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Raili Leuschner 2 Kopie

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-Montag, 18.15 Uhr-<br />

<strong>Raili</strong> <strong>Leuschner</strong><br />

Sprossen<br />

<strong>Raili</strong> <strong>Leuschner</strong> betritt die Bühne. Sie sieht sich suchend um und<br />

geht dann nach vorne in die Bühnenmitte. Ich schätze sie auf Mitte<br />

Zwanzig. Aufgeregt wirkt sie nicht, eher ein bisschen verunsichert.<br />

Ihre Bewegungen sind langsam, ohne jede sichtbare Muskelspannung.<br />

Entsprechend langsam beginnt sie zu reden: Während<br />

ihrer Erzählung sieht sie sich immer wieder nach den Stühlen um,<br />

kann sich aber nicht entscheiden sich hinzusetzen.<br />

Erst als sie anfängt von den Sprossen zu berichten, kommt ein<br />

wenig mehr Leben in sie. Sie macht einige vage Handgriffe während<br />

des Erzählens vor, die nun ihre Arbeit darstellen.<br />

<strong>Raili</strong>:<br />

Hm.


Judith:<br />

Ja, Sie können anfangen, <strong>Raili</strong>.<br />

<strong>Raili</strong>:<br />

Hm. Was soll ich …<br />

Judith:<br />

Vielleicht über ihren Beruf?<br />

<strong>Raili</strong>:<br />

Ja.<br />

Also einen Beruf habe ich nicht gelernt. Ich wollte schon.<br />

Ich habe eine Lehre angefangen als Rechtsanwalt- und<br />

Notarsgehilfin. Aber es lag mir nicht so. Also, immer drei<br />

Sachen gleichzeitig machen. Telefon, schreiben, Kaffee<br />

kochen. Alle wollen was von dir. Da gehst du kaputt.<br />

Dann habe ich so das ein oder andere ausprobiert. Aber<br />

immer was Neues suchen, das ist auch nervig, das ist nicht<br />

mein Ding.<br />

Den neuen Job hab ich ganz zufällig durch ein Inserat<br />

gefunden. Hm. Da wurden von einer Glückeburger Firma<br />

Mitarbeiter gesucht, die zuhause eine große Küche oder<br />

einen Wintergarten haben oder was Ähnliches.


Also, die machen solche Versuche. Mit Sprossen.<br />

Also, ich meine, ich mach jetzt diese Versuche für die, also<br />

für bio-psycho-dynamics, so heißen die.<br />

Ich züchte Sprossen, verschiedene. Da hab ich immer<br />

etwa 70 bis 80 Becher im Einsatz. Sortiert nach den<br />

Sprossensorten.<br />

Ich kriege die großen Plastikbecher geliefert. Da darf ich<br />

was draufschreiben. Also, ich muss was draufschreiben!<br />

Gefühlsbotschaft, so nennen die das. Zum Beispiel „Ich<br />

liebe euch“ oder „Ich hasse euch“. Das soll das Wachstum<br />

verändern, vermuten die. Also die positiven Botschaften<br />

beflügeln dann das Wachstum der Sprossen, oder auch<br />

die Qualität oder wie auch immer. Ist ja noch nicht<br />

abgeschlossen, der Versuch.<br />

Am Anfang fiel mir das total schwer mit den Botschaften.<br />

So was mit Gefühlen. Aber jetzt bin ich ganz gut drin.<br />

Diese Woche probiere ich aus „Ihr seid mir egal“. Also<br />

schreib ich drauf, „ihr seid mir egal“.<br />

Mal gucken …<br />

Jedenfalls kommen jede Woche zwei Mitarbeiter raus<br />

und machen Stichproben, notieren sich die Botschaften<br />

und so. Machen auch Fotos.<br />

Letzte Woche, das war komisch. Die wollten mich filmen


Wie ich die Sprossen täglich umspüle, das ist ja sehr<br />

wichtig. Also haben die gefilmt, wie ich die Becher nehme<br />

und so spüle. Haben sich auch was aufgeschrieben dazu.<br />

Ich dachte eigentlich, ich mach das bei allen Bechern<br />

gleich. Aber hinterher war ich irgendwie - verunsichert …<br />

tja.<br />

<strong>Raili</strong> bleibt abwartend stehen. Will sie von mir erklärt haben, was die<br />

Männer mit dem Film beweisen wollen?<br />

Machen wir uns nichts vor: „Ihr seid mir egal“ ist eine einfache<br />

Übung für <strong>Raili</strong>.<br />

Aber sie sieht gar nicht mich an. Sie schaut zu Steve, der im<br />

Halbdunkel sitzt.<br />

Judith:<br />

Danke, <strong>Raili</strong>. Ich bin ganz sicher, am Ende des Versuchs<br />

werden sie verstehen, wozu das alles gut war!<br />

Ich höre Steve geradezu grinsen neben mir. Er neigt den Kopf zu mir<br />

rüber und flüstert mir was von wegen „philosophischer Tag“<br />

entgegen. Ach so, am Ende des Versuchs werden wir verstehen …<br />

ja, hoffentlich wir auch, Steve.


<strong>Raili</strong>:<br />

Also, die Versuche dauern ja nicht ewig. Und was ich<br />

danach mache … also, wenn Sie hier vielleicht … also,<br />

wenn Sie mal jemanden zum Kaffee kochen brauchen …<br />

Steve:<br />

Tja, danke, dann melden wir uns, ist doch klar!<br />

<strong>Raili</strong> kennt Steve ja nicht, denke ich, und diesmal grinse ich.<br />

Schon ist der aber unterwegs, um den nächsten Kandidaten<br />

auszusuchen.

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