_flip_joker_2018-05
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6 KULTUR JOKER THEATER<br />
Gerade einmal eine Stunde<br />
dauert diese letzte Inszenierung<br />
von Off deluxe. Die freie Theatergruppe,<br />
die aus einem Zusammenschluss<br />
von Off the record<br />
group und snap deluxe entstanden<br />
war, hat sich aufgelöst. Man<br />
wird also Titel und Inhalt von<br />
„Seppuku oder der Steppenwolfeffekt“<br />
durchaus selbstbezüglich<br />
verstehen können. Greift der<br />
Abend, der wie die meisten der<br />
Produktionen von Off deluxe<br />
sich zwischen (Musik)Performance<br />
und Schauspiel bewegt,<br />
doch mit Hermann Hesses Roman<br />
„Steppenwolf“ und dem<br />
rituellen Selbstmord der japanischen<br />
Samurai das Thema der<br />
Selbstauslöschung auf. Off deluxe<br />
hat seinem Publikum durchaus<br />
etwas zugemutet, und sich<br />
nie Gedanken darüber gemacht,<br />
wo es dieses abholen könnte. Es<br />
gibt auch Zumutungen im positiven<br />
Sinne. Und die einstündige<br />
Performance genügt, um zu wissen,<br />
warum diese Gruppe fehlen<br />
wird. Doch zu mehr reichte der<br />
Atem dann wohl nicht mehr.<br />
Einlass im Großen Saal des<br />
Freiburger E-Werk: eine Frau im<br />
roten Hosenanzug, die bäuchlings<br />
auf einem Pelzmantel liegt,<br />
Mehr Seelen in der Brust<br />
Die Performancegruppe Off deluxe macht aus ihrer letzten Produktion ein Statement<br />
schaut sich, die Beine wie ein<br />
Teenager angewinkelt, „Coyote<br />
and Roadrunner“-Comicfilme<br />
an, zwei Männer kümmern sich<br />
auf einem weiteren, markierten<br />
Spielfeld rührend um eine Zimmerpflanze,<br />
bestäuben sie mit<br />
Wasser, waschen die Blätter ab,<br />
auf einem Biedermeiersofa wird<br />
Hesses „Steppenwolf“ gelesen,<br />
auf dem Boden stehen zwei<br />
Weingläser, eine Flasche und ein<br />
Teller. Isabella Bartdorff, Kaija<br />
Ledergerber, Florence Schmidt,<br />
Tobias Ergenzinger und Linus<br />
von Poswik tragen Wolfsmasken<br />
mit einer beeindruckenden<br />
Zahnreihe (Kostüme: Franziska<br />
Jacobsen). Derweil man sich<br />
zwischen den verschiedenen<br />
Jens Dreskes Videos zeigen das Ensemble mit Wolfsmaske<br />
und Schlaghammer<br />
Spielflächen positioniert, setzt<br />
sich Anna Shumaylovas Stimme<br />
im Kopf fest, die sich über<br />
das Gitarrensolo legt. Es ist<br />
das Traktat über den Steppenwolf,<br />
das sie spricht und das als<br />
programmatische Einleitung in<br />
den Abend dient. Hesse erzählt<br />
in seinem „Steppenwolf“ von<br />
der Dualität Harry Hallers als<br />
Mensch und einsamer Wolf, er<br />
entwirft eine Lebensform, die<br />
inmitten der Gesellschaft, inmitten<br />
der Bourgeoisie, völlig<br />
isoliert ist. Freiheit kann den<br />
Tod bedeuten, als Haller dies<br />
merkt, ist es zu spät. Und das<br />
Bürgertum, ist es irritiert über<br />
das freie Radikal? Nicht im<br />
Mindesten, es gehört zu seiner<br />
besonderen Dialektik, dass der<br />
Außenseiter die Gesellschaft<br />
stützt. Ein ganz ähnliches<br />
Schicksal dürfte der Roman<br />
selbst bei vielen im Publikum<br />
ereilt haben. „Der Steppenwolf“<br />
ist ein Buch der Adoleszenz, danach<br />
rührt man es kaum mehr<br />
an. Und so weht mit jedem Satz<br />
auch ein bisschen Erinnerung<br />
mit. Und der Kitsch, sobald aus<br />
dem Tableau Handlung wird. In<br />
„Seppuku“ wird er dadurch vermieden,<br />
dass sich die Erzählerstimme<br />
einschaltet, sobald sich<br />
bei der ersten Begegnung zwischen<br />
Harry Haller (Tobias Ergenzinger)<br />
und Hermine (Kaija<br />
Ledergerber) die Blicke senken<br />
und er sie verstohlen beobachtet.<br />
Manchmal übernimmt sie gleich<br />
die Führung, dann spuckt Haller<br />
trockene Brotbrocken auf den<br />
Boden.<br />
Das eigentlich Szenische war<br />
nie die das Charakteristikum<br />
von Off deluxe, eher die Verweigerung<br />
von konventionellen<br />
dramatischen Erzählstrategien.<br />
Die eigentliche Stärke liegt auch<br />
bei diesem Abend in atmosphärischen<br />
Tableaus. Wenn Kaija<br />
Ledergerber sich die zweite<br />
Gitarre nimmt und von Rettungsfantasien,<br />
aber auch von<br />
einem Einwilligen in den Tod<br />
singt – und steht nicht überhaupt<br />
noch aus, dass Haller auf ihren<br />
Wunsch Hermine das Leben<br />
nehmen wird? Jens Dreskes Videos<br />
werden auf die Wand projiziert,<br />
sie zeigen das Ensemble<br />
mit Wolfsmaske und mit Schlaghammer,<br />
dann geht eine Störung<br />
durchs Bild. Sie leiten über zum<br />
Kampf zwischen Maschine und<br />
Mensch im Roman. „Seppuku“<br />
räubert sich durch den Text, eine<br />
stringente Lesart ergibt sich dadurch<br />
nicht. Das ist ein bisschen<br />
dünn, wird aber durch Bilder ausgeglichen,<br />
die projizieren, dass es<br />
jenseits aller Konventionen etwas<br />
anderes geben müsste. Und das<br />
wird der Freiburger Szene fehlen.<br />
Annette Hoffmann