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was mach ihr denn? Schule? Lehre?“<br />
Das Gespräch endet damit,<br />
dass wir zwei blaue CB 400 FOUR<br />
zum Preis von je 4000 DM statt des<br />
Listenpreises von 4800 DM bestellen.<br />
Baltmannsweiler, Mai 1978: Endlich!<br />
Vor wenigen Tagen ist die<br />
Postkarte mit dem Stempel „Motorrad-Raichle“<br />
eingetrudelt, deren<br />
kurze Mitteilung „zwei 400 FOUR<br />
in blau eingetroffen“ sofort fiebrige<br />
Erwartung auslöst. Andreas kann<br />
nicht mit, er ist ausbildungsbedingt<br />
verhindert. Seine Honda soll ich<br />
einige Tage später für ihn abholen.<br />
Ich stehe in der kleinen Werkstatt,<br />
in der der Mechaniker, ein Zwei-<br />
Meter-Mann gerade seine Monkey<br />
abstellt. Ein kurioser Anblick, wie<br />
dieser Hüne sich auf der Monkey<br />
zusammenfaltet. Während ich warte,<br />
fällt mir ein riesiges schwarzes<br />
Plakat an der Werkstattür auf. In<br />
großen goldenen Lettern steht da zu<br />
lesen: „Es gibt nur einen Ton! Norton!“<br />
Als wollte sich Widerspruch erheben,<br />
höre ich in dem Moment schon<br />
von weitem das Grollen eines großen<br />
Vierzylinders mit offenem Auspuff,<br />
der sich schnell nähert. Raichle<br />
sitzt im Ein-Mann-Höcker einer<br />
getunten CB-750-FOUR, lang über<br />
den Alu-Tank gestreckt, als er in die<br />
Einfahrt einbiegt. Ich habe gehörigen<br />
Respekt vor solchen Maschinen,<br />
und kann mir nicht wirklich<br />
vorstellen, sowas mal zu fahren.<br />
Doch das sollte nicht mein einziger<br />
Irrtum bleiben. Ziemlich geladen<br />
ist er, als er absteigt. Brummt etwas<br />
von einem Autofahrer, der meinte<br />
ihn behindern zu müssen, dem<br />
er aber mit seinen stahlkappenbeschlagenen<br />
Stiefeln bei voller Fahrt<br />
im Überholvorgang gezeigt habe<br />
„wo dr Bartl dr Moschd hold“. Ich<br />
50<br />
schweige ehrfürchtig.<br />
Es tut schon weh, als ich ihm ein<br />
paar Minuten später die 4000 DM<br />
in die Hand drücke. Der Ertrag aus<br />
der verkauften 125er, angespartes<br />
Taschengeld, Bargeschenke von<br />
den Omas zum Geburtstag und zu<br />
Weihnachten und vor allem sauer<br />
Selbstverdientes in jeglichen Ferien,<br />
die das Schuljahr so bot - zusammen<br />
hat’s gerade so gereicht.<br />
Aber da draußen in der Sonne steht<br />
eine nagelneue 400 FOUR deren<br />
blauer Tank im Sonnenlicht mit der<br />
damals einmaligen verchromten<br />
4in1-Auspuffanlage um die Wette<br />
glänzt, da gibt es kein Zögern. Lebe<br />
Deine Träume!<br />
Die knapp 40 Kilometer Heimweg<br />
schwebe ich auf Wolke sieben.<br />
Die ersten Kilometer noch etwas<br />
verunsichert durch das spürbar<br />
höhere Gewicht im Vergleich zur<br />
125er, begeistert mich doch sofort<br />
die erstklassige Gasannahme und<br />
der seidenweiche Lauf des kleinen<br />
Vierzylinders, der mir damals<br />
doch ziemlich groß erschien. An<br />
jeder Ampel denke ich, der Motor<br />
wäre abgestorben, so ruhig und leise<br />
läuft er. Erst der Blick auf den<br />
Drehzahlmesser klärt mich über<br />
meine falsche Annahme auf.<br />
Backnang, Ende September 1980,<br />
ca. 1:30 Uhr nachts: Laut ratternd<br />
schließt sich das Rolltor der Tiefgarage.<br />
Glatte Fehlkonstruktion! Erst<br />
säuselt die kleine FOUR flüsterleise<br />
in die Garage, ohne dass auch nur<br />
ein Nachbar etwas mitkriegt, und<br />
dann macht das Geratter die halbe<br />
Straße wach. Als ich in die Wohnung<br />
komme, sind die Betten schon<br />
gemacht. Unsere beiden Gäste sind<br />
nach den 1000 km von Ancona<br />
nach Backnang völlig erschossen.<br />
1000 Km? Wie war das mit dem<br />
Grundsatz, nie mehr als 350 km am<br />
Tag zu fahren? Noch so ein Irrtum,<br />
denn mit dem entsprechenden Sitzfleisch<br />
und der 400 FOUR ist das<br />
nicht wirklich ein Problem.<br />
1979 hatte die kleine FOUR ihre<br />
erste Langstrecke nach Irland ohne<br />
Probleme absolviert. Die Strecke<br />
von Backnang nach Cherbourg<br />
hatten wir recht entspannt in zwei<br />
Tagen bewältigt, per Deckspassage<br />
ging es direkt nach Rosslare. Mit<br />
Zelt und Schlafsack konnte man<br />
zu der Zeit noch ohne jegliche Buchung<br />
von Campingplätzen und<br />
Fähren für kleines Geld durch Europa<br />
reisen. Und da meine Freundin<br />
und ich frischgebackene Abiturienten<br />
mit schmalem Geldbeutel waren,<br />
musste es schon kostengünstig<br />
sein.<br />
Drei Wochen waren wir durch Irland<br />
auf teilweise sehr schlechten Straßen<br />
mit hoher Zuladung unterwegs,<br />
aber die Honda zeigte sich absolut<br />
zuverlässig. Ein Gepäckträger und<br />
ein paar Sturzbügel von Schuh, ein<br />
Harro Elefantenboy, ein paar umgebaute<br />
Plastik-Bohrmaschinenkoffer<br />
von Bosch – als Ferienjobber dort<br />
für 5 DM das Stück erstanden – und<br />
ein Lenkungsdämpfer machten die<br />
kleine FOUR langstreckentauglich.<br />
Zwei nach Harro-Schnitt auf einer<br />
ausgedienten Schuhmacher-Nähmaschine<br />
selbstgenähte Lederkombis<br />
sowie zwei knallorange<br />
Rukka-Regenkombis<br />
der ersten Generation<br />
sorgten auch bei der<br />
FOUR-Besatzung für<br />
Tourentauglichkeit. Unerreicht<br />
bleibt ein in diesem<br />
Urlaub aufgestellter<br />
Verbrauchsrekord:<br />
3,7 Liter auf 100 km bei<br />
voller Beladung mit zwei<br />
Personen plus Campingausrüstung<br />
auf einer französischen<br />
Route Nationale.<br />
Im Mai 1980 lockt mich erneut<br />
Irland. Erstmals mache<br />
ich mich ganz alleine auf<br />
den Weg. An jenem Morgen<br />
tatsächlich das beladene<br />
Motorrad aus der Garage zu