Integrationsförderung durch Migrantenorganisationen - BBE
Integrationsförderung durch Migrantenorganisationen - BBE
Integrationsförderung durch Migrantenorganisationen - BBE
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Dokumentation<br />
<strong>Integrationsförderung</strong> <strong>durch</strong> <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
Zur Vernetzung von Kompetenzen, Ressourcen und Potenzialen<br />
Eine gemeinsame Fachtagung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches<br />
Engagement (<strong>BBE</strong>) und der „Leitstelle Bürgergesellschaft und Ehrenamt“<br />
in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz , 28. und 29. November 2009, Mainz
Förderer
3<br />
5<br />
8<br />
10<br />
14<br />
17<br />
22<br />
36<br />
58<br />
64<br />
Inhalt<br />
Vorwort<br />
Grußwort,<br />
Kurt Beck, Ministerpräsident des Landes<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Ziele der Tagung – eine Einführung<br />
Siglinde Naumann<br />
Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />
Hans H. Reich<br />
Zum Stand der Entwicklung neuer Förderkonzepte<br />
für <strong>Migrantenorganisationen</strong> im Rahmen des<br />
bundesweiten Integrationsprogramms<br />
Romy Bartels<br />
Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien<br />
für die Praxis<br />
Thomas Röbke<br />
World Café<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Talkrunde: Netzwerke in der <strong>Integrationsförderung</strong><br />
als Zukunftsaufgabe?<br />
Arbeitsgruppe Migration/Integration des <strong>BBE</strong>
Impressum<br />
Herausgeber:: Bundesnetzwerk Bürgeschaftliches Engagement (<strong>BBE</strong>), Geschäftstelle in Trägerschaft des<br />
Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge<br />
Michaelkirchstr. 17/18<br />
10179 Berlin<br />
Internet: www.b-b-e.de<br />
V.i.S.d.P: PD Dr. Ansgar Klein (<strong>BBE</strong>)<br />
Redaktion: Prof. Dr. Siglinde Naumann<br />
Layout & Satz: Regina Vierkant<br />
Fotos: Denise Hülpüsch<br />
Druck: Druckerei Greschow, Welzow<br />
Arbeitsgruppe Migration/Integration des <strong>BBE</strong><br />
Sprecherin: Susanne Huth: susanne.huth@inbas-sozialforschung.de<br />
Stv. Sprecherin: Prof. Dr. Siglinde Naumann: naumann@fh-nordhausen.de<br />
Stv. Sprecher: Sebastian Beck: sbeck@vhw.de<br />
ISBN 978-3-00-030964-9<br />
2 <strong>BBE</strong> - Dokumentation
Vorwort<br />
Der nationale Integrationsplan und das bundesweite<br />
Integrationsprogramm haben die Bedeutung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
für die <strong>Integrationsförderung</strong><br />
hervorgehoben. Ihr bürgerschaftliches Engagement<br />
und ihre integrations- und partizipationsfördernden<br />
Potenziale lassen sich jedoch nicht voraussetzungslos<br />
erschließen; hier bedarf es gezielter Unterstützungsleistung.<br />
Erfahrungsberichte verdeutlichen<br />
auch vielfältige Schwierigkeiten für <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in der Praxis. So ist eine gleichberechtigte<br />
Teilhabe von <strong>Migrantenorganisationen</strong> an den Ressourcen<br />
der Projektförderung und Projektarbeit nach<br />
wie vor nicht selbstverständlich.<br />
Seit 2006 veranstaltet das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches<br />
Engagement jährlich bundesweite<br />
Fachtagungen für <strong>Migrantenorganisationen</strong>, die als<br />
Plattform für den Austausch von Erfahrungen und<br />
die Weiterentwicklung von Handlungskonzepten genutzt<br />
werden. Nachdem in den vergangenen Jahren<br />
Qualifizierungsbedarfe von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />
ihr Zugang zu öffentlichen Ressourcen und Förderungen<br />
sowie die Besonderheiten von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in den neuen Ländern im Mittelpunkt<br />
standen, widmete sich die Veranstaltung am 28. und<br />
29. November 2009 in Mainz dem Thema „Netzwerkbildung“.<br />
Wie auch in anderen Bereichen der Engagementförderung<br />
kommt auch für die gesellschaftliche Integration<br />
von Migrantinnen und Migranten der Netzwerkbildung<br />
zentrale Bedeutung zu. Vernetzung ist jedoch<br />
ein schillernder Begriff. Sie ist weder ein Zauberwort<br />
noch ein Allheilmittel. Und: Vernetzung ist nicht voraussetzungslos<br />
zu realisieren. Mit Vernetzung verbinden<br />
sich ganz unterschiedliche Perspektiven, Anforderungen<br />
und Herausforderungen. Es geht um die<br />
interkulturelle Öffnung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />
die Stärkung ihrer öffentlichen Präsenz und Wahrnehmung<br />
sowie ihre politischen Mitwirkungs- und<br />
Beteiligungsmöglichkeiten. Hiermit verbinden sich<br />
Entwicklungsanforderungen sowohl an die deutsche<br />
Mehrheitsgesellschaft als auch an die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
selbst.<br />
Bei der Gestaltung unseres Zusammenlebens in der<br />
pluralen Gesellschaft gibt es eine zunehmende gegenseitige<br />
Angewiesenheit von deutschen Einrichtungen<br />
und <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Exemplarisch<br />
lässt sich dies im Bereich des Bildungssystems, insbesondere<br />
der Schulen, nachvollziehen. Die Schule<br />
braucht, um ihrer Aufgabe der interkulturellen Bildung<br />
gerecht zu werden, die intensive Mitwirkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />
die bislang jedoch noch viel<br />
zu selten Realität im deutschen Schulalltag ist. <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
ihrerseits sind auf Zugänge<br />
und Gestaltungsmöglichkeiten in Schulen angewiesen.<br />
Es braucht ein Aufeinanderzugehen und eine<br />
Öffnung auf beiden Seiten, um eine lebendige interkulturelle<br />
Bildung zu gewährleisten und Kooperation<br />
„auf Augenhöhe“ zu praktizieren. Hier gibt es noch<br />
viel zu tun.<br />
Die Tagung verfolgte daher das Ziel, zur Entwicklung<br />
und Bereitstellung von bedarfsgerechten Vernetzungsmodellen<br />
und Strategien beizutragen, damit<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> ihre Kompetenzen, Ressourcen<br />
und Gestaltungspotenziale verstärkt in die<br />
Zivilgesellschaft einbringen können. Dabei ging es<br />
nicht nur um eine differenzierte Analyse von Handlungsbedarfen,<br />
sondern auch um die gemeinsame<br />
Erarbeitung von konkreten Handlungsansätzen für<br />
produktive Netzwerkbildungen. Grundlage hierfür<br />
war die Vorstellung gelungener Netzwerkkonzepte,<br />
die Diskussion von Netzwerkerfahrungen und die<br />
Analyse von Netzwerkstrategien aus unterschiedlichen<br />
Blickwinkeln. Im Mittelpunkt der Tagung standen<br />
Fragen danach, wie Vernetzung und Kooperation<br />
wirkungsvoll vorangebracht werden können,<br />
welcher Unterstützung, welcher Infrastrukturen und<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 3
Hartnuß/Klein - Vorwort<br />
Ressourcen und welcher Instrumente es bedarf, um<br />
gleichberechtigte Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
dauerhaft sicherzustellen.<br />
Die Fachtagung richtete sich an <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
aus Rheinland-Pfalz und dem gesamten Bundesgebiet,<br />
an Bildungsträger, Förderer sowie an Politik<br />
und Verwaltung. Über 150 Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer aus diesen Gebieten stellten sich zwei<br />
Tage lang diesen komplexen Fragen und berieten<br />
gemeinsam über neue und innovative Entwicklungsperspektiven.<br />
Veranstalter der Fachtagung waren<br />
das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement<br />
(<strong>BBE</strong>) und die „Leitstelle Bürgergesellschaft<br />
und Ehrenamt“ in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz.<br />
Die Tagung wurde gefördert vom Bundesministerium<br />
des Innern und der Beauftragten der Landesregierung<br />
Rheinland-Pfalz für Migration und Integration.<br />
Besonderer Dank gilt der Arbeitsgruppe „Migration/<br />
Integration“ des <strong>BBE</strong>, die die Fachtagung konzeptionell<br />
vorbereitet hat , sowie Herrn Mehdi Jafari-Gorzini<br />
für seine engagierte Unterstützung bei der Durchführung<br />
und Moderation der Veranstaltung, Frau Lea<br />
Fenner für die umsichtige Tagungsorganisation und<br />
Frau Nuran Yiğit für die engagierte Moderation des<br />
World Cafés.<br />
PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk<br />
Bürgerschaftliches Engagement (<strong>BBE</strong>)<br />
Birger Hartnuß, Leitstelle „Bürgergesellschaft und<br />
Ehrenamt“ in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz<br />
4 <strong>BBE</strong> - Dokumentation
Kurt Beck, Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz<br />
Grußwort<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
ich begrüße Sie ganz herzlich zur Fachtagung „<strong>Integrationsförderung</strong><br />
<strong>durch</strong> <strong>Migrantenorganisationen</strong>“ hier<br />
in Mainz. Ich freue mich außerordentlich darüber, dass<br />
diese Veranstaltung auf ein so großes Interesse gestoßen<br />
ist. Die Tatsache, dass so viele Vertreterinnen und<br />
Vertreter von <strong>Migrantenorganisationen</strong> aus Rheinland-<br />
Pfalz und dem gesamten Bundesgebiet heute zu uns<br />
gekommen sind, zeigt uns, dass wir mit unserem Anliegen,<br />
den Dialog mit und die politische Partizipation von<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> zu stärken, auf dem richtigen<br />
Weg sind.<br />
Ich freue mich ebenso darüber, dass wir diese wichtige<br />
Veranstaltung gemeinsam mit dem Bundesnetzwerk<br />
Bürgerschaftliches Engagement <strong>durch</strong>führen. Nicht<br />
nur in diesem Bereich können wir auf eine inzwischen<br />
langjährige und enge Kooperation zurückblicken.<br />
Rheinland-Pfalz ist Gründungsmitglied des <strong>BBE</strong> und<br />
engagiert sich seit 2002 gemeinsam mit den inzwischen<br />
über 200 Mitgliedern des Netzwerks für die Förderung<br />
bürgerschaftlichen Engagements und die Weiterentwicklung<br />
einer aktiven Bürgergesellschaft.<br />
Rheinland-Pfalz ist ein sehr guter Standort für diese<br />
Tagung und den hier stattfindenden Dialog. Das<br />
Thema Integration von zugewanderten Menschen hat<br />
hohe Priorität im Land und für die Politik der Landesregierung.<br />
Seit mehreren Jahren bereits gehen wir<br />
hier neue Wege, um die gesellschaftliche Integration<br />
von Migrantinnen und Migranten sowie von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
zu stärken. Dabei spielen das bürgerschaftliche<br />
Engagement und Möglichkeiten der<br />
politischen Partizipation eine besondere Rolle.<br />
Rheinland-Pfalz ist ein <strong>durch</strong> Zuwanderung geprägtes<br />
Land. Genauso, wie in den vergangenen Jahrhunderten<br />
viele Menschen aus dem Gebiet des heutigen Rheinland-<br />
Pfalz nach Nord- und Südamerika ausgewandert sind,<br />
genauso ist Rheinland-Pfalz heute ein Land, in das viele<br />
Menschen aus allen Ländern der Welt gern einwandern.<br />
Diese Menschen sind uns willkommen. Sie bereichern<br />
unser Land und unsere Kultur. Und: Diese Menschen<br />
sind bereit, sich einzubringen, sich zu engagieren und unser<br />
Gemeinwesen mitzugestalten. Dies ist nicht nur eine<br />
Floskel, sondern zeigt sich auch in der Realität unseres<br />
Zusammenlebens. Die Ergebnisse des Freiwilligensurveys<br />
von 2004 zeigen, dass der Anteil der Engagierten<br />
unter Migrantinnen und Migranten in Rheinland-Pfalz<br />
sehr hoch ist. Er liegt mit 32% deutlich über dem bundesweiten<br />
Durchschnitt von 23%. Mag man diese Zahlen<br />
auch nicht überbewerten, so ist dies doch ein deutlicher<br />
Hinweis darauf, dass Migrantinnen und Migranten sehr<br />
wohl gesellschaftliche Verantwortung in unserem Land<br />
übernehmen und dass im bürgerschaftlichen Engagement<br />
gesellschaftliche Integration gelingen kann.<br />
Dass das Thema Integration ein wichtiges gesellschaftliches<br />
wie politisches Thema ist, sollen einige<br />
Daten und Fakten veranschaulichen:<br />
• Im Jahr 2007 hatten 729.000 Menschen in Rheinland-Pfalz<br />
einen Migrationshintergrund, das sind<br />
18% der Gesamtbevölkerung.<br />
• 57% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund waren<br />
deutsche Staatsangehörige; 43% hatten keinen<br />
deutschen Pass.<br />
• 502.000 Menschen in Rheinland-Pfalz haben eine<br />
eigene Migrationsgeschichte. Sie sind selbst (nach<br />
1949) in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik<br />
eingewandert.<br />
• Rund 227.000 Menschen ohne eigene Migrationsgeschichte<br />
sind Nachkommen von Zugewanderten.<br />
Hierzu gehören rund 80.000 Ausländerinnen und<br />
Ausländer, die in Deutschland geboren wurden.<br />
Allein diese Zahlen machen deutlich, dass Migrantinnen<br />
und Migranten nicht nur rein quantitativ einen<br />
erheblichen Anteil an unserer Bevölkerung<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 5
Ministerpräsident Beck - Grußwort<br />
haben, sondern dass sie damit auch von erheblicher<br />
Bedeutung für unseren wirtschaftlichen Erfolg und<br />
unser gesellschaftliches Zusammenleben sind.<br />
Wie wir dieses Zusammenleben gestalten, ob wir Migrantinnen<br />
und Migranten einen Platz in der Mitte unserer<br />
Gesellschaft geben, ob wir voneinander lernen<br />
und gemeinsam unser Gemeinwesen bereichern, ist<br />
daher nicht nur eine Frage des guten Willens. Es ist<br />
vielmehr eine politische Aufgabe. Die gleichberechtigte<br />
Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am Leben<br />
und Arbeiten unserer Gesellschaft ist daher ein zentrales<br />
Anliegen der Politik der Landesregierung. Hierfür<br />
müssen und wollen wir den gesellschaftlichen Dialog<br />
zwischen allen Beteiligten intensivieren. Dabei geht<br />
es uns um die Stärkung von Möglichkeiten der gesellschaftlichen<br />
Mitwirkung, aber auch um die Stärkung politischer<br />
Partizipation von Migrantinnen und Migranten<br />
und ihrer Organisationen. Nur auf diese Weise können<br />
Migrantinnen und Migranten ihre Interessen, aber auch<br />
ihre Erfahrungen und Kenntnisse einbringen und das<br />
gesellschaftliche und politische Leben mitgestalten. Aus<br />
diesem Grunde ist die Förderung von Selbstorganisation<br />
und Selbsthilfe, von Verantwortungsbereitschaft und<br />
bürgerschaftlichem Engagement eines der zentralen<br />
integrationspolitischen Anliegen der Landesregierung.<br />
Einen wichtigen Schritt in diese Richtung haben wir<br />
mit der Reform der bisherigen Ausländerbeiräte in<br />
Rheinland-Pfalz getan. Die neuen Beiräte für Migration<br />
und Integration sichern eine breite Partizipation<br />
der in Rheinland-Pfalz lebenden Menschen. Am 8. November<br />
2009 wurden die neuen Beiräte erstmals gewählt.<br />
Mit der Reform wurde das aktive Wahlrecht auf<br />
Eingebürgerte und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler<br />
ausgeweitet. In den neuen Beiräten sind nicht<br />
mehr nur Ausländerinnen und Ausländer, sondern alle<br />
Einwohnerinnen und Einwohner einer Kommune oder<br />
eines Kreises wählbar und vertreten. Die Beiräte verhandeln<br />
sämtliche Angelegenheiten der Integration<br />
und Migration. Sie sind zudem deutlich besser mit den<br />
politischen Gremien vernetzt. So nehmen Vertreter der<br />
Beiräte an den Sitzungen des Kreis- oder Gemeinderates<br />
und seiner Ausschüsse teil.<br />
Die neuen Beiräte für Migration und Integration allein<br />
können sicherlich gesellschaftliche Integration und<br />
ein harmonisches Zusammenleben nicht garantieren.<br />
Mit der Reform jedoch wurden die Voraussetzungen<br />
hierfür erheblich verbessert. Ich bin davon überzeugt,<br />
dass von ihrer Arbeit neue Impulse für eine gelingende<br />
Integration in den Kommunen ausgehen werden.<br />
Die Reform der Beiräte selbst war im Übrigen ein Ergebnis<br />
eines breit angelegten Beteiligungsprozesses<br />
6 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
in Rheinland-Pfalz. Bereits im Jahr 2005 wurden die<br />
Bürgerinnen und Bürger im Rahmen einer Reihe von<br />
fünf Bürgerkongressen unter dem Titel „Für unsere<br />
Zukunft, für uns alle“ aufgerufen, sich mit Ideen und<br />
Vorschlägen für die Gestaltung unserer Gesellschaft<br />
einzubringen. Die Ergebnisse wurden der Landesregierung<br />
in Form eines Zukunftsmanifestes übergeben.<br />
Einer der Vorschläge war die Umwandlung der<br />
bisherigen Ausländerbeiräte in Beiräte für Migration<br />
und Integration.<br />
Jenseits dieser wichtigen strukturellen Erneuerung<br />
können wir in Rheinland-Pfalz auf eine Reihe von Aktivitäten<br />
und Erfahrungen zurückblicken, die die Stärkung<br />
des bürgerschaftlichen Engagements und der<br />
gesellschaftlichen Partizipation von Migrantinnen und<br />
Migranten zum Ziel haben. Seit dem Jahr 2002 gibt<br />
es die in der Staatskanzlei angesiedelte „Leitstelle<br />
Bürgergesellschaft und Ehrenamt“, deren wichtigstes<br />
Anliegen die Förderung und Unterstützung aktiver<br />
Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung<br />
eines lebendigen Gemeinwesens ist. Dabei<br />
ist die Zusammenarbeit mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
eine wichtige Aufgabe.<br />
So sind Vertreterinnen und Vertreter von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
bei dem im Aufbau befindlichen Landesnetzwerk<br />
Bürgerschaftliches Engagement Rheinland-Pfalz<br />
von Anfang an beteiligt. Das Engagement<br />
von Migrantinnen und Migranten sowie die Stärkung<br />
ihrer Selbstorganisationen sind wichtige Arbeitsschwerpunkte<br />
des Netzwerkes.<br />
Seit 2008 vergebe ich als Ministerpräsident jährlich<br />
den „Brückenpreis“. Unter dem Motto „Engagement<br />
leben, Brücken bauen, Integration stärken“ werden<br />
Projekte, Organisationen und Engagierte in Rheinland-Pfalz<br />
geehrt, die mit ihrem Engagement das<br />
Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung,<br />
die Begegnung und den Dialog von Jung und<br />
Alt, das Zusammenleben mit unseren europäischen<br />
Nachbarn sowie die Integration von Menschen unterschiedlicher<br />
Herkunft, Sprache und Hautfarbe fördern.<br />
Mit dem Preis ist es gelungen, bereits sehr viele<br />
gute und innovative Projekte im Bereich der Integration<br />
sichtbar zu machen und für eine Nachahmung<br />
dieser guten Ideen zu werben.<br />
Dies ist auch Anliegen des jährlich stattfindenden<br />
landesweiten Ehrenamtstages in Rheinland-Pfalz.<br />
Als zentraler Dankes- und Anerkennungstag des<br />
Landes stellt er die ehrenamtlich und bürgerschaftlich<br />
Engagierten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.<br />
Projekte und Organisationen von Migrantinnen und<br />
Migranten aus Rheinland-Pfalz sind regelmäßig auf
dem Ehrenamtstag vertreten und zeigen eindrucksvoll,<br />
dass sie, häufig gemeinsam mit deutschen Organisationen,<br />
<strong>durch</strong> ihr Engagement unser Gemeinwesen<br />
stärken.<br />
Viele weitere Beispiele ließen sich nennen. Festzuhalten<br />
bleibt, dass Migrantinnen und Migranten ebenso<br />
wie ihre deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger<br />
gesellschaftlich engagiert sind und sich an der Gestaltung<br />
des Gemeinwesens beteiligen wollen.<br />
Dies gilt auch für Formen der politischen Beteiligung<br />
und Mitbestimmung. Jenseits der bestehenden Möglichkeiten<br />
im Rahmen unserer repräsentativen Demokratie<br />
sind wir als Landesregierung bemüht, neue und<br />
innovative Formen der Bürgerbeteiligung auf kommunaler<br />
wie auf Landesebene zu stärken. So haben wir<br />
beispielsweise im Rahmen unserer aktuellen Kommunal-<br />
und Verwaltungsreform einen breit angelegten<br />
Prozess der Bürgerbeteiligung ins Leben gerufen. In<br />
Bürgerkongressen, Planungszellen, einer repräsentativen<br />
und einer Online-Befragung hatten die Bürgerinnen<br />
und Bürger die Chance, ihre Erfahrungen und<br />
Kritik, ihre Wünsche und Vorschläge für die Gestaltung<br />
einer zukunftsfähigen Verwaltung einzubringen. Auch<br />
an diesem Prozess haben sich Migrantinnen und Migranten<br />
engagiert beteiligt. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung<br />
haben den Gesetzgebungsprozess nicht<br />
nur erheblich bereichert, sondern werden sich auch<br />
sichtbar in dem Reformwerk niederschlagen.<br />
Dass die gesellschaftliche Integration von Migrantinnen<br />
und Migranten ein wichtiges politisches Anliegen ist,<br />
davon zeugt in Rheinland-Pfalz auch die Einsetzung<br />
einer Enquete-Kommission „Integration und Migration“<br />
<strong>durch</strong> den Landtag. Zum Arbeitsauftrag der Kommission<br />
gehört es, die politische Teilhabe von Frauen und<br />
Männern mit Migrationshintergrund sowie die vielfältigen<br />
Formen bürgerschaftlichen Engagements von<br />
Migrantinnen und Migranten sowie ihre Organisationen<br />
zu beleuchten. Ich freue mich sehr darüber, dass die<br />
Enquete-Kommission, vertreten <strong>durch</strong> ihren Vorsitzenden<br />
Herrn Dieter Klöckner, bei der Vorbereitung und<br />
Realisierung der heutigen Tagung eingebunden ist. Ich<br />
bin sicher, dass dies zur Bereicherung der Diskussion<br />
in unserem Landesparlament beitragen wird.<br />
Auch unsere Landesbeauftragte für Migration und Integration,<br />
Frau Maria Weber, unterstützt diese wichtige<br />
Veranstaltung. Mit ihrer Arbeit, die sie Ihnen noch<br />
genauer vorstellen wird, verbinden sich vielfältige Bemühungen<br />
der <strong>Integrationsförderung</strong>.<br />
Ich denke also, wir sind auf einem guten Weg, die gesellschaftliche<br />
Integration von Migrantinnen und Migranten<br />
Ministerpräsident Beck - Grußwort<br />
– eine politische Aufgabe, die viel zu lange vernachlässigt<br />
wurde – mit Leben zu erfüllen. Eines ist dabei aus<br />
meiner Sicht ganz sicher unerlässlich: Für eine gelingende<br />
gesellschaftliche Integration von Menschen mit<br />
Migrationshintergrund braucht es Partizipationsmöglichkeiten,<br />
freiwilliges Engagement und eine starke Bürgergesellschaft.<br />
Es ist daher gut und konsequent, dass<br />
auch der von der Bundesregierung initiierte nationale<br />
Integrationsplan dem Faktor bürgerschaftliches Engagement<br />
und gleichberechtigte Teilhabe einen zentralen<br />
Stellenwert eingeräumt hat. Noch vor wenigen Jahren<br />
war dies alles andere als selbstverständlich. Wir unterstützen<br />
daher die Vorhaben und Schwerpunkte des<br />
nationalen Integrationsplans ausdrücklich. Gleichwohl<br />
bleibt hier sicherlich noch sehr viel zu tun.<br />
Ein wichtiges Signal hierbei wäre sicherlich die Einführung<br />
des kommunalen Wahlrechts für alle Menschen.<br />
Rheinland-Pfalz setzt sich seit langem für eine<br />
entsprechende Änderung ein. Bislang ist dies jedoch<br />
an den bestehenden Mehrheiten im Bundesrat gescheitert.<br />
Aber ich bleibe dabei: Es muss sobald wie<br />
möglich auf kommunaler Ebene ein Wahlrecht auch<br />
für nicht EU-Bürger geben.<br />
Ein weiterer Hemmschuh für eine gelingende Integration<br />
ist die sogenannte Optionspflicht, nach der junge<br />
Menschen, die kraft Geburt in Deutschland die deutsche<br />
Staatsangehörigkeit erhalten haben, sich nach<br />
Vollendung des 18. Lebensjahres für die deutsche oder<br />
eine andere Staatsangehörigkeit entscheiden müssen.<br />
Diese Regelung entspricht in keiner Weise den Lebensbedingungen<br />
dieser jungen Menschen. Rheinland-Pfalz<br />
setzt sich daher für den Wegfall der Optionspflicht ein.<br />
Unseren integrationspolitischen Bemühungen liegt eine<br />
einfache Überzeugung zu Grunde: Ohne die politische<br />
Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger, und damit auch<br />
die von Migrantinnen und Migranten und ihrer Organisationen,<br />
fehlt einer gelebten Demokratie die Basis.<br />
Dies gilt insbesondere für die kommunale Ebene, das<br />
unmittelbare, tägliche Lebensumfeld der Menschen.<br />
Die Stärkung von Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung<br />
eröffnet neue Chancen für die Demokratie insgesamt.<br />
Meine Hoffnung ist, dass sich mittelfristig ein<br />
neuer Politikstil etablieren lässt, der bürgerschaftliche<br />
Kritik, Mitwirkung und Beteiligung als konstitutive Bestandteile<br />
unserer Demokratie begreift. Dabei sind wir<br />
auf das Engagement und die aktive Beteiligung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
ebenso angewiesen wie diese<br />
unsere politische Unterstützung brauchen.<br />
Für die zweitägige Veranstaltung wünsche ich Ihnen<br />
gutes Gelingen, intensive und fruchtbare Diskussionen<br />
sowie nicht zuletzt eine angenehme Zeit hier in Mainz.<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 7
Prof. Dr. Siglinde Naumann, Fachhochschule Nordhausen<br />
Ziele der Tagung – eine Einführung<br />
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen<br />
und Kollegen,<br />
ich möchte Sie im Namen unserer Arbeitsgruppe 5 des<br />
Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement begrüßen.<br />
Was sich dahinter verbirgt, will ich kurz erläutern:<br />
Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement<br />
(<strong>BBE</strong>) wurde 2002 vom Nationalen Beirat des<br />
Internationalen Jahres der Freiwilligen mit dem Ziel<br />
gegründet, „bestmögliche rechtliche, institutionelle<br />
und organisatorische Rahmenbedingungen für das<br />
bürgerschaftliche Engagement zu schaffen.“<br />
Das <strong>BBE</strong> ist eine Mitgliederorganisation. Die inhaltliche<br />
Arbeit des Bundesnetzwerkes erfolgt in zehn<br />
Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themenfeldern.<br />
Eine davon ist die Arbeitsgruppe Migration/Integration<br />
des <strong>BBE</strong>. Die AG 5 beschäftigt sich mit dem Engagement<br />
von Migrantinnen und Migranten und mit<br />
der Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Sie ist für<br />
neue Mitglieder offen und wir freuen uns über jede<br />
Migrantenorganisation, die hier mitmachen möchte.<br />
Unsere Treffen finden 4x jährlich zumeist in Köln statt.<br />
Die Mitglieder der AG 5 verfolgen das Ziel, bürgerschaftliches<br />
Engagement von Migrantinnen und Migranten<br />
öffentlich sichtbarer zu machen und dessen<br />
Bedeutung hervorzuheben:<br />
• einerseits für die gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen<br />
und Migranten<br />
• andererseits für unsere Gesamtgesellschaft; weil<br />
von diesem Engagement vielfältige Entwicklungschancen<br />
ausgehen.<br />
Dabei gehen wir davon aus, dass gesellschaftliche<br />
Integrationsprozesse Menschen mit und ohne Migrationshintergrund<br />
betreffen.<br />
8 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Es lag auf der Hand, unsere Ziele gemeinsam mit<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> zu verfolgen. Viele kleine<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> agieren ausschließlich<br />
ehrenamtlich und auf lokaler Ebene. Damit ihre<br />
Ressourcen, Erfahrungen und Anregungen für die<br />
gemeinsame Weiterentwicklung einer aktiven Zivilgesellschaft<br />
fruchtbar werden können, wurde die Idee<br />
entwickelt und umgesetzt, eine jährliche Plattform<br />
für Menschen und Organisationen, die mit den Querschnittsthemen<br />
Migration und Integration befasst<br />
sind, ins Leben zu rufen.<br />
Diese Tagungen, so belegen unsere Erfahrungen seit<br />
2006, sind zu einem wichtigen Forum für die Vernetzung<br />
geworden. Durch die Bearbeitung und Weiterentwicklung<br />
der inhaltlichen Themen, die von den<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> initiiert worden sind, wurden<br />
vielfältige fachliche Impulse auf den unterschiedlichen<br />
organisationalen, lokalen und überregionalen<br />
Ebenen angeregt.<br />
Der eintägige Workshop 2006 in Oberhausen wurde<br />
vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen<br />
und Integration des Landes NRW und vom Bundesamt<br />
für Migration und Flüchtlinge gefördert, das auch<br />
die Folgeveranstaltungen finanzierte. Hier fand ein<br />
erster Austausch statt und es wurden die Weiterbildungsbedarfe<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong> eruiert.<br />
Dieses erste Diskussionsforum – von Elke Olbermann<br />
koordiniert – war der Auftakt für weitere Diskussionsprozesse<br />
über die Rolle und Möglichkeiten<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
2007 ging es in Kooperation mit dem Landesnetzwerk<br />
Bürgerschaftliches Engagement Bayern und dem Institut<br />
für Soziale und Kulturelle Arbeit in Nürnberg um<br />
die Frage, wie die Weiterbildung der Heterogenität<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong> gerecht werden und<br />
wie sie zu ihrem Empowerment beitragen kann. Deutlich<br />
wurde: Es gibt nicht einen Königsweg, sondern
es bedarf passgenau zugeschnittener Lernarrangements,<br />
die auf die jeweiligen Herausforderungen der<br />
Gruppen abgestimmt sind. Darüber hinaus wurde diskutiert,<br />
welche förderpolitischen Konsequenzen der<br />
Nationale Integrationsplan mit sich bringt.<br />
Unterschiede und Gemeinsamkeiten von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in Ost- und Westdeutschland standen<br />
bei der letztjährigen Veranstaltung in Potsdam<br />
ebenso im Mittelpunkt, wie Überlegungen zu Förderkonzepten,<br />
die <strong>Migrantenorganisationen</strong> als selbstbewusste<br />
Akteure der Zivilgesellschaft akzentuieren.<br />
Dabei richtete sich das Augenmerk auch auf das<br />
bundesweite Integrationsprogramm. Das Programm<br />
zielt auf eine enge Kooperation mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
auf der operativen Ebene im Bereich der<br />
Projektförderung, aber auch bei der Konzeptentwicklung.<br />
An diesen Punkt schließen wir heute mit dem<br />
Vortrag von Frau Bartels an. Sie ist Leiterin des Referats<br />
Grundsatzangelegenheiten der <strong>Integrationsförderung</strong><br />
beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />
und wird über den Stand der Entwicklung der neuen<br />
Förderkonzepte berichten.<br />
Womit ich Sie nun einladen möchte, den Blick auf<br />
unsere aktuelle Tagung zu richten. Sie findet in Kooperation<br />
mit der Leitstelle Bürgergesellschaft und<br />
Ehrenamt in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz statt.<br />
Tagungsthemen und Ziele basieren auf den Interessensbekundungen<br />
der <strong>Migrantenorganisationen</strong> bei<br />
den vorausgegangenen Veranstaltungen.<br />
Das Thema „Netzwerkarbeit“ flackerte in den Diskussionen<br />
immer wieder schillernd und widersprüchlich<br />
auf. Einerseits birgt es Chancenpotentiale für lokale<br />
und überregionale Zusammenarbeit auf gleicher<br />
Augenhöhe, andererseits ist eine produktive Netzwerkarbeit<br />
eben nicht vorraussetzungslos. Heute und<br />
morgen sollen Netzwerkstrategien aus unterschiedlichen<br />
Blickwinkeln ausgelotet und weiterentwickelt<br />
werden.<br />
Prof. Dr. Reich von der Universität Koblenz Landau<br />
wird im Anschluss die inhaltliche Diskussion eröffnen<br />
und die Ergebnisse eines Forschungsprojektes über<br />
das Sozialkapital und die Netzwerkbildung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
vorstellen. Nach der Pause werden<br />
Sie von Nuran Yigit in unser World-Cafe eingeladen.<br />
An den Thementischen Interkulturelle Öffnung, politische<br />
Vertretung und öffentliche Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
sind ihre Erfahrungen mit Chancen<br />
und Grenzen der Netzwerkarbeit gefragt.<br />
Nach einer Pause wird uns Maria Weber, die Landesbeauftragte<br />
für Migration und Integration, begrüßen.<br />
Naumann - Ziele der Tagung<br />
Der morgige Tag beginnt nach einer Zwischenbilanz<br />
von Birger Hartnuß mit einem Vortrag von Dr. Thomas<br />
Röbke, dem Geschäftsführer des Landesneztwerkes<br />
Bürgerschaftliches Engagement Bayern über Praxiskonzepte<br />
und Handlungsstrategien des Netzwerkens.<br />
Hier schließen die Arbeitsgruppen an, in denen Beispiel<br />
gelungener Praxis vorgestellt werden und ihre<br />
Erfahrungen gefragt sind, um Ressourcen und Hindernisse<br />
in den jeweiligen Arbeitsfeldern auszuloten.<br />
Bevor ich nun das Wort an Herrn Reich weiter gebe,<br />
möchte ich mich bei der Vorbereitungsgruppe dieser<br />
Tagung, insbesondere bei Mehdi Jafari Gorzini und<br />
Birger Hartnuss bedanken, und bei Lea Fenner für die<br />
Tagungsorganisation.<br />
Ich wünsche uns eine erfolgreiche und produktive<br />
Tagung.<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 9
Prof. Dr. Hans H. Reich, Universität Koblenz-Landau<br />
Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation von<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />
Sie haben die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz<br />
als Tagungsort gewählt. Das ist eine Ehre für mein<br />
Bundesland, und mithin ist es eine Ehre für mich, hier<br />
vor Ihnen sprechen zu dürfen. Zwar vertrete ich nicht<br />
das Bundesland, aber ich kann mich berufen auf eine<br />
Studie zur Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in Rheinland-Pfalz, die die Beauftragte der Landesregierung<br />
für Migration und Integration vor kurzem in<br />
Auftrag gegeben hat, und die ich zusammen mit zwei<br />
Mitarbeitern am Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung<br />
der Universität Koblenz-Landau ausgearbeitet habe.<br />
So kann ich den Bezug zur Region und den Bezug<br />
zum Thema zwanglos miteinander verbinden.<br />
Die Veranstalter haben ein Fragezeichen hinter das<br />
Thema meines Beitrags geschrieben. Das ist mir<br />
recht. Man muss nach den Bedingungen fragen, unter<br />
denen Vernetzung zu Partizipation führt. Und man<br />
muss fragen: Aus welcher Perspektive soll die Antwort<br />
gegeben werden?<br />
Aus der Perspektive der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
heraus, auf der Grundlage ihrer Ziele und ihrer Ressourcen?<br />
Oder aus der Perspektive derer, die als Netzwerkpartner<br />
in Betracht kommen – der staatlichen Stellen,<br />
der Einrichtungen des Bildungswesens, der<br />
wirtschaftlichen Unternehmen, der Einrichtungen der<br />
Zivilgesellschaft (also: Nichtregierungsorganisationen,<br />
Wohlfahrtsverbände, Stiftungen)? Deren Ziele<br />
und Interessen müssen ja weder untereinander noch<br />
mit den Zielen und Interessen der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
übereinstimmen.<br />
Oder kann man, soll man eine Perspektive einnehmen,<br />
die nicht bilateral ist, die nicht hier die Migranten<br />
und dort ihre möglichen Partner sieht, sondern nach<br />
der Gesellschaft insgesamt fragt, nach dem Status<br />
der <strong>Migrantenorganisationen</strong> im Gesamtgefüge<br />
10 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
dieser Gesellschaft und nach einer möglichen, einer<br />
möglicherweise wünschenswerten Veränderung<br />
dieses Status?<br />
Der Reihe nach: <strong>Migrantenorganisationen</strong> treten ein<br />
für die Interessen der zugewanderten Menschen und<br />
ihrer Familien. Das ist eine komplexe Zielsetzung, sie<br />
verlangt vielfältiges Engagement und erhebliche materielle<br />
und ideelle Ressourcen, die nicht immer und<br />
nicht überall im erforderlichen Maße zur Verfügung<br />
stehen. Im Vergleich zu ähnlichen Organisationen von<br />
Nichtmigranten sind viele <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
eher unterausgestattet. Das Engagement der Ehrenamtlichen<br />
wird in zu geringem Maße <strong>durch</strong> hauptamtliches<br />
Personal unterstützt, es fehlt an administrativer<br />
Expertise ebenso wie an Erfahrung in der Öffentlichkeitsarbeit.<br />
Nicht selten fehlt es auch an geeigneten<br />
Räumen oder anderen infrastrukturellen Ressourcen.<br />
Die von den <strong>Migrantenorganisationen</strong> tatsächlich genutzten<br />
Spielräume sind daher alles in allem nach<br />
meiner Wahrnehmung enger, als es nötig wäre.<br />
Ihre Partizipationserwartungen richten sich also zuvörderst<br />
auf die Erhöhung ihrer Handlungsmöglichkeiten<br />
<strong>durch</strong> die Gewinnung von Expertise und <strong>durch</strong> Unterstützung<br />
aus der Gesellschaft heraus. Der Zusammenschluss<br />
gleichartiger Organisationen, die Gründung<br />
von Landes- und Bundesverbänden von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />
mag ein Weg sein, diesen Zielen näher<br />
zu kommen; er ist immerhin mit einem Plus an<br />
Einfluss und Sichtbarkeit verbunden. Ich möchte aber<br />
im Moment diese Form der Vernetzung nicht näher betrachten,<br />
und konzentriere mich auf die – zugegebenermaßen<br />
schwierigere, sozial aber weiter reichende<br />
– Netzwerkbildung unter ungleichen Partnern.<br />
Diese potenziellen Netzwerkpartner sind zunächst<br />
einmal nicht Interessenvertreter der Migranten. Als<br />
staatliche Stellen vertreten sie Ziele und Interessen<br />
der Verwaltung und der Politik, als Wirtschaftsunter-
Reich - Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
nehmen oder -verbände vertreten sie ökonomische<br />
Interessen, als Einrichtungen der Zivilgesellschaft ergänzen<br />
oder erweitern sie die Spielräume staatlichen<br />
Handelns. Für sie sind Migranten als Empfänger von<br />
Hilfe Klienten, als Arbeitskräfte Mitarbeiter, als Bürger<br />
Adressaten des Verwaltungshandelns, als Lernende<br />
Schüler und Schülerinnen (wie andere auch); für sie<br />
sind die Migranten als Einzelne in das Handeln der<br />
Institutionen einbezogen. Dass es zwischen der Institution<br />
und den Einzelnen Organisationen (wie die<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong>) geben sollte, ist zunächst<br />
einmal nicht vorgesehen.<br />
Partizipationserwartungen entstehen erst dann, wenn<br />
erkannt wird, dass die institutionelle Aufgabe in Kooperation<br />
mit <strong>Migrantenorganisationen</strong> besser bewältigt<br />
werden kann als aus eigenen Kräften.<br />
Betrachtet man das Verhältnis von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
und ihren potenziellen Netzwerkpartnern<br />
unter gesellschaftlicher Perspektive, so zeigt sich<br />
das Bild eines Umbruchs, der sich vor unseren Augen<br />
vollzieht und noch nicht abgeschlossen ist, eine<br />
Gleichzeitigkeit von Altem und Neuem. Das Alte, die<br />
frühere Situation, war gekennzeichnet <strong>durch</strong> ein ziemlich<br />
beziehungsloses Nebeneinander, grob gesagt:<br />
<strong>durch</strong> das Fehlen von Netzwerken. Die Zeichen des<br />
Wandels sind aber unverkennbar:<br />
In den <strong>Migrantenorganisationen</strong> ist der Generationenwechsel<br />
vollzogen. Bei und nach den zahlreichen<br />
Neugründungen der 1990er Jahre hat eine zunehmende<br />
Neudefinition der Ziele – weg von den Problemen<br />
in den Herkunftsstaaten hin zu den Lebensbedingungen<br />
und Zukunftschancen in Deutschland<br />
– eingesetzt, die sich auch in konkreten Aktivitäten<br />
niederschlägt. Mit dem Entstehen einer „Mittelschicht<br />
mit Migrationshintergrund“ in Deutschland haben<br />
auch ökonomische, administrative und publizistische<br />
Sachkenntnisse breiteren Eingang in die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
gefunden. Sie haben ihre Sache in<br />
die eigenen Hände genommen und lassen sich nicht<br />
mehr so leicht abspeisen wie in der Vergangenheit.<br />
Auf der anderen Seite bemühen sich zahlreiche größere<br />
und ältere Organisationen seit einigen Jahren<br />
schon um Kooperationen mit <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
Namentlich die Wohlfahrtsverbände sind an<br />
solchen Kooperationen interessiert, und die Politik unterstützt<br />
dieses Bestreben bei vielen Gelegenheiten;<br />
auch die heutige Veranstaltung ist ein Teil dieser politischen<br />
Unterstützung.<br />
Das alles zeigt, dass die Zeit reif dafür ist, die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
als Teilhaber an einem gemein-<br />
samen Ganzen zu sehen, in das alle gleichermaßen<br />
involviert sind. Man kann von einer sich anbahnenden<br />
„partizipatorischen Wende“ sprechen. In dem �Entwurf<br />
zu einem „Bundesweiten Integrationsprogramm“,<br />
der dieses Jahr vom Bundesamt für Migration und<br />
Flüchtlinge erarbeitet worden ist, finden sich interessante<br />
Aussagen dazu. Dort heißt es im Sinne einer<br />
Zielvorgabe: „Der Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
kommt aufgrund ihres partizipations- und integrationsfördernden<br />
Potenzials hohe Bedeutung zu.“<br />
(S. 193) Und im Sinne einer kritischen Analyse des<br />
Ist-Zustands: „Eine gleichberechtigte Einbeziehung,<br />
Nutzung und Anerkennung der Kompetenzen von<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> bei der Gestaltung von Integrationsangeboten<br />
sowie eine systematische Stärkung<br />
als Akteure der <strong>Integrationsförderung</strong> findet<br />
bundesweit jedoch in unterschiedlichem Umfang und<br />
nicht auf allen Ebenen programmatisch umfassend<br />
statt.“ (S. 197) Diese Linie weist in die Zukunft, sie<br />
zeigt die Aufgaben, die zu lösen sind, und sie zeigt,<br />
in welchem Geiste sie zu lösen sind. (In Klammern<br />
gesagt: Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung<br />
lässt noch nichts von diesem Geist erkennen, er<br />
beruht noch auf einer anderen Philosophie.)<br />
In welchem Sinne kann Vernetzung zu einer solchen<br />
partizipatorischen Wende beitragen? Dazu möchte<br />
ich gerne einige Beispiele aus der eingangs erwähnten<br />
Studie in Rheinland-Pfalz bringen, bei der<br />
insbesondere die Partizipation im Bereich der kommunalen<br />
Politik und im Bereich der Bildung untersucht<br />
worden ist.<br />
Im Bereich der Bildung sind wir auf drei interessante<br />
Felder möglicher Partizipation und Vernetzung gestoßen<br />
– die außerschulische Förderung, die interkulturelle<br />
Bildung und den islamischen Religionsunterricht.<br />
Außerschulische Förderung, vor allem in den Fächern<br />
Deutsch, Mathematik und Englisch, wird inzwischen<br />
von zahlreichen <strong>Migrantenorganisationen</strong>, besonders<br />
auch solchen mit religiöser Zielsetzung, angeboten.<br />
Die religiös orientierten Organisationen ergänzen<br />
dieses Angebot auch <strong>durch</strong> Bildungsangebote in den<br />
Herkunftssprachen und <strong>durch</strong> religiöse Unterweisung.<br />
Man darf dies aber keineswegs dahingehend missverstehen,<br />
als ob die schulbezogenen Angebote bloße<br />
Einstiegsangebote für die identitäts- und herkunftsbezogenen<br />
Angebote wären. Im Gegenteil: Der Bildungserfolg<br />
der Kinder und Jugendlichen in Deutschland<br />
steht im Vordergrund dieser Bemühungen; diese<br />
orientieren sich konsequenterweise an den fachlichen<br />
Erwartungen der deutschen Schule. Das wäre eine<br />
gute Grundlage für Kooperation. Die in Rheinland-<br />
Pfalz kontaktierten Einrichtungen dieser Art geben<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 11
Reich - Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
aber <strong>durch</strong>weg zu Protokoll, dass das Interesse seitens<br />
der Schulen gering geblieben sei, obwohl man<br />
versucht habe, in näheren Kontakt zu kommen.<br />
Die hemmenden Faktoren für Vernetzung und Partizipation<br />
sind hier wahrscheinlich in der Arbeitssituation<br />
der Schulen zu suchen, die zu wenig Raum für solche<br />
Kontakte lässt oder sie zu wenig honoriert. Vielleicht<br />
aber auch in der oft noch instabilen personellen Situation,<br />
die die Angebote kaum über eine schlichte<br />
Nachhilfe hinaus gelangen lässt. Eine Entwicklungsperspektive<br />
könnte es sein, die Professionalisierung<br />
dieser pädagogischen Angebote von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
voranzutreiben und dazu Netzwerkpartner<br />
aus dem Bereich der Erwachsenenbildung und der<br />
Qualifizierung von Lehrkräften zu gewinnen.<br />
Etwas anders ist die Lage bei der interkulturellen<br />
Bildung. Diese ist als wichtige schulische Aufgabe<br />
<strong>durch</strong>gehend anerkannt. Systematisch bieten sich<br />
Kooperationsmöglichkeiten im Ergänzungsbereich<br />
der offenen Ganztagsschulen, bei deren Entwicklung<br />
das Bundesland Rheinland-Pfalz eine Vorreiterfunktion<br />
innehat: Interkulturelle Angebote im Rahmen der<br />
nachmittäglichen Aktivitäten.<br />
In einem von der Universität Mainz veröffentlichten<br />
Bericht über eine Tagung der Forschungsgruppe<br />
Ganztagsschulen heißt es: „Um Schule als schülerorientierten<br />
Lebens- und Erfahrungsraum und auch<br />
als Stätte der Freizeit neu erleben zu lassen, ist es<br />
wichtig, etwas von der Vielfalt von sozialen Beziehungen<br />
und kulturellen Angeboten, die bisher im außerschulischen<br />
Feld ihren Platz hatten, nach Möglichkeit<br />
mit in das schulische Leben hineinzuholen. Hier<br />
bieten gerade die Angebote außerschulischer Partner<br />
besondere Chancen, die Schule mit Anliegen des Gemeinwesens<br />
in Verbindung zu bringen und so neue<br />
Möglichkeiten der sozialen und kulturellen Verankerung<br />
im regionalen Einzugsbereich der Schulen zu<br />
schaffen.“ Das ist eine nahezu ideale Basis für eine<br />
Partizipation an der Bildung der jungen Generation<br />
<strong>durch</strong> eine Vernetzung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
und Schulen. Leider hat eine von uns <strong>durch</strong>geführte<br />
Befragung der Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz<br />
ergeben, dass auch die Schulen, die interkulturelle<br />
Aktivitäten anbieten, nur selten mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
kooperieren. Nur 10 % der außerschulischen<br />
Kooperationspartner sind als <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
zu bezeichnen; dazu kommen dann noch mit<br />
12 % die örtlichen Ausländerbeiräte. Als hemmende<br />
Faktoren nennen die Schulen vor allem eigenen Personalmangel,<br />
mangelndes Elterninteresse, finanzielle<br />
Probleme und zu hohen Aufwand. Betriebliche Gründe<br />
also, wenn man so sagen darf.<br />
12 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Eine Entwicklungsperspektive könnte es sein, erfahrene<br />
Organisationen in bestehende Netze hineinzuholen<br />
oder als aktive Vernetzer zu engagieren, die –<br />
mit Förderung aus öffentlichen Mitteln – die Schulen<br />
und die <strong>Migrantenorganisationen</strong> darin unterstützen<br />
würden, Kooperationen im Bereich der interkulturellen<br />
Bildung auszubauen und inhaltlich zu gestalten.<br />
Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts<br />
in Rheinland-Pfalz ist ein Paradebeispiel erfolgreicher<br />
Netzwerkarbeit. Da war zunächst das Anliegen von<br />
türkischen Eltern in einem Stadtteil von Ludwigshafen,<br />
eine Möglichkeit für die religiöse Unterweisung<br />
ihrer Kinder zu schaffen. Zum Sprachrohr dieses Bedürfnisses<br />
wurde zum einen ein Zusammenschluss<br />
türkisch-muslimischer Frauen im Stadtteil, zum andern<br />
eine Stadtteilinitiative, deren Vertreter zugleich den<br />
Kontakt zum Christlich-Islamischen Gesprächskreis<br />
und damit zu einer stadtweiten Lobby herstellte. Gemeinsam<br />
sprachen sie den Leiter der Grundschule an,<br />
der sich bereit erklärte, mitzumachen – unter der Voraussetzung,<br />
dass das Ministerium zustimmte. Dieses<br />
wollte sich – begreiflicherweise – vergewissern, ob<br />
wirklich ein dauerhafter Bedarf bestehe. Der Frauenverein<br />
startete eine Unterschriftensammlung unter den<br />
muslimischen Eltern im Stadtteil und der Rücklauf mit<br />
über 50% überzeugte auch das Ministerium, das den<br />
Islamischen Religionsunterricht als Schulversuch genehmigte.<br />
Inzwischen ist eine Schule in Mainz hinzugekommen,<br />
das Angebot wird auf die Sekundarstufe<br />
ausgeweitet, und es bleibt zu hoffen, dass an den neuen<br />
Standorten ebenso aktive Netzwerke entstehen.<br />
Abschließend ein Beispiel aus dem Bereich der politischen<br />
Partizipation: Wie andere Bundesländer auch<br />
hat Rheinland-Pfalz in der Vergangenheit Probleme<br />
mit der Akzeptanz der Ausländerbeiräte gehabt, die<br />
sich in niedriger, z. T. sehr niedriger Wahlbeteiligung<br />
und geringer Partizipation der gewählten Beiräte am<br />
kommunalen Geschehen niederschlugen. In einer<br />
rheinland-pfälzischen Stadt, Bad Kreuznach, hat man<br />
diese Probleme ziemlich radikal analysiert. Dort hatte<br />
es vor den ersten Beiratswahlen in den 1980er Jahren<br />
schon eine Art von informellem „Senat“ der Vereinsvorsitzenden<br />
gegeben, die <strong>durch</strong>weg der ersten<br />
Migrantengeneration angehörten. Ihre Aktivitäten<br />
haben im Nachhinein fast eine Art von Verklärung erfahren.<br />
Denn die offiziell gewählten Ausländerbeiräte<br />
in den 1990er Jahren und danach, eher junge Leute,<br />
satzungsgemäß ausschließlich Ausländer ohne deutschen<br />
Pass, hätten, wie es heißt, nicht annähernd so<br />
viel erreicht. Der früheren Arbeit der Alten war <strong>durch</strong><br />
die offizielle Wahl in gewissem Sinne die Legitimation<br />
entzogen, und den Neugewählten fehlte es an Rückhalt.<br />
2004 scheiterten die örtlichen Beiratswahlen an
Reich - Vernetzung: Ein Beitrag zur Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
zu geringer Wahlbeteiligung, das damals gültige Quorum<br />
von 10% wurde nicht erreicht. Die Problemanalyse<br />
führte zu der Schlussfolgerung, dass Legitimation<br />
und Partizipation sich – in diesem Falle zumindest<br />
– gegenseitig im Weg gestanden hätten, und dass<br />
man – meine Formulierung – einen Weg zurück zur<br />
Partizipation <strong>durch</strong> Vernetzung finden müsse, ohne in<br />
die alten informellen (man könnte sagen „patriarchalischen“)<br />
Strukturen zurückzufallen. In kommunalem<br />
Alleingang wurde beschlossen, einen Integrationsbeirat<br />
einzusetzen, dessen Mitglieder ohne Bindung<br />
an eine bestimmte Staatsbürgerschaft vom Stadtrat<br />
zu bestellen waren. Bestellt wurden Vertreter von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />
Vertreter des Stadtrats, engagierte<br />
Einzelpersonen sowie Fachleute der Wohlfahrtsverbände<br />
und anderer Institutionen – insgesamt<br />
wurde also eine sehr breite Vernetzung angelegt, die<br />
man als Verankerung der Integrationsarbeit in der<br />
kommunalen Gesellschaft bezeichnen kann. So ist<br />
es etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, gelungen,<br />
auch Flüchtlinge und Asylbewerber für die politische<br />
Partizipation am Ort zu gewinnen, weil ein Vertreter<br />
der kirchlichen Flüchtlingsarbeit eingebunden war, der<br />
glaubhaft für die gemeinsamen Interessen von Kurden<br />
und Kosovo-Albanern eingetreten ist.<br />
Was das Beispiel lehrt, ist, dass in der Tat – unter den<br />
aktuellen Umständen – die Verbindungen mit und<br />
innerhalb der Kommune eine entscheidende Größe<br />
sind, wenn es um die politische Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
geht.<br />
Inzwischen gilt in Rheinland-Pfalz neues Recht: Die<br />
Integrationsbeiräte werden gewählt, doch ist das passive<br />
Wahlrecht nicht mehr an den Ausländerstatus<br />
gebunden, und die gewählten Beiräte können <strong>durch</strong><br />
Persönlichkeiten, die vom Stadtrat bestellt werden, erweitert<br />
werden. Damit ist eine gesetzliche Verbindung<br />
von Legitimation und Partizipation geschaffen, die für<br />
die politische Teilhabe von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
neue Perspektiven eröffnet. Die Wahlen nach dem<br />
neuen Recht haben kürzlich stattgefunden. Zwar haben<br />
sie den großen Durchbruch noch nicht gebracht;<br />
doch kann man festhalten, dass in den Städten, gerade<br />
auch in den kleineren Städten, die Wahlbeteiligung<br />
deutlich gestiegen ist. Das spricht für die eben aufgestellte<br />
These. Es wird jetzt darauf ankommen, die<br />
neue Grundlage zu nutzen, um die damit gegebenen<br />
Chancen zur Vernetzung auszubauen und im Sinne<br />
partizipatorischer Politik zu nutzen.<br />
Was ist unser Fazit?<br />
Vernetzung kann einen Beitrag zur Partizipation leisten,<br />
wenn sie Partner zusammenführt, die sich in<br />
der übergreifenden Zielsetzung einig sind, mögen sie<br />
auch sonst noch so verschieden voneinander sein.<br />
Sie kann diesen Beitrag leisten, wenn sie über den<br />
Zusammenschluss von <strong>Migrantenorganisationen</strong> hinausgeht<br />
und Netzwerkpartner einbezieht, die sozusagen<br />
die Kontakte und Verbindungen mitbringen, die<br />
in die übrige Gesellschaft hineinreichen. Dazu gehört<br />
– nicht zwingend, aber doch in der großen Mehrzahl<br />
der Fälle – die Bereitschaft der Regelsysteme (also<br />
der Verwaltung, der kommunalen Parlamente, der<br />
Einrichtungen des Bildungssystems), die Arbeit der<br />
Netzwerke zu stützen oder ihnen selbst beizutreten.<br />
Auch eine symbolische Anerkennung ist hier von<br />
hohem Wert.<br />
Die Vernetzung wird aber nur dann einigermaßen<br />
nachhaltig sein, wenn alle Partner auch für sich<br />
selbst einen Nutzen darin sehen. Man muss es wohl<br />
– noch – als Appell formulieren: Den <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
ist zuzumuten, ihre Netzwerkpartner<br />
nicht nur als Gönner und Geldgeber zu betrachten,<br />
sondern sich auch mit deren eigennützigen Zielen<br />
und Interessen auseinanderzusetzen und ggf. zu<br />
arrangieren. Von den potenziellen Netzwerkpartnern<br />
ist zu verlangen, dass sie die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
nicht nur für sich als Türöffner zu den<br />
Migranten und deren Familien betrachten, sondern<br />
dass sie die eigenständigen Beiträge erkennen,<br />
welche die Organisationen in Fragen der kommunalen<br />
Entwicklung, der Bildung, der Ökologie, der<br />
Folgen demographischer Verschiebungen leisten<br />
können, und dass sie – im Netzwerk, bei der Beantragung<br />
von Projekten, bei der Formulierung von<br />
Anträgen – für die erforderliche personelle und materielle<br />
Ausstattung der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
eintreten. „Integration auf Augenhöhe“ muss kein<br />
Schlagwort bleiben, sie kann <strong>durch</strong> die Vernetzung<br />
gleichberechtigter Partner Wirklichkeit werden.<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 13
Romy Bartels, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />
Zum Stand der Entwicklung neuer Förderkonzepte für<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> im Rahmen des bundesweiten<br />
Integrationsprogramms<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
ich bedanke mich sehr für die Einladung zu dieser<br />
Fachtagung. Zunächst möchte ich mich kurz vorstellen:<br />
Ich bin Referatsleiterin im Bundesamt für Migration<br />
und Flüchtlinge (BAMF) und leite dort das Referat<br />
Grundsatzangelegenheiten der <strong>Integrationsförderung</strong>.<br />
In meinem Vortrag werde ich mich im wesentlichen<br />
von zwei Aspekten leiten lassen:<br />
• Was wurde im bundesweiten Integrationsprogramm<br />
an Vorschlägen zur Förderung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
entwickelt und<br />
• was hat sich im BAMF im letzten Jahr getan mit einem<br />
spezifischen Blick auf die Projektförderung im Rahmen<br />
der Unterstützung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />
I. Auftrag und Ziel des bundesweiten<br />
Integrationsprogramms<br />
Die Entwicklung des bundesweiten Integrationsprogramms<br />
ist ein Auftrag aus § 45 AufenthG und als langfristiger<br />
Prozess der Qualitätsentwicklung der <strong>Integrationsförderung</strong><br />
angelegt. Dieser Auftrag wurde dem BAMF<br />
vom Bundesministerium des Innern übertragen. Der Auftrag<br />
besteht darin, die bestehenden Integrationsangebote<br />
von Bund, Ländern, Kommunen und privaten Trägern<br />
festzustellen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung<br />
vorzulegen. U.a. sollen gemeinsame Ziele für die <strong>Integrationsförderung</strong><br />
in verschiedenen Bereichen entwickelt<br />
werden. Im Rahmen des bundesweiten Integrationsprogramms<br />
sollen ganz konkrete, praxisbezogene Vorschläge<br />
zur Verbesserung der Integration entwickelt werden.<br />
Was haben wir getan?<br />
Im Austausch mit Experten aus Politik, Verwaltung, Praxis<br />
der <strong>Integrationsförderung</strong> und Wissenschaft wurden<br />
unter der Federführung des BAMF die drängenden<br />
Handlungsbedarfe in den Handlungsfeldern sprachliche<br />
14 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Integration, Bildung und Integration, berufliche Integration<br />
und gesellschaftliche Integration ermittelt und konkrete<br />
Empfehlungen und Strategien entwickelt.<br />
Als Ergebnis wurden praxisbezogene Vorschläge zu<br />
konkreten Fragestellungen erarbeitet, etwa zur Rolle<br />
der Jugendverbandsarbeit in der <strong>Integrationsförderung</strong><br />
oder auch zur Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
als Akteuren der <strong>Integrationsförderung</strong>. Die<br />
Empfehlungen betreffen nicht nur das BAMF, sondern<br />
richten sich an Bund, Länder, Kommunen, Verbände,<br />
freie Träger, <strong>Migrantenorganisationen</strong>, Forschungseinrichtungen<br />
und viele andere Akteure.<br />
Ein Schwerpunktthema im bundesweiten Integrationsprogramm<br />
im Handlungsfeld gesellschaftliche Integration<br />
ist die Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> als<br />
Akteure der <strong>Integrationsförderung</strong>. Bei der Entwicklung<br />
der Empfehlungen wurden viele Vertreter der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
eingebunden und Erfahrungen<br />
einiger Länder und Kommunen einbezogen.<br />
Warum wurde dieses Thema ausgewählt?<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> sind Foren der Selbstorganisationen<br />
und gesellschaftlichen Beteiligung. Sie können<br />
als Teil der Zivilgesellschaft einen wichtigen Beitrag zur<br />
Integration leisten. <strong>Migrantenorganisationen</strong> engagieren<br />
sich in vielfältiger Weise – und zwar hauptsächlich<br />
ehrenamtlich – für die Förderung der Integration: In<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> werden Menschen mit Migrationshintergrund<br />
aktiv und können ihre Kompetenzen<br />
einbringen. Sie kennen die Bedarfe von Menschen mit<br />
Migrationshintergrund und schließen mit ihren Angeboten<br />
oft Lücken der Integrationsarbeit. Sie haben meist<br />
einen guten Zugang zu Gruppen, die von anderen Integrationsangeboten<br />
schlechter erreicht werden.<br />
Es hat sich ein Perspektivwechsel im Umgang mit<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> vollzogen. Der Handlungs-
ansatz in der <strong>Integrationsförderung</strong> richtet sich heute<br />
stärker auf die gesellschaftliche Teilhabe. Übergeordnetes<br />
Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe von Migranten<br />
und ihren Organisationen in Wirtschaft, Politik<br />
und Gesellschaft. Dem entsprechend wird die Rolle<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong> heute anders wahrgenommen,<br />
nämlich stärker als Brückenbauer und unverzichtbare<br />
Akteure in der Integrationsarbeit vor Ort. Sie<br />
werden zunehmend als Experten für eine bedarfsgerechte<br />
Ausrichtung der Integrationspolitik und -förderung<br />
wahrgenommen und zunehmend mit einbezogen.<br />
Daneben können <strong>Migrantenorganisationen</strong> einen Beitrag<br />
zur interkulturellen Öffnung von Vereinen und Einrichtungen<br />
leisten: Eine partnerschaftliche und mitgestaltende<br />
Kooperation zwischen <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
und öffentlichen und privaten Einrichtungen und Verbänden<br />
(z.B. Bildungsträger oder Wohlfahrtsverbände),,<br />
kann deren interkulturelle Öffnung nachhaltig stärken.<br />
Wichtig ist, dass der Dialog „auf Augenhöhe“ stattfindet.<br />
In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte besonders<br />
wichtig:<br />
Erstens: Zum einen ist die Integration von Zuwanderern<br />
im Sinn der Schaffung gleicher Teilhabechancen<br />
an Bildung, Arbeit und gesellschaftlicher Mitgestaltung<br />
eine Aufgabe des Staates und der Gesellschaft.<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> können diese Aufgabe unterstützen,<br />
aber nicht übernehmen Zweitens: <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
sind bei aller Vielfalt überwiegend<br />
ehrenamtlich organisiert. Integrationsförderndes bürgerschaftliches<br />
Engagement von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
und anderen Gruppen leistet einen wichtigen<br />
Beitrag für ein gelingendes Zusammenleben von Menschen<br />
mit und ohne Migrationshintergrund. Es kann<br />
und soll aber professionelle Sozialarbeit nicht ersetzen.<br />
Vielmehr geht es um die Nutzung und Förderung<br />
komplementärer Strukturen und Kompetenzen.<br />
Die im Rahmen des bundesweiten Integrationsprogramms<br />
entwickelten Empfehlungen richten sich an Organisationen,<br />
die überwiegend von Zugewanderten gegründet<br />
wurden, deren Mitglieder überwiegend Migranten sind und<br />
die sich nachweislich in der Integrationsarbeit engagieren<br />
und nach außen in die Gesellschaft wirken.<br />
II. Empfehlungen des bundesweiten<br />
Integrationsprogramms<br />
Derzeit gibt es keine systematische und gleichberechtigte<br />
Einbeziehung und Nutzung der vielfältigen<br />
Kompetenzen der <strong>Migrantenorganisationen</strong> in die<br />
Gestaltung der Integrationsarbeit. Eine systematische<br />
Förderung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> als Akteure<br />
Bartels - Stand der Entwicklung neuer Förderkonzepte<br />
und insbesondere Träger der <strong>Integrationsförderung</strong><br />
geschieht bisher nur punktuell.<br />
Einzelne Länder (bspw. Nordrhein-Westfalen, Berlin,<br />
Brandenburg, Sachsen-Anhalt) haben Förderprogramme<br />
gezielt zur Unterstützung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
und zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen etablierten<br />
Trägern (wie den Wohlfahrtsverbänden) und <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
mit ersten guten Kooperationsbeispielen.<br />
Darauf muss jetzt aufgebaut werden.<br />
Da <strong>Migrantenorganisationen</strong> hauptsächlich ehrenamtlich<br />
Integrationsarbeit leisten, stoßen sie oft an<br />
ihre Grenzen, sie sind meist kaum über Netzwerke<br />
und Fördermöglichkeiten informiert.<br />
Die Empfehlungen des Integrationsprogramms sollen<br />
konkrete Vorschläge unterbreiten, wie dies verändert<br />
werden kann. Dabei hat sich unser Blick besonders<br />
auf folgende vier Bereiche gerichtet:<br />
• Der Auf- und Ausbau tragfähiger Strukturen für die<br />
Integrationsarbeit von <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
• Die Professionalisierung der Vereinsarbeit.<br />
• Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagement<br />
in und <strong>durch</strong> <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
• Positive Effekte der interkulturellen Öffnung der Gesellschaft<br />
für <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
In verschiedenen Gesprächen mit Vertretern von <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />
Verbänden, Ländern, Kommunen,<br />
Einrichtungen und Forschung wurden die Ist-Situation,<br />
Handlungsbedarfe und Fördermodelle diskutiert.<br />
Es wurden umfangreiche Empfehlungen und praxisorientierte<br />
Umsetzungshinweise zusammengestellt. Dabei<br />
wurden konkrete Schritte vorgeschlagen, um die<br />
Arbeit der <strong>Migrantenorganisationen</strong> zu unterstützen,<br />
ihnen ein langfristiges Engagement in der <strong>Integrationsförderung</strong><br />
zu ermöglichen und damit auch ihre Kompetenzen<br />
und Ressourcen gezielt zu nutzen.<br />
Einige der Ideen, die in den Empfehlungen ausgeführt<br />
werden:<br />
Strukturaufbau der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
Diskutiert wurden Möglichkeiten, um die Partizipation<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong> an Förderstrukturen zu<br />
erleichtern. Dabei müssen die unterschiedlichen Unterstützungsbedarfe<br />
gesehen werden:<br />
Viele ehrenamtlich aufgestellte <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
benötigen zuvörderst eine Grundausstattungsförderung<br />
(bspw. Geschäftsräume, technische Ausstattung<br />
wie PC, Schreibtisch).<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 15
Bartels - Stand der Entwicklung neuer Förderkonzepte<br />
Daneben benötigen <strong>Migrantenorganisationen</strong> auch<br />
eine infrastrukturelle Förderung (z.B. eine minimale<br />
Regelfinanzierung von Personal- und Sachkosten).<br />
Im Fokus war darüber hinaus die Frage, wie die Beteiligung<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong> an der Projektförderung<br />
gestärkt werden kann. Diskutiert wurden<br />
dabei z.B. Lösungen für den vom Zuwendungsgeber<br />
meist geforderten Eigenmittelanteil: z.B. <strong>durch</strong> Anrechnung<br />
ehrenamtlicher Arbeit auf den finanziellen<br />
Eigenanteil der <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Hinterfragt<br />
wurde beispielsweise auch, ob auf die von einigen<br />
Förderprogrammen geforderte bundesweite Tätigkeit<br />
des Antragstellers verzichtet werden kann, damit<br />
auch lokal agierende <strong>Migrantenorganisationen</strong> (bzw.<br />
grundsätzlich kleine lokale Organisationen) in den<br />
Genuss einer Förderung gelangen können.<br />
Ein weiteres wichtiges Thema war die Frage nach<br />
einem Ausbau der Weiterbildungsmaßnahmen für<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong>. Aus Sicht der beteiligten<br />
Experten sind folgende Aspekte in diesem Zusammenhang<br />
besonders wichtig:<br />
• Entwicklung von Professionalisierungs- und Weiterbildungsangeboten<br />
für <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
• Das Beratungsangebot für <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
sollte ausgedehnt werden.<br />
• Informationsfluss über Fördermittel verbessern.<br />
• Kooperationen zwischen etablierten Trägern der<br />
<strong>Integrationsförderung</strong>, z.B. Wohlfahrtsverbänden<br />
oder Einrichtungen der Engagementförderung, und<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> zu unterstützen.<br />
• Stärkere Vernetzung zwischen etablierten Trägern<br />
und <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
• Einbeziehung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> in die<br />
bestehenden Integrationsnetzwerke vor Ort und in<br />
die Entwicklung von Integrationskonzepten.<br />
Angesprochen wurden auch Möglichkeiten, die bereits<br />
bestehenden Aktivitäten zur interkulturellen<br />
Öffnung auf Seiten der Verwaltung, bei bestehenden<br />
Einrichtungen und Angebote zu stärken und eine engere<br />
Zusammenarbeit mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
hierbei zu unterstützen. Die gesellschaftliche Teilhabe<br />
von Jugendlichen und die Notwendigkeit der interkulturellen<br />
Öffnung der Jugendverbandsarbeit ist ein<br />
weiteres wichtiges Kapitel, auf das ich aber hier wegen<br />
der begrenzten Zeit nicht näher eingehen kann.<br />
III. Aktivitäten des Bundesamtes für<br />
Migration und Flüchtlinge<br />
Das Bundesamt hat bereits viele der im Integrationsprogramm<br />
entwickelten und oben exemplarisch dar-<br />
16 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
gestellten Empfehlungen zur Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
umgesetzt, insbesondere im Rahmen<br />
der eigenen Projektförderung, und damit den Anteil<br />
der Projekte, die von <strong>Migrantenorganisationen</strong> <strong>durch</strong>geführt<br />
wurden, in größerem Umfang erhöht.<br />
Die Projektförderung hat ihre Förderkriterien stärker<br />
interkulturell geöffnet. <strong>Migrantenorganisationen</strong> werden<br />
zukünftig insbesondere <strong>durch</strong> folgende Ansätze<br />
stärker gefördert:<br />
• Die neue Förderrichtlinie sieht eine umfassende<br />
Mitwirkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> an der <strong>Integrationsförderung</strong><br />
vor.<br />
• Das Bundesamt hat verstärkt <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
mit der Durchführung gemeinwesenorientierter<br />
Projekte beauftragt; der Projektanteil wurde<br />
bei neuen Projekten verdreifacht.<br />
• Zugleich wird vermehrt Beratung für <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
zur Projektkonzeption und Antragstellung<br />
angeboten, z.B. über die Regionalkoordinatoren<br />
des Bundesamtes.<br />
• Begleitung von Projekten mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
<strong>durch</strong> Evaluation.<br />
• Verstärkte Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen<br />
für <strong>Migrantenorganisationen</strong> wie etwa Multiplikatorenschulungen<br />
und inhaltliche und organisationenbezogene<br />
Qualifizierungsmaßnahmen.<br />
• Im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens<br />
zur verstärkten Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
im Rahmen der Projektförderung<br />
wurden vierzehn Modellprojekte zu verschiedenen<br />
Kooperationsformen vom Tandem- bis zum Mentoringprojekt<br />
ausgewählt. Die zweijährige Modellphase<br />
erfolgt mit fachlicher Begleitung <strong>durch</strong> zwei<br />
Experten und wird <strong>durch</strong> verschiedene Veranstaltungen<br />
und Workshops unterstützt. Am Ende soll<br />
eine Dokumentation die Erfahrungen und Handlungsempfehlungen<br />
aus diesen Kooperationsprojekten<br />
festhalten.<br />
Ausblick<br />
Die Empfehlungen des bundesweiten Integrationsprogramms<br />
werden gegenwärtig abgestimmt und im<br />
Anschluss veröffentlicht. Einzelne Themen werden<br />
dann weiter vertieft und Umsetzungsprozesse angestoßen,<br />
z.B. in Form von Modellprojekten. Das Integrationsprogramm<br />
zeigt sich damit als Prozess und<br />
nicht nur eine Publikation.<br />
Das Bundesamt wird seine Zusammenarbeit und Unterstützung<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong> auch in 2010<br />
weiter ausbauen. Im Jahr 2010 ist eine zweite Tagung<br />
mit <strong>Migrantenorganisationen</strong> im Bundesamt geplant.
Dr. Thomas Röbke, Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern<br />
Netzwerke: Konzepte und<br />
Handlungsstrategien für die Praxis<br />
Im Mittelpunkt dieser vierten Tagung des <strong>BBE</strong> zur<br />
Strukturentwicklung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
steht die Vernetzung von Kompetenzen, Ressourcen<br />
und Potenzialen. Dieses Interesse markiert eine<br />
historische Konstellation: Nach der Stärkung (zum<br />
Beispiel <strong>durch</strong> Bildung), aber auch nach sichtbar gewordenen<br />
Grenzen in der Selbstorganisation, die in<br />
den letzten Jahren diskutiert wurden, stellt sich nun<br />
die Frage, wie die eigene Initiative mit anderen kooperieren<br />
kann. Wie kann beispielsweise die prekäre<br />
Lage, in der sich viele <strong>Migrantenorganisationen</strong> personell<br />
und finanziell befinden, <strong>durch</strong> Bündelung der<br />
Kräfte entschärft werden? Wie schafft man es, sich<br />
gegenseitig zu stützen und neue Kräfte hinzu zu gewinnen?<br />
Aber es geht auch um eine politische Dimension,<br />
denn nur mit vereinten Kräften wird man sich<br />
öffentlich mehr Gehör verschaffen können. Oft genug<br />
weisen ja deutsche Politiker darauf hin, dass sie<br />
keine genügend legitimierten Ansprechpartner unter<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> haben, wenn es um Integrationspolitik<br />
geht.<br />
Ich bin kein Fachmann für Fragen der Integration.<br />
Mein Hintergrund ist das bürgerschaftliche Engagement.<br />
Als Geschäftsführer des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches<br />
Engagement Bayern sind Probleme<br />
des Netzwerkmanagements mein tägliches Brot. Ich<br />
konnte dazu viele Erfahrungen sammeln. Aber erst<br />
nach Jahren der Netzwerkarbeit habe ich mich eingehend<br />
theoretisch mit den Chancen und Risiken der<br />
Netzwerkarbeit beschäftigt und mich gefragt, was ich<br />
da eigentlich tue.<br />
Ich glaube, da bin ich nicht alleine. Das Leben und<br />
Arbeiten in Netzwerken ist heute eine weit verbreitete<br />
Praxis geworden. Wenn man aber genauer hinsieht,<br />
dann geht es einem fast so, wie es einmal Augustinus<br />
über die Zeit gesagt hat. Wenn einen niemand danach<br />
fragt, was ein Netzwerk ist, glaubt man es zu wissen.<br />
Wenn man aber ausdrücklich darauf angesprochen<br />
wird, kommt man in Verlegenheit. Was also zeichnet<br />
Netzwerke aus? Was unterscheidet sie von anderen<br />
gesellschaftlichen Organisationsformen? Was sind<br />
die Vorteile ihrer Funktionsweise, wo liegen ihre Nachteile?<br />
Was kann man tun, um sie zu steuern?<br />
Die Anwendungsgebiete des Netzwerkbegriffs sind<br />
heute geradezu uferlos: Vom technischen Netzwerk<br />
bis zum Verbrechernetzwerk reicht die Spannbreite.<br />
Mir geht vor allem um soziale und politische Netzwerke<br />
der Zivilgesellschaft, die mit starken Potenzialen<br />
des bürgerschaftlichen Engagements ausgestattet<br />
sind, sich demokratische Spielregeln geben und<br />
um eine transparente Arbeitsweise bemühen. Sie<br />
sind insofern ein besonderer Typ, als sie die privaten<br />
Sphären der Lebenswelt mit der politischen Sphäre<br />
der Öffentlichkeit und der sozialen Sphäre der Solidarität<br />
verknüpfen.<br />
Ich möchte die Aufgabe, die mir gestellt wurde, in<br />
vier Schritten angehen. Erstens möchte ich nach den<br />
allgemeinen Eigenschaften von Netzwerke fragen,<br />
um mich dann zweitens den charakteristischen Eigenschaften<br />
zivilgesellschaftlicher Netzwerke zuzuwenden.<br />
Drittens werde ich auf einige Eigenschaften<br />
und Probleme der Netzwerkarchitektur eingehen,<br />
um mich schließlich, viertens, mit den Aufgaben des<br />
Netzwerkmanagements zu beschäftigen. Ich werde<br />
immer wieder Bezüge zum inhaltlichen Thema der<br />
<strong>Integrationsförderung</strong> herstellen. Es wird aber bei Andeutungen<br />
bleiben, von denen ich hoffe, dass sie in<br />
den folgenden Diskussionen dieser Tagung aufgegriffen<br />
werden.<br />
Was sind Netzwerke?<br />
Netzwerke sollten auf Vertrauen beruhen, sie verlangten<br />
nach einer Kommunikation auf Augenhöhe<br />
und benötigten ein Management. Man sollte daher<br />
erst einmal klein anfangen, bevor man sich überfor-<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 17
Röbke - Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien für die Praxis<br />
dert. Netzwerke könnten neue Möglichkeiten erschließen<br />
und Zugang zu Fördertöpfen eröffnen, die bisher<br />
verschlossen blieben. Gute Netzwerkarbeit, so resümierte<br />
eine Stimme aus der Praxis, „bleibt ein Traum.<br />
Dennoch soll der Traum weitergeträumt werden.“<br />
Die Erwartungen an Netzwerkarbeit sind hoch, klar<br />
ist aber auch, dass der Aufbau und die Pflege von<br />
Netzwerken eine anspruchsvolle und zeitraubende<br />
Aufgabe sein kann, bei der Überforderung droht.<br />
Netzwerkarbeit muss man sich leisten können.<br />
Netzwerke sind in den Augen des Philosophen Hartmut<br />
Böhme „praktische Kompromisse zwischen<br />
Ordnung und Unordnung“. Das halte ich für eine<br />
sehr treffende Definition. Sie ist etwas vage, wie es<br />
Netzwerke eben so an sich haben. Netzwerke sind<br />
nicht auf dem Reißbrett ausgedacht, sondern praktische<br />
Kompromisse, die in vielerlei Hinsicht eine<br />
größere Wirksamkeit und Arbeitsfähigkeit erzielen<br />
können als konstruierte Ordnungen, die oft steif und<br />
unbeweglich sind. Netzwerke sind aber nicht völlig<br />
chaotisch, ihre Elemente weisen schon geregelte<br />
Beziehungen zueinander auf, die sich allerdings verändern<br />
können. Die Elemente eines Netzwerks bleiben<br />
beweglich, sie können ihre Position wechseln<br />
und sind nicht sehr fest gefügt. Das unterscheidet<br />
sie zum Beispiel von einer öffentlichen Verwaltung,<br />
einer Kirche oder einem Großunternehmen. Während<br />
starre Organisationsformen dazu neigen, ihre<br />
Elemente gleichzuschalten und zu homogenisieren,<br />
leben Netzwerke geradezu vom Unterschied. Ihr Lebenselixier<br />
liegt in der „Diversity“, im kreativen Unterschied<br />
der Teilelemente.<br />
Der Hinweis auf Diversity soll in diesem Zusammenhang<br />
auch auf einen Paradigmenwechsel aufmerksam<br />
machen: Der Übergang von der Leitvorstellung<br />
der Integration zur Diversity läuft nicht zufällig parallel<br />
zum Wechsel der Ordnungsvorstellungen gesellschaftlicher<br />
Organisationskulturen hin zum Netzwerk.<br />
Das Netzwerk hat kein Zentrum, an dem sich alles<br />
auszurichten hat. Es besteht aus unterschiedlichen<br />
Teilen und vielfältigen Bezugspunkten, die sich ergänzen,<br />
aber auch gegenseitig blockieren können.<br />
Netzwerke kommen ohne die Vorstellung einer Leitkultur<br />
aus, an der sie sich auszurichten haben. Sie<br />
sind multifokal. Ihre Beziehungen sind offen, aber<br />
auch wenig verpflichtend. Denken sie an soziale<br />
Netzwerke im Internet wie Facebook oder StudiVZ.<br />
Da kann sich jederzeit jemand Freunde suchen, die<br />
er nicht einmal mehr persönlich kennt.<br />
Diese Form der Unverbindlichkeit mag extrem sein,<br />
aber die meisten sozialen Netzwerke (bei Verbre-<br />
18 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
chensnetzwerken wie der Mafia ist das sicher anders)<br />
zeichnen sich <strong>durch</strong> schwache Bindungen aus.<br />
Der amerikanische Netzwerkforscher Marc Granovetter<br />
sieht darin geradezu den wichtigsten Vorteil<br />
von Netzwerken. Weil die Verknüpfungen so locker<br />
sind, können sie einen viel größeren Kreis von Menschen<br />
einbeziehen. Die Stadt etwa mit ihrem fluktuierenden<br />
menschlichen Beziehungsgeflecht war<br />
deshalb immer ein bevorzugter Ort der Integration<br />
im Vergleich zu ländlichen Gebieten, deren Dörfer<br />
über Jahrhunderte von denselben Familien geprägt<br />
waren. Schwache Bindungen sind anschlussfähiger<br />
als starke emotionale oder verwandtschaftliche<br />
Beziehungen.<br />
Netzwerke sind deshalb attraktiv und breiten sich so<br />
schnell aus, weil sie den modernen Lebensformen<br />
perfekt entsprechen. Sie organisieren Vielfalt, ohne<br />
diese allzu sehr zu beschneiden. Sie stellen lose Beziehungen<br />
her, die offen sind für Neuankömmlinge<br />
und leicht zu verlassen für Kündigungswillige. Sie leben<br />
von Kommunikationsprozessen auf Augenhöhe<br />
ohne starre Hierarchien und Regelwerke. Das macht<br />
sie geschmeidig, anpassungsfähig, flexibel.<br />
Ich werde noch auf die Kehrseite dieser Eigenschaften<br />
zu sprechen kommen. Zunächst möchte ich<br />
klären, welche besonderen Merkmale Netzwerke der<br />
Zivilgesellschaft auszeichnen.<br />
Zivilgesellschaftliche Netzwerke<br />
Drei Ausprägungen zivilgesellschaftlicher Netzwerke<br />
möchte ich unterscheiden. Sie haben in der einschlägigen<br />
Literatur schon Ordnungsnummern erhalten,<br />
was meine Darstellung vereinfacht: Man spricht von<br />
primären, sekundären und tertiären Netzwerken.<br />
Primäre Netzwerke bezeichnen Netzwerke der unmittelbaren<br />
Lebenswelt: In der Nachbarschaft, im<br />
Stadtteil, im Umfeld der Freunde und Verwandten.<br />
Diese Netzwerke stehen vielfach unter enormen<br />
Druck. Auch im Bereich der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte<br />
werden die Bindungen in den Familien<br />
und der Nachbarschaft lockerer. Darüber hinaus<br />
spielen besondere Milieus eine wichtige Rolle. Sie<br />
kennen die aufschlussreiche Sinus-Studie. Hier wird<br />
sehr anschaulich dargelegt, dass wir es heute schon<br />
längst mit einer Vielzahl von Milieuzugehörigkeiten zu<br />
tun haben. (s. Abb 1)<br />
Es gibt traditionelle Milieus, die stark religiös verwurzelt<br />
sind, aber auch Modernisierungsverlierer,<br />
die von Exklusion <strong>durch</strong> die Mehrheitsgesellschaft<br />
bedroht sind. Die schlecht integrierten Milieus
Abb. 1: Die Migranten-Millieus in Deutschland 2008<br />
hoch 1<br />
mittel 2<br />
niedrig 3<br />
Soziale<br />
Lage<br />
Grundorientierung<br />
A 3<br />
Religiösverwurzeltes<br />
Millieu<br />
7%<br />
A I<br />
Vormorderne<br />
Tradition<br />
Konservativreligiös,<br />
strenge<br />
rigide Wertvorstellungen,kulturelle<br />
Enklave<br />
Bürgerliche<br />
Migranten-Millieus<br />
Quelle: © Sinus Sociovision<br />
Röbke - Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien für die Praxis<br />
AB 3<br />
Traditionelles<br />
Arbeitermillieu<br />
16 %<br />
A II<br />
Ethnische Tradition<br />
Pflicht- und Akzeptanzwerte,<br />
materielle Sicherheit, traditionelle<br />
Moral<br />
AB 12<br />
Statusorientiertes<br />
Millieu 12 %<br />
B3 Entwurzeltes<br />
Millieu 9%<br />
B I<br />
Konsummaterialismus<br />
Status, Besitz, Konsum,<br />
Aufstiegsorientierung, soziale<br />
Akzeptanz und Anpassung<br />
B 12 Intellektuellkosmopolitisches<br />
Millieu<br />
11 %<br />
B 23<br />
Adaptivesbürgerliches<br />
Millieu 16 %<br />
BC 3<br />
Hedonistischsubkulturelles<br />
Millieu 15%<br />
B II<br />
Individualissierung<br />
Selbstverwirklichnung, Leistung,<br />
Genuss, bi-kulturelle Ambivalenz<br />
und Kulturkritik<br />
BC 2<br />
Multikulturelles<br />
Performermillieu<br />
13 %<br />
C<br />
Multioptionalität<br />
Postmodernes Werte-<br />
Patchwork, Sinnsuche,<br />
multikulturelle Identifikation<br />
Tradition Modernisierung Neuidentifikation<br />
Traditionsverwurzelte<br />
Migranten-Millieus<br />
scheinen allerdings in der Minderheit, obwohl das<br />
mediale Interesse hier oft am stärksten ist. Auf der<br />
anderen Seite gibt es etwa ein sogenanntes multikulturelles<br />
Performermilieu oder ein hedonistischsubkulturelles<br />
Milieu, das sich kaum mehr von<br />
modernen Lebensstilen junger Deutscher unterscheidet.<br />
Ich denke dabei an die Filme von Fatih<br />
Akin und ihre urbane höchst lebendige Mischung.<br />
Diese Heterogenität von Milieus kann zu einem<br />
spannenden Ausgangspunkt zivilgesellschaftlicher<br />
Aktivitäten werden. Projekte wie Stadtteilmütter<br />
oder Patenschaftsprojekte, in denen gut integrierte<br />
Migrantinnen und Migranten sich um den Bildungserfolg<br />
Jugendlicher kümmern, beruhen auch darauf,<br />
das Brücken zwischen diesen verschiedenen<br />
Subkulturen entstehen. Integrationsprozesse sind<br />
ja nicht nur ein Thema zwischen Deutschen und<br />
Menschen mit Miragtionshintergrund, sondern<br />
spielen sich auch zwischen den jeweiligen Communities<br />
ab. Bürgerschaftliche Projekte können wertvolle<br />
Verbindungen schaffen.<br />
Ambitionierte<br />
Migranten-Millieus<br />
Prekäre<br />
Migranten-Millieus<br />
Sekundäre Netzwerke stellen weitere Ressourcen für<br />
einen gelungenen Integrationsprozess zur Verfügung.<br />
Sie umfassen professionelle und zivilgesellschaftliche<br />
Infrastrukturen, die sich unmittelbar um die jeweiligen<br />
Lebenswelten gruppieren: Das Vereinsleben am<br />
Ort, die wohnortnahe Schule oder die Kindertagesstätte,<br />
das Büro für Gemeinwesenarbeit im Stadtteil<br />
etc. Diese sekundären Netzwerke sind wichtige Anknüpfungspunkte<br />
für zivilgesellschaftliche Aktivitäten.<br />
Sekundäre Netzwerke werden sozialpolitisch häufig<br />
dort gefördert und ausgebaut, wo sich sozial benachteiligte<br />
und bildungsferne Milieus in sozialräumlichen<br />
Segregationsprozessen verfestigen. In den letzten<br />
Jahren haben sich beispielsweise viele Kindergärten<br />
und Schulen zu Familienzentren oder Community<br />
Schools erweitert. Diese Öffnung bietet für die<br />
primären Netzwerke wichtige Anlaufstellen und sorgt<br />
für den Autausch im Stadtteil. Zudem entwickeln sich<br />
wohnartnahe professionelle Unterstützungsformen<br />
wie zum Beispiel Quartiersmanagement in Gebieten<br />
der „Sozialen Stadt” oder Gemeinwesenbüros, Com-<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 19
Röbke - Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien für die Praxis<br />
munity Organising-Initiativen usw. Alle diese Einrichtungen<br />
haben zum Ziel, die primären Netzwerke zu<br />
stärken, indem sie sie mit Projekten und Institutionen<br />
von sekundären Netzwerken verknüpfen, sie für neue<br />
gesellschaftliche Kontakte öffnen und ein Abschotten<br />
in Parallelwelten verhindern.<br />
Tertiäre Netzwerke spielen sich darüber hinaus vor<br />
allem zwischen professionellen Akteuren ab. Das<br />
<strong>BBE</strong> ist hierfür ein gutes Beispiel. In einer immer unübersichtlicher<br />
werdenden Landschaft von Modellprogrammen<br />
und Infrastrukturen sollen diese Netzwerke<br />
für Koordination und Kooperation sorgen, aber<br />
auch Doppelarbeit vermeiden.<br />
Im <strong>BBE</strong> sind vor allem die großen nationalen Akteure<br />
aus Zivilgesellschaft, Bund, Länder,, Kommunen und<br />
Unternehmen organisiert, die sich mit bürgerschaftlichem<br />
Engagement beschäftigen. Tertiäre Netzwerke<br />
können aber auch ganz alltagsnah sein, zum Beispiel<br />
Runde Tische, in denen sich alle Akteure treffen,<br />
die mit Bildung in einem Stadtteil zu tun haben, oder<br />
Bündnisse für Familien, in denen Beratungsstellen,<br />
das Jugendamt und Unternehmen der Region gemeinsame<br />
Handlungsstrategien entwickeln.<br />
Besonders charakteristisch für die Netzwerkarbeit<br />
im zivilgesellschaftlichen Kontext ist nun, auf welche<br />
Weise die drei verschiedenen Netzwerkarten zusammenspielen.<br />
Fachleute haben dafür den Begriff des<br />
„Wohlfahrtsmixes” geprägt. Was ist damit gemeint?<br />
Nehmen wir zum Beispiel ein Patenschaftsprojekt, in<br />
dem gut integrierte Menschen mit Zuwanderungsgeschichte<br />
Jugendliche auf ihrem Weg von der Schule<br />
in die Ausbildung unterstützen. Diese Paten müssen<br />
sich in der unmittelbaren Lebenswelt der Jugendlichen<br />
bewegen können. Sie sollen Brücken schlagen<br />
zwischen den verschiedenen Migrantenmilieus und<br />
zur sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Vor allem<br />
sollen sie gute Kontakte zu professionellen Stellen<br />
wie Schulen, dem örtlichen Jobcenter, Werkstätten<br />
des zweiten Arbeitsmarktes etc. haben. Das ist natürlich<br />
für ehrenamtliche Paten sehr viel verlangt. Deshalb<br />
müssen sie umgekehrt wieder <strong>durch</strong> sekundäre<br />
und tertiäre Netzwerke unterstützt werden, die ihnen<br />
Türen öffnen und Kontakte erleichtern. Zum Beispiel<br />
eine Freiwilligenagentur oder <strong>durch</strong> den lokalen Verband<br />
der türkischen Unternehmer.<br />
Erst diese Verschränkung der Ebenen macht das<br />
volle Potenzial zivilgesellschaftlicher Netzwerkarbeit<br />
sichtbar. Alle Netzwerke sollen untereinander offen<br />
und anschlussfähig sein. Wenn sich beipielsweise ein<br />
lebendiges primäres Netzwerk in einem Kiez bildet,<br />
dann ist es die Kunst der sozialpolitischen Steuerung,<br />
20 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
gerade dieses zu stärken und keine neuen Parallelstrukturen<br />
aufzubauen. Dass da viel schief gehen<br />
und auch Geld verschleudert werden kann, wenn<br />
man dies nicht beherzigt, habe ich in den letzten Jahren<br />
oft beobachten können. Da gab es besonders<br />
geschickte Träger, die <strong>durch</strong> ihre guten Kontakte in<br />
den professionellen, tertiären Netzwerken enorme<br />
Fördersummen erhalten haben. Die wurden dann<br />
dafür eingesetzt, neue Hilfestrukturen im Kiez aufzubauen,<br />
statt schon auf die bewährten Netzwerke<br />
zurückzugreifen. Eine wichtige Schlussfolgerung<br />
aus diesen Erfahrungen wäre es, wenn man schon<br />
bei der Auswahl der Träger von Projekten und Programmen<br />
zur Auflage macht, dass lebensweltnahe<br />
Akteure einbezogen sein müssen. Ich finde daher die<br />
auf dieser Tagung oft gehörte Forderung sehr gut, bei<br />
Förderungen im Migrationsbereich immer auch eine<br />
Migrantenorganisation als Tandempartner im Boot zu<br />
haben. Wir haben im Landesnetzwerk eine bewährte<br />
Projektpartnerschaft mit der Arbeitsgemeinschaft der<br />
Ausländerbeiräte in Bayern (AGABY). Das Projekt<br />
„gemeinsam engagiert“ funktioniert deshalb gut, weil<br />
es die unterschiedlichen Sichtweisen und Zugänge<br />
der beiden Projektpartner mit einem gemeinsam definierten<br />
Ziel kombiniert. „gemeinsam engagiert“ wird<br />
ja im Rahmen dieser Tagung vorgestellt, so muss ich<br />
hier nicht näher darauf eingehen.<br />
Eigenschaften und Probleme<br />
Derartige paritätische Trägerschaften sind die absolute<br />
Ausnahme. Die Erfahrung mit der Förderpolitik ist<br />
meist eine andere und zeigt, dass auch in Netzwerken<br />
nicht alles Gold ist, was glänzt. Oft geht es um<br />
Macht. Aus Netzwerken können Klüngel werden, die<br />
gerade jene ausschließen, die mit schwacher Stimme<br />
sprechen. Und hierzu gehören leider bisher die Menschen<br />
mit Zuwanderungsgeschichte. Zu einer „nachholenden<br />
Integrationspolitik“ muss es daher nicht nur<br />
gehören, den Professionalisierungsgrad der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
zu erhöhen, sondern ihnen auch<br />
den Eintritt in die wichtigen sekundären und tertiären<br />
Netzwerke zu ermöglichen.<br />
Netzwerke sind im Kontext der zivilgesellschaftlichen<br />
Entwicklung zu mehr Demokratie und Beteiligung<br />
nicht per se die gleichsam natürliche Organisationsform.<br />
Sie haben gute und schlechte Eigenschaften:<br />
Geschwindigkeit und Flexibilität<br />
Ob Netzwerke in ihren Wirkungen so erfolgreich sind,<br />
wie es ihre rasante Verbreitung nahe legt, ist nicht<br />
leicht abzuschätzen. Netzwerke haben einen hohen<br />
Abstimmungs- und Pflegebedarf, der mit der Zahl
der Akteure zunimmt. Zwar können sie Informationen<br />
schnell übermitteln, doch ihre multifokale Struktur mit<br />
flachen Hierarchien führt häufig zu einem enormen<br />
Diskussions- und Rückkopplungsaufwand, wenn es<br />
um Entscheidungen geht.<br />
Verbindungen<br />
Im Zentrum der Netzwerkarchitektur steht die Qualität<br />
der Verbindungen. Schwache Beziehungen erlauben<br />
es im Prinzip, in Kontakt zu einer viel größeren Menge<br />
von Partnern zu treten, als es enge, aber zeitraubende<br />
Verpflichtungen oder Freundschaften zulassen.<br />
Andererseits beruhen Netzwerke auf Vertrauen.<br />
Wie aber sollen wir jemandem Vertrauen schenken,<br />
den wir nur flüchtig kennen?<br />
Zugänge<br />
Netzwerke verbinden. Sie können aber auch trennen.<br />
Bürgerschaftliche Netzwerke bieten einerseits die<br />
Aussicht auf einen niedrigschwelligen Zugang zum<br />
gesellschaftlichen Leben. Diese Funktion wird umso<br />
wichtiger, je weiter sich unsere Gesellschaft individualisiert.<br />
Zugleich können starke Binnenbeziehungen<br />
in Netzwerken aber auch zum Ausschluss einzelner<br />
Gruppen und Milieus führen.<br />
Kopplungen<br />
Netzwerke leben als freiwillige Zusammenschlüsse<br />
von den Zielen, die sie sich setzen. Wenn es sich<br />
um professionelle Partner handelt, die, jeder für sich,<br />
ein strategisches Interesse am Netzwerk formulieren,<br />
ist dieses Spiel zwischen Sonderinteressen und<br />
Netzwerkzielen nicht unproblematisch. Immer wieder<br />
kommt es zu Vereinnahmungen von Interessen. Auf<br />
dieser tertiären Ebene des bürgerschaftlichen Engagements<br />
agieren beispielsweise Wohlfahrtsverbände<br />
oder Unternehmen, Bildungseinrichtungen oder Beratungsdienste.<br />
Ihnen ist ein professionelles Verständnis<br />
ihrer Arbeit selbstverständlich und sie können die<br />
Schnittstellen, die sie mit dem Netzwerk gemeinsam<br />
haben, genau definieren. Es kann dann aber auch<br />
geschehen, dass die professionelle Handlungslogik<br />
Netzwerke überformt und instrumentalisiert.<br />
Aufgaben des Netzwerkmanagements<br />
Damit sind schon viele Bruchstellen und Ambivalenzen<br />
benannt, die ein Netzwerkmanagement im<br />
Bereich des bürgerschaftlichen Engagements zu<br />
bearbeiten hat. Es muss versuchen, Machtungleichgewichte<br />
auszugleichen. Ich glaube, das Netzwerkmanagement<br />
leicht gegen den Strom steuern muss,<br />
Röbke - Netzwerke: Konzepte und Handlungsstrategien für die Praxis<br />
um gerade jene Augenhöhe herzustellen, die nicht<br />
selbstverständlich ist. Ein zweites Prinzip sehe ich in<br />
der Aufgabe, Vielfalt zu organisieren. Im Bereich der<br />
Integrationsarbeit gibt es den Begriff des Diversity-<br />
Managements. Wie kann es gelingen, eine Kooperation<br />
unterschiedlicher Kulturen zu erreichen, obwohl<br />
oder besser: gerade weil diese so unterschiedlich<br />
sind? Ich möchte die zugrunde liegende Steuerungsphilosophie<br />
als Suche nach Synergien bezeichnen.<br />
Obwohl dieses Wort schon ziemlich abgenutzt ist<br />
– jede Firma, die eine andere schluckt, spricht von<br />
Synergie, ist die damit gemeinte Praxis eher selten<br />
anzutreffen. Aus den Unterschieden Funken schlagen,<br />
Spaß an der Vielfalt haben ist anstrengend, aber<br />
kann meines Erachtens zu Resultaten führen, die völlig<br />
überraschend, ja beglückend sein können.<br />
Netzwerkmanager sollten diese Aufgaben verfolgen,<br />
indem sie<br />
1. die Selbstorganisationspotenziale der primären<br />
Netzwerke um Familie, Nachbarschaft und bürgerschaftliches<br />
Engagement stärken und dafür<br />
sorgen, dass sie im politischen Raum der Öffentlichkeit<br />
Gehör finden;<br />
2. die Abschließung von Netzwerken aufbrechen und<br />
soziale Kreise für Prozesse der gesellschaftlichen<br />
Kooperation und Koproduktion begeistern;<br />
3. den Eigensinn des bürgerschaftlichen Engagements<br />
gegenüber Versuchen professioneller Rationalisierung<br />
bewahren;<br />
4. Netzwerke von professionellen Partnern auf eine<br />
behutsame Zusammenarbeit mit bürgerschaftlich<br />
organisierten Netzwerken vorbereiten;<br />
5. bürgerschaftliche Netzwerke als Korrektiv der Pathologien<br />
professioneller Dienste und Organisationen<br />
zur Geltung bringen;<br />
6. Plattformen der Begegnung zivilgesellschaftlicher,<br />
wirtschaftlicher und politischer Akteure schaffen;<br />
7. sich um die Evaluation der Netzwerkarbeit kümmern<br />
und den Netzwerkpartnern die Chancen, die<br />
ihr Einsatz bietet, bewusst machen.<br />
Dies ist ein anspruchsvolles Aufgabenprofil. Netzwerkarbeit<br />
muss man sich leisten können. Ich denke,<br />
man sollte sich nicht entmutigen lassen und vielleicht<br />
erst einmal klein anfangen. Aber man steht auch<br />
nicht am Anfang. Diese Tagung zeigt, dass man auf<br />
dem Weg der Vernetzung schon ein gutes Stück vorangekommen<br />
ist. Es wird darauf ankommen, diese<br />
Ausgangsposition in den kommenden Jahren auszubauen.<br />
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht,<br />
seitdem auch große Institutionen wie das BAMF die<br />
Notwendigkeit der Förderung von Netzwerkarbeit erkannt<br />
haben.<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 21
World Café<br />
An die Plenumsvorträge schloss sich ein World-Cafe<br />
an. Dabei tauschten sich die Teilnehmenden über<br />
ihre Erfahrungen mit den Chancen und Grenzen von<br />
Netzwerken aus.<br />
Protokolle der Thementische zur<br />
interkulturellen Öffnung mit MO<br />
Thementisch 1<br />
Die Vernetzung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> hat angefangen<br />
und ist nicht mehr zu stoppen. Obwohl solche<br />
Entwicklungen und Vernetzungen neue Chancen<br />
für MO eröffnen, haben sie auch mit Grenzen zu tun.<br />
Die Netzwerke sollen gepflegt werden, die Regeln sollen<br />
erstellt und eingehalten werden. Netzwerkarbeit<br />
braucht Zeit und Mühe. Zusammen etwas zu bewegen<br />
wirkt besser, beansprucht jedoch mehr Kraft und Zeit.<br />
Unter dem Aspekt „Interkulturelle Öffnung mit MO“<br />
wurde das Thema diskutiert und wir haben versucht<br />
gemeinsam unsere Anliegen zum Thema darzustellen.<br />
Welche Bedeutung / Welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke für MO?<br />
Zu dem Thema wurden folgende Punkte bei dem<br />
World-Cafe gesammelt:<br />
• Ein gemeinsames Auftreten von MO wird zur Durchsetzung<br />
der politischen Rechten (führen).<br />
• MO verfügen über Experten-Wissen, die im Netzwerk<br />
sichtbar werden können.<br />
• MO fehlen in der Regel die Infrastrukturen und materiellen<br />
Ressourcen. Durch Netzwerke können sie<br />
diese erreichen.<br />
• Das Engagement von MO, Bildung und ihre Ausdauer<br />
könnte in den Netzwerken trotz fehlender<br />
materieller Ressourcen der MO nützlich sein.<br />
22 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
• Bei einer gelungenen Netzwerkarbeit mit MO sollte<br />
Rücksicht auf die spezifischen Bedürfnisse des<br />
Ehrenamts genommen werden, weil MO meistens<br />
<strong>durch</strong> ehrenamtliche Arbeit funktionieren.<br />
Die Themen Kooperationen und Erfahrungsaustausch<br />
wurden besonders intensiv diskutierten:<br />
• Alle MO möchten „Partnerschaften auf gleicher<br />
Augenhöhe“, ernst genommen und nicht einfach<br />
ausgenutzt werden, dieses könnte <strong>durch</strong> Netzwerke<br />
erreicht werden.<br />
• Erfahrungsaustausch kann zum Erfolg der anderen<br />
beitragen.<br />
Netzwerke von MO sind ein Knotenpunkt für die Vermittlung<br />
von Kooperationspartnern:<br />
• Sie verfügen über Kontakte zu den Zielgruppen für<br />
die Durchführung von Projekten.<br />
• Durch MO könnten die Partner zum Erfolg kommen<br />
• Durch starke Partner können MO unterstützt werden,<br />
aber auch unterdrückt werden.<br />
• Die gegenseitige Unterstützung bei den Kooperationen<br />
ist sehr wichtig.<br />
Trotz der positiven Wirkungen von Netzwerken von<br />
MO gibt es auch Schwierigkeiten oder Grenzen. Aus<br />
der Perspektive der MO wurden folgende Punkte zur<br />
Sprache gebracht:<br />
• Verbände wollen mit MO zusammen arbeiten, jedoch<br />
sehen sie die Ausdauer der MO nicht.<br />
• Vorurteile und Ängste bestehen auf allen Seiten<br />
• MO haben Finanzknappheit.<br />
• MO sehen eine Überforderung in Bezug auf zeitliche<br />
und persönliche Kompetenzen, weil sie in der<br />
Regel alles ehrenamtlich machen: Tagsüber Arbeit<br />
zum Überleben, am Abend oder an den Wochenenden<br />
ehrenamtliche Vereinsarbeit. Regeleinrich-
tungen sind dagegen in der Woche geöffnet.<br />
• MO werden als Konkurrenten wahrgenommen.<br />
• MO konkurrieren untereinander.<br />
• Mangelnde Anerkennung von MO mit ihren Fähigkeiten.<br />
• Ausnutzung von MO: Nach einer Kooperation werden<br />
die Mitglieder von den Etablierten genommen<br />
• Informationsdefizite.<br />
• Schulungsdefizite von Lehrerinnen hinsichtlich interkultureller<br />
Kompetenz.<br />
• Fremdbestimmung.<br />
• Vertretungsansprüche ( z.B. von den Personenkreisen<br />
und Einrichtungen, die nicht Sinti und Roma<br />
Gruppen angehören).<br />
• Wissensdefizite über die Fördermöglichkeiten bei MO.<br />
Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />
und was können sie aus eigener Kraft<br />
dazu beitragen?<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> brauchen auf jeden Fall für<br />
eine Netzwerkbildung finanzielle und zeitliche Ressourcen.<br />
Darüber hinaus sind folgende Aspekte von<br />
Bedeutung:<br />
• Interkulturelle Öffnung bedeutet Dialog bzw. Toleranz<br />
(das Wort Toleranz wurde von den einigen<br />
Teilnehmerinnen kritisiert, ich toleriere dich?!!).<br />
• Während einige Teilnehmerinnen ihre Beiträge<br />
nicht auf den Begriff „Kultur“ reduzieren wollten,<br />
sind bei den anderen (z.B. einer Teilnehmerin aus<br />
China) solche Themen sehr wichtig. Sie möchten<br />
die kulturelle Vielfalt nicht versteckt halten, sondern<br />
präsentieren, um ihre alte Kultur den hier Lebenden<br />
nahe zu bringen. Damit wird verdeutlicht, dass auch<br />
andere Kulturen alte Traditionen haben.<br />
• Bisher haben die unterschiedlichen Kulturen in der<br />
Nische gelebt, sie sollen künftig in der „Hauptbühne“<br />
ihren Platz bekommen.<br />
• Ressourcen von MO sind zu würdigen und sollten<br />
anerkannt werden.<br />
Fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich<br />
einig, dass die interkulturelle Öffnung nicht nur im<br />
Felde der „Kultur“, sondern auf allen gesellschaftlichen<br />
Ebenen stattfinden sollte. Der interkulturellen Öffnung<br />
der Verwaltung wurde besonderen Wert gelegt.<br />
Abschließend ist zu sagen, dass sich auch die MO<br />
im Prozess der Netzwerkbildung interkulturelle öffnen<br />
müssen. Obwohl einige Vereine bei der Öffnung soweit<br />
sind, fangen die anderen erst mit der Gründung<br />
der Rheinethnischen Organisationen an.<br />
Protokoll: Nilgün Kamalak, Interkulturelles Migrantinnenzentrum<br />
IMAZ e.V.<br />
World Café<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 23
World Café<br />
Thementisch 2<br />
Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke für Mo?<br />
• Netzwerke können zu Tandemprojekte führen, dass<br />
wiederum wäre für eine kleinere Organisation sehr<br />
gut.<br />
• MO können sich <strong>durch</strong> Netzwerke qualifizieren.<br />
• Netzwerke sind wichtige Informationsplattformen &<br />
Türöffner.<br />
• Netzwerke stärken die Positionen der Einzelmaßnahmen<br />
von MO und fördern Empowerment.<br />
• Gemeinsame Projekte im Rahmen des Netzwerkes<br />
erhöhen die Chancen Fördermittel zu bekommen<br />
• Netzwerke erhöhen die Chancen, dass sich MO als<br />
Akteure in der Kommune und sozialräumlich beteiligen<br />
können.<br />
• Der Beteiligung von MO in Netzwerke kann für die<br />
Interkulturelle Öffnung in der Kommune sorgen<br />
• Der Bekanntheitsgrad der MO könnte sich <strong>durch</strong> ein<br />
Netzwerk erhöhen.<br />
• Kleinere MO könnten <strong>durch</strong> die Beteiligung an einen<br />
Netzwerk aktiviert werden und Migranten könnten<br />
da<strong>durch</strong> zur aktiven gesellschaftlichen Partizipation<br />
ermutigt werden.<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />
• Fehlende Augenhöhe gegenüber MO.<br />
• Missbrauch der MO für eigene Zwecke.<br />
• Fehlende Kenntnisse und Politische Erfahrung der<br />
MO.<br />
• Mangel an Toleranz gegenüber den MO.<br />
• Gruppenspezifische Dynamik im Netzwerk bzw. in<br />
MO kann als hemmender Faktor oder Schwierigkeit<br />
bei Vernetzungsversuchen wirken.<br />
• Mangelnde Zeit der Aktiven Akteure in MO.<br />
• <strong>durch</strong> die Beteiligung an einen Netzwerk könnte die<br />
Einschränkung der Unabhängigkeit als negativer<br />
Nebeneffekt für die MO zustande kommen.<br />
• Persönliche Kapazitäten der MO können begrenzt<br />
sein.<br />
• Blockierung der Eigenverantwortlichkeiten/ Selbstengagement<br />
könnte <strong>durch</strong> die Beteiligung an einem<br />
Netzwerk zustande kommen.<br />
• Die Größe der MO.<br />
Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />
und was können sie aus eigener Kraft<br />
beitragen?<br />
• Die beiderseitigen Wunschpartner zu finden.<br />
• Gemeinsame Interessenlagen heraus finden.<br />
24 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
• Netzwerkmanagement ist eine wichtige Tool für<br />
Netzwerkbildung.<br />
• Eigenengagement ist förderlich.<br />
• Annerkennung der Leistungen von MO.<br />
• Authentizität und Kontakte zur „Communities“.<br />
• Transnationale Netzwerke unterstützen.<br />
• Strukturelle und finanzielle Unterstützung.<br />
• Gemeinsames Ziel: demokratischen Repräsentation<br />
der Betroffenen.<br />
• Vielfalt von vorhandenen Erfahrungen und Wissen<br />
aus den Heimatländen der Akteure der MO.<br />
Protokoll: Philip Egbune, Integrationsbeirat Nordhausen<br />
und stellvertretender Vorsitzender des Bundeszuwanderungs-<br />
und Integrationsrates<br />
Thementisch 3<br />
Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke für MO?<br />
Zur Eingrenzung des weiten Themenspektrum „Interkulturelle<br />
Öffnung“ haben die Teilnehmer/innen in der<br />
ersten Runde das Augenmerk auf den Bereich des<br />
Vereinswesens und seiner gesellschaftlichen Bedeutung<br />
gelegt. Ausgehend von der Frage nach der oder<br />
den Zielgruppe/n von interkulturellen Öffnungsprozessen,<br />
kamen die Teilnehmer/innen schnell auf das<br />
Vereinswesen zu sprechen.<br />
Einigkeit herrschte darin, dass Prozesse von ikÖ gemeinsam<br />
gestaltet werden müssen, das Nebeneinander<br />
von sog. „deutschen Vereinen“ und Migranten-Organisationen<br />
sei nicht zielführend. Beispielhaft für die<br />
aktuelle Lage der Migranten-Organisationen wurde<br />
der Mitgliederschwund bzw. Mangel an Nachwuchs<br />
angeführt. Jedoch müssten umfassende Strategien<br />
entwickelt werden, diese Entwicklung umzukehren,<br />
bloße Mitgliederwerbung reiche hier nicht aus, es<br />
müssten auch entsprechende Angebote entwickelt<br />
werden.<br />
An diesem Punkt findet sich auch die Anknüpfung<br />
zur Kooperation mit den „deutschen Vereinen“, deren<br />
Erfahrung, Angebotsspektrum und Vernetzungsgrad<br />
sicherlich gewinnbringend auch für Migranten-Organisationen<br />
genutzt werden könnte.<br />
Allerdings, und dies war einhelliger Konsens, bestünden<br />
noch immer große Hürden in Bezug auf Kontakt<br />
und Zusammenarbeit mit „deutschen Vereinen“ bzw.<br />
auf die optimale Nutzung der Strukturen und Ressourcen<br />
im Vereinswesen. Offene Fragen zum Ende<br />
dieser Runde waren:
• Worin bestehen diese Hürden?<br />
• Wie können gemeinsame Interessen gefunden und<br />
gefördert werden?<br />
• Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />
Zentraler Aspekt bei der Benennung von Schwierigkeiten<br />
und Grenzen ist die in vielerlei Hinsicht eingeschränkte<br />
Möglichkeit, mit rein ehrenamtlichen Strukturen<br />
zunehmend professionelleren Ansprüchen<br />
genügen zu können. Die in der Arbeit von Migranten-<br />
Organisationen noch sehr geringen Anteile hauptamtlich<br />
Beschäftigter (im Vergleich zu deutschen<br />
Vereinen und ihren Verbänden) bedeuten noch immer<br />
längere Wege und Zeiten sowie geringere Chancen<br />
bei der Verteilung vorhandener Ressourcen. Dies ist<br />
insbesondere auch deshalb von großer Bedeutung,<br />
als Netzwerkarbeit immer einen zusätzlichen Aufwand<br />
personeller und anderer Ressourcen erfordert.<br />
Von Seiten der (ehrenamtlich organisierten) Migranten-Organisationen<br />
ist eine Hürde in der Kommunikation<br />
zu sehen, womit am Thementisch aber nicht<br />
unbedingt die Sprache gemeint war. Es sei vielmehr<br />
schwierig, den Zugang zu den entscheidenden Akteuren<br />
zu finden, mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren<br />
sowie die gemeinsamen Interessen und Anliegen<br />
finden zu können. Ungleich verteilte Ressourcen<br />
wie Macht und Geld stehen einer „fairen“ Zusammenarbeit<br />
entgegen. Kooperation und Vernetzung setzen<br />
gelingende Kommunikation voraus. Nur so können<br />
tatsächlich Win-Win-Situationen hergestellt werden.<br />
Weitere Schwierigkeiten stellen auch die noch immer<br />
nicht ausreichende Qualifizierung vieler Migranten-<br />
Vereine sowie der generelle Mangel an Informationen<br />
(auf beiden Seiten) dar.<br />
Eine offene Frage blieb in dieser Runde, ob Vernetzung<br />
und Kooperation zwischen Migranten-Organisationen<br />
und „deutschen Vereinen“ grundsätzlich als<br />
Beitrag zur Interkulturellen Öffnung zu verstehen sei,<br />
oder ob dafür weitere Voraussetzungen erfüllt werden<br />
müssen.<br />
Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />
und was können sie aus eigener Kraft<br />
beitragen?<br />
Der hohe Anspruch an Netzwerke und gute Kooperationen,<br />
vielleicht sogar als Bedingung für Prozesse<br />
der interkulturellen Öffnung, kann vielerorts<br />
noch gar nicht erfüllt werden, weil weitaus grundlegendere<br />
Voraussetzungen noch nicht bestehen.<br />
Am Thementisch wird diskutiert, wie wichtig es ist,<br />
überhaupt erst einmal Kontakte herzustellen, zu den<br />
World Café<br />
„deutschen Vereinen“. Dies sei auch im Zusammenhang<br />
zu sehen mit einem (offenen) Abgleich der jeweiligen<br />
Interessen.<br />
Selbstkritisch wird angemerkt, dass auch Migranten-<br />
Organisationen und ihre Strukturen nicht immer einfach<br />
und für andere verständlich seien. Hier sei man<br />
gefragt, die eigenen Akteure ebenfalls „sichtbar“ zu<br />
machen. Dies sei möglich <strong>durch</strong> öffentlichkeitswirksame<br />
Aktionen, wie beispielsweise beim Jugendschachturnier<br />
in Saarbrücken, das vom Verein „Russisches<br />
Haus“ in Kooperation mit anderen Vereinen<br />
<strong>durch</strong>geführt wurde.<br />
Ein weiteres Beispiel wurde aus Nordhausen genannt.<br />
Dort wurde ein „Rat für Migranten-Organisationen“<br />
gebildet, um gemeinsame Interessen finden<br />
und artikulieren zu können, ihnen mehr Gewicht zu<br />
geben und auf „einen gemeinsamen Nenner mit der<br />
Mehrheitsgesellschaft“ zu kommen. Aus Germersheim<br />
in der Pfalz kommt ein drittes Beispiel. Dort hat<br />
der Arbeitskreis türkischer Vereine damit begonnen,<br />
ganz konkrete und in der deutschen Gesellschaft traditionell<br />
verankerte Hilfe- und Serviceangebote zu<br />
machen, wie beispielsweise einen Tag zum Blutspendedienst<br />
zu organisieren und <strong>durch</strong>zuführen.<br />
Protokoll: Hans-Peter Wilka, AGARP<br />
Thementisch 4<br />
Welche Bedeutung haben Netzwerke für <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />
Die Diskussion drehte sich darum, dass MO Abschottungstendenzen<br />
aufweisen. Daher waren einige TN<br />
der Ansicht, die Vernetzung mit bzw. Öffnung zu anderen<br />
MO, kommunalen Einrichtungen sowie dt. Organisationen<br />
könnten zur Integration beitragen und<br />
diese fördern.<br />
• MO weisen Abschottungstendenzen auf.<br />
• MO sollten sich stärker untereinander vernetzen: 1.<br />
Stufe interkulturelle Vernetzung der MO untereinander;<br />
2. Stufe interkulturelle Vernetzung mit Regelsystemen:<br />
Voraussetzung interkulturelle Öffnung der MO.<br />
• Durch Netzwerke können MO sich anderen MO und<br />
dt. Organisationen öffnen. Das kann integrationsförderlich<br />
sein für Migrantinnen und Migranten aber<br />
auch für Deutsche, <strong>durch</strong> Annäherung, Begegnung,<br />
Informationsaustausch Entwicklung gemeinsamer<br />
Ideen und Visionen.<br />
• Einbeziehung von MO in die Arbeit/Themenfelder<br />
der dt. Einrichtungen/ Vereine/Verbände, um deren<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 25
World Café<br />
Rat/Unterstützung/Interessenslagen und Bedürfnisse<br />
einzubeziehen. Hierfür könnten MO und kommunale<br />
Verwaltungen jährlich ein gemeinsames<br />
(Arbeits-) treffen für die kommunale Integrationsarbeit<br />
organisieren und <strong>durch</strong>führen, damit die Belange<br />
von MO und Migrant/innen Berücksichtigung<br />
finden.<br />
• Partizipation an Informationen über Förderstrukturen<br />
/ -kriterien und Aufbau eines Unterstützernetzwerkes.<br />
Darüber hinaus sind jedoch Netzwerke für MO überaus<br />
wichtig, um an Informationen über strukturelle,<br />
rechtliche, finanzielle Rahmenbedingungen zu gelangen<br />
zur Professionalisierung ihrer eigenen Arbeitspraxis<br />
und Stabilisierung ihrer Organisationsstrukturen<br />
(vgl. LJR NRW, Integration <strong>durch</strong> Partizipation<br />
–Interkulturelle Öffnung von Jugendringen und Jugendverbänden<br />
in NRW - Bericht zum Zwischenstand<br />
im Projekt Ö). Zum anderen können MO bzw.<br />
Migrant/innen <strong>durch</strong> Vernetzung ihre Perspektive in<br />
Arbeits-/ Organisations- / Planungsprozesse der Regelsysteme,<br />
wie Politik, Verwaltung, Wirtschaft und<br />
Non-Profit Organisationen u.a. einbringen und somit<br />
wesentlich zur Integration beitragen (Anmerkung<br />
Marissa Turaç).<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der<br />
Vernetzung kennen Sie aus der Perspektive<br />
von MO?<br />
• Der Wegfall von Netzwerken <strong>durch</strong> fehlende Nachhaltigkeit<br />
von Projekten, Wegfall von Brückenbauern<br />
/ Netzwerkträgern.<br />
• Fehlende hauptamtliche Ansprechpartner! Arbeit<br />
von MO beruht meist auf ehrenamtlicher Basis,<br />
das bedeutet fehlende personelle, finanzielle und<br />
zeitliche Ressourcen nicht nur auf lokaler Ebene.<br />
Netzwerkarbeit ist zeit-, personal- und finanzintensiv!<br />
• Wechselnde / fehlende kontinuierliche Ansprechpartner<br />
auf Seiten der MO und der Regelsysteme.<br />
• Die „richtigen“ Netzwerkpartner finden, welche mit<br />
Einfluss und Entscheidungsbefugnis, um die eigenen<br />
Interessen und die Stärkung der Selbstorganisation<br />
voranzubringen (Zielsetzung, Priorität) und<br />
Zeitverlust <strong>durch</strong> falsche Netzwerkpartner (ohne<br />
Einfluss).<br />
• Organisationen/Einrichtungen brauchen Zeit, um<br />
sich interkulturell zu öffnen und zu wandeln, daher<br />
sollten MO Geduld und Beharrlichkeit mitbringen/<br />
haben.<br />
• Divergierende Interessen müssen thematisiert<br />
werden, Hemmschwellen auf Seiten der Mehr-<br />
26 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
heitsgesellschaft müssen überwunden werden,<br />
genauso das Machtgefälle und die Funktionalisierung<br />
von MO bzw. Migrant/innen / Interessenskonflikte.<br />
MO brauchen finanzielle und personelle Ressourcen,<br />
um in Prozessen interkultureller Öffnung ihre Interessen<br />
einzubringen und nicht nur von Organisationen<br />
der Mehrheitsgesellschaft als „Türöffner zu der Zielgruppe<br />
der Migrant/innen missbraucht zu werden“ (O-<br />
Ton eines Teilnehmers / einer Teilnehmerin).<br />
Was brauchen Migrantenorgnisationen für<br />
eine gelingende Netzwerkbildung und was<br />
können sie aus eigener Kraft beitragen?<br />
• MO können Konferenzen / Tagungen für Netzwerkbildungen<br />
nutzen.<br />
• Hauptamtliches Personal ist notwendig, um kontinuierliche<br />
Ansprechpartner zur Pflege von Kontakten,<br />
Aufbau einer breitenwirksamen Öffentlichkeitsarbeit<br />
zu stellen, dafür müssten finanzielle Ressourcen<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
• Es bedarf einer Vergütung von Aufwandsentschädigungen<br />
z.B. Reise-, Übernachtungskosten.<br />
• Die interkulturelle Öffnung der Regelsysteme, Abbau<br />
von Hemmschwellen, Beteiligung von MO,<br />
Kooperation mit MO auf gleicher Augenhöhe ist<br />
notwendig.<br />
• Es gilt auch, eigene Interessen und Bedürfnisse<br />
einbringen, sich selbst interkulturell öffnen, auf Regelsysteme<br />
und MO unterschiedlicher Herkunft zu<br />
zugehen und kooperieren.<br />
• Notwendig ist auch das Aufdecken unterschiedlicher<br />
Interessen in interkulturellen Öffnungsprozessen<br />
und Kooperationen, das Finden geeigneter<br />
Kooperationspartner, das Vermeiden von Konkurrenzen<br />
(Stichwort Mittelvergabe) und eine „ehrliche<br />
Kooperationsarbeit“ (Stichworte: Alibifunktion - Verdacht<br />
des Missbrauchs als Türöffner).<br />
• Dazu sollten die Bedingungen und der Nutzen<br />
klar formuliert werden, intensiv eigene, vorhandene<br />
Netzwerke genutzt werden und die MO brauchen<br />
fachlich kompetentes und gut ausgebildetes<br />
Personal.<br />
Aus Sicht eines deutschen Teilnehmers wurde die<br />
fehlende Übersicht über MO als Hürde bemängelt.<br />
Hier bedarf es einer Beratung über vorhandene Zugänge<br />
zu MO!<br />
Protokoll: Marissa Turaç, Projektleiterin im LJR NRW<br />
zur Interkulturellen Öffnung der verbandlichen Jugendarbeit
Thementisch 5<br />
World Café<br />
An diesem Thementisch stellte sich zunächst der Bedarf<br />
nach einer Begriffsbestimmung. So wurde die<br />
Frage „Was impliziert eigentlich der Begriff interkulturelle<br />
Öffnung“ sehr lebhaft diskutiert. Summarisch<br />
wurden folgende Aussagen festgehalten:<br />
• Der Begriff „Interkulturelle Öffnung“ soll selbstverständlich<br />
sein.<br />
• Durch den Begriff findet ein fortschreitender Wandel<br />
der Gesellschaft statt.<br />
• Eine gleichzeitige Wahrnehmung und Akzeptanz<br />
von Zuwanderung und Migration ist unabdingbar<br />
für die interkulturelle Öffnung.<br />
• Interkulturelle Öffnung muss als gemeinsamer Prozess<br />
verstanden werden.<br />
• Ein Migrationshintergrund impliziert nicht automatisch<br />
interkulturelle Kompetenz und Öffnung.<br />
Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke für MO?<br />
Gerade im Bezug auf die interkulturelle Öffnung<br />
der MO spielen Netzwerke eine sehr bedeutsame<br />
Rolle:<br />
• Die Netzwerke sollen als eine Art „Plattform“ für<br />
gegenseitigen Austausch von Wissen dienen.<br />
• Durch die Kooperation mit anderen MO und Organisationen<br />
der Mehrheitsgesellschaft lassen sich<br />
neue Zugänge zur verschiedenen Zielgruppen erarbeiten.<br />
• Mit Hilfe der Netzwerke lassen sich wichtige Netzwerkpartnerschaften<br />
aufbauen und neue Arbeitsinhalte<br />
weiterentwickeln.<br />
• Die Öffentlichkeitsarbeit soll zur besseren Vernetzung<br />
dienen (MO führen in der Regel keine aktive<br />
Öffentlichkeitsarbeit <strong>durch</strong>).<br />
• Die Netzwerkarbeit kann <strong>durch</strong> gemeinsame Veranstaltungen<br />
und Begegnungen besser gefördert<br />
werden („lockerer Rahmen“).<br />
• Die Netzwerkpartner (MO und Organisationen der<br />
Mehrheitsgesellschaft) sollen sich auf gleicher<br />
Augenhöhe begegnen.<br />
• Gute Netzwerke können und sollen eine Brückenfunktion<br />
erfüllen.<br />
• Durch die Netzwerkarbeit entwickeln sich verschiedene<br />
Einwirkungsmöglichkeiten auf Entscheidungsträger<br />
z.B. in Politik und Verwaltung (Zugangswege<br />
zu den Entscheidungsträgern werden erleichtert).<br />
• Durch Netzwerke können neue Ideen entstehen<br />
und auf die Beine gestellt werden (z.B. können<br />
neue Kooperationspartner für gemeinsame Projekte<br />
gefunden werden)..<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 27
World Café<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />
• Umgang mit Konkurrenz (MO untereinander und<br />
gegenüber der Organisationen der Mehrheitsgesellschaft).<br />
• Aufgrund überwiegend ehrenamtlicher Strukturen<br />
ist es oft schwierig dauerhafte Zusammenarbeit zu<br />
etablieren.<br />
• Nachhaltigkeit über Einzelprojekte hinaus/ Nachhaltigkeit<br />
soll gewährleistet werden.<br />
• MO werden oft nicht als gleichberechtigte Partner<br />
wahrgenommen bzw. akzeptiert.<br />
• Für eine gelungene Vernetzung ist es unabdingbar<br />
gemeinsame Ziele und Interessen zu formulieren.<br />
• Nutzen der Kooperation für Einheimische und MO<br />
aufzeigen.<br />
• Es ist schwierig „rein“ zu kommen – die Bekanntmachung<br />
der Arbeit bzw. der Ziele sollte statt finden<br />
• Gemeinsame Ziele und Interessen sind nicht formuliert.<br />
• Dauerhafte Strukturen konnten nicht geschaffen<br />
werden, weil die MO mit den Organisationen der<br />
Mehrheitsgesellschaft nicht auf gleicher Augenhöhe<br />
stehen.<br />
• Eine gelungene Netzwerkarbeit fördert auch gegenseitige<br />
Akzeptanz und Respekt.<br />
• In einigen MO existieren immer noch große Hierarchien<br />
die nicht zuletzt die Vernetzung erschweren<br />
bzw. verhindern.<br />
• Förderrichtlinien sind den MO nicht angepasst.<br />
• Es fehlen Strukturen, die eine gute Netzwerkarbeit<br />
fördern könnten.<br />
Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />
und was können sie aus eigener Kraft<br />
beitragen?<br />
• Fördermittel und finanzielle Ressourcen könnten zur<br />
guten und nachhaltigen Netzwerkbildung beitragen.<br />
• Die MO müssten ihre eigenen Vorurteile abbauen<br />
und sich mehr öffnen.<br />
• Wünschenswert wäre die Öffentlichkeit besser zu<br />
informieren indem die inhaltliche Arbeit, Ziele und<br />
Erfolge der MO transparenter werden (z.B. die Integrationsleistung<br />
<strong>durch</strong> MO).<br />
• Mehr Hauptamt weniger Ehrenamt.<br />
• Bekanntmachung der Fördermittel sowie der Richtlinien<br />
seitens der Stiftungen oder verschiedenen<br />
Bundesministerien.<br />
• Eine umfassendere Mitwirkung von MO an der <strong>Integrationsförderung</strong><br />
würde ihnen mehr Gewicht und<br />
damit bessere Vernetzung verschaffen.<br />
• MO brauchen nur einen Dachverband der ihre Interessen<br />
vertritt.<br />
28 <strong>BBE</strong> - Dokumentation
• Es fehlt an Informationen, wie man überhaupt ein<br />
Netzwerk bilden kann (relevantes Wissen zur Netzwerkbildung).<br />
• Es gibt viele Informationen, die“gefiltert“ werden<br />
müssen.<br />
• Netzwerkpflege findet nicht per se statt. Für eine<br />
gelungene Netzwerkbildung müsste eine Koordination<br />
eingerichtet werden.<br />
• Der Zugang zu Förderangeboten für Ehrenamtliche<br />
ist oft nur schwer erreichbar.<br />
Protokoll: Jadranka Dujanovic, Institut für Einheit in<br />
Vielfalt, Hanau<br />
Protokolle der Thementische zur<br />
politischen Vertretung <strong>durch</strong> MO<br />
Thementisch 1<br />
Welche Bedeutung, welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke der politischen Vertretung für <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />
Bevor die erste Frage beantwortet wurde, verständigte<br />
sich die Gruppe darüber, ob die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
eine politische Vertretung benötigen und<br />
wenn ja, wer diese Aufgabe übernehmen kann. Im<br />
nächsten Schritt ging es darum, ob eine Vernetzung<br />
der „politischen Vertretern“ untereinander notwendig<br />
ist, bzw. wenn ja, was kann damit erreicht oder verhindert<br />
werden?<br />
Die Teilnehmenden schätzten die Bedeutung einer<br />
politischen Vertretung der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
als sehr wichtig ein. Politisches Engagement bedeutet<br />
für die Teilnehmenden an diesem Thementisch<br />
auch von den eignen Rechten Gebrauch zu machen,<br />
bzw. bei der gesellschaftlichen Entwicklung mit zu<br />
wirken sowie Verantwortung zu übernehmen. Es geht<br />
um Partizipation und Mitbestimmungsrechte. Der<br />
Gruppe geht es um die Mitwirkung bei der Gestaltung<br />
und Umsetzung von Integrationsplänen, kommunalen<br />
Jugendpartizipationsplänen usw.<br />
Während einige Diskussionsteilnehmer/innen der<br />
Meinung waren, dass diese politische Vertretung<br />
<strong>durch</strong> speziell für Migrant/innen eingerichtete Strukturen<br />
wie Migrationsbeirat /Integrationsbeirat oder<br />
Charta der Vielfalt geleistet werden kann, meinten<br />
andere, dass diese Aufgabe auch <strong>durch</strong> themenübergreifende<br />
Strukturen übernommen werden kann. Es<br />
geht darum, dass migrationsbezogene Themen als<br />
Querschnittsaufgabe überall, also in Gewerkschaften,<br />
World Café<br />
in politischen Fraktionen und Parteien, in den Kammern<br />
usw. zur Sprache kommen.<br />
Die Bildung eines Netzwerkes untereinander wird mit<br />
folgenden Funktionen in Verbindung gebracht: Aus<br />
ökonomischen Gründen möchten die engagierten Diskussionsteilnehmer/innen<br />
ihre Zeit und Energie in der<br />
Zukunft effektiv einsetzen, um die best möglichen Ergebnisse<br />
zu erzielen. Von Netzwerkarbeit versprechen<br />
sie sich einen verbesserten Informationsfluss untereinander,<br />
Erfahrungsaustausch und Vermeidung von<br />
Wiederholungen. Nur so könnte man Anerkennung<br />
und Vertrauen gewinnen bzw. Erfolge erzielen.<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie für die politische Vertretung<br />
von MO (aus der Perspektive von MO)?<br />
Den Diskussionsteilnehmenden ist es bewusst, dass<br />
sie als Pioniere der Migrationsarbeit keine Vorbilder<br />
besitzen, von denen sie sich etwas abgucken könnten.<br />
Ihre Aufgabe sehen sie als eine Herausforderung,<br />
Schritte in diesem Bereich einzugehen, die vorher keiner<br />
gegangen ist. Dies betrachten sie als die treibende<br />
Kraft. Doch ihnen sind die Schwierigkeiten und Grenzen<br />
ihrer Arbeit bewusst. Sie nennen einige Merkmale<br />
der anderen Seite der Vielfalts-Medaille. Der Umgang<br />
mit heterogenen Bedürfnissen und Meinungen macht<br />
das Diskutieren nicht unbedingt leichter. Im Gegenteil:<br />
während jeder politisch engagierte Mensch davon<br />
überzeugt ist, dass das Bündeln der unterschiedlichen<br />
Interessen eine gekonnte, kompetente Moderation benötigt,<br />
werden im Migrationsbereich die meisten ernsthaften<br />
Diskussionen häufig ohne Struktur und Moderation<br />
<strong>durch</strong>geführt. Der Einsatz von Energie und Zeit<br />
wird selten mit zufriedenstellenden Ergebnissen belohnt.<br />
Dies zerrt an den Nerven, der ohnehin ehrenamtlich<br />
tätigen engagierten Menschen, so dass das<br />
meist eine politische Verdrossenheit und Resignation<br />
als Ergebnis zur Folge hat.<br />
Die früheren politischen Zugehörigkeiten beeinflussen<br />
häufig die gegenwärtige Akzeptanz, Vertrauensbildung<br />
und Zusammenarbeit. Vorhandene Vorbehalte<br />
und Misstrauen untereinander führen dazu, dass niemandem<br />
eine Federführung überlassen werden kann.<br />
Der mediale Einfluss bzgl. aktueller politischen Situation<br />
verstärkt häufig das Misstrauen untereinander.<br />
Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />
und was können sie aus eigener Kraft<br />
dazu beitragen?<br />
Bei dieser Frage ging die Diskussion eher in die Richtung,<br />
dass die Migrant/innen <strong>durch</strong>aus über Kom-<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 29
World Café<br />
petenzen verfügen, die sie befähigen sich über ihre<br />
Herkunft hinaus Ziele zu setzen, die sie verfolgen<br />
können. Als Teilnehmer/innen dieser Gesellschaft<br />
sind sie in verschiedenen Bereichen des Lebens Rolleninhaber.<br />
Sie können im politischen Rahmen sich<br />
partizipieren und sollen <strong>durch</strong> ihre Mitgliedschaft in<br />
politischen Parteien sich als Teilhaber/innen dieser<br />
Gesellschaft für ihre Rechte und Bedürfnisse einsetzen.<br />
Dass die politischen Parteien sich öffnen sollen,<br />
ist eine obligatorische Voraussetzung dieser Entwicklung.<br />
Die Parteien sollen die Potentiale der Migrant/<br />
innen wahrnehmen und alles einsetzen, um sie zu<br />
gewinnen.<br />
Protokoll: Schahnaz Fathi, Zentrum für Migration und<br />
Bildung e.V.<br />
Thementisch 2<br />
Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke der politischen Vertretung für MO?<br />
• Verständnis der Definition von politischer Vertretung<br />
ist notwendig.<br />
• Netzwerke erzeugen Synergieeffekte.<br />
• Netzwerke finden mehr Gehör als Einzelpersonen<br />
• Durch Netzwerke wird das Gemeinschaftsgefühl<br />
gestärkt „Gemeinsam sind wir stark“.<br />
• Die Bundesländer brauchen verlässliche Ansprechpartner<br />
in Form von Netzwerkstellen.<br />
• Netzwerke erhöhen die Wahrnehmung <strong>durch</strong> bestehende<br />
politische Parteien.<br />
• Als vernetzte Struktur der MO politische Präsenz<br />
zeigen (z.B. Kölner Moscheebau bräuchte ein Netzwerk<br />
der Unterstützer/innen des Projektes).<br />
• Gemeinsames Eintreten verschiedener MO für das<br />
Recht auf freie Religionsausübung und öffentliche<br />
Präsenz.<br />
• Parteizugehörigkeit der einzelnen Mitglieder soll<br />
kein Hindernis für die politische Partizipation der<br />
MO sein.<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie für die politische Vertretung<br />
von MO (aus der Perspektive der MO)?<br />
• Viele MO sind überfordert.<br />
• Kleine Vereine werden bei der Förderung von Projekten<br />
übersehen.<br />
• Probleme sind in Flächenlandkreisen dringlicher.<br />
• Parteien sprechen MO seltener an – mangelnde<br />
Kommunikation zu den Parteien.<br />
• Mangelnde Kenntnis der Parteienstrukturen <strong>durch</strong><br />
viele Migrant/innen.<br />
30 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
• Es fehlen Vermittler/innen zwischen den MO und<br />
der Mehrheitsgesellschaft.<br />
• Vorbehalte untereinander u.a. aufgrund der Parteizugehörigkeit<br />
der einzelnen Mitglieder.<br />
Was brauchen MSO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />
(a) und was können sie aus eigener<br />
Kraft beitragen (b)?<br />
• a) Erfahrungsaustausch untereinander: Schwächen<br />
und Stärken herausarbeiten.<br />
• Neue Definition von „Bürgerschaftlichem Engagement“<br />
sind notwendig (Studien schließen oft das bürgerschaftliche<br />
Engagement von Migrant/innen aus).<br />
• Unterstützung von politischen Parteien.<br />
• Stärkung der existierenden politischen Vertretungen<br />
(Ausländerbeiräte, AK Islam).<br />
• Eigenverantwortung beim öffentlichen Auftreten.<br />
• Integrationsräte auf kommunaler Ebene mit politischen<br />
Rechten.<br />
• Unterstützung von Außen (Finanzielle Förderung,<br />
Qualifizierung, Weiterbildung).<br />
• Verbindliche Vereinbarungen mit der Kommune.<br />
• Methoden herausfinden, wie man Parteien ansprechen<br />
kann ohne parteipolitisch gebunden zu sein.<br />
• Verbindliche Vereinbarungen, Leistungsverträge,-<br />
bestehende Fördersysteme optimieren (es muss<br />
eine Umverteilung geben).<br />
• Nachholende Strukturförderung für MO<br />
• b) Viele Potentiale, informelle Netzwerke.<br />
• Besserer Zugang zu den Zielgruppen.<br />
• Erfahrungen und Kompetenzen, Wissen über Integrationsprozesse<br />
in eigenen Communities.<br />
• Kenntnis der Methoden des Zugangs zur Zielgruppe<br />
und der Mobilisierung.<br />
• Regelmäßige Gespräche mit Entscheidungsträgern<br />
in Kommunen .<br />
• iInterkulturelle Vernetzung der MSO um sich Gehör<br />
zu verschaffen.<br />
• Sicheres öffentliches Auftreten, Stärkung von<br />
Schlüsselpersonen.<br />
Protokoll: Dr. Karamba Diaby, Projektleiter Migration/Integration<br />
der Jugendwerkstatt „Frohe Zukunft“,<br />
Halle-Saalekreis e.V. und Vorsitzender des Bundeszuwanderungs-<br />
und Integrationsrates<br />
Thementisch 3<br />
Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke für MO?<br />
Netzwerke haben enorme Bedeutung für MO. MO verfügen<br />
sehr oft nicht über ausreichende Ressourcen
(Personal, Räume und Finanzen), um ihre Ziele zu erreichen.<br />
Ein entscheidendes Ziel der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
ist die politische Teilhabe. Besonders kleinere<br />
MO sind auf die Unterstützung anderer Organisationen,<br />
Verbände etc. angewiesen. Netzwerke sind erforderlich,<br />
um gemeinsame Projekte zu realisieren.<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie für die politische Vertretung<br />
von MO (aus der Perspektive der MO)?<br />
MO werden in Fachkreisen wahrgenommen und geschätzt,<br />
jedoch in der breiten Öffentlichkeit meistens<br />
nicht wahrgenommen. Sind MO in der Lage, selbst<br />
als Träger Projekte zu beantragen und zu realisieren?<br />
Für Ehrenamtliche sind die bürokratischen Vorgaben<br />
oft eine zu große Hürde. Es ist deshalb empfehlenswert,<br />
Kooperationspartner zu suchen, zum Beispiel<br />
auch Wohlfahrtsverbände, Schulen, Kindertagesstätten,<br />
kommunale Beiräte und andere Organisationen<br />
mit denen ein Projekt oder Vorhaben gemeinsam realisiert<br />
werden kann. Örtliche Netzwerke und Initiativen<br />
können da sehr hilfreich und sinnvoll sein.<br />
Unterstützung kann auch von den BAMF - Regionalkoordinatoren<br />
erwartet werden, sie fördern Projekte<br />
und sind wichtige Ansprechpartner auch für MO<br />
vor Ort. Daneben sind auch andere Quellen zu ermitteln<br />
wie zum Beispiel die Projekte „Soziale Stadt“ und<br />
andere Mikroprojekte. Wichtig ist auch eine Abstimmung,<br />
bzw. bundesweite Vernetzung mit Stiftungen,<br />
Landesverbänden und Dachorganisationen.<br />
Moderation: Vito Contento, Ausländerbeirat Koblenz<br />
Thementisch 4<br />
Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke der politischen Vertretung für MO?<br />
• Ehrenamtliche Arbeit ist allein kaum möglich, frau/<br />
man muss eine Organisation hinter sich haben<br />
(Verein o.ä.), da die Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit<br />
bei Behörden sehr groß ist.<br />
• Migrant/innen haben viele Ideen, aber kaum Vertretung<br />
in den politischen Parteien.<br />
• Migrant/innen sind politisch aktiv, vertreten als Individuum<br />
ihre politischen Meinungen, die Vertretung<br />
aber machen PolitikerInnen, die meistens keinen<br />
Migrationshintergrund haben.<br />
• Die MO sollten sich zusammenschließen und Repräsentanten<br />
wählen, die ihre Interessen nach außen<br />
vertreten, dieses ist eine bürgergesellschaftliche<br />
Vertretung.<br />
World Café<br />
• Die Parteien benennen Personen, die von der Bevölkerung<br />
demokratisch gewählt werden, als Mandatsträger/innen,<br />
dieses ist eine staatliche Vertretung.<br />
• Es ist wichtig Netzwerke zwischen MO und Mehrheitsgesellschaft<br />
zu schaffen, gemeinsame Ziele<br />
zu betonen und Unterschiede zu akzeptieren.<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie für die politische Vertretung<br />
von MO (aus der Perspektive der MO)?<br />
• In einigen Teilen der Gesellschaft werden MO leider<br />
immer noch als Ausdruck einer Parallelgesellschaft<br />
angesehen, tatsächlich aber sind MO ein wichtiger<br />
Ort für die Integration.<br />
• Im Landtag von NRW, dem bevölkerungsreichste<br />
Bundesland mit dem höchsten Anteil an Menschen<br />
mit Migrationshintergrund, ist keine Person mit Migrationshintergrund<br />
vertreten.<br />
Was brauchen MSO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />
und was können sie aus eigener<br />
Kraft beitragen?<br />
• Die politischen Parteien haben eine besondere<br />
Verantwortung sich Menschen mit Migrationshintergrund<br />
zu öffnen und sie in ihrer Partizipation zu<br />
stärken.<br />
• Darüber hinaus ist es grundsätzlich wichtig eine<br />
Quotenregelung für Menschen mit Migrationshintergrund<br />
einzuführen und zwar in Parteien, kommunalen<br />
Vertretungen, Landes- und Bundesparlament.<br />
• Die Einbürgerung und die doppelte Staatsbürgerschaft<br />
sollten erleichtert werden.<br />
• MO, die sich in der bundesdeutschen Politik engagieren,<br />
sollten sich in einem Dachverband zusammenschließen.<br />
• Die Finanzierung der Netzwerkarbeit der MO muss<br />
gesichert werden, Ehrenamt braucht Hauptamt.<br />
• Verstärkte Qualifizierung der MO in Hinblick auf:<br />
• Stärkung der politischen Partizipation<br />
• Organisationsstrukturen<br />
• Fachkenntnisse, z.B. Buchführung, Verwaltung<br />
etc.<br />
• Für viele Menschen mit Migrationshintergrund gibt<br />
es rechtliche Hürden, die die politische Partizipation<br />
be- bzw. verhindern. Dies trifft zu, z.B. auf Flüchtlinge<br />
mit ungesichertem Aufenthaltsstatus oder auf<br />
Jugendliche ohne deutschen Pass. In diesem Sinne<br />
spielt auch die Einführung des Kommunalen Wahlrechts<br />
für Drittstaatler/innen eine wichtige Rolle.<br />
Protokoll: Beshid Najafi, Agisra, e.V. Köln<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 31
World Café<br />
32 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Protokolle der Thementische zur<br />
öffentlichen Präsenz von MO<br />
Thementisch 1<br />
Bis weit in die achtziger Jahre fanden Migrantenselbstorganisationen<br />
in der Öffentlichkeit kaum<br />
eine nennenswerte Beachtung. Die Etablierung der<br />
Migrantenselbstorganisationen wurde sogar mit<br />
Skepsis betrachtet und als Gefährdung (Parallelgesellschaft!)<br />
angesehen, nicht als demokratische<br />
Form der Einbindung in die Zivilgesellschaft. In der<br />
öffentlichen Wahrnehmung hat sich erst in den letzten<br />
Jahren ein deutlich positiver Perspektivenwechsel<br />
zur Relevanz von Migrantenselbstorganisationen<br />
vollzogen.<br />
Die partizipative Integration kann nur <strong>durch</strong> die gemeinsame<br />
Entwicklung und Umsetzung angemessener<br />
Strategien gelingen. Insbesondere für die erste<br />
Einwanderergeneration bilden diese sog. Heimatorientierten<br />
Selbstorganisationen einen geschützten sozialen<br />
Raum, in dem Gelegenheiten für soziale Kontakte<br />
und Freizeitaktivitäten bereitgestellt werden.<br />
Dieser Phase folgten die sog. „Aufnahmelandorientierten<br />
Selbstorganisationen“. Hier organisierten sich<br />
insbesondere jüngere Migrantinnen und Migranten<br />
stärker, da die traditionellen Vereine ihrer Eltern<br />
für sie unattraktiv und unflexibel waren. Mittlerweile<br />
haben in Deutschland fast alle der hier lebenden<br />
Migrantengruppen ihre eigenen Migrantenvereine/organisationen<br />
die in vielen unterschiedlichen Bereichen<br />
tätig sind.<br />
Die Selbstorganisationen haben bislang nur selten<br />
Zugang in die Finanzierungsstrukturen gefunden<br />
haben. Der Mangel an Zugang zu finanzieller öffentlicher<br />
Förderung wird von den meisten <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
als großes und die Arbeit erheblich<br />
einschränkendes Defizit wahrgenommen. Betrachtet<br />
man die Situation aus der Perspektive der Vereine<br />
von Migrant/innen, so muss festgestellt werden, dass<br />
Vereine von Migrant/innen nach wie vor in der Vereinslandschaft<br />
und öffentlichen Förderung unterrepräsentiert<br />
und in wichtigen Gremien kaum vertreten<br />
sind.<br />
Interkulturelle Öffnung der Verbandsstrukturen und<br />
Qualifikation von Migrantebselbstorganisationen<br />
sollte als aktive Förderung der Partizipations- und Integrationschancen<br />
der MigrantInnen verstanden werden.<br />
Sie sollten aber darin unterstützt werden, ihre<br />
Anliegen überzeugend und öffentlichkeitswirksam<br />
vorzutragen. Das könnte bedeuten, dass sie <strong>durch</strong>
Experten in Form von Multiplikatorenschulungen darauf<br />
professionell vorbereitet werden. Der interkulturelle<br />
Dialog bedarf starker Partner. Der interkulturelle<br />
Dialog muss initiiert, moderiert und verstetigt werden.<br />
Empowerment - Ansätze helfen, Selbstbewusstsein<br />
und Durchsetzungswillen zu entwickeln<br />
Protokoll: Berrin Alpbek, Förderation türkischer Elternvereine<br />
in Deutschland<br />
Thementisch 2<br />
Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke für MO?<br />
• Zur Einstimmung wurde die Frage geklärt: Was ist<br />
überhaupt öffentliche Präsenz?<br />
• Die öffentliche Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
ist immer noch an das negative Bild von Migranten<br />
in den Medien gekoppelt.<br />
• Medien zeigen ein Bild das von der Mehrheitsgesellschaft<br />
akzeptiert, mitgeprägt und teilweise auch<br />
aus Vorurteilen und Unwissenheit gefordert wird.<br />
• Die Thematisierung der Islamisierung und die <strong>durch</strong><br />
die Medien suggerierte Angst prägen das negativ<br />
Bild von Menschen mit Migrationshintergrund und<br />
im speziellen auch Organisationsformen oder Glaubensgemeinschaften<br />
von Menschen mit Migrationshintergrund.<br />
• Migranten und MO sehen sich auch in einer „Opferrolle“<br />
die geprägt ist von Unwissenheit über Umgang<br />
mit Medien und Öffentlichkeitsarbeit, diese<br />
heißt es zu überwinden<br />
• Positive Wahrnehmung von MO erfolgt meist nur<br />
über „Folklore“- Veranstaltungen.<br />
• Bedeutung gewinnt ein Netzwerk in Bezug auf Unterstützung<br />
und Stärkung der einzelnen Akteure,<br />
so können Menschen mit Migrationshintergrund als<br />
Medienvertreter in der Berichterstattung fungieren.<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />
• Integration wird immer noch nicht als Querschnittsaufgabe<br />
in der Gesellschaft wahrgenommen somit<br />
sind viele potentielle Akteure aus Netzwerken, gerade<br />
auf kommunaler Ebene, ausgeschlossen, somit<br />
bleiben Aktivitäten oder Probleme im geschlossenen<br />
Kreis des Netzwerkes und die öffentliche<br />
Präsenz findet nicht statt.<br />
• Als Grenze für öffentliche Präsenz wird mangelnde<br />
Professionalität von MO und das fehlen von Strukturen<br />
bis hin zu nicht vorhandenen Rahmenbedingungen<br />
wie Räumlichkeiten genannt.<br />
World Café<br />
• Ein weiteres Problem stellt die stereotypische Darstellung<br />
von Menschen mit Migrationshintergrund in<br />
der Öffentlichkeit dar und die daraus resultierenden<br />
Angst (Übergriffe, Sachbeschädigung usw.) auf der<br />
Seite der MO.<br />
• Zu Bedenken ist auch der Aspekt der gewollten Vernetzung,<br />
es gibt <strong>Migrantenorganisationen</strong> die eine<br />
Vernetzung ablehnen.<br />
• Fehlende themenbezogene Vernetzung wird als<br />
Schwierigkeit wahrgenommen, da gerade öffentliche<br />
Präsenz Handlungsfelder übergreifend ist und<br />
sich nicht zu ein Themenfeld bzw. Handlungsfeld<br />
separieren und beziehen lässt.<br />
Was brauchen MO für eine gelingende Netzwerkbildung<br />
und was können sie aus eigener Kraft<br />
beitragen?<br />
• Wahrnehmung der Integration als Querschnittsaufgabe<br />
in den gesellschaftlichen Bereichen.<br />
• Eine interkulturelle Öffnung der Verwaltung und der<br />
Abbau bürokratischer Hindernisse können dazu<br />
führen, dass MO in der Öffentlichkeit präsenter werden.<br />
Dies impliziert eine Verbesserung der Zusammenarbeit<br />
mit der Kommune.<br />
• MO brauchen auf kommunaler Ebene Ansprechpartner,<br />
wie z.B. Integrationsbeauftragte.<br />
• MO arbeiten meist auf ehrenamtlicher Basis, eine<br />
Verbesserung in der öffentlichen Präsenz könnten<br />
Weiterbildungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Fundraising und Vereinsrecht führen. Durch eine Professionalisierung<br />
werden MO gestärkt und erfahren<br />
eine zunehmende Sicherheit im Umgang mit Medien.<br />
• Die Bereitschaft zur Kooperation mit Kommunen<br />
oder etablierten Vereinen kann zur Abschöpfung<br />
von Ressourcen aus verschiedenen Bereichen z.B.<br />
Kreativität, Innovation und Know-how führen.<br />
• Tandemprojekte zur Stärkung und Aktivierung von<br />
Potenzial als Ressource. Zusammenarbeit unterstützen<br />
und anbieten, auf beiden Seiten.<br />
• Netzwerk als Sprachrohr erkennen und es als solches<br />
aktiv nutzen.<br />
Protokoll: Babett Gerlach, Koordinatorin des Netzwerkes<br />
für Integration von Menschen mit Migrationshintergrund,<br />
Jugendsozialwerk Nordhausen e.V.<br />
Thementisch 3<br />
Welche Bedeutung / welchen Stellenwert haben<br />
Netzwerke für <strong>Migrantenorganisationen</strong>?<br />
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurde die erste<br />
Austauschrunde eröffnet. Diese Thesen sind dabei<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 33
World Café<br />
diskutiert und <strong>durch</strong> zahlreiche praktische Beispiele<br />
veranschaulicht worden:<br />
• Für die öffentliche Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
ist die Netzwerkarbeit sehr wichtig<br />
• Zwischen der Arbeit in Netzwerken und der Öffentlichen<br />
Präsenz gibt es zum Teil Widersprüche: Einerseits<br />
wird in der Öffentlichkeit die Kooperation<br />
mit <strong>Migrantenorganisationen</strong> gefordert, so dass<br />
man schlussfolgern könnte, die Lobby für <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
sei groß; auf der anderen Seite<br />
klappt die Netzwerkarbeit aufgrund der schon genannten<br />
Gründe (Ressourcen, Ausstattung etc.)<br />
nicht<br />
• Für Netzwerke brachen <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
Ressourcen!<br />
• Auf lokaler Ebene, in der Kommune funktioniert die<br />
Zusammenarbeit in Bezug auf die öffentliche Präsenz<br />
gut.<br />
• Bei Netzwerken müssen die Fragen nach Konkurrenz,<br />
Ressourcenverteilung und Umverteilung<br />
angesprochen werden. Öffentliche Präsenz von<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> könnte diesen Prozess<br />
voranbringen.<br />
• Die öffentliche Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
kann sich nicht nur nach „außen“ richten; die<br />
Zielgruppe ist auch die eigene Community.<br />
Welche Schwierigkeiten oder Grenzen der Vernetzung<br />
kennen Sie aus der Perspektive von MO?<br />
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde und der Zusammenfassung<br />
der ersten Runde, wurde die zweite<br />
Austauschrunde eröffnet. Diese Thesen sind dabei<br />
diskutiert und <strong>durch</strong> zahlreiche praktische Beispiele<br />
veranschaulicht worden:<br />
• Die Schwierigkeiten dabei bestehen bei der Ausbalancierung<br />
von externen und internen Bedürfnissen<br />
und Ressourcen: Öffentliche Präsenz erfordert<br />
Ressourcen, die <strong>Migrantenorganisationen</strong> fehlen,<br />
bzw. die dann auf Kosten der „eigentlichen“ Arbeit<br />
erledigt werden müssen.<br />
• <strong>Migrantenorganisationen</strong> müssen ihre Arbeit „gut<br />
verpacken“, sozusagen „schmackhaft machen“.<br />
• Wichtig für <strong>Migrantenorganisationen</strong> wäre es – unabhängig<br />
von Netzwerken – für sich selbst eine<br />
Lobby zu schaffen.<br />
• Für eine gelungene öffentliche Präsenz braucht es<br />
auch oft „Vitamin B“; das kann dann in etablierten<br />
Netzwerken schwierig sein – weil die benötigten<br />
Kontakte nicht vorhanden sind.<br />
• Die Schwierigkeit besteht in einem hohen Ressourcenaufwand<br />
und z. T. schwierigen und nicht funktionierenden<br />
Abstimmungsprozessen.<br />
34 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Was brauchen <strong>Migrantenorganisationen</strong> für eine<br />
gelingende Netzwerkbildung und was können sie<br />
aus eigener Kraft beitragen?<br />
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde und der Zusammenfassung<br />
der zweiten Runde, wurde die dritte<br />
Austauschrunde eröffnet. Diese Thesen sind dabei<br />
diskutiert und <strong>durch</strong> zahlreiche praktische Beispiele<br />
veranschaulicht worden:<br />
• <strong>Migrantenorganisationen</strong> müssen bei ihrer öffentlichen<br />
Präsenz auf die „Empfänger“ ihrer Öffentlichkeitsarbeit<br />
achten, d.h. Bedürfnisse feststellen und<br />
dementsprechend anpassen.<br />
• <strong>Migrantenorganisationen</strong> müssen sich professionalisieren,<br />
um eine gute öffentliche Präsenz zu<br />
bekommen. Ebenso gehört zur Professionalität die<br />
Investition in eine gute öffentliche Präsenz.<br />
• Die Schwierigkeit besteht darin, dass einerseits für<br />
eine gute öffentliche Präsenz Ressourcen benötigt<br />
werden – auf der anderen Seite führt eine gute öffentliche<br />
Präsenz zu einer Vergrößerung der Ressourcen.<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> müssten diese<br />
Ressourcen für die öffentliche Präsenz zunächst<br />
einmal aufbringen.<br />
• <strong>Migrantenorganisationen</strong> können von Seiten der<br />
etablierten Organisationen Sichtbarkeit fordern –<br />
und auch bekommen.<br />
• Öffentlichkeitsarbeit und die Investierung in die öffentliche<br />
Präsenz ist ebenso wichtig wie die inhaltliche<br />
Arbeit!<br />
• Netzwerkstrukturen sind nicht immer transparent.<br />
Hier sind beide Seiten gefordert, die etablierten Organisationen<br />
diese transparenter zu machen und<br />
die <strong>Migrantenorganisationen</strong> diese Transparenz<br />
auch zu fordern.<br />
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Öffentliche<br />
Präsenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong> ist ebenso<br />
wichtig und notwendig wie die inhaltliche Arbeit. Sie kann<br />
in Netzwerken vorangetrieben werden, was jedoch aufgrund<br />
der unterschiedlichen Ressourcenverteilung und<br />
Interessenslagen zum Teil schwierig umzusetzen ist.<br />
Hier ist die Unterstützung der etablierten Organisationen<br />
gefragt, ebenso wie die Bereitschaft von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in diesen Bereich mehr zu investieren.<br />
Protokoll: Elizaveta Khan, Institut für Veranstaltungs-<br />
und Projektmanagement<br />
Thementisch 4<br />
In dem World-Cafe äußerten sich die Teilnehmer/innen<br />
rege über die allgemeine Problematik in Bezug
auf die öffentliche Präsenz der <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
Dabei sind einige Vorschläge zur Verbesserung<br />
der aktuellen Situation geäußert worden:<br />
• Das Bild von Migranten in der Öffentlichkeit scheint<br />
irreal zu sein und muss verbessert werden. Es gibt<br />
eine enorme Anzahl von Vorurteilen gegenüber<br />
Migrantengruppen. Diese hindern die erfolgreiche<br />
Integrationsarbeit der <strong>Migrantenorganisationen</strong> gewaltig.<br />
• Als Problemlösung stellten die Gesprächsteilnehmer/innen<br />
klare Transparenz der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in den Vordergrund. Da<strong>durch</strong> sollen die<br />
Inhalte der Arbeit von MO besser übermittelt und<br />
somit die Vorurteile gegenüber Migranten abgebaut<br />
werden. Diese Inhalte müssen nachweisen,<br />
dass die <strong>Migrantenorganisationen</strong> die hiesige Gesellschaft<br />
mit ihren kulturellen und wissenschaftlichen<br />
Fähigkeiten bereichern und die Zukunft von<br />
Deutschland fördern.<br />
• Ganz wichtig dabei ist, das Bild von anderen Kulturen<br />
positiv und gut anschaulich dar zu stellen und<br />
Aufklärungsarbeit zu leisten. In dem World-Cafe ist<br />
auch über positive Erfahrungen mit Print- und TV-<br />
Medien berichtet worden. Die Medien berichteten<br />
über sehr viele wichtige Veranstaltungen im Zusammenhang<br />
mit der Arbeit von <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
• Vorgeschlagen wurde auch, eine gemeinsame Internetplattform<br />
zu erschaffen, die Informationen<br />
und Kontaktdaten über alle Migrantengruppen<br />
darbietet und somit die Suche im Netz enorm erleichtert.<br />
Problematisch dabei sind die fehlenden<br />
finanziellen Mittel der <strong>Migrantenorganisationen</strong>, um<br />
die mit dem Plattform-Aufbau verbundenen Kosten<br />
zu decken. Es ist außerdem beinahe unmöglich,<br />
ehrenamtliche qualifizierte Informatiker und Grafik-<br />
Designer zu finden.<br />
• Fazit: Alle Teilnehmer des Weltkaffees plädierten<br />
für eine Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Da<strong>durch</strong> würde sich<br />
Vieles verändern. Diese Öffentlichkeitsarbeit würde<br />
den Migranten und den Einheimischen zeigen,<br />
wie die Verfremdung abgeschafft und eine gemeinsame<br />
Sprache geschaffen werden könnte. Mit einer<br />
Stimme könnten dann alle in die Öffentlichkeit<br />
gehen und über die Erfolge ihrer bisherigen Arbeit<br />
berichten.<br />
Protokoll: Viktor Ostrowski, Kultur- und Integrationszentrum<br />
Phoenix-Köln e.V.<br />
World Café<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 35
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Die Arbeitsgruppen waren so konzipiert, dass die<br />
Teilnehmenden nach einem kurzen inhaltlichen Input<br />
ihre Erfahrungen einbringen konnten. Bei den Diskussionen<br />
standen sich die Vertreter/innen der beteiligten<br />
MO als Experten zur Verfügung.<br />
AG 1: Chancen und Hürden für lokale<br />
Netzwerke mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
Impuls: Das Konzept für die interkulturelle Arbeit<br />
in der Stadt Essen<br />
I ris Kaplan-Meys, RAA/Büro für interkulturelle Arbeit<br />
Oktay Sürücü, Essener Verbund der Immigrantenvereine<br />
Das Essener Konzept<br />
Mit dem einstimmigen Beschluss über das „Konzept<br />
für die interkulturelle Arbeit in der Stadt Essen“<br />
(IKK) im Jahr 1999 beauftragte der Rat der Stadt<br />
die Verwaltung mit der Prüfung von Maßnahmen in<br />
ausgewählten Handlungsfeldern und Querschnittsbereichen.<br />
Er erhob gleichzeitig den „Ausbau der interkulturellen<br />
Orientierung“ zu einem Konzernziel.<br />
Seitdem werden mit Elementen der neuen Verwaltungssteuerung<br />
Handlungsansätze und Strategien<br />
in Praxisfeldern im Diskurs mit internen und externen<br />
Partnern entwickelt und auf der Grundlage von<br />
Beschlusslagen umgesetzt. Die Prozessbegleitung<br />
und das Controlling für obliegt der Steuerungseinheit<br />
RAA/Büro für interkulturelle Arbeit.<br />
Grundlage des Handlungsrahmens sind definierte<br />
Leitlinien (Essener Leitbild), welche die interkulturelle<br />
Orientierung und einen auf Dauer angelegten dialogorientierten<br />
Prozess auf gleicher Augenhöhe in Verantwortung<br />
aller Beteiligten unterstreichen.<br />
36 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Zur Einbindung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> in<br />
Essen<br />
Wichtige Voraussetzung für einen positiven Prozessverlauf<br />
ist die Akzeptanz eigenethnischer Strukturen,<br />
die Bereitschaft von Migrantenselbstorganisationen<br />
zur aktiven Mitwirkung und eine Engagementfördernde<br />
Stadtpolitik. Der gegenseitige Umgang auf<br />
gleicher Augenhöhe erfordert eine langfristige Dialogkultur<br />
und gemeinsame Zielfindungen.<br />
Der Auszug aus den Handlungsleitenden Grundsätzen<br />
von 1999 unterstreicht diese Bestrebungen in der<br />
Stadt Essen:<br />
... ein dauerhaft angelegter, dialogorientierter Prozess<br />
auf gleicher Augenhöhe in Verantwortung aller<br />
Beteiligten zum Austausch und zur Entwicklung neuer<br />
Gemeinsamkeiten unter Einbezug unterschiedlicher<br />
kultureller Zusammenhänge<br />
... die Anerkennung eigenethischer Strukturen<br />
Eine langjährige Netzarbeit (u.a. RAA Essen seit<br />
1980, Integrationsbeirat mit Urwahl1987) und die gewachsene<br />
MO Kooperation (u.a. <strong>durch</strong> Personalunion<br />
von Vereinsvorständen und Beiratsmitgliedern und<br />
die Kooperation zwischen Beirat und Essener MO)<br />
sind die Grundlagen für die Entwicklung der Vernetzung<br />
der MO in Essen.<br />
Auf dieser Basis wurde im Jahr 2000 mit der Gründung<br />
eines Dachverbandes der Grundstein für ein formales<br />
MO Netzwerk gelegt. Gestützt auf eine strategische<br />
Ausrichtung zu mehr Anerkennung und Beteiligung<br />
von Migrantenselbstorganisationen, zu deren Qualifizierung<br />
und Professionalisierung und zur Übernahme<br />
von Eigenverantwortung für das Gemeinwohl wurden<br />
und werden Ressourcen in Form städtischer Finanzmittel,<br />
gemeinsamer Projekte und fachlicher Unterstützung<br />
von MO Aktivitäten eingesetzt.
Dabei haben im Verlauf Selbstorganisationen unterschiedliche<br />
Beteiligungsformen eingenommen: Als<br />
Interessenvertretung, als Dienstleister und als Kooperations-<br />
bzw. Vertragspartner. Das in 2007 mit Landesmitteln<br />
geförderte Essener Projekt „MO – Partner<br />
in der Kommune“ 1 hat insbesondere dazu beigetragen,<br />
Strategien im Sinne der strukturellen Partizipation<br />
und Vernetzung zu entwickeln.<br />
Projektansätze auf Essener Ebene tragen seitdem<br />
dazu bei, die MO als Kooperationspartner des Regelsystems<br />
zu etablieren. Dabei soll gleichzeitig die Vernetzung<br />
der MO untereinander und auch mit anderen<br />
sozialräumlichen oder gesamtstädtischen Netzwerken<br />
gefördert und ein eigenständiges Agieren der<br />
Vereine und des Dachverbands als Ansprechpartner<br />
forciert werden.<br />
Der „Essener Verbund der Immigrantenvereine e.V.“<br />
Der Verbund wurde auf Initiative des Essener Ausländerbeirates<br />
am 23. November 2000 gegründet. Verfolgt<br />
wird eine Professionalisierung der Verbundarbeit<br />
und Unterstützung der Migrantenselbstorganisationen<br />
zur nachhaltigen Verbesserung der strukturellen<br />
Partizipation und Vernetzung. Ein hauptamtlicher Geschäftsführer<br />
und Projektmitarbeiter/innen stützen<br />
die Verbundarbeit. Sie finanziert sich auf der Basis<br />
eines Kooperationsvertrages mit der Stadt Essen mit<br />
einer institutionellen Förderung in Höhe von zurzeit<br />
37.900 € und geworbenen Projektgeldern (aktuell<br />
BAMF, Agentur für Arbeit, IKK Mittel, Ministerium für<br />
Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW).<br />
Zu seinen Mitgliedern zählen Vereine, die in Essen<br />
eingetragen und gemeinnützig anerkannt sind.<br />
Die Anzahl der Mitgliedsvereine hat sich von zehn<br />
Gründungsmitgliedern auf 73 Vereine erhöht. Damit<br />
umfasst der Verbund fast alle gemeinnützigen Migrantenselbstorganisationen<br />
in Essen und steht für<br />
kulturelle und ethnische Vielfalt.<br />
Zu den Aktivitäten des Verbunds gehören Kooperationsprojekten<br />
in Zusammenarbeit mit Selbstorganisationen,<br />
Institutionen und Fachdienststellen, Info-Reihen<br />
und Veranstaltungen, eine eigene Homepage 2<br />
für Mitglieder und Multiplikator/innen und die Verstetigung<br />
des Handlungsansatzes „MO-Partner in der<br />
Kommune“.<br />
Chancen und Risiken für lokale Netzwerke mit<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
Die Essener Erfahrungen zeigen Chancen der Zusammenarbeit<br />
für alle am Prozess Beteiligten auf: Ein<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
gezielter Informationsaustausch z.B. zwischen Mitarbeiter/innen<br />
von Fachverwaltungen und Akteuren aus<br />
MO trägt zum gegenseitigen Kennenlernen und zur<br />
Vertrauensbildung bei.<br />
MO und Fachverwaltung lernen voneinander und<br />
es entstehen neue Kontakte. Damit steigt der Aktionsrahmen<br />
für Vereine als auch für Fachbereiche.<br />
Sie können sich eigenständige Wege und Zugänge<br />
neben den bekannten über „Integrationsakteure“<br />
(z.B. aus Integrationsrat, RAA, Migrationsdienste)<br />
erschließen.<br />
Die Zusamenarbeit trägt zur differenzierteren Wahrnehmung<br />
von MO und zu mehr Transparenz von Verwaltungshandeln<br />
bei. Es entstehen Impulse für die interkulturelle<br />
Öffnung der Verwaltung als auch für ein<br />
neues Selbstverständnis der Vereine.<br />
Gemeinsame Projekte werden initiiert und neue Synergien<br />
für den Integrationsprozess geschaffen.<br />
Es wäre jedoch vermessen, nicht auch die Hürden aufzuzeigen,<br />
die eine dauerhafte Netzwerkarbeit beeinflussen:<br />
Personelle Wechsel bzw. fehlende Hauptamtliche<br />
bei den Netzwerkpartnern können die dauerhafte<br />
Zusammenarbeit behindern. Profis und ehrenamtliche<br />
Akteure sind gefordert, Zeit und Umfang ihrer Zusammenarbeit<br />
immer wieder abzustimmen.<br />
In Essen ist festzustellen, dass die Erwartungshaltungen<br />
auf allen Seiten sehr groß sind.<br />
Hier ist eine Balance zwischen Qualitätsansprüchen<br />
und praktischer Umsetzung gefragt. Unterschiedliche<br />
Informationsstände über Strukturen, Verwaltungsabläufe,<br />
Sachfragen und Vereinsinteressen müssen<br />
aufgearbeitet werden, um eine strukturelle Partizipation<br />
zu ermöglichen.<br />
Im Integrationsgeschehen wird die Stärkung der<br />
Netzwerkarbeit mit MO und die angestrebte struktureller<br />
Partizipation langfristig zu Konkurrenzen (Wettbewerb)<br />
zwischen Regelsystemen, Sonderdiensten,<br />
etablierten Verbänden und den MO als „neue Anbieter“<br />
um Ressourcen führen, beispielsweise in der<br />
Jugendhilfe um die Teilhabe am Jugendhilfeförderplan.<br />
Die Abhängigkeit von der kommunalen Haushaltslage<br />
ist nicht zuletzt ein entscheidendes Risiko<br />
für eine langfristige Partnerschaft zwischen MO und<br />
Kommune.<br />
Es bleibt zusammenfassend eine Herausforderung,<br />
die Chancen für lokale Netzwerke mit MO im Dialog<br />
mit städtischen Akteuren und Entscheidungsträgern<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 37
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
zu verdeutlichen, zu nutzen und auf der Grundlage<br />
gemeinsamer Zielsetzungen langfristig zu etablieren.<br />
Ergebnisse<br />
Kadri Akkaya, Stadt Köln<br />
Das Impulsreferat von Frau Kaplan-Meys und Herrn<br />
Oktay Sürücü über die kommunalen Rahmenbedingungen<br />
des gesamtstädtischen Integrationskonzeptes<br />
in Essen und die kommunaler Beteiligung der<br />
MO im Essener Verbund der Immigrantenvereine<br />
diente in der AG als Ausgangspunkt zur Diskussion.<br />
Dabei wurden folgende Hürden und Chancen für lokale<br />
Netzwerke mit MO erörtert, diskutiert und festgestellt.<br />
Hürden:<br />
• Interessenkonflikte.<br />
• Personelle Wechsel bzw. fehlende Hauptamtliche bei<br />
den MO behindern die dauerhafte Netzwerkarbeit.<br />
• Hohe Erwartungshaltung.<br />
• Wissensmangel über die Verwaltungsstruktur in der<br />
Kommune.<br />
• Die unterschiedliche Messlatte.<br />
• Die Abhängigkeit von der kommunalen Haushaltslage.<br />
Chancen:<br />
• Informationsaustausch.<br />
• Die Mitwirkung der MO steigt.<br />
• Strukturelle Partizipation hilft beim Austausch auf<br />
gleicher Augenhöhe.<br />
• Die Vielfalt der MO wird deutlich und bereichert die<br />
kommunale Gesellschaft.<br />
• Das Fungieren als Projektträger gibt den MO Selbstbewusstsein<br />
und löst das langjährige Objektsein<br />
zum Subjektsein.<br />
• Die Solidarität in der Kommune steigt.<br />
• Es werden neue Synergien geschaffen.<br />
Gemeinsame These der AG 1:<br />
Die strukturelle Öffnung wird <strong>durch</strong> die Kooperation<br />
zwischen den Kommunen und den <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
bereichert und schafft eine gleiche Augenhöhe.<br />
Offene Fragen als Empfehlung für die nächste Tagung:<br />
• Eine Gesamtauswertung der bestehenden Netzwerke<br />
mit MO ist wünschenswert.<br />
• Wie soll die „gleiche Augenhöhe“ mit MO in der<br />
Netzwerkarbeit in den Kommunen eingerichtet,<br />
praktiziert und in der Zukunft gesichert werden?<br />
38 <strong>BBE</strong> - Dokumentation
AG 2: Netzwerkkonzepte zur <strong>Integrationsförderung</strong><br />
auf Landesebene<br />
Impuls: Zwischenergebnisse des bayerischen<br />
Modellprojektes „gemeinsam engagiert“<br />
Marion Bradl, Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte<br />
Bayerns und Torsten Groß, Landesnetzwerk<br />
Bürgerschaftliches Engagement Bayern<br />
Das Projekt<br />
Das Modellprojekt „gemeinsam engagiert für eine gemeinsame<br />
Zukunft – Bürgerschaftliches Engagement<br />
im Bereich Integration“, seit Juni 2007 gefördert vom<br />
Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung,<br />
Familie und Frauen (StMAS) und dem Bundesamt<br />
für Migration und Flüchtlinge (BAMF), steht in<br />
der paritätischen Trägerschaft der Arbeitsgemeinschaft<br />
der Ausländerbeiräte Bayerns (AGABY) und des Landesnetzwerks<br />
Bürgerschaftliches Engagement Bayern<br />
(LBE). Es ist bundesweit das erste Kooperationsprojekt<br />
auf Landesebene, das von einer Migranten- und einer<br />
deutschen Organisation gemeinsam <strong>durch</strong>geführt wird.<br />
Das Projektziel spiegelt die Schnittmenge der gemeinsamen<br />
Ziele der beiden Träger wider: Die Förderung<br />
des bürgerschaftlichen Engagements von und<br />
mit Migrant/innen in Bayern <strong>durch</strong>:<br />
• Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> (Vereine, Beiräte).<br />
• Austausch und Vernetzung unter <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
und zwischen <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
und deutschen Organisationen.<br />
• Maßnahmen zur Sensibilisierung und Interkulturellen<br />
Öffnung von deutschen Einrichtungen der<br />
Freiwilligenarbeit.<br />
• Zusammenführen der Strukturen des freiwilligen<br />
Engagements von Migrant/innen und Nicht-Migrant/innen.<br />
„gemeinsam engagiert“ hat hierfür beispielhafte Einzelprojekte<br />
mit ausgewählten Kooperationspartnern<br />
entwickelt und führt diese auf lokaler, regionaler und<br />
Landesebene <strong>durch</strong>.<br />
Die Träger<br />
Beide Träger sind jeweils für sich bereits Netzwerke<br />
auf Landesebene: Die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte<br />
Bayerns, AGABY, ist der Zusammenschluss<br />
der kommunalen Ausländer-, Migranten- und<br />
Integrationsbeiräte Bayerns. Sie fördert den Austausch<br />
und die Vernetzung unter den Beiräten und<br />
vertritt ihre politischen Interessen auf Landesebene.<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Das höchste Organ der AGABY ist die Delegiertenversammlung,<br />
aus deren Reihen auch der Vorstand gewählt<br />
wird. Die Mitglieder des Vorstands arbeiten, genauso<br />
wie die Mitglieder der kommunalen Beiräte, rein<br />
ehrenamtlich. Im Unterschied zu den ehrenamtlichen<br />
Trägerstrukturen der AGABY verfügt das Landesnetzwerk<br />
Bürgerschaftliches Engagement Bayern, LBE,<br />
über eine Geschäftsstelle mit hauptamtlichem Personal.<br />
Deren Aufgabe ist es, Information, Beratung und<br />
Fortbildung für Vereine, Verbände und Einrichtungen<br />
des Bürgerschaftlichen Engagements sowie für Politik<br />
und Verwaltung anzubieten und neue und innovative<br />
Ansätze des Bürgerschaftlichen Engagements in<br />
unterschiedlichen Themen- und Lebensbereichen zu<br />
fördern. Zu den Mitgliedern des LBE zählen Einrichtungen<br />
der Freiwilligenarbeit auf Landesebene, wie die<br />
Freiwilligenagenturen Bayerns, die Mütter- und Familienzentren,<br />
Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros<br />
und die Bürgerstiftungen in Bayern. Sowohl AGABY<br />
als auch das LBE kooperieren mit zahlreichen Organisationen<br />
und Verbänden auf Landesebene und sind<br />
darüber hinaus auch auf Bundesebene vernetzt.<br />
Die Projektförderung ermöglichte die Einrichtung der<br />
beiden hauptamtlichen Stellen der Projektkoordinator/<br />
innen der AGABY und des LBE und einer Mitarbeiter/<br />
innenstelle mit einer gesamten Arbeitszeit von 72,5<br />
Stunden pro Woche für die Laufzeit von drei Jahren.<br />
Motive für eine Netzwerkpartnerschaft<br />
Mangels institutioneller Förderung war der ehrenamtliche<br />
Vorstand der AGABY bereits seit längerem auf<br />
der Suche nach Fördermöglichkeiten, die eine bessere<br />
Sichtbarmachung, Unterstützung und Stärkung<br />
des ehrenamtlichen Engagements der Beiräte auf<br />
kommunaler und Landesebene auch unabhängig von<br />
einer Regelförderung ermöglichen sollten. Die Geschäftsstelle<br />
des LBE Bayern widerum verfolgte das<br />
Ziel, die Mittelschichtsorientierung der Einrichtungen<br />
der Freiwilligenarbeit aufzubrechen und insbesondere<br />
Migrant/innen verstärkt als neue Zielgruppe zu<br />
gewinnen. Beide Träger verband darüber hinaus der<br />
grundlegende (Projekt-)Ansatz, Integrationsprozesse<br />
nicht für, sondern mit Migrant/innen gemeinsam und<br />
auf gleicher Augenhöhe zu gestalten.<br />
Ziele der Netzwerkpartnerschaft<br />
Übergeordnetes inhaltliches Ziel der Kooperation von<br />
AGABY und LBE ist die konzeptionelle Entwicklung der<br />
breiten Schnittmenge der Themenfelder Bürgerschaftliches<br />
Engagement und Integration in Bayern und ihre<br />
Etablierung als eigenständiges und öffentlich anerkanntes<br />
Handlungsfeld. Unmittelbare Teilziele sind des-<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 39
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
halb die (öffentliche) Förderung und Anerkennung des<br />
Bürgerschaftlichen Engagements insbesondere von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in Bayern und gleichermaßen die<br />
Sensibilisierung und interkulturelle Öffnung von Einrichtungen<br />
und Organisationen vor allem der Mehrheitsgesellschaft.<br />
Strukturelles Ziel der Kooperation von AGABY<br />
und LBE ist das Zusammenführen der jeweiligen Netzwerke<br />
und ihre gemeinsame Weiterentwicklung.<br />
Bewertung der Netzwerkpartnerschaft<br />
Beide Träger bewerten die Netzwerkpartnerschaft positiv<br />
und wollen ihre Kooperation in einem dreijährigen<br />
Folgeprojekt fortführen. Zu den Erfolgen der Netzwerkpartnerschaft<br />
zählen für AGABY und LBE insbesondere<br />
• Die Bereicherung der Perspektiven <strong>durch</strong> die gemeinsame<br />
Projektträgerschaft einer Migranten-<br />
und einer deutschen Organisation.<br />
• Die Bereicherung der Themen <strong>durch</strong> die gemeinsame<br />
Projektträgerschaft einer (integrations-)politsch<br />
engagierten Migrantenorganisation und einer<br />
auf die Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements<br />
spezialisierten deutschen Organisation.<br />
• Die erfolgreiche Erweiterung der jeweiligen Netzwerkstrukturen.<br />
• Der erleicherte Zugang zu den Akteuren der jeweils<br />
„anderen Seite“.<br />
• Die besseren Vernetzungsmöglichkeiten auch auf<br />
lokaler und regionaler Ebene.<br />
• Die bessere Platzierung des Themenfeldes Bürgerschaftliches<br />
Engagement und Integration in Politik<br />
und Verwaltung.<br />
Die Hemmnisse und Schwierigkeiten des Kooperationsprojektes<br />
von AGABY und LBE lagen überwiegend<br />
in der Aufbauphase der Netzwerkpartnerschaft<br />
und sind allen voran der unterschiedlichen Aufstellung<br />
der Träger geschuldet: Insbesondere der extrem<br />
ungleichen Ressourcenlage der Träger (räumliche,<br />
materielle und personelle Ausstattung) und den ungleichen<br />
Arbeitsstrukturen eines ehren- und eines<br />
hauptamtlichen Trägers.<br />
Kontakt und Infos unter :<br />
www.gemeinsam-engagiert.net.<br />
Ergebnisse<br />
Birger Hartnuß, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, Leitstelle<br />
Bürgergesellschaft und Ehrenamt<br />
Den Ländern kommt in Fragen der Förderung bürgerschaftlichen<br />
Engagements und gesellschaftlicher<br />
Partizipation erhebliche Bedeutung zu. Als Ebene<br />
40 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
zwischen dem Bund und den Kommunen haben<br />
sie nicht nur weit reichende Handlungsspielräume,<br />
sondern tragen auch Verantwortung für die Gestaltung<br />
moderner Engagement- und Demokratiepolitik.<br />
Dieser Verantwortung haben sich die Länder in den<br />
vergangenen Jahren in zunehmendem Maße gestellt<br />
und neue Strukturen, Programme und Aktivitäten zu<br />
Engagement- und Partizipationsförderung auf den<br />
Weg gebracht.<br />
Dies gilt nicht zuletzt auch für Fragen der Förderung<br />
bürgerschaftlichen Engagements sowie der<br />
politischen Partizipation von Migrantinnen und<br />
Migranten. Eine zentrale Frage dabei ist, wie die<br />
bestehenden Migrantenselbstorganisationen in<br />
ihrer Arbeit unterstützt, in der öffentlichen Wahrnehmung<br />
aufgewertet und in ihrem politischen Beteiligungsmöglichkeiten<br />
gefördert werden können.<br />
Als eines der wirkungsvollsten Instrumente hierfür<br />
wird – wie auch in anderen Bereichen des bürgerschaftlichen<br />
Engagements – die Vernetzung und<br />
Netzwerkbildung angesehen. So wird auch in diesem<br />
Bereich die Gründung von Netzwerken zunehmend<br />
für die Lösung drängender gesellschaftlicher<br />
Herausforderungen herangezogen. Inzwischen haben<br />
eine Reihe von Ländern bereits Netzwerke ins<br />
Leben gerufen, die die gesellschaftliche Integration<br />
und politische Partizipation von Migrant/innen und<br />
Migranten und von Migrantenselbsorganisationen<br />
fördern wollen. Beispiele hierfür etwa sind Zusammenschlüsse<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong> in den<br />
verschiedenen Länder-Arbeitsgemeinschaften von<br />
Ausländerbeiräten oder – wie etwa in Rheinland-<br />
Pfalz – Zusammenschlüsse der Beiräte für Migration<br />
und Integration. In den neuen Bundesländern<br />
wird mit dem Projekt „EmPa“ die Arbeit von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in verschiedenen Säulen gefördert.<br />
Hierzu zählen Fragen der Qualifizierung, des<br />
Empowerments, aber auch der verstärkten Kooperation<br />
und Vernetzung der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
untereinander.<br />
Ein besonders spannendes und erfolgreiches Netzwerk<br />
arbeitet seit einigen Jahren unter dem Titel<br />
„Gemeinsam engagiert“ in Bayern. Dieses Vernetzungsprojekt<br />
wird von der Arbeitsgemeinschaft der<br />
Ausländerbeiräte Bayern (AGABY) und dem Landesnetzwerk<br />
Bürgerschaftliches Engagement Bayern<br />
getragen. In dieser besonderen Kooperation ist<br />
es gelungen, eine breite Palette von Aktivitäten und<br />
Schwerpunkten zu entwickeln und umzusetzen, die<br />
sowohl konkrete Projekte vor Ort, gegenseitigen Austausch<br />
und gemeinsames Lernen sowie die Stärkung<br />
politischer Partizipation von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
zum Ziel haben.
Marion Bradl (AGABY) und Torsten Groß (Landesnetzwerk<br />
BE Bayern) stellten im Workshop das Vernetzungsprojekt<br />
mit seinen besonderen Strukturen,<br />
konkreten Projekten und Angeboten sowie die bisherigen<br />
Erfahrungen in der Netzwerkarbeit vor.<br />
Ausgehend von dem Erfahrungsbericht aus Bayern<br />
wurde in der Arbeitsgruppe intensiv über Chancen,<br />
Herausforderungen und Erfolgsfaktoren der Netzwerkbildung<br />
von und mit <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
diskutiert. Die wichtigsten Dispositionslinien hierbei<br />
lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:<br />
• Bestehende Netzwerke auf Landesebene unterscheiden<br />
sich in erheblichem Maße bezüglich der<br />
beteiligten Akteure (Wer macht mit?), der Entstehungsgeschichte<br />
(politische Initiative von „oben“<br />
oder Initiative von „unten“ aus eigener Betroffenheit)<br />
aber auch bezüglich der mit der Netzwerkarbeit<br />
verbundenen Themen und Anliegen (konkrete<br />
Projekte wie zum Beispiel Qualifizierungsangebote<br />
oder Stärkung der politischen Beteiligungsmöglichkeiten<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong>).<br />
• Ein wichtiger Erfolgsfaktor für Netzwerke in diesem<br />
Bereich ist die Erhöhung von Transparenz.<br />
Es ist entscheidend, dass allen Beteiligten klar<br />
ist, welche Akteure in dem Netzwerk mitwirken,<br />
welche konkreten, auch politischen Ziele unterschiedliche<br />
Akteure mit ihrer Mitwirkung im Netzwerk<br />
verbinden, und welches inhaltliche Profil<br />
das Netzwerk haben soll. Es ist ein erheblicher<br />
Unterschied, ob Netzwerke sich auf die Unterstützung<br />
und Förderung konkreter Projekte im<br />
lokalen Raum konzentrieren, bestehende <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
in einem Land besser vernetzen<br />
und in Austausch bringen sollen oder aber<br />
mit der Arbeit auch der Anspruch einer Stärkung<br />
politischer Partizipation und Interessenvertretung<br />
verbunden wird.<br />
• Fundament jeglicher Netzwerkarbeit ist die Schaffung<br />
von Vertrauen. Hierfür bedarf es belastbarer<br />
Informations- und Kommunikationsstrukturen sowie<br />
die Entwicklung gemeinsamer Projekte und<br />
Vorhaben. Netzwerke sind kein Selbstzweck. Ihr<br />
Erfolg bemisst sich daran, inwiefern es gelingt, für<br />
alle Beteiligten erfahrbare Veränderungen und Erfolge<br />
zu erzielen.<br />
• Hiermit verbindet sich nicht zuletzt die Frage der<br />
Steuerung und des Managements der Netzwerkarbeit.<br />
Letztlich benötigen effektive Netzwerke<br />
eine verlässliche Infrastruktur die dies sicherstellt.<br />
Hiermit wiederum sind Fragen der finanziellen und<br />
personellen Ausstattung der Netzwerke angesprochen.<br />
Hierfür müssen tragfähige Lösungen gefunden<br />
werden.<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
• Netzwerke von <strong>Migrantenorganisationen</strong> auf Landesebene<br />
stehen vor der Herausforderung, in ihrer<br />
Arbeit verstärkt auch den Kontakt und die Kooperation<br />
mit bestehenden Strukturen und Organisationen<br />
der Engagement- und Partizipationsförderung<br />
aufzubauen und zu nutzen. Dies gelingt in der<br />
Praxis nur selten. Wichtige Partner hierfür wären<br />
insbesondere Freiwilligenagenturen und Freiwilligenzentren,<br />
Seniorenbüros, Mütterzentren, Selbsthilfekontaktstellen<br />
etc. und ihre Zusammenschlüsse<br />
auf Landesebene.<br />
• Netzwerke in diesem Bereich unterscheiden sich<br />
erheblich danach, ob sie sich als „vertikale“ oder<br />
„horizontale“ Vernetzungsstrukturen auf Landesebene<br />
verstehen. Insbesondere bei Netzwerken,<br />
die sich auf die verstärkte Kooperation<br />
von bestehenden Organisationen und Zusammenschlüssen<br />
auf Landesebene konzentrieren,<br />
stellt sich die Herausforderung, ihre Ergebnisse<br />
und ihre Arbeit rückzubinden an die Organisationen<br />
auf lokaler Ebene. Auch hierfür bedarf<br />
es eines klugen Netzwerk- und Schnittstellenmanagements.<br />
AG 3: Vernetzung <strong>durch</strong> Weiterbildung in<br />
den neuen Bundesländern: Das Projekt<br />
EMPA<br />
Impuls: Empowerment und Partizipationsförderung<br />
für Drittstaatenangehörige in den neuen<br />
Bundesländern<br />
Dr. Esra Erdem, Projektleiterin EMPA, RAA Brandenburg<br />
In diesem Beitrag soll anhand des Projektes EMPA<br />
beispielhaft dargestellt werden, wie Weiterbildungsangebote<br />
als Forum der Vernetzung von Migrant/<br />
innenorganisationen dienen und somit zur Stärkung<br />
der selbstorganisierten Interessenvertretung auf regionaler<br />
Ebene beitragen können.<br />
Mit dem Projekt EMPA möchte die RAA Brandenburg<br />
das zivilgesellschaftliche Engagement von Migrant/<br />
innen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen würdigen<br />
und fördern. Das Projekt wird in Kooperation mit den<br />
Integrations- bzw. Ausländerbeauftragten der ostdeutschen<br />
Bundesländer sowie dem Bundesnetzwerk<br />
Bürgerschaftliches Engagement (<strong>BBE</strong>) <strong>durch</strong>geführt.<br />
Es hat eine Laufzeit von drei Jahren (Oktober<br />
2008 bis September 2011) und wird <strong>durch</strong> den Europäischen<br />
Integrationsfond und das Land Brandenburg<br />
finanziert.<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 41
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Die drei Fortbildungsreihen, mit denen je unterschiedliche<br />
Aspekte des gesellschaftlichen Engagements<br />
von Migrant/innen angesprochen werden, bilden<br />
einen Kernteil von EMPA. In Einzelnen werden folgende<br />
thematische Schwerpunkte gesetzt:<br />
• 2009: Professionalisierung der Arbeit von Migrant/<br />
innenorganisationen.<br />
• 2010: Empowerment und Partizipation <strong>durch</strong> Engagement<br />
in Religionsgemeinschaften von Migrant/<br />
innen.<br />
• 2011: Empowerment von Jugendlichen mit Migrationshintergrund.<br />
Im Folgenden möchte ich mich konkret auf Erfahrungen<br />
aus der EMPA-Fortbildungsreihe 2009 beziehen<br />
um darzustellen, wie im Rahmen des Projektes<br />
die Qualifizierung und Vernetzung von Migrant/innenorganisationen<br />
konzeptionell ineinander greifen:<br />
An den sieben Wochenendseminaren nahm eine<br />
Gruppe von insgesamt 24 Vertreter/innen der ostdeutschen<br />
Migrant/innenorganisationen teil, die sich<br />
zu Themen an der Schnittstelle von Migration und Organisationsentwicklung<br />
weiterbildeten. Diese Fortbildungen<br />
baten zugleich einen Rahmen der Vernetzung<br />
an. In ihrer Evaluation hoben die Teilnehmenden diese<br />
Möglichkeit eines überregionalen Austauschs mit Migrant/innen<br />
unterschiedlicher Herkunft als besonders<br />
wertvoll hervor. In den Lernerorientierten Seminaren,<br />
den praxisnahen Übungen in kleinen Arbeitsgruppen,<br />
aber auch in den informellen Pausengesprächen fanden<br />
die Teilnehmenden ausführlich Gelegenheit, sich<br />
über ihre Kompetenzen und Erfahrungen als Akteure<br />
der Migrationsarbeit auszutauschen.<br />
Um die Kommunikation unter den Teilnehmer/innen<br />
auch zwischen den Fortbildungsterminen zu ermöglichen,<br />
wurde ergänzend ein virtuelles Diskussionsforum<br />
in Form eines internen Email-Verteilers eingerichtet. Neben<br />
dem regelmäßigen Informationsaustausch erlaubte<br />
uns dieses Medium beispielsweise auch, gemeinsam in<br />
kürzester Zeit eine Stellungnahme zu verfassen, um unsere<br />
Solidarität mit einem EMPA-Teilnehmer zu bekunden,<br />
der im Rahmen seines politischen Engagements<br />
von Rechtsextremisten bedroht wurde.<br />
Eine weitere Plattform der elektronischen Vernetzung<br />
stellt die EMPA Homepage www.projekt-empa.<br />
de dar. Auf der Unterseite „Qualifizierung 2009“ haben<br />
die Teilnehmenden kurze Informationen zu ihrer<br />
Person und ihrer Arbeit zusammengetragen. Dabei<br />
ist eine beeindruckende Vielfalt an regionalen Tätigkeitsprofilen<br />
zutage getreten, die der interessierten<br />
Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden konnte.<br />
42 <strong>BBE</strong> - Dokumentation
Viertens, boten die sechs Regionalveranstaltungen,<br />
die EMPA-Teilnehmende im Rahmen der interkulturellen<br />
Wochen im September 2009 gemeinsam<br />
<strong>durch</strong>führten, eine Möglichkeit, die Anliegen von Migrant/innenorganisationen<br />
einer breiten Öffentlichkeit<br />
vorzustellen und neue Erfahrungswerte in der<br />
Zusammenarbeit mit anderen Migrant/innenorganisationen<br />
zu sammeln. Zugleich stellten sie eine gute<br />
Gelegenheit zur engeren Vernetzung mit den EMPA-<br />
Kooperationspartnern und weiteren lokalen Akteuren<br />
der Integrationsarbeit dar.<br />
Fünftens, bietet die Kooperation zwischen dem <strong>BBE</strong><br />
und EMPA ein besonderes Forum der Vernetzung<br />
für Migrant/innenorganisationen in Ost- und Westdeutschland.<br />
Durch die Teilnahme von EMPA an den<br />
Fachtagungen der AG Migration/Integration des <strong>BBE</strong><br />
und die teilweise Verlegung der AG Sitzungen nach<br />
Ostdeutschland, sind neue Verbindungen geknüpft<br />
worden, die das Potential für eine Zusammenarbeit<br />
in der Zukunft (z.B. in Form von Ost-West Tandemprojekten)<br />
in sich bergen.<br />
Letztens ist noch die Vernetzung auf europäischer<br />
Ebene zu erwähnen. Im Rahmen der Studie „Alternative<br />
Voices on Integration“ (<strong>durch</strong>geführt vom Institute<br />
of Race Relations in Kooperation mit dem Network of<br />
European Foundations / European Programme for Integration<br />
and Migration) wurde EMPA als innovatives<br />
Projekt gewürdigt und <strong>durch</strong> einen eigenständigen<br />
Beitrag auf der Homepage des Forschungsprojektes<br />
der europäischen Fachöffentlichkeit vorgestellt.<br />
Im Jahr 2010 wird EMPA das Konzept „Qualifizierung<br />
und Vernetzung“ weiterverfolgen. Mit einer Fortbildungsreihe<br />
für Migrant/innen, die sich in Religionsgemeinschaften<br />
von Zugewanderten engagieren,<br />
wird der Rahmen für eine überregionale, interreligiöse<br />
Begegnung in Ostdeutschland geschaffen. Auch<br />
die Vernetzung der <strong>Migrantenorganisationen</strong> wird im<br />
Jahre 2010 fortgesetzt.<br />
Informationen zu den geplanten Regionalveranstaltungen<br />
können Sie im Laufe des Jahres der EMPA-<br />
Homepage entnehmen.<br />
Ergebnisse<br />
Dr. Karamba Diaby, Projektleiter Migration/Integration<br />
der Jugendwerkstatt „Frohe Zukunft“, Halle-<br />
Saalekreis e.V. und Vorsitzender des Bundeszuwanderungs-<br />
und Integrationsrates<br />
An dieser AG beteiligten sich 8 Teilnehmer/innen.<br />
Nach einem einführenden Vortrag von Frau Dr. Esra<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Erdem (RAA Brandenburg und Leiterin des Projektes<br />
EmPa) erfolgte eine intensive Diskussion.<br />
Das Projekt steht für „Empowerment und Partizipationsförderung<br />
für Drittstaatenangehörige in den<br />
neuen Bundesländern“. Es wird von Oktober 2008<br />
bis September 2011 <strong>durch</strong>geführt mit folgenden Kooperationspartnern:<br />
Die Integrations- und Ausländerbeauftragten<br />
der ostdeutschen Bundesländer,<br />
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement<br />
(<strong>BBE</strong>). Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, die<br />
gesellschaftliche Teilhabe von Migrant/innen in Ostdeutschland<br />
zu fördern und die Stärkung der eigenständigen<br />
Interessenvertretung und der öffentlichen<br />
Präsenz von Migrant/innen zu unterstützen.<br />
Die Projektangebote sind die Qualifizierung und Vernetzung<br />
von <strong>Migrantenorganisationen</strong>. Für 2010 stehen<br />
Religionsgemeinschaften im Mittelpunkt und für<br />
2011 wird besonderes Augenmerk auf Jugendliche<br />
mit Migrationshintergrund gelegt.<br />
Das Profil der Teilnehmenden zeigt, dass 59% Frauen<br />
sind und 41% Männer. Die Teilnehmerzahl pro Bundesland<br />
war sehr unterschiedlich. Während Sachsen<br />
mit 10 Teilnehmern/innen die größte Gruppe stellte<br />
sind lediglich 2 Teinehmer/innen aus Thüringen. Dies<br />
erklärt sich mit dem Engagement der Kooperationspartner<br />
in den Regionen bei der Werbung für das Projekt.<br />
Die Teilnehmer/innen stammen aus 14 verschiedenen<br />
Herkunftsländern.<br />
Themen der Fortbildungsmodule 2009 waren Antidiskriminierung,<br />
Zuwanderungsgesetz, Vereinsrecht<br />
& Finanzen, Projektmanagement, Kommunikation &<br />
Konfliktmanagement, Moderation & Präsentationstechniken,<br />
Öffentlichkeitsarbeit & Fundraising.<br />
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Vernetzung von MO<br />
und Akteuren der Integrationsarbeit auf Regionalveranstaltungen<br />
u.a. in Halle und Leipzig. Die bundesweite<br />
Vernetzung erfolgte <strong>durch</strong> die Kooperation mit<br />
<strong>BBE</strong> / AG Migration und Integration. Die Vernetzung<br />
im europäischen Kontext ergab eine Würdigung des<br />
Projektes <strong>durch</strong> „Institute of Race Relations, London“<br />
als innovatives Projekt im Zusammenhang mit dem<br />
Forschungsprogramm „Alternative Voices on Integration“<br />
Der Moderator als ehemaliger Teilnehmer<br />
bei diesen Fortbildungen von EmPa berichtete über<br />
seine positiven Erfahrungen insbesondere, dass das<br />
Projekt zur Vernetzung der MO in den neuen Bundesländern<br />
stark beigetragen hat.<br />
In den Diskussionen kristallisierten sich folgende Fragen<br />
heraus:<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 43
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
• Wie können solche Projekte zur Qualifizierung finanziell<br />
gefördert werden?<br />
• Wie sieht eine erfolgreiche Teilnehmergewinnung aus?<br />
• Welche Voraussetzungen müssen die Teilnehmer/<br />
innen erfüllen?<br />
• Welche Rolle spielten die individuellen Zugangsvoraussetzungen<br />
der Teilnehmer/innen?<br />
Angeregt wird, flächendeckend solche Fortbildungen<br />
für alle Bundesländer anzubieten. Diese Anregungen<br />
wurden von Frau Bartels als Vertreterin vom BAMF<br />
wohlwollend registriert.<br />
AG 4: Bundesweite Netzwerke von MO<br />
Impuls: Netzwerkarbeit zur Partizipationsförderung<br />
von Migrant/innen<br />
Sidar Demirdöğen, Bundesverband der Migrant/innen<br />
e.V.<br />
Zum Verband<br />
Unser Migrant/innenverband wurde im Jahr 2005 auf<br />
einer bundesweiten Konferenz in Köln gegründet, an<br />
der über 250 Frauen teilnahmen. Nach intensiven<br />
Diskussionen über die Probleme von Frauen und Migrant/innen,<br />
haben wir uns entschlossen, einen bundesweit<br />
agierenden Zusammenschluss von Frauen<br />
zu gründen.<br />
Der Bundesverband der Migrant/innen in Deutschland<br />
e.V. ist ein eingetragener und gemeinnütziger<br />
Verein mit Sitz in Frankfurt am Main. Die Verbandstätigkeit<br />
stützt sich ausschließlich auf das ehrenamtliche<br />
Engagement von Frauen und Mädchen<br />
mit türkischem Migrationshintergrund. Derzeit sind<br />
dem Verband über 23 Frauengruppen bundesweit<br />
angeschlossen.<br />
Zentral stand im Raum, das Migrant/innen in bestehenden<br />
Organisationsformen und Netzwerken, keinen<br />
angemessenen Raum für ihre Partizipation haben.<br />
Sie sind in Vorständen unterrepräsentiert, sind<br />
in Entscheidungsprozesse nicht ausreichend angemessen,<br />
bleiben in der Rolle des Zuhörers kleben.<br />
Die Erfahrungen aus der lokalen Arbeit im Vorfeld der<br />
Gründungskonferenz haben uns davon überzeugt,<br />
dass Frauen eigene Räume benötigen, um frei sprechen<br />
und sich frei bewegen zu können. Eine andere<br />
zentrale Frage war die Tatsache, dass schlichtweg<br />
keine bzw. nur eine Handvoll bundesweit agierende<br />
Migrant/innenorganisationen existieren und wir hier<br />
einen starken Bedarf sahen.<br />
44 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Unser Verband ist ein Zusammenschluss von über 20<br />
Frauengruppen bundesweit. Wir haben derzeit über<br />
500 Mitglieder, darüber hinaus einen breiten Kreis<br />
von ca. 5000 Sympathisantinnen. Die Verbandstätigkeit<br />
stützt sich ausschließlich auf das ehrenamtliche<br />
Engagement von Frauen.<br />
Ziel unserer Verbandsarbeit ist die <strong>Integrationsförderung</strong><br />
von Migrant/innen. Darunter verstehen wir in<br />
erster Linie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen<br />
am gesellschaftlichen Leben. Unsere Grundlage bildet<br />
zum einen die Arbeit vor Ort, d.h. in den Städten,<br />
zum anderen die politische Interessensvertretung.<br />
MO und ihre Rolle in der Integration<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> werden in der Integrations-<br />
und Migrationsforschung kontrovers diskutiert. Vereinfacht<br />
formuliert gibt es zwei gegensätzliche Standpunkte<br />
bzgl. der Frage nach der qualitativen Rolle<br />
von Netzwerkbildungen von Migranten im Kontext der<br />
Integration. Die Diskussion dreht sich vor allem um<br />
die Frage, ob die Eigenorganisationen von Migranten<br />
eine integrierende oder eine desintegrierende Rolle<br />
im Integrationsprozess einnehmen. Ich denke, dass<br />
Migrantenorganisation von Grund auf eine integrationsfördernde<br />
Rolle einnehmen. Es wäre falsch und<br />
fatal, davon auszugehen, dass Eigenorganisationen<br />
von Migrant/innen und Migranten, automatisch eine<br />
positive Rolle einnehmen, nur weil sie eben <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
sind.<br />
Entscheidend sind dabei das Grundverständnis und<br />
die politische Positionierung. So darf nicht davon<br />
abgesehen werden, dass auch innerhalb der sogenannten<br />
Migrantencommunity nationalistische Strömungen<br />
einen starken Einfluss haben.<br />
Unser Verband grenzt sich ganz klar von derartigen<br />
Verständnissen ab. Wir verstehen uns als eine demokratische,<br />
überparteiliche Organisation, die sich gegen<br />
jegliche Form von Grenzziehungen wehrt. Dies<br />
gilt auch im innerethnischen Kontext.<br />
Ziele und Aktivitäten<br />
Ziel und Zweck des Verbandes ist die Förderung und<br />
Stärkung der Integration von Frauen und Mädchen<br />
mit türkischem Migrationshintergrund in allen Lebensbereichen:<br />
Bildung, Ausbildung, Arbeit und Beruf,<br />
Soziales, Kultur, Recht und Politik. Dazu führt der<br />
Verband zahlreiche Veranstaltungen zur Information,<br />
Sensibilisierung und Aufklärung <strong>durch</strong>. Der Ausbau<br />
des interkulturellen Dialogs und Austauschs steht dabei<br />
im Mittelpunkt aller Bemühungen.
Der Migrant/innenverband versteht sich weiter nicht<br />
als ein geschlossener Ort, der sich von der autochthonen<br />
Gesellschaft isoliert. Vielmehr nutzt er die Verbandsstrukturen<br />
dafür, Migrant/innen zunächst aus<br />
der Isolation vom sozio-kulturellen Leben herauszuholen,<br />
um damit ihre Teilhabe am Alltag zu stärken.<br />
Dies geschieht zum einen innerhalb des Verbandes,<br />
zum anderen <strong>durch</strong> regen Kontakt und Zusammenarbeit<br />
mit deutschen und migrantischen Einrichtungen,<br />
Vereinen und Organisationen.<br />
Der Verband versteht sich als eine Form der Organisation,<br />
die die konkreten Lebensbedingungen von<br />
Migrant/innen berücksichtigt und hieraus Strukturen<br />
der geschlechtsspezifischen Partizipation von Frauen<br />
mit Migrationshintergrund entwirft. Die Bereitstellung<br />
von niedrigschwelligen Angeboten ist dabei ein<br />
wichtiger Bestandteil der Verbandstätigkeit. Zentrale<br />
Bedeutung hat der Aspekt der Bewusstseinsbildung<br />
hinsichtlich geschlechtsspezifischer und sozial-politischer<br />
Probleme. Wichtig ist nicht nur die Möglichkeit<br />
der Aussprache über Probleme, sondern auch die gemeinsame<br />
Bemühung, hierfür Lösungen formulieren<br />
zu können.<br />
Neben niedrigschwelligen Angeboten im Stadtteil zur<br />
Förderung der sozialen, kulturellen und politischen Information<br />
und Partizipation engagiert sich der Migrant/<br />
innenverband gegen rassistische Ressentiments und<br />
gegen die öffentlich-mediale Konstruktion von Stereotypen,<br />
deren Gegenstand zumeist Frauen sind.<br />
Unser Verband versucht die Potenziale von Migrant/<br />
innen sichtbar zu machen. Dafür benötigt es aber<br />
Räume. Räume, um sprechen zu können und um aktiv<br />
teilhaben zu können. Denn Partizipation heißt, sich<br />
bewegen und vor allem sich auch hinausbewegen zu<br />
können – eben auch aus Strukturen und Denkweisen,<br />
die nur wenig Freiraum für eine aktive Teilhabe ermöglichen.<br />
Unsere Erfahrungen zeigen, dass Frauen<br />
auch ein enormes Potenzial in sich tragen, wenn es<br />
darum geht, Barrieren oder festgeschriebene Geschlechterrollen<br />
in den eigenen Kreisen aufzubrechen,<br />
die ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben behindern.<br />
Frauen, die beispielsweise mit 16 oder 17 Jahren<br />
verheiratet und somit ihr Leben lang auf ihre Rolle<br />
als Schwiegertochter, Ehefrau und Mutter reduziert<br />
wurden, setzen sich dafür ein, dass besonders ihre<br />
Töchter in der Bildung und im Beruf erfolgreich sind.<br />
In Theaterkursen lernen sie nicht nur Rollenspiele,<br />
sondern verbinden sie mit dem Versuch, hier<strong>durch</strong><br />
auch die deutsche Sprache zu erlernen. Sie organi-<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
sieren in ihren Wohnvierteln Computerkurse – um<br />
nicht nur sich weiterzubilden, sondern auch um in<br />
der Erziehung ihrer Kinder, wichtige Kompetenzen im<br />
Umgang mit Medien aneignen zu können.<br />
Wir mischen mit, wenn es darum geht, den Aspekt<br />
der Geschlechtergerechtigkeit auf Seiten der Migrant/<br />
innen und Migranten zu bestärken und konkret umzusetzen.<br />
Wir rütteln an festgeschriebenen Rollen und<br />
Denkweisen, die uns und unsere Potenziale verbergen<br />
wollen.<br />
Mitgliederprofil<br />
Im Migrant/innenverband können nur Frauen Mitglied<br />
werden. Obgleich aus dem Verbandsnamen nicht sofort<br />
ersichtlich, gehören türkeistämmige Frauen zur<br />
Hautgruppe der Mitglieder. Sie stellen zugleich die<br />
Zielgruppe dar.<br />
Die Gruppe der Migrant/innen und Migranten aus der<br />
Türkei stellt keine homogene kulturelle Gruppe dar,<br />
kennzeichnend ist vielmehr die ethnisch-kulturelle Heterogenität<br />
ihrer Mitglieder. Dies spiegelt sich im Profil<br />
der Mitglieder wider: Ethnisch können Türkinnen,<br />
Kurdinnen (überwiegend aus der Türkei), Lazinnen<br />
und Frauen aus dem türkischen Teil Thrakiens ausgemacht<br />
werden, hinsichtlich der Zugehörigkeit zu<br />
Religionsgemeinschaften stellen Sunnitinnen und<br />
Alevitinnen die größten Gruppen dar.<br />
Netzwerkarbeit<br />
Zur Bedeutung der Netzwerkarbeit ist von unserer<br />
Seite klar zu sagen: Unser Verband ist ein Ergebnis<br />
der Netzwerkarbeit von Frauen und lebt von den sozialen<br />
Netzwerken unserer Mitglieder. Unsere Arbeit<br />
orientiert sich an die konkreten Bedarfe der Frauen<br />
und versucht ihre Partizipation <strong>durch</strong> die Möglichkeit<br />
zur Abdeckung dieser Bedarfe zu bestärken. Wir arbeiten<br />
stark in Stadtteilen und sprechen Frauen persönlich<br />
an. Unsere Erfahrungen zeigen, dass soziale<br />
Kontakte innerhalb eines Stadtteils stärker ausgeprägt<br />
sind, als darüber hinaus.<br />
D.h. stadtteilübergreifende Kontakte sind schwächer<br />
ausgeprägt und sind schwieriger zu zusammen zu<br />
bringen.<br />
Ein weiterer Aspekt ist, dass gerade Frauen wichtige<br />
Träger sozialer Netzwerke sind. Sie sind es, die soziale<br />
Kontakte zwischen Familienmitgliedern, Arbeitskolleginnen,<br />
Nachbarn, Bekannten und Freunden halten.<br />
Wir versuchen auf dieses Potenzial zurückzugreifen,<br />
weil wir gerade hier einen wichtigen Punkt sehen.<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 45
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Dies hängt vor allem <strong>durch</strong> die Lebensverhältnisse<br />
und den damit verbundenen Möglichkeiten unter anderem<br />
zusammen. Zum anderen da<strong>durch</strong>, dass Familienmitglieder<br />
oder Bekannte in unmittelbarer Nähe<br />
sich befinden. Unser Verband berücksichtigt diese<br />
Situation und sieht hierin auch seine Möglichkeiten<br />
der breiten Ansprache.<br />
Frauen haben ihre eigenen Netzwerke entwickelt,<br />
die eher in privaten Räumen stehen, sie sind nicht<br />
öffentlich sichtbar bzw. werden zu gering geschätzt.<br />
Wir versuchen daher, die Nähe zu Frauen sehr eng<br />
zu halten. Weil ihre Partizipation zunächst in privaten<br />
Räumen erfolgt, orientiert sich unsere Verbandstätigkeit<br />
eben an diesen, d.h. stadtteilorientiert und persönliche<br />
Ansprache.<br />
Wir suchen die Nähe zu den Frauen und versuchen<br />
<strong>durch</strong> persönliche Gespräche bestehende Probleme<br />
oder Wünsche so zu sammeln. Die Weitergabe von<br />
Informationen zu unseren Aktivitäten erfolgt über die<br />
sozialen Netzwerke der Mitglieder. Familienangehörige,<br />
Bekannte, Arbeitskolleginnen oder Nachbarn werden<br />
über die individuellen Kontakte und Beziehungen<br />
unserer Frauen angesprochen.<br />
Netzwerke nach außen<br />
Unser Verband versteht Integration als eine Querschnittsaufgabe.<br />
So gesehen, ist die Zusammenarbeit<br />
mit „einheimischen“ Verbänden, politischen Ebenen<br />
oder Organisationen für uns von großer Wichtigkeit.<br />
Die Netzwerkarbeit nach außen beginnt in den<br />
Stadtteilen, wenn es darum geht, gemeinsame Veranstaltungen<br />
<strong>durch</strong>zuführen. So bspw. mit dem Caritasverband,<br />
mit dem Internationalen Bund, der Arbeiterwohlfahrt<br />
oder Stadtteilinitiativen. In Niederrad<br />
bspw. führen 1 x Monat ein internationales Frauenfrühstück<br />
<strong>durch</strong>, an den Frauen unterschiedlicher<br />
Herkunft zusammenkommen. Unser Verband ist Mitglied<br />
beim Deutschen Frauenrat, beim Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverband, kooperiert mit dem DOSB und<br />
arbeitet eng mit anderen regionalen und überregionalen<br />
Vereinen/ Verbänden.<br />
Hindernisse<br />
Probleme bestehen insbesondere darin, dass Vernetzung<br />
zwar erfolgt, aber keine Ausweitung der<br />
inhaltlichen Arbeit. D.h. es fehlt unsererseits die<br />
notwendige Ausstattung zur effektiven Nutzung der<br />
Netzwerkarbeit. Auf der anderen Seite stehen wir<br />
professionellen Verbänden gegenüber, die eine hohe<br />
Erwartungshaltung haben und im Grunde kein Gespür<br />
für ehrenamtliche Arbeit besitzen.<br />
46 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Bei Förderung stoßen wir auf kommunaler Ebene insbesondere<br />
auf ein folgendes kurioses Problem. Die<br />
Kommunen sind zum Teil auf unser Profil nicht vorbereitet.<br />
So streiten wir uns Frankfurt bspw. darüber, wer<br />
jetzt nun die Zuständigkeiten hat. Das Frauenreferat<br />
oder das Amt für multikulturelle Angelegenheiten.<br />
AG 5: Netzwerke in der Jugendverbandsarbeit<br />
Impuls: Bundesweite Perspektive<br />
Daniel Grein, Geschäftsführer des Deutschen<br />
Bundesjugendrings (DBJR)<br />
Der DBJR ist die Arbeitsgemeinschaft aller bundeszentralen<br />
Jugendverbände in Deutschland. D.h. in unserem<br />
Netzwerk schließen sich neben allen Landesjugendringen<br />
25 Bundesverbände von katholischer<br />
und evangelischer Jugend über die Pfadfinderverbände<br />
bis zu Feuerwehrjugend, die Chorjugend oder<br />
die Naturschutzjugend zusammen. Wir vertreten damit<br />
über 5,5 Millionen ehrenamtlich engagierte Kinder<br />
und Jugendliche.<br />
Unsere Aufgabe ist es die Zusammenarbeit der Verbände<br />
zu stärken, die Rahmenbedingen für ihre Arbeit<br />
zu sichern, politische Interessensvertretung für<br />
die Verbände und ganz generell für Kinder und Jugendliche<br />
zu machen und auch die Kontakte der Jugend<br />
in Deutschland mit anderen Ländern zu halten<br />
und auszubauen. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt<br />
und eine sehr oberflächliche Darstellung unserer Arbeit.<br />
Selbstverständlich haben wir deshalb sowohl mit<br />
dem Thema junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />
als auch mit VJMs intensiv zu tun.<br />
Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind<br />
seit ca. 10 Jahren immer stärker in das Blickfeld der<br />
Jugendverbände geraten. Jugendverbände haben<br />
unter dem Begriff Interkultureller Öffnung Chancen<br />
erkannt, aber sind auch an viele Grenzen gestoßen.<br />
Neben diesem langjährigen Engagement setzten sich<br />
Zusammenschlüsse der Jugendverbände sowie die<br />
Jugendringe in den letzten Jahren immer stärker für<br />
die Integration von Selbstorganisationen junger Migrant/innen<br />
und VJMs in die Strukturen der verbandlichen<br />
Netzwerke ein.<br />
Der DBJR begrüßt das Engagement von jungen Menschen<br />
mit Migrationshintergrund in Verbänden ganz<br />
grundsätzlich, egal ob es sich um MJO/VJM oder andere<br />
Verbände handelt. Das Partizipieren an Selbstorganisationen<br />
junger Menschen und damit das Mitgestalten<br />
von Lebenswelt und Zivilgesellschaft ist ein
großer Beitrag auch zur Integration und zum Zusammenwachsen<br />
unserer Gesellschaft. Aus Sicht des<br />
DBJR sind deshalb junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />
in erster Linie junge Menschen und ihre<br />
Verbände, wie VJMs, sind in erster Linie Jugendverbände.<br />
Der DBJR verfolgt deshalb aus dieser Sichtweise<br />
heraus gleichzeitig sowohl die interkulturelle<br />
Öffnung der Jugendverbände, als auch die strukturelle<br />
Einbindung von Verbänden junger Migrant/innen<br />
in die Netzwerke der verbandlichen Arbeit.<br />
Funktionierende MJO bieten die Möglichkeit der<br />
politischen Teilhabe von Personengruppen mit Zuwanderungsgeschichte<br />
<strong>durch</strong> die Einbindung in gesellschaftliche<br />
Kommunikations- und politische Entscheidungs-<br />
bzw. Interessenvermittlungsprozesse.<br />
Funktionierende MJO leisten Beiträge zur non-formalen<br />
Bildung und sind Orte der Gesellung und somit<br />
Ort der sozialen Integration und der Alltagsbewältigung.<br />
Sie erfüllen wertvolle individuelle Integrationsleistungen<br />
für ihre Mitglieder, die gleichzeitig Nutzer/<br />
innen und Produzent/innen ihrer Angebote sind.<br />
Aus unserer Sicht hat die Selbstorganisation junger<br />
Menschen einen Wert an sich. Das gilt mindestens im<br />
gleichen Maße auch für Selbstorganisationen junger<br />
Migrant/innen.<br />
Auf Bundesebene werden v.a. der Bund der Alevitischen<br />
Jugend in Deutschland und die Mitgliedsorganisationen<br />
der djo (z.B. Assyrischer Jugendverband<br />
Mitteleuropa e.V., Kurdischer Kinder- und Jugendverband<br />
– KOMCIWAN e.V., Verband der russischsprachigen<br />
Jugend in Deutschland e.V. „JunOst“, Jugend-<br />
und Studentenring der Deutschen aus Russland,<br />
Deutschbaltischer Jugend- und Studentenring e.V.,<br />
Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland<br />
-SJD) wahrgenommen. Sie sind im DBJR selbst oder<br />
über die djo angeschlossen. Daneben gibt es einige<br />
weitere bundeszentrale VJMs wie DIDF oder die MJD<br />
(Muslimische Jugend in Deutschland e.V.).<br />
Der DBJR ist sich im Klaren darüber, dass es sehr<br />
viele VJMs gibt, die nicht die Größe oder Verbreitung<br />
haben um auf Bundesebene wahrgenommen<br />
zu werden. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass<br />
die Debatte um die strukturelle Integration von VJMs<br />
auf allen Ebenen der Jugendringarbeit geführt wird.<br />
Viele Landesjugendringe und einige Verbände setzen<br />
sich intensiv mit großen Projekten damit auseinander<br />
und gleichzeitig gibt es große Anstrengungen auf der<br />
kommunalen Ebene.<br />
Es besteht also eine Gleichzeitigkeit im Agieren,<br />
Modelle ausprobieren sowie dem Diskurs auf allen<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Ebenen. Diese Gleichzeitigkeit zeigt zwar, dass das<br />
Thema sehr hoch gehängt wird und großer Gestaltungswille<br />
da ist, man muss aber auch darauf achten,<br />
dass Entwicklungen nicht einem Aktionismus<br />
geschuldet sind, sondern gute und nachhaltige Strukturen<br />
schaffen.<br />
Es macht wenig Sinn, dies abgekoppelt auf einer politischen<br />
Ebene zu tun. Auf allen Jugendringebenen<br />
gibt es Gemeinsamkeiten und Erfahrungen, aber natürlich<br />
gibt es Zugänge zum Thema und einzelne Themen,<br />
die auf den Ebenen sehr unterschiedliche sind.<br />
Es geht also keineswegs um bloße Übertragungen<br />
von Ansätzen und Methoden. Der DBJR sucht den<br />
intensiven Austausch v.a. mit den Landesjugendringen.<br />
Zusammen mit dem BAMF und dem BMFSFJ<br />
hat der DBJR außerdem versucht, Akteure aller Jugendringebenen<br />
und MJSO in einer Veranstaltung zu<br />
vernetzen und so Erkenntnisse zu bündeln.<br />
Im Folgenden werden Thesen, Herausforderungen<br />
und Probleme zur strukturellen Integration von VJMs<br />
dargestellt. Diese beziehen sich dabei nicht im Speziellen<br />
auf die Bundesebene, sondern sind übergreifend<br />
zu verstehen.<br />
Einbindung in Strukturen der Jugend(verbands)arbeit<br />
bedeutet für VJM:<br />
• Teilhabe an Wissen und Information,<br />
• Teilhabe an Mitsprache und Kommunikation,<br />
• Teilhabe an Mitbestimmungsstrukturen in den Jugendhilfestrukturen,<br />
• Wertschätzung und Anerkennung.<br />
Gleichzeitig bietet diese Einbindung Chancen wie z.B.<br />
• Strukturierung und Stabilisierung der eigenständigen<br />
Arbeit im VJM,<br />
• Implementieren struktureller Anregungen von außen<br />
in die eigene Arbeit zwecks Weiterentwicklung<br />
der eigenen Arbeitsgrundlagen,<br />
• Qualifizierung und Horizonterweiterung <strong>durch</strong> Zugang<br />
zu Jugendleiterschulungen, Aneignen von<br />
methodischem Handwerk, Austausch mit anderen<br />
Gruppen und Verbänden, Beteiligen an Jugendhilfe<br />
relevanten Projekten,<br />
• Vertreter/innen von VJM in Jugendhilfestrukturen<br />
erfahren Wertschätzung und Anerkennung für sich<br />
und ihre Organisation und sie begreifen sich und<br />
VJM als gleichwertigen Teil der Gesellschaft.<br />
Trotz der offenkundigen Vorteile in der Arbeit mit<br />
VJMs wird aber klar, dass die Einbindung und Strukturintegration<br />
nicht problemfrei funktioniert. Ein<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 47
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
zentrales Problem scheint v.a. die Überlastung, fehlende<br />
Kontinuität und die ungenügende Wissensbasis<br />
zu sein.<br />
Die rein ehrenamtlich von einigen Engagierten getragenen<br />
VJMs geraten oft und schnell an ihre Grenzen,<br />
können Arbeitskontakte nicht halten oder z.T.<br />
auch zu hohe Erwartungen von tradierten Strukturen<br />
nicht erfüllen. Es ist daher notwendig, entsprechende<br />
förder- und ressourcentechnisch unterstützende<br />
Strukturen zu etablieren, um eine gute<br />
Einbindung in die Jugendstrukturen der jeweiligen<br />
Ebene zu ermöglichen.<br />
Eine bestimmte Strukturgröße, auf alle Fälle die<br />
Arbeit auf Bundesebene, setzt zur Konsolidierung<br />
hauptamtliche Unterstützung und (damit) Förderung<br />
der Infrastruktur voraus.<br />
Gleichzeitig gibt es aber auch hier kontroverse<br />
Sichtweisen. In wie weit z.B. eine Sonderförderung<br />
von VJMs im Sinne einer positiven Diskriminierung<br />
sinnvoll ist. Einige VJMs signalisieren dem DBJR<br />
auch, dass sie nicht immer unter dem Migrations-<br />
Label laufen wollen. Sie streben eine Gleichsetzung<br />
mit anderen Jugendverbänden an. Dies bedeutet<br />
aber auch, dass bei der jetzigen strukturellen Verfasstheit<br />
Förderung oft kein Thema sein kann. Gerade<br />
im Bereich der Förderung gibt es also Fragen<br />
und Kontroversen.<br />
Gleichzeitig fehlt es VJMs oft an Wissen über die<br />
Strukturen der Jugendhilfe, Zuständigkeiten und Möglichkeiten.<br />
Es ist daher auch an den Jugendringen, im<br />
Sinne einer Geh-Struktur, in den Dialog zu treten und<br />
damit Wissen aufzubauen und Missverständnisse zu<br />
minimieren. Dies ist die Basis für strukturelle Integration.<br />
Gleichzeitig ist es für die Jugendringe schwer,<br />
diese Arbeit neben anderen Aufgaben zusätzlich zu<br />
stemmen. Einige Landesjugendringe und kommunale<br />
Jugendringe machen hier aber in eigenen Projektstrukturen<br />
gute Erfahrungen.<br />
Ziel muss es sein Selbstorganisationen junger Migrant/innen<br />
in die plurale Struktur der Jugendverbandsarbeit<br />
zu integrieren, sei es als formales Mitglied,<br />
über Dachstrukturen (wie z.B. in der djo) oder<br />
über Kooperationslösungen. Erste Schritte dahin<br />
können natürlich Tandemmodelle von VJMs und tradierten<br />
Organisationen sein. Sie helfen VJMs beim<br />
Strukturaufbau sowie Erfahrungs- und Wissenszugewinn.<br />
Die Debatte über die Strukturintegration von VJMs<br />
in die Netzwerke der Jugendverbandsarbeit ist also<br />
48 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
im vollen Gang. Wann die Diskussion allerdings abgeschlossen<br />
sein wird, und die Integration von VJMs<br />
in Jugendringe keine größere Herausforderung mehr<br />
darstellt, ist noch offen.<br />
Impuls: Erfahrungen aus der Netzwerkarbeit<br />
Daniel Mouratidis, Vorstand des Kreisjugendring<br />
Rems-Murr<br />
Ich bin Daniel Mouratidis, 32 Jahre, Vorstand des<br />
Kreisjugendring Rems-Murr und ich habe seit 2002<br />
die interkulturelle Öffnung der verbandlichen Jugendarbeit<br />
vorangetrieben. Zudem war ich von 2006<br />
– 2009 Projektleiter der Integrationsoffensive in der<br />
Kinder- und Jugendarbeit Baden-Württemberg und<br />
bin Mitglied des NiJaF<br />
Nun zum Kreisjugendring Rems-Murr. Der rund<br />
417.000 Einwohner zählenden Landkreis befindet<br />
sich nordöstlich von Stuttgart und ist geprägt von<br />
Mittelstädten wie Waiblingen, Backnang oder Winnenden,<br />
beeinhaltet aber auch sehr ländliche Gebiete<br />
des Schwäbisch-Fränkischen Waldes.<br />
Was hat der KJR Rems-Murr gemacht?<br />
Der KJR Rems-Murr hat seit 2004 erstens herausgearbeitet,<br />
welche internen strukturellen<br />
Änderungen vorgenommen werden müssen, um<br />
eine interkulturelle Öffnung erreichen zu können.<br />
Das zweite Projektelement im Rems-Murr-Kreis<br />
war der Aufbau von lokalen Integrationsnetzwerken.<br />
Der KJR hat eine eigene Form entwickelt,<br />
wie man Netzwerkarbeit in den Gemeinden initiieren<br />
kann.<br />
Die interkulturelle Öffnung des KJR Rems-Murr lässt<br />
sich – vereinfachend – in drei Phasen gliedern.<br />
In Phase I: Der KJR hat das Selbstverständnis, die<br />
Vertretung der Jugendverbände und der Jugendlichen<br />
im Landkreis Rems-Murr zu sein. Nach einer selbstkritischen<br />
Betrachtung hat sich aber gezeigt, dass dies<br />
nur die „klassisch“ deutschen Vereine einschließt. Hier<br />
geht die Vielfalt von den Segelfliegern, über die Freiwillige<br />
Feuerwehr zu den Sport- und Musikvereinen. Aber<br />
wo sind die Migrantenvereine? Wie die Zahlen für den<br />
Rems-Murr-Kreis zeigen, haben mindestens ein Drittel<br />
aller Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Ein<br />
großer Teil dieser Jugendlichen sind auch in Vereinen<br />
organisiert. Nur findet man sie kaum in den deutschen<br />
Vereinen, sondern eher in Migrantenselbstorganisationen<br />
(MO). Darüber hinaus waren die Jugendliche<br />
mit Migrationshintergrund hauptsächlich in einzelnen<br />
Sportarten anzutreffen.
So beschloss 2004 der Vorstand des KJR Rems-<br />
Murr, im KJR ein aktiver Prozess der interkulturellen<br />
Öffnung zu starten.<br />
Nach dem Vorstandsbeschluss war klar, dass das<br />
Thema im KJR nur eine Chance hat, wenn auch<br />
die Mitgliedsverbände den Vorstoß unterstützen.<br />
In einer Mitgliederversammlung wurde das Thema<br />
interkulturelle Öffnung ausgiebig diskutiert. In der<br />
Diskussion wurde deutlich, dass die Einbindung<br />
von neuen Vereinen immer auch eine Neuverteilung<br />
von Ressourcen bedeutet. Die Mitgliedsverbände<br />
haben sich dem Thema gegenüber sehr<br />
offen gezeigt und der interkulturellen Öffnung des<br />
KJR zugestimmt.<br />
Der nächste Schritt war für den KJR ein interkultureller<br />
Selbstcheck. Durch einen solchen Test kann bestimmt<br />
werden, wie weit fortgeschritten die interkulturelle<br />
Öffnung eines Vereins bzw. einer Organisation<br />
bereits ist.<br />
Die wichtigsten Fragen für den KJR Rems-Murr waren:<br />
• Gibt es im Vorstand Menschen mit Migrationshintergrund?<br />
• Gibt es MO als Mitgliedsverbände?<br />
• Gibt es in der Geschäftsstelle Menschen mit Migrationshintergrund?<br />
• Sind in den Mitgliedsverbänden Menschen mit Migrationshintergrund<br />
als Mitglieder?<br />
• Nehmen interkulturelle Themen/Projekte Raum in<br />
der täglichen Arbeit der KJR Geschäftsstelle ein?<br />
• Gibt es in der Satzung strukturelle Hemmnisse, die<br />
die Mitgliedschaft von Migrantenselbstorganisationen<br />
erschweren?<br />
Das Ergebnis des Selbstchecks war ernüchternd:<br />
Lediglich ein Vorstand hatte einen Migrationshintergrund<br />
und die Satzung zeigte keine großen strukturellen<br />
Hemmnisse auf.<br />
In der Phase II entwickelte der KJR direkte Projekte<br />
wie das Tur-Key Camp, ein gesellschaftlich-politisches<br />
Seminar in Kooperation mit türkischstämmigen<br />
Vereinen als auch die die Einbindung von<br />
Vereinen und Organisationen in die vorhandenen<br />
Strukturen. Wichtig war dabei eine umfassende<br />
und zeitintensive Netzwerkarbeit. Zudem hatte der<br />
KJR ein glückliches Händchen bei der Akquise von<br />
Fördergeldern, und so konnte die interkulturelle<br />
Öffnung u.a. mit Hilfe des Programmes „Vielfalt tut<br />
gut“ massiv vorangetrieben werden. Über interkulturelle<br />
Foren brachte man in verschiedenen Städten<br />
des Landkreises Multiplikatoren an einen Tisch<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
und es wurden lokale Integrationspläne in diesen<br />
Kommunen erarbeitet.<br />
In Phase III sind wir momentan dabei, mit Hilfe eines<br />
neuen Projektes den Aufbau von qualifizierter verbandlichen<br />
Jugendarbeit in türkischstämmigen MO zu forcieren.<br />
Wichtige Partner sind dabei die Ditib Vereine.<br />
In einem erneuten Selbstcheck kamen wir zum Ergebnis,<br />
dass interkulturelles Denken nun Querschnittsthema<br />
beim KJR geworden ist und ein Einstieg war<br />
in das weite Feld Diversity. Nun weisen immerhin zwei<br />
Vorstände des KJR einen Migrationshintergrund auf<br />
und wir beschäftigen einige Migrant/innen. Mit dem<br />
griechischen Tanzverein und der Ditib wurden zwei<br />
Mitgliedsverbände gewonnen. Zudem vermittelten wir<br />
Kontakte zu Stadtjugendringen, wo nun auch teilweise<br />
MOs dort Mitglied geworden sind. Durch unsere<br />
intensive Arbeit sind wir Ansprechpartner für das<br />
Thema Interkultur geworden und entwickelten beispielsweise<br />
den Integrationsplan der Stadt Murrhardt<br />
mit.<br />
Zum Schluss will ich noch auf ein paar Hürden, die wir<br />
nehmen mussten, hinweisen. Ohne die zusätzlichen<br />
Gelder und Personal wäre dieser Prozess nicht denkbar<br />
gewesen.<br />
Gerade bei der Ansprache an Jugendliche muss man<br />
immer bedenken, dass sich die bisherige Arbeit der<br />
Jugendverbände hauptsächlich an Gymnasiast/innen<br />
richtet. Da dort – leider immer noch – Jugendliche mit<br />
Migrationsgeschichte sehr selten anzutreffen sind,<br />
müssen die Vereine die Formen und Wege der Ansprache<br />
ändern. Wir sehen das als Chance: So kommen<br />
generell Jugendliche in den Fokus, welche in der<br />
Vergangenheit von den Verbänden eher übersehen<br />
wurden.<br />
Schließlich ist nicht jede Kooperation frei von ideologischen<br />
Verwicklungen: So musste die Kooperation<br />
mit einem Verein, welcher der „Förderation der<br />
der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in<br />
Deutschland“, einem latent faschistischen Dachverband,<br />
angehörte, eingestellt werden. Letztendlich<br />
sind das aber Vorgänge, wie wir sie aus der Verbandsarbeit<br />
beispielsweise von manchen freikirchlichen<br />
Gruppierungen auch kennen.<br />
Ergebnisse<br />
Birgit Jagusch (IDA e. V.)<br />
Die Arbeitsgruppe widmete sich einem spezifischen<br />
Bereich der Netzwerkarbeit: Wie kann im<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 49
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Bereich der Jugendverbandsarbeit dazu beigetragen<br />
werden, dass Vereinen von Jugendlichen mit<br />
Migrationshintergrund (VJM) ein Zugang zu den<br />
Strukturen der Jugendverbandsarbeit ermöglicht<br />
wird? Welche Formen der Zusammenarbeit sind<br />
zwischen etablierten Jugendverbänden und VJM<br />
denkbar und in der Praxis anwendbar? Dabei standen<br />
nicht Netzwerke zwischen VJM im Vordergrund,<br />
sondern vielmehr Netzwerke zwischen VJM<br />
und etablierten Jugendverbänden bzw. interessenspolitischen<br />
Vertretungen der Jugendverbände<br />
(wie den Jugendringen).<br />
Um den Teilnehmenden einen Überblick über die<br />
verschiedenen Maßnahmen und Aktivitäten der Jugendverbände<br />
zu geben, erläuterten die Referenten<br />
zunächst in einem kurzen Input die Bedeutung und<br />
den Stellenwert von Netzwerken in der Jugendverbandsarbeit.<br />
Daniel Mouratidis schilderte am Beispiel der Entwicklungen<br />
des Kreisjugendrings Rems-Murr, wie<br />
innerhalb der letzten 7 Jahre sukzessive Kontakte<br />
und Zusammenarbeit zwischen etablierten Jugendvereinen<br />
und VJM aufgebaut werden konnten. Daniel<br />
Grein gab einen Überblick über die Perspektiven des<br />
Deutschen Bundesjugendrings und aktuelle jugendpolitische<br />
Herausforderungen im Kontext der Zusammenarbeit<br />
von und mit VJM.<br />
Durch die Inputs und die anschließende Diskussion<br />
kristallisierten sich folgende Punkte heraus, die aus<br />
Sicht der Anwesenden für gelungene und nachhaltige<br />
Netzwerke zwischen VJM und anderen Akteuren der<br />
Jugendverbandsarbeit notwendig sind:<br />
• In den vergangenen Jahren sind auf den verschiedenen<br />
Ebenen (Kommune, Bundesländer und Bundesebene)<br />
bereits verschiedene erfolgreiche Partnerschaften<br />
entstanden, die es in Zukunft weiter<br />
auszubauen und zu stabilisieren gilt. Diese reichen<br />
von Beratungstätigkeiten über anlassbezogene<br />
Kooperationen bis hin zu Aufnahme von VJM als<br />
Mitglieder.<br />
• Für den Aufbau von Netzwerken ist ein intensiver<br />
und vertrauensvoller Dialog unabdingbar.<br />
• Essentiell ist es, zu Beginn die gegenseitigen Erwartungen<br />
zu klären.<br />
• Für alle Seiten ist Ausdauer und ein langer Atem<br />
notwendig.<br />
• Notwendig ist ein nachhaltiger Wissenstransfer<br />
über die Strukturen und Aufbau der Jugendverbandsarbeit,<br />
über Chancen und Grenzen von Jugendringen,<br />
Ansprechpartner/innen und über die<br />
Landschaft der VJM.<br />
50 <strong>BBE</strong> - Dokumentation
AG 6: Netzwerkarbeit als Interessenvertretung<br />
Impuls: Dachverbände von MO<br />
Berivan Aymaz (Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände<br />
e.V.<br />
Ergebnisse<br />
Berrin Alpbek (Föderation türkischer Elternvereine in<br />
Deutschland e.V)<br />
Eine (stark vereinfachte) Betrachtung der Vereinsentwicklung<br />
der größeren Migrantenpopulationen in<br />
Deutschland zeigt die folgende Entwicklung:<br />
In der ersten Phase der Selbstorganisation erfolgte<br />
die Gründung von:<br />
• Heimatorientierten politischen und kulturelle Vereinigungen<br />
• Sportvereinen<br />
• und religiösen Vereinen.<br />
In der zweiten Phase wurden verstärkt<br />
• Bildungsvereine, Elternvereinen (spanische Elternvereine)<br />
• Berufsvereine (z.B. Akademiker-, Lehrer/innen/<br />
Erzieher/innen-, Mediziner-, Unternehmervereine,<br />
usw.)<br />
• politisch orientierte Vereine/Initiativen, die sich<br />
an den politischen Parteien in Deutschland<br />
orientieren,und Dachverbände (BAGIV, TGD, FÖ-<br />
TED u.ä) gegründet.<br />
Die Zusammenarbeit, im Sinne von einem Netzwerk,<br />
mit politischen Entscheidungsträgern, Regierungs-<br />
und Nichtregierungsorganisationen sowie die Nähe<br />
zu Bürger/innen sind unverzichtbare Bestandteile der<br />
Arbeit von MO.<br />
Die Erwartungshaltung der Politik und Gesellschaft<br />
an die <strong>Migrantenorganisationen</strong> wächst. Die Forderung<br />
einen größeren Beitrag „an die Integration“ zu<br />
leisten wird immer größer. Wenn jedoch ehrenamtlich<br />
Tätige, nicht in wachsendem Maße <strong>durch</strong> hauptamtliches<br />
Personal und eine solide finanzielle Basis unterstützt<br />
werden können, ist dem langfristigen Erfolg<br />
dieser Art der Tätigkeit enge Grenzen gesetzt!<br />
In der Konsequenz bedeutet dies:<br />
• Die etablierten Organisationen müssen den begonnenen<br />
Weg der interkulturellen Öffnung konsequent<br />
weitergehen. Sie müssen sich aktiv an die<br />
MO wenden.<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
• MO müssen eigene Anstrengungen der Weiterentwicklung,<br />
Öffnung unternehmen und mit o. g<br />
Organisationen kooperieren. Diese Kooperationen<br />
sollten verbindlich und mit langfristigen Zielen verbunden<br />
sein.<br />
• Durch gezielte Programme und verbesserte Fortbildungsmöglichkeiten<br />
sollten die Empowermentansätze<br />
bei den MO unterstützt werden.<br />
• Stärkere Beteiligung der Migrantenvertreter/innen<br />
in verschiedenen Gremien (Beiräte, Vorstände etc.)<br />
ist notwendig.<br />
• Die MO müssen zu Beginn der Prozessentwicklung<br />
eingebunden werden.<br />
Das bedeutet: Eine langfristig angelegte Netzwerk<br />
kann nur funktionieren, wenn sich die Voraussetzungen<br />
der potentiellen Partner annähern!<br />
AG 7: Tandemprojekte als Strategien der<br />
Vernetzung<br />
Impuls: Projekt „Legal Leben“<br />
Semih Kneip, Gangway e.V.<br />
Ergebnisse<br />
Dr. Elke Olbermann, Technische Universität Dortmund<br />
Sind Tandemmodelle geeignete Strategien der Vernetzung<br />
von MO und etablierten Projektträgern? In<br />
der diesbezüglichen Diskussion berichteten die AG-<br />
Teilnehmenden von positiven Erfahrungen, aber auch<br />
von Schwierigkeiten in der Umsetzung von Tandemprojekten.<br />
Demnach wird die Zusammenarbeit vor allem dann<br />
für alle Beteiligten als gewinnbringend erlebt, wenn<br />
beide Tandempartner ein großes Interesse und hohes<br />
Engagement für die inhaltliche Projektarbeit mitbringen.<br />
Positive Erfahrungen gibt es zudem damit,<br />
dass beide Projektpartner Zuwendungsempfänger<br />
sind. Die Finanzierung einer hauptamtlichen Kraft<br />
in den beteiligten MO von Tandemprojekten erweise<br />
sich als ein wesentlicher Schritt zur Professionalisierung<br />
und Aufwertung der MO.<br />
Schwierigkeiten in der Umsetzung von Tandemprojekten<br />
werden u.a. auf unzureichende (Selbst-)<br />
Einschätzungen der Potenziale der Projektpartner<br />
zurückgeführt. Eine gleichberechtigte Verantwortlichkeit<br />
der Projektbeteiligten sei nicht per se gewährleistet,<br />
sondern müsse konkret ausgehandelt<br />
und gestaltet werden. Enge zeitliche Fristen von<br />
Förderprogrammen und der damit einhergehende<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 51
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Zeitdruck bei der Projektbeantragung erschweren<br />
eine gemeinsame Konzeptentwicklung und damit<br />
die Schaffung einer tragfähigen Grundlage für eine<br />
kooperative Projektarbeit. Zu berücksichtigen sei<br />
generell die Gefahr der Instrumentalisierung der MO<br />
in Tandemprojekten.<br />
Fazit der Diskussion war, dass eine erfolgreiche Arbeit<br />
von Tandemprojekten <strong>durch</strong> folgende Rahmenbedingungen<br />
gefördert werden kann:<br />
• gemeinsame Projektentwicklung von Anfang an<br />
• Transparenz gewährleisten<br />
• verbindliche Absprachen und Vereinbarungen<br />
• Formen der Zusammenarbeit festlegen<br />
• kontinuierliche Abstimmung<br />
• gleichberechtigte gemeinsame Mittelverwaltung<br />
• externe Prozessbegleitung<br />
• längerfristige Ausschreibungen von Förderprogrammen<br />
• Qualifizierung von MO zu Projektentwicklung.<br />
AG 8: Netzwerke in der Flüchtlingsarbeit<br />
Impuls: Selbstorganisation junger Flüchtlinge<br />
Mohammed Youni, Jugendliche ohne Grenzen<br />
Tobias Klaus, Flüchtloingsrat Bayern<br />
No Vote but a Voice – Selbstorganisation statt Paternalismus:<br />
Die Jugendlichen Ohne Grenzen<br />
Die wichtigste Fachtagung für Flüchtlingsorganisationen<br />
sind die Hohenheimer Tage. Bei der Tagung<br />
2010 ließ die CDU/CUS, über ihren parlamentarischen<br />
Geschäftsführer Peter Altmaier, erstmals<br />
Chancen auf eine dauerhafte Bleiberechtsregelung<br />
<strong>durch</strong>blicken. Verkürzt gesagt: Flüchtlinge ohne Aufenthaltserlaubnis<br />
sollen nicht mehr geduldete werden,<br />
bis ihre Abschiebung möglich wird, sondern können<br />
nach einer gewissen Zeit bleiben – wenn sie als<br />
integriert gelten. Altmaier erklärte dies vor allem mit<br />
„den jungen Leuten, die alle gut Deutsch sprechen“,<br />
welche er bei den Jugendlichen Ohne Grenzen getroffen<br />
hätte.<br />
„Jugendliche Ohne Grenzen“ ist eine Jugendinitiative,<br />
in der Flüchtlinge, die von der Abschiebung bedroht<br />
sind, für ihre Rechte eintreten. Dass einer der<br />
zentralen Akteure deutscher Abschiebepolitik wie Dr.<br />
Peter Altmaier sich so positiv auf Menschen bezieht,<br />
die nach aktueller Rechtslage nicht in Deutschland<br />
bleiben sollen, zeigt, dass sich etwas bewegt hat.<br />
Und es zeigt vor allem: Die Selbstorganisation von<br />
Flüchtlingen ist ein gewichtiger politischer Faktor.<br />
52 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Schon 2006 hatten die Proteste von jungen Flüchtlingen<br />
mächtig Druck erzeugt. Zwei Begnadigungsregelungen<br />
für Langzeitgeduldete wurden in den Jahren<br />
2006 und 2007 erlassen, die so genannten Altfallregelungen.<br />
60.000 Menschen, die abgeschoben werden<br />
sollten, werden wohl bleiben können. Viele Akteure<br />
von Pro Asyl und Kirchen über antirassistische<br />
Gruppen bis hin zu den unzähligen lokalen Initiativen,<br />
die sich gegen die Abschiebung ihrer Mitschüler/innen<br />
und Nachbarn einsetzten, haben diesen Erfolg<br />
gemeinsam erkämpft.<br />
Ein Akteur hätte jedoch mit absoluter Sicherheit nicht<br />
fehlen dürfen: die Jugendlichen Ohne Grenzen. Das<br />
dies so ist, ist relativ leicht zu verstehen. Rede ich<br />
als Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates mit<br />
Politikern und Pressevertretern, ist es für viele ein<br />
Leichtes, auf Durchzug zu schalten und „den Weltverbesserer<br />
mal träumen zu lassen“. Erzählt ein Jugendlicher,<br />
der seit 10 Jahren in Deutschland lebt,<br />
dass er trotz aller Bemühungen (Schulabschluss,<br />
Sprachkenntnisse etc.) abgeschoben werden soll,<br />
ist das ein Skandal. Hier funktioniert der dominante<br />
„Ausländerdiskurs“ nicht mehr, der zwischen guten<br />
und schlechten Ausländern differenziert. Die gängigen<br />
Kriterien (Sprachkenntnisse, Straftaten, Arbeit,<br />
Ausbildung und Aussehen) greifen nicht mehr,<br />
da junge Menschen auftauchen, die der Öffentlichkeit<br />
mitteilen: Ich spreche Deutsch, ich kleide mich<br />
wie ihr, ich mache meine Ausbildung und ihr wollt<br />
mich abschieben? Hier wird auf einmal die Differenz<br />
zwischen dem rechtlichem Status geduldeter Menschen<br />
und den Kriterien des Ausländerdiskurses<br />
im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar. Würde ich<br />
als Vertreter des Bayerischen Flüchtlingsrats versuchen,<br />
das Thema auf die politische Tagesordnung<br />
zu setzen, würde ich scheitern. Meine politische<br />
Meinung interessiert die Öffentlichkeit wenig, empörende<br />
persönliche Schicksale und der Konflikt zwischen<br />
Betroffenen und Entscheidungsträgern aber<br />
schon. Als Kommunikationswissenschaftler könnte<br />
ich auch schlicht feststellen: Der Nachrichtenwert<br />
ist höher, da Personalisierung, Konflikt, Authentizität<br />
und Betroffenheit bei Selbstorganisationen höher<br />
sind.<br />
Schaut man sich den Erfolg von Jugendliche Ohne<br />
Grenzen an, könnte man meinen, dass PR-Strategen<br />
der großen Flüchtlingslobbyorganisationen das Ganze<br />
am Reißbrett entworfen und mit viel Geld umgesetzt<br />
hätten, so gut funktioniert die Beeinflussung<br />
medialer Diskurse und das Lobbying bei Entscheidungsträgern<br />
<strong>durch</strong> die Jugendlichen. Wenn JOG<br />
auftritt, berichtet nicht die Lokalzeitung über engagierte<br />
Jugendliche, sondern die Tagesschau und der
Politikteil der „Zeit“ – wie im November 2009 bei der<br />
letzten „Jugendliche Ohne Grenzen“ – Konferenz in<br />
Bremen.<br />
Doch die großen Organisationen unterstützen JOG<br />
nur minimal, 20.000 Euro kann jährlich insgesamt<br />
aufgetrieben werden – davon wird unter anderem ein<br />
viertägiges Protestprogramm mit 80 Jugendlichen finanziert,<br />
inklusive der Fahrt- und Unterbringungskosten.<br />
Die Vorbereitung übernehmen die Jugendlichen,<br />
ein kleiner Haufen von Aktivist/innen, die ihre Freizeit<br />
opfern, und einzelne Leute aus Beratungsstellen. PR-<br />
Strategen großer Organisationen sucht man vergeblich,<br />
stattdessen findet man Menschen, die ein Ideal<br />
teilen: Es soll nicht für Flüchtlinge geredet werden,<br />
sondern sie selber sollen ihre Stimme erheben. Dies<br />
sind die Ideale anarchistischer Antira-Gruppen und<br />
nicht die Ideale großer Lobbyorganisationen.<br />
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass<br />
Selbstorganisation nicht nur aus idealistischer Perspektive<br />
– nur die Betroffenen können wissen, was<br />
sie wollen –, sondern auch aus strategischer Perspektive<br />
einer der wichtigsten Faktoren für politische<br />
Veränderung ist und sein wird. Doch jeder, der in<br />
diesem Bereich tätig ist, stößt auf diverse Probleme.<br />
Vorne und hinten fehlt es an Geld und Unterstützung.<br />
Mir persönlich ist es unverständlich, warum<br />
bisher viele Organisationen, die jeden Tag sehen,<br />
wie die derzeitige Asylpolitik Flüchtlinge psychisch<br />
kaputt macht, abschiebt und in Perspektivlosigkeit<br />
und Armut gefangen hält, die Selbstorganisation von<br />
Flüchtlingen als politisches Instrument so wenig beachten.<br />
Hier braucht es mehr Beratungsstellen wie das BBZ<br />
in Berlin, welches den Jugendlichen von JOG Infrastruktur<br />
zur Verfügung stellt, junge Flüchtlinge motiviert<br />
aktiv zu werden und gemeinsame Fahrten zu<br />
JOG-Aktionen organisiert. Es braucht materielle Hilfe,<br />
z.B. Laptops mit Internetanschluss für die JOG-<br />
Aktivist/innen, die in den Lagern leben. Es braucht<br />
eine dauerhafte Finanzierung, die den Jugendlichen<br />
auch auf Landesebene ermöglicht sich regelmäßig zu<br />
treffen. Organisationen wie Flüchtlingsräte, <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
und Wohlfahrtsverbände sollten<br />
junge Flüchtlinge, die zu ihnen kommen, dabei unterstützen<br />
selbst aktiv zu werden und mit ihnen an<br />
JOG-Aktionen teilnehmen. Der erste Schritt ist dabei,<br />
Flüchtlinge nicht nur als wehrlose Opfer zu sehen,<br />
sondern als mündige Menschen, die in der Lage sind<br />
für ihre Interessen einzutreten. Das kostet natürlich<br />
Kraft und Geld – beides ist jedoch gut investiert, wenn<br />
wir uns die Erfolge der „Jugendlichen Ohne Grenzen“<br />
anschauen.<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 53
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Ergebnisse<br />
Peter Mansaray, Rat afrikanischer Christen Berlin<br />
und Brandenburg e.V.<br />
Die Arbeitsgruppe widmete sich der Thematik Netzwerkkonzepte,<br />
Beispiele einer gelungenen Praxis. Die<br />
zu bearbeitenden Fragen waren: Wo sehen die Akteure<br />
Ressourcen und Potenziale, an welchen Punkten<br />
zeichnen sich Hindernisse ab? In der AG 8 haben sowohl<br />
Vertreter/innen von MO als auch Vertreter/innen<br />
der Mehrheitsgesellschaft aktiv mitgewirkt.<br />
Nach einer Vorstellungsrunde habe ich als Moderator<br />
eine Einführung in die Thematik gemacht. Das Thema<br />
Netzwerke in der Flüchtlingsarbeit wurde kontrovers<br />
und intensiv diskutiert.<br />
Im Folgenden finden sich Beiträge der Teilnehmer:<br />
• Der Flüchtlingsarbeit in Deutschland fehlt es an<br />
Lobbyarbeit und sie wird immer noch als Randthema<br />
behandelt.<br />
• Die Lebenssituation der Asylsuchenden in Deutschland<br />
ist aufgrund der desolaten Zustände in den<br />
Heimen und der Isolation der Asylsbewerber als<br />
sehr schwierig anzusehen.<br />
• Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Flüchtlinge<br />
sind nach wie vor menschenunwürdig. Zum Beispiel<br />
werden die Rechte auf Freizügigkeit von Flüchtlingen<br />
in Deutschland <strong>durch</strong> das Asylbewerbergesetz bzw.<br />
das Ortseinschränkungsgesetzt begrenzt.<br />
• Flüchtlinge werden als Menschen zweiter Klasse<br />
behandelt. Es wurde bemängelt, dass die Integration<br />
dieser Menschen nicht wirklich gewollt sei.<br />
• Ein Rückgang der Zahl der anerkannter Flüchtlinge<br />
ist signifikant zu verzeichnen und die Förderung ihrer<br />
Integration nicht gegeben.<br />
• Die Integration von Flüchtlingen ist <strong>durch</strong> die fehlende<br />
Kenntnisse der deutschen Sprache erschwert.<br />
• Die meisten Flüchtlinge haben keine Perspektive in<br />
Deutschland und sind nicht motiviert sich zu organisieren<br />
oder mit anderen MO zu vernetzen<br />
• MO haben einen besseren Zugang zu Flüchtlingen<br />
und können daher bessere Flüchtlingsarbeit leisten.<br />
Es ist dringend notwendig, dass die MO gefördert<br />
werden um ihre Arbeit zu professionalisieren<br />
• Die Vernetzung von Flüchtlingsorganisation stellt<br />
ein großes Problem dar und ist als schwierig zu<br />
bezeichnen. Es gibt kaum Flüchtlingsselbstorganisation,<br />
die sich um die Belange der Flüchtlinge<br />
kümmern.<br />
Tobias Klaus, vom Flüchtlingsrat Bayern stellte die<br />
Arbeit seiner Organisation vor. Die Situation der Asylbewerber<br />
in Bayern wurde erörtert und als menschen-<br />
54 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
unwürdig dargestellt. Der Integrationsplan schließt<br />
kategorisch Flüchtlinge aus. Wegen der schlechten<br />
institutionellen Rahmenbedingung ist die Selbstorganisation<br />
von Flüchtlingen nahezu unmöglich. Auch<br />
wenn sie organisiert sind, fehlt es sehr oft an ausreichenden<br />
Sprachkenntnissen sowie Wissen in Gesellschaftskunde,<br />
um hierzulande in Netzwerken effektiv<br />
mitzuarbeiten.<br />
Die Dominanz der großen Wohlfahrtsorganisationen<br />
in der Flüchtlingsarbeit wurde angesprochen. Bei diesen<br />
herrscht ein gewisses „parternalistisches“ Denken.<br />
Sie meinen nicht gemeinsam mit Flüchtlingen<br />
etwas zu realisieren, sondern wollen nur etwas für sie<br />
tun. Dieses Verhalten ist falsch und kontraproduktiv<br />
für die Vernetzung der Flüchtlingsorganisationen.<br />
Es herrscht ein Kampf um die Fördermittel zwischen<br />
MO und den Wohlfahrtsorganisationen. Da die Wohlfahrtsorganisationen<br />
besser vernetzt sind und über<br />
das entsprechende Personal verfügen, werden sie<br />
eher gefördert als die MO. Dagegen muss etwas<br />
getan werden. Finanzierung und Qualifizierung von<br />
MO sind notwendig und von großer Bedeutung in der<br />
Flüchtlingsarbeit.<br />
Mohammed Youni, von Jungendliche ohne Grenzen<br />
stellte seine Organisation und deren Entstehungsgeschichte<br />
vor. Jungendliche ohne Grenzen steht für ein<br />
gelungenes Beispiel einer Flüchtlingsselbstorganisation,<br />
welche es geschafft hat für sich selbst und ihre<br />
Belange aktiv zu werden und sich gut zu vernetzen.<br />
Die Organisation wurde als ein bundesweiter Zusammenschluss<br />
von jugendlichen Flüchtlingen im Jahre<br />
2005 gegründet mit dem Ziel, ein Bleiberecht für geduldete<br />
Flüchtlinge zu erreichen. Die Organisation<br />
hat folgende Ziele:<br />
• Ein großzügiges Bleiberecht für Alle.<br />
• Die vorbehaltlose Umsetzung der UNO-Kinderrechte.<br />
• Die Gleichberechtigung von Flüchtlingen mit den<br />
Einheimischen.<br />
• Die Legalisierung von Menschen ohne Papiere<br />
(sog. Illegale).<br />
• Die Chancengleichheit vor allem in den Bereichen<br />
Bildung und Arbeitsmarkt.<br />
• Das Rückkehrrecht für unsere abgeschobenen<br />
Freundinnen und Freunde!<br />
Die Organisation arbeitet überregional und organisiert<br />
große Campagnen, Demonstrationen und Konferenzen<br />
zu gesellschaftlich flüchtlingsrelevanten Ereignissen.<br />
Abgeschlossene und geplante Aktionen<br />
wurden diskutiert.
Fazit<br />
• Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Flüchtlinge<br />
sollen verbessert werden. Die rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen für Flüchtlinge müssen entsprechend<br />
der allgemeinen Menschenrechte angeglichen<br />
werden. Das Leistungsgesetzt für Flüchtlinge<br />
soll an das für alle geltende Leistungsgesetz<br />
angepasst werden. Asylbewerber sollen das Recht<br />
auf Deutschkurse und Bildung haben. Nur da<strong>durch</strong><br />
kann ihre Integration gewährleistet werden und nur<br />
so können sie eine Perspektive entwickeln.<br />
• Eine interkulturelle Öffnung der Flüchtlingsinstitutionen<br />
und der Wohlfahrtverbände soll auch umgesetzt<br />
werden und nicht nur als Absichtserklärung<br />
dienen.<br />
• Die Lobby-Arbeit für die Flüchtlingsarbeit soll verstärkt<br />
werden.<br />
• Es muss Synergien zwischen MO und den großen<br />
Wohlfahrtsorganisationen in der Flüchtlingsarbeit<br />
geben. Es muss mit Flüchtlingen und nicht für<br />
Flüchtlinge gearbeitet werden.<br />
AG 9: Interkulturelle Netzwerke zur<br />
besseren Partizipation am Arbeitsmarkt<br />
Impuls: „Beschäftigungsprojekt Willkommen<br />
und aktiv – Migrantinnen und Migranten als Brückenbauer“<br />
Andrea Adam, Saarländische Initiative Migration und<br />
Arbeitwelt SIMA und Faruk Şahin, Türkischer Kulturkreis<br />
Alevitische Gemeinde Saarland e.V.<br />
Zum Hintergrund: SIMA arbeitet als Transferprojekt<br />
des Kompetenzzentrums InBeZ im bundesweiten<br />
Netzwerk „Integration <strong>durch</strong> Qualifizierung (IQ)“. Das<br />
Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert<br />
das Netzwerk IQ seit 2005 vor dem Hintergrund der<br />
Selbstverpflichtungen im Nationalen Integrationsplan.<br />
Der Auftrag des Netzwerkes: Neue Strategien zur<br />
Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von Migrant/<br />
innen und Migranten entwickeln und erfolgreiche Ansätze<br />
in den Transfer bringen. Die Idee von SIMA ist<br />
es, alle Akteure in einen fachlichen Austausch einzubinden,<br />
die Vernetzung der Akteure zu stärken, Initiativen<br />
voranzubringen und den Transfer gelungener<br />
Arbeitsansätze zu fördern.<br />
Entstehungsgeschichte des Brückenbauerprojektes<br />
Die ARGE Saarbrücken ist auf SIMA mit der Idee<br />
zugekommen, ihre Initiative zur Arbeitsmarktintegra-<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
tion von Migrant/innen <strong>durch</strong> Maßnahmen der gesellschaftlichen<br />
Integration zu begleiten. SIMA hat die<br />
Idee aufgenommen, ein Konzept entwickelt und die<br />
Koordination übernommen. Seit Ende 2008 arbeiten<br />
10 ehemals arbeitssuchende Migrant/innen mit akademischen<br />
Hintergrund bei <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
(MO), interkulturellen Vereinen und öffentlichen Institutionen<br />
(z.B. kurdische Gemeinde, alevitische<br />
Gemeinde, Staatstheater, Russisches Haus, VHS).<br />
Dort sind sie im Rahmen von AGH-Maßnahmen (Entgeltvariante)<br />
als interkulturelle Brückenbauer/innen<br />
tätig. Neben der Finanzierung <strong>durch</strong> die ARGE wird<br />
das Projekt <strong>durch</strong> Sachmittel vom saarländischen<br />
Arbeitsministerium und der Arbeit und Kultur gGmbH<br />
unterstützt. Ihre Aufgabe ist es, Eingewanderte insbesondere<br />
im Rahmen von Gruppenangeboten an gesellschaftliche<br />
und kulturelle Institutionen heranzuführen,<br />
über Strukturen und Hintergründe zu informieren,<br />
Kontakte herzustellen und Vermittlungstätigkeiten zu<br />
übernehmen. Hierzu gehören beispielsweise (mehrsprachige)<br />
Stadtrundgänge, Führungen in Museen<br />
und Bibliotheken, Erkundungen von Stadtteilen und<br />
die Heranführung an die kulturellen Angebote von<br />
Staatstheater und anderen Institutionen.<br />
Gleichzeitig sollen die Brückenbauer/innen die Träger<br />
in ihrer konzeptionellen Weiterentwicklung sowie<br />
der Bekanntmachung und Optimierung ihrer Angebote<br />
im Sinne einer „interkulturellen Öffnung“ unterstützen.<br />
Vier gute Gründe für das Projekt<br />
1. Migrant/innen sind über<strong>durch</strong>schnittlich häufig<br />
KundInnen der ARGE. Für ihre Vermittlung auf den<br />
Arbeitsmarkt sind Zwischenschritte erforderlich,<br />
die den Aufbau eines persönlichen Netzwerks im<br />
beruflichen Kontext und Bewährungschancen am<br />
Arbeitsplatz eröffnen.<br />
2. Die Heranführung an Strukturen der Gesellschaft,<br />
das Kennenlernen von Institutionen und soziokulturellen<br />
Angeboten sind wichtige Elemente, um<br />
Beschäftigungsfähigkeit zu fördern. Soziokulturelle<br />
Integration kann eine wichtige Grundlage für die<br />
strukturelle Integration (Arbeit, Sprache, Bildung<br />
etc.) der Menschen werden.<br />
3. Migrant/innen formulieren ein Interesse an der<br />
Teilnahme und Teilhabe am kulturellen und sozialen<br />
Leben, kennen die Angebote aber oft<br />
nicht oder zu wenig. Öffentliche und kulturelle<br />
Einrichtungen bieten eine Vielzahl von Angeboten,<br />
erreiche die Zielgruppe jedoch oft nicht in<br />
erwünschtem Maße.<br />
4. Viele MO, Vereine und Einrichtungen engagieren<br />
sich im Integrationsbereich. Oft fehlen ihnen jedoch<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 55
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
Ressourcen, um dies in gewünschter Intensität zu<br />
tun. Mit Beschäftigungsmodellen (SGB II und III)<br />
können die Vereine sich als Träger erproben und<br />
ihre Vereinsarbeit weiterentwickeln.<br />
Nutzenerwartungen: „Brücken bauen“<br />
1. Zusammenwirken beruflicher und gesellschaftlicher<br />
Integration.<br />
2. Zugänge zu MO für öffentlichen Einrichtungen, insbesondere<br />
die ARGE.<br />
3. Brücke der gegenseitigen Zugänge für Kultureinrichtungen,<br />
öffentlichen Institutionen und MO.<br />
4. Beschäftigungsförderung für Brückenbauer/innen<br />
(Kompetenzen sichtbar machen, neue Kontakte,<br />
Orientierungswissen).<br />
Erfahrungen am Beispiel der Alevitischen Gemeinde<br />
Saarland<br />
Die Brückenbauer/innen vermitteln zwischen Institutionen<br />
und Organisationen und den Vereinsmitgliedern.<br />
In der Alevitischen Gemeinde ist der Brückenbauer<br />
zu einem zentralen Ansprechpartner geworden. Er<br />
ist Anlaufstelle, wenn es um Themen geht wie Informationen<br />
über die Stadt Saarbrücken, Diskussionen<br />
über Kultur, Religion und Integration, Beratung über<br />
das deutsche Schulsystem, Unterstützung bei Bewerbungsschreiben<br />
und Vorstellungsgesprächen oder<br />
der Organisation von Veranstaltungen. Außerdem<br />
konnten Kontakte zu saarländischen politischen Parteien<br />
aufgebaut werden und die Politik für die Belange<br />
von Migrant/innen sensibilisiert werden. Das hat eine<br />
positive Nebenwirkung für die Mitglieder der Vereine:<br />
Sie haben das Gefühl, am politischen Leben teilnehmen<br />
zu dürfen und für wichtig gehalten zu werden.<br />
Zwischen den beteiligten MO und Einrichtungen finden<br />
viele Kooperationen statt: So hat z.B. die Kinder-<br />
Tanzgruppe des russischen Vereins den alevitischen<br />
Verein bei einem seiner Veranstaltungen mit Auftritten<br />
unterstützt. Die Veranstaltung wurde von zahlreichen<br />
Menschen mit russischem, türkischem und<br />
kurdischem Hintergrund besucht. An dieser Veranstaltung<br />
beteiligte sich auch der Verein Geographie<br />
ohne Grenzen mit einer Fotoausstellung über das alte<br />
Saarbrücken.<br />
Zusätzlich war die alevitische Gemeinde Gastgeber<br />
für viele weitere Organisationen wie z.B. für den „interreligiösen<br />
Dialog“.<br />
Für die Brückenbauer/innen ist es wertvoll, in einem vielfältigen<br />
Team und mit unterschiedlichen Institutionen zu<br />
arbeiten. Im Projekt finden immer wieder Fortbildungsveranstaltungen<br />
statt, die die Arbeit qualifizieren.<br />
56 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
Die Zusammenarbeit unter den MO und den (städtischen)<br />
Institutionen soll noch intensiviert werden. In<br />
der Zusammenarbeit mit Migrant/innen und Ämtern<br />
sowie Einrichtungen können viele Vorschläge für eine<br />
verbesserte gesellschaftliche und berufliche Integration<br />
entwickelt werden.<br />
Für die Vereine und die Brückenbauer/innen selbst ist<br />
das Projekt eine Chance, um Arbeitsplätze in den Organisationen<br />
zu sichern und damit ihr Engagement in<br />
der Integrationsarbeit zu qualifizieren.<br />
Perspektiven<br />
Die ARGE Saarbrücken unterstützt das Projekt 2010<br />
weiter, die Brückenbauer/innen sollen dann über §16e<br />
beschäftigt werden. Mittel für die Kofianzierung werden<br />
gerade akquiriert.<br />
Das Konzept ist überall einsetzbar, wir freuen uns<br />
über Ihr Interesse!<br />
Ergebnisse<br />
Dipl.-Ing. Cemalettin Özer, MOZAIK gGmbH, Bielefeld<br />
Nach der Begrüßung wurde eine Vorstellungsrunde<br />
mit Erwartungen der Teilnehmer/innen <strong>durch</strong>geführt.<br />
Die Einführung in das Thema wurde <strong>durch</strong><br />
Herrn Cemalettin Özer, Projektleiter des IQ-Transferprojektes<br />
„Migrantenselbstorganisationen mit<br />
Bewerbungscenter“ gemacht. MOZAIK gemeinnützige<br />
Gesellschaft für interkulturelle Bildungs- und<br />
Beratungsangebote mbH arbeitet seit Jahren im<br />
Rahmen von Projekten an einer Empowermentstrategie<br />
zur verbindlichen Einbindung von <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
beim Thema Arbeitsmarktintegration<br />
von Migrant/innen und hat hierfür im Jahre<br />
2008 den Weiterbildungsinnovationspreis der Bundesinstituts<br />
für Berufsbildung gewonnen. Nach der<br />
Einführung wurde ein erfolgreiches Praxisprojekt<br />
vorgestellt.<br />
Diskussion<br />
Die Teilnehmenden der AG schätzen das Projekt<br />
positiv ein: Es ist einerseits eine Chance, die gesellschaftliche<br />
und berufliche Integration von Migrant/<br />
innen zu fördern. Gleichzeitig können MO mit solch<br />
einem Konzept strukturell unterstützt werden (Schaffung<br />
von Hauptamtlichkeit) und ihre Vernetzung mit<br />
anderen Einrichtungen ausbauen. In der Diskussion<br />
der AG wird gemeinsam herausgearbeitet, wie MO in<br />
ihren Regionen vorgehen können, wenn sie ein ähnliches<br />
Projekt realisieren wollen:
• In einem ersten Schritt sollten sich MO und Vereine<br />
absprechen und eine erste Konzeptidee entwickeln.<br />
• Da die Brückenbauer/innen bei unterschiedlichen<br />
Trägern angesiedelt sind, braucht das Projekt einen<br />
Rahmen und eine Struktur, die es erlauben,<br />
ein erkennbares Gesamtkonzept umzusetzen. Weiterhin<br />
sind MO in der Regel unerfahren als Arbeitgeber<br />
und Maßnahmeträger. Für die Koordination<br />
und die weitere Unterstützung ist es hilfreich, weitere<br />
starke Partner vor Ort mit einzubeziehen, die<br />
in der Zwischenfinanzierung, Personalverwaltung<br />
etc. unterstützen und als „Fürsprecher“ auftreten.<br />
Unterstützung können die Projekte innerhalb des<br />
bundesweiten Netzwerkes IQ sein (www.intqua.de),<br />
die meist über Erfahrungen und Kontakte in diesem<br />
Feld verfügen.<br />
• Mit der konkreten Idee gilt es dann die ARGE vor<br />
Ort anzusprechen und das Konzept vorzustellen.<br />
• Ergänzend sollten Zuschüsse für Sachmittel (Fortbildungen,<br />
Sachkosten, Exkursionen, gemeinsame<br />
Veranstaltungen und Aktionen etc.) akquiriert werden,<br />
z.B. Landesministerien, Förderprogramme<br />
Mit einem solchen Konzept können interkulturelle Netzwerke<br />
zur gesellschaftlichen und beruflichen Integration<br />
aufzubauen – genau darin liegt die Chance: Unterschiedliche<br />
Akteure zusammenzubringen und neue<br />
Wege der Ansprache und neue Zugänge eröffnen.<br />
Andrea Adam (aadam@sima-inbez.de), Faruk Sahin<br />
(faruk.sahin@gmx.de) und Cemalettin Özer (oezer@<br />
mozaik.de) stehen gerne als weitere Ansprechpartner/innen<br />
zur Verfügung.<br />
Anmerkungen<br />
1 vergl. Dokumentation „MO-Partner in der Kommune“<br />
und CD „Tipps für Vereine“, Stadt Essen 2008.<br />
2 siehe: www.immigrantenverbund.de.<br />
3 Im Einzelnen wurden die Themen Antidiskriminierung,<br />
Zuwanderungsrecht, Vereinrecht und Finanzen,<br />
Projektmanagement, Kommunikation und<br />
Konfliktmanagement, Moderation und Präsentationstechniken,<br />
sowie Öffentlichkeitsarbeit und<br />
Fundraising behandelt.<br />
4 siehe www.projekt-empa.de.<br />
5 Detaillierte Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen<br />
finden Sie unter www.projekt-empa.de.<br />
6 siehe www.irr.org.uk/alternative_voices/.<br />
Arbeitsgruppen 1 - 9<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 57
Talkrunde: Netzwerke in der<br />
<strong>Integrationsförderung</strong> als Zukunftsaufgabe?<br />
Moderation:<br />
Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches<br />
Engagement (<strong>BBE</strong>)<br />
Podium:<br />
Margit Gottstein, Beauftragte der Bundesregierung<br />
für Migration, Flüchtlinge und Integration<br />
Behshid Najafi, Forum der Migrantinnen und Migranten<br />
im Paritätischen<br />
Dr. Gerhard Timm, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
der Freien Wohlfahrtspflege<br />
Miguel Vicente, Geschäftsführer des Bundeszuwanderungs-<br />
und Integrationsrates und der Ausländerbeiräte<br />
des Landes Rheinland-Pfalz<br />
Die Podiumsteilnehmenden hatten zunächst die Gelegenheit,<br />
ihre Positionen in kurzen Impulsreferaten<br />
auszuführen:<br />
Margit Gottstein:<br />
Die Beteiligung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> war<br />
in der vergangenen Legislaturperiode für die Bundesregierung<br />
ein wesentlicher Baustein der Integrationspolitik.<br />
Insbesondere bei der Formulierung und<br />
Umsetzung des Nationalen Integrationsplans spielte<br />
der Dialog mit <strong>Migrantenorganisationen</strong> eine zentrale<br />
Rolle. Dieser soll auch in der angelaufenen Legislaturperiode<br />
fortgesetzt werden.<br />
Der Koalitionsvertrag benennt zur Ausgestaltung der<br />
Integrationspolitik folgende zentralen Vorhaben:<br />
1. Der Nationale Integrationsplan soll zu einem Nationalen<br />
Aktionsplan Integration weiterentwickelt werden.<br />
Mit einem Aktionsplan sollen die im Integrationsplan<br />
angelegten Ziele genauer festgelegt und<br />
ihnen passgenaue Maßnahmen zugeordnet werden.<br />
Angestrebt werden Zielgrößen, die überprüfbar<br />
sind. Um den Grad der Zielerreichung messen<br />
58 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
zu können, sollen ihnen Indikatoren zugeordnet<br />
werden. Wesentliche Themenfelder werden voraussichtlich<br />
die frühkindliche Förderung, Bildung,<br />
Ausbildung und Arbeitsmarkt sowie Sprachförderung<br />
und Gesundheit sein. Im gesamten Prozess<br />
werden im Rahmen der Beteiligung der Zivilgesellschaft<br />
wieder Migrantenorganisation einbezogen.<br />
2. Mit der Einrichtung eines Bundesbeirats für Integration<br />
hat der Koalitionsvertrag ein Anliegen der <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
aufgegriffen. Der Bundesbeirat<br />
soll die Integrationsbeauftragte bei der Erfüllung<br />
ihrer Aufgaben unterstützen und sie beraten. Bei der<br />
Auswahl der Mitglieder wird daher großer Wert auf<br />
ein inhaltlich breites und ausgewogenes Spektrum<br />
gelegt, in dem Wissenschaft und Praxis sowie <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
vertreten sein sollen.<br />
3. Mit Integrationsverträgen soll Integration verbindlicher<br />
gemacht und erreicht werden, dass Integrationsmaßnahmen<br />
zum frühestmöglichen Zeitpunkt<br />
beginnen. Daher soll sich der Integrationsvertrag<br />
zunächst an Neuzuwanderer richten, die dauerhaft<br />
in Deutschland leben möchten. Saisonarbeiter und<br />
Studenten zählen beispielsweise nicht dazu. Ausgenommen<br />
werden sollen auch Hochqualifizierte<br />
und EU-Bürger, da für letztere die Freizügigkeit innerhalb<br />
der EU gilt. Inhaltliche Schwerpunkte sollen<br />
insbesondere Sprache, Bildung und Ausbildung<br />
sein. Zu diesen und anderen Bereichen sollten die<br />
Voraussetzungen erfasst werden, mit denen Neuzuwanderer<br />
in unser Land kommen. Es geht nicht<br />
um ein allgemeines Bekenntnis, sondern um konkrete<br />
Schritte und Maßnahmen zur Integration.<br />
4. In Kooperation mit Ländern und Kommunen sollen<br />
Integrationspartnerschaften in Modellregionen geschaffen<br />
werden. Angestrebt wird eine strategische<br />
Ausrichtung der Integrationspolitik, die interkulturelle<br />
Öffnung der Verwaltung und Dienste, die sozialräumliche<br />
Ausrichtung der kommunalen Integrationspolitik<br />
sowie die Überprüfung der Wirkung von<br />
Integrationsmaßnahmen <strong>durch</strong> ein Monitoring.
Behshid Najafi:<br />
Ich bin Mitarbeiterin von agisra, Informations- und Beratungsstelle<br />
für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen<br />
in Köln. agisra ist Mitglied im Forum der Migrantinnen<br />
und Migranten im Paritätischen (FdM), das im Mai<br />
2007 von mehr als 110 MO im Paritätischen gegründet<br />
wurde. Es gibt einen Beirat, der aus 7 Personen<br />
besteht, und einen Sprecherkreis aus 3 Personen.<br />
Beirat und Sprecherkreis sind zu 50% mit Frauen<br />
besetzt. Ich bin eine der drei Personen im FdM-<br />
Sprecherkreis. Zu den Mitgliedern des FdM gehören<br />
Netzwerke (z.B. BAGIV) bis hin zu kleineren Organisationen,<br />
die ehrenamtlich arbeiten.<br />
FdM hat das Projekt „Integration <strong>durch</strong> Partizipation<br />
– Förderung des interkulturellen Dialogs“ – gestartet,<br />
das vom BAMF und vom Europäischen Integrationsfond<br />
gefördert wird. Das Projekt hat die Qualifizierung<br />
von MO zum Ziel.<br />
Wir als agisra haben gemeinsam mit anderen Frauenorganisationen<br />
im Jahr 1993 eine bundesweite Kampagne<br />
zur Veränderung des damaligen §19 AuslG,<br />
der das eigenständige Aufenthaltsrecht der Ehegatten<br />
regelt, gestartet. Nach der damaligen Rechtslage bekam<br />
eine Frau ein von der Ehe unabhängiges Aufenthaltsrecht<br />
erst nach vier Jahren Eheleben. Das Gesetz<br />
wurde im Jahr 2000 geändert, so dass ein von der Ehe<br />
unabhängiger Aufenthalt bereits nach zwei Jahren möglich<br />
wurde. Zwar war und ist unser Ziel ein sofortiges<br />
und unabhängiges Aufenthaltsrecht bei Eheschließung,<br />
aber immerhin war diese Fristverkürzung von vier auf<br />
zwei Jahre ein Erfolg. Dies ist ein Beispiel für gelungene<br />
Netzwerkarbeit und politische Einflussnahme.<br />
Für die Erreichung unserer Ziele sind Netzwerkbildungen<br />
unabdingbar. Zu unseren aktuellen Zielen<br />
gehören zum Beispiel:<br />
• Kommunales Wahlrecht für Drittstaatler<br />
• Abschaffung des Optionsmodells für in Deutschland<br />
geborene Kinder<br />
• Abschaffung der Residenzpflicht<br />
• Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes<br />
• Bleiberecht für Menschen, die über einen längeren<br />
Zeitraum in Deutschland leben, auch für Kranke,<br />
Ältere und für allein Erziehende, die ihren Lebensunterhalt<br />
nicht eigenständig sichern können<br />
Damit die MO Netzwerke aufbauen können, sind bestimmte<br />
Rahmenbedingungen notwendig. Vor allem<br />
Räumlichkeiten, Infrastruktur, Personal sind erforderlich.<br />
Dafür brauchen die MO eine feste Finanzierung,<br />
die hauptsächlich <strong>durch</strong> strukturelle Förderung gesichert<br />
werden muss.<br />
Talkrunde<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 59
Talkrunde<br />
Für MO ist es sehr wichtig, Netzwerke aufzubauen,<br />
um gemeinsame Ziele zu formulieren und an Politik<br />
und Gesellschaft Forderungen zu stellen. Wünschenswert<br />
wäre es, jährlich ein mehrtägiges Treffen<br />
aller MO <strong>durch</strong>zuführen. Hier wird ein Raum für Austausch,<br />
Zielformulierung und Stellungnahmen gegeben,<br />
aber auch die Möglichkeit eröffnet, sich näher zu<br />
kommen. Dabei gilt es, gemeinsame Ziele zu betonen<br />
und Unterschiede zu akzeptieren. Die Finanzierung,<br />
Koordination und Organisation für solch ein Netzwerktreffen<br />
muss gesichert werden.<br />
Auf staatlicher Seite ist im Koalitionsvertrag die Rede<br />
vom Aufbau eines „Bundesbeirats für Integration“.<br />
Wir begrüßen die Schaffung dieses Netzwerks auf<br />
höchster staatlicher Ebene. Allerdings ist für uns die<br />
Frage, welche Kompetenzen dieser Beirat hat und<br />
wer dort vertreten ist. Selbstverständlich müssen<br />
auch Repräsentantinnen und Repräsentanten von<br />
MO dort ausreichend vertreten sein.<br />
Dr. Gerhard Timm:<br />
Integration bedarf der politischen Grundentscheidung,<br />
die kulturelle Heterogenität unserer Gesellschaft anzuerkennen.<br />
Die Tatsache, dass wir Einwanderungsgesellschaft<br />
sind, muss <strong>durch</strong> die „interkulturelle<br />
Öffnung“ aller Dienste und gesellschaftlichen Institutionen,<br />
insbesondere der Schulen, auch institutionell<br />
sichtbar werden. In diesem Anpassungsprozess, den<br />
Einrichtungen und Institutionen zu vollziehen haben,<br />
gilt es, Migranten und Migrantinnen mit ihren individuellen<br />
und kulturellen Bedürfnissen wahrzunehmen<br />
und sie gleichzeitig als gleichberechtigte Bürgerinnen<br />
und Bürger, Klienten, Nutzer und Kunden zu akzeptieren.<br />
Dieser Prozess umfasst alle Ebenen der Arbeit<br />
der Institutionen: eine veränderte Struktur und Differenzierung<br />
der Angebote genauso wie die Änderung<br />
von Leitbildern, Konzeptionen, Selbstverständnis und<br />
Reflexion der Praxis im gegebenen Rahmen. Ohne<br />
eine gezielte Entwicklung interkultureller Kompetenz<br />
in Aus- und Weiterbildung, eine veränderte Personal-<br />
und Einstellungspolitik und eine zielgenauere Informations-<br />
und Öffentlichkeitsarbeit wird man der sich<br />
verändernden Klientel kaum gerecht werden können.<br />
Formelle und informelle Hürden, die Migranten und<br />
Migrantinnen den Zugang zum tertiären Sektor und<br />
zum öffentlichen Dienst erschweren, müssen abgebaut<br />
werden.<br />
Integration ist weder ausschließlich Privatsache, noch<br />
eine allein vom Staat zu bewältigende Aufgabe. Gelingen<br />
kann sie nur als zivilgesellschaftliches Projekt, in<br />
das sich alle Inländer, gleich welcher Nationalität, eingebunden<br />
fühlen. Integrationspolitik – als dauerhafte<br />
60 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
gesellschaftspolitische Aufgabe – muss somit auf die<br />
Kräfte der Zivilgesellschaft rekurrieren. Die Umsetzung<br />
von konkreten Integrationsangeboten ist auf zivilgesellschaftliches<br />
Engagement und auf die Institutionen<br />
der Zivilgesellschaft angewiesen. Maßgebliche<br />
Potentiale liegen hier bei den Wohlfahrtsverbänden<br />
selbst und den Selbsthilfeorganisationen, insbesondere<br />
auch bei den <strong>Migrantenorganisationen</strong> (MO).<br />
Die Existenz von <strong>Migrantenorganisationen</strong> weist auf<br />
einen deutlichen Bedarf von MigrantInnen hin, sich im<br />
„eigenen Umfeld“ zu organisieren, und auf ihr Interesse<br />
und Engagement, auf der jeweiligen Ebene (Stadtteil,<br />
Kommune, Land, Bund) und für bestimmte Ziele<br />
(z.B. Elternvereine, Sportvereine) aktiv zu werden.<br />
Sie erleben die Begrenzung auf die eigene Ethnie<br />
einerseits als „Schutzraum“, aber auch als Begrenzung<br />
ihrer eigenen Handlungsoptionen und ihrer<br />
Wirksamkeit. Indem MO in der Regel dazu beitragen,<br />
Kompetenzen, Ressourcen und Potenziale ihrer<br />
Mitglieder zu fördern, leisten sie schon immer<br />
auch einen wichtigen Beitrag zur Integration im Sinn<br />
der Förderung von Selbständigkeit, Eigenverantwortung,<br />
Teilhabe etc.<br />
MO sind daher zunächst nicht Ausdruck von Segregation,<br />
sie leisten vielmehr einen wichtigen Beitrag<br />
zur Selbstorganisation in einer demokratischen Zivilgesellschaft.<br />
Gleichzeitig weist die Existenz von<br />
MO auf einen bestehenden Mangel bei anderen<br />
gesellschaftlichen Organisationen hin: Hier fühlen<br />
sich bzw. sind MigrantInnen eher nicht „zu Hause“.<br />
MO sind damit auch Ausdruck bzw. Reaktion auf erlebte<br />
Ausgrenzung und mangelnde Einbeziehung.<br />
Gesellschaftliches Ziel muss es sein, MO einerseits<br />
in ihrer (auf demokratische Ziele ausgerichteten)<br />
Handlungskompetenz zu fördern, andererseits einer<br />
Ethnisierung bürgerschaftlichen Engagements entgegenzuwirken:<br />
Insbesondere die BAGFW versteht<br />
sich in der Gestaltung von Ehrenamt, Freiwilligendiensten<br />
und Engagementangeboten sowie ihrer sozialen<br />
Dienste als Anbieter für alle in Deutschland<br />
lebenden Menschen.<br />
Dazu gehört auch die offene und auf Augenhöhe<br />
betriebene Kooperation mit MO – ohne das geht<br />
es nicht! Dazu gehört auch: von MO lernen. Und:<br />
Hilfe zur Selbsthilfe. „Netzwerke der Integrationsfördrung“<br />
(so der Titel der Podiumsdiskussion) sind<br />
daher auch alle Kooperationsformen von Organisationen<br />
unterschiedlicher Zielsetzung und „Kultur“,<br />
die (zivil-)gesellschaftliche Prozesse voran<br />
bringen, auch wenn Integration nicht ausdrücklich<br />
Thema oder Ziel ist. Es geht vielmehr um Mitgestal-
tung, Wahrnehmen von Verantwortung, Förderung<br />
von Kompetenzen der unterschiedlichsten Art etc.:<br />
Integration (Inklusion) ist nicht eine Aufgabe unter<br />
vielen, sondern Wirkungsprinzip und Ergebnis aller<br />
auf Teilhabe, Partizipation, Chancengleichheit<br />
etc. gerichteter Prozesse in allen möglichen gesellschaftlichen<br />
Bereichen (siehe Nationaler Integrationsplan).<br />
Ein (altmodischer) Schlüsselbegriff<br />
könnte auch sein: Emanzipation.<br />
Die Wohlfahrtsverbände unterstützen grundsätzlich<br />
und auch ganz praktisch die stärkere Einbeziehung<br />
von MO in die Integrationspolitik. Eine stärkere Beteiligung<br />
von MO ist sinnvoll und Ziel führend.<br />
Miguel Vicente:<br />
Das Leben in der Migration ist in Deutschland, wie<br />
in anderen Einwanderungsländern, stets auch Anlass<br />
zur Selbstorganisation der Zugewanderten. <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
sind somit aus einem „natürlichen“<br />
Prozess erwachsen und stellen einen wichtigen Teil<br />
unserer Zivilgesellschaft dar. In Deutschland wurde<br />
die Bedeutung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> für die<br />
Gestaltung integrativer Prozesse lange Zeit von Politik<br />
und Gesellschaft übersehen. Ehemals als „ausländische<br />
Vereine“ bezeichnet, in denen Zuwanderer<br />
sich scheinbar abschotteten, wurde ihnen eher eine<br />
die Integration gefährdende Wirkung zugeschrieben.<br />
Unter diesen Umständen ist es umso eindrucksvoller,<br />
mit wie viel Engagement und Leidenschaft die<br />
„ausländischen Vereine“ über all die Jahrzehnte ihre<br />
Funktionsfähigkeit aufrechterhalten und weiterentwickeln<br />
konnten. Mittlerweile setzt sich doch verstärkt<br />
die Erkenntnis <strong>durch</strong>, dass <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
seit Jahrzehnten eine wichtige soziale und gesellschaftliche<br />
Funktion ausfüllen und dass sie bedeutsame<br />
Partner für eine zukünftige Integrationsarbeit<br />
sein können.<br />
So übernehmen sie wichtige Mittler- und Brückenfunktionen<br />
und tragen zur Identitätsstärkung ihrer<br />
Mitglieder bei. Das Engagement vieler <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
hilft Einwanderern, sich in die neue<br />
Gesellschaft einzuleben und soziale Netzwerke<br />
aufzubauen. Sie wirken <strong>durch</strong> ihre Aktivitäten und<br />
Dienstleistungen in die deutsche Mehrheitsgesellschaft,<br />
zum Beispiel <strong>durch</strong> Vermittlung von wichtigem<br />
Alltagswissen, wie Hilfen bei der schulischen Integration.<br />
Sie sind auch für die politische Meinungs- und<br />
Willensbildung sowie für die soziale Orientierung der<br />
Zuwanderer maßgeblich und unterscheiden sich da<strong>durch</strong><br />
von vielen anderen Vereinen, weil sie stärker in<br />
den Lebensalltag wirken.<br />
Talkrunde<br />
Zu diesem Sinneswandel hat insbesondere eine Umkehr<br />
in der bisherigen Integrationspolitik beigetragen.<br />
Wurde in der Vergangenheit ausschließlich auf die<br />
Kompensation von tatsächlichen oder vermeintlichen<br />
Defiziten von Migranten gesetzt, so liegt der Fokus<br />
nunmehr auf dem Erkennen und Stärken von vorhandenen<br />
Potenzialen der zugewanderten Bevölkerung.<br />
Dieses Prinzip findet mehr und mehr Eingang in den<br />
meisten nationalen und europäischen Programmen,<br />
die einen ressourcenorientierten Ansatz verfolgen<br />
und Migration als Potenzial für die Aufnahmegesellschaft<br />
verstehen.<br />
Die meisten <strong>Migrantenorganisationen</strong> haben längst<br />
ihre Bereitschaft signalisiert, mehr Verantwortung im<br />
Integrationsprozess zu übernehmen. Befragungen<br />
und Untersuchungen zeigen allerdings, dass <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
unter erschwerten Rahmenbedingungen<br />
wirken und sich mit besonderen Problemen<br />
konfrontiert sehen. So geben Aktive an, dass die<br />
vorhandenen, knappen finanziellen Ressourcen eine<br />
aktivere Rolle verhindern. Sie bemängeln, dass es ihnen<br />
an Unterstützung und Anerkennung seitens der<br />
Institutionen und der Politik fehlt, und benennen einen<br />
hohen Bedarf an fachlichen Unterstützung und Weiterbildungsangeboten.<br />
Um <strong>Migrantenorganisationen</strong> als Akteure in Integrationsprozesse<br />
einzubinden, muss genau an dieser<br />
Stelle angesetzt werden. Sie brauchen Unterstützung<br />
in Form von Qualifizierung und Weiterbildung sowie<br />
eine Politik der Anerkennung und Wertschätzung.<br />
Ein Weg zur Unterstützung von Handlungskompetenzen,<br />
gleichberechtigter Mitgestaltung und Teilhabe<br />
ist die fachliche Begleitung hin zu professionellerer<br />
Verbands- und Vereinsarbeit, der Aufbau und Ausbau<br />
tragfähiger Organisationsstrukturen sowie gleichberechtigte<br />
Kooperations- und Netzwerkarbeit. Die kommunalen<br />
Integrations- und Ausländerbeiräte fördern<br />
seit vielen Jahren diese Entwicklung der <strong>Migrantenorganisationen</strong>.<br />
Insbesondere die Landesverbände sowie<br />
der Bundesverband haben zahlreiche Programme<br />
aufgelegt, die dieses Ziel verfolgen. So wurden beispielsweise<br />
in Bayern, Brandenburg oder in Rheinland-Pfalz<br />
Qualifizierungsangebote entwickelt, die die<br />
Bedürfnisse der <strong>Migrantenorganisationen</strong> aufgreifen.<br />
Dazu gehört auch die Förderung der Netzwerkarbeit,<br />
als wichtigen Bestandteil der Verbandsarbeit.<br />
Die Zusammenarbeit in Netzwerken ist deshalb von<br />
Bedeutung, weil vorhandene Kompetenzen und Ressourcen<br />
der einzelnen Beteiligten gebündelt werden<br />
können und da<strong>durch</strong> effizienter und zielgerichteter an<br />
gemeinsamen Zielen gearbeitet werden kann. Dies<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 61
Talkrunde<br />
eröffnet <strong>Migrantenorganisationen</strong>, als aktive Dialog-<br />
und Aktionspartner zu wirken. Netzwerke sind in der<br />
Regel informelle Sozialformen, in den sich die unterschiedlichsten<br />
Gruppen, Einrichtungen und Personen<br />
zueinander in Beziehung setzen können, ohne ihre<br />
jeweilige Eigenständigkeit aufgeben zu müssen. Sie<br />
sind daher besonders geeignet für Formen der Zusammenarbeit,<br />
die über traditionelle, bürokratische,<br />
politische oder kulturelle Grenzen hinausgehen. Sie<br />
beruhen auf der Bereitschaft ihrer Mitglieder, sich bei<br />
Bedarf die jeweiligen Fähigkeiten und Kenntnisse gegenseitig<br />
zur Verfügung zu stellen, um gemeinsame<br />
Ziele zu verfolgen.<br />
Netzwerkarbeit in lokalen Bezügen ist gerade auch für<br />
kleinere, meist ehrenamtlich arbeitende <strong>Migrantenorganisationen</strong>,<br />
von Bedeutung, weil da<strong>durch</strong> Kooperationen<br />
unter Partnern mit unterschiedlichem Grad<br />
an hauptamtlichen Strukturen möglich werden. Die<br />
Vernetzung von <strong>Migrantenorganisationen</strong> untereinander<br />
und mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren<br />
findet auf vielen Ebenen statt. Auf Bundes- und Landeseben,<br />
aber auch in den Kommunen gibt es bereits<br />
vielfältige Strukturen des politischen und zivilgesellschaftlichen<br />
Engagements, in denen <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
als aktive Partner beteiligt sind. Diese gilt<br />
es mit dem Ziel weiterzuentwickeln, <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
als elementaren Bestandteil von Kooperationsstrukturen<br />
zu etablieren, in denen es nicht nur<br />
um die Analyse von Bedarfen geht, sondern um die<br />
Erarbeitung von gemeinsamen Handlungs- und Lösungsstrategien.<br />
So kann eine Politik gelingen, die <strong>Migrantenorganisationen</strong><br />
partnerschaftlich in eine gemeinsam verantwortete<br />
Integrationsarbeit einbindet.<br />
Beiträge aus dem Plenum:<br />
Cemalettin Özer (MOZAIK gGmbH):<br />
Herrn Özer geht es um die Frage, was MO tun müssen,<br />
um politisch besser Gehör zu finden. Ein Grund<br />
für den bislang nur mäßigen Erfolg liege seines Erachtens<br />
im Fehlen internationaler, d.h. über ethnische<br />
Grenzen hinweg stattfindender MO-Bewegungen. Er<br />
sieht eine besondere Herausforderung in der Ausformulierung<br />
schriftlicher Handlungsempfehlungen zur<br />
Steigerung ihrer politischen Durchsetzungskraft, die<br />
dann auch von MO verschiedener ethnischer Herkunft<br />
unterschrieben werden müssen.<br />
Philip Egbune (Integrationsbeirat Nordhausen):<br />
Herr Egbune spricht das Thema des Bleiberechts von<br />
Flüchtlingen an und bemängelt, dass die laufenden<br />
62 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
bundesweiten Projekte – wenn auch mit gut gemeinter<br />
Absicht initiiert – zu spät gestartet seien. Eine erschwerende<br />
Grundlage seien die problematischen<br />
Formulierungen in politischen Absichtserklärungen<br />
der Bundesregierung wie dem Koalitionsvertrag,.<br />
Sein zweites Anliegen betrifft den Integrationsplan:<br />
Dessen Ausformulierung erachtet Herr Egbune auch<br />
auf kommunaler Ebene als unbedingt notwendig,<br />
während auf Bundesebene eine übergreifende politische<br />
Partizipationsstrategie erarbeitet werden müsse.<br />
Herr Egbune spricht sich für eine Fortsetzung der<br />
Tagungsreihe des <strong>BBE</strong> in einem ostdeutschen Bundesland<br />
aus.<br />
Tobias Klaus (Flüchtlingsrat Bayern):<br />
Herr Klaus berichtet kurz von seiner Tätigkeit im<br />
Flüchtlingsrat, insbesondere von Protestaktionen mit<br />
jungen Flüchtlingen. Er plädiert ausdrücklich dafür,<br />
die Flüchtlingsarbeit in die Arbeit des <strong>BBE</strong> mit einzubeziehen.<br />
Grundsätzlich hält er die kritische Reflexion<br />
einer paternalistischen Helferposition, die sich um<br />
die Belange der Flüchtlinge kümmert, für dringend<br />
notwendig.<br />
Antworten aus dem Podium:<br />
Behshid Najafi:<br />
Frau Najafi eröffnet die Antwortrunde. Sie konstatiert,<br />
dass sich die Rahmenbedingungen für migrationspolitische<br />
Belange in den letzten Jahren kaum verbessert<br />
haben. Da<strong>durch</strong> gestalte sich die Arbeit im<br />
lokalen Rahmen besonders schwierig. Hierzu gehöre<br />
unter anderem die Abschaffung der Residenzpflicht,<br />
die bisher nicht vorangeschritten sei. Die Arbeit der<br />
früheren Migrantennetzwerke, die sich zunächst in<br />
erster Linie als religiöse Netzwerke verstanden haben,<br />
war wenig effektiv. Bis zum heutigen Zeitpunkt<br />
hat sich eine vielfältigere Struktur der MO entwickelt.<br />
Für die Zukunft betont Frau Najafi die Notwendigkeit<br />
eines Bürgernetzwerkes von MO, in dem die verschiedenen<br />
Akzente und Anliegen der einzelnen ethnischen<br />
Gruppen akzeptiert werden, die jedoch alle<br />
zusammen gemeinsame Ziele vertreten und anvisieren<br />
müssen.<br />
Dr. Gerhard Timm:<br />
Herr Timm reagiert zunächst auf den Kommentar von<br />
Herrn Klaus mit dem Hinweis, dass Hilfe für Betroffene<br />
jenseits des Paternalismus weiterhin wichtig bleibe<br />
und auch wertgeschätzt werden sollte. Er sieht die<br />
dringlichste Aufgabe darin, Bedingungen zu schaffen,<br />
die die betreffenden Migranten davor bewahren, in<br />
eine entsprechende prekäre Lage zu geraten. Er nennt<br />
folgende Kriterien, die seines Erachtens entscheidend
für eine erfolgreiche Einflussnahme von MO sind: 1)<br />
zeitnahe Reaktionen, 2) konkrete Forderungen und 3)<br />
eine hohe Einstimmigkeit der einzelnen Organisationsmitglieder.<br />
Wichtig sei es daher, innerhalb eines relativ<br />
kurzfristigen Zeitraumes, etwa der nächsten zwei Monate,<br />
festzulegen, für was der von der neuen Bundesregierung<br />
im Koalitionsvertrag vorgesehene Integrationsvertrag<br />
gut sein könne und welche Aspekte dieser<br />
beinhalten solle. Die Ergebnisse dieser Überlegungen<br />
müsse man schriftlich formulieren.<br />
Margit Gottstein:<br />
Frau Gottstein spricht zunächst die positive Entwicklung<br />
der Wahrnehmung von MO innerhalb der letzten<br />
Jahre an: Lag das Augenmerk im Rahmen der Migrationsarbeit<br />
bis vor wenigen Jahren noch hauptsächlich<br />
auf der Arbeit der Wohlfahrtsverbände, können<br />
die MO mittlerweile in ihrer Arbeit möglicherweise<br />
sogar einen Wahrnehmungsvorsprung verzeichnen.<br />
Dissens bestünde immer noch vor allem bei der Vorstellungen<br />
zu erforderlichen Rahmenbedingungen für<br />
NGOs. Frau Gottstein stimmt zu, dass Forderungen<br />
von MO dann stärker wahrgenommen werden, wenn<br />
mehr MO hinter diesen stehen. Die Politik müsse wissen,<br />
wen sie ansprechen kann und muss. Frau Gottstein<br />
weist darauf hin, dass die Integrationsbeauftragte<br />
der Bundesregierung, Prof. Dr. Maria Böhmer, am<br />
14.12.2009 einen integrationspolitischen Dialog mit<br />
MO plane. Für Ende 2010 sei der 4. Integrationsgipfel<br />
geplant, in dessen Zentrum sich die Fortentwicklung<br />
des Integrationsplanes befindet.<br />
Dr. Ansgar Klein:<br />
Herr Dr. Klein fragt nach, ob grundsätzlich Ressourcen<br />
auf Bundesebene bestünden, um ein Bundesnetzwerk<br />
für MO zu entwickeln.<br />
Margit Gottstein:<br />
Frau Gottstein versichert, dass die Bereitschaft und<br />
das Interesse einer derartigen Entwicklung <strong>durch</strong>aus<br />
bestehen. Allerdings könne von Seiten der Integrationsbeauftragten<br />
nur eine projektbezogene, keine institutionelle<br />
Förderung erfolgen.<br />
Miguel Vicente:<br />
Herr Vicente gibt zu verstehen, dass viele MO immer<br />
noch auf lokaler Ebene exstieren und dass dort<br />
auch ein bedeutendes Wirkungsfeld für sie bestehe.<br />
Ein großes Problem sei die Strukturentwicklung der<br />
MO: Zwar gibt es zahlreiche Akteure, Gelder stehen<br />
allerdings bisher nur auf der Projektebene zu Verfügung.<br />
Ein großes Problem sieht er auch in der Vielzahl<br />
von nicht evaluierten, nicht abgestimmten und<br />
nicht koordinierten Aktionen. Die Chance von MO,<br />
sich politisches Gehör zu verschaffen, ist enorm<br />
Talkrunde<br />
groß, müsse allerdings auch entsprechend genutzt<br />
werden. Eine Hürde sieht er im Problembewusstsein<br />
der MO, welches sich von dem der Vertreter aus der<br />
deutschen Trägerlandschaft unterscheide. Einen<br />
grundsätzlichen Verbesserungsbedarf sieht er in den<br />
Bereichen Steuerung, Moderation und Netzwerkbildung<br />
auf kommunaler Ebene.<br />
Dr. Ansgar Klein:<br />
Dr. Ansgar Klein macht deutlich, dass das <strong>BBE</strong> weiterhin<br />
seine im erfreulichem Maße von den MO angenommene<br />
Rolle als Plattform zur Vernetzung zu<br />
migrationspolitischen Belangen zur Verfügung stellen<br />
werde. Er verweist auf die Arbeitsgruppe 5 „Engagement<br />
von Migrantinnen und Migranten und die<br />
Stärkung von <strong>Migrantenorganisationen</strong>“ des <strong>BBE</strong> und<br />
bittet die Tagungsteilnehmer um Kontaktierung der<br />
Ansprechpartner bei Interesse. Abschließend gibt er<br />
einen kurzen Überblick über das geplante organisatorische<br />
Vorgehen des Nationalen Forums für Engagement<br />
und Partizipation im Jahr 2010. Im Rahmen<br />
der einzelnen Dialogforen spricht er sich ausdrücklich<br />
für die Teilnahme von MO aus. Im Vorfeld sollte<br />
untereinander vereinbart werden, welche MO an welchem<br />
thematischen Forum je nach inhaltlicher Ausrichtung<br />
teilnimmt. Zuletzt verweist er auf das Thema<br />
der nachhaltigen Infrastrukturförderung, welches im<br />
Forum von besonderer Bedeutung ist.<br />
<strong>BBE</strong> - Dokumentation 63
Arbeitsgruppe Migration/Integration des <strong>BBE</strong><br />
1. Selbstverständnis und Anliegen der Arbeitsgruppe<br />
Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements<br />
von und mit Migrantinnen und Migranten<br />
muss als eine Querschnittsaufgabe sowohl der Engagementpolitik<br />
als auch der Arbeit des Bundesnetzwerks<br />
verstanden werden. Insofern findet das<br />
Thema Berücksichtigung in allen Arbeitsgruppen<br />
des Netzwerks. Es hat sich aber dennoch gezeigt,<br />
dass die Verankerung des Themas Migration/<br />
Integration als Querschnittthema im Sinne eines<br />
interkulturellen Mainstreaming in Politik und Praxis<br />
noch nicht weit fortgeschritten ist und daher<br />
eine eigenständige Arbeitsgruppe, die das Themengebiet<br />
„bürgerschaftliches Engagement in der<br />
Einwanderungsgesellschaft“ behandelt, weiterhin<br />
nötig ist, um die unterschiedlichen Facetten des<br />
Themenbereichs zu bündeln und gezielt Handlungs-<br />
und Förderstrategien zu entwickeln.<br />
2. Zentrale (Teil)Themen<br />
• Förderung des bürgerschaftlichen Engagements<br />
von und mit Migrantinnen und Migranten in Migrantenselbstorganisationen,Nichtregierungsorganisationen,<br />
Wohlfahrtsverbänden, Infrastruktureinrichtungen<br />
des Freiwilligensektors, sowohl in formellen<br />
wie in informellen und nicht-organisierten Gruppen<br />
oder Communities<br />
• Förderung der Wahrnehmung und Anerkennung des<br />
Engagements von Migrantinnen und Migranten, sowohl<br />
im Bereich der Migrantenselbstorganisationen<br />
als auch im traditionellen Freiwilligensektor<br />
• Erweiterung des Verständnisses und der Wissensbasis<br />
von bürgerschaftlichem Engagement unter<br />
Berücksichtigung der Lebenssituation von Migrantinnen<br />
und Migranten<br />
• Interkulturelle Öffnung der Freiwilligendienste<br />
• Weiterbildung, Qualifizierung und Unterstützung<br />
von Migrantenselbstorganisationen<br />
64 <strong>BBE</strong> - Dokumentation<br />
• Förderung der Vernetzung von Migrantenselbstorganisationen<br />
und anderen zivilgesellschaftlichen<br />
Akteuren vor allem auf kommunaler Ebene<br />
• Verzahnung der Arbeitsgruppenarbeit mit anderen<br />
Arbeitsgruppen des <strong>BBE</strong><br />
3. Arbeitsweise und Struktur der Arbeitsgruppe<br />
Die Arbeitsgruppe Migration/Integration nahm im<br />
Mai 2003 ihre Arbeit auf und tagt seitdem viermal<br />
im Jahr. Sie ist sehr heterogen zusammengesetzt.<br />
Ihre Mitglieder vertreten Wohlfahrts-, Kultur- und<br />
Jugendverbände, <strong>Migrantenorganisationen</strong>, Stiftungen,<br />
Kommunen und Bundesländer, Vereine und<br />
Verbände in der praktischen Arbeit für/mit Migrantinnen<br />
und Migranten und wissenschaftliche Institute.<br />
Darüber hinaus nehmen je eine Vertreterin der<br />
Beauftragten der Bundesregierung für Migration,<br />
Flüchtlinge und Integration und des Bundesamts für<br />
Migration und Flüchtlinge an der Arbeitsgruppe teil.<br />
Da<strong>durch</strong> werden die unterschiedlichsten Perspektiven<br />
in die Arbeitsgruppe eingebracht. Die Arbeitsgruppe<br />
zählt derzeit 25 aktive Mitglieder und einen<br />
Verteiler von weiteren 20 Interessierten.<br />
Ansprechpartner:<br />
Sprecherin: Susanne Huth<br />
susanne.huth@inbas-sozialforschung.de<br />
Stellvertretende Sprecherin: Prof. Dr. Siglinde Naumann<br />
naumann@fh-nordhausen.de<br />
Stellvertretender Sprecher: Sebastian Beck<br />
sbeck@vhw.de
Weitere Materialien zum Thema<br />
<strong>Integrationsförderung</strong> <strong>durch</strong> <strong>Migrantenorganisationen</strong>: Kompetenzen –<br />
Ressourcen – Potentiale und Förderkonzepte in Ost und West<br />
Dokumentation einer Fachtagung am 11. und 12. Oktober 2008<br />
Die dritte Fachtagung des <strong>BBE</strong> behandelte die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen<br />
und Ausgangslagen von MO in West- und Ostdeutschland und die<br />
sich daran anschließenden Bereiche für die Förderung.<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> als Akteure der Zivilgesellschaft:<br />
<strong>Integrationsförderung</strong> <strong>durch</strong> Weiterbildung<br />
Dokumentation einer Fachtagung am 14. und 15. Dezember 2007 in Nürnberg<br />
Für das bürgerschaftliche Engagement von Migrantinnen und Migranten sind<br />
<strong>Migrantenorganisationen</strong> (MO) von erheblicher Bedeutung. Wie können MO<br />
besser in die Lage versetzt werden, dieses Engagement zu entwickeln und<br />
zu fördern? Die Dokumentation einer Fachtagung des <strong>BBE</strong> zusammen mit<br />
Partnerorganisationen gibt Auskünfte.<br />
Qualifizierungs- und Weiterbildungsbedarfe von<br />
Migrantenselbstorganisationen<br />
Dokumentation eines Fachworkshop am 2. Dezember 2006 in Oberhausen<br />
Wie können die Weiterbildungsbedarfe von <strong>Migrantenorganisationen</strong> (MO)<br />
gelöst werden, um ihre Rolle als Trägerstrukturen für das bürgerschaftliche<br />
Engagement von Migrantinnen und Migranten zu stärken? Die Dokumentation<br />
der <strong>BBE</strong>-Fachveranstaltung führt in die Diskussion ein und gibt<br />
Handlungsempfehlungen.<br />
Die Materialien können als PDF-Datei im Internet unter www.b-b-e.de/downloads.html abgerufen werden. Als<br />
Printversion sind die Materialien, solange der Vorrat reicht, auch über die Geschäftsstelle des <strong>BBE</strong> erhältlich:<br />
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement,<br />
Michaelkirchstr. 17/18<br />
10179 Berlin
ISBN 978-3-00-030964-9<br />
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