BLICKWECHSEL 2018
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Zwischen Trauer und Triumph. Das Jahr 1918 und seine Folgen im östlichen Europa«
Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Zwischen Trauer und Triumph. Das Jahr 1918 und seine Folgen im östlichen Europa«
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Ausgabe 6<br />
<strong>2018</strong><br />
<strong>BLICKWECHSEL</strong><br />
MENSCHEN<br />
25<br />
eigentliche Heimatstadt ansah. Später sagte er: »Ich übersetze<br />
für mich weder von der einen noch in die andere Sprache,<br />
ich denke in beiden Sprachen. Und ich verstehe auch<br />
Jiddisch und Wasserpollakisch [sic!]« – mit dem Hinweis, dass<br />
er sich mit Papst Wojtyła, den er seit dessen Zeit als Erzbischof<br />
in Krakau/Kraków kannte, auch in letzterer Sprache<br />
unterhalten konnte. Wasserpolakisch ist eine Mischsprache<br />
aus polnischen, deutschen und tschechischen Elementen,<br />
die im Osten Mährens verstanden wird.<br />
Seine Universitätsstudien absolvierte Hugo Rokyta von<br />
1931 bis 1938 in Prag: an der tschechischen Karls-Universität<br />
Geschichte, Kunstgeschichte und Slawische Philologie, an<br />
der Deutschen Universität Germanistik und Volkskunde<br />
sowie an der Hochschule für Politik und Diplomatie Kuriale<br />
Geschichte und Politikwissenschaften. Eine diplomatische<br />
Karriere schien vorgezeichnet. Doch sein Engagement gegen<br />
das NS-Regime 1938 und 1939 zog eine KZ-Inhaftierung<br />
zuerst in Dachau und dann bis 1944 in Buchenwald nach<br />
sich. Auch seine Gattin war bis 1944 inhaftiert. 1952 wurde<br />
er mit der Dissertation Die Katharinenlegende im Volksglauben<br />
promoviert, obwohl bereits 1948 nach dem kommunistischen<br />
Putsch mit der daraus folgenden Schließung der<br />
Hochschule Studium Catholicum seine dortige Lehrtätigkeit<br />
abrupt geendet hatte.<br />
Für ihn und viele andere im Land begann 1948 die Zeit<br />
der kommunistischen Einengung, persönlichen Bespitzelung<br />
und Herabsetzung, die in verschiedenen Wellen, die<br />
Zeit des »Prager Frühlings« 1968 ausgenommen, eigentlich<br />
bis 1989 andauerte. Zuerst im Kunstverlag Orbis tätig,<br />
konnte Rokyta dennoch zwischen 1955 und 1981 am Prager<br />
Denkmalamt in wichtigen Belangen der Altstadterhaltung<br />
und Denkmalpflege sowie der kulturellen Erinnerungskultur<br />
in dem geistesgeschichtlich so reichen Herzland Europas<br />
segensreich wirken – trotz der alltäglichen Einflussnahme<br />
und Kontrolle durch das Regime und der heute unglaublichen<br />
Vernichtung von Dörfern, Stadtteilen, Friedhöfen,<br />
Kirchen, Kapellen und Schlössern bei gleichzeitiger touristisch-neutraler<br />
Vermarktung einiger »gepflegter«, aber enteigneter<br />
Kulturstätten. Die gegenseitige Aufrechnung von<br />
politischer Kollektivschuld hat er stets als Fehler betrachtet<br />
und erkannte hinter den bedrohten Monumenten der Kultur<br />
eine einst blühende menschliche Regsamkeit zum Wohl<br />
des ganzen Landes.<br />
Nur seine unerschütterliche, durch seinen christlichen<br />
Glauben gestärkte Hoffnung auf bessere Zeiten und die<br />
Gewissheit, dass dieser Raubbau durch den Kommunismus<br />
ein Ende haben würde, gaben ihm Kraft – und mit seinem<br />
unerschütterlichen Vorbild machte er anderen Mut,<br />
wie dem Autor dieses Beitrags, der Rokyta vor vierzig Jahren<br />
als Student in Salzburg kennenlernte. Trotz seiner nach<br />
außen kaum spürbaren verständlichen Trauer angesichts<br />
der durchlebten Barbarei konnte Rokyta Jung und Alt mit<br />
seinem eigentlich nie versiegenden Humor und Optimismus<br />
begeistern.<br />
Es war dem durchaus prophetischen Hugo Rokyta eine<br />
Genugtuung, als nach 1989 wieder Zeiten des Aufbaus und<br />
menschlich geordneten Miteinanders im europäischen Geist<br />
begannen. Durch die Verleihung der Ehrenbürgerschaft des<br />
kleinen Ortes Oberplan/Horní Planá in Südböhmen an ihn im<br />
Jahre 1995 erfuhr das »sanfte Gesetz« des von dort stammenden<br />
Dichters Adalbert Stifter – Rokyta konnte wie durch ein<br />
Wunder bereits im Jahr 1960 die Gedenkstätte im Geburtshaus<br />
Stifters einrichten – seine neuerliche Bestätigung.<br />
Erhard Koppensteiner<br />
Erhard Koppensteiner (l.) mit Hugo Rokyta, Salzburg 1996,<br />
© Erhard Koppensteiner<br />
Dr. Erhard Koppensteiner wurde 1952 in Linz (Oberösterreich) als<br />
Nachkomme von Familien aus Böhmen, Mähren und Schlesien<br />
geboren. Er studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und<br />
Philosophie an der Paris Lodron Universität Salzburg und war in<br />
der Wissenschaftsabteilung der Internationalen Stiftung Mozarteum<br />
Salzburg sowie am Salzburg Museum tätig. Als ehemaliger<br />
Student Hugo Rokytas wurde er dessen Bio- und Bibliograf. Seit<br />
<strong>2018</strong> im Ruhestand, publiziert er weiter zu kulturellen Themen.