

ich gesehen, dass die Frauen auch hier lange unterdrückt<br />

wurden. Das war offensichtlich!<br />

Eine Sache, die zu erwähen ist, ist dass die Frauen<br />

zum Beispiel in Şengal durch die ISIS einfach verkauft<br />

wurden. Ihre Körper wurde verkauft und sie wurden<br />

umgebracht. Das habe ich gesehen. Das haben wir<br />

erlebt. Sogar hier in Gisi, im Kanton Cisire, ist es so,<br />

dass die Frauen immer verfolgt wurden, sie immer<br />

unterdrückt wurden. Auch hier haben wir gesehen, dass<br />

die Unterdrückten von Unterdrückern die Frauen sind.<br />

Darum steht die Frauenrevolution an erster Stelle, weil<br />

die Frauen hier unterdrückt werden. Wir erleben hier eine<br />

Frauenrevolution, mit den Frauen im Vordergrund. Die<br />

Anführer hier sind Frauen und wenn es nicht so wäre,<br />

dann gäbe es hier keine Revolution, denn die Befreiung<br />

<strong>Rojava</strong>s können nur die Frauen machen. Ohne die Frauen<br />

könnte man das hier nicht vorantreiben, denn erst die<br />

Frauen schaffen es wirklich das Frauenproblem hier zu<br />

lösen. Die Frauensache hier, dass die Frauen im Kampf<br />

sehr aktiv sind, dass sie die Führerinnen der Revolution<br />

sind, das ist sehr normal und das muss so sein. Ohne die<br />

Frauen würde es keine Revolution geben. So sehe ich es<br />

hier in <strong>Rojava</strong>.<br />

Es ist für uns wichtig, dass die Frauen eine eigene<br />

Armee gegründet haben, damit sie diese Revolution<br />

weiterführen können. Die <strong>Rojava</strong> Revolution braucht die<br />

Frauen als die Anführerinnen der Revolution, denn die<br />

Frauen haben sich hier organisiert, haben hier eine eigene<br />

Armee gegründet. Diese Armee nennt sich YPJ. Die YPJ,<br />

die Frauenarmee ist eine bedeutende historische Sache.<br />

Was es hier vorher nicht gegeben hat, haben wir jetzt<br />

zum ersten Mal erlebt und dieses Land braucht das. Im<br />

Nahen Osten wird die Frau so sehr unterdrückt , darum<br />

kann die Befreiung dieses Nahen Ostens nur durch die<br />

Frauenrevolution geschehen. Das ist für uns, für die<br />

94


türkische revolutionäre Organisation, für die Partei<br />

sehr wichtig. Wir müssen die YPJ als Beispiel nehmen,<br />

die Frauenbewegung und all das, was sie hier gemacht<br />

haben. Sie haben es geschafft, eine Armee aus Frauen<br />

zu gründen. In dieser Armee haben sie Mechanismen<br />

erarbeitet, damit sie ihre eigenen Beschlüsse machen<br />

können. Da kann keiner, kein Mann und kein Vertreter<br />

der YPG, von aussen kommen und sagen, dass er einen<br />

Beschluss nicht einsehe. Die dürfen das nicht.<br />

Diese Mechanismen sorgen dafür, dass die Frauen ihre<br />

eigenen Beschlüsse erfassen, ihre eigenen Kämpfe<br />

planen und ihr eigenes System, ihre eigene Struktur<br />

aufgebaut haben. Dafür sind sie beispielhaft und das ist<br />

für mich sehr wichtig und wir sind auch ein Teil davon.<br />

Du bist ja Mitglied der TKP/ML-TIKKO. Und<br />

wenn du nun sagt, du bist ein Teil davon, von der<br />

YPJ, wie geht das?<br />

In <strong>Rojava</strong> ist es so: Unsere Dachorganisation hier in<br />

<strong>Rojava</strong> ist die YPG und die YPJ. Es ist auf militärischer<br />

Seite so, dass wir unter ihnen kämpfen. Wir nehmen als<br />

Frauen und als Männer an einer ihrer Grossoperationen<br />

teil und kämpfen unter ihnen. Deswegen ist das unsere<br />

Dachorganisation.<br />

Es kann sein, dass wir unsere eigenen Punkte haben,<br />

eigene Kräfte haben, das sind unsere Freiheitsräume.<br />

Aber im Kampf, auf der militärischen Seite, sind wir<br />

abhängig von ihnen. Dass wir unter ihrem Kommando<br />

kämpfen sehen wir nicht als etwas falsches, nein wir<br />

glauben, dass ist etwas gutes. Wir können nicht sagen,<br />

dass wir hier etwas ganz anderes machen oder wir alleine<br />

kämpfen gehen. Wir kämpfen unter ihnen, deswegen<br />

sind wir als Frauen ein Teil der YPG und ein Teil der<br />

YPJ.<br />

Ich frage nochmals: Du, als Frau innerhalb der<br />

TPK/ML-TIKKO; bist du in Kontakt mit der YPJ<br />

oder ist es die TIKKO, die den Kontakt hat zur YPJ?<br />

Wie kann man das verstehen?<br />

Ich bin unter der YPJ, eine Frauenkämpferin in<br />

der YPJ, in der Frauenarmee. Was die TKP/ML im<br />

Frauenfreiheitskampf verteidigt, das verteidigt auch die<br />

YPJ. So sehe ich das und so sehen wir es und deswegen<br />

ist da nichts was dich trennt, sondern nur das, was uns<br />

eigentlich vereinigt. Wir sind und ich bin Kriegerin<br />

der YPJ aber was die YPJ zum Beispiel bei uns nicht<br />

kann, ist zu sagen, dass ich heute oder morgen dort hin<br />

kommen solle. Das kann sie nicht aber normalerweise<br />

bin ich bei der YPJ und das ist eine Frauenarmee und<br />

was die Frauenarmee hier verteidigt ist sehr wichtig und<br />

das verteidigen wir alle.<br />

Deswegen trennen wir das nicht, das müssen wir stets<br />

detailliert erklären, damit es keine falschen Ansichten<br />

gibt. Das verbindet sich, die Ansichten, auf militärischer<br />

Seite sind wir dabei und ich bin auch eine Kriegerin<br />

darin.<br />

Ich habe noch eine Frage: Ist es dir möglich auch<br />

an den Frauenakademien teilzunehmen, könntest du<br />

das wenn du das möchtest?<br />

Wir können teilnehmen aber für uns ist das nicht<br />

wichtig. Also so eine Erfahrung habe ich bisher nicht<br />

gemacht. An einer Akademie der YPJ teilgenommen<br />

habe ich nicht. In Kobanê habe ich am Anfang von der<br />

YPJ eine militärische Ausbildung bekommen. Damals<br />

gab es keine Trennung, da war es gemischt. Aber die<br />

Ausbilderinnen waren Frauen und später habe ich bei der<br />

YPJ eine Ausbildung als Sniper und für solche Sachen<br />

bekomme. Das war in Kobanê meine Ausbildung.<br />

Aber wenn ich das möchte, kann ich teilnehmen.<br />

In Kobanê war das so, dass es keine Unterschiede<br />

zwischen Frauen und Männern gab, denn es gab diese<br />

Kriegssituation, eine sehr aktive Kriegssituation. Da<br />

gab es diese Strukturen noch nicht, aber als der Krieg<br />

um Kobanê vorbei war, als Kobanê frei war von ISIS,<br />

da haben wir angefangen diese Strukturen aufzubauen.<br />

Zwischen YPG und YPJ gab es Unterschiede und in<br />

<strong>Rojava</strong> generell haben sich jetzt Strukturen aufgebaut<br />

und die YPJ kann jetzt unabhängige Beschlüsse machen<br />

und eigene Mechanismen entwickeln und das ist für uns<br />

sehr wichtig.<br />

Es ist hierbei zentral, erst mal SchülerIn zu werden. Bei<br />

uns in den Guerilla ist es so, dass wir ein Frauenkomitee<br />

haben. Wir haben auch das Ziel eine Frauenarmee zu<br />

gründen, aber dazu haben wir die Kraft noch nicht.<br />

Aber wir können sagen, dass das ein Ziel ist von uns.<br />

Von der YPJ können wir vieles lernen, können wir viele<br />

gute Erfahrungen sammeln, das ist für uns sehr wichtig<br />

und deswegen ist auch die YPJ sehr wichtig. Wir sagen<br />

auch, dass in <strong>Rojava</strong> die YPJ eine sehr wichtige Rolle<br />

spielt, aber nicht nur hier, sondern dass sich davon alle<br />

revolutionären Organisationen wirklich ein Beispiel<br />

nehmen sollten in ihrem Kampf für die Frauen.<br />

Im Kampf in der YPJ, in den Teams, im Bataillon, ist<br />

es wichtig, in welchen KommandantenInnen-Rollen die<br />

Frauen sind, welche KommandantInnen-Positionen sie<br />

in Missionen haben, was für eine Rolle sie im Kampf<br />

haben. Solche Erfahrungen müssen wir als Frauen<br />

machen oder als TKP/ML-TIKKO. Durch diese<br />

Erfahrungen haben wir jetzt ein Frauenkomitee in der<br />

Guerilla und das wird später eine Frauenarmee werden.<br />

Diese Erfahrungen haben ihre guten Seite darin, dass sie<br />

als Beispiel für andere Frauenorganisationen wirklich<br />

wertvoll sind.<br />

Es ist ja nicht so, dass Frauen nicht kämpfen können.Die<br />

YPJ hat der ganzen Welt gezeigt, dass Frauen kämpfen<br />

95


können; wirklich auch sehr aktiv kämpfen und sehr<br />

erfolgreich dabei sein können. Es wird oft gesagt, dass<br />

Frauen nicht kämpfen können, dass, wenn sie kämpfen,<br />

sie nicht gut kämpfen können, dass sie das nicht<br />

schaffen können. Aber die YPJ hat uns gezeigt, dass es<br />

ganz anders ist. Die ganze Welt hat von der YPJ gehört.<br />

Wer sich das anschaut, speziell türkische revolutionäre<br />

Organisationen nehmen sich ein Beispiele daraus.<br />

In der Türkei kannst du sehen, dass die Frauen durch die<br />

revolutionären Frauenorganisationen jetzt militanter und<br />

radikaler an die Sache herangehen und jetzt sagen können,<br />

dass sie auch radikale Sachen machen können. Denn<br />

das müssen wir auch als Frauen machen. Ich kann nur<br />

nochmals wiederholen, was die YPJ für eine Rolle spielt.<br />

Die YPJ hat uns gezeigt, dass Frauen selbstbewusster an<br />

diese Sache herangehen. Also richtig selbstbewusst ,das<br />

muss ich nochmals wiederholen, denn das ist ein sehr<br />

wichtiger Aspekt für uns.<br />

Die ganze Welt hat gesehen, dass wir Frauen sind.<br />

Frauen wurden von aussen so gesehen, dass sie Angst<br />

haben, dass sie keine Waffe haben können, keine Waffen<br />

tragen können, dass sie nur gut kochen, dass eine gute<br />

Frau, nur eine gute Hausfrau sein kann. So wurden wir<br />

als Frauen gesehen. Die Menschen glaubten, dass wir<br />

es nicht schaffen können, irgendwas zu machen. Auch<br />

wenn Frauen getötet, verhaftet oder gefoltert wurden,<br />

war es immer so, dass sie nichts dagegen getan haben,<br />

weil sie das Selbstbewusstsein nicht hatten.<br />

Aber jetzt hat uns die YPJ gezeigt, wer wir wirklich sind<br />

und dass wir sagen können, das ist eine Frauenrevolution<br />

hier. Diese Frauenrevolution hat uns gezeigt, dass die<br />

Frauen selbstbewusster sein sollten. Hier in <strong>Rojava</strong> sehen<br />

wir, wie die Frauen selbstbewusster geworden sind, sogar<br />

in dieser Bevölkerung in der alle Frauen wirklich sehr<br />

unterdrückt sind. Viele Frauen in dieser Bevölkerung<br />

sehen jetzt, dass in der YPJ Frauen Kriegerinnen sind<br />

und Kommandantinnen werden und Beschlüsse machen.<br />

Das ist fortschrittlicher als in der ganzen Welt. Das wollte<br />

ich nur nochmals wiederholen. Das ist sehr wichtig für<br />

uns, und für die Frauen weltweit.<br />

Die ganze Welt hat Angst vor dem IS. Die haben mit ihren<br />

Propaganda Videos und mit ihren verschiedenen Sachen,<br />

die sie gemacht haben, der ganzen Welt Angst gemacht.<br />

Das waren Frauenfeinde, die in Şengal viele Frauen<br />

vergewaltigt haben und Frauen verkauft haben. Für die<br />

Frauen war das wirklich ein Horror, für die Bevölkerung<br />

war es ein Horror und die Imperialisten wussten nicht,<br />

von wo das kam. Die ganze Welt war erschrocken.<br />

Aber das, was wir dagegen gemacht haben, also dass<br />

die YPJ dagegen gekämpft hat, dass die junge Frau<br />

gesagt hat «hier du wirst jetzt sehen, ich lasse mich<br />

nicht mehr unterdrücken», dass wir wirklich gegen<br />

radikale Frauenfeinde gekämpft haben.Wir kämpften<br />

hier nicht gegen ein System, gegen ein kapitalistisches<br />

Land, sondern gegen eine sehr sehr bedrohliche, eine<br />

terroristische Bedrohung gegen die Frauen. Die ganze<br />

Welt hat zugesehen, was den Frauen in Şengal passiert<br />

ist. Wir, die YPJ, hat gesagt «wir lassen uns nicht<br />

mehr unterdrücken» und hat die Waffen in die Hände<br />

genommen. Das hat uns gezeigt, dass wir gegen unsere<br />

Unterdrücker auch was machen können und dass sich<br />

eine Frau auch verteidigen kann.<br />

Die Welt hat vor einem Jahr zugesehen und hat dann<br />

gesehen, dass Frauen als Antwort auf die Unterdrückung<br />

eine Frauenrevolution machen. Wir haben gesehen,<br />

dass es sich in der Öffentlichkeit, in vielen Medien<br />

herumgesprochen hat, was für eine Rolle die YPJ für den<br />

Frauenkampf international getan hat. Das ist wirklich<br />

etwas Wertvolles, was die YPJ geschafft hat und das<br />

wird für uns ein Beispiel sein. Wir haben gezeigt, dass<br />

wir es schaffen können und wir werden es auch weiter<br />

schaffen.<br />

Was noch wichtiger ist, ist dass wir für uns, für unsren<br />

inneren revolutionäre Prozess sehr wichtig ist, etwas<br />

mitnehmen können. Es ist doch so, dass bei den<br />

Revolutionären immer etwas vergessen worden ist: Die<br />

Frau, die Frauensache, die Frauenprobleme, ja das wurde<br />

immer vergessen. Dass die Frauenfrage Teil der Frage<br />

nach der Revolution ist, haben sie uns hier gezeigt, denn<br />

ohne die Frauen kannst du keine Revolution machen.<br />

Aber die Revolutionäre und auch die Revolutionärinnen<br />

in unserem Land, haben das vergessen. Der Kampf in<br />

<strong>Rojava</strong> hat uns gezeigt, dass die Frauen nicht mehr<br />

vergessen werden dürfen, dass die Frauen wirklich gut<br />

ihre Rolle spielen können und dass sie in Zukunft auch<br />

ihre Rolle spielen werden.<br />

Als TKP/ML-TIKKO Kriegerin habe ich gesehen und<br />

habe gelernt, dass ich jetzt auch in meinem Land dagegen<br />

kämpfen kann, dass ich dagegen was machen kann. Jeden<br />

Tag werden Frauen getötet, Frauen vergewaltigt; ich<br />

weiss jetzt was ich dagegen machen kann. Dafür habe<br />

ich jetzt mein Selbstbewusstsein und ich kann mir hier<br />

ein Beispiel nehmen. Jetzt kann ich sagen, wir können<br />

gegen Frauenfeinde, gegen diese Leute, die Frauen<br />

vergewaltigen, gegen alle diese Menschen können wir<br />

ankämpfen. Das ist wirklich wichtig für uns und ich<br />

hab dass hier gelernt als Mitglied der TKP/ML-TIKKO.<br />

Unser Ziel ist es auch eine Frauenarmee hier zu gründen.<br />

Zwar sind wir jetzt noch klein und wir haben die Kraft<br />

dazu noch nicht aber wir lernen und wir werden immer<br />

noch weiter lernen.<br />

In der Sache der internationalen Solidarität spielt die Frau<br />

eine sehr grosse Rolle. Eine Frau wird unterdrückt, eine<br />

Frau wird vergewaltigt, eine Frau wird getötet, eine Frau<br />

muss immer arbeiten, im Haus ist sie immer diejenige,<br />

die alles machen muss, immer Dienstleistungen machen<br />

96


muss, immer in dem schwierigsten Beruf arbeiten muss.<br />

Überall in der Gesellschaft, überall, sei es im Leben,<br />

sei es bei der Arbeit, sei es zuhause, wird die Frau<br />

unterdrückt und es ist doch überall das Gleiche. Es ist<br />

nicht so, dass die Frau in Europa oder im Nahen Osten<br />

anders unterdrückt wird. Alle Frauen werden gleich<br />

unterdrückt und der Feind ist auch ein ähnlicher Feind,<br />

ein gleicher Feind, mit dem wir kämpfen.<br />

In der Türkei, da wurde vor einiger Zeit eine Frau von<br />

türkischen Polizisten oder Spezialeinheiten getötet. Sie<br />

war schwanger und hier sehen wir, dass so etwas auch<br />

hier passiert. Der Feind ist gleich und deswegen ist es<br />

wichtig, dass sich die internationale Solidarität, die<br />

internationale Bewegung fortschrittlich weiterbildet,<br />

einen Schritt nach vorne macht zum Thema Frau. Die<br />

Frau weiss, wie es ist unterdrückt zu werden, weil<br />

die Frau überall unterdrückt wird und das ist ein sehr<br />

wichtiger Punkt. Deswegen muss dies ein wichtiger<br />

Teil in der internationalen Bewegung sein. Denn im<br />

internationalen Kampf spielt die Frau eine sehr grosse<br />

Rolle.<br />

Wenn wir zum Beispiel sagen, dass die Genossin Barbara<br />

von der Zelle in die Berge ging, dann können wir für sie<br />

sagen, dass das ein sehr grosser internationaler Kampf<br />

ist. Barbara war eine internationale Kämpferin, die in<br />

den Bergen für den internationalen Kampf gefallen ist.<br />

Wir können das auch für Ivana Hoffmann sagen, die jetzt<br />

hier in <strong>Rojava</strong> als internationale Kämpferin gefallen ist.<br />

Das sind unsere Symbole, die nehmen wir uns als<br />

Vorbild in unserem Kampf. Wir wollen sie auch in<br />

unserem Kampf als Vorbild nehmen, weil sie das getan<br />

haben, was wir jetzt hier machen. Sie haben das getan<br />

und deshalb werden wir sie uns als Vorbild nehmen.<br />

97


Freiheitsbataillon<br />

«Wenn du an der Front gegen Daesh kämpfst,<br />

dann spielt es für dich keine Rolle, wer jetzt<br />

die WaffengenossInnen neben dir sind. Unser<br />

Bataillon macht auf diese Weise Politik, wir<br />

erleben Politik am stärksten im Kampf und<br />

unser Bataillon macht Politik, indem wir unseren<br />

Zusammenhalt zeigen. Es ist ein militärisches<br />

Bataillon und unsere Art Politik zu machen ist<br />

an der Front miteinander zu kämpfen.»<br />

Wer ist das Internationale Freiheitsbataillon.<br />

Das internationale Freiheitsbataillon besteht aus<br />

verschiedenen Menschen, die ein revolutionäres,<br />

antifaschistisches, anarchistisches oder fortschrittliches<br />

Bewusstsein haben.<br />

Das Bataillon besteht aus verschiedenen Parteien und es<br />

will die Revolution von <strong>Rojava</strong> schützen und sie weiter<br />

nach vorne tragen, sowohl gegen Daesh als auch gegen<br />

die imperialistischen Mächte, die verschiedene Pläne für<br />

<strong>Rojava</strong> haben.<br />

Wir wollen eine Alternative zum alten System aufzeigen.<br />

Die Revolution von <strong>Rojava</strong> wollen wir beschützen und<br />

weiter nach vorne tragen. Zur Zeit befinden sich im<br />

Bataillon verschiedene Gruppen, wie die MLKP, die<br />

TKP/ML-TIKKO, BÖG, und unter anderem Menschen<br />

aus Italien, aus Spanien, aus Griechenland, aus<br />

Frankreich, aus Deutschland.<br />

Auch einzelne Personen, die ein fortschrittliches Denken<br />

haben, seien es DemokratInnen, AntifaschistInnen oder<br />

auch AnarchistInnen, sind hier dabei und alle sehen die<br />

Revolution in <strong>Rojava</strong> als ihre eigene Revolution und<br />

wollen sie beschützen.<br />

Was sind die strategischen Ausrichtungen<br />

und Prinzipien vom Freiheitsbataillon und wo<br />

unterscheidet es sich von den anderen Bataillonen,<br />

die es gibt, inklusive YPG und YPJ?<br />

Was uns von den YPG / YPJ Bataillonen unterscheidet ist,<br />

dass wir organisatorisch unabhängig sind von ihnen. Wir<br />

entscheiden selbst, wer der/die höchste KommandantIn<br />

des Bataillons ist, wer die verschiedenen Team-<br />

KommandantInnen sind und so weiter. Aber vom System<br />

her sind wir abhängig von der YPG, das heisst, wir üben<br />

beispielsweise auch jeden Tag Kritik und Selbstkritik<br />

genau wie die anderen Bataillons auch. Auch können wir<br />

bei grösseren strategischen Entscheiden mitreden und<br />

unsere Ideen einbringen. Wenn wir direkt an der Front<br />

sind, bewegen wir uns zusammen mit den YPG und YPJ<br />

Bataillonen.<br />

Also ihr seid in der Entscheidung mit dabei und<br />

handelt dann zusammen? Und was ist der Unterschied<br />

zu den anderen Bataillonen?<br />

Der Unterschied zu den andern Bataillonen ist eben<br />

genau das, dass sie unabhängig entscheiden können, wer<br />

die KommandantInnen sind. In den anderen Bataillone<br />

nentscheidet die YPG, wer jetzt in dem Bataillon der/<br />

die höchste Kader ist. Aber das Freiheitsbataillon hat die<br />

Unabhängigkeit und kann selber entscheiden.<br />

Heisst das, dass zum Beispiel TIKKO und MLKP<br />

nicht selber entscheiden können, sondern dass die<br />

YPG für sie entscheidet?<br />

Nein, die haben auch ihre Unabhängigkeit.<br />

Aber was ist der Unterschied zum Beispiel zwischen<br />

dem Freiheitsbataillon und der MLKP oder TKP/<br />

ML-TIKKO?<br />

Ein anderer Punkt der uns unterscheidet ist, wie ich<br />

schon vorher erwähnt habe, dass unsere Bataillone aus<br />

verschiedenen Parteien und aus verschiedenen einzelnen<br />

Menschen besteht, die unabhängig kommen aber ein<br />

fortschrittliches Bewusstsein und einen homogenen<br />

Zusammenhalt haben. Also wir haben alle vielleicht<br />

98


verschiedene ideologische Blickrichtungen aber wir<br />

treffen uns alle an einem Punkt und das ist, dass wir die<br />

Revolution von <strong>Rojava</strong> beschützen wollen und dass wir<br />

dafür immer an vorderster Front kämpfen werden.<br />

Gibt es auch gemeinsame politische Schulungen?<br />

Wir haben ideologische Schulungen aber in diesen<br />

Schulungen diskutieren wir nicht, was uns voneinander<br />

trennt, sondern wir diskutieren eher Sachen wie<br />

beispielsweise „wie sollte sich ein Revolutionär im<br />

Alltag organisieren“, halt Themen die breiter sind.<br />

Wir schauen, dass wir nicht in die verschiedenen<br />

ideologischen Richtungen rein gehen, sodass wir<br />

keine Zersplitterungen haben. Uns geht es um den<br />

Zusammenhalt. Wir schauen, dass wir Themen<br />

besprechen, wo wir uns auf die eine Seite stellen können.<br />

Ausserdem haben wir auch militärische Schulungen, wie<br />

zum Beispiel Taktik und Schulungen mit Waffen.<br />

Heisst das, dass ihr die Einheit ins Zentrum stellt<br />

und nicht den Unterschied? Und damit akzeptiert<br />

ihr auch, dass es mehr als nur eine ideologische<br />

Ausrichtung gibt?<br />

Ja. Wir haben zum Beispiel TKP/ML-TIKKO, die<br />

MaoistInnen sind, was halt zum Beispiel BÖG und die<br />

MLKP nicht sind, aber wir schauen nicht darauf, was uns<br />

unterscheidet, sondern wo wir zusammentreffen, was<br />

uns zusammen bringt, das ist die Revolution von <strong>Rojava</strong>.<br />

Dazu gehören auch die AnarchistInnen.<br />

Alle drei Parteien, die ich erwähnt habe, haben auch<br />

ihre eigene Arbeit in <strong>Rojava</strong> aber im internationalen<br />

Freiheitsbataillon haben wir alle nur etwas, was<br />

uns zusammenbringt und das ist die Revolution zu<br />

beschützen. Da treffen wir uns alle. Deshalb erleben wir<br />

auch eine Kameradschaft auf einem anderen Niveau, das<br />

heisst für uns, dass wir trotz all der Unterschiede, die<br />

Gemeinschaft und die Wärme weiter tragen wollen.<br />

Wenn du an der Front gegen Daesh kämpfst, dann spielt<br />

es für dich keine Rolle, wer jetzt die WaffengenossInnen<br />

neben dir sind. Ob eine/r jetzt ein MaoistIn, TrotzkistIn,<br />

ob er/sie anarchistisch oder marxistisch leninistisch<br />

denkt, das spielt keine Rolle mehr. Unser Bataillon macht<br />

auf diese Weise Politik, wir erleben Politik am stärksten<br />

im Kampf und unser Bataillon macht Politik, indem wir<br />

unseren Zusammenhalt zeigen. Es ist ein militärisches<br />

Bataillon und unsere Art Politik zu machen ist an der<br />

Front miteinander zu kämpfen.<br />

Gibt es militärische, taktische und strategische<br />

TheoretikerInnen oder historische Erfahrungen, die<br />

für euch wichtig sind?<br />

Geschichtlich vergleichen wir uns mit dem Spanischen<br />

Bürgerkrieg, wo es gegen Francos Faschismus auch ein<br />

internationales Bataillon gegeben hat. Dort trafen sich<br />

auch viele verschiedene Menschen und Ideologien, die<br />

alle ein gemeinsames Ziel hatten. Wir vergleichen auch<br />

oft Kobanê mit Stalingrad, was uns immer wieder zeigt,<br />

dass der Sieg möglich ist und dass es einen solchen<br />

Kampf schon einmal gegeben hat. Das gibt uns immer<br />

wieder Hoffnungen.<br />

In der Revolution von <strong>Rojava</strong> spielen im<br />

militärischen Bereich Frauen eine grosse Rolle. Ist<br />

das bei euch auch so?<br />

Wir bezeichnen die Revolution von <strong>Rojava</strong> als eine<br />

Frauenrevolution und wir sehen auch wirklich wie<br />

wichtig der Aufbau der YPJ gewesen ist und was für<br />

einen grossen Wert das trägt. Vielleicht haben wir es<br />

nicht geschafft, von Anfang an in unserem Bataillon ein<br />

Frauenteam aufzubauen, weil wir im Bataillon zu wenig<br />

Frauen gehabt haben. Aber dann später hatten wir eine<br />

Frauenkommandantin neben dem Höchstkommandanten.<br />

Wir haben es auch geschafft, dass wir ein Frauenteam<br />

aufbauen konnten und wir sehen wirklich im Kampf,<br />

was für eine wichtige Rolle Frauen spielen.<br />

Was haltet ihr von der internationalen Solidarität,<br />

was bedeutet diese in der Revolution von <strong>Rojava</strong>?<br />

Auf der ganzen Welt sind alle Augen, vor allem die der<br />

imperialistischen Mächte, auf <strong>Rojava</strong> gerichtet. Das<br />

sieht man an den Koalitionen, die uns heute mit ihren<br />

Flugzeugen helfen. Aber das machen sie nicht, weil wir<br />

schöne Augenbrauen und schöne Augen haben, sondern<br />

sie haben alle ihre Pläne für <strong>Rojava</strong>. Diese Mächte sind<br />

vor allem Amerika, Russland und Frankreich. Sie wollen<br />

sich unbedingt in diese Revolution einmischen und ihr<br />

eine andere Richtung geben.<br />

Aber wir haben eine Revolution, die ihren eigenen<br />

Weg gemacht hat und die eine Alternative auch gegen<br />

Mächte und Grossmächte im Mittleren Osten, wie<br />

Assad und das Baath Regime, ist. Wir brauchen<br />

wirklich alle InternationalistInnen auf der ganzen<br />

Welt, die fortschrittlich sind, sich als AntifaschistIn als<br />

KommunistIn bezeichnen. Es kommen viele Kämpfer<br />

Innenaus der ganzen Welt aber wir brauchen mehr<br />

KämpferInnen, damit wir eine Revolution auch vor<br />

diesen Grossmächten schützen können.<br />

Ihr zieht oftmals Bilanz in der Form von Kritik /<br />

Selbstkritik. Was für Erfahrungen damit habt ihr bis<br />

jetzt gemacht?<br />

Kritik und Selbstkritik, die wir im Bataillon führen, ist<br />

ein Punkt, den wir nicht auslassen können, weil man<br />

jede/jeden GenossIn, der/die im Bataillon ist, kritisieren<br />

beziehungsweise Selbstkritik ausüben kann. Dies ist für<br />

eine gesunde Zusammenarbeit sehr wichtig ist, denn erst<br />

99


dort, wo man seine Gedanken und Ideen frei sagen kann,<br />

können wir auch Demokratie erleben.<br />

Wir sind alle aus einem bestimmten Grund hier. Weil<br />

wir alle an etwas glauben; weil jede/r einzelne aus einem<br />

bestimmten Grund hierher gekommen ist, aus einer<br />

bestimmten ideologischen Richtung oder aufgrund eines<br />

Bewusstseins. Nur deshalb haben wir die Waffen in die<br />

Hand genommen. Das heisst aber nicht, dass wir jetzt<br />

besser kämpfen als andere Bataillone. Aber wir glauben,<br />

dass wir mindestens genau so gut sind, wie die anderen<br />

Bataillone auch.<br />

Welche Rolle spielt für euch die Ideologie?<br />

Sie ist ausgesprochen wichtig. Denn dass wir<br />

SozialistInnen sind, hat uns ja nach <strong>Rojava</strong> geführt. Als<br />

SozialistInnen war es unsere Aufgabe hierher zu kommen.<br />

Wir sind keine nationalistischen SozialistInnen. Wir sind<br />

internationale SozialistInnen, das heisst, egal wo es<br />

einen Kampf gibt, dort müssen wir sein. Wenn wir so ein<br />

Bewusstsein haben und das verteidigen, sagen wir, dass<br />

die Revolution von <strong>Rojava</strong> auch unsere Revolution ist.<br />

Wir betrachten die Vorgänge hier auch als unsere eigene<br />

Revolution.<br />

sagen, seit wir uns gegründet haben. Unser Bataillon hat<br />

sich am 10. Juni 2015 gegründet, am 11. Juni sind wir<br />

an die Front gegangen. In diesen ersten Operationen<br />

sind zwei von unseren Kämpfern als Märtyrer gefallen:<br />

Halil Aksakal und Alper Çakas. Zudem haben wir<br />

sieben Genossen, die verletzt worden sind. Darunter<br />

ein deutscher Genosse und ein griechischer Genosse,<br />

die schwere Verletzungen gehabt haben. Nach diesen<br />

Operationen sind wir nach Hol gegangen, wo die<br />

nächsten Freiheitsoperationen angefangen haben. Seit<br />

unser Bataillon sich gegründet hat, waren wir immer<br />

an vorderster Front, weil auch in unseren Statuten<br />

geschrieben haben, dass wir da sind, um die Revolution<br />

von <strong>Rojava</strong> zu beschützen und das machen wir auch an<br />

vorderster Front. Wir sind immer an der vordersten Front<br />

und weil wir an der vordersten Front sind, haben wir<br />

es schwer. Wir leiden darunter, weil unsere Genossen<br />

als Märtyrer gefallen sind aber wir haben auch unsere<br />

Gegnern schwer leiden lassen.<br />

Wir rufen alle fortschrittlichen Menschen und<br />

Organisationen in der ganzen Welt auf: kommt hierher!<br />

Die Revolution von <strong>Rojava</strong> ist auch eure Revolution,<br />

es ist unsere und eure Revolution kommt und beschützt<br />

eure Revolution.<br />

100<br />

Gibt es noch etwas was du sagen willst?<br />

Ich will etwas zu den Erfahrungen der letzten fünf Monate


Kommandant Sengal (MLKP)<br />

«Dennoch muss ich sagen, dass, wenn wir die<br />

letzte Möglichkeit irgendwann erreicht haben,<br />

dass wir dann natürlich auch mit der KDP<br />

kämpfen werden. Aber das hat keine Priorität.<br />

Zuerst wollen wir die Dörfer von Daesh befreien<br />

und damit ein freies Land schaffen, damit für<br />

die Menschen alles besser wird.<br />

Wir sitzen hier im Tabûr zusammen mit dem<br />

Kommandanten der MLKP Sengal und wir würden<br />

gerne wissen, was Sengal ist und wie es zur aktuellen<br />

Situation kam.<br />

Zuerst einige grundlegende Infos. Die Stadt Şengal liegt<br />

am Fuss von riesigen Bergen. Dort leben vier verschiedene<br />

Völker: SunnitInnen, EzidInnen, KurdInnen und<br />

TurkmenInnen. Bis zum Angriff von Daesh hatten sie<br />

keine zu grossen Probleme untereinander gehabt. Sie<br />

hatten auch keine grossen Probleme mit der KDP, die sie<br />

regierte. Bevor Daesh die Stadt angriff, hatten sie gar die<br />

Möglichkeit in der KDP mitzureden.<br />

Wie es zur jetzigen Situation kam? Nun grundsätzlich<br />

kann man sagen, dass es mit dem Irak-Krieg und nach<br />

den Ereignissen in Syrien für Daesh einfach war im<br />

Nahen Osten zu erscheinen. Zuerst nutzten sie <strong>Rojava</strong><br />

als Basis, um die KurdInnen anzugreifen. Sie ergriffen<br />

damit die Gelegenheit als wichtiger Akteur im Nahen<br />

Osten zu erscheinen. Später begannen sie dann auch<br />

Südkurdistan anzugreifen.<br />

Die Terrororganisation Daesh will einen sunnitischen<br />

muslimisch-islamischen Staat im Nahen Osten aufbauen.<br />

Darum sehen sie das kurdische Volk, das armenische<br />

Volk, das Volk der kurdischen EzidInnen aber auch<br />

die revolutionären und fortschrittlichen arabischen<br />

Menschen als Hindernis für ihr Ziel. Deswegen griffen<br />

sie 2014 auch Şengal an.<br />

Natürlich gab es letztlich mehrere Gründe hierfür.<br />

Zunächst versteht Daesh die Religion der EzidInnen<br />

als Religion, die sie angreifen müssen. Ganz einfach<br />

deswegen, weil die EzidInnen eine andere religiöse<br />

Kultur, andere religiöse Überzeugungen und so weiter<br />

haben, und sie so im Widerspruch zur sunnitischen<br />

muslimischen Religion und ihren Sitten stehen.<br />

Zweitens fehlte in Şengal eine starke Autorität. Man<br />

kann sagen, die Verwaltung dort hatte keine Macht.<br />

Außerdem waren die EzidInnen nicht gut organisiert und<br />

auch diejenigen, die sich in der Stadt Şengal befanden,<br />

waren nicht stark genug, um eine Antwort auf die<br />

Angriffe der Daesh zu geben. Aus diesem Grund sagen<br />

wir heute, dass die Invasion von Şengal durch Daesh<br />

mit der Hilfe der KDP stattfand. Die KDP-Regierung<br />

ist deshalb mitschuldig, weil sie gegen die Invasion<br />

keinen Widerstand leistete. Sie hat buchstäblich keine<br />

einzige Kugel gegen den Angriff der Daesh in Şengal<br />

verschossen. Vielmehr zog sie sich aus der Stadt zurück<br />

und überließ die EzidInnen dem Massaker durch die<br />

Daesh.<br />

Die EzidInnen nennen das, was passiert ist, das 73.<br />

Massaker, denn im Laufe ihrer Geschichte erlitten die<br />

EzidInnen insgesamt 72 Massaker. Die EzidInnen<br />

mussten also beim Angriff aus ihren Städten und von<br />

ihrem Land fliehen. Sie verließen ihre Häuser, ihre<br />

Arbeit, ihre Tiere und all das, was immer ein Teil ihres<br />

Lebens war. Um einen sicheren Ort zu finden, mussten<br />

sie entweder nach <strong>Rojava</strong> fliehen oder sich nach Norden<br />

zurückziehen. Deshalb mussten sie tagelang mit den<br />

Kindern und alten Menschen und ohne Wasser wandern.<br />

Viele von ihnen starben bei dieser Flucht, oft weil sie<br />

zurückfielen und nicht schnell genug gehen konnten.<br />

Beim Angriff von Daesh im August 2014 wurden auch<br />

hunderte Menschen in einem grossen Massaker getötet.<br />

Diejenigen, die nicht in der Lage waren zu fliehen, wie<br />

alte Menschen, kleine Kinder und so weiter, wurden von<br />

Daesh einfach ermordet. Daesh nahm zudem auch viele<br />

ezidische Frauen als Sklavinnen.<br />

Als wir die Operation in Şengal durchführten, haben<br />

wir Massengräber gefunden. Wir können also sagen,<br />

dass Daesh gefoltert und getötet und die Menschen dann<br />

alle zusammen begraben hat. Es gibt zahlreiche solche<br />

101


Gräber in Şengal, die von diesen Gräueltaten zeugen.<br />

Als die Daesh im August 2014 Şengal angriff, reagierte<br />

die MLKP, die PKK und auch die YPG. Sie schafften<br />

es, Daesh am Fusse des Berges zu stoppen. Sonst<br />

wären Daesh weitergegangen und hätten die Menschen<br />

verfolgt, die in die Berge liefen. So begann die Befreiung<br />

von Şengal City, die später als totale Befreiung endete.<br />

Aber der Prozess zur Befreiung begann direkt nach dem<br />

Angriff von Daesh. Die Kämpfe dauerten eine lange Zeit<br />

aber schliesslich erreichten wir die Befreiung.<br />

Zu den politischen und militärischen Prozessen in Şengal:<br />

Es war also so, dass unsere Partei, die MLKP, zusammen<br />

mit den Kräften der PKK, die wir bezüglich der Politik im<br />

Nahen Osten und der kurdische Frage übereinstimmen,<br />

sofort eine Antwort auf die Angriffe auf Şengal gaben.<br />

Zusammen mit der PKK wurden wir Teil einer Front, die<br />

gemeinsam gegen Daesh kämpfte. Daraus ergab sich ein<br />

grösserer Widerstand gegen Daesh. Wir kämpften und<br />

Schritt für Schritt befreiten wir schliesslich die Dörfer<br />

und vertrieben Daesh vom Fuss der Berge.<br />

Aber dann schloss die KDP plötzlich den Durchgang,<br />

durch den wir versorgt wurden und wir waren mit<br />

Bedingungen konfrontiert, wo wir keine Verpflegung<br />

mehr hatten. Das heisst, wir hatten plötzlich auch keine<br />

Munition, keine Waffen und vergleichbare Dinge mehr.<br />

Die KDP tat dies absichtlich, weil sie nicht wollten, dass<br />

die PKK und MLKP eine bestimmende Kraft für die<br />

EzidInnen und das kurdische Volk in Şengal werden.<br />

Der Grund hierfür ist recht einfach zu erklären. Die KDP<br />

will nicht, dass die EzidInnen sich selbst organisierien<br />

oder mit den revolutionären und kommunistischen<br />

Organisationen Bekanntschaft schliessen. Sie wollen<br />

einfach nicht, dass die Bevölkerung unter den Fahnen der<br />

revolutionären Organisationen, wie der MLKP oder der<br />

PKK, organisiert werden. Unter solchen Schwierigkeiten,<br />

die von der KDP stammen, leben wir immer noch. Also<br />

kämpfen wir aktuell sowohl gegen Daesh als auch gegen<br />

die KDP, jedoch hier ohne revolutionäre Absicht. Wir<br />

wollen einzig die Schwierigkeiten minimieren, die die<br />

KDP uns bereitet.<br />

Als wir mit den vereinten Kräften der PKK, der MLKP<br />

und der YPG gegen Daesh zu kämpfen begannen,<br />

befreiten wir etwa 10% des Şengal Gebietes und<br />

errichteten eine Frontlinie in diesem Bereich. Dieses<br />

10%-Gebiet können wir das alte Şengal nennen. Es ist<br />

ein strategisch sehr wichtiges Gebiet und hat Bedeutung<br />

in der ganzen Region, weil wir von diesem Gebiet aus die<br />

weiter unten liegende Stadt Şengal kontrollieren konnten.<br />

Für etwa 14, 15 Monate hielten die gemeinsamen Kräfte<br />

die Frontlinie und bereiteten sich auf die Operation zur<br />

Befreiung von Şengal vor.<br />

Während dieser 14, 15 Monate des Widerstandes<br />

waren die Bedingungen und die Möglichkeiten, die<br />

wir hatten begrenzt. Auch hat uns Daesh in dieser Zeit<br />

immer wieder angegriffen. Wir hatten viele Gefallene,<br />

einschließlich Frauen und Männer der PKK, aber mit<br />

starkem Widerstand hielten wir die Frontlinie und<br />

wichen nicht zurück. Wir bauten den Widerstand weiter<br />

aus und bereiteten uns auf die Befreiungs-Operation vor.<br />

Die KDP jedoch, obwohl sie viele schwere Waffen<br />

und technische Geräte haben, organisierten keinen<br />

Widerstand. Sie machten keine Operation gegen die<br />

Daesh, um zu reagieren. Doch wenn wir dies so sagen,<br />

dann wollen wir die KDP nicht als die einzig Schuldigen<br />

benennen, auch die imperialistischen Staaten sind<br />

mitschuldig. Denn als unsere GenossInnen durch die<br />

hinterhältige Angriffe von Daesh starben und als Daesh<br />

uns mit schweren Waffen, mit Maschinengewehren und<br />

Raketen angriffen, da reagierten die imperialistischen<br />

Staaten, das heisst diie USA, Italien, Deutschland,<br />

England, nicht einmal, obwohl sie der Welt eine andere<br />

Geschichte erzählen.<br />

Zwar griffen ihre Flugzeuge die Daesh Positionen<br />

an, aber sie kommunizierten nur mit der KDP. Für die<br />

Imperialisten war die KDP der einzige Partner. Wenn die<br />

KDP ein Problem hatte, reagierten die imperialistischen<br />

Kräfte und bombardierten die Positionen von Daesh.<br />

Aber wenn unsere Kräfte ein Problem hatten und<br />

unsere KämpferInnen getötet wurden, taten diese<br />

imperialistischen Staaten nichts. Der Grund dafür war,<br />

dass die Imperialisten nicht wollten, dass wir in uns<br />

selbständig organisierten in Şengal bewegten, ohne sie<br />

zuerst zu fragen. Wenn etwas nicht ihren Wünschen<br />

entsprach, überliessen sie uns einfach den Daesh. Nicht<br />

direkt, sondern indirekt und deswegen sind auch sie<br />

mitschuldig.<br />

Nach diesem 15 Monate langen Prozess erreichten wir<br />

schliesslich eine Situation, in der es darum ging, dass wir<br />

entweder die Daesh angreifen oder sie eine Operation<br />

gegen uns machen würden. Zu diesem Zeitpunkt hatten<br />

wir unsere Frontlinie bereits 15 Monate gehalten. Im<br />

November 2015 begann YPG, MLKP, YBŞ (Yekîneyên<br />

Berxwedana Şingal, Widerstandseinheiten Şengal), und<br />

YJA STAR (Yekîneyên Jinên Azad ên Star, Fraueneinheit<br />

der PKK) die Operation zur Befreiung von Şengal.<br />

Vor Beginn der Operation hatten wir einen Kontakt mit<br />

der KDP, der YNK und auch mit den Staaten Frankreich,<br />

Belgien, England, und wir liessen sie wissen, dass wir<br />

mit unserer Operation beginnen würden. Dann suchten<br />

wir nach Wegen, wie wir dies zusammen tun könnten,<br />

das heisst auch zusammen mit der KDP. Aber die KDP<br />

sagte, ihr seid nicht die tatsächlichen Kräfte in Şengal, ihr<br />

seid nur Gäste. Sie sagten, wir werden dies durchführen<br />

und ihr werdet nur weglaufen. Natürlich haben wir das<br />

nicht akzeptiert, wir hatten in diesen 15 Monaten viele<br />

Gefallene und wir waren es, die als BeschützerInnen der<br />

102


EzidInnen handelten. So gaben wir ihnen die Antwort,<br />

ob ihr es akzeptiert oder nicht, wir werden die Operation<br />

starten. Nach diesen Kontakten mit den anderen<br />

AkteurInnen, insbesondere den USA und Frankreich, die<br />

unsere Leistungen in diesen 15 Monate gesehen hatten,<br />

gaben sie uns indirekt zu verstehen, dass sie uns bei<br />

dieser Operation unterstützen wollen.<br />

Am 15. November am Morgen dieses ersten<br />

Tages begannen die Flugzeuge von Frankreich<br />

mit Bombardierungen und am Morgen gingen die<br />

KämpferInnen der YBŞ, YPG, MLKP und YJA STAR in<br />

die Stadt und überwältigten alle Daesh Kräfte, die durch<br />

die Bombardierungen der ersten Nacht geschwächt<br />

waren. Dann wurde Şengal eine freie Stadt, frei von<br />

Daesh.<br />

Am Morgen, als die Operation begann und unsere Kräfte<br />

in die Stadt einzogen, ging natürlich auch die KDP mit<br />

Tausenden ihrer Soldaten und mit einem gewaltigen<br />

Waffenarsenal, darunter auch Panzern und anderen<br />

Waffen, in die Stadt und inszenierten eine grosse Show.<br />

Sie wollten die Macht im Stadtzentrum übernehmen und<br />

von den anderen Kräften als Autorität auftreten. Auch<br />

wenn sie unsere Operation nicht akzeptierten: Als wir<br />

in die Stadt einzogen, wollten sie plötzlich das ganze<br />

Gebiet besetzen und führten deswegen eine riesige Show<br />

auf, um ihre Macht zu demonstrieren. Aber als wir das<br />

sahen, versuchten wir der KDP keine Möglichkeit zu<br />

geben, dass sie die Stadt Şengal besetzen konnten.<br />

Zur Zeit sind es drei Hauptkräfte, die das Şengal<br />

Stadtzentrum kontrollieren, die YPG, YBŞ und die KDP.<br />

Wir, die Kräfte der MLKP sind unter dem Kommando<br />

der YPG. Wir befolgen ihre Befehle, da wir eine grosse<br />

Solidarität zwischen uns und ihnen sehen.<br />

Die EzidInnen aber, mehr oder weniger alle von ihnen,<br />

gehen immer noch nicht in ihre Stadt zurück, weil sie der<br />

KDP und den imperialistischen Kräften nicht trauen. Sie<br />

erlitten ein riesiges Massaker und haben grosse Angst in<br />

ihre Städte zurückzukehren. Lieber leben sie zusammen<br />

mit den Kräften der YPG in Zelten in den ländlichen<br />

Gebieten rund um Şengal. Sie vertrauen der YPG und<br />

wenn die YPG zum Beispiel ein Dorf befreit hat, bringen<br />

sie ihre Zelte und leben dort zusammen mit ihnen.<br />

Kannst du etwas darüber erzählen, wie sich die<br />

EzidInnen selbst organisieren?<br />

Also die YBŞ über die ich schon gesprochen haben, ist<br />

die Selbstorganisation von EzidInnen. Sie wurde im Jahr<br />

2015 durch die Unterstützung von YPG und MLKP und<br />

YJA STAR organisiert. Sie lassen EzidInnen sich selbst<br />

organisieren, damit sie nicht mit weiteren Massakern<br />

konfrontiert werden. Wenn die EzidInnen sich selber<br />

schützen, indem sie ihre eigenen Kräfte verwalten, sind<br />

sie zukünftig die erste Kraft gegen weitere Massaker.<br />

Also wurde die YBŞ im Jahr 2015 gegründet.<br />

Wir können sagen, dass mit der Gründung der YBŞ, die<br />

Propaganda, die die KDP gegen die MLKP und die YPG<br />

bei den EzidInnen einbrachte, vermindert werden konnte.<br />

Wenn sich die EzidInnen selbst organisieren, wird die<br />

Propaganda der KDP irgendwann bedeutungslos werden.<br />

Jetzt arbeiten YPG und YBŞ Kräfte in Şengal<br />

zusammen. Die irakische Regierung anerkennt YPJ<br />

als eine eigenständige Kraft im Şengal Gebiet und sie<br />

bieten der YBŞ eine Art wirtschaftliche Möglichkeiten,<br />

indem sie sie als eine eigenständige Kraft anerkennen.<br />

Auch auf internationaler Ebene beginnt die YBŞ von<br />

der irakischen Regierung anerkannt zu werden. Dies<br />

hat eine grosse Bedeutung, denn das Wichtigste hier ist,<br />

dass die EzidInnen in der Zukunft kein Massaker mehr<br />

erleben müssen. Wenn sie auf internationaler Ebene<br />

anerkannt werden, wird ihnen das helfen, ihr Land gut<br />

zu organisieren.<br />

Aber die Barzani-Regierung, die KDP, anerkennt die<br />

YBŞ nicht an, und das obwohl selbst die irakische<br />

Regierung sie anerkennt. Sie wollen gar, dass sie aus<br />

der Stadt Şengal weggeschickt werden. Darüber hinaus<br />

will das Barzani-Regime, dass unsere Kräfte in einen<br />

Konflikt mit der lokalen Bevölkerung in Şengal geraten.<br />

Zu diesem Zweck haben sie ein wirtschaftliches Embargo<br />

gegen unsere Kräfte ausgerufen und auch religiöse<br />

ezidische Organisationen zusammengetrommelt, damit<br />

diese sich gegen unsere Kräfte organisieren.<br />

Aber trotz all dieser politischen und wirtschaftlichen<br />

Aktionen der KDP, leben die EzidInnen, und alle anderen<br />

Menschen von Şengal ihr Leben selbst und organisieren<br />

sich gemeinsam mit unseren Kräften.<br />

Wie sieht das im Alltag aus? Und wie wirkt sich<br />

eure Anwesenheit auf die Politik der KDP aus?<br />

Wir organisieren Bildung. Wir haben Volksräte und<br />

Kommissionen von Frauen. Durch solche Institutionen<br />

beginnen die Menschen sich selbst zu regieren und sie<br />

versuchen nun, ihre eigene wirtschaftliche und politische<br />

Struktur aufzubauen.<br />

Wir als Befreiungskräfte wollen keinen Krieg mit der<br />

KDP. Aber die KDP versucht, die Leute gegen uns<br />

aufzuhetzen. Wir wollen, dass die Menschen hier unsere<br />

Politik verstehen und annehmen und ihr eigenes Leben<br />

gemeinsam mit uns aufbauen. Aber die KDP versuchen<br />

zu provozieren. Nur um ein Beispiel zu nennen: Im<br />

Mai sprach die KDP zu den wichtigsten religiösen<br />

Organisationen der EzidInnen und versuchte sie gegen<br />

uns aufzubringen. Aber die Vertreter dieser religiösen<br />

Organisationen sagten, wir werden keine einzige Kugel<br />

gegen die Befreiungskräfte aufbringen.<br />

103


Dennoch muss ich sagen, dass, wenn wir die letzte<br />

Möglichkeit irgendwann erreicht haben, dass wir dann<br />

natürlich auch mit der KDP kämpfen werden. Aber das<br />

hat keine Priorität, auch weil wir die letzten Dörfer von<br />

Daesh befreien wollen, die zwischen Şengal und <strong>Rojava</strong><br />

liegen. Wir wollen diese Dörfer befreien und damit<br />

ein freies Landes schaffen, damit für die Menschen<br />

alles besser wird. Die EzidInnen werden dann Zugang<br />

zur <strong>Rojava</strong> Revolution haben. Weil uns das wichtig ist<br />

haben wir noch immer eine Menge von unseren Kräften<br />

in Şengal, um hier auch weiter die Stadt zu halten.<br />

Das hat auch eine andere Seite. Denn unsere Kräfte hier<br />

sammeln viel Erfahrung, insbesondere solche, welche<br />

für den militärischen Kampf in den Städten von Nutzen<br />

ist. Wir befinden uns in Şengal City ja in einer Stadt. Hier<br />

halten wir nicht nur eine Position, sondern unsere Kräfte<br />

verändern auch das Gebiet. Zurzeit gibt es in Şengal<br />

viele verschiedene Akademien für die KämpferInnen<br />

und unsere Truppen. Wir haben also dynamische<br />

Beziehungen zur Stadt Şengal und das geht weiter.<br />

Auch gibt es hier eine Neuerung für uns. Vor dem Krieg<br />

hier hatten wir keinen Kontakt mit EzidInnen. In diesem<br />

Krieg hatten wir die Chance, den EzidInnen nahe zu<br />

kommen. Wir hatten die Möglichkeit, ihr Leben und ihre<br />

Kultur zu verstehen und uns mit ihnen solidarisch zu<br />

zeigen. Gleichzeitig fingen die EzidInnen an uns und die<br />

kommunistische Kultur kennenzulernen. Mittlerweile<br />

zeigen sie grosses Interesse für unsere Organisationen.<br />

Sie besuchen uns an unseren Standorten in Şengal und<br />

verfolgen auch unsere Politik in Şengal. Daher ist dies<br />

ein grosser Erfolg, den wir durch unsere KämpferInnen<br />

erreichten, die gute Beziehungen zu allen Menschen und<br />

fortschrittlichen Organisationen in diesem Krieg hatten.<br />

für die Befreiung von Şengal angeschlossen. Aktuell<br />

halten sie einige Orte im Stadtzentrum. Sie formierten<br />

sich im Jahr 2015, vor der grossen Operation.<br />

Aber sie sind das Ergebnis dieses Prozesses den du<br />

beschrieben hast?<br />

Ja, genau, gleich wie YBŞ. Es ist ein Ergebnis dieser 15<br />

Monate.<br />

Das heisst, sie schufen Raum für Frauen, um sich<br />

innerhalb des Prozesses der Operationsvorbereitungen<br />

zu organisieren?<br />

Das Vorgehen ist mehr oder weniger dasselbe wie bei der<br />

YPG. YPG begann EzidInnen erst unter YPG Kräften<br />

zu organisieren und danach, als sich eine Möglichkeit<br />

zeigte, konnte YBŞ aus ihren eigenen ezidischen<br />

Kräften aufgebaut werden. Genauso wie die YJA STAR<br />

Kämpferinnen die ezidischen Frauen zu organisieren<br />

begannen. Sie organisierten sie für YJA STAR und<br />

nachdem YBŞ aufgebaut war, begannen sie, einen Weg<br />

für Frauen zu organisieren und gaben ihnen ihre eigene<br />

Organisation und die Möglichkeit, YJÊ aufzubauen.<br />

Die Befehlsstruktur innerhalb der YBŞ ist halb/halb. Das<br />

heisst, bei den KommandantInnen gibt es die gleiche<br />

Vertretung durch Frauen und Männer. Für YBŞ sind<br />

die KommandantInnen gemischt. Das heisst auch, dass<br />

die Genossinnen das gleiche Recht für die Organisation<br />

haben. Darüber hinaus haben die Frauen ihre eigene<br />

Organisation für die Missionen oder für die weiteren<br />

Regelungen innerhalb der YBŞ, die Kommandantinnen<br />

haben ihre eigene Initiative.<br />

Auch die Solidarität, die wir mit der PKK, der YPG<br />

und der YBŞ aufbauten, stärkte unser revolutionäres<br />

Bewusstsein. Wir lernten viel für unsere revolutionären<br />

Werte. Das betrifft natürlich beide Seiten. So gewann<br />

unsere Kameradschaft eine neue historische Bedeutung,<br />

das heisst auch eine revolutionäre Bedeutung.<br />

Diese Beziehung halten wir auch mit unseren Gefallenen.<br />

Denn Krieg bedeutet auch Gewalt und Tod. In diesem<br />

Krieg gab es viele MärtyrerInnen. Sie lehrten die MLKP<br />

revolutionäre Werte und sie übergaben uns die grosse<br />

Verantwortung, ihren revolutionären Willen fortzusetzen<br />

und zu verstärken. Schliesslich werden wir ihre Träume<br />

für Şengal wahr werden lassen.<br />

Ich habe nur noch eine Frage. Wir hörten von den<br />

ezidischen Frauen, dass sie sich auch organisieren<br />

und bewaffnen.<br />

YJÊ (Verteidigungseinheit der Frauen Êzîdxan, ehemals<br />

YPJ-Shingal) sind Streitkräfte, die die Frauen selbst<br />

organisiert haben. Sie haben sich auch den Operationen<br />

104


Die Rolle der Gefallenen<br />

«Die gefallene Genossin Sarya fragt mich:<br />

Was hast du gelesen, um dich dem Feind gegenüber<br />

zu stärken, was für ein Bewusstsein<br />

hast du geschaffen?»<br />

Welche Bedeutung haben die Gefallenen für dich?<br />

Die Erde von <strong>Rojava</strong> ist der Boden der Gefallenen.<br />

Wie bei jeder Revolution wurde auch in <strong>Rojava</strong> Leben<br />

gegeben, damit die Revolution entsteht und verteidigt<br />

werden kann. In <strong>Rojava</strong> findet ein grosser ein Krieg<br />

für die Freiheit und die Ehre statt. Dieser andauernde<br />

Krieg der unterdrückten Völker ist ein Kampf gegen<br />

Kapitalismus, imperialistische Barbarei und deren<br />

Folgen, also auch gegen den barbarischen Daesh. Wenn<br />

du als eine Kämpferin deinen Platz an der Front finden<br />

und gegen die Feinde kämpfen willst, musst du zuerst die<br />

Bedürfnisse und die Notwendigkeiten des revolutionären<br />

Krieges verinnerlichen. Also musst du dich ideologisch<br />

stärken. Du brauchst ein politisches Verständnis und<br />

Ziele, die dich in den Krieg und an die Front bringen.<br />

Diejenigen, die am mutigsten, am selbstlosesten und<br />

am loyalsten sind, kämpfen an vordersten Front gegen<br />

den Feind. Deshalb sind die Gefallenen und die tapferen<br />

GenossInnen immer unter uns. Darum versuchen<br />

wir deren Fahne der Ehre, die uns unsere gefallenen<br />

GenossInnen hinterlassen haben, zu schützen und noch<br />

höher zu halten. Deshalb versuchen wir von deren<br />

revolutionären Leben, Aktionen und deren Praxis zu<br />

lernen.<br />

Die Definition von Şehit [Gefallener Anm. d. Red] hat<br />

eine andere Bedeutung für uns. Unsere GenossInnen, die<br />

nun Teil der Karawane der Gefallenen sind, haben für die<br />

Revolution ihr Leben gelassen. Sie sind gestorben für das<br />

werktätige Volk, für die Unterdrückten, die Verarmten<br />

und für die Natur. Deshalb sind sie die Avantgarde. Das<br />

Leben und die Aktionen der gefallenen GenossInnen<br />

sind eins. Weil sie eine starke Bindung mit dem Leben<br />

und dem Kampf aufgebaut haben, haben sie die stärkste<br />

Praxis zum Vorschein gebracht.<br />

Wenn wir an der Front nicht wissen, wie wir weitermachen<br />

sollen, erhellen uns unsere Gefallenen mit ihrer<br />

Lebenspraxis und ihren Aktionen. Sie geben uns Kraft<br />

und zeigen uns durch ihre Praxis, wie wir etwas angehen<br />

können. Die gefallenen GenossInnen hinterlassen uns<br />

das Erbe vom Kampf, den wir erhöhen und dem wir neue<br />

Qualität geben müssen. Um die Qualität zu erhöhen,<br />

müssen wir von ihnen lernen.<br />

Wir haben für die Genossin Ivana eine<br />

Gedenkveranstaltung organisiert, dafür sollte ein Gedicht<br />

vorgetragen werden. Ich habe das für die Genossin Ivana<br />

übernommen. Eigentlich liegt mir das nicht, doch immer<br />

wenn ich an sie gedacht habe, ist meine Zurückhaltung<br />

zurückgedrängt worden und ich hatte den Anspruch das<br />

Gedicht so gut wie es nur geht vorzutragen. Darum fragt<br />

mich die gefallene Genossin Ivana jeden Tag aufs Neue:<br />

Was hast du heute für den internationalen Kampf getan,<br />

wie hast du dich weiterentwickelt?<br />

Die gefallene Genossin Sarya fragt mich: Was hast du<br />

gelesen, um dich dem Feind gegenüber zu stärken, was<br />

für ein Bewusstsein hast du geschaffen? Die gefallene<br />

Genossin Raperin fragt mich: Welchen Anteil hast du<br />

an den Frauenbefreiungskampf geleistet, was für einen<br />

Kampf hast du geführt? Die gefallenen Genossinnen<br />

Berçem und Ekin fragen mich: Was hast du gemacht,<br />

um die Beschlüsse der Partei zu erfüllen, um den<br />

bewaffneten Arm zu entwickeln und wie viel hast du der<br />

Partei beigetragen?<br />

Welche Rolle und Bedeutung haben die Gefallenen<br />

der Partei?<br />

Nicht nur in dem bewaffneten Kampf der Partei, sondern<br />

in allen Bereichen haben die gefallenen GenossInnen<br />

den gleichen Wert. Zum Beispiel die gefallene Genossin<br />

Şengül Boran, die bei ihrer militärischen Ausbildung<br />

um gegen die faschistische Diktatur zu kämpfen,<br />

gefallen ist. Genauso der gefallene Genosse Yılmaz<br />

Selçuk, der in den befreiten Gebieten der PKK bei einer<br />

militärischen Ausbildung durch einen Unfall gefallen ist.<br />

Jetzt ist es unsere Aufgabe die halberfüllten Hoffnungen<br />

zu vervollständigen. Genauso wie bei Yasemin Çiftçi,<br />

Ali Haydar Göçer oder die im Kampf gegen den Daesh<br />

unsterblich geworden sind; wie Sibel Bulut, Serkan<br />

Tosun, Ivana, Tekoser, Supi, Sinan, Sevda, Ismet, Emre,<br />

Oguz, Halil und die vielen gefallen GenossInnen, deren<br />

Namen ich nicht aufzählen kann. Ich denke jeden Tag an<br />

sie und teile es mit meinen GenossInnen.<br />

Ich denke auch an die 33 WeggefährtInnen, die in<br />

Suruç durch die Zusammenarbeit des ausbeuterischen<br />

faschistischen Staat mit Daesh massakriert wurden. Unter<br />

105


ihnen waren SympathisantInnen unserer Partei aber auch<br />

Militante der Partei, AntikapitalistInnen, AnarchistInnen<br />

und KurdInnen. Sie wollten der Revoltion von <strong>Rojava</strong><br />

helfen und ein Teil des Wideraufbaus in Kobanê sein.<br />

Sie haben ihre Schritte, Kräfte, Stimmen und Gedanken<br />

geteilt und wurden zu einer grossen Kraft. Indem sie<br />

gesagt haben, „zusammen haben wir es verteidigt,<br />

zusammen werden wir es aufbauen“, wollten sie in<br />

Kobanê ein Backstein aufbauen, einen Samen pflanzen,<br />

eine Bücherei aufbauen. Allein um das Lächeln von<br />

einem Kind zu sichern, würde es sich lohnen, all dies<br />

zu machen, das haben sie sich gedacht. Der Daesh und<br />

der türkische Staat, die gegen den schönen kräftigen<br />

Kampf verloren hatten, konnten es nicht akzeptieren<br />

und sie haben sie barbarisch angegriffen. Die Träume<br />

unserer GenossInnen sind einer der wichtigsten Werte<br />

für uns und ihre Träume sind unsere Träume. Die<br />

Träume zu verwirklichen heisst für uns, unsere Wut<br />

gegen den Feind zu stärken und unseren Glauben an<br />

die Revolution zu erhöhen. Wir als Revolutionäre sind<br />

nicht nur mit unseren Gefallenen eins, indem wir ihren<br />

Kampf schultern. Dies macht uns zu GenossInnen, zu<br />

einer Partei und uns zu einem Kollektiv.<br />

In der Geschichte und in der Kultur wird den<br />

Gefallenen viel gewidmet. Gibt es Unterschiede<br />

zwischen der kurdischen Befreiungsbewegung und<br />

der türkischen Befreiungsbewegung?<br />

Es macht keinen Unterschied für die MLKP. Sowohl<br />

die PKK als auch wir sind eine Partei der Gefallenen. In<br />

Hinsicht des Kampfes ist die PKK eine Volksbewegung,<br />

die seid 40 Jahren einen starken Krieg führt. An den<br />

Fronten sind wir GenossInnen. Ohne einen Unterschied<br />

zu setzten, führen wir unseren Kampf gemeinsam<br />

gegen unsere Feinde. Die PKK, die wir uns als<br />

Beispiel nehmen, hat unzählige Gefallene. Wir haben<br />

gefallene GenossInnen, die als KommandantInnen,<br />

als KriegerInnen und als GenossInnen ein Beispiel für<br />

uns sind und unsern Weg erhellen. Und hier nimmt die<br />

organisationsübergreifende Kameradschaft eine starke<br />

Bedeutung ein. Das revolutionäre Leben können wir<br />

erweitern, indem wir gemeinsame Werte teilen.<br />

Wie erlebt ihr an der Front, im Batallion oder in<br />

der Illegalität eure Trauer oder euren Stolz?<br />

Es spielt keine Rolle wo man ist, wenn man die<br />

Emotionen auslebt. Der Freiheitskampf, ob in der Türkei<br />

oder in Kurdistan, wird mit hohen Opfern und Arbeit<br />

erweitert. In diesem Kampf lebt man die Schmerzen, die<br />

Freude und die Wut im Innersten. Es gibt etwas, was wir<br />

im Krieg gelernt haben: Die Emotionen zu verwalten.<br />

Die Freude und das Glück der unterdrückten Völker<br />

in die Tiefe zu spüren aber auch deren Schmerzen als<br />

unserer Schmerzen zu leben.<br />

Schmerzen und Wut sin menschliche Gefühle. Das was<br />

das Leben von revolutionären KommunistInnen von<br />

anderen Menschen unterscheidet, ist dass wir unsere<br />

Gefühle verwalten. Egal auf welchem Kampffeld wir<br />

sind, sind unsere Schmerzen und Lebensform gleich.<br />

Unsere Schmerzen stärken unsere Wut gegen den<br />

Klassenfeind und festigen unsere Entschlossenheit im<br />

Kampf. So leben wir ohne unsere Schmerzen oder Trauer<br />

zur Qual zu machen.<br />

106


Welche Bedeutung haben internationalistische<br />

Gefallene für die Kriege in der Bewegung und in<br />

eurer Partei?<br />

Die Internationalistischen Gefallenen haben auch eine<br />

grosse Bedeutung. Unsere Partei ist eine Partei, die<br />

durch die Einheit der KommunistInnen entstanden ist,<br />

Wir haben das Ziel einer Revolution in der Türkei, in<br />

Kurdistan aber auch auf der Welt. Und wenn ein/e<br />

RevolutionärIn die Schmerzen der ArbeiterInnen,<br />

unterdrückten Völker, Werktätigen, Jugendlichen oder<br />

Frauen fühlt und für deren Ideale selbstlos in den Kampf<br />

zieht, ist deren Bedeutung und Wert sehr gross. Um<br />

diese Praxis zu leben, müssen grosse Brüche organisiert<br />

werden und es muss eine starke ideologische Festigung<br />

unsererseits geben.<br />

den berechtigten Kampf der kurdischen Bevölkerung<br />

verstanden und die Schmerzen gefühlt. Ihr Kampf gegen<br />

den Daesh ist ein Beispiel für die ganze Bevölkerung<br />

hier. Sie hat das Schuldgefühl der Verräter vertieft und<br />

hat eine grosse Ehre für die Kämpfenden hinterlassen.<br />

Internationale Solidarität ist eine Notwendigkeit, auf die<br />

man in einer Revolution nicht verzichten kann.<br />

Ein schönes Beispiel haben wir im Widerstand in Kobanê<br />

erlebt. Die ganze Welt hat Kobanê ihre Stimme gegeben<br />

und war Teil des Erfolgs. Es gab Gefallene, die für<br />

sich selbst, für Kobanê, für <strong>Rojava</strong> und für ihre eigene<br />

Freiheit gekämpft haben. Bei jedem kritischen Moment<br />

der Revolution von <strong>Rojava</strong> kamen internationalistische<br />

RevolutionärInne aus den unterschiedlischten Teile der<br />

Welt und haben ihr Leben hier gelassen. Diese ehrenvolle<br />

Haltung ist für uns ein wichtiger Wert.<br />

Egal an welchem Ort man auf dieser Welt aktiv ist, ist<br />

es sehr wertvoll bei denjenigen zu sein, die für Veramte,<br />

Unterdrückte, Ehre, und Freiheit kämpfen. Ihr kennt<br />

villeicht das Beispiel von der gefallenen Genossin<br />

Ivana. Sie kam als eine junge Frau aus Deutschland und<br />

nahm ihren Platz im revolutionären Kampf ein. Sie hat<br />

107


Frauenteam (MLKP)<br />

«Das Frauenteam zielt darauf ab, Frauen zu<br />

organisieren, die an der militärischen Front des<br />

Kampfes kämpfen.»<br />

108<br />

Woher kommst du?<br />

Ich war Studentin, als ich mit dem revolutionären Kampf<br />

begann. Während den Jahren in der Oberschule traf ich<br />

Leute, die schon Teil der revolutionären Bewegung<br />

waren. In der Türkei gibt es in allen Bereichen des Lebens<br />

Probleme mit der fehlenden Freiheit und Gerechtigkeit.<br />

Gegenüber dem faschistischen System in der Türkei<br />

zu schweigen, bedeutet mitschuldig zu sein und die<br />

Versklavung zu akzeptieren. Ich entschied mich für ein<br />

freies und ehrenhaftes Leben und wurde Revolutionärin.<br />

Ich arbeitete in der Jugend- und Studierenden-Politik, wie<br />

auch in anderen Bereichen des politischen Kampfes. Zu<br />

Beginn der Revolution von <strong>Rojava</strong> kam ich nach <strong>Rojava</strong>.<br />

Ich habe an vielen Operationen, wie in Serêkaniyê, Til<br />

Temir, Heseke und Şengal, teilgenommen. Während<br />

jener Zeit habe ich in militärischen und politischen<br />

Bereichen gearbeitet. Der Krieg lehrt, viele Waffen und<br />

Methoden gegen den Feind zu benutzen.<br />

Was sind deine Gründe für den Aufbau und den<br />

Kampf in einem Frauenteam?<br />

Wie alle anderen Kämpfe auch benötigt der Kampf für<br />

die Befreiung der Frauen eine organisierte Kraft. Wenn<br />

proletarische Frauen gegen Diskriminierung aufgrund<br />

des Geschlechts in der bürgerlichen Gesellschaft<br />

kämpfen, sollten sie auch gegen die Vorherrschaft von<br />

Männern aller Klassen kämpfen, um die Diskriminierung<br />

aufgrund des Geschlechts endgültig zu beenden. Frauen<br />

sollten mit weiblicher Willenskraft und weiblichem<br />

Bewusstsein gegen männliche Herrschaft vorgehen,<br />

genau so wie sie den Klassenkampf mit Willenskraft<br />

und Bewusstsein führen. Die Rolle, die Frauen in der<br />

Gesellschaft wirklich haben sollten, wird nur ermöglicht,<br />

wenn ihre revolutionäre Seele lebendig wird. Dieser<br />

Kampf wird die Mechanismen und die Ursachen der<br />

sozialen Herrschaft zerstören, welche die Versklavung<br />

der Frauen ermöglichen. Aus diesen Gründen sind<br />

wir als Frauen organisiert, um mit gemeinsamer und<br />

organisierter Kraft gegen die männliche Vorherrschaft<br />

zu kämpfen.<br />

Was ist das Ziel des neu gegründeten Frauenteams?<br />

Das Frauenteam zielt darauf ab, Frauen zu organisieren,<br />

die an der militärischen Front kämpfen. Dies ist in<br />

mehreren Punkten wichtig. Erstens soll auch in diesem<br />

Bereich die Willenskraft und die Organisierung der<br />

Frauen gestärkt werden. Der militärische Bereich ist ein<br />

Ort, wo männliche Herrschaft reproduziert wird und wo<br />

Frauen als dem Mann unterlegen gesehen werden. Hier<br />

können Frauen nur dann für sich selbst Raum schaffen,<br />

wenn sie aktivere Subjekte sind. Der zweite Punkt ist,<br />

dass die <strong>Rojava</strong> Revolution auch eine Frauenrevolution<br />

ist. Frauen haben hier so viele Dinge getan und zeigten,<br />

dass sie den revolutionären Kampf auch für ihren Platz<br />

in der Gesellschaft führen. Dies gelang ihnen durch den<br />

organisierten Kampf. Sie organisierten Frauenteams,<br />

Bataillone und eine Armee. Das bedeutet auch, dass eine<br />

neue Front im Frauenkampf entstand. Dieser Erfolg war<br />

wichtig; nicht nur um die Männer auf unserer eigenen<br />

Seite zu überzeugen, sondern auch für den Sieg gegen<br />

Daesh, die versuchen, Frauen anzugreifen. Denn sie<br />

wissen genau, dass Frauen die stärksten Subjekte der<br />

Revolution sind!<br />

Ist es ein Vorteil bei dieser Art des Kampfes eine<br />

Frau zu sein?<br />

In dieser Art des Kampfes eine Frau zu sein hat sehr viele<br />

Nachteile, weil die Formen der Gewalt sehr lange durch<br />

Männer benutzt wurden. Die Formen der Gewalt wurden<br />

dazu benutzt Frauen zu versklaven, zu diskriminieren<br />

und auszubeuten. Wie die Bourgeoisie eine Armee und<br />

andere Kräfte in ihren Händen hat, um die Ausbeutung<br />

des Proletariats zu sichern, so benutzen Männer ihre<br />

Macht, um ihre Herrschaft über die Frauen zu sichern.<br />

Man findet dies zum Teil noch im Bewusstsein unserer<br />

Genossen, mit denen zusammen wir kämpfen. Dagegen<br />

kämpfen wir als Frauen und als Partei und versuchen<br />

auch mehr Frauen zu finden, die an diesem Kampf<br />

teilnehmen und die Kommandeure dazu bringen, ihr<br />

eigenes Bewusstsein zu verändern.<br />

Denkt ihr, dass sich Männer und Frauen im Kampf<br />

ergänzen? Was ist der Unterschied?<br />

Wenn proletarische Frauen gegen die Bourgeoisie als<br />

Ganzes kämpfen, kämpfen sie auch gegen die Herrschaft<br />

der Männer. Keiner dieser Kämpfe kann an die Stelle<br />

des anderen gesetzt werden. Die Arbeiterin kämpft


zusammen mit dem Arbeiter gegen die Bourgeoisie und<br />

sie muss zusammen mit den anderen werktätigen Frauen<br />

gegen die von Männern dominierte Politik und Praxis<br />

kämpfen. Es sind dies zwei Arten der Organisierung, die<br />

untrennbar miteinander in Beziehung stehen. Der Kampf<br />

gegen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts<br />

kann nicht nur als Teil des Klassenkampfes gesehen<br />

werden, denn diese Meinung produziert wieder die<br />

männliche Herrschaft. Deshalb sollten Frauen niemals<br />

ihren eigenen Befreiungskampf aufgeben.<br />

Wie konntet ihr euch euren Platz machen in dieser<br />

Männerwelt des Krieges?<br />

Die Worte „Männerwelt des Krieges“ erklären eigentlich<br />

alles. Diejenigen, die dieses Problem nicht aus einer<br />

Frauen befreienden Perspektive sehen, glauben, dass<br />

die Welt ihnen gehöre. Da die Männer insbesondere<br />

den militärischen Bereich unter ihrer Herrschaft haben,<br />

schaffen sie die Voraussetzungen andere zu besitzen. Wie<br />

gesagt, sie schaffen alle Arten von Barrieren, in einer<br />

Welt der Macht und Herrschaft, um Frauen diesen Krieg<br />

zu verweigern. Wir wissen jedoch, dass genauso wie wir<br />

für eine soziale Revolution kämpfen, müssen wir auch für<br />

eine Frauenrevolution kämpfen, die den Besitzanspruch<br />

der Männer über die Welt des Krieges ändert. Unsere<br />

Partei hat versucht, diesen Schritt zu garantieren, sowohl<br />

ideologisch wie auch indem wir die Rechte der Frauen<br />

in der Partei stärken. Wir werden dies tun, indem wir<br />

uns organisieren, ein starkes Geschlechterbewusstsein<br />

und eine starke Willenskraft haben. Wir kämpfen an<br />

allen Fronten, die eine politische, ideologische und<br />

organisatorische Basis gegen die Männerherrschaft<br />

darstellen können.<br />

Wie geht ihr mit Unterschieden und Widersprüchen<br />

um?<br />

Wir versuchen, den Frauenkampf zu einem Teil des<br />

täglichen Lebens machen. Wie die Realität des Krieges<br />

erscheint auch der Kampf zwischen den Geschlechtern<br />

in einem solchen Gebiet klarer. Wir versuchen uns hier<br />

zu bewegen und mehr über Taktik und die Mittel des<br />

Krieges zu lernen. Wenn man weiss und das Bewusstsein<br />

dazu hat, wird es einfacher, die von Männern dominierte<br />

Verhaltensweisen zu bekämpfen. Darüber hinaus<br />

nutzen wir unsere Rechte, die uns formal von unserer<br />

Partei garantiert werden. Wir kritisieren falsche<br />

Verhaltensweisen in kurzen Sitzungen, die wir jeden Tag<br />

als Teil der militärischen Organisation und in anderen<br />

Diskussionen machen.<br />

Habt ihr Gruppen, in denen ihr diese Dinge unter<br />

Frauen und Männern diskutiert, um zu lernen, mit<br />

Widersprüchen und Unterschieden umzugehen?<br />

Wir haben täglich kurze Kritik-Sitzungen, um den Tag<br />

zu reflektieren und Kritik anzubringen. Diese Treffen<br />

werden in jedem Team getrennt durchgeführt und in<br />

festgelegten Zeiträumen treffen wir uns alle zusammen,<br />

um die Dinge aus einem Zeitraum mit den anderen<br />

Teams zu diskutieren. Durch dieses System können wir<br />

Dinge zuerst unter Frauen diskutieren und dann mit<br />

allen zusammen, um notwendige Veränderungen zu<br />

organisieren. Wir besprechen in diesen Sitzungen alle<br />

Arten von männlichen Verhaltensweisen und diskutieren<br />

diese ideologischen Elemente mit dem Fokus auf<br />

Veränderungen.<br />

Wie ist euer tägliches Leben in der Guerilla? Was<br />

sind die grössten Schwierigkeiten?<br />

Disziplin im Alltag ist von entscheidender Bedeutung<br />

im Leben der Guerilla. Der ganze Tag wird Minuten um<br />

Minute geplant. Wir stehen vor dem Sonnenaufgang auf,<br />

ordnen unseren Schlafraum und machen uns bereit für<br />

die tägliche Sitzung. Nach dieser Versammlung wird<br />

ein/e Verantwortliche/r für den Tagesplan gewählt und<br />

109


jemand der kocht. Er oder sie kocht für die GenossInnen<br />

alle Mahlzeiten des Tages, aber wir versuchen jeweils,<br />

dies gemeinsam zu machen. Danach erstellt der/<br />

die KommandantIn einen Tagesplan mit den Team-<br />

KommandantInnen. Die Arbeiten des Tages wie etwa<br />

neue Unterstände bauen, Logistik Materialien aus dem<br />

Hauptlager zu bringen werden an die Teams verteilt.<br />

Jedes Team übernimmt eine Arbeit für den Tag und<br />

beendet diese im Laufe des Tages mit den Mitgliedern des<br />

Teams. Wenn es politisch-ideologische oder militärische<br />

Schulungen gibt, werden die anderen praktischen<br />

Arbeiten dem Zeitplan der Ausbildung angepasst. Bei<br />

einem Angriff oder einer Operation an der Front werden<br />

alle anderen Dinge entsprechend angepasst. Egal was die<br />

Bedingungen sind, wir sind die ganze Zeit in Bewegung.<br />

Sicherheit bei Tag und in der Nacht ist immer von<br />

entscheidender Bedeutung. 24 Stunden lang hält immer<br />

ein Genosse Wache. Dieser ist damit für die Sicherheit<br />

der Region und der GenossInnen verantwortlich.<br />

Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, erleben<br />

die Personen verschieden. Jemand kann Schwierigkeiten<br />

haben, sich an die Bedingungen anzupassen, während<br />

jemand anders Schwierigkeiten in den Schulungen hat.<br />

Es geht dabei oft um Gewohnheiten. Da wir alles für uns<br />

selbst produzieren, lernen wir jede Minute etwas. In den<br />

Städten geht man einfach und kauft was man braucht,<br />

während wir hier alles selber machen und produzieren<br />

müssen. In diesen Lernperioden kommt es manchmal<br />

zu Schwierigkeiten, aber wir lernen und in kurzer Zeit<br />

gewöhnen sich in der Regel alle an alles.<br />

Ist das Frauen-Team Teil der IFB, MLKP <strong>Rojava</strong><br />

und YPJ?<br />

Wir sind als Frauenteams in der MLKP <strong>Rojava</strong> und auch<br />

in der YPJ organisiert. Wir sind auch als Frauenteams<br />

in der IFB organisiert. Im MLKP Bataillon sind wir als<br />

Teams bestehend aus 3 bis 5 Personen organisiert. In<br />

diesen Teams gibt es auch Teams, die nur aus Frauen<br />

bestehen. Genossinnen, die zum IFB gehen, sind dort<br />

in gemischten Teams und es gibt auch getrennte Frauen<br />

Teams, in denen wir als Frauen der MLKP teilnehmen.<br />

Wie seht ihr die Strategie für den Kampf in der<br />

Türkei? Was sind die strategischen Unterschiede<br />

zwischen dem Kampf in <strong>Rojava</strong>, dem Kampf gegen<br />

Daesh und dem Kampf in der Türkei und in Europa?<br />

In der Türkei gibt es eine faschistische Diktatur. Selbst<br />

die einfachsten demokratischen Rechte werden nicht<br />

gewährt. Zusätzlich dazu, dass man diese Rechte<br />

nicht hat, wird man entweder ins Gefängnis gesperrt<br />

oder durch den Faschismus getötet. Selbst wegen<br />

Überzeugungen und Identitäten wird Druck ausgeübt<br />

oder gar Massaker verübt. Aus diesen Gründen ist in<br />

der Türkei als erster Schritt eine antiimperialistische<br />

demokratische Revolution notwendig.<br />

Obwohl die türkische faschistische Regierung versucht<br />

im Mittleren Osten eine wichtige Rolle zu spielen, kann<br />

ihr das nicht gelingen. Ausserdem spielt sie die Rolle<br />

eines Prügels in den Händen der Imperialisten, vor allem<br />

der USA.<br />

Die Türkei hat während der 13 Jahre der Vorherrschaft der<br />

faschistischen AKP-Regierung versucht, zu einem Zentrum<br />

des islamischen Konservativismus zu werden. Dabei wurde<br />

die Regierung aber ein Zentrum von Banden wie Daesh,<br />

an-Nusra oder Esedullah. Die Türkei unterstützt diese<br />

Gruppen sowohl militärisch als auch logistisch und legt<br />

ihnen strategische und taktische Pläne vor. Das Zentrum<br />

der Daesh in Syrien ist nicht Reqa, sondern Ankara.<br />

Diesbezüglich haben sie eine gemeinsame Strategie. Es<br />

gibt nicht den winzigsten Unterschied zwischen der Gewalt<br />

von Daesh und der Politik der Massaker des türkischen<br />

faschistischen Staates. Da das Gleichgewicht im Mittleren<br />

Osten sich von Minute zu Minute ändern kann, schafft dies<br />

sehr viele komplizierte Beziehungen. Die USA, die Daesh<br />

erschufen und wachsen ließen, versuchen nun, sie wieder<br />

auf ihre Linie zurück zu bringen. Die Kriege im Mittleren<br />

Osten sind nicht unabhängig von den imperialistischen<br />

Staaten und ihren lokalen Unterstützern. Alle unterdrückten<br />

Menschen hier sollten den Kampf gegen diese Barbaren<br />

führen und ein demokratisches Syrien aufbauen. Es gibt<br />

keinen Unterschied zwischen dem Kampf gegen Daesh und<br />

dem Kampf gegen die faschistische Bourgeoise der Türkei.<br />

Der Inhalt ist gleich, nur der Name ist anders.<br />

In Europa gab es nach den vielen Kämpfen Rechte und<br />

Gewinne. Es wurden Vorteile geschaffen. Allerdings<br />

herrscht auch dort schlussendlich die Bourgeoise. Wenn<br />

die Bourgeoise fürchtet, ihre Vorherrschaft zu verlieren,<br />

zögert sie nicht, unterdrückerische und faschistische<br />

Methoden anzuwenden. Deshalb sollten sich die<br />

unterdrückten Menschen und Klassen in Europa in<br />

jedem Teil des Kampfes organisieren und den Mut und<br />

die Entschlossenheit haben, alle Mittel anzuwenden,<br />

einschliesslich dem bewaffneten Kampf.<br />

Gibt es Pläne für ein Frauen-Bataillon?<br />

Kurzfristig wohl nicht. Doch als Perspektive ist es<br />

sogar eines unserer Hauptziele, ein Frauen-Bataillon<br />

zu erschaffen. Denn das wird bedeuten, dass in dieser<br />

Welt des Krieges nicht nur Männer, sondern auch Frauen<br />

kämpfen. Es zeigt auch eine Entwicklung und eine neue<br />

Front des Kampfes, denn es wird mehr Frauen geben, die<br />

ihre Rolle im Kampf ohne Grenzen und Einschränkungen<br />

wahrnehmen und die die Notwendigkeit für den Kampf<br />

und die Revolution sehen.<br />

110


Wandbilder für <strong>Rojava</strong><br />

Von Paris über Stuttgart bis nach<br />

Zürich sind in den letzen Jahren einige<br />

Wandbilder entstanden, die sich zum<br />

Thema <strong>Rojava</strong> positionieren. Denn eine<br />

Öffentlichkeit für die Geschehnisse in<br />

<strong>Rojava</strong> zu schaffen heisst auch sich den<br />

öffentlichen Raum zu nehmen.<br />

111


Kämpferin der MLKP<br />

«Wir sagen, der Sieg dieser Revolution, dieser<br />

Bewegung hier, ist nicht der der Lebenden,<br />

sondern der, der Gefallenen und wir widmen<br />

auch den Sieg den gefallenen Genossen und<br />

Genossinnen.»<br />

Kannst du etwas über dich erzählen?<br />

Mein politischer Weg begann in der Türkei. Ich bin<br />

seit etwa 15 Jahren bei der MLKP und nehme so am<br />

revolutionären Kampf teil. Es gab einen Aufruf von<br />

unserer Partei, dass die Revolution in <strong>Rojava</strong> auch unsere<br />

Revolution sei. Eine Truppe kam hierher um zu kämpfen<br />

und ich habe mich ihnen angeschlossen.<br />

Wann war das?<br />

Vor etwa zwei Jahren. Ich kann kurz die Hintergründe<br />

dazu erläutern. Die YPG und die MLKP haben sich<br />

hier wegen der Daesh etabliert, die auf der ganzen Welt<br />

Angst und Schrecken verbreitet haben und gegen die<br />

sich zuvor keine Macht behaupten konnte. Die MLKP<br />

und die YPG kämpften hingegen von Anfang an gegen<br />

Daesh und konnten sich, wie man sieht, auch gegen sie<br />

behaupten.<br />

Da Daesh Teile der grossen Länder Irak und Syrien<br />

bezwungen haben und dort auch Land besetzen<br />

konnten, dachten sie am Anfang, dass sie auch <strong>Rojava</strong><br />

und seine Bevölkerung unterwerfen können. Aber die<br />

Liebe der Bevölkerung in <strong>Rojava</strong> zur Freiheit war so<br />

gross, dass sie sich hier nicht behaupten konnten. Sie<br />

haben verloren und mussten sich zurückziehen. Als<br />

die Imperialisten, wie es auch früher schon geschah,<br />

bemerkten, dass das Monster, dass sie geschaffen<br />

haben, ihren eigenen Profiten geschadet hat, haben sie<br />

angefangen, die einzige Kraft, die gegen Daesh kämpft,<br />

zu unterstützen; natürlich aber nur so lange, bis sie ihr<br />

Territorium wieder gesichert haben.<br />

Die imperialistischen Kräfte sahen, dass die YPG<br />

die einzige Kraft ist, welche Daesh aufhalten und<br />

zurückdrängen konnte. Daher fingen sie an, jene<br />

Kräfte zu unterstützen. Die YPG ist die Hauptkraft der<br />

112


kurdischen Bewegung hier. Sie führt den bewaffneten<br />

wie auch den ideologischen Kampf und hält dabei<br />

die Führungsposition inne. Genau so soll auch die<br />

Geschichte geschrieben werden: Es war die YPG,<br />

welche die massgebende Rolle gespielt hat, um Daesh<br />

zu besiegen, auch wenn die grossen ImperialistInnen das<br />

vielleicht anders sehen.<br />

Wir, mit unserer Partei und unserer Macht, haben uns an<br />

der Revolution beteiligt. Es sind nicht nur die KurdInnen,<br />

die hier kämpfen; es gibt hier arabische Leute, und es<br />

gibt InternationalistInnen, die hier kämpfen und hier<br />

gestorben sind. Wir sagen, der Sieg dieser Revolution<br />

und der Bewegung ist nicht der, der Lebenden, sondern<br />

der, der Gefallenen und wir widmen den Sieg den<br />

gefallenen Genossen und Genossinnen.<br />

Kurz gesagt ist es so, dass der Sieg hier, der Sieg der<br />

Völker aller Länder ist. Entgegen der Propaganda, dass<br />

der Sozialismus versagt habe und dass der Kapitalismus<br />

der einzige richtige Weg sei, hat das Volk in <strong>Rojava</strong><br />

nämlich erneut gezeigt, dass ein anderes System möglich<br />

ist. Das klingt jetzt wie eine Parole aber es ist tatsächlich<br />

so, dass der Sieg hier der Sieg aller Völker ist, die hier<br />

gekämpft haben.<br />

Wir haben gezeigt, dass der Kapitalismus nicht der einzige<br />

Weg oder das einzig funktionierende System ist, sondern<br />

dass hier etwas anderes möglich ist. Die Menschen, die<br />

hierher kommen, um sich zu solidarisieren und um uns<br />

zu unterstützen sind der Beweis hierfür. Wir wissen auch,<br />

dass alle Völker auf der Welt sehen, was wir hier machen<br />

und uns beachten und sich solidarisieren.<br />

Das ist auch unser Ziel: Der Welt zu vermitteln,<br />

auch denen, die nicht hierher kommen können, dass<br />

dies tatsächlich eine Alternative zum bestehenden<br />

kapitalistischen und imperialistischen Krieg und<br />

System ist und dass die GenossInnen es hier schaffen,<br />

auf der einen Seite Daesh zu bekämpfen und<br />

gleichzeitig die Revolution zu verteidigen und eine<br />

neue Gesellschaft aufzubauen.<br />

Wir kämpfen hier und wir wissen auch, dass die<br />

unterdrückten Menschen auf der Welt ihren Blick hierher<br />

gerichtet haben und sich erhoffen auch etwas hier zu<br />

machen. Wir wissen um die hungernden Menschen in<br />

Afrika und die unterdrückten Menschen in Europa und<br />

wir versuchen eine Hoffnung für sie zu sein. Wir wollen<br />

nicht bei der Revolution in <strong>Rojava</strong> bleiben, sondern sie<br />

auch im ganzen Mittleren Osten und nachher auf der<br />

ganzen Welt verbreiten.<br />

dass sie sich nicht nur auf die kurdische Bewegung oder<br />

auf den Nahen Osten beschränkt hat, sondern dass sie die<br />

ganze Welt meinte. Sie war auch ein wichtiges Element<br />

hier. Wir wissen, dass viele Frauen, viele Familien ihre<br />

Kinder Ivana genannt haben. Das ist ein Zeichen der<br />

Ehrung und wir wissen, dass wir jeden Schuss, den wir<br />

hier schiessen, jede Kugel die hier fliegt, jeder Verletzte<br />

und jeder Verlust, den wir hier haben, ein Schlag gegen<br />

den Kapitalismus und den Imperialismus ist. Auch das<br />

zeigt, dass ein anderes System möglich ist und dass der<br />

Sozialismus nicht tot ist, sondern dass es den Sozialismus<br />

weiter gibt und wir diesen umsetzen werden.<br />

Wir wissen, dass der Sozialismus in dieser Region und<br />

auf der ganzen Welt bestehen wird und dafür kämpfen<br />

wir hier. Wir sind NachfolgerInnen von Barbara Kistler,<br />

von Ulrike Meinhof und Che Geuvara und wir wollen,<br />

dass die Fahne, die sie wehen liessen, überall auf der<br />

Welt weht. Wir wollen diesen Kampf überall hintragen<br />

und wir wollen den Kampf weiter führen.<br />

Gibt es noch etwas, das du sagen möchtest?<br />

Ich weiss, dass viele RevolutionärInnen und<br />

SozialisteInnen in Europa mit uns mitfühlen und ich<br />

würde liebend gerne diese GenossInnen hier in unseren<br />

militärischen Basen und hier mit uns an der Front sehen,<br />

oder zumindest, dass sie hierher kommen und sich hier<br />

an dieser Revolution irgendwie beteiligen.<br />

Ich möchte kurz eine Geschichte über Ivana Hoffmann<br />

erzählen. Als sie an die Front kam, haben viele Leute sie<br />

angeschaut und sie sagte, wenn ihr KurdInnen seid, dann<br />

bin ich auch Kurdin; ich bin Afrikanerin, ich bin Asiatin,<br />

ich bin alles. Und das ist eine äusserst symbolische Geste,<br />

113


Kämpferin der BÖG<br />

«Nur mit Dialog und nur mit Demonstrationen<br />

kann man das nicht verhindern. Wir haben<br />

gesehen, wie ISIS in Ankara eine linke<br />

Demonstration, eine Friedenskundgebung<br />

zerbombt hat. Wir haben gesehen, dass man<br />

dagegen mit Demonstrationen alleine nicht<br />

ankommt. Darum kämpfen wir und darum<br />

müssen wir uns hier formieren.»<br />

Wann hast du mit deiner politischen Arbeit<br />

begonnen?<br />

Ich war 15 Jahre alt, als ich meine Organisation<br />

kennenlernte. Damals war ich an der Oberstufe, wo<br />

ich Mitglied einer Jugendorganisation war. Diese heißt<br />

Dev-Lis, revolutionäre Gymnasiale StudentInnen. Ich<br />

habe drei Jahre mit dieser Organisation gearbeitet.<br />

Unsere Jugendorganisation war die größte revolutionäre<br />

Jugendorganisation in der Türkei. Das war damals so<br />

und ist auch heute noch so.<br />

Nach dem Gymnasium bin ich nach Istanbul an die Uni<br />

gegangen. An der Uni hatten wir eine StudentInnen-<br />

Gewerkschaft. In dieser war ich ebenso aktiv wie in<br />

unserer Partei (eine legale Partei in der Türkei). Die<br />

hiess früher SDP. Vielleicht erinnert ihr euch daran<br />

noch, denn während den Gezi-Park-Demonstrationen<br />

war die SDP sehr aktiv. Jetzt hat sich die SDP mit der<br />

TDP zusammengetan und heisst jetzt DKP, das ist die<br />

türkische Revolutions-Partei. Zu dieser Zeit war ich aber<br />

schon in <strong>Rojava</strong>.<br />

Wieso haben die SDP und die TDP fusioniert?<br />

Wir denken, wir brauchen das jetzt in der Türkei. Es<br />

gibt in der Türkei sehr viele revolutionäre Parteien und<br />

Organisationen. Wir denken, dass es die Einheit jetzt<br />

braucht weil wir in der Türkei eine faschistische Diktatur<br />

der Regierungspartei AKP erwarten. Wenn wir dann<br />

kämpfen müssen, können wir nicht alleine kämpfen.<br />

Dann müssen wir zusammen kämpfen und deswegen<br />

brauchen wir die Einheit heute.<br />

Wir haben mit vielen Organisationen darüber geredet<br />

und wir haben uns vor einem Jahr zu einem Bündnis<br />

zusammengeschlossen. Letzte Woche hatten wir einen<br />

Kongress organisiert und das lief sehr gut. Leute, die<br />

dort teilgenommen habe, sind jetzt auch hier und wir<br />

kämpfen hier nun zusammen.<br />

Der Kongress war hier in <strong>Rojava</strong>?<br />

Nein, der war in der Türkei, in Ankara. Wir konnten das<br />

tun, weil das in der Türkei legal durchgeführt wurde.<br />

Heisst das, dass ihr militärisch zusammen kämpft<br />

oder haben sie auch ein Tabûr?<br />

Wir sind jetzt zusammen hier, aber nicht als BÖG. BÖG<br />

ist die bewaffnete Organisation unserer revolutionären<br />

kommunistischen Partei der DKP.<br />

Wie hast du dich entschieden zum bewaffneten Teil<br />

der Partei zu gehen und nicht zu dem Teil der Partei<br />

der nicht bewaffnet ist?<br />

In der Türkei habe ich viele Jahre in der Partei gearbeitet.<br />

Als wir damals das erste Mal hierher gekommen sind,<br />

nach Kobanê, da haben wir BÖG gegründet. Seit einem<br />

halben Jahr ist BÖG hier in <strong>Rojava</strong> aktiv. Damals waren<br />

wir nur sieben GenossInnen in <strong>Rojava</strong> und jetzt sind wir<br />

fünfzig und jeden Tag werden wir mehr.<br />

Alle können sehen, dass wir eine bewaffnete Organisation<br />

sind. Das wird später auch für die Türkei gelten. Wie<br />

gesagt, wir erwarten eine faschistische Diktatur. Wir<br />

erwarten, dass diese in den kommenden Jahren einsetzen<br />

wird und wir können nicht einfach abwarten, wenn wir<br />

wissen, dass das kommt. Nur zu reden reicht deswegen<br />

nicht. In der Türkei töten sie KurdInnen, sie sperren<br />

die Bewaffneten und alle RevolutionärInnen in die<br />

Gefängnisse.<br />

114


Nur mit Dialog und nur mit Demonstrationen kann<br />

man das nicht verhindern. Wir haben gesehen,<br />

wie ISIS in Ankara eine linke Demonstration, eine<br />

Friedenskundgebung, zerbombt hat. Wir haben gesehen,<br />

dass man dagegen mit Demonstrationen alleine nicht<br />

ankommt. Darum kämpfen wir und darum müssen wir<br />

uns hier formieren. Wir haben hier Vieles gelernt und das<br />

ist hier wie unsere Vorbereitung für den anderen Kampf.<br />

Diese Erfahrung wollen wir in den nächsten Jahren auch<br />

in die Türkei ausweiten.<br />

Seid ihr auch in Bakur?<br />

Nein, da sind nur die KurdInnen. Wir RevolutionärInnen<br />

aus der Türkei kämpfen hier. Wir könnten schon nach<br />

Bakur gehen um zu kämpfen aber wir kämpfen in <strong>Rojava</strong>.<br />

Später werden wir auch an anderen Orten zusammen<br />

kämpfen, KurdInnen und wir, die RevolutionärInnen,<br />

Seite an Seite! Aber hier kämpfen wir auch für für eine<br />

internationale Mission.<br />

Seid ihr auch im Bündnis HBDH? Also im<br />

Zusammenschluss mit den revolutionären Kräften?<br />

Ja dort sind wir auch dabei.<br />

Nachdem du in Istanbul mit der Partei gearbeitet<br />

hast, hast du dann irgendwann diesen Schritt in die<br />

bewaffnete Gruppe gemacht? Und im legalen Teil der<br />

Partei, sind da Männer und Frauen zusammen? Hat<br />

es da Frauengruppen die sich dann auch hier mit der<br />

Frauenbewegung solidarisieren?<br />

Wir haben hier auch eine Frauengruppe, die heisst<br />

Frauen-Freiheits-Kräfte. Es hat keine Männer in<br />

der Frauengruppe. Wir reden über unsere Strategie,<br />

beispielsweise wie wir gegen das Patriarchat kämpfen<br />

können und wie wir diesen Kampf weiter entwickeln<br />

können. Oder auch wie wir Frauen uns in unserer<br />

Organisation besser einbringen können.<br />

Wie vermittelt ihr den Männern eure Themen?<br />

Macht ihr Schulungen zu Frauenthemen mit den<br />

Männern? Wie sehen die aus? Wann habt ihr<br />

gemischte Akademien und wann solche, an denen nur<br />

Frauen teilnehmen?<br />

Wir leben hier gemischt und wir haben gemischte<br />

Akademien. Die Ausbildung ist gemischt, wir<br />

kämpfen gemischt. Aber Frauen haben auch eine<br />

eigene Ausbildung. Mit den Männern machen wir<br />

über Frauenthemen spezielle Schulungen. Wenn sie<br />

Fragen haben antworten wir aber jeder Mann hat in<br />

seinem Inneren Eigenschaften des Patriarchats; egal<br />

ob er Revolutionär oder etwas anderes ist und dagegen<br />

müssen wir auch hier in unserer Armee kämpfen.<br />

Also Bewusstsein schaffen auch unter<br />

Revolutionären. Das ist bei uns in der Schweiz auch<br />

Thema, dass auch linke revolutionäre Organisationen<br />

dieses Bewusstsein stärken müssen. Wie seht ihr das,<br />

wie könnt ihr neue GenossInnen in eure Organisation<br />

bringen?<br />

In der Türkei funktioniert das entsprechend. Wir haben<br />

da auch GenossInnen, die wollen auch hierher kommen.<br />

Ich bin seit 11 Jahren in dieser Organisation, damals war<br />

ich 15 jetzt bin ich 26. Ich kannte die GenossInnen hier<br />

in <strong>Rojava</strong> schon vorher in der Türkei, wir haben in der<br />

Türkei auch zusammen gekämpft.<br />

Der Genosse, der uns Tee gebracht hat, den kenne ihn<br />

zum Beispiel schon seit 10 Jahren. Wir sind seit 10<br />

Jahren GenossInnen in dieser Organisation. Und noch<br />

andere, fast alle, die hier nach <strong>Rojava</strong> gekommen sind,<br />

kenne ich von früher. Und die, die noch in der Türkei<br />

sind, die wollen auch hierher kommen, aber wir haben<br />

auch in der Türkei einen Kampf und alle können nicht<br />

hierher kommen.<br />

Bei der MLKP gibt es ja die KKÖ seid ihr mit<br />

denen in Kontakt?<br />

Ja, wir sind mit ihnen in Kontakt, wir wollen mit<br />

ihnen zusammenarbeiten, deswegen reden wir auch<br />

miteinander.<br />

Du sagtest, dass ihr nach der Türkei direkt nach<br />

Kobanê zu den bewaffneten KämpferInnen gegangen<br />

seid. Wie habt ihr euch dort bewaffnet? Habt ihr<br />

mit der YPJ zusammen gearbeitet? Was ist euer<br />

Verhältnis zur YPJ?<br />

Unsere FreundInnen sind nach dem Kampf in Kobanê<br />

hierher gegangen. Wir hatten vorher keine Waffen, denn<br />

wir hatten keine Ausbildung. Innerhalb einer Woche<br />

mussten wir den Umgang mit Waffen lernen und danach<br />

gingen wir in den Krieg.<br />

Ihr gingt zur YPJ und YPG und da hattet ihr die<br />

Ausbildung und nachher gingt ihr in den Krieg? Wie<br />

lange warst du im Kampf in Kobanê?<br />

Der Kampf im Krieg war schwer, weil damals hatten<br />

wir keine Zeit. Wir hatten nicht genug Waffen und viele<br />

Leute kamen gleichzeitig nach Kobanê. Die Situation war<br />

dann so: Die gaben uns Waffen, wir mussten neun mal<br />

schiessen. Nach einer Woche gingen wir in den Kampf.<br />

Man kann nein sagen und du musst dann vielleicht nein<br />

sagen aber das war schwer.<br />

Jetzt aber haben wir viel Zeit. Unsere neuen GenossInnen<br />

zum Beispiel, die aus der Türkei kommen oder aus<br />

anderen Ländern, erhalten fast einen Monat lang eine<br />

Ausbildung.<br />

115


Das ist aber neu, oder?<br />

Ja, jetzt haben wir keinen Krieg, nicht wie in Kobanê.<br />

Jetzt haben wir Zeit, also können wir die Ausbildung<br />

gut durchführen. Ausbildung bedeutet einen Monat lang<br />

Grundausbildung und danach haben wir jeden Tag Sport.<br />

Wir erleben dann auch jeden Tag eine militärische<br />

Ausbildung, das geht immer weiter aber nicht wie am<br />

Anfang, denn nach einem Monat kannst du auch an<br />

Operationen teilnehmen.<br />

Aber wir schauen zu unseren GenossInnen und wenn<br />

nach einem Monat er oder sie nicht genug gelernt hat,<br />

oder wenn wir denken das ist nicht genug für sie oder für<br />

ihn dann geht die Ausbildung weiter bis sie bereit sind.<br />

Wenn wir sehen, dass sie bereit sind, gehen sie mit zu<br />

den Operationen. Mit der Zeit wird das besser.<br />

Macht ihr die Ausbildung auch gemischt?<br />

Manchmal gemischt, manchmal kommt eine/r allein<br />

aber meistens gemischt.<br />

Ist es auch schon vorgekommen, dass Leute von<br />

hier, die hier in der Umgebung wohnen, lokale Leute,<br />

dass die sich euch, dass die sich BÖG anschliessen<br />

wollten?<br />

Wir nehmen keine lokalen Leute, nein. YPG ist hier.<br />

In <strong>Rojava</strong> hat YPG gekämpft. Zwar haben wir auch<br />

gekämpft aber wir denken, dass es besser ist, wenn sie<br />

zu YPG gehen.<br />

Es ist besser, weil die YPG wollen die lokalen Leute<br />

organisieren und sie haben das Recht dazu, denn das<br />

sind KurdInnen und wir sind SozialistInnen, das ist ein<br />

anderer Kampf.<br />

Wir könnten schon Leute aufnehmen aber wir wollen<br />

das nicht. Auch aus Sicherheitsgründen können wir jetzt<br />

zu Beginn unserer Formierung noch nicht einfach alle<br />

Menschen aufnehmen. Später wenn wir uns vergrössern<br />

vielleicht, aber jetzt nicht. Aktuell geht das nur, wenn<br />

wir jemanden kennen. Weil für uns, die wir aus der<br />

Türkei kommen, ist das anders, nicht wie für KurdInnen,<br />

die hier organisiert sind. Die KurdInnen sind hier besser<br />

organisiert. Das Volk, die Familien, die Kinder, alle sind<br />

organisiert in den kurdischen Organisationen. Aber wir<br />

sind wenige, die Regierung kennt uns und sie suchen uns<br />

in der Türkei, denn sie wissen, dass wir hier sind.<br />

Wenn ich zum Beispiel heute in die Türkei ginge, könnte<br />

ich nicht einfach durch die Strassen laufen. Die Polizei<br />

oder andere Regierungskräfte könnten mich mitnehmen<br />

und ins Gefängnis sperren. Ich habe nie gesagt, dass ich<br />

hier in <strong>Rojava</strong> bin aber sie sehen, dass ich seit einem Jahr<br />

nicht in der Türkei war, denn sie beobachten uns. Sie<br />

würden mich also sofort ins Gefängnis sperren, wenn sie<br />

mich finden würden.<br />

Und wie sieht es aus wenn jetzt die Kämpfe weiter<br />

geführt werden. Was sind dann eure Ziele hier?<br />

Vorher habe ich gesagt, dass die KurdInnen viel gearbeitet<br />

haben, viel für <strong>Rojava</strong> und für Kurdistan gemacht haben.<br />

Wir finden es nicht richtig, wenn wir den KurdInnen<br />

sagen kommt zu uns. Ich kann KurdInnen nicht sagen,<br />

geh nicht zu YPG, komm zu uns. Wenn jemand sagt, ich<br />

116


in sozialistisch oder ich bin kommunistisch, ich will zu<br />

euch kommen, dann ist das vielleicht ok. Aber eine zivile<br />

Organisierung haben wir hier nicht und wollen das auch<br />

nicht machen. Die KurdInnen machen das hier und sie<br />

machen das gut!<br />

Ich kann mir auch vorstellen, dass es einen<br />

Unterschied gibt. Die Kurden und die Kurdinnen<br />

wollen hier ja eine alternative Gesellschaftsform<br />

aufbauen und sie leben und sie kämpfen hier. Ihr<br />

dagegen kommt eigentlich aus der Türkei. Du musst<br />

mich korrigieren, wenn ich das falsch formuliere,<br />

aber ihr findet es wichtig das was hier geschieht<br />

zu unterstützen, weil es eine Alternative gegen die<br />

Barbarei ist. Gleichzeitig lernt ihr auch viel für<br />

einen Kampf, der auch für euch sehr wichtig ist oder<br />

sein wird. Also ist deswegen die soziale Arbeit hier<br />

für euch nicht so wichtig, wie die militärischen und<br />

politischen Erfahrungen.<br />

Wichtig ist es schon aber das ist nicht unsere Aufgabe.<br />

Wir finden den Kampf hier in <strong>Rojava</strong> sehr wichtig. Denn<br />

da gab es eine Barbarei und ISIS ist nicht nur ein Problem<br />

von <strong>Rojava</strong>. Das Problem der KurdInnen ist auch unser<br />

Problem. Sie töten uns auch und wir können nicht in der<br />

Türkei bleiben und nur zuschauen. Sie töten Kinder, sie<br />

töten Frauen und sie machen viele schreckliche Sachen,<br />

wir können nicht nur zusehen und denken, schlimm,<br />

dass das hier passiert. Wir müssen hierher kommen, das<br />

ist unsere Aufgabe. Wenn ich sage, ich bin Sozialistin,<br />

ich bin Kommunistin ist es meine Aufgabe hier auch zu<br />

kämpfen. Ich kann nicht nur zuschauen.<br />

Ihr macht eine Entwicklung als Frauen und<br />

gibt es da auch Grenzen, an die ihr stösst? Welche<br />

Grenzen sind das, wie überwindet ihr diese Grenzen?<br />

Habt ihr eine Methode, wie ihr eure Probleme in<br />

der Entwicklung im Frauenkampf als kämpfende<br />

Frauen angeht? Werdet ihr auch von den Männern<br />

unterstützt im Überwinden dieser Grenzen?<br />

Frauen können nicht so leicht hierher kommen, weil<br />

wir hier oder in der Türkei viele Probleme haben. Zum<br />

Beispiel ihre Familie, zum Beispiel ihr Freund, zum<br />

Beispiel ihr Mann und so weiter. Seit ihrer Geburt gibt<br />

es für die Frauen viele Grenzen. Da sind teilweise kleine<br />

Grenze aber die führen auch zu grösseren Grenzen. Zum<br />

Beispiel Polizisten können der Frau Schlimmes antun, sie<br />

können sie ins Gefängnis sperren oder noch schlimmeres<br />

tun. In der Türkei ist es für die Frau deswegen nicht<br />

leicht. Vielleicht ist das im Westen ist das einfacher aber<br />

hier gibt es nicht nur Leute, die denken natürlich kannst<br />

du frei sein und so weiter.<br />

Fortschritt. Vielleicht kommen noch mehr. Einige warten<br />

noch, denn sie können heute wegen den Problemen in<br />

der Türkei noch nicht kommen.<br />

Unsere Frauen sind in der Türkei nun auch organisiert,<br />

das ist wichtig um die Grenzen zu durchbrechen. Das<br />

ist für uns vielleicht wichtiger als für die Männer. Wir<br />

kämpfen für den Sozialismus aber nach dem Sozialismus<br />

ist die Frau nicht einfach befreit. Das denken wir und<br />

das macht es für uns noch schwerer. Wir sagen immer,<br />

wir haben zwei Aufgaben, nicht nur eine. Auch in der<br />

Organisation müssen wir kämpfen!<br />

Auch in der Familie müssen wir kämpfen. Hier in<br />

<strong>Rojava</strong> haben wir einiges schon gelöst. Und auch in der<br />

Türkei haben Frauen ein Bewusstsein aber manchmal<br />

genügt das nicht. Doch hier haben wir vieles geschafft<br />

und davon können wir lernen. So erzählen wir immer<br />

wieder, wie die Frauen hier kämpfen und wie die Frauen<br />

auch alles andere schaffen können.<br />

Frauen hier können alles machen, da gibt es keinen<br />

Unterschied zu den Männern. Das haben wir hier gezeigt<br />

und unsere GenossInnen in der Türkei sehen das auch.<br />

Die YPJ hat das in der <strong>Rojava</strong> Revolution gezeigt und<br />

ich denke, die Frauen haben das gut gemacht.<br />

Die KurdInnen kämpfen seit mehr als dreissig Jahren.<br />

Die Frauen haben da vieles geschafft aber für uns war das<br />

auch so. In den siebziger Jahren war das in den türkischen<br />

revolutionären Bewegungen noch nicht so. Die Frauen<br />

konnten da nicht leicht mitmachen. Sie mussten ihre<br />

Kinder schützen, und sie mussten für ihre Männer sorgen.<br />

Sie waren auch RevolutionärInnen aber sie wurden nicht<br />

in den Kampf einbezogen. Sie waren ausserhalb der<br />

Aktivitäten. Sie haben zum Beispiel geschrieben oder sie<br />

haben die Waffen in ihrem Haus gelagert aber eben ohne<br />

direkt an den Kämpfen teilzunehmen.<br />

Jetzt ist das anders, jetzt haben wir vieles geschafft.<br />

Wir haben in <strong>Rojava</strong> gesehen, dass wir das schaffen<br />

können und wir haben die Grenzen heute mehr als in<br />

den siebziger Jahren durchbrochen. Wenn wir das in den<br />

nächsten Jahren weiterentwickeln werden, wenn wir in<br />

der Türkei zum Beispiel etwas anders machen und die<br />

Frauenbewegung entwickeln, dann wird sich all das<br />

auch in unserer Bewegung in der Türkei ändern.<br />

Schon in der Schule ist das schwierig. Aber auch später.<br />

Frauen können zum Beispiel nicht einfach hierher<br />

kommen. Hier waren wir am Anfang nur zwei Frauen<br />

und jetzt sind wir zehn. Das ist immerhin schon ein<br />

117


Kommandantin TIKKO<br />

«Dass alle revolutionären Organisationen sich<br />

zusammen geschlossen haben, ist eine grosse<br />

Quelle der Hoffnung für alle Unterdrückten in<br />

der Türkei. Das Volk hat immer kritisiert, dass<br />

die Organisationen vereinzelt dastehen und<br />

dass sich dies ändern sollte.»<br />

Kannst du etwas über die HBDH sagen?<br />

Ich möchte zuerst über die HBDH sprechen, ein<br />

Zusammenschluss von zehn Parteien. Das wichtigste<br />

Ziel dieser Vereinigung ist es, gegen den faschistischen<br />

türkischen Staat zu kämpfen. In dieser Vereinigung sind<br />

wir als TKP/ML-TIKKO auch dabei.<br />

Der Grund, warum die HPDH zu dieser Zeit gegründet<br />

wurde, ist vor allem, dass der türkische Staat seine<br />

Machenschaften und seine Angriffe auf die Bevölkerung<br />

intensiviert hat. Darum haben diese zehn revolutionären<br />

Organisationen sich organisiert, um gemeinsam eine<br />

Kraft gegen den türkischen Staat zu bilden. Es ist<br />

wichtig, gemeinsam und organisiert gegen diesen Staat<br />

zu kämpfen, weil man bisher vereinzelt gekämpft hat.<br />

Dies in einem Zusammenschluss organisiert zu tun ist<br />

notwendig, denn der Faschismus im türkischen Staat ist<br />

ebenso gut organisiert.<br />

Kannst du genauer erklären, wie ihr den türkischen<br />

Staat charakterisiert?<br />

Der Türkische Staat ist faschistisch. Das hat sich schon in<br />

der Vergangenheit gezeigt. Das zeigt sich aber auch heute<br />

durch seine Ideologie und seine Taten. Beispielsweise<br />

versucht der Staat der ArbeiterInnenklasse seine Ideologie<br />

aufzuzwingen. Die Probleme der ArbeiterInnenklasse<br />

sind leider nicht so sichtbar, obwohl es Ereignisse wie<br />

dasjenige von Soma gibt, wo 300 Minenarbeiter in den<br />

Kohlebergwerken gestorben sind. Was dort stattfand<br />

ist ein Massaker. Anstatt dass sich der Staat für diese<br />

Minenarbeiter einsetzt, für ihre Arbeitsbedingungen,<br />

ihre Rechte und ihre Familien, übt er Repression aus.<br />

Auch reagiert der Staat mit Repression gegen die<br />

Menschen, gegen das Volk, das nach solchen Ereignissen<br />

aufsteht, um Solidarität zu zeigen und um gegen die<br />

schlechten Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter<br />

zu demonstrieren. Der Staat hilft den Opfern nicht,<br />

sondern die Polizei greift die DemonstrantInnen mit<br />

Wasserwerfern an. So ein Staat ist der türkische Staat.<br />

Er versucht der ArbeiterInnenklasse die wenigen Rechte,<br />

die sie noch hat, weiter wegzunehmen.<br />

Darüber hinaus ist die Repression gegen die Frauen<br />

schon lange da. Doch diese intensivieren sie jetzt auch<br />

noch. Der Staat greift alles an und will diktieren, was die<br />

Frauen anziehen und ob sie auf die Strasse gehen sollen.<br />

Alles wird angegriffen, was die Frauen machen. Es ist<br />

auch so, dass die Repräsentanten des Staates, Minister<br />

und so weiter, dass sie das alles ganz offen auch in der<br />

Presse in den Medien tun können.<br />

Kindervergewaltigung oder Kinderschändung wird in<br />

der Türkei nicht durch die Regierung verfolgt, sondern<br />

geschützt, denn sie sind es sie selbst, die diese Verbrechen<br />

begehen, deshalb schützen sie das. Vergewaltiger werden<br />

geschützt, vor allem in den religiösen Einrichtungen.<br />

In letzter Zeit war es so, dass vor allem in Cizre, Sur<br />

und Nusaybin Massaker verübt wurden. Betroffen<br />

davon ist vor allem das kurdische Volk, das versucht, für<br />

seine Rechte zu kämpfen. Das betrifft insbesondere das<br />

Recht, sich selbst verwalten zu können. Die KurdInnen<br />

werden angegriffen, weil sie für ihre Rechte kämpfen.<br />

Der Staat versucht sie durch Bombardierungen mit<br />

Kampfflugzeugen von ihrem Kampf abzuhalten.<br />

Diese Beispiele zeigen uns, dass der Faschismus heute<br />

vielfältig organisiert ist. Mit diesen Beispielen möchten<br />

wir auch erklären, dass der Faschismus nicht nur der<br />

AKP zugewiesen werden kann, sondern, dass vor allem<br />

auch betreffend der türkische Republik von einem<br />

Faschismus gesprochen werden muss. Der türkische<br />

Staat greif die KurdInnen überall an, beim Schulsystem,<br />

bei den Medien, beim Gesundheitssystem, überall greift<br />

der türkische Staat an.<br />

Was hat all das mit der HBDH zu tun?<br />

Diese gemeinsame Bewegung der revolutionären Völker<br />

118


erklärt den Faschismus, wie er in der Türkei existiert.<br />

Dieser entstammt aus allen öffentlichen Einrichtungen<br />

und deshalb müssen wir, alle RevolutionärInnen und<br />

KommunistInnen, die bisher einzeln, verstreut und für<br />

sich gekämpft haben, zusammen kommen, damit wir<br />

gemeinsam kämpfen können.<br />

Dieser Zusammenschluss HBDH ist ein Teil dieses<br />

Kampfes, um gegen den organisierten Faschismus<br />

kämpfen zu können. Er ist ein Schritt, um alle<br />

unterdrückten Völker zusammen zu bringen und um<br />

allen unterdrückten Völkern und Klassen Hoffnung zu<br />

bringen.<br />

HBDH ist ein Aktions-Bündnis, denn es geht darum,<br />

gemeinsam Aktionen durchzuführen. Dies geht von<br />

Pressekonferenzen bis zum bewaffneten Kampf. Es ist<br />

ein breites Aktionsbündnis. Hauptsächlich geht es um<br />

die bewaffneten Aktionen, auch wenn man dann alleine<br />

eine bewaffnete Aktion durchführt oder organisiert.<br />

Dass alle revolutionären Organisationen sich zusammen<br />

geschlossen haben, ist eine grosse Quelle der Hoffnung<br />

für alle Unterdrückten in der Türkei. Das Volk hat immer<br />

kritisiert, dass die Organisationen vereinzelt dastehen<br />

und dass sich dies ändern sollte.<br />

Natürlich kann man nicht davon ausgehen, dass die<br />

einzelnen Parteien ideologisch alle auf einen Punkt<br />

kommen können aber gegen den Faschismus und den<br />

Reaktionismus müssen wir ein Teil von dieser Bewegung<br />

sein.<br />

Das ist zugleich ein Aufruf an alle Frauen, an alle<br />

Unterdrückten, an alle Jugendlichen und ArbeiterInnen,<br />

an alle StudentInnen und SchülerInnen, dass sie sich in<br />

der HBDH organisieren. Von einzelnen Aktionen, von<br />

einzelnen Personen bis hin über Pressemitteilungen über<br />

organisierte Aktionen, über Angriffe auf Militärstationen<br />

und Polizeistationen und darüber hinaus. Das Volk muss<br />

sich mit engagieren und soll mit organisieren, damit der<br />

Faschismus kein Fuss fassen kann.<br />

Auf die Operation in Reqa haben wir schon lange gewartet<br />

und wir als TKP/ML-TIKKO, die in <strong>Rojava</strong> kämpfen,<br />

haben auch darauf gewartet, dass etwas unternommen<br />

wird und unterstützen diese Offensive gegen Reqa.<br />

Welche Bedeutung haben die aktuellen Offensiven<br />

in <strong>Rojava</strong> für euch?<br />

Die Reqa-Operation ist wichtig. Wir können seit Jahren<br />

darüber berichten, wie Daesh das Volk in <strong>Rojava</strong> angreift<br />

und die Angriffe gehen ja auch über <strong>Rojava</strong> hinaus.<br />

Daesh hat die Grenzen überschritten, das sieht man an<br />

den Angriffen in Orlando, in Frankreich, in Nizza, sie<br />

119


haben bereits alle Grenzen überschritten.<br />

Daesh greift alle Völker, alle Länder an, die gegen sie<br />

vorgehen und deswegen ist die Aktion gegen Reqa<br />

wichtig, weil man gegen diese Angriffswellen seitens<br />

der Daesh kämpft und weil Reqa das politische Zentrum<br />

der Daesh ist.<br />

Die Daesh werden von Reqa aus organisiert, alle Angriffe,<br />

auch alles Politische, wird von Reqa aus organisiert, das<br />

wissen wir. Reqa ist das Hirn der Daesh. Also machen<br />

alle Aktionen, die wir durchführen, keinen Sinn, wenn<br />

wir nicht Reqa angreifen. Denn wenn das Hirn weg ist,<br />

kann auch der Körper sich nicht bewegen, dann ist der<br />

Körper machtlos.<br />

Wie verhält ihr euch als TKP-ML in diesem<br />

Prozess?<br />

Wir, als TKP/ML-TIKKO sind aktiv in <strong>Rojava</strong> seit<br />

dem Widerstand in Kobanê. Es gibt viele Diskussionen<br />

bezüglich der Reqa-Operation, schon deshalb, weil die<br />

US-amerikanischen Kräfte dort mit unterstützten. In der<br />

Diskussion geht es darum, ob das jetzt ein strategischer<br />

Zusammenschluss oder ein taktischer Zusammenschluss<br />

ist. Aber es ist nichts Neues, dass die Koalitionsflieger<br />

unterstützend bombardieren. Das ist schon seit Kobanê<br />

so, dass sie die YPG unterstützen. Aber es wurde erst<br />

mit der Reqa-Operation diskutiert, erst dann wurde es<br />

zum Gegenstand der Diskussionen. Wir finden das nicht<br />

richtig, dass so diskutiert wird. Unserer Meinung nach<br />

muss so diskutiert werden, dass wir Reqa einnehmen<br />

und dadurch die Revolution von <strong>Rojava</strong> beschützten.<br />

Das muss der Hauptpunkt der Diskussion sein. Die<br />

Diksussion über die Rolle des Imperialismus ist aber<br />

keine Diskussion die man jetzt führen muss, die muss<br />

man später führen.<br />

Wir sind nicht in der Situation jetzt darüber zu diskutieren,<br />

weil der Krieg weitergeht und die Daesh immer noch<br />

da sind. Diese Diskussionen bringen uns im Moment<br />

nicht weiter. Die, die jetzt diesen Zusammenschluss<br />

kritisieren, sind auch die Organisationen, die schon seit<br />

Kobanê ziemlich weit weg sind, vom Ort wo tatsächlich<br />

gekämpft wird. Sie sind auch weit weg von Kobanê,<br />

haben sich davon ferngehalten, sind in der Türkei<br />

und kritisieren von dort. Aber hier ist eine kämpfende<br />

Bewegung. Von der Ferne aus zu kritisieren, damit<br />

verändert man nichts. Wir können nur weiter kommen,<br />

wenn wir hierher kommen und dem Kampf beitreten und<br />

mitkämpfen. Soviel kann ich zur Reqa-Operation sagen.<br />

Wir wissen, dass Genosse Kaypakkaya (Gründer der<br />

TKP/ML Anm. d. Red.) in einer Schrift Folgendes sagt:<br />

Es gab den Scheich-Said-Aufstand (kurdisch Serhildana<br />

Şêx Seîdê Pîranî). Obwohl da die Engländer ihre Finger<br />

im Spiel hatten, war es ein fortschrittlicher Aufstand und<br />

den hätte man unterstützen müssen. Aus dieser Ideologie<br />

heraus kämpfen wir jetzt in <strong>Rojava</strong>. Gemeinsam mit der<br />

YPG sehen wir solche taktischen Zusammenschlüsse<br />

als normal an. Für nationale Bewegungen, wie die<br />

kurdische Bewegung, ist es richtig solche taktischen<br />

Zusammenschlüsse zu machen.<br />

Zuletzt können wir auch sagen, hier gibt es Hoffnung.<br />

Man sah dies beispielsweise nach dem Angriff in Orlando<br />

auf Homosexuelle, als die YPG wichtige Antworten an<br />

die reaktionären Kräfte gesendet hat. Sie haben vor die<br />

Regenbogen Fahne mitten in Reqa aufzuhängen. Dies<br />

als Symbol gegen Daesh und in Solidarität mit den<br />

Homosexuellen und gegen solche Angriffe wie in Orlando.<br />

Welche Rolle spielt die Türkei?<br />

Wir wissen seit Kobanê, dass der türkische Staat Daesh<br />

unterstützt und dass sie damit aufgeflogen sind. Durch<br />

Videos, Dokumente und Unterlagen haben wir gesehen,<br />

wie die Türkei das macht. Beispielsweise gibt es<br />

Beweise, wie türkische Soldaten mit Daesh Kämpfern<br />

an den Grenzen etwas austauschen und sich unterhalten.<br />

Auch konnten die Verletzten von Daesh in der Türkei<br />

behandelt werden.<br />

Weil <strong>Rojava</strong> weiter Gebiete gewinnt, greift die<br />

Türkei Kurdistan an. Wir können die Angriffe auf die<br />

120


KurdInnen in der Türkei nicht von den Angriffen in<br />

<strong>Rojava</strong> auseinanderhalten, beides gehört zusammen.<br />

Seitdem die Türkei gemerkt haben, dass Kobanê nicht<br />

eingenommen werden kann, kämpft sie aktiv gegen die<br />

YPG. Sie wollten die unterdrückten Völker eigentlich<br />

der Daesh überlassen und da die YPG das verhindert hat,<br />

ist sie zum Hauptfeind geworden.<br />

Die ganze Welt hat Angst vor den KämpferInnen des<br />

Daesh. Die YPG sind aber diejenigen, die gegen den<br />

Daesh ankämpfen können und sie sind es, die den Daesh<br />

besiegen. Sie haben den Menschen die Angst genommen,<br />

dass der Daesh unbesiegbar ist. Jeder Gewinn in<br />

<strong>Rojava</strong> ist eine Hoffnungsquelle für die unterdrückten<br />

Völker. Erdogan wollte diesen Hoffnungsschimmer<br />

des kurdischen Volkes in der Türkei erdrücken und<br />

bekämpfen, deswegen ist die Türkei so vehement gegen<br />

<strong>Rojava</strong>.<br />

<strong>Rojava</strong> zu kämpfen, damit solche Kampferfahrungen zu<br />

erleben und um sie auch in der Türkei anzuwenden.<br />

Vor diesem Erfahrungsaustausch hatte die Türkei am<br />

meisten Angst. Doch der allgemeine Kampf, das heisst<br />

auch der Strassenkampf mit all diesen Erfahrungen hat<br />

die Grenzen überquert. Erdogan sagt den Medien, dass<br />

alle, die in <strong>Rojava</strong> waren, SelbstmordattentäterInnen und<br />

TerroristInnen sind. Für den türkischen Staat ist die YPG<br />

eine Terrororganisation und er sagt, dass alle die nach<br />

<strong>Rojava</strong> gehen, TerroristInnen seien. Der türkische Staat<br />

hat Angst davor, dass der Kampf in <strong>Rojava</strong> auf die Türkei<br />

überschwappt. Wir werden die ganzen Erfahrungen,<br />

die wir hier gesammelt haben für die Revolution in der<br />

Türkei einsetzen und wir werden gewinnen.<br />

Wir werden <strong>Rojava</strong> vollkommen befreien auch wenn der<br />

türkische Staat dagegen ankämpft. Wir haben seit dem<br />

Kampf in Kobanê und in <strong>Rojava</strong> viele neue Erfahrungen<br />

gesammelt und diese können wir jetzt auch in Bakûr<br />

einsetzen. Wir haben in der Türkei Gräben gegraben, um<br />

die türkischen Panzer aufzuhalten und gegen die Invasion<br />

haben wir grosse Tücher über die Strassen gehängt, damit<br />

die Scharfschützen die Menschen nicht mehr sehen und<br />

erschiessen konnten. Das ist eine Strategie, die wir in<br />

<strong>Rojava</strong> erlernt haben. Deshalb ist es auch wichtig in<br />

121


122


123


REALITÄT<br />

DES<br />

ALLTAGS<br />

Gründe sich dem Kampf<br />

in <strong>Rojava</strong> anzuschliessen<br />

gibt es viele. Am Ende<br />

wollen wir hier eine<br />

Auswahl an kleineren<br />

Interviews präsentieren,<br />

die einen kruzen Blick in<br />

unterschiedliche Motive<br />

und Lebensrealtitäten<br />

erlauben.<br />

124


Militanter I (PKK)<br />

Wie alt bist du und woher kommst du?<br />

Ich bin 26 Jahre alt und komme aus Rojalat, Kurdistan<br />

Iran. Der Krieg in Kobanê ist sehr schlimm und ich<br />

denke, dass der Krieg in Kobanê so hart ist, wie es der<br />

Krieg in Vietnam war. Die ISIS kam nach Kobanê und<br />

warf Bomben. Es ist ein sehr harter Krieg hier.<br />

Was war deine Motivation, hierher zu kommen<br />

und zu kämpfen? Warum bist du gekommen?<br />

Weil in Kobanê die Menschheit in Gefahr ist. Ich<br />

kämpfe nicht nur für das kurdische Volk, sondern für alle<br />

Menschen.<br />

Bist du alleine oder mit einer Organisation<br />

gekommen?<br />

Vor drei Jahren trat ich der PKK bei.<br />

Was ist deine Perspektive jetzt, wo der Kampf<br />

um Kobanê gewonnen ist. Kobanê ist frei, und doch<br />

ist der Kampf noch nicht vorbei. Was sind deine<br />

nächsten Schritte?<br />

Hinter Kobanê in den Dörfern geht der Krieg gegen<br />

ISIS weiter. Ich war an der Front im Osten, ein sehr<br />

gefährlicher Ort.<br />

Kannst du mehr dazu sagen?<br />

Ich bin jetzt sehr glücklich, weil Kobanê frei ist und die<br />

Leute zurück kommen. Ich denke, ich bin so glücklich,<br />

weil ich für die Menschheit arbeite.<br />

Und was ist dein nächstes Projekt, wohin willst du<br />

gehen?<br />

Der Krieg ist noch nicht vorbei, es gibt immer Krieg<br />

und ich hoffe, dass eines Tages der Krieg in der Welt<br />

vorbei ist. Bis dahin möchte ich den Menschen helfen.<br />

In Somalia brauchen die Menschen Hilfe, vielleicht<br />

gehe ich da hin, wieder um für die Menschheit zu<br />

kämpfen. Ich richte diese Nachricht an alle Menschen:<br />

Die KurdInnen sind keine TerroristInnen. Menschen in<br />

anderen Ländern denken, dass die PKK, die YPG oder<br />

die YPJ TerroristInnen sind, aber das ist nicht wahr. Wir<br />

führen einen Krieg für die Menschheit, und wenn der<br />

Krieg gewonnen ist, werden wir aufhören. Als die Türkei<br />

meine Kinder und mein Volk tötete, musste ich gehen<br />

um zu kämpfen. Schau, die Türkei und die NATO sagen<br />

keine guten Dinge über die PKK und das kurdische Volk.<br />

Die Türkei und die NATO verbinden sich gegen uns. Wie<br />

kann jemand der Türkei und der NATO helfen, wenn die<br />

Türkei und die NATO die ISIS unterstützen?<br />

Wir lieben das Leben, und jetzt kämpfen wir für das<br />

Leben und für die Freiheit. Ein grosser Mann der<br />

Menschheit, Abdullah Öcallan, ist jetzt im Gefängnis in<br />

der Türkei. Abdullah Öcallan hat zu allen Zeiten für die<br />

Menschheit und für die Freiheit gekämpft, aber jetzt ist<br />

er in der Türkei im Gefängnis.<br />

Wenn ein guter Mensch im Gefängnis ist, wenn das<br />

System ihn ins Gefängnis sperrt, wirst du für seine Ideen<br />

arbeiten und dahin gehen wo er ist oder nicht? Ich frage:<br />

Wenn ein Führer der Menschheit, und Abdullah Öcallan<br />

ist so ein Führer, im Gefängnis ist, ob in Europa oder in<br />

Amerika, dürfen ihn die Menschen vergessen oder nicht?<br />

Als Bhaghdadi in Kuwait im Gefängnis war, und es<br />

war das Gefängnis von Amerika, war er bald wieder<br />

frei. Bhaghdadi ist der Führer der ISIS aber du siehst,<br />

mein Führer kämpft für Menschlichkeit und Freiheit,<br />

und er ist jetzt noch immer im Gefängnis. Bhaghdadi<br />

ist ISIS, und Amerika, das System, lässt ihn frei. Wir<br />

KurdInnen wollen den Kapitalismus beenden und ein<br />

neues System im Osten etablieren. Ich danke dir, dass<br />

du nach Kobanê gekommen bist und versuchst, Kobanê<br />

und den Menschen zu helfen, dass du mir zugehört hast<br />

und unsere Stimmen hörst und ich danke dir für die<br />

Unterstützung.<br />

Was würdest du den Menschen, die dies hören<br />

oder lesen sagen wollen? Was denkst du ist wichtig<br />

zu wissen?<br />

Ich bin so glücklich jetzt, weil die Kinder zurück nach<br />

Kobanê kamen, wieder auf der Strasse spielen können<br />

und glücklich sind. Und wenn die alte Frau und der<br />

alte Mann zurück in ihre Heimat kommen, weil sie hier<br />

sein wollen und zurückkommen müssen, bin ich sehr<br />

glücklich, weil ich denke, dass ich den Menschen helfen<br />

kann.<br />

Glaubst du, dass der Krieg in Kobanê ein Symbol<br />

für die Freiheit der Menschheit ist und auch gegen<br />

die Barbarei der ISIS?<br />

Ich denke ISIS ist für alle Menschen gefährlich, denn<br />

ISIS wirkt in der Welt, nicht nur im Irak oder in einem<br />

anderen Land. Zum Beispiel sind einige Personen von<br />

ISIS in Frankreich auf die Strasse gegangen und töteten<br />

12 Menschen. Es ist wichtig für mich, denn ISIS mag<br />

niemanden, sie unterscheiden nicht, ob jemand Muslim,<br />

Jude, Yeside oder Christ ist. Sie töten einfach. Ich denke,<br />

ISIS ist sehr gefährlich für die Menschheit und wir<br />

müssen ISIS vernichten.<br />

125


Und auf der anderen Seite ist es die <strong>Rojava</strong><br />

Revolution, die es zu verteidigen gilt. Es gibt zwei<br />

Kämpfe: der eine ist gegen ISIS und der andere<br />

ist für die <strong>Rojava</strong> Revolution, die neue Welt. Es<br />

gibt viele Kriege in der Welt und das besondere<br />

daran ist, dass du ein Freiheitskämpfer bist, weil<br />

du für die Freiheit, für die <strong>Rojava</strong> Revolution<br />

und gegen ISIS kämpfst. Andere Kriege sind<br />

gegen etwas, oder für den Kapitalismus und<br />

den Imperialismus.<br />

Jetzt ist es hier viel besser als vorher und ich glaube,<br />

ich kann gehen, um in Shangal im Irak gegen ISIS zu<br />

kämpfen. Und ich möchte ISIS und diese Terroristen<br />

im Krieg bekämpfen. Es ist für mich nicht anders, denn<br />

wenn ich sehe, dass die Menschen in Gefahr sind, gehe<br />

ich hin, um den Menschen zu helfen. Wie ich schon<br />

sagte, es war sehr gefährlich in Kobanê. Ich weiss das,<br />

weil ich hier war und du siehst, was geschieht ist sehr<br />

gefährlich. ISIS war einmal ganz in der Nähe, nur 5<br />

Meter entfernt von uns KämpferInnen, und da siehst du,<br />

dass wir kämpfen mussten, um Kobanê zu befreien. Zum<br />

Beispiel wurden in einem sehr kleinen Ort wurden viele<br />

junge KämpferInnen getötet. ISIS hat sie alle getötet.<br />

Deswegen müssen wir nun nach Ahi, Shahid und in die<br />

Dörfer um Kobanê gehen, weil viele, viele Menschen<br />

von ISIS getötet wurden. Darum gebe dir und anderen<br />

Menschen diese Nachricht mit: wenn ihr nicht versucht,<br />

ISIS zu stoppen, werden sie sehr bald in andere Länder<br />

gehen, dann sind sie nicht nur hier.<br />

Ich sage euch, wir kämpfen an vorderster Front und<br />

nur mit alten und kleinen Waffen. Grosse Gewehre<br />

haben wir nicht, nur diese kleinen. Aber 40 Autos von<br />

ISIS kamen nach Kobanê. Bomben explodierten und<br />

explodierten, aber sie konnten Kobanê nicht bekommen,<br />

und ich ging ganz in die Nähe von ISIS um nur mit dieser<br />

Waffe zu kämpfen. Du siehst, ISIS hat viele sehr grosse<br />

Gewehre und viele Waffen aber sie konnten nicht nach<br />

Kobanê kommen und Kobanê erobern. Man kann das<br />

zum Beispiel mit Mossul vergleichen. Da kamen zwei<br />

Autos von ISIS und alle KämpferInnen flohen. Aber hier<br />

kämpfen wir nur mit diesen Waffen.<br />

Mehmet (TKP/ML)<br />

Kannst du uns ein wenig über dich erzählen?<br />

Woher und aus welcher Organisation stammst du?<br />

Was hat dich hierher geführt?<br />

Ich heisse Mehmet und stamme aus einer proletarischen<br />

Familie. Ich habe an der Universität studiert. Nach dem<br />

Aufruf meiner Partei TKPML bin ich von Istanbul nach<br />

Kobanê gekommen.<br />

Der türkische Staat übt einen enormen Druck auf das<br />

kurdische Volk aus, der insbesondere in Kobanê zu<br />

spüren ist. Sie haben den ISIS offensichtlich unterstützt.<br />

Der Grund dafür ist, die Erwartungen und die Rechte<br />

des kurdischen Volkes zu unterdrücken. Nun wir<br />

KommunistInnen unterstützen, dass das Volk selbst<br />

über seine Zukunft bestimmen kann. Aus diesem<br />

Grund kämpfen wir hier in Kobanê für die Rechte des<br />

kurdischen Volkes.<br />

Welche politischen und militärischen Erfahrungen<br />

hast du hier gemacht?<br />

Bevor ich hierher kam, hatte ich, ausser auf den Strassen<br />

zu protestieren und dabei Steine und Molotows zu<br />

werfen, keine militärischen Erfahrungen. In unserem<br />

Kampf hier in Kobanê habe ich die Möglichkeit Waffen<br />

zu benutzen. Natürlich werden diese Erfahrungen<br />

auch die Revolution in der Türkei beeinflussen. Aus<br />

politischer Sicht hat die Türkei Ihr Ziel nicht erreicht.<br />

Die Türkei wollte, dass Kobanê von der ISIS erobert<br />

wird, nun haben die KurdInnen dies nicht zugelassen.<br />

Der Widerstand war unserseits sehr stark. Das ist der<br />

Erfolg für das internationale Volk. Die Verteidigung von<br />

<strong>Rojava</strong> ist die Verteidigung der Menschlichkeit.<br />

Wie ist jetzt die Strategie und das Vorgehen, nach<br />

dem Krieg in Kobanê?<br />

Der Gedanke ist hier in <strong>Rojava</strong> ein autonomes System<br />

aufzubauen, wie früher in der Sowjetunion. Nun waren<br />

sie SozialistInnen und hier in Syrien gibt es immer<br />

noch einen Krieg. Wir unterstützen die Autonomen des<br />

kurdischen Volkes. Leider denke ich, dass es nicht zu<br />

einer Gleichberechtigung kommt. Letztendlich muss<br />

das Volk aber mit einem Referendum selbst entscheiden.<br />

Dies zeugt davon, dass die KurdInnen noch kein<br />

Entscheidungsrecht umgesetzt haben. Vielleicht wollen<br />

die KurdInnen nicht mehr mit Syrien zusammen leben.<br />

Das kann nur mit einer demokratischen Wahl bestimmt<br />

werden. Wir werden weiterhin für die nationalen Rechte,<br />

wie auch gegen die Klassenunterschiede kämpfen.<br />

Welche Erfahrungen hast du betreffend Kobanê<br />

und die ganze Situation gemacht?<br />

126


Ich konnte die KurdInnen, Kobanê, PYD und die<br />

Terrororganisation ISIS näher kennenlernen. Ich erlebte<br />

die Anschläge von ISIS, den Zwang und den hohen Druck<br />

durch den syrischen Staat gegenüber den KurdInnen.<br />

Vor den Anschlägen der ISIS war das kurdische Volk<br />

unter Embargo und das seit 4 Jahren. Die Anschläge<br />

durch die Freie Syrische Armee und Al-Kaida dürfen<br />

wir auch nicht vergessen. Ich möchte damit sagen, dass<br />

die Menschen hier immer angegriffen werden. Natürlich<br />

wissen wir, dass es hier im Nahen Osten die Angriffe von<br />

ImperialistInnen sind.<br />

TKP/ML (Tikko) hat einen Aufruf für die Unterstützung<br />

und Verteidigung von Kobanê gemacht. Davor hatte<br />

ich noch nie eine Waffe benutzt. Hier konnte ich vor<br />

allem die kurdische Volksverteidigungskraft und den<br />

Auswuchs des Nahen Osten kennenlernen.<br />

Wie wird das Ganze, das Soldatische und die<br />

politische Situation in der Türkei reflektiert?<br />

TKP/ML hat mehr als 43 Jahre solidarische Erfahrungen.<br />

Nun darf man nicht vergessen, dass wir hier in <strong>Rojava</strong><br />

in einer Prärie am kämpfen sind. Wir haben hier einen<br />

Stadtkrieg gegen die Terrororganisation ISIS geführt.<br />

ISIS hatte viele Städte erobert, die erste Niederlage<br />

haben sie hier in Kobanê erlitten. Nach diesem Krieg<br />

haben wir die Realität des Krieges und die Niederlage<br />

der ISIS gesehen. Das ist eine mächtige Erfahrung.<br />

Obwohl unsere Ideologie hier im Guerillakampf lebt,<br />

müssen wir auch in den Städten kämpfen. Dieser Krieg<br />

hat uns bestimmte Ideen gegeben.<br />

Was möchtest du den Internationalen<br />

RevolutionärInnen mitteilen?<br />

Politisch gesehen ist der Kampf in Kobanê der<br />

Zusammenstoss mit „dem bösen Kind des Imperialismus“.<br />

Eine Reaktion der Welt gegen die Terrororganisation<br />

ISIS. Der Krieg hier geht über jede Ländergrenze hinaus<br />

und hat sich in jedem Land reflektiert. Jeder der sich<br />

Marxist nennt, muss bei diesem Erfolgserlebnis etwas<br />

empfinden.<br />

Den Widerstand gegen den Imperialismus müsst ihr auch<br />

in euren eigenen Städten ausüben. Dies wird die beste<br />

Antwort auf den Kolonialismus sein. Gleichzeitig müsste<br />

in <strong>Rojava</strong> eine Politik entstehen, die eine Unterstützung<br />

zur Lösung der Probleme anbietet.<br />

Militanter II (MLKP)<br />

Kannst du uns ein wenig über dich erzählen?<br />

Woher und aus welcher Organisation stammst du?<br />

Was hat dich hierher geführt?<br />

Ich bin aus der Türkei und war dort ein Angestellter.<br />

Natürlich bin ich für die kurdische und die türkische<br />

Revolution hierher gekommen. Für die Freiheit des<br />

Kurdischen Volk bin ich hier am kämpfen. Ich bin zudem<br />

Mitglied der MLKP.<br />

Welche politischen und militärischen Erfahrungen<br />

hast du hier gemacht?<br />

Ich hatte die Möglichkeit im Stadtkrieg mächtige<br />

Erfahrungen zu sammeln. Dabei erlernte ich auch mit<br />

schweren Waffen zu kämpfen. Natürlich lernten wir<br />

dabei auch unsere Feinde näher kennen.<br />

Wie ist jetzt die Strategie und das Vorgehen, nach<br />

dem Krieg in Kobanê?<br />

Wir werden die Macht des Volkes stärken. Es wird<br />

unter dem Volk eine revolutionäre und sozialistische<br />

Perspektive entstehen.<br />

Welche Erfahrungen hast du betreffend Kobanê<br />

und die ganze Situation gemacht?<br />

Wir haben die Front und den zentralistischen Krieg<br />

erlebt, somit auch eine Verteidigungskraft mit Waffen<br />

gebildet. Dies hat uns viele Türen aufgemacht, die<br />

irgendwann zur Freiheit führen werden.<br />

Wie wird das Ganze, das Soldatische und die<br />

politische Situation in der Türkei reflektiert?<br />

Wir können in der Türkei gegen den Faschismus<br />

protestieren. Wir haben den richtigen Untergrund<br />

gebildet, ausserdem haben wir mit dem zivilen Volk<br />

gegen die Terrororganisation ISIS gekämpft. Das hat<br />

unsere Hoffnung vergrössert.<br />

Was möchtest du den Internationalen<br />

RevolutionärInnen mitteilen?<br />

Sie müssen die Revolution hier in <strong>Rojava</strong> mitverfolgen<br />

und natürlich auch unterstützen. Sie müssen mit uns<br />

kämpfen.<br />

127


Militanter III (MLKP)<br />

Kannst du uns ein wenig über dich erzählen?<br />

Woher und aus welcher Organisation stammst<br />

du? Was hat dich hierher geführt?<br />

Ich bin Musiker aus der Türkei. Ich bin nach <strong>Rojava</strong><br />

gekommen, um den Imperialismus auszulöschen. Ich<br />

bin hier, um den die Kunst in einem freien Land zu<br />

erleben und diese Freiheit zu verbreiten. Ich stehe zu<br />

den unterdrückten KurdInnen und möchte ihnen alle<br />

mögliche Unterstützung anbieten.<br />

Welche politischen und militärischen Erfahrungen<br />

hast du hier gemacht?<br />

Die wichtigste Erfahrung, die ich hier gemacht habe, ist<br />

das kollegiale Füreinander und das Zusammenstehen.<br />

Wir sind alle für das gleiche Ziel hier. Wir sind alle<br />

mitten im Krieg und jede/r weiss, dass wir füreinander<br />

das Leben aufgeben würden. Militärisch gesehen haben<br />

wir natürlich auch gelernt mit verschiedenen und<br />

schweren Waffen zu kämpfen. Wir haben praktische und<br />

theoretische Erfahrungen gemacht.<br />

Wie ist jetzt die Strategie und das Vorgehen, nach<br />

dem Krieg in Kobanê?<br />

Ich werde die praktischen Erfahrungen mit meiner<br />

künstlerischen und soldatischen Persönlichkeit auch in<br />

der Türkei und in Kurdistan verbreiten.<br />

Welche Erfahrungen hast du betreffend Kobanê<br />

und die ganze Situation gemacht?<br />

Hier habe ich die Form des Krieges mit schweren Waffen<br />

ausgeübt.<br />

Wie wird das Ganze, das Soldatische und die<br />

politische Situation in der Türkei reflektiert?<br />

Die Erfahrungen, die ich hier in <strong>Rojava</strong> gemacht<br />

habe, möchte ich auch beim Widerstand in der Türkei<br />

anwenden. Mein Ziel ist es, einen freien Verstand in der<br />

Kunst zu etablieren und dies den Menschen beizubringen.<br />

Was möchtest du den Internationalen RevolutionärInnen<br />

mitteilen?<br />

Der Nahe Osten ist für euch eine verarbeitete Perle. Lernt<br />

hier den Krieg und den Gebrauch von Waffen kennen.<br />

Jede/r KommunistIn muss das hier gesehen haben.<br />

128


Militanter IV (SYKP)<br />

Kannst du uns ein wenig über dich erzählen?<br />

Woher und aus welcher Organisation stammst du?<br />

Was hat dich hierher geführt?<br />

Ich stamme aus der Türkei, bin ein Student und<br />

Mitglied der SYKP. Hier in Kobanê unterstütze ich<br />

den Krieg gegen den Imperialismus, Kapitalismus und<br />

deren Unterstützer. Ich wollte mich an diesem Kampf<br />

beteiligen. Wir werden bis zum Sieg weiterkämpfen.<br />

Welche politischen und militärischen Erfahrungen<br />

hast du hier gemacht?<br />

Bevor ich nach Kobanê kam, hatte ich keine militärischen<br />

Erfahrungen.<br />

Wie ist jetzt die Strategie und das Vorgehen, nach<br />

dem Krieg in Kobanê?<br />

Nach dem Krieg in Kobanê werde ich weiter kämpfen<br />

,bis die ImperialistInnen und TerroristInnen ihre Hände<br />

vom Nahen Osten weggenommen haben. Danach werde<br />

ich für die InternationalistInnen überall auf der Welt<br />

kämpfen.<br />

Welche Erfahrungen hast du betreffend Kobanê<br />

und die ganze Situation gemacht?<br />

Hier konnte ich lernen wie man kämpft. Ich durfte<br />

mit schweren Waffen kämpfen und mich mit dem<br />

Kriegsleben vertraut machen.<br />

Wie wird das Ganze, das Soldatische und die<br />

politische Situation in der Türkei reflektiert?<br />

In dem Land wo ich lebe, werde ich die Erfahrungen<br />

anwenden und die Revolution unterstützen.<br />

Was möchtest du den Internationalen RevolutionärInnen<br />

mitteilen?<br />

Liebe InternationalistInnen und KommunistInnen,<br />

kommt nach <strong>Rojava</strong> und kämpft mit uns gegen die IS-<br />

Milizen, gegen den Faschismus und den Imperialismus.<br />

Der Weg zur Revolution geht über <strong>Rojava</strong>. Es lebe die<br />

Revolution und der Sozialismus. Es lebe der Kampf bis<br />

zum Sieg!<br />

129


International Freedom Battalion<br />

Antifascist Internationalist Tabur!<br />

The International Freedom Battalion is an armed group<br />

consisting of leftist foreign fighters fighting alongside<br />

the People’s Protection Units in the Syrian Civil War in<br />

support of the <strong>Rojava</strong> Revolution and against the Islamic<br />

State of Iraq and the Levant.<br />

Laufende Infos gibt es unter anderem auf:<br />

https://www.facebook.com/internationalfreedom<br />

Weitere Bataillone des International<br />

Freedom Battalion<br />

Im Dezember 2016 erhalten: Today a group of fellow<br />

anti-fascists, internationalists, anarchists, communists,<br />

socialists and libertarians appeals to support the revolution<br />

of <strong>Rojava</strong> and so joining struggle of the oppressed. We<br />

come from the shadow of the western capitalist world,<br />

to fight and to learn from our fellow comrades in <strong>Rojava</strong><br />

how to claim freedom and the right to exist. With their<br />

courage we hope to create a life without oppression and<br />

persecution, a world without fascism and obscurantism.<br />

We set sail towards this goal pushed by the winds of<br />

liberty, equality, and respect for the Earth. This is the<br />

way of those exceptional people who have sailed towards<br />

oblivion leaving an unquenchable heat inside our hearts.<br />

It is the same warmth that we feel now, that animates us,<br />

that drove us across the threshold of the flames of the<br />

struggle of the Democratic Federation of Northern Syria.<br />

“Each comrade, here, now, fights with a heart full of<br />

sunshine.”<br />

Kadinlarin Birlecik Devrim Hareketi<br />

(KDBH)<br />

Zitate über die KBDH: Ziel der KBDH ist Zerstörung<br />

des Faschismus und des Patriarchats. Unsere Stärke als<br />

KBDH kommt aus der Unterdrückung der Frauen und<br />

der Völker. Das Ziel ist die Revolution. Wir streben eine<br />

revolutionäre Einheit an. Diese revolutionäre Einheit<br />

entsteht durch die Kollektivierung als Frauen und der<br />

Kollektivierung des politischen Verständnis. Der einzige<br />

Weg gegen Unterdrückung und Versklavung der Frauen<br />

ist die politische Organisierung.<br />

Die KBDH ist eine Behauptung des Selbstbewusstseins<br />

der Frauen. Wir kennen keine Grenzen. Die einzige<br />

Grenze ist gegen den Faschismus zu sein.<br />

Every comrade, here, now, fights for the light, with the<br />

living memory of previous partisan struggles, for a better<br />

world, that have led up to these fiery lands. So, with the<br />

name of our unit, we want to remember the comrade<br />

Sahid lvana Hoffman, fallen valiantly fighting Isis on<br />

the front of Till Tamir, in March 2015. Together we fight<br />

to defend those values, which we retain in our hearts.<br />

We take our symbol from the revolutionaries who fought<br />

in Spain, in 1936, for a world without borders, without<br />

shadows and without fear— History did not defeat them.<br />

Their dreams did not die, but are now reborn with us,<br />

with each comrade, who now fights in <strong>Rojava</strong>. As a<br />

phoenix always rises from the ashes, so the fire of the<br />

Revolution, will continue to burn forever.<br />

“We are partisans, we live.”<br />

Silav u Rezen Soresgeri.<br />

Antifascist Internationalist Tabur<br />

130


International Revolutionary People‘s<br />

Guerrilla Forces<br />

Im April 2017 erhalten: Heute ist die Revolution in<br />

Gefahr. Wie in Zeiten der Pariser Kommune und anderen<br />

bahnbrechenden historischen Momenten, stehen die<br />

revolutionären Kräfte Auge in Auge mit dem Leviathan<br />

der kapitalistischen Hegemonie, der die neue Welt zu<br />

verschlingen und uns alle wieder zu versklaven versucht.<br />

Das ist unser Stalingrad. Wir müssen die Revolution<br />

verteidigen! Deshalb verkünden wir die Entstehung der<br />

International Revolutionary People’s Guerrilla Forces<br />

(IRPGF) um die Revolution in <strong>Rojava</strong> zu verteidigen.<br />

Die Internationalen Revolutionären Volksguerilla-Kräfte<br />

(International Revolutionary People’s Guerrilla Forces,<br />

IRPGF) sind ein militantes bewaffnetes horizontales<br />

und selbstorganisiertes Kollektiv, das daran arbeitet,<br />

soziale Revolutionen in der ganzen Welt zu verteidigen,<br />

den Staat direkt zu konfrontieren und die Sache des<br />

Anarchismus voran zu bringen.<br />

Bob Crow Brigade<br />

Henri Krasucki Brigade<br />

Wir sind Antifaschisten, Antikapitalisten,<br />

Antiimperialisten und gegen jede Form von Patriachie<br />

und Kyriarchie. Wir deklarieren unsere Unterstützung<br />

und Alianz mit der YPJ/YPG, PKK, dem Internationalen<br />

Freiheits Battalion und ihren Mitgliedsorganisationen.<br />

Wir deklarieren unseren offenen Kampf gegen alle<br />

Imperialisten, Faschisten und kontrrevolutionären<br />

Kräften.<br />

SIEG DER REVOLUTION IN ROJAVA!<br />

SIEG DEN BARRIKADEN, DER SOZIALEN<br />

INSURREKTION UND DER KOMMUNE!<br />

Revolutionary Union for Internationalist<br />

Solidarity<br />

MILITANTE HORIZONTALE<br />

SELBSTORGANISIERTE KOLLEKTIVE &<br />

GEMEINSCHAFTEN<br />

FÜR DIE REVOLUTION UND DEN<br />

ANARCHISMUS!<br />

131


www.aufbau.org

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