here – Das Magazin. Von Geflüchteten. Für Bochum – Sonderausgabe LiesWat
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<strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong><br />
Mit geflüchteten Menschen reden. Nicht nur über sie.<br />
Talking with the refugees. Not just about them.<br />
Parler avec les réfugiés. Pas seulement à propos d'eux<br />
التحدث مع الالجئني. ليس فقط عنهم.<br />
1. <strong>Sonderausgabe</strong> 2018<br />
Thema:<br />
4. LiesWAT! Autoren Forum<br />
Ein bewegender Abend mit bewegenden Texten<br />
LiesWAT! lädt Autoren zum Thema Flucht, Vertreibung und Heimat ein<br />
A Moving Evening with Moving Lyrics<br />
LiesWAT! Invites authors on the subject of flight, expulsion and homeland<br />
Une Soirée Émouvante avec des Textes Émouvants<br />
LiesWAT! invite les auteurs à parler de thèmes de la fuite, de l‘expulsion et de la patrie<br />
أمسية مؤثرة مع نصوص مؤثرة<br />
!LiesWAT يدعو كتّاب تناولوا موضوع الهروب ، التهجري والوطن<br />
<strong>Sonderausgabe</strong>
Contenu │Content│Inhalt │املحتوى<br />
أهالً وسهالً Welcome, Willkommen, Bienvenue,<br />
Grußwort<br />
„Ein Buch ist wie ein<br />
Garten, den man in der<br />
Tasche trägt“<br />
Astrid Kern, Vorsitzende<br />
LiesWAT! e. V.<br />
04<br />
Editorial<br />
03<br />
<strong>Von</strong> Hoffnung und<br />
Müdigkeit<br />
Arezoo ist afghanische Geflüchtete,<br />
hat ihr Heimatland<br />
aber nie gesehen<br />
6<br />
Gedichte<br />
Tiefe Gedanken in<br />
lyrischer Form<br />
Gabriele Franke verarbeitet<br />
ihre Gefühle in<br />
Gedichten<br />
05<br />
Rückblick<br />
Ein<br />
bewegender<br />
Abend mit<br />
bewegenden<br />
Texten<br />
8<br />
„Wir mussten drei<br />
Tage in Wäldern<br />
ausharren“<br />
Der Syrer Shirawan musste<br />
ohne seine Familie nach<br />
Deutschland flüchten<br />
LiesWAT!<br />
4. Autoren<br />
Forum<br />
14<br />
12<br />
10<br />
Diese<br />
Autorinnen und<br />
Autoren waren<br />
dabei<br />
<strong>Das</strong> lange Warten<br />
auf das Kriegsende<br />
Ehrhard Salewski floh<br />
als Kind während des<br />
zweiten Weltkriegs nach<br />
Süddeutschland<br />
18<br />
Fünf Versuche mit<br />
dem Boot über das<br />
Mittelmeer zu kommen<br />
Nour ist alleinerziehend<br />
und mit ihren<br />
beiden<br />
Kindern<br />
aus<br />
Syrien<br />
geflohen<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Angekommen e. V.<br />
Verein zur Förderung der Integration<br />
von geflüchteten Menschen in <strong>Bochum</strong><br />
1. Vorsitzender: Thorsten Seel<br />
Alte Hattinger Straße 29<br />
44789 <strong>Bochum</strong><br />
Tel.: 0234 / 54477964<br />
Fax: 0234 / 54496967<br />
team@<strong>here</strong>-in-bochum.de<br />
www.<strong>here</strong>-in-bochum.de<br />
Redaktion und Satz: Vicki Marschall (verantwortlich), Nour Abdalkhalek,<br />
Laura Bremer, Manuel Bussler, Munir Chaar, Christian<br />
Cirkel, Gabriele Franken, Jan Franzen, Franziska Gebhardt, Mareike<br />
Ickler, Nora Patberg, Arezoo Ramezani, Shirawan Rammo,<br />
Ehrhard Salewski,<br />
Titelfoto: Nora Patberg<br />
Fotos: Franziska Gebhardt, Vicki Marschall, Nora Patberg, privat<br />
Grafiken: Fotolia, Depositphotos<br />
Druck: Bonifatius Druckerei, Paderborn<br />
In Kooperation mit<br />
Gewinner beim<br />
NRW.Bank Ideenwettbewerb<br />
2015/2017<br />
2 <strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. LiesWAT! Autoren Forum www.<strong>here</strong>-in-bochum.de
أهالً وسهالً Welcome, Willkommen, Bienvenue,<br />
Nous vivons dans un pays où on discute<br />
beaucoup de réfugiés. On parle<br />
souvent des autres <strong>–</strong> les hommes <strong>–</strong><br />
qui sont venus de loin dans «notre»<br />
pays. En parlant de réfugiés on oublie<br />
trop facilement que les allemands<br />
aussi devaient prendre la fuite: après<br />
la seconde guerre mondiale, près de<br />
14 millions de personnes ont quitté<br />
les anciennes régions allemandes: la<br />
Prusse-Orientale, la Poméranie, le<br />
Brandebourg et la Silésie. Ici, en Allemagne,<br />
ils devaient se construire une<br />
nouvelle existence. Bien qu’il y ait de<br />
moins en moins des allemands qui<br />
ont vécu la seconde guerre mondiale,<br />
on en conserve encore la mémoire.<br />
Lors de la lecture publique des auteurs<br />
de l’association «LiesWAT!» les<br />
réfugiés ont lu leurs propres histoires.<br />
Et l’audience n’a pas fait la différence<br />
entre les expériences actuelles de la<br />
guerre et celles de la seconde guerre<br />
mondiale: on était vraiment ému<br />
peu importe de quelle expérience on<br />
a parlé.<br />
Je suis <strong>here</strong><br />
Vicki<br />
Übersetzung: Christian<br />
www.<strong>here</strong>-in-bochum.de<br />
Wir leben in einem Deutschland,<br />
in dem viel über Geflüchtete<br />
diskutiert wird. Gemeint<br />
sind damit meist die anderen,<br />
Menschen die von weit her<br />
in „unser“ Land kommen. Dabei<br />
vergessen wir allzu leicht,<br />
dass auch Deutsche aus ihrer<br />
Heimat fliehen mussten: Nach<br />
dem zweiten Weltkrieg verließen<br />
rund 14 Millionen Menschen die ehemaligen<br />
deutschen Gebiete Ostpreußen, Pommern, Brandenburg<br />
und Schlesien und mussten sich in der Bundesrepublik<br />
ein neues Leben aufbauen. Auch wenn<br />
immer weniger Deutsche den 2. Weltkrieg selbst<br />
miterlebt haben, so bleibt die Erinnerung daran auch<br />
weiterhin wach. Bei der Autorenlesung des Vereins<br />
„LiesWAT!“, bei dem junge und ältere „Geflüchtete“<br />
ihre Geschichten lasen, empfanden die Zuhörer die<br />
aktuellen Kriegserfahrungen ebenso ergreifend wie<br />
die aus dem 2. Weltkrieg.<br />
Ich bin <strong>here</strong><br />
Vicki<br />
We live in Germany, a country in which refugees are often<br />
discussed. Meant are usually the others, people, who<br />
come from far away into “our“ country. But we forget all<br />
too easily that Germans also had to flee their homes:<br />
After the Second World War around 14 million people<br />
left the former German areas East Prussia, Pomerania,<br />
Brandenburg and Silesia and had to build a new life in<br />
the Federal Republic of Germany. Even though fewer<br />
and fewer Germans have witnessed the Second World<br />
War themselves, the remembrance of it remains further<br />
alive. During the reading of the „LiesWAT!“ association,<br />
w<strong>here</strong> young and older „refugees“ read their stories, the<br />
listeners found the current experiences of war just as<br />
touching as those of World War II.<br />
I am <strong>here</strong><br />
Vicki<br />
Übersetzung: Laura<br />
<strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. <strong>LiesWat</strong>! Autoren Forum<br />
│Éditorial│Editorial│Editorial مقال إفتتاحي<br />
نحن نسكن يف أملانيا ، والتي يتم فيها النقاش<br />
كثرياً حول موضوع الالجئني . واملقصود هنا يف<br />
الغالب ، الناس اآلخرين الذين أتوا من بعيد إىل<br />
بلدنا . بهذه املناسبة وكأننا بدأنا ننىس ، أن االملان<br />
أيضاً اضطروا إىل مغادرة وطنهم يف وقتٍ ما :<br />
وكان ذلك بعد الحرب العاملية الثانية حيث أن<br />
١٤ مليون أملاين غادر املناطق التي كانت سابقا<br />
تحت سيطرة املانيا رشق بروسيا و بومرانيا و<br />
برندنبورغ و سيليزيا ، وبعدها اضطروا إىل تكوين<br />
حياة جديدة يف جمهورية أملانيا االتحادية . حتى<br />
وإن كنا ال نجد اليوم اال القليل من الشعب<br />
األملاين الذي عارص الحرب العاملية الثانية ، لكن<br />
الذكرى ما زالت يقظة يف الوجدان . ويف أمسية<br />
القراءة هذه تشارك الالجئون الحاليون رسدهم<br />
لقصصهم مع الجئني قدامى ، وتكوّن لدى<br />
الجمهور نفس االنطباع الذي لطاملا خلّفته الحرب<br />
العاملية الثانية .<br />
أنا هنا<br />
فييك مارشال<br />
Vicki<br />
Übersetzung: Munir/Nour<br />
3
Discours de Bienvenue│Greeting│Grußwort │كلمة الرتحيب<br />
„Ein Buch ist wie ein Garten,<br />
den man in der Tasche trägt“<br />
Grußwort von Astrid Kern, Vorsitzende LiesWAT! e. V.<br />
“A Book is like a Garden<br />
you carry in your Pocket”<br />
Greeting from Astrid Kern, chairwoman LiesWAT! e. V.<br />
Liebe Leserinnen und Leser der Zeitschrift <strong>here</strong><br />
Während einer Fotoausstellung über Flüchtlinge las ich<br />
ein paar Zeilen, die ein Afrikaner geschrieben hatte. Er<br />
musste erkennen, dass hier in Deutschland niemand<br />
mit ihm sprach, also konnte er kein Deutsch lernen. Alle<br />
Menschen gingen an ihm vorbei, darum konnte er keine<br />
Kontakte knüpfen.<br />
<strong>Das</strong> sollte sich ändern und so stellte LiesWAT!, der<br />
Förderverein der Büc<strong>here</strong>i Wattenscheid, sein 4. Autoren<br />
Forum unter das Thema: „Meine Geschichte <strong>–</strong> von<br />
Krieg, Flucht und Vertreibung“. Junge Flüchtlinge und<br />
ältere Wattenscheider trugen im Oktober 2017 in der<br />
Büc<strong>here</strong>i ihre Texte vor und stellten fest, dass sie durchaus<br />
ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. So kamen sie<br />
miteinander ins Gespräch und der Abend wurde sehr<br />
informativ und interessant.<br />
LiesWAT! e. V. ist ein Förderverein, der die Büc<strong>here</strong>i<br />
Wattenscheid unterstützt. Der Name ist gleichzeitig<br />
Aufforderung und Programm: Wir organisieren Lesungen,<br />
Vorlesewettbewerbe und Bücher- Flohmärkte und<br />
unterstützen die Büc<strong>here</strong>i auch in finanzieller Hinsicht.<br />
Uns ist es wichtig, dass viele verschiedene Menschen<br />
in die Büc<strong>here</strong>i kommen, unsere Veranstaltungen besuchen<br />
und vorlesen oder zuhören. Sie sind also immer<br />
herzlich eingeladen!<br />
Unser Leitmotiv ist ein arabisches Sprichwort: „Ein Buch<br />
ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt.“ Ja, wir lieben<br />
Bücher! Mit ihnen erleben wir spannende Geschichten,<br />
durchwandern ferne Länder, tauchen ein in fremde<br />
Kulturen, lernen interessante Menschen kennen und informieren<br />
uns über alles Wissenswerte. Bücher sind Kulturgut<br />
und verbinden Menschen miteinander,<br />
darum ist eine Büc<strong>here</strong>i von großer Bedeutung<br />
in jeder Stadt. Möchten Sie gern ein Buch lesen?<br />
Dann sollten Sie unbedingt eine Büc<strong>here</strong>i<br />
besuchen! Die Büc<strong>here</strong>i Wattenscheid befindet<br />
sich im Gertrudis Einkaufscenter. <strong>Das</strong><br />
Team freut sich über Ihren Besuch.<br />
Dear readers of <strong>here</strong> magazine,<br />
during a photo exhibition about refugees I read a few<br />
lines written by an African. He had to realize that nobody<br />
<strong>here</strong> in Germany spoke with him, so he could not<br />
learn German. All people passed him by, so he could not<br />
make any contacts.<br />
That ought to change and so LiesWAT!, the support association<br />
of Wattenscheid Library, placed its 4th Authors‘<br />
Forum under the theme: “My History <strong>–</strong> of War, Escape<br />
and Expulsion”. In October 2017, young refugees and<br />
older citizens from Wattenscheid read their texts in the<br />
library and found out that they had made quite similar<br />
experiences. In this way they got to know each other and<br />
the evening became very informative and interesting.<br />
LiesWAT! e. V. is an association that supports Wattenscheid<br />
Library. The name is both an invitation and a<br />
programme: we organize readings, reading aloud competitions<br />
and book flea markets and support the library<br />
financially. It is important to us that many different<br />
people come to the library, attend our events and read<br />
aloud or listen. So you are always welcome!<br />
Our leitmotif is an Arabic proverb: “A book is like a<br />
garden you carry in your pocket.” Yes, we love books!<br />
With them we experience exciting stories, wander through<br />
distant countries, immerse ourselves in foreign<br />
cultures, get to know interesting people and inform us<br />
about everything worth knowing. Books are cultural assets<br />
and connect people with each other, which is why<br />
a library is of great importance in every city. Would you<br />
like to read a book? Then you should definitely visit a<br />
library! Wattenscheid Library is located in the Gertrudis<br />
Shopping Centre.<br />
Our team is looking<br />
forward to your visit.<br />
www.lieswat.de<br />
www.bochum.de/<br />
stadtbuec<strong>here</strong>i<br />
www.lieswat.de<br />
www.bochum.de/stadtbuec<strong>here</strong>i<br />
Astrid Kern (für LiesWAT! e. V.)<br />
Astrid Kern<br />
Der Vorstand von LiesWAT! (v. li.): Dr. Andreas (for LiesWAT! e. V.)<br />
Zabolitzky, Astrid Kern, Julia Zabolitzky,<br />
Christina Werdelmann.<br />
Foto: privat Übersetzung: Mareike<br />
4 <strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. LiesWAT! Autoren Forum www.<strong>here</strong>-in-bochum.de
Ein bewegender Abend mit<br />
bewegenden Texten<br />
LiesWAT! lädt Autoren zum Thema Flucht,<br />
Vertreibung und Heimat ein<br />
A Moving Evening with Moving Texts<br />
LiesWAT! Invites authors on the subject<br />
of flight, expulsion and homeland<br />
Es flossen Tränen <strong>–</strong> mehrmals. Obwohl Nour ihren<br />
Text bereits vor Monaten im <strong>here</strong>-<strong>Magazin</strong> veröffentlicht<br />
hatte, konnte sie an einigen Stellen ihre Tränen<br />
nicht zurückhalten. Auch Arezoo, die junge Afghanin<br />
brauchte ein Taschentuch beim Vorlesen. Dem Syrer<br />
Shirawan steckte hörbar ein Kloß im Hals, als er den<br />
Text über seine Flucht nach Deutschland las und selbst<br />
dem 82-jährigen Wattenscheider Ehrhard Salewski fiel<br />
es an manchen Stellen schwer seine Erinnerungen an<br />
den 2. Weltkrieg vorzutragen. <strong>Das</strong> Publikum fühlte mit<br />
ihnen.<br />
Es war eine einmalige Stimmung bei LiesWAT! Mitte<br />
Oktober in der Büc<strong>here</strong>i Wattenscheid. Regelmäßig<br />
lesen dort Autoren aus ihren Texten. Diesmal<br />
ging es um Flucht, Vertreibung und Heimat. Die<br />
<strong>here</strong>-Redakteure Nour Abdalkhalek und Shirawan<br />
Rammo lasen dort ihre im <strong>here</strong>-<strong>Magazin</strong> veröffentlichten<br />
Texte aus der Rubrik „Mein Weg nach <strong>Bochum</strong>“.<br />
Eine weitere syrische junge Frau und Mutter sowie<br />
Arezoo lasen Texte über sich und die Flucht ihrer Familien<br />
nach Deutschland.<br />
Aber auch deutsche Autoren stellten ihre<br />
Texte vor: über die Kinderlandverschickung<br />
während des Zweiten Weltkriegs,<br />
über die Vertreibung aus Schlesien und<br />
Gedichte über den Krieg im Nahen Osten.<br />
Immer wieder fiel es den Autoren<br />
schwer, ergreifende Stellen vorzutragen.<br />
Diese Emotionalität hat den mitfühlenden<br />
Abend getragen.<br />
Um auch Menschen, die an diesem<br />
Abend nicht bei der Veranstaltung dabei<br />
sein konnten, die Gelegenheit zu geben,<br />
sich mit den Texten auseinanderzusetzen,<br />
veröffentlicht das <strong>here</strong>-<strong>Magazin</strong> dieses<br />
Sonderheft in Kooperation mit „Lies<br />
Wat!“, dem Förderverein der Büc<strong>here</strong>i<br />
Wattenscheid. Mit Ausnahme von zwei<br />
Texten sind alle auf den folgenden Seiten<br />
zu lesen. Zusätzlich stellen wir die Autorinnen<br />
und Autoren kurz vor.<br />
Tears flowed <strong>–</strong> several times. Although Nour had already<br />
published her text months ago in <strong>here</strong> magazine,<br />
in some places she could not hold back her tears.<br />
Also Arezoo, the young Afghan woman needed a<br />
handkerchief while reading aloud. The Syrian Shirawan<br />
audibly stuck a lump in his throat as he read the text<br />
about his escape to Germany, and even the 82-years-old<br />
Ehrhard Salewski from Wattenscheid found it<br />
difficult to recount his memories of the Second World<br />
War. The audience felt with them.<br />
It was a unique atmosp<strong>here</strong> at LiesWAT! Mid-October<br />
in Wattenscheid Library. Regulary authors read from<br />
their texts. This time it was about escape, expulsion<br />
and homeland. The editors <strong>here</strong>, Nour Abdalkhalek<br />
and Shirawan Rammo, read their texts published in the<br />
<strong>here</strong> magazine from the category “My way to <strong>Bochum</strong>“.<br />
Another young Syrian wife and mother as well as Arezoo<br />
read texts about themselves and the flight of their<br />
families to Germany.<br />
But also German authors presented their texts: about<br />
the “Kinderlandverschickung“ during the Second World<br />
War, about the expulsion from<br />
Silesia and poems about the war<br />
in the Middle East. Again and<br />
again it was difficult for the authors<br />
to recite poignant passages.<br />
This emotionality carried<br />
the compassionate evening.<br />
Die <strong>here</strong>-Redakteure Shirawan<br />
(li.) und Nour waren eingeladen<br />
bei LiesWAT! ihre Texte vor Publikum<br />
vorzutragen. Foto: <strong>here</strong><br />
In order to give people who<br />
could not attend the event that<br />
evening the opportunity to deal<br />
with these texts, <strong>here</strong> magazine<br />
publishes this special issue<br />
in cooperation with “Lies Wat!“,<br />
the support association of Wattenscheid<br />
Library. All but two<br />
texts are published on the following<br />
pages. In addition, we briefly<br />
introduce the authors.<br />
Text: Vicki, Übersetzung: Nour<br />
نظرة عىل املايض│Rétrospectif Rückblick│Retrospect│Un Regard<br />
www.<strong>here</strong>-in-bochum.de<br />
<strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. <strong>LiesWat</strong>! Autoren Forum<br />
5
Les│النصوص Textes│The Texts│Die Texte<br />
<strong>Von</strong> Hoffnung und Müdigkeit<br />
Arezoo ist afghanische Geflüchtete,<br />
hat ihr Heimatland aber nie gesehen<br />
De l’espérance et de la fatigue<br />
Arezoo est une réfugiée afghane. Mais<br />
elle n’a jamais vu son pays natal<br />
Wenn ich ehrlich sein soll, geht es mir eigentlich nicht<br />
gut. Der erste Grund dafür ist meine Heimat und die<br />
ganzen Probleme in der Welt. In Afghanistan verschlimmert<br />
es sich jeden Tag und das macht mir Sorgen in<br />
jeder Sekunde. Die Menschen, die bei jedem Anschlag<br />
oder Krieg sterben, können meine Freunde, meine Familie,<br />
meine Verwandten, sogar ICH könnte an ihrer Stelle<br />
sein… Oder was die Frauen und Kinder in der ganzen<br />
Welt erleben… Ich kann einfach diese Gedanken nicht<br />
mehr ertragen… Ich bin zu schwach dafür.<br />
Außerdem habe ich neuerdings einen Brief vom Sozialamt<br />
erhalten, in dem ich dazu aufgefordert werde, ab<br />
dem nächsten Schuljahr BAföG zu beantragen. <strong>Das</strong> Problem<br />
dabei ist, dass ich eine Aufenthaltsgenehmigung<br />
brauche um BAföG-berechtigt zu sein. Was ich vor zwei<br />
Jahren mit meiner Familie beantragt habe, aber noch leider<br />
keine Rückmeldung bekommen habe. Wenn ich den<br />
Aufenthalt nicht bekomme, wird meinen Antrag natürlich<br />
abgelehnt. Meine netten Freunde Gisela und Olaf<br />
kümmern sich darum, aber ich habe trotzdem große<br />
Angst. Vor drei Monaten hat mein Bruder seine Anerkennung<br />
bekommen. <strong>Das</strong> hat uns echt gefreut.<br />
Was mir all die Freude und Kraft gibt, sind die netten<br />
Menschen in meinem Leben und die Möglichkeiten,<br />
die ich in Deutschland habe, mein Stipendium von der<br />
START-Stiftung, die Erfahrungen in den vergangenen<br />
drei Jahren usw. Die motivieren mich für meine Zukunft!<br />
Ehrlich gesagt, vor zweieinhalb Jahren war ich sehr enttäuscht<br />
und noch dazu müde von den Menschen und<br />
der Welt. Der Fluchtweg und meine Erlebnisse, die ich<br />
hinter mir hatte, waren der Grund, warum ich so müde<br />
und enttäuscht war. Und meine Heimat, die Menschen<br />
da, Politik, Politiker, Ungerechtigkeit, Krieg, Gewalt, einfach<br />
ein Flüchtlingskind zu sein, neu zu sein, ohne Vater<br />
zu sein…<br />
Pour être sincère, je ne vais pas très bien. D’abord, mon<br />
pays natal et tous les problèmes dans le monde sont la<br />
raison pour mes sentiments .En Afghanistan, la situation<br />
s’aggrave tous les jours et ça me fait du souci chaque<br />
seconde. Toutes les personnes qui sont tuées dans un<br />
attentat ou qui meurent à la guerre pourraient être mes<br />
amis, ma famille ou mes proches <strong>–</strong> et je, moi-même,<br />
pourrais être à leur place … Parler de ce que les femmes<br />
et les enfants dans le monde ont vécu: moi, je ne peux<br />
plus supporter ces pensées. Je suis trop faible pour ça.<br />
En plus, j’ai reçu une lettre du bureau d’aide sociale dans<br />
laquelle on me prie de demander une bourse d’études<br />
pour l’école. Le problème est que j’ai besoin d’un permis<br />
de séjour pour avoir le droit de demander cette bourse. J’ai<br />
demandé le permis de séjour il y a deux ans, mais, jusqu’ici<br />
<strong>–</strong> aucune réaction. Si on n’accorde pas le permis de séjour,<br />
on va désapprouver évidemment la demande de bourse.<br />
Mes copains, Gisela et Olaf, s’en occupent, quand même,<br />
j’ai très peur. Mon frère a obtenu son permis de séjour il y<br />
a trois mois. Je me suis beaucoup réjouie pour lui.<br />
Ce qui me donne toute la joie et toute la force, ce sont<br />
les gens très sympas qui m’accompagnent et ce sont les<br />
possibilités que j’ai en Allemagne: la bourse de la fondation<br />
START, les expériences des trois années passées. C‘est<br />
une forte motivation pour poursuivre mes projets d’avenir.<br />
Pour être honnête, il y a deux ans et demi, j’étais très<br />
déçue et, en plus, j’étais fatiguée des hommes et du monde.<br />
Le chemin emprunté pour la fuite et mes expériences,<br />
que j’ai vécues, étaient la raison pour laquelle j’étais fatiguée<br />
et en même temps déçue. Et il y a d’autres raisons<br />
pour cet état d’âme: mon pays natal, les gens qui vivent<br />
là-bas, la politique, les hommes politiques, l’injustice, la<br />
guerre, la violence, tout simplement être un enfant réfugié,<br />
être nouvelle, grandir avec un père absent …<br />
Seit ich geboren bin, war ich in einem fremden Land.<br />
Ich habe mich immer schlecht gefühlt, weil ich fremd<br />
war oder weil ich eine andere Religion hatte. <strong>Das</strong> stimmt<br />
aber gar nicht. WIR kommen alle aus einem Land. <strong>Das</strong><br />
Land heißt unsere WELT!<br />
Ich verstehe nicht, warum wir immer noch fragen: Woher<br />
kommt jemand? Welche Nationalität hast du? Wenn<br />
ich jemanden frage, sind meine Augen afghanisch? Oder<br />
meine Hände? Meine Haare vielleicht?!? Hat jemand<br />
Depuis que je suis née, je vivais dans un pays étranger.<br />
Je me toujours sentais mal ou bien parce que j’étais une<br />
étrangère ou parce que j’appartenais à une autre religion.<br />
Mais ce n’est pas vrai. NOUS venons tous d’un seul<br />
pays. Ce pays s’appelle notre «monde».<br />
Je ne comprends pas pourquoi nous posons toujours les<br />
mêmes questions: Tu viens d’où? Quelle est ta nationalité?<br />
Quand je demande à quelqu’un: «Mes yeux sont-ils<br />
afghans? Ou mes mains? Mes cheveux peut-être?» Qui<br />
6 <strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. LiesWAT! Autoren Forum www.<strong>here</strong>-in-bochum.de
auf diese Fragen eine Antwort? NEIN! Natürlich nicht!!!<br />
Weil <strong>–</strong> wie wir selber auch wissen <strong>–</strong> sind alle gleich, nur<br />
mit unterschiedlichen Meinungen, Hautfarben, Religionen<br />
und Kulturen. Die sollen und dürfen keine Mauer<br />
zwischen uns Menschen sein!<br />
Als ich 15 Jahre alt war, musste stark ich wie eine 25-jährige<br />
Frau sein. Und das war nicht alles. Ja, ich habe sehr<br />
vieles mit 18 Jahren hinter mir. Vor zwei Jahren habe<br />
ich in Deutschland Menschen kennengelernt, von denen<br />
ich sagen könnte: Doch, es gibt die Menschen, die<br />
andere Menschen verstehen. Die Menschen, die für andere<br />
da sind, die für Verbesserung unserer Welt da sind,<br />
die auch mich verstehen können und meine Freunde<br />
sein können. Diese tollen Menschen hat mir Deutschland<br />
geschenkt.<br />
Alles in Deutschland hat mich selbstbewusster, stärker<br />
und einfach zu einer anderen Arezoo gemacht. Ich bin<br />
froh, dass ich das Ganze in den letzten drei Jahren erleben<br />
durfte. Dazu gehört auch mein Fluchtweg! Ich darf<br />
auch nicht vergessen, dass ich vor drei Jahren genau zu<br />
dieser Zeit auf dem Weg war, nicht so weit zum Sterben…<br />
Aber wie die Deutschen sagen: Was mich nicht<br />
umbringt, macht mich stärker. Deswegen bin ich froh<br />
und dankbar und werde es immer sein.<br />
Deutschland ist für mich nicht nur ein Land, sondern<br />
mein drittes Heimatland. Mein erstes ist das natürliche<br />
Herz Asiens: Afghanistan, das ich noch nicht gesehen<br />
habe. Und das zweite ist das, wo ich geboren bin und<br />
mich nie wohl gefühlt habe: der wunderschöne Iran.<br />
Iran heißt für mich meine Kindheit. Meine guten und<br />
schlechten Zeiten sind im Iran gewesen.<br />
Und das dritte ist, wie gesagt Deutschland: mit vielen<br />
netten Menschen, ein Papierland, eine schöne Landschaft,<br />
wo ich mich nach ein paar Monaten ohne Aufenthaltsgenehmigung<br />
wohlgefühlt habe. Wo ich meinen<br />
lieben Paten kennenlernen durfte, tolle Freunde<br />
wie Vera, Gisela und noch sehr viele mehr. Deutschland<br />
heißt für mich, Freunde vermissen, Heimat verlassen,<br />
sprachlos sein. Aber auch neue Freunde finden, neue<br />
Heimat, neue Sprache lernen.<br />
Viele Menschen oder viele Politiker sagen, dass die<br />
Flüchtlinge gedacht haben, dass Deutschland oder Europa<br />
das Paradies sind. Ich habe selber niemals so gedacht.<br />
Aber hier war ich stolz auf mich und habe mich<br />
wie ein starkes afghanisches Mädchen gefühlt, das zur<br />
Schule gehen kann ohne Angst. Ein Mensch, der bestimmte<br />
Rechte hat, egal woher er kommt.<br />
Zum Schluss möchte ich sagen, dass ich diese Tage und<br />
Jahre niemals vergessen werde. Irgendwann werde ich<br />
ein Buch über Hoffnung schreiben. Damit möchte ich<br />
vielen oder wenigen Menschen zeigen, dass man nie die<br />
Hoffnung verlieren darf. Ein Mensch kann vier Wochen<br />
überleben, ohne etwas zu essen, vier Tage ohne Flüssigkeit<br />
und bis zu vier Minuten ohne Sauerstoff <strong>–</strong> aber<br />
ohne Hoffnung zu haben, keine vier Sekunden.<br />
Übersetzung: Christian<br />
www.<strong>here</strong>-in-bochum.de<br />
pourrait répondre à ces questions? PERSONNE! Mais<br />
bien sur, on ne peut pas répondre!! Et la raison en est <strong>–</strong><br />
comme nous le savons évidemment <strong>–</strong> que nous sommes<br />
égaux. Nous avons seulement des opinions différentes,<br />
des couleurs de peau différentes, des religions et des<br />
cultures qui se diffèrent. Mais ces faits ne doivent pas<br />
être de barrières entre les hommes.<br />
Quand j’avais 15 ans, je devais être forte comme une<br />
femme de 25 ans. Mais ce n’était pas tout. Oui, j’ai vécu<br />
beaucoup de choses en tant qu’une femme de 18 ans.<br />
En Allemagne, j’ai fait la connaissance aux hommes il<br />
y a deux ans desquels je pourrais dire: Mais oui, il y a<br />
des hommes qui comprennent les problèmes d’autres<br />
hommes. Les hommes qui sont là pour les autres, qui<br />
sont là pour améliorer notre monde, qui veulent me<br />
comprendre et qui peuvent être mes amis. C’est l’Allemagne<br />
qui m’a donné ces hommes extras.<br />
En Allemagne, tout m’a rendu plus forte et je suis devenue<br />
une autre Arezoo. Je suis contente d’avoir eu<br />
l’opportunité de gagner ces expériences au cours des<br />
trois dernières années. Parmi ces choses je compte aussi<br />
le chemin emprunté pour la fuite. Et il ne faut pas oublier<br />
le temps, il y a exactement trois ans, où j’étais sur<br />
le point de mourir. Mais, comme le disent les Allemands:<br />
ce qui ne me tue pas me renforce. Pour cela, je suis et je<br />
serai toujours très contente et reconnaissante.<br />
Pour moi part, je considère l’Allemagne mon troisième<br />
pays natal. Le premier, c’est le cœur réel de l’Asie: l’Afghanistan<br />
que je n’ai jamais vu. Le deuxième, c’est le pays<br />
où je suis née mais où je ne me sentais jamais à l’aise:<br />
le superbe Iran. L’Iran, c’est mon enfance. J’ai passé de<br />
bonnes ainsi que de mauvaises temps en Iran.<br />
Et le troisième pays natal, comme j’ai déjà dit, c’est l’Allemagne:<br />
l’Allemagne où il y a beaucoup d’hommes gentils, où il<br />
y a un beau paysage que j’ai appris à aimer après quelques<br />
mois sans avoir un permis de séjour. C’est le pays où j’ai fait<br />
la connaissance de mon parrain et d’amies merveilleuses<br />
comme Vera, Gisela et beaucoup d’autres. Quand même,<br />
cher l’Allemagne, tu me fais penser aussi à quitter ma patrie,<br />
à être sans voix. Et quand je pense à l’Allemagne, mes<br />
amis me manquent. Mais ici, j’ai trouvé des nouveaux amis,<br />
j’ai appris une nouvelle langue, j’ai trouvé un refuge ici.<br />
Beaucoup d’hommes ou beaucoup d’hommes politiques<br />
disent que les réfugiés étaient convaincus que l’Allemagne<br />
ou l’Europe seront le paradis. Mais ici, j’étais fière de<br />
moi-même et je me sentais comme une fille afghane qui<br />
est très forte et qui peut aller à l’école sans avoir peur.<br />
Maintenant, je suis un être humain qui a certains droits,<br />
peu importe d’où vient cet être humain.<br />
Pour conclure, j’aimerais dire que je n’oublierai jamais<br />
ces jours et ces années. Un jour, je vais écrire un livre<br />
sur l’espoir. Avec ce livre, je veux montrer aux gens,<br />
quel que soit le nombre de personnes, qu’il ne faut jamais<br />
abandonner tout espoir. Un homme peut survivre<br />
quatre semaines sans manger, quatre jours sans boire et<br />
jusqu’à quatre minutes sans oxygène <strong>–</strong> mais sans espoir,<br />
il survit à peine quatre secondes.<br />
<strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. <strong>LiesWat</strong>! Autoren Forum<br />
Les│النصوص Textes│The Texts│Die Texte<br />
7
Les│القصائد Poèmes│The Poems│Die Gedichte<br />
Tiefe Gedanken in lyrischer Form<br />
Gabriele Franke verarbeitet ihre Gefühle in Gedichten<br />
خواطر عميقة عىل هيئة أشعار<br />
غابرييال فرانكه ترتجم مشاعرها بقصائد شعرية<br />
Übersetzung: Munir<br />
Belagerung Aleppo<br />
Schluckt sie hinunter<br />
eure mitfühlenden Reden,<br />
denn Worte riechen schlecht,<br />
wenn tatenlos dahingesagt.<br />
Den von üblem Geruch Getroffenen<br />
helfen auch eure Tränen nicht.<br />
Sie brauchen zwar Wasser -<br />
aber Trinkwasser.<br />
Eure Gebete, sicher ehrlich gemeint,<br />
machen nicht satt.<br />
Die Bevölkerung wird hungern,<br />
lechzt nach Brot.<br />
Behaltet euer Mitleid,<br />
schickt Medikamente,<br />
um ihre geschundenen,<br />
verletzten Körper zu flicken.<br />
Ihr Flehen und Bitten<br />
ist nicht zu überhören.<br />
Beeilt euch - !<br />
denn die Feuerpausen sind kurz.<br />
صندوق قديم<br />
مستهلك تم اقتطافه من القاممة<br />
إىل جانبك<br />
شعر اسود ملفف<br />
منكمش عند حائط البيت<br />
تشد الركبة اىل حد الذقن<br />
محاط من قبل ذراعيك الرفيعات<br />
خائف و لكن طالب<br />
عيناك الجميلتان<br />
ذو اللون البني الغامق<br />
انت هادىء<br />
ترتجف و قدميك<br />
متسختني عاريتني<br />
بنطالك مشقوق<br />
ال معطف يدفئك<br />
املارة يرمون ببعض<br />
النقود بصندوق الكرتون<br />
أبتلعوها ، أحاديث املواساة<br />
الكلامت تفوح برائحة سيئة<br />
اذا مل تتبع بافعال<br />
لن تساعدكم دموعكم املصابة بالرائحة<br />
الكريهة<br />
أجل يحتاجون املاء<br />
ولكن ماء الرشب<br />
أدعيتكم ، أكيد رصيحة القول<br />
ال تشبع<br />
الشعب سوف يكون يف مجاعة<br />
يتضورعىل قطعة خبز<br />
دعونا من شفقتكم<br />
ابعثوا الدواء ، لرتتية أجسامهم املمزقة<br />
طلباتهم و رصاخهم ال ميكن تجاهله<br />
ارسعوا<br />
الن الهدنات قصرية<br />
Ein alter Karton<br />
schäbig, aus dem Müll gefischt<br />
an deiner Seite<br />
Schwarz gelocktes Haar<br />
kauerst an der Hauswand<br />
ziehst die Knie bis zum Kinn<br />
von deinen dünnen Armen umschlungen<br />
verängstigt, doch bittend<br />
deine wunderschönen<br />
dunkelbraunen Augen<br />
Du bist ganz still<br />
Frierend deine nackten<br />
schmutzigen Füße<br />
deine Hose zerrissen<br />
kein Mantel, der dich wärmt<br />
Passanten werfen<br />
ein paar kleine Münzen<br />
in den Pappkarton<br />
Diese und weitere Gedichte von Gabriele Franke<br />
sind im Buch „Tango im Wind“ erschienen,<br />
Lorbeer-Verlag, 9,90 Euro<br />
8 <strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. LiesWAT! Autoren Forum www.<strong>here</strong>-in-bochum.de
يف كل مكان<br />
الحياة يف أوروبا<br />
كفقاعة صابونٍ ملونة متألقة<br />
غري أنها يف أي وقت<br />
من املمكن أن تنفجر برسعة .<br />
محاطةٌ بحروبٍ ال تعدّ وال تُحىص ،<br />
الثائرة ،<br />
غاضبة ،<br />
مساكن ،<br />
معامل ثقافية ،<br />
تدمري متعمّد ،<br />
قصف ،<br />
سحق ،<br />
إبادة ،<br />
هالك .<br />
تعذيب الناس ،<br />
تدنيس املقدسات ،<br />
معاملة سيئة ،<br />
مجازر .<br />
مثل املاشية املصابة بطاعون .<br />
ملاذا ؟<br />
ألنهم قيدوا حب الحرية ،<br />
و التعبري عن األفكار ،<br />
االنتامء إىل ثقافاتٍ أجنبية ،<br />
لون برشته املختلف ،<br />
انتهاكات ،<br />
ظلم ،<br />
أعامل وحشية ،<br />
ال ميكن أن تتوقف بعد اآلن .<br />
أولئك الذين ما زالوا عىل قيد الحياة ،<br />
يتم طردهم .<br />
يتم تهجري املاليني ،<br />
الجياع ، يقتتلون بعضهم مع بعض<br />
بال أمتعة<br />
كحياتهم العارية .<br />
يف رؤوسهم<br />
ذكرياتٌ ،<br />
أفكار ،<br />
مشاعر ،<br />
وهي كحملٍ ثقيلٍ ،<br />
إنها ال تُطاق تقريباً .<br />
وعىل املياه امللوثة بالدماء ،<br />
وعرب الشوارع امللطخة بالدماء ،<br />
مع قلوبٍ نازفة ،<br />
وأقدامٍ نازفة ،<br />
مضت بطريقها .<br />
ترسي ظاللهم ،<br />
عىل طول واجهاتٍ محطمة ،<br />
األحالم املفقودة .<br />
اليأس ،<br />
كامن<br />
خانع .<br />
ممتلكاتك<br />
وآمالك الجيدة<br />
وأمنياتك املتأججة .<br />
Rundum<br />
Übersetzung: Nour<br />
Leben in Europa,<br />
eine bunt schillernde Seifenblase,<br />
die jedoch jederzeit<br />
rasant schnell zerplatzen kann.<br />
Umgeben von unzähligen Kriegen,<br />
die toben,<br />
wüten,<br />
Wohnstätten,<br />
Kulturdenkmäler<br />
mutwillig zerstören,<br />
zerbomben,<br />
zermalmen,<br />
zerschmettern,<br />
vernichten.<br />
Menschen quälen,<br />
schänden,<br />
missbrauchen,<br />
niedermetzeln<br />
wie Vieh, das von einer Seuche befallen.<br />
Warum?<br />
Weil die Geknechteten ihre Freiheit lieben,<br />
Gedanken aussprechen,<br />
fremden Kulturen angehören,<br />
ihre Haut eine andere Farbe trägt,<br />
Verletzungen,<br />
Ungerechtigkeiten,<br />
Grausamkeiten<br />
nicht mehr ertragen können.<br />
Die, die überleben<br />
werden vertrieben.<br />
Millionen auf der Flucht.<br />
Hungrig schlagen sie sich durch,<br />
mit nichts im Gepäck<br />
als ihrem nackten Leben.<br />
In den Köpfen<br />
Erinnerungen,<br />
Gedanken,<br />
Gefühle,<br />
die so schwer wiegen,<br />
dass sie kaum auszuhalten sind.<br />
Über blutverschmutzte Gewässer,<br />
durch blutverschmierte Straßen,<br />
mit blutenden Herzen<br />
und blutenden Füßen<br />
führt sie ihr Weg.<br />
Ihre Schatten fließen<br />
entlang zertrümmerter Fassaden,<br />
verlorener Träume.<br />
Verzweifelt,<br />
still,<br />
geduckt.<br />
Ihr Hab und Gut -<br />
Hoffnung<br />
und brennende Wünsche.<br />
Les│القصائد Poèmes│The Poems│Die Gedichte<br />
www.<strong>here</strong>-in-bochum.de<br />
<strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. <strong>LiesWat</strong>! Autoren Forum<br />
9
LiesWAT!<br />
4. Autoren Forum<br />
Diese Autorinnen<br />
und Autoren<br />
waren dabei!<br />
Name<br />
Alter<br />
Herkunft<br />
Geburtsort<br />
Was gefällt Ihnen<br />
an <strong>Bochum</strong>-<br />
Wattenscheid<br />
besonders?<br />
Warum haben Sie<br />
sich entschieden<br />
bei LiesWAT!<br />
mitzumachen?<br />
Ehrhard Salewski<br />
82 Jahre<br />
Die Wurzeln meiner Familie findet<br />
man in Ostpreußen. Die Großeltern<br />
sind um das Jahr 1902 nach<br />
Wattenscheid gekommen und haben<br />
sich eine Existenz aufgebaut.<br />
Wattenscheid<br />
Der Erhalt vieler landwirtschaftlich genutzter Flächen,<br />
die das Stadtbild auflockern und dem Bürger<br />
viel Raum für sene Freizeitaktivitäten in der Natur<br />
bieten.<br />
Mit Astrid und Jochen Kern verbindet mich eine<br />
jahrzehnte währende Freundschaft. Mit meiner<br />
Geschichte möchte ich den Menschen, die sich in<br />
der heutigen Zeit auf Weg machen und ein neues<br />
Zuhause suchen, die Gewissheit geben, dass sich<br />
für ihre Probleme immer eine Lösung finden lässt.<br />
Wichtig ist, dass man sich in schweren Stunden<br />
nicht aufgibt und an der Lösung mitarbeitet. Die<br />
Hoffnung stirbt stets zuletzt.<br />
Name<br />
Alter<br />
Geburtsort<br />
Was gefällt Dir<br />
an <strong>Bochum</strong><br />
besonders?<br />
Lieblingsort<br />
Warum haben Sie<br />
sich entschieden<br />
bei LiesWAT!<br />
mitzumachen?<br />
Arezoo<br />
18 Jahre<br />
Ghom (auch Qom oder Kum) im Iran<br />
(allerdings besitzt Arezoo die afghanische Staatsbürgerschaft)<br />
Ich mag Großstädte, aber zu groß dürfen sie auch nicht sein. <strong>Bochum</strong>,<br />
ist genau richtig. Ich verbinde mit <strong>Bochum</strong> und Wattenscheid die vielen<br />
netten Menschen hier. An meinem dritten Tag in <strong>Bochum</strong> habe ich meinen<br />
Patenonkel kennengelernt. Er ist für mich mein Lehrer, mein Vater und mein Begleiter geworden.<br />
Meine beste Freundin lebt auch hier. Wenn jemand Wattenscheid sagt, denke ich sofort<br />
an diese Menschen.<br />
Ich bin am liebsten in der Universitätsbibliothek. Inmitten der vielen Bücher fühle ich mich<br />
wohl. Wenn ich mit der Schule fertig bin, will ich hier als Studierende sein <strong>–</strong> am liebsten eingeschrieben<br />
für das Jurastudium.<br />
durch Stipendium war ich an der Nordsee. Dann rief mich meine Sozialarbeiterin an und<br />
sagte mir, dass Menschen wie ich, ihre Geschichte erzählen sollen. eigentlich wollte ich das<br />
nicht. Aber dann dachte ich mir, dass andere aus meiner Geschichte lernen können, sie verstehen<br />
und darüber nachdenken <strong>–</strong> auch jüngere Menschen<br />
Name<br />
Alter<br />
Geburtsort<br />
Was gefällt Dir<br />
an <strong>Bochum</strong><br />
besonders?<br />
Lieblingsort<br />
Warum haben Sie<br />
sich entschieden<br />
bei LiesWAT!<br />
mitzumachen?<br />
Shirawan Rammo<br />
33 Jahre<br />
Tall Ommaia in Syrien<br />
Ich mag die Ruhe von <strong>Bochum</strong> und die Natur<br />
der Stadt. Die Menschen hier sind sehr nett.<br />
<strong>Bochum</strong> hat sehr viele schön Plätze! Aber ich finde den<br />
Kemnader See am besten.<br />
Ich lese und schreibe gern, vor allem Geschichten und<br />
kulturelle Informationen. Ich mag es Dinge in Bewegung<br />
zu bringen, besonders wenn sie etwas mit der<br />
Gesellschaft zu tun haben. Und ich mag persönliche<br />
Geschichten.<br />
10 <strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. LiesWAT! Autoren Forum www.<strong>here</strong>-in-bochum.de
Name<br />
Alter<br />
Geburtsort<br />
Was gefällt Dir<br />
an <strong>Bochum</strong><br />
besonders?<br />
Lieblingsorte<br />
Sieben Autorinnen und Autoren stellten ihre Texte bei 4. Autorenlesung<br />
von LiesWAT! vor. Fünf von ihnen haben ihre Texte<br />
für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt: Gabriele Franke<br />
(2.v.l), Shirawan Rammo (3.v.l.), Arezoo (Mitte), Nour Adhalkhadek<br />
(2.v.r.), Ehrhard Salewski (re.).<br />
Foto: <strong>here</strong><br />
Nour Abdalkhalek<br />
29 Jahre<br />
Ich komme aus Syrien und bin in<br />
Damaskus geboren<br />
<strong>Bochum</strong> ist eine schöne Stadt, nicht<br />
zu klein und nicht zu groß. Ich bin<br />
zufrieden hier, ich fühle mich wie<br />
früher in Damaskus. Die Leute sind<br />
sehr freundlich.<br />
Kemnader See , Botanischer Garten<br />
تسعة │ Auteurs Die Autoren│The Authors│Les<br />
Warum hast Du<br />
Dich entschieden<br />
bei LiesWAT!<br />
mitzumachen?<br />
Ich wollte immer neue Dinge ausprobieren.<br />
Ich habe diese Erfahrung<br />
gemacht und ich fühle mich wie ein<br />
anderer Mensch beim Vorlesen.<br />
Fotos: <strong>here</strong>, privat<br />
Name<br />
Alter<br />
Geburtsort<br />
Was gefällt Ihnen<br />
an <strong>Bochum</strong><br />
besonders?<br />
Lieblingsort<br />
Warum haben Sie<br />
sich entschieden<br />
bei LiesWAT!<br />
mitzumachen?<br />
Gabriele Franke<br />
60 Jahre<br />
Wattenscheid<br />
Die zentrale Lage im Ruhrgebiet. In kürzester Zeit bin ich in den<br />
Nachbarstädten Essen und Gelsenkirchen. Unser kulturelles Angebot<br />
im Ruhrgebiet ist unschlagbar und ich mache regen Gebrauch davon.<br />
Ich habe viele Lieblingsplätze. Es fängt an mit der Ruhr und dem botanischen<br />
Garten. Gerne fahre ich mit dem Rad über die Erzbahntrasse zur Jahrhunderthalle.<br />
Oft sehen wir uns die Stücke im Schauspielhaus an, dienstags sind wir<br />
regelmäßig im Bermuda Dreieck zum Kinotag <strong>–</strong> fast immer im Casablanca.<br />
Bücher <strong>–</strong> also Worte <strong>–</strong> sind mit das Wichtigste, was man seinen Kindern mit<br />
auf den Weg geben kann. Sie regen die Phantasie an, erweitern den Sprachschatz,<br />
helfen stark zu werden, fördern Verständnis und Kompromissbereitschaft.<br />
Bereiten Freude. Gerne würde ich Gedichte für Kinder zusammenstellen<br />
aber noch fehlen mir die Zeichnungen dazu.<br />
www.<strong>here</strong>-in-bochum.de<br />
<strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. <strong>LiesWat</strong>! Autoren Forum<br />
11
Les│النصوص Textes│The Texts│Die Texte<br />
<strong>Das</strong> lange Warten auf das Kriegsende<br />
Wattenscheider Ehrhard Salewski floh als Kind während<br />
des Zweiten Weltkriegs nach Süddeutschland<br />
The Long Wait for the End of War<br />
Ehrhard Salewski from Wattenscheid fled to southern<br />
Germany as a child during the Second World War<br />
Auch wenn dieser Abschnitt meiner Kindheit schon<br />
Jahrzehnte zurückliegt, so nimmt er immer wieder feste<br />
Konturen an, wenn ich mich im Schwarzwald-Baar-<br />
Kreis, in <strong>Für</strong>stenberg, aufhalte und mit den dort lebenden<br />
Menschen wieder zusammenkomme. Häufig werde<br />
ich von den Jüngeren gefragt, was mich vor fast siebzig<br />
Jahren in ihren Heimatort geführt und mich mit ihm vertraut<br />
gemacht hat. Der eigentliche Anlass, so wie ich ihn<br />
mit zunehmendem Alter verstanden habe, gibt ihnen<br />
stets große Rätsel auf, wenn sie nicht im Geschichtsunterricht<br />
davon gehört haben. Denn es waren die Wirren<br />
der Zeit, der 2. Weltkrieg mit seinen grausamen Ereignissen<br />
im Ruhrgebiet, die physischen und psychischen<br />
Belastungen der Bevölkerung durch den unablässigen<br />
nächtlichen Bombenhagel sowie die anhaltende Suche<br />
von Vätern und Müttern nach Plätzen, ihr eigenes Leben<br />
und das ihrer Kinder zu schützen.<br />
So bin ich in ihre schöne, damals lange vom Krieg unberührte<br />
Gegend gekommen. Noch heute muss ich meiner<br />
damaligen Pflegefamilie überaus dankbar sein, dass sie<br />
mich in ihr Haus aufgenommen und mir ihre <strong>Für</strong>sorge<br />
geschenkt hat. Es ist der Familie, die einem kleinen Bauernhof<br />
betrieb, sicher nicht leichtgefallen. Die Landwirtschaft<br />
auf steinigen, kargen Böden verlangte ihnen täglich<br />
harte Arbeit ab und für das ihnen anfangs fremde<br />
Stadtkind hatten sie nur wenig Zeit übrig. Allerdings war<br />
der schüchterne Umgang miteinander nicht von langer<br />
Dauer. Ich brachte mich geschickt in die Tagesarbeit ein<br />
und machte mich sichtbar nützlich. Ich bekam oft ihre<br />
Anerkennung zu spüren und gehörte bald zu ihrer Lebensgemeinschaft,<br />
die mir über Generationen hinweg<br />
bis heute erhalten geblieben ist.<br />
Meine heute fast leidenschaftliche Beziehung zum südlichen<br />
Schwarzwald geht also auf den Sommer 1941<br />
und auf die damals übliche Kinderlandverschickung zurück.<br />
Kurz zuvor in Wattenscheid eingeschult, sollte ich<br />
mich in den großen Ferien von einer Erkrankung im Vorschulalter<br />
im besagten Schwarzwalddorf erholen. Die<br />
Eltern konnten mich auf dieser Fahrt nicht begleiten. Nach<br />
sechs erlebnisreichen Wochen bin ich zum Ende der Ferien<br />
in das heimatliche Wattenscheid gesund zurückgekehrt. Ich<br />
glaubte damals, es sei ein Abschied von <strong>Für</strong>stenberg für immer.<br />
Es sollte alles anders kommen.<br />
Even though this period of my<br />
childhood has been decades<br />
ago, it keeps taking firm contours<br />
when I stay in the Black<br />
Forest-Baar district of <strong>Für</strong>stenberg<br />
and get back together with<br />
the people living t<strong>here</strong>. I am often<br />
asked by the younger ones what<br />
led me to their hometown almost<br />
seventy years ago and made me familiar<br />
with it. The real reason, as I understood<br />
it with increasing age,<br />
always puzzles them if they<br />
have not heard of it in history<br />
classes. For it was the turmoil<br />
of the time, the Second<br />
World War with its cruel<br />
events in the Ruhr area, the<br />
physical and psychological<br />
stress on the population<br />
caused by the incessant<br />
night-time bombing and<br />
the continuing search of<br />
fathers and mothers for<br />
places to protect their<br />
own lives and that of<br />
their children.<br />
That is how I came<br />
to their beautiful<br />
area, which was long<br />
unspoiled by war.<br />
Even today I must be<br />
extremely grateful to<br />
my foster family at<br />
that time for accepting<br />
me into their<br />
house and giving<br />
me their care. It<br />
was certainly not<br />
easy for the family<br />
who ran a<br />
small farm. Agriculture<br />
on stony, barren<br />
soils demanded hard<br />
14 <strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. LiesWAT! Autoren Forum www.<strong>here</strong>-in-bochum.de
Ein ordentlicher Unterricht für die Schulkinder in Westfalen<br />
war immer stärker in Frage gestellt, je öfter die britische<br />
Luftwaffe ab 1942 das Ruhrgebiet in das Fadenkreuz<br />
ihrer Bombenangriffe nahm. Es lagen viele wichtige<br />
Rüstungsbetriebe im Umfeld der Zechen und Hütten zwischen<br />
Duisburg und Dortmund. Es blieb also nicht<br />
aus, dass in Wattenscheid schon bei den ersten<br />
massiven Luftangriffen etliche Gebäude schwer<br />
beschädigt oder gar zerstört wurden. Auch unsere<br />
Wohnung nahm dabei erheblichen Schaden.<br />
Eine Brandbombe durchschlug vom Dach<br />
bis zum Untergeschoss alle Decken unseres<br />
Hauses. Zwangsläufig suchten meine Eltern<br />
jetzt immer häufiger mit mir und meinen Geschwistern<br />
Schutzräume in Kellern wie auch<br />
in Bunkern auf, um unsere heile Haut zu retten.<br />
Unter dem Druck, ihren Beruf ausüben<br />
zu müssen und dabei ihre Kinder in Sicherheit<br />
zu wissen, wandte sich meine Mutter erneut<br />
an meine ehemalige Pflegefamilie in <strong>Für</strong>stenberg.<br />
Sie stimmten dem zu, bis sich die Gefahrenlage<br />
im Ruhrgebiet entspannen würde. Erleichtert<br />
brachte meine Mutter im Juli 1942 uns<br />
Kinder schleunigst in den ungefährdeten Schwarzwald,<br />
um aber gleich wieder die Heimreise anzutreten.<br />
Ich habe schnell den Anschluss an meine<br />
Pflegefamilie aus dem Jahr zuvor gefunden,<br />
was meinem Bruder in der ganzen Zeit, die<br />
wir uns in <strong>Für</strong>stenberg aufhielten, nicht<br />
so recht gelang. Er vermisste Vater<br />
und Mutter sehr und konnte bei aller<br />
<strong>Für</strong>sorge der Ersatzeltern in seiner<br />
neuen Umgebung kein Gefühl der<br />
Geborgenheit entwickeln.<br />
www.<strong>here</strong>-in-bochum.de<br />
Unser schulisches Fortkommen<br />
machte keine Probleme. Wenige<br />
Tage nach unserer Ankunft wurden<br />
wir in den örtlichen Schulbetrieb<br />
aufgenommen und konnten<br />
trotz anfänglicher, dem schwäbischen<br />
Dialekt geschuldeten<br />
Sprachschwierigkeiten, in der<br />
Leistung sehr gut mithalten. Unsere<br />
Pflegeeltern nahmen dies<br />
wohlwollend auf. Der Umfang<br />
der Hausaufgaben der Kleinschule<br />
fiel zu unserer Freude,<br />
abgesehen von Strafarbeiten,<br />
immer sehr mäßig aus, weil es<br />
dem Dorflehrer bekannt war,<br />
dass die Kinder im landwirtschaftlichen<br />
Betrieb der Eltern<br />
ausgiebig helfen mussten.<br />
Die ersten zwei Jahre auf dem<br />
<strong>Für</strong>stenberg verliefen so in<br />
recht ruhigen Bahnen. Mit den<br />
Erwachsenen im Dorf hatte ich<br />
zwischenzeitlich enge Kontakte<br />
geknüpft, mein Bruder und ich<br />
waren für sie Rothmunds Kinder<br />
und ihre Kinder unsere Freunde. Ich<br />
work on a daily basis, and they had little time left for the<br />
foreign city child. However, the shy treatment of each<br />
other was not long lasting. I brought myself skilfully into<br />
the daily work and made myself noticeably useful. I often<br />
received their recognition and soon became part of their<br />
community, which I was able to preserve over generations<br />
until today.<br />
My almost passionate relationship with the southern<br />
Black Forest dates back to the summer of 1941 and<br />
to the Children Evacuation Programme <strong>–</strong> the so called<br />
“Kinderlandverschickung”. Having just started school in<br />
Wattenscheid, I was supposed to recover from an illness<br />
I had during my pre-school time in the very Black Forest<br />
village. The parents could not accompany me on this trip.<br />
After six exciting weeks, I returned to my home town of<br />
Wattenscheid at the end of my holidays. At that time,<br />
I thought it was a farewell to <strong>Für</strong>stenberg forever. Yet,<br />
things turned out differently.<br />
Ordinary lessons for school children in Westphalia were<br />
increasingly questioned the more often the British Air<br />
Force took the Ruhr area into the crosshairs of its bombing<br />
raids from 1942 onwards. T<strong>here</strong> were many important<br />
armaments factories near the collieries and smelters<br />
between Duisburg and Dortmund. In Wattenscheid, several<br />
buildings were badly damaged or even destroyed<br />
during the first massive air raids. Our flat also suffered<br />
considerable damage. A fire-bomb hit all the ceilings of<br />
our house from the roof to the basement. Inevitably, my<br />
parents went to shelters in cellars and bunkers with me<br />
and my siblings to save our skin. Under the pressure of<br />
having to work and at the same time to keep their children<br />
safe, my mother once again turned to my former<br />
foster family in <strong>Für</strong>stenberg. They agreed to this until the<br />
dangerous situation in the Ruhr area would ease. Relieved,<br />
my mother brought us children to the Black Forest in<br />
July 1942, but then immediately returned home. I quickly<br />
connected again with my foster family from the year<br />
before, which my brother did not quite succeed in the<br />
whole time we spent in <strong>Für</strong>stenberg. He missed father<br />
and mother very much and, with all the care of the foster<br />
parents, he could not develop a feeling of security in his<br />
new environment.<br />
Our progress in school did not cause any problems. A few<br />
days after our arrival, we were accepted into the local<br />
school system and, despite initial language difficulties<br />
due to the Swabian dialect, we were able to keep up very<br />
well. Our foster parents accepted this favourably. The extent<br />
of the school‘s homework was always very modest,<br />
apart from disciplinary extra homework, because the village<br />
teacher knew that the children had to help a lot on<br />
the parents‘ farm.<br />
The first two years on the <strong>Für</strong>stenberg ran fairly quietly.<br />
In the meantime, I had made close contacts with the<br />
adults in the village, my brother and I were Rothmund‘s<br />
children and their children our friends. I no longer thought<br />
of troublesome air raid alarms, the annoying engine noise<br />
of flying bomber squadrons and the nights I had spent<br />
dressed up in my bed at home to be able to leave the flat<br />
towards the bunker in case of an emergency.<br />
In the fall of 1944, World War II moved from France<br />
<strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. <strong>LiesWat</strong>! Autoren Forum<br />
Les│النصوص Textes│The Texts│Die Texte<br />
15
Les│النصوص Textes│The Texts│Die Texte<br />
dachte nicht mehr an lästige Fliegeralarme, an das nervige<br />
Motorengeräusch überfliegender Bomberstaffeln und an<br />
Nächte, die ich zuhause angekleidet in meinem Bett zugebracht<br />
hatte, um im Ernstfall gleich die Wohnung in Richtung<br />
Bunker verlassen zu können.<br />
Im Herbst 1944 bewegte sich der 2. Weltkrieg mit den Alliierten<br />
von Frankreich aus auf Deutschland zu. Die französische<br />
Armee bereitete die Invasion Süddeutschlands mit<br />
ihren Truppen vor. Dabei geriet die Landbevölkerung immer<br />
mehr in ihr Fadenkreuz. Im Frühjahr 1945 bestimmten die<br />
Nachrichten von der herannahenden Front das Gemeingeschehen<br />
im Dorf. In der selben Zeit besetzten kleinere<br />
Kampfgruppen der deutschen Wehrmacht die geografisch<br />
an einem Berghang günstig gelegene Ortschaft und richteten<br />
sich auf ihre Verteidigung in den umliegenden Wäldern<br />
ein. Es wurden Schützengräben an Stellen ausgehoben, die<br />
zur Beobachtung des Umlandes besonders geeignet waren.<br />
Die kleinen mitgeführten Handfeuerwaffen - Maschinengewehre<br />
und Panzerfäuste - erhielten eine gründliche<br />
Tarnung. In einzelnen hausnahen Gärten wurden von den<br />
Bewohnern zum Personenschutz kleine Erdbunker angelegt.<br />
Im April befindet sich die gesamte Dorfbevölkerung<br />
in einer hochsensiblen Belagerungsstimmung. Kostbare<br />
Habseligkeiten vergraben meine Pflegeeltern in der Nähe<br />
des Hühnerstalls. Im Keller des Hauses schaffen sie Möglichkeiten,<br />
wichtige Grundbedürfnisse des täglichen Lebens<br />
zu befriedigen. Die oberen Wohnräume stehen leer. Einzig<br />
um das Vieh zu versorgen, verlassen die Menschen in den<br />
letzten Kriegstagen die Kellerräume. Schule findet nicht<br />
mehr statt. Wir Kinder hocken meistens zwischen Rüben<br />
und Kartoffeln und warten auf ein Monster, welches, wie<br />
man uns suggerierte, unser Leben erheblich verändern wird.<br />
Der Krieg sieht also doch anders aus, als wir Kinder ihn an<br />
Winterabenden mit Zinnsoldaten in der warmen Stube im<br />
Spiel inszeniert haben.<br />
In den ersten Maitagen bekommen wir den Lindwurm<br />
zu Gesicht. Aus einem unserer Kellerfenster können wir<br />
recht gut die Straße übersehen, die von der Kreisstraße<br />
in unseren Wohnort führt. Ein großer Fahrzeugtross mit<br />
zwei leichten Panzern an der Spitze nähert sich dem Dorf.<br />
In die umliegenden Wälder werden viele Granatsalven<br />
aus den Geschützen der Panzer abgefeuert. Eine eilig aus<br />
Landmaschinen errichtete Panzersperre bedeutet für sie<br />
kein Hindernis. Sie wird niedergewalzt. Auch seitens der<br />
deutschen Wehrmacht hat es für die feindlichen Einheiten<br />
kaum Widerstand gegeben. Am Ortseingang erwartete<br />
sie der Bürgermeister, der direkt neben dran seinen Bauernhof<br />
unterhält, mit einer weißen Fahne, um den Franzosen<br />
die friedliche Übergabe der Ortschaft zu signalisieren.<br />
Um nicht in einen Hinterhalt zu geraten, wird von ihnen<br />
jedoch jedes einzelne Haus akribisch nach möglichen Widerstandskämpfern<br />
durchsucht. Dazu hatten sich etliche<br />
bewaffnete Fuß-trupps im Dorf auf den Weg gemacht. Sie<br />
nahmen sich auch unser Haus vor. Die Erwachsenen mit<br />
den Kindern mussten lange im Keller, von einem Soldaten<br />
bewacht, ausharren, bis das Haus freigegeben war und<br />
wir in die oberen Wohnräume zurückkehren durften. Es<br />
machte sich eine bedrückte Stimmung breit, als wir beim<br />
Abendessen zusammensaßen. Im Gespräch wurde immer<br />
wieder die Frage gestellt, welche Einschränkungen wir im<br />
Leben in der nächsten Zeit wohl hinnehmen müssen.<br />
towards Germany with the Allies. The French army prepared<br />
the invasion of southern Germany with their troops<br />
and the rural population was increasingly caught in<br />
the crosshairs. In the spring of 1945 the news from the<br />
approaching front determined the public events in the<br />
village. At the same time, smaller German armed forces<br />
occupied the town, which was geographically located on<br />
a mountain slope, and prepared to defend it in the surrounding<br />
forests. Trenches were dug in places that were<br />
Ehrhard Salewski (Mitte) mit seinem Bruder und seiner „Pflegemutter“<br />
auf dem Hof in Süddeutschland. Foto: privat<br />
particularly suitable for observing the surrounding countryside.<br />
Small handguns <strong>–</strong> machine guns and bazookas<br />
<strong>–</strong> were given a thorough camouflage. In some gardens<br />
close to houses, small bunkers were built by the residents<br />
for personal protection. In April, the entire village population<br />
is in a highly sensitive state of siege. My foster<br />
parents bury valuable belongings near the henhouse. In<br />
the basement of the house they create facilities to satisfy<br />
important basic needs of daily life. The upper living<br />
rooms are empty. Only to feed the cattle, people leave<br />
the cellars during the last days of war. School no longer<br />
takes place. We children usually sit between turnips and<br />
potatoes and wait for a monster that, as we were suggested,<br />
will change our lives. War in fact looked differently<br />
as when we children staged it in games on winter evenings<br />
with tin soldiers in the warm living room.<br />
In the first days of May we get to see the lindworm.<br />
From one of our cellar windows we can overlook the<br />
street that leads from the county road to our town.<br />
A large vehicle trough with two light tanks at the top<br />
approaches the village. Many grenade salves are fired<br />
from the tanks into the surrounding forests. A tank barrier<br />
quickly erected from agricultural machinery is no<br />
obstacle for them. It is being rolled down. On part of<br />
the German Wehrmacht t<strong>here</strong> was hardly any resistance<br />
against the enemy units. At the entrance to the<br />
village, the mayor, who runs his farm right next to it,<br />
awaited them with a white flag to signal the peaceful<br />
handover of the village to the French. In order not to<br />
be ambushed, however, they meticulously search every<br />
single house for possible resistance fighters. Several<br />
armed troops patrolled the village. They searched our<br />
house too. The adults with the children had to wait for<br />
a long time in the basement, guarded by a soldier, until<br />
the house was cleared, and we were allowed to return<br />
to the upper living quarters. T<strong>here</strong> was a depressed<br />
mood when we were sitting together for dinner. In the<br />
conversation, the question was asked again and again<br />
16 <strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. LiesWAT! Autoren Forum www.<strong>here</strong>-in-bochum.de
In den ersten Wochen nach der deutschen Kapitulation war<br />
der Bewegungsraum für alle Bewohner der Ortschaft stark<br />
eingeschränkt. Die Feldarbeit konnte später wieder ungehindert<br />
aufgenommen werden und meine Freunde und ich<br />
durften an unsere alten Spielplätze in den Waldrandlagen<br />
zurück. Mit Vergnügen entzogen wir uns dort der Aufsicht<br />
der Erwachsenen und trieben dort so manchen jugendlichen<br />
Unfug. Bei den Jagdspielen im Unterholz fanden wir<br />
etliche Munitionsreste, die die deutsche Wehrmacht auf der<br />
Flucht zurückgelassen hatte. Die älteren Jugendlichen, die<br />
während ihrer Zugehörigkeit zur Hitlerjugend den Umgang<br />
mit Handgranaten und Panzerfäusten bereits geübt hatten,<br />
machten unsere Funde zu einem gefährlichen Spielzeug.<br />
Am 06. November erlebte ich, als ich vom Austrieb kommend<br />
die Tiere im Stall hatte, eine große Überraschung. Im<br />
Hauseingang erwartete mich meine Mutter. Sie hatte die<br />
beschwerliche Reise mit der Eisenbahn durch die drei von<br />
den Engländern, Amerikanern und Franzosen militärisch<br />
verwalteten Zonen unternommen, ohne eine Reisegenehmigung<br />
eingeholt zu haben. Die Berufskleidung des Deutschen<br />
Roten Kreuzes, die sie auf der Fahrt trug, muss ihr<br />
geholfen haben, mehrere Kontrollen unbeschadet zu überstehen.<br />
Der Abschied von meiner Pflegefamilie fiel mir nicht leicht.<br />
Nach dem Tod meines Pflegevaters einige Wochen zuvor<br />
war ich, wenn auch erst zehnjährig, in die Rolle des „Jungbauern”<br />
geschlüpft und hatte von den Frauen im Haus eine<br />
Menge Verantwortlichkeiten übertragen bekommen. Wir<br />
trennten uns alle nur schweren Herzens. Auf der Fahrt nach<br />
Wattenscheid bekam ich einen Eindruck davon, wie wohl<br />
aufgehoben ich doch während des Krieges in <strong>Für</strong>stenberg<br />
gelebt habe. Immer wieder kurze Verbindungen zusammenstellend<br />
- Fernzüge gab es nicht - fuhren wir eine Galerie<br />
zerstörter Großstädte ab (Karlsruhe, Bruchsal, Mannheim,<br />
Ludwigshafen, Darmstadt), mussten Ausweichbahnsteige<br />
anfahren, verpassten Anschlüsse, weil defektes Gleismaterial<br />
zu Verspätungen führte, übernachteten auf Bahnhofsbänken,<br />
wurden von der Bahnhofsmission versorgt und mussten<br />
über Nebenstrecken umgeleitet werden, wenn wieder<br />
einmal eine Brücke auf einer Hauptstrecke, im Bombenhagel<br />
geborsten, darnieder lag. Bis nach Frankfurt in normalen,<br />
wenn auch überfüllten Personenzügen gekommen, blieb<br />
uns das Schicksal nicht erspart, auf dem letzten Teilstück<br />
in einen offenen Waggon eines Güterzuges umzusteigen.<br />
Er brachte uns über Siegen nach Hagen. Völlig durchnässt<br />
kamen wir der Heimat immer näher, denn ein Dauerregen<br />
begleitete uns auf der Nachtfahrt durch das Sauerland. In<br />
Hagen-Vorhalle gab es erst einmal wieder eine längere Wartezeit,<br />
bis es feststand, dass wir über Witten und <strong>Bochum</strong><br />
endlich nach Hause finden.<br />
So sollte es sein. Es ist nicht denkbar, was aus unserer Heimkehr<br />
geworden wäre, wenn meine Mutter in Offenburg den<br />
anfahrenden Zug, in einem überfüllten Abteil saßen ihre Kinder,<br />
nicht im letzten Augenblick mit fremder Hilfe noch hätte<br />
besteigen können. Übermüdet aber glücklich standen wir<br />
nach dreieinhalb Tagen auf der Schiene vor einer uns unbekannten<br />
Haustür, die in ein neues Leben führen sollte. Hier<br />
wohnte seit zwei Jahren meine Familie, weil der Bombenkrieg<br />
das alte Zuhause in Schutt und Asche gelegt hat. Auch<br />
mein Bruder und ich haben uns hier bald heimisch gefühlt.<br />
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what restrictions we would have to accept in life in the<br />
near future.<br />
In the first weeks after the German surrender, free movement<br />
was severely restricted for all inhabitants of the<br />
village. The fieldwork could be resumed later again without<br />
hindrance and my friends and I were allowed to<br />
return to our old playgrounds on the edge of the forest. It<br />
was with great pleasure that we escaped the supervision<br />
of the adults and did some juvenile mischief t<strong>here</strong>. During<br />
the hunting games in the undergrowth we found a lot of<br />
ammunition left behind by the German Wehrmacht. The<br />
older youths, who had already practiced the handling of<br />
hand grenades and bazookas during their membership of<br />
the Hitler Youth, made our discoveries a dangerous toy.<br />
On November 6th, when I led the animals in the barn<br />
coming from the pastures, I experienced a big surprise.<br />
My mother was waiting for me at the front door. She<br />
had undergone the arduous journey by rail through the<br />
three military zones managed by the British, Americans<br />
and French without obtaining a travel permit. The work<br />
clothes of the German Red Cross, which she wore on<br />
her trip, must have helped her to pass the several checkpoints<br />
without difficulties.<br />
Saying goodbye to my foster family was not easy for me.<br />
After the death of my foster father a few weeks earlier, I<br />
had slipped into the role of a “young farmer”, albeit only<br />
ten years old, and had been given a lot of responsibilities<br />
by the women of the house. We all parted with a heavy<br />
heart. On the trip to Wattenscheid I got an impression<br />
of how safely I had lived in <strong>Für</strong>stenberg during the war.<br />
Putting together a lot of short train connections <strong>–</strong> t<strong>here</strong><br />
were no long-distance trains <strong>–</strong> we passed by a gallery of<br />
destroyed cities (Karlsruhe, Bruchsal, Mannheim, Ludwigshafen,<br />
Darmstadt), had to use alternative platforms,<br />
missed connections, because defective track material<br />
led to delays, stayed overnight on train station benches,<br />
were supplied by the station mission and had to be diverted<br />
via secondary routes, if a bridge was destroyed on the<br />
main rout by hail of bombs. When we reached Frankfurt<br />
in normal, albeit overcrowded passenger trains, we were<br />
not spared the fate of changing to an open wagon of a<br />
freight train on the last section. He brought us via Siegen<br />
to Hagen. Completely drenched we came closer and<br />
closer to our home, because a continuous rain accompanied<br />
us on the night journey through the Sauerland. In<br />
Hagen-Vorhalle t<strong>here</strong> was again a longer waiting period<br />
until it was clear that we would make our way home via<br />
Witten and <strong>Bochum</strong>.<br />
That was the way it should be. I cannot imagine what<br />
would have become of our return, if my mother had not<br />
boarded the train in Offenburg at the last moment with<br />
the help of others, her children already sitting in an overcrowded<br />
compartment. After three and a half days we<br />
stood, tired but happy, on the track in front of an unknown<br />
doorstep leading into a new life. In this place my<br />
family had been living for the past two years because the<br />
air raids had wrecked the old home. Soon my brother and<br />
I felt at home <strong>here</strong>, too.<br />
Übersetzung: Mareike<br />
<strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. <strong>LiesWat</strong>! Autoren Forum<br />
Les│النصوص Textes│The Texts│Die Texte<br />
17
Les│النصوص Textes│The Texts│Die Texte<br />
Fünf Versuche mit dem Boot über<br />
das Mittelmeer zu kommen<br />
Nour Abdalkhalek ist alleinerziehend und mit<br />
ihren beiden Kindern aus Syrien geflohen<br />
خمسة محاوالت لعبور مياه البحر األبيض املتوسط<br />
نور عبد الخالق األم املعيلة التي أجربت عىل مغادرة وطنها مع طفليها<br />
Ich heiße Nour, bin 29 Jahre alt und komme aus Syrien.<br />
Ende 2015 bin ich nach Deutschland gekommen<br />
und lebe seit März letzten Jahres in <strong>Bochum</strong>. Ich bin<br />
geschieden und habe zwei Kinder. Als alleinerziehende<br />
Mutter hatte ich viele Schwierigkeiten in Syrien. Damit<br />
meine Kinder in Sicherheit aufwachsen können, war ich<br />
gezwungen, meine Heimat zu verlassen.<br />
اسمي نور ، عمري تسعة وعرشين عاماً ، أتيت من سوريا ، وصلت اىل أملانيا يف نهاية 2015<br />
وانتقلت للعيش يف مدينة بوخوم منذ بداية اذار العام املايض ، منفصلة عن زوجي ولدي طفالن ،<br />
عانيت الكثري من املصاعب يف سوريا ولهذا أجربت عىل مغادرة وطني باحثةً عن جو امن يرتعرع<br />
فيه طفالي<br />
<strong>Das</strong> war gefährlich mit zwei Kindern. Bei uns in Syrien<br />
spricht man von der „Todesroute“ (wörtlich übersetzt<br />
„Todesreise“), wenn sich Geflüchtete auf den Weg nach<br />
Europa machen. Überall kann man sterben: auf dem<br />
Meer, in den Bergen, auf der Ladefläche eines Lasters.<br />
Ich wusste das, aber ich hatte keine Wahl.<br />
Meine Tochter war damals fünf Jahre alt, mein Sohn sieben.<br />
Unser erstes Ziel war die Türkei, um von da aus nach<br />
Deutschland zu kommen. Ich wollte dorthin fliegen, aber<br />
es gab keine Flugverbindungen von Syrien aus aufgrund<br />
eines Finanzembargos. Deshalb sind wir mit dem Auto<br />
zuerst in den Libanon gefahren, dann weiter nach Izmir<br />
Nour mit ihrem neunjährigen Sohn Ibraheem und ihrer siebenjährigen<br />
Tochter Jolyana.<br />
18 <strong>here</strong> <strong>–</strong> <strong>Sonderausgabe</strong> 4. LiesWAT! Autoren Forum www.<strong>here</strong>-in-bochum.de
in die Türkei geflogen. Es war schwierig dort, weil ich kein<br />
türkisch spreche und nur wenige Türken dort englisch.<br />
<strong>Von</strong> Izmir aus wollten wir mit dem Boot weiter nach<br />
Griechenland. Dreimal haben wir es versucht. Beim ersten<br />
Mal ist das Boot untergegangen, weil ein Loch darin<br />
war. Mein Sohn konnte schon schwimmen, meine Tochter<br />
nicht. Aber dank der Schwimmwesten ging alles gut.<br />
Beim zweiten Mal hat uns die türkische Polizei am Strand<br />
festgenommen. Alle <strong>Geflüchteten</strong> mussten ein Papier<br />
unterschreiben, dass sie nicht noch einmal versuchen<br />
würden, die Türkei zu verlassen. Diejenigen, die sich<br />
weigerten, dass Papier zu unterschreiben, wurden in ein<br />
Flüchtlingscamp abgeschoben. Ich habe das zwar unterschrieben,<br />
aber ich wollte unbedingt nach Deutschland.<br />
Beim dritten Mal mussten wir uns lange ohne Essen in<br />
den Bergen verstecken und auch dort schlafen, weil die<br />
Polizei das Boot beschlagnahmte und wir auf ein anderes<br />
16 Stunden warten mussten. <strong>Das</strong> Essen für meine<br />
Kinder ging mir dabei aus und ich beschloß nach Istanbul<br />
zu fahren um von dort aus mein Glück zu versuchen.<br />
Beim vierten Versuch, mit dem Boot über das Mittelmeer<br />
zu kommen, waren wir schon drei Stunden auf dem Meer,<br />
als plötzlich der Bootsmotor ausfiel. Wir trieben zwei<br />
Stunden lang auf dem Meer, als zufällig ein türkisches Fischerboot<br />
vorbeikam und uns in die Türkei zurückbrachte.<br />
Beim fünften Mal haben wir es dann geschafft Griechenland<br />
zu erreichen. <strong>Von</strong> dort aus haben wir versucht, irgendwie<br />
einen Weg nach Deutschland zu finden. Erst sind wir<br />
mit dem Bus nach Mazedonien gefahren, dann mit dem<br />
Zug nach Serbien. <strong>Von</strong> dort sind wir gelaufen: von Serbien<br />
nach Kroatien, von Kroatien nach Ungarn, von Ungarn<br />
nach Österreich, von Österreich nach Deutschland. Unser<br />
Weg von Syrien nach Deutschland hat insgesamt 17 Tage<br />
gedauert. Ich habe nächtelang nicht geschlafen, weil ich<br />
Angst um meine Kinder hatte. In Österreich und Deutschland<br />
sind wir zum ersten Mal nett behandelt worden und<br />
meine Kinder mussten keine Angst vor der Polizei haben.<br />
لقد كان من الخطري االبحار مع طفلني يف رحلة املوت " كام نسميها نحن يف سوريا " ، عندما<br />
تغادر وطنك وتسلك ذاك الطريق اىل أوروبا و أنت عىل دراية أنه من املمكن أن تلقى حتفك يف<br />
أي مكان ، رمبا يف البحر أو يف الجبال أو يف شاحنات النقل ، نعم كنت أعي ذلك لكن مل يكن لدي<br />
خيار اخر .<br />
ابنتي كانت يف الخامسة من عمرها وابني يف السابعة ، هدفنا االول كان تركيا ، ومن هناك كنت<br />
سابحث عن وسيلة للوصول اىل املانيا<br />
أردت أن أسافر اىل تركيا بالطائرة لكن ذلك مل يكن ممكنا ، ال يوجد رحالت جوية من دمشق<br />
اىل تركيا بسبب العقوبات االقتصادية املفروضة عىل سوريا ، لذلك توجب علينا السفر اىل لبنان<br />
بواسطة سيارة ، ومن هناك سافرنا عىل منت طائرة اىل ازمري ، يف ازمري عانيت الكثري من الصعاب<br />
ألين ال أجيد التحدث باللغة الرتكية ، و القليل من األتراك يتحدثون االنكليزية ، من ازمري اردنا<br />
االبحار عىل منت بامل اىل اليونان ، وقد كان يل هناك ثالثة محاوالت ..<br />
يف املحاولة األوىل غرقنا الن البامل كان مثقوب ، كان ابني يجيد السباحة لكن ابنتي ال تجيدها<br />
، لكن حمدا لله فمع طوق النجاة سارت األمور عىل ما يرام ، يف املحاولة الثانية قامت الرشطة<br />
الرتكية بالقبض علينا أثناء تواجدنا عىل الشاطئ يف نقطة التهريب ، وتوجب علينا جميعا أن<br />
نوقع عىل ورقة نتعهد فيها بعدم محاولة ركوب البحر مرة أخرى ، وبدون هذا التوقيع مل يكونوا<br />
ليطلقوا رساحنا ، واال فسوف يتم ترحيلنا اىل مخيم لالجئني يف تركيا ، ولقد قمت مجربة بتوقيع<br />
هذه الورقة ، لكن هذا مل يثني عزميتي عن مواصلة طريقي اىل املانيا.<br />
محاولتي الثالثة كانت األصعب ، فقد توجب علينا االختباء يف الجبال القريبة من الشاطئ<br />
واالنتظار و النوم يف العراء ، ألن الرشطة داهمت املكان من جديد وهذه املرة احتجزت البامل ،<br />
واضطررنا اىل انتظار املهرب ست عرشة ساعة ليحرض بامل جديد ، ومل يتبق معي يومها اي طعام<br />
الطفايل ، بعدها قررت الذهاب اىل اسطنبول عىس أن يكون هناك حظي أفضل يف ايجاد طريقة<br />
ما للوصول اىل اليونان .<br />
يف محاولتي الرابعة الجتياز مياه البحر األبيض املتوسط وبعد ثالث ساعات من االبحار توقف<br />
املحرك فجأة واضطررنا اىل االنتظار ساعتني يف عرض البحر ، ليأيت عن طريق الصدفة قارب صيد<br />
تريك ويعيدنا من جديد اىل تركيا ، ومتكنا يف املحاولة الخامسة واخريا من الوصول اىل اليونان .<br />
ومن هناك بدأت رحلة بحث جديدة ألجد طريقة ما للوصول اىل أملانيا ، لنتابع طريقنا بواسطة<br />
باص اىل مقدونيا ، ثم عىل منت قطار اىل رصبيا ، من رصبيا اىل كرواتيا ، من كرواتيا اىل املجر ، من<br />
املجر اىل النمسا ، من النمسا اىل أملانيا ، لقد استغرقت الرحلة 17 يوما ، مل أستطع النوم فيها ألين<br />
كنت أخىش أن يصاب أطفايل مبكروه ، يف النمسا و أملانيا تم التعامل معنا للمرة األوىل بلطف من<br />
قبل رجال الرشطة ، بعد أن كان أطفايل قد اعتادوا أن يصابوا بالذعر كلام رأوا رجال الرشطة ،<br />
وذلك عىل أثر كل ما عانيناه يف الطريق .<br />
سعيدة جدا و ممتنة لوجودي يف أملانيا ، أحب بوخوم أشعر فيها يف كثري من األحيان و كأين يف<br />
دمشق ، أطفايل أيضا يشعرون باألمان هنا ، ابنتي تذهب االن اىل الروضة ، و ابني يذهب اىل<br />
مدرسته ، وأنا أتعلم اللغة األملانية كل يوم لساعات طويلة .<br />
Les│النصوص Textes│The Texts│Die Texte<br />
Ich bin sehr glücklich und dankbar, dass ich in Deutschland<br />
bin. Ich lebe sehr gern in <strong>Bochum</strong>. Ich fühle mich<br />
hier so wohl wie früher in Damaskus. Meine Kinder sind<br />
hier sicher. Meine Tochter geht in den Kindergarten und<br />
mein Sohn in die Schule. Ich lerne jeden Tag viele Stunden<br />
deutsch und will so schnell wie möglich arbeiten.<br />
An der Universität Damaskus habe ich Anglistik studiert<br />
und in einem Übersetzungsbüro als Dolmetscherin gearbeitet.<br />
Hier in Deutschland möchte ich eine Ausbildung<br />
machen. Ich habe den Ehrgeiz, den Willen und das<br />
Selbstvertrauen, mir und meinen Kindern hier ein neues<br />
Leben aufzubauen.<br />
لقد كنت قد درست اللغة االنكليزية يف جامعة دمشق ، وقد عملت كمرتجمة يف مكتب للرتجمة<br />
املحلفة ، أود أن أتابع هنا تدريب مهني ، و أن أعمل يف أرسع وقت ممكن ، أملك الطموح و<br />
االرادة و الثقة بالنفس لبناء حياة جديدة ألطفايل .<br />
Lektorat: Bettina, Übersetzung: Nour<br />
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