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6 KULTUR JOKER THEATER<br />

Gerade einmal eine Stunde<br />

dauert diese letzte Inszenierung<br />

von Off deluxe. Die freie Theatergruppe,<br />

die aus einem Zusammenschluss<br />

von Off the record<br />

group und snap deluxe entstanden<br />

war, hat sich aufgelöst. Man<br />

wird also Titel und Inhalt von<br />

„Seppuku oder der Steppenwolfeffekt“<br />

durchaus selbstbezüglich<br />

verstehen können. Greift der<br />

Abend, der wie die meisten der<br />

Produktionen von Off deluxe<br />

sich zwischen (Musik)Performance<br />

und Schauspiel bewegt,<br />

doch mit Hermann Hesses Roman<br />

„Steppenwolf“ und dem<br />

rituellen Selbstmord der japanischen<br />

Samurai das Thema der<br />

Selbstauslöschung auf. Off deluxe<br />

hat seinem Publikum durchaus<br />

etwas zugemutet, und sich<br />

nie Gedanken darüber gemacht,<br />

wo es dieses abholen könnte. Es<br />

gibt auch Zumutungen im positiven<br />

Sinne. Und die einstündige<br />

Performance genügt, um zu wissen,<br />

warum diese Gruppe fehlen<br />

wird. Doch zu mehr reichte der<br />

Atem dann wohl nicht mehr.<br />

Einlass im Großen Saal des<br />

Freiburger E-Werk: eine Frau im<br />

roten Hosenanzug, die bäuchlings<br />

auf einem Pelzmantel liegt,<br />

Mehr Seelen in der Brust<br />

Die Performancegruppe Off deluxe macht aus ihrer letzten Produktion ein Statement<br />

schaut sich, die Beine wie ein<br />

Teenager angewinkelt, „Coyote<br />

and Roadrunner“-Comicfilme<br />

an, zwei Männer kümmern sich<br />

auf einem weiteren, markierten<br />

Spielfeld rührend um eine Zimmerpflanze,<br />

bestäuben sie mit<br />

Wasser, waschen die Blätter ab,<br />

auf einem Biedermeiersofa wird<br />

Hesses „Steppenwolf“ gelesen,<br />

auf dem Boden stehen zwei<br />

Weingläser, eine Flasche und ein<br />

Teller. Isabella Bartdorff, Kaija<br />

Ledergerber, Florence Schmidt,<br />

Tobias Ergenzinger und Linus<br />

von Poswik tragen Wolfsmasken<br />

mit einer beeindruckenden<br />

Zahnreihe (Kostüme: Franziska<br />

Jacobsen). Derweil man sich<br />

zwischen den verschiedenen<br />

Jens Dreskes Videos zeigen das Ensemble mit Wolfsmaske<br />

und Schlaghammer<br />

Spielflächen positioniert, setzt<br />

sich Anna Shumaylovas Stimme<br />

im Kopf fest, die sich über<br />

das Gitarrensolo legt. Es ist<br />

das Traktat über den Steppenwolf,<br />

das sie spricht und das als<br />

programmatische Einleitung in<br />

den Abend dient. Hesse erzählt<br />

in seinem „Steppenwolf“ von<br />

der Dualität Harry Hallers als<br />

Mensch und einsamer Wolf, er<br />

entwirft eine Lebensform, die<br />

inmitten der Gesellschaft, inmitten<br />

der Bourgeoisie, völlig<br />

isoliert ist. Freiheit kann den<br />

Tod bedeuten, als Haller dies<br />

merkt, ist es zu spät. Und das<br />

Bürgertum, ist es irritiert über<br />

das freie Radikal? Nicht im<br />

Mindesten, es gehört zu seiner<br />

besonderen Dialektik, dass der<br />

Außenseiter die Gesellschaft<br />

stützt. Ein ganz ähnliches<br />

Schicksal dürfte der Roman<br />

selbst bei vielen im Publikum<br />

ereilt haben. „Der Steppenwolf“<br />

ist ein Buch der Adoleszenz, danach<br />

rührt man es kaum mehr<br />

an. Und so weht mit jedem Satz<br />

auch ein bisschen Erinnerung<br />

mit. Und der Kitsch, sobald aus<br />

dem Tableau Handlung wird. In<br />

„Seppuku“ wird er dadurch vermieden,<br />

dass sich die Erzählerstimme<br />

einschaltet, sobald sich<br />

bei der ersten Begegnung zwischen<br />

Harry Haller (Tobias Ergenzinger)<br />

und Hermine (Kaija<br />

Ledergerber) die Blicke senken<br />

und er sie verstohlen beobachtet.<br />

Manchmal übernimmt sie gleich<br />

die Führung, dann spuckt Haller<br />

trockene Brotbrocken auf den<br />

Boden.<br />

Das eigentlich Szenische war<br />

nie die das Charakteristikum<br />

von Off deluxe, eher die Verweigerung<br />

von konventionellen<br />

dramatischen Erzählstrategien.<br />

Die eigentliche Stärke liegt auch<br />

bei diesem Abend in atmosphärischen<br />

Tableaus. Wenn Kaija<br />

Ledergerber sich die zweite<br />

Gitarre nimmt und von Rettungsfantasien,<br />

aber auch von<br />

einem Einwilligen in den Tod<br />

singt – und steht nicht überhaupt<br />

noch aus, dass Haller auf ihren<br />

Wunsch Hermine das Leben<br />

nehmen wird? Jens Dreskes Videos<br />

werden auf die Wand projiziert,<br />

sie zeigen das Ensemble<br />

mit Wolfsmaske und mit Schlaghammer,<br />

dann geht eine Störung<br />

durchs Bild. Sie leiten über zum<br />

Kampf zwischen Maschine und<br />

Mensch im Roman. „Seppuku“<br />

räubert sich durch den Text, eine<br />

stringente Lesart ergibt sich dadurch<br />

nicht. Das ist ein bisschen<br />

dünn, wird aber durch Bilder ausgeglichen,<br />

die projizieren, dass es<br />

jenseits aller Konventionen etwas<br />

anderes geben müsste. Und das<br />

wird der Freiburger Szene fehlen.<br />

Annette Hoffmann

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