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Rauszeit 2015-01

Das Kundenmagazin von Basislager, Camp4, Kletterkogel, Sack und Pack und SFU (Ausgabe 2015/01)

Das Kundenmagazin von Basislager, Camp4, Kletterkogel, Sack und Pack und SFU (Ausgabe 2015/01)

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RAUSZEIT<br />

RAUSZEIT<br />

Ausgabe<br />

Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

MENSCHEN. WEGE. ABENTEUER.<br />

FOTO Philipp Schuppli<br />

FOTO Goalzero<br />

FOTO Hilleberg<br />

FOTO Dan Patitucci<br />

ERLEBT<br />

BESSERWISSER<br />

NACHGEFRAGT<br />

Preis: 2,00 €<br />

Mit dem Packraft durch die wilden<br />

Schluchten des Val Grande Nationalparks.<br />

Märchenhaft schöne Natur im<br />

Herzen der Alpen.<br />

Mehr auf S. 12<br />

Stromversorgung fernab jeder Steckdose?<br />

Der Besserwisser zeigt, wie<br />

man auch unterwegs Kamera, GPS<br />

und Handy laden kann.<br />

Mehr auf S. 18<br />

Ein Termin bei Dr. Zelt. Bo Hilleberg versorgt<br />

Outdoor-Enthusiasten seit über 40<br />

Jahren mit den besten Zelten der Welt.<br />

Sein Antrieb ist die Liebe zur Natur.<br />

Mehr auf S. 22


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

WILDNIS-EINZIMMERWOHNUNG<br />

»Enan« heißt das neue, ultraleichte Einpersonen-Zelt von Hilleberg. »Unser Ziel war es, ein<br />

Solo-Zelt für den Dreijahreszeiten-Einsatz zu entwickeln, das extrem leicht und gleichermaßen<br />

sehr robust ist«, beschreibt Gründer und Chef-Entwickler Bo Hilleberg den »Familienzuwachs«.<br />

Neben der Konstruktion ist vor allem das neue Außengewebe interessant: Kerlon 600 ist ein<br />

dreifach mit Silikon beschichtetes Nylon-Ripstop-Gewebe mit einer erstaunlich hohen Weiterreißfestigkeit<br />

(6 kg) bei sehr geringem Flächengewicht (26 g/m 2 ). Das Enan kommt mit nur einem<br />

neun Millimeter starken Aluminium-Gestängebogen (DAC NSL) aus, d. h. sauberes Abspannen<br />

ist Pflicht. Ultraleicht-Fetischisten werden über das reine Gewicht von 1,1 Kilogramm nicht komplett<br />

ins Schwärmen geraten. Wenn sie jedoch erlebt haben,<br />

was die kleine Nylon-Hütte aushält, wenn das Wetter<br />

umschlägt, werden sie dies wahrscheinlich nachholen.<br />

Hilleberg hat einen Ruf zu verlieren –<br />

und den verteidigen sie mit dem Enan in<br />

gewohnter Manier.<br />

Hilleberg Enan<br />

Preis: 668,95 Euro<br />

FOTO Hilleberg<br />

STANDPUNKT<br />

FOTO Sawyer<br />

Was für ein Phänomen! Tagelang schlapp,<br />

matt, lustlos und müde. Und dann: Nur ein<br />

kurzer Ausflug ins Wäldchen um die Ecke hat<br />

schon gereicht und der Akku ist zumindest<br />

wieder im mittleren Bereich. Kann die Natur<br />

in so kurzer Zeit wirklich eine so viel bessere<br />

Wirkung haben als zig Tassen frisch gebrühter<br />

Kaffee? Sie kann. Und eigentlich spüren<br />

wir das auch immer wieder. Diese Kraft, die in uns zurückkehrt, die Ruhe und die Erholung, wenn<br />

wir außerhalb von Betonwüsten, Straßenwirrwarr und Stadthektik Zuflucht suchen. Einige Menschen<br />

sind empfänglicher für dieses Erlebnis als andere. Und einigen Orten wird eine besonders<br />

starke Ausstrahlung zugeschrieben. Zahlreiche Bücher wurden über solche »Kraftorte« verfasst.<br />

Nach esoterischen Vorstellungen sollen sie eine besondere Erdstrahlung haben, der eine beruhigende,<br />

stärkende oder das Bewusstsein erweiternde Wirkung zugeschrieben wird. Die Natur ist<br />

in der Geomantik – der spirituellen Lehre von Kraftorten – überall zu finden. Quellen, Schluchten,<br />

Berggipfel, Höhlen, Felsformationen, Steine, alte Bäume – ihnen werden in Mythen und Sagen magische<br />

Kräfte zugesprochen, von der Heilung bis zum Jungbrunnen. In Deutschland zum Beispiel<br />

gelten die Externsteine, eine markante Sandsteinformation im Teutoburger Wald, in »Fachkreisen«<br />

als Kraftort.<br />

Aber die Annahme, die Kraft der Natur nur an wenigen ausgewählten Orten zu spüren, ist unserer<br />

Meinung nach falsch. Denn selbst ganz ohne esoterische Antennen können wir immer wieder<br />

feststellen, welch’ positive Wirkung die ZEIT im Freien hat. Dabei muss es bei Weitem nicht immer<br />

die große Tour sein. Die magischen Momente, von denen wir stunden-, tage-, ja manchmal<br />

wochenlang zehren können, sind oft auch die kurzen Episoden. Sich zu überwinden, eine Stunde<br />

früher aufzustehen, RAUS zu gehen und mitzuerleben, wie der Tag bei fröhlichstem Vogelgezwitscher<br />

lautstark und zugleich leise erwacht. Beim Paddeln auf dem heimischen See in der Morgendämmerung<br />

die ersten Sonnenstrahlen zu spüren, während der Nebel die Wasseroberfläche noch<br />

verhüllt. Oder die »frisch gewaschene« Waldluft in die Lungenflügel zu saugen, nachdem man<br />

eingehüllt in die Gore-Tex-Ausrüstung eine Stunde mutterseelenallein durch den Regen gelaufen<br />

ist. Kann man einen unvermeidbaren Bürotag nicht besser beginnen, als mit einer Ladung Sauerstoff<br />

im Fahrtwind auf dem Tourenrad? Und wenn dabei noch die Morgensonne durch die Bäume<br />

blitzt und mit ihren Strahlen den Tau auf den Pflanzen zum Dampfen bringt, ist das unsere tägliche<br />

Kraft-Tankstelle. Unsere kurze, aber so heilsame RAUSZEIT. In diesen Momenten spüren wir den<br />

genius loci, den »Geist des Ortes«, die Seele der Natur, und finden den Grund für unsere Leidenschaft,<br />

immer wieder RAUS zu gehen.<br />

Viel Kraft wünschen Andreas Hille, Michael Bode und Teams<br />

TRINKSCHLAUCH<br />

Ein Liter Wasser wiegt ein<br />

Kilogramm. Der »Mini Filter<br />

von Sawyer« bringt es auf ganze 57<br />

Gramm. Wer ihn mit auf Tour hat, trägt<br />

also leicht und kann – laut Hersteller – bis<br />

zu 380.000 Liter Wasser zu Trinkwasser filtern.<br />

Selbst ein Hundertstel davon sollte die tatsächlich benötigte<br />

Menge locker abdecken. Der Mini Filter wird einfach<br />

auf eine Flasche oder einen Wassersack geschraubt – oder direkt<br />

als Strohhalm verwendet. Wie funktioniert das Ganze? Der Filter besteht<br />

aus sehr kleinen Poren, an denen kleinste, mit Bakterien versetzte<br />

Schwebstoffe hängenbleiben. Entfernt werden auf diese Weise<br />

99,9 Prozent aller biologischen Schadstoffe, wie z. B. Salmonellen-,<br />

Cholera- oder Escherichia-coli-Bakterien. Nur Schwermetalle oder<br />

Chemikalien kann er nicht abtrennen. Wer den Sawyer Wasserfilter<br />

regelmäßig durchspült, kann mit einer hohen Lebensdauer rechnen.<br />

Das sollte für einen lebenslangen Wasservorrat reichen. Prost!<br />

Sawyer Mini Filter<br />

Preis: 39,95 Euro<br />

Foto Titelseite<br />

Hardergrat im Berner Oberland in der Schweiz. Mit<br />

20 Kilometern Länge, spektakulären Ausblicken<br />

und eindrücklichen Stimmungen lohnt diese Gratwanderung<br />

jeden Schweißtropfen, den man bei den<br />

1500 Höhenmetern Aufstieg vergossen hat.<br />

Fotografiert von Dan Patitucci/patitucciphoto.com<br />

2


FOTO Exped<br />

FOTO Bergans<br />

RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

FOKUS<br />

FUNKTION<br />

PACK-PUMPE<br />

Der Schlafkomfort im Freien ist in den vergangenen Jahren stark<br />

gestiegen. Die dicken und damit bequemsten Matten müssen allerdings mit ordentlich<br />

Luft gefüllt werden. Bis dato bedeutete das: Hand auflegen und, einer Herzmassage ähnlich, geduldig pumpen<br />

und pumpen und pumpen. Oder die Lunge bemühen ... Komfortabler und hygienischer – weil keine Feuchtigkeit in die<br />

Isolationsschicht geblasen wird – geht es mit dem »Schnozzel Pumpbag UL M« vom Schweizer Hersteller Exped. Dieser<br />

wasserdichte Kompressionssack mit einem Volumen von 42 Litern dient neben seiner Transportfunktion als praktische<br />

Luftpumpe für alle Exped-Matten. Luft »einfangen«, »einsperren« und dann in die Matte pressen. Wie etwa in die »Synmat<br />

UL 7 M«. Die ist gerade mal 450 Gramm schwer, trotzdem ganze sieben Zentimeter dick und ist zusätzlich mit synthetischer,<br />

isolierender Füllung ausgestattet. Dadurch bietet sie bei Temperaturen bis zu -4 Grad ausreichend Komfort.<br />

Zwei bis drei Luftfüllungen mit dem Schnozzelbag und das Bett ist gemacht – ohne aus der Puste zu sein.<br />

Exped Schnozzel Bag UL M/Exped Synmat UL 7 M<br />

Preis Schnozzel Pumpbag UL M: 26,95 Euro<br />

Preis Synmat UL 7 M: 119,95 Euro<br />

Die norwegische Marke Bergans setzt seit einigen<br />

Jahren auf eine Dermizax-Membran als Alternative zu<br />

Gore-Tex. Der Unterschied: Die Dermizax-Membran<br />

aus Polyurethan (PU) ist nicht mit Poren durchsetzt,<br />

sondern transportiert die Schwitzfeuchtigkeit über<br />

Moleküldiffusion. Das wasserdichte Material hat zudem<br />

einen leichten Stretch, was den Bekleidungsteilen<br />

einen sehr hohen Tragekomfort verleiht. Was die<br />

»Letto Jacket« auszeichnet, ist ihr geringes Packvolumen<br />

bei voller Ausstattung. Dadurch ist die Drei-<br />

Lagen-Jacke ein sehr guter Begleiter auf mehrtätigen<br />

Rucksacktouren. Denn eigentlich holt man eine<br />

Hardshell-Jacke nur aus dem Rucksack, wenn man sie<br />

tatsächlich braucht. Das Design ist bewusst reduziert<br />

gehalten, was sich im geringen Gewicht niederschlägt:<br />

Gerade einmal 400 Gramm wiegt die Letto Jacket.<br />

Bergans Letto Jacket Men<br />

Preis: 229,95 Euro<br />

SCHLAU KOMBINIERT<br />

Das kanadische Unternehmen Arc’teryx kauft seine Gore-Tex-Laminate nicht einfach<br />

»von der Stange«, sondern tüftelt seit langer Zeit selbst an den Oberstoffen mit (siehe<br />

auch Arc’teryx Firmenporträt auf S. 20). Denn darin liegt eines der Erfolgsgeheimnisse<br />

einer guten Wetterschutzjacke. Das Nylon-Außenmaterial, welches mit der wasserdichten<br />

Membran laminiert wird, sollte so dicht gewoben<br />

sein, dass die Wassertropfen aufgrund ihrer eigenen<br />

Oberflächenspannung bereits beim Auftreffen an<br />

der engen Gewebestruktur »scheitern«. Je dichter<br />

die Nylon-Fasern des Oberstoffes gewoben<br />

sind, desto robuster und abriebfester ist er<br />

– mit leichten Einbußen beim Durchlass<br />

von Schwitzfeuchtigkeit. Bei dem Modell<br />

»Beta AR Jacket« hat Arc’teryx zwei<br />

verschieden starke, mit Gore-Tex Pro<br />

Membran ausgerüstete Materialien<br />

kombiniert: höchste Robustheit an<br />

den Schultern, guter Wasserdampfdurchlass<br />

am restlichen Korpus. In<br />

puncto Ausstattung ist die Beta AR<br />

für den Allround-Einsatz konzipiert,<br />

d. h. zwei große, Hüftgurt-taugliche<br />

Seitentaschen, eine Innentasche, helmtaugliche<br />

und dreifach justierbare Kapuze.<br />

Bereit für jedes Draußen-Erlebnis!<br />

Arc‘teryx Beta AR Jacket Women<br />

Preis: 499,95 Euro<br />

PERFEKTE PASSFORM<br />

Achtung vor dieser Hose! Denn die »Authentic<br />

Pant« von Lundhags sitzt so verdammt<br />

gut, dass man sie eigentlich nicht<br />

wieder ausziehen möchte. Sie geht mit<br />

ihrem Träger durch jedes Frischluft-<br />

Abenteuer - egal ob Harz oder Härjedalen.<br />

Gefertigt ist sie aus Polycotton, einem<br />

speziellen Mischgewebe aus biologischer<br />

Baumwolle und besonders robusten Polyesterfasern.<br />

Die Innenbeinabschlüsse sind<br />

mit Cordura verstärkt, an Knien, Gesäß<br />

und im Schritt sind zusätzliche Stretch-<br />

Einsätze aus Schoeller-Material integriert.<br />

Alle Materialien sind fluorcarbonfrei<br />

– inklusive der langlebigen Imprägnierung.<br />

Um sich gegen Mücken, Krabbelgetier oder<br />

Gestrüpp zu schützen, haben die Nordschweden<br />

verstellbare Beinabschlüsse<br />

und Schuhhaken integriert. Praktische<br />

Seiten-Taschen bieten ausreichend Stauraum<br />

für Karten und anderen Kleinkram.<br />

Erhältlich ist die Authentic Pant in drei<br />

Längen, zahlreichen Farben und als Damen-<br />

und Herrenmodell.<br />

Lundhags Authentic Pant<br />

Preis: 169,95 Euro<br />

Alle Produkte aus dieser Zeitschrift gibt es bei<br />

Basislager CAMP4 SFU SFU KLETTERKOGEL<br />

Kaiserstraße 231 Karl-Marx-Allee 32 Schmiedestraße 24 Neue Straße 20 Garde-du-Corps-Str. 1<br />

76133 Karlsruhe 1<strong>01</strong>78 Berlin 3<strong>01</strong>59 Hannover 38100 Braunschweig 34117 Kassel<br />

www.basislager.de www.camp4.de www.sfu.de www.sfu.de www.kletterkogel.de<br />

Allgemeine Anfragen und Anregungen bitte an redaktion@rauszeit.net .<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt:<br />

Michael Bode, Andreas Hille<br />

Redaktion & Konzept: outkomm GmbH, Eichbergerstrasse 60,<br />

CH - 9452 Hinterforst, www.outkomm.ch, redaktion@rauszeit.net<br />

Layout & Produktion: ALPENBLICKDREI.com<br />

Druck: Bechtle Druck & Service GmbH<br />

Copyright: Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung<br />

ist ohne Zustimmung der Herausgeber unzulässig und strafbar.<br />

3


CHEF KOCHT<br />

Ratatouille auf dem Campingkocher<br />

Zutaten:<br />

Oft sind die simplen Dinge die besten. Auch in der Küche<br />

– wenn man sie richtig zubereitet. Mathias Hascher,<br />

einer der CAMP4-Chefs, zeigt, wie man den Klassiker<br />

Ratatouille auf Tour so richtig gut hinbekommt.<br />

Je 1 kleine Aubergine, Zucchini und rote Paprika<br />

2 kleine Möhren<br />

2 Knoblauchzehen<br />

2 Tomaten<br />

Penne Rigate nach Belieben<br />

Salz, Pfeffer, Olivenöl,<br />

frischer Rosmarin<br />

Ausrüstung:<br />

1 Kocher, 2 Töpfe,<br />

1 Pfanne<br />

Zubereitung:<br />

Entscheidend ist bei<br />

diesem Schmorgericht<br />

die Reihenfolge.<br />

Landet alles gleichzeitig<br />

auf dem Campingkocher,<br />

entsteht<br />

ein matschiger Brei. Als Erstes etwas weniger Wasser als<br />

üblich mit Salz zum Kochen bringen, dann die Penne rein.<br />

Wichtig: nur die halbe Kochzeit. In der Zwischenzeit die<br />

Aubergine in circa sieben Millimeter kleine Würfel schneiden.<br />

Die Penne vom Kocher nehmen. Abdecken, aber nicht<br />

abgießen. Die Auberginen mit wenig Öl in die Pfanne geben<br />

und bei voller Hitze lecker anrösten. Nach 10 bis 15 Minuten<br />

kommen erst die fein geschnibbelten Zucchini dazu,<br />

bis sie ebenfalls angeröstet sind. Dann die dünn geschnittenen<br />

Möhren und Paprika ebenfalls knackig anbruzzeln<br />

und Knoblauch in die Pfanne. Sobald das Gemüse fertig<br />

ist, die Nudeln kurz durchrühren, nochmals etwas erwärmen<br />

und abgießen. Achtung: Das Nudelwasser unbedingt<br />

in einer Tasse auffangen! Anschließend das Olivenöl auf<br />

kleiner Flamme erwärmen, den Knoblauch anschmelzen,<br />

Tomatenstücke hinzugeben und alles etwas einköcheln.<br />

Es folgt das geröstete Gemüse und als Krönung etwas<br />

Nudelwasser. Dank des salzigen Stärkegehalts entsteht<br />

so eine herrlich sämige Soße mit knackigem Röstgemüse<br />

darin. Im geschlossenen Topf ca. fünf Minuten mit<br />

dem Rosmarin köcheln lassen, abschmecken – und voilà:<br />

Frischluft-Ratatouille à la chef!<br />

Tipp: Mit frisch gepflückten<br />

Löwenzahnblättern garnieren!<br />

SCHARFER ZWERG<br />

Das SanYouGo von Böker beweist: Es kommt nicht immer<br />

auf die Größe an. Das nur 14,2 Zentimeter große Messer<br />

bringt die Präzision eines japanischen Küchenmessers<br />

auf Taschenmesser-Größe. Nur 70 Gramm<br />

leicht begleitet es jede Tour.<br />

Preis: 54,95 Euro<br />

www.camp4.de<br />

FOTO Lafouche/Petzl<br />

STARKE WORTE<br />

Aus dem Café Kraft in der Kletterhalle Nürnberg<br />

kommt eine Trainingsanleitung für kletterspezifische<br />

Kraftübungen. Laut Vertikal-Legende Wolfgang Güllich<br />

ist genügend Kraft ein Zustand, den es gar nicht<br />

gibt. Doch: Eine Anleitung, wie man im alltäglichen<br />

Training seine eigenen Kraft-Grenzen auslotet und<br />

ausbaut, bekommen ambitionierte Kletterer und<br />

Boulderer mit diesem Trainingsbuch präsentiert. Die<br />

Illustrationen sowie die beigefügte DVD machen die<br />

Übungen anschaulich und helfen, Fehler zu vermeiden.<br />

Das Buch »Gimme Kraft« hat echtes Klassiker-<br />

Potenzial.<br />

Gimme Kraft<br />

Preis: 29,90 Euro<br />

KLETTER-KLASSIKER<br />

Petzl hat vor Jahren mit dem »Hirundos«<br />

einen Klassiker gebaut. Seine Neuauflage<br />

vereint enorme Leichtigkeit mit hohem Tragekomfort.<br />

Nur 280 Gramm wiegt der Hirundos<br />

in Größe M und steckt dennoch voller<br />

technischer Raffinessen: Die Rahmenkonstruktion<br />

ist so angelegt, dass das Gewicht<br />

des Kletterers gleichmäßig verteilt wird, die<br />

leichte Polsterung aus thermogeformtem<br />

Schaum reduziert unangenehmen Druck. Bewusst<br />

hat Petzl auf Stichnähte verzichtet, um<br />

Druck- und Scheuerstellen zu vermeiden.<br />

Die Beinschlaufen sind<br />

nun elastisch, was absolute<br />

Bewegungsfreiheit schafft.<br />

Die Anordnung der Materialschlaufen<br />

ist sehr durchdacht:<br />

zwei große, starre Schlaufen vorne,<br />

die den schnellen Zugriff auf<br />

die Ausrüstung ermöglichen,<br />

und zwei flexible Schlaufen<br />

hinten, die beim Tragen eines<br />

Rucksacks nicht stören. Modellpflege<br />

gelungen!<br />

Petzl Hirundos<br />

Preis: 89,95 Euro<br />

UNTERNEHMUNGS-BERATER:<br />

Ben Biggel<br />

Ruhig, entspannt und ausdauernd. So lässt es Ben nicht<br />

nur bei seinem Hobby Weitwandern angehen. In der Stadt<br />

geht’s mit Freunden erst zum Baden oder »Slacken«<br />

und dann ans Lagerfeuer. Hauptsache draußen! Wenn<br />

es ernst wird – in den Alpen zum Beispiel –, dann zieht<br />

Ben aber gerne auch mal alleine los. Denn: »Wer in Berlin<br />

wohnt und lebt, braucht auch mal Zeit nur für sich und die<br />

Natur«, findet Ben. Die Zeit hat er, wenn er vier Wochen<br />

und mehr beim Wandern ist, in den Alpen oder bald auch<br />

im Himalaya.<br />

Seit wann im CAMP4?<br />

Seit drei Jahren.<br />

Gelernter Beruf?<br />

Ich habe meinen Bachelor in Politikwissenschaften und<br />

Geographie gemacht – und den Master in Sicherheitspolitik<br />

draufgesetzt.<br />

Lieblingsverkaufsbereich und warum?<br />

Rucksäcke! Weil man da sooooo viel falsch machen kann<br />

und ich das den Kunden gerne ersparen möchte. Es gibt<br />

nichts Wichtigeres auf Tour, als einen wirklich komfortablen,<br />

nicht zu großen, nicht zu kleinen Rucksack, der aushält,<br />

was man ihm antut.<br />

Lieblingsausrüstungsgegenstand?<br />

Ganz eindeutig: meine Therm-A-Rest Solar Mat! Weil sie<br />

so simpel, unverwüstlich und sehr vielfältig einsetzbar<br />

ist. Klassischen Komfort gibt’s bei mir eher zu Hause.<br />

Welches Reiseziel steht ganz oben auf deiner »Liste«?<br />

Das wirklich große Ziel wäre der Great Himalaya Trail.<br />

Natürlich nicht komplett, aber einen Teil davon in Nepal.<br />

Realistisch betrachtet, läuft es aber in naher Zukunft auf<br />

den GR 20 durch Korsika oder den GR11 in den Pyrenäen<br />

hinaus.<br />

4


ÜBRIGENS …<br />

FOTO Vaude<br />

NACHHALTIGKEIT KOMMT VON HALTEN<br />

STÄNDIGER BEGLEITER<br />

So groß wie ein Apfel und vermutlich noch leichter.<br />

Gerade einmal 155 Gramm bringt die minimalistische<br />

Windjacke »Squamish Hoody« von Arc’teryx auf die<br />

Waage. Da sie in der Brusttasche komplett verstaubar<br />

ist, eignet sie sich für den Alltagseinsatz oder als Notfallwetterschutz<br />

in der wärmeren Jahreszeit. Gegen<br />

Nebel, Nieselregen oder einen leichten Schauer ist die<br />

Jacke mit einer wasserabweisenden Imprägnierung auf<br />

dem Nylon-Ripstop-Gewebe ausgestattet. Die Kapuze<br />

ist helmkompatibel, und mit einer verlängerten Rückenpartie<br />

wäre das Squamish Hoody auch eine gute Wahl<br />

für Ausflüge mit dem Rad. Dank minimalem Packmaß<br />

nimmt es im Rucksack kaum Platz weg. Beim Sportklettern<br />

lässt sich das Jäckchen einfach am Klettergurt befestigen,<br />

um z. B. beim Sichern schnell vor Auskühlung<br />

zu schützen. Kurz gesagt: ein ständiger Begleiter.<br />

Arc‘teryx Squamish Hoody<br />

Preis: 139,95 Euro<br />

Das Wort »Nachhaltigkeit« liest und hört man oft in den vergangenen Jahren. Nachhaltig zu leben ist en vogue,<br />

ein Trend sozusagen. Ratgeber und Zertifikate zu dem Thema gibt es reichlich. Sogar unsere Bundesregierung<br />

bietet auf ihrer Homepage Hilfestellung zu einem nachhaltigen Leben an. Auch die Outdoor-Branche tut eine ganze<br />

Menge, um den Anforderungen gerecht zu werden. Interessant ist, dass es zahlreiche Hersteller gibt, die bereits<br />

seit Jahrzehnten sehr nachhaltig wirtschaften, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Einfach aus Überzeugung<br />

und nicht aus Zwang. Sie folgen – bewusst oder unbewusst – der Definition, die zum Beispiel Wikipedia angibt:<br />

»Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem die Bewahrung der wesentlichen<br />

Eigenschaften, der Stabilität und der natürlichen Regenerationsfähigkeit des jeweiligen Systems im Vordergrund<br />

steht.« Beim nordschwedischen Zelthersteller Hilleberg gilt der Ansatz, dass ein Ausrüstungsgegenstand dann am<br />

nachhaltigsten – und somit auch am sinnvollsten – ist, wenn man sich in der Wildnis voll und ganz darauf verlassen<br />

kann und er zugleich seinen Dienst über viele, viele Jahre anständig verrichtet. Nachhaltig kommt schließlich<br />

von halten. Gleichzeitig bietet Hilleberg an, auch nach intensivem Gebrauch zu einem sehr fairen Preis Reparaturen<br />

jeder Art – wie etwa das Einsetzen eines neuen Zeltbodens – vorzunehmen. Patagonia forderte seine Kunden<br />

vor einiger Zeit (und bis heute) in seinem »Worn Wear«-Programm dazu auf, beschädigte Ausrüstung nicht durch<br />

neue zu ersetzen, sondern sie reparieren zu lassen. Das mag auf den ersten Blick geschäftsschädigend klingen,<br />

der Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft verleiht es aber Nachdruck. Zumal: Jede nachträglich angebrachte Naht auf<br />

einer Jacke, jede »Narbe« in einer Zelthaut und jede Neubesohlung des geliebten Trekkingschuhs erzählt doch<br />

eine eigene Geschichte. Fast so, als würde man ins Fotoalbum der persönlichen Tourenerlebnisse gucken. Ob r e-<br />

parieren oder neu produzieren, es ist echte Handwerkskunst, einen langlebigen Ausrüstungsgegenstand (wieder-)<br />

herzustellen. Einen guten Ansatz, wie man mit einer ökologisch und sozial vertretbaren Fertigung ein zuverlässiges<br />

Produktergebnis erzielen kann, zeigt auch das Beispiel Vaude. Das oberschwäbische Unternehmen, das sogar eine<br />

kleine »Made in Germany«-Kollektion am eigenen Standort in Obereisenbach herstellt, greift in seinen Bemühungen<br />

die wichtigen Punkte auf und bleibt dennoch realistisch.<br />

Nämlich mit der Ansage, dass es noch sehr viel zu tun gibt,<br />

um eine gänzlich ausgeglichene Nachhaltigkeitsbilanz zu<br />

erreichen. Aber ähnlich Patagonia ist bei Vaude seit vielen<br />

Jahren ein ökologisch und sozial bewusstes Handeln<br />

fest in der Unternehmensphilosophie verankert. Damit<br />

tragen sie – und viele andere Outdoor-Marken – dazu<br />

bei, dass aus dem Trend Nachhaltigkeit ein fester<br />

Bestandteil unseres Handelns wird.<br />

HOMEOFFICE-HERBERGE<br />

Gleich mehrere Eigenschaften der Umhängetasche Norderney geben ihrem Nutzer ein gutes Gefühl: Ihre Bestandteile<br />

sind möglichst umweltschonend produziert, ihre Fertigung erfolgt in Deutschland und sie bietet einem<br />

Laptop und allen weiteren Inhalten gut gepolsterte und wasserdichte Sicherheit. Im Detail: Das Material ist ein mit<br />

Polyurethan beschichtetes und dadurch wasserdichtes Textilgewebe. Dadurch ist es PVC-frei, umweltbelastende<br />

Weichmacher – die z. B. in LKW-Planen enthalten sind – werden vermieden. Als Teil der »Made in Germany«-Kollektion<br />

von Vaude werden die Einzelteile in der hauseigenen Produktion im schwäbischen Obereisenbach »zusammengebaut«.<br />

Neben Einschubfächern und kleineren Taschen bietet die Norderney Platz für ein 13-Zoll-Notebook.<br />

Vaude Norderney<br />

Preis: 85,- Euro<br />

VEGANER-SCHLAFSACK<br />

Die Zeiten, in denen ausschließlich Daunenschlafsäcke ein leichtgewichtiges Schlafsackvergnügen bereiteten, sind vorbei. Die Kinderkrankheiten<br />

des Kunstfaserfüllmaterials sind ausgemerzt, zumindest bei den Schlafsack-Linien »Lamina 20« und »Laminina 20« von<br />

Mountain Hardwear. Neben der besonders leichten und langlebigen Thermal.Q-Füllung aus Synthetikfasern, ist an den Modellen vor<br />

allem die nahtarme Verarbeitung mit – nomen est omen – Laminierungen ausschlaggebend. Dadurch werden Kältebrücken deutlich<br />

reduziert. Mit einem Gewicht von nur 1,3 Kilogramm – für einen Dreijahreszeiten-Kunstfaserschlafsack sensationell – und einem absolut<br />

tourentauglichen Packmaß lässt er die Nachteile früherer Synthetikmodelle schnell vergessen. Die Fuß-Box des Damenmodells<br />

Laminina 20 ist zudem so konzipiert, dass Kompression und damit Verlust von Isolationskraft und Wärme entgegengewirkt wird. Der<br />

Komfortbereich beider Modelle ist für Dreijahreszeiten-Einsätze ausgelegt – vom Trekking in Lappland bis zum Tourenrad in Galizien.<br />

Mountain Hardwear Lamina 20/Laminina 20<br />

Preis: ab 169,95 Euro<br />

5


Ein bisschen Lofoten mitten im Allgäu: Die Höfats (2259 m) ist ein extrem steiler Grasberg mit einzigartig schöner Botanik. Besonders, wenn sie in der Abendsonne strahlt. Fotografiert von Bastian Morell.<br />

Kein fremder Planet, sondern der brasilianische Nationalpark Lençois Maranhenses an der nördlichen Atlantikküste. Nach heftigen Regenfällen wird die<br />

Dünenlandschaft jedes Jahr zum Naturschauspiel. Heimische Fischer nutzen dann ihre Chancen auf einen guten Fang. Fotografiert von George Steinmetz.<br />

6


RAUSZEIT Winter 2<strong>01</strong>4/<strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

RAUSBLICK<br />

ES IST VERMESSEN ZU GLAUBEN,<br />

WIR MENSCHEN KÖNNTEN DIE NATUR<br />

BEHERRSCHEN. ABER JE KLEINER<br />

WIR UNS FÜHLEN, DESTO GRÖSSER IST<br />

DAS GLÜCKSGEFÜHL …<br />

Einmal tief durchatmen. Fast 800 Meter in die Senkrechte fällt die Nordwestwand des Half Dome im kalifornischen Yosemite Nationalpark ab.<br />

Alex Honnold meisterte die Route free solo, also ohne Seil. Fotografiert von Jimmy Chin.<br />

Blaue Stunde am grünen See. Patagonien verzaubert seine Besucher, meistens mit beeindruckenden Stürmen - und manchmal mit windstillen Sonnenuntergängen. Camping mit Aussicht am Lago Verde im Torres del Paine Nationalpark. Fotografiert von Ralf Gantzhorn.<br />

7


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

ERLEBT: Vulkan-Reisen auf den Äolischen Inseln<br />

WANDERN AUF DEM »RING OF FIRE«<br />

Ein paar Fleckchen Erde mitten im Tyrrhenischen Meer, auf der Schuhspitze des italienischen Stiefels, verzaubern Reisende<br />

mit ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit. Verteilt auf sieben Inseln ist für jeden Geschmack und jede Stimmung etwas<br />

dabei. Und nur dort kann man garantiert Vulkanausbrüche beobachten.<br />

»Arrrgh, wenn dich das Vulkanvirus mal erwischt hat,<br />

... dann bist du hoffnungslos verloren«, philosophiert<br />

der 51-jährige Ugo Pegurri aus Bergamo und packt<br />

sich dabei lauthals lachend selbst am Kragen. Ugo ist<br />

staatlich geprüfter Bergführer. Er durchstieg die Matterhorn-Nordwand,<br />

kletterte über den Bianco-Grat,<br />

führte Eistouren im Himalaya und in den Anden. Obendrein<br />

ist er Sicherheitstrainer für Industriekletterer.<br />

»Klar, streng alpinistisch betrachtet ist der Stromboli<br />

bestenfalls zweite Wahl, aber ich sage euch … seit neun<br />

Jahren nehme ich jedes Jahr zwei Monate Urlaub und<br />

führe täglich auf diesen Feuerspucker. Die donnernden<br />

Eruptionen, das Brodeln der Lava – ich glaube, ich bin<br />

süchtig«. Ugo spielt den Resignierten und stapft munter<br />

in der tiefschwarzen Lavaasche voran.<br />

Inseln für jeden Geschmack<br />

Sieben Perlen funkeln nördlich von Sizilien im Tyrrhenischen<br />

Meer – die Äolischen Inseln. Sieben bildhübsche<br />

Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten<br />

und doch alle das gewisse Etwas ihr eigen nennen. Alicudi,<br />

der Außenposten, kein einziges Auto, eine Handvoll<br />

Maulesel erledigt nötige Transporte. Einsame Wanderer<br />

bekommen hier das perfekte Cyber-Detox-Programm<br />

gratis. Filicudi hat immerhin schon eine Straße. Auf den<br />

mittelalterlichen Steintreppenwegen herrscht garantiert<br />

kein alpiner Rummel. Das fruchtbare Salina mit<br />

seinen beiden Gipfeln, die knapp an der Tausend-Meter-<br />

Marke schrammen. Das mondäne und teure Panarea,<br />

wo Mailänder Multis und römische Industrielle gerne<br />

mit der Hummerzange hantieren. Lipari – die Hauptinsel:<br />

Badebuchten mit türkis glitzerndem Wasser bei<br />

Punta Sparanello, Thermen bei San Calogero und dann<br />

die Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen. Direkt darüber<br />

thront das Castello auf einem 60 Meter hohen Lavafelsen<br />

und offenbart einen kongenialen Tiefblick auf<br />

den alten Hafen, die Marina Corta. Wild mit den Armen<br />

rudernd diskutieren dort wettergegerbte Fischer lautstark<br />

über den Papst, den Fußball und natürlich den wie<br />

immer viel zu mickrigen Fang. Lipari offenbart den geschäftigen<br />

Charme einer Metropole, obwohl es nur ca.<br />

15.000 Einwohner hat. Mit 37,5 Quadratkilometern ist<br />

sie die größte der sieben Äolischen Inseln. Ein mediterranes<br />

Wanderparadies. Wirklich lohnend ist eine Rundtour,<br />

egal, ob zu Fuß oder zeitsparend auf zwei Rädern.<br />

8


HOCHWERTIGE OUTDOOR-AUSRÜSTUNG SEIT 1908<br />

THERE IS MORE<br />

TO EXPLORE<br />

Linke Seite: Vulcano - am Rand des großen Kraters dampft und duftet es.<br />

Oben: Höllisch schön - Ausbruch des Musterknaben Stromboli.<br />

Unten: Die Fischer bleiben davon ungerührt und flicken ihre Netze, wie jeden Tag.<br />

Ein Muss ist der Blick vom »Belvedere Quattrocchi«, einem Aussichtspunkt, bei dem<br />

sich der Betrachter tatsächlich ein zweites Augenpaar wünscht. Aus 200 Metern Seehöhe<br />

reicht der Blick über Agaven, blühende Kakteen und Zistrosen, auf jäh abstürzende<br />

Klippen und frei in der Brandung stehende Felstürme, die »Faraglioni«. Der<br />

Legende nach stellen sie die beiden Finger des zu Stein erstarrten Windgottes Aiolos<br />

dar. Der göttliche Blick endet unweigerlich im 391 Meter hohen »Cran Cratere«, dem<br />

monumentalen Krater der Nachbarinsel Vulcano. Exakt hier befindet sich Homers<br />

Sagen zufolge die Schmiede des antiken Waffenschiebers Hephaistos, den die Römer<br />

später Vulcano nannten. Mitten auf dem den gesamten Erdball umspannenden »Ring<br />

of Fire«, auf Deutsch, dem Gürtel der Vulkane.<br />

Durch Schwefelblumen zum Vulkankrater<br />

Die Überfahrt mit dem Tragflächenboot zu Vulcanos Porto di Levante ist ein Katzensprung,<br />

dauert gerade mal 15 Minuten. Der Weg zum Großen Krater führt zunächst<br />

direkt durch die Ortschaft. Wer noch Ausrüstung benötigt, findet sie bei Luigi Segatta.<br />

Der gebürtige Schwarzwälder verleiht hochwertige Bergstiefel und Wanderstöcke,<br />

aber auch Räder, Mopeds und Cabrios für spannende Inseltouren. Der weitere Wanderweg<br />

ist vorbildlich beschildert, zickzackt zunächst in weiten Serpentinen gemach<br />

auf Lavasand empor und erobert auf einem welligen Pfad die Kraterwand. Nach einer<br />

knappen Stunde Aufstieg ist der optisch einem Weinkelch gleichende, mustergültige<br />

Kraterrand erreicht. Schwefelfumarolen zucken tanzend aus Felsspalten und<br />

EKSTREM TURGLEDE<br />

bergans.de


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

Vulcano: Aufstieg zum Kraterrand, im Hintergrund lugt der Stromboli aus dem Meer.<br />

Oben: Den Stromboli findet man überall auf der Insel.<br />

Unten: Durch Bougainvilleen blicken Reisende auf die<br />

Altstadt von Lipari.<br />

wabern, von Aiolos angestachelt, über die Kraterkante.<br />

Guy de Maupassant schönte in einem Anfall poetischer<br />

Vernebelung diese Emissionen als »betörenden Duft<br />

der phantastischen Schwefelblume«. Fakt ist, dass der<br />

gebein-erweichende Duft nach faulen Eiern auch die<br />

Atemwege und Netzhäute attackiert. Also, Nase zu und<br />

schnell durch. Der gigantische Krater mit seinen 500<br />

Metern Durchmesser, das Farbenspiel der fies zischenden<br />

Fumarolen mit ihren giftig-gelben Chlorid-Krusten<br />

und das bahnbrechende Panorama auf die umliegende<br />

Inselwelt sind jede Strapaze wert.<br />

Wieder im Hafen verheißt das Schild »Zona delle Acque<br />

Calde« einen pompösen Kurbetrieb. In Wahrheit handelt<br />

es sich um eine eher schmucklose Schlammpfütze. Aber<br />

die 34 Grad heiße Schwefelsuppe entspannt die Muskeln<br />

und soll obendrein Hautunreinheiten beseitigen. Tipp:<br />

Schmuck ablegen, denn Metalle beschlagen sofort. Die<br />

Schlammpool-Perspektive verleitet zum »Dolcefarniente«<br />

– dem süßen Nichtstun … In Wahrheit leben die Leute<br />

hier aber auf einem geologischen Schleudersitz. Der<br />

letzte große Ausbruch startete am 3. August 1888 und<br />

dauerte immerhin bis zum 22. März 1890. Damals blieb<br />

fast kein Stein auf dem anderen. Und die Experten sind<br />

sich einig. Dieser Vulcano ist eine tickende Zeitbombe, ein<br />

echt böser Bube. Unweigerlich steuert er auf sein großes<br />

Finale hin. Wann es so weit sein wird, weiß indes niemand,<br />

doch seit 1980 steigt die vulkanische Aktivität beständig.<br />

Lediglich die weißen Schaumkronen verraten, dass<br />

das Meer heute ziemlich aufgewühlt ist. Tja, Bootsbursche<br />

müsste man sein. Das Schiff Richtung Stromboli<br />

schlägt bereits Kapriolen und der Bursche verschlingt<br />

ein fettes Tramezzino: ein Doppeldecker aus fast<br />

weißem, saftigem Toastbrot, dick belegt mit Thunfisch<br />

und Mayonnaise. Uns Landeiern krampft der Magen,<br />

bleibt nur der stoisch-konzentrierte Blick auf den Nothammer.<br />

Endlich, wir passieren Ginostra. Die Ortschaft<br />

krallt sich förmlich an der steilen Flanke des Vulkankegels<br />

fest. Noch eine sanfte Kurve und wir landen samt<br />

Mageninhalt am Scari-Strand.<br />

»Lasst eure Hände und Beine immer hübsch innerhalb«,<br />

erklärt uns Antonino vom »Giardino Segreto«,<br />

dem geheimen Garten, in brüchigem Englisch. Dann<br />

rauscht er los mit seiner dreirädrigen Piaggio Ape.<br />

Immer wenn der blecherne Aufbau des aufgemotzten<br />

Rollers die Hauswände touchiert, fliegen die Funken.<br />

An fast allen Hausecken haben sich schon klaftertiefe<br />

Schrammen gebildet. Spätestens jetzt ist er überfällig,<br />

ein ordentlicher Rachenputzer, der zugleich den<br />

Mageninhalt wieder sortiert. Und dafür gibt es keinen<br />

besseren Platz als das Ritrovo Ingrid auf der Piazza San<br />

Vincenzo, gleich bei der Kirche.<br />

Es war ein handfester Hollywood-Skandal, der die<br />

Äolischen Inseln 1949 aus einem langen Dornröschenschlaf<br />

riss. »Stromboli – Terra di Dio«, hieß der Streifen,<br />

der den Regisseur Roberto Rossellini und die Diva Ingrid<br />

Bergman einander näherbrachte. Skandalös dabei?<br />

Beide waren verheiratet – nur nicht miteinander. Das<br />

zähe Melodram war filmisch von zweifelhaftem Prädikat.<br />

Aber die bunten Fischerboote auf dem schwarzen<br />

Lavasand, die weißen Kuben und das blaue Meer und<br />

natürlich der übermächtige Stromboli … quasi über<br />

Nacht wurde die Insel weltberühmt. Heute verleihen die<br />

vielen Bergführerbüros, die Ausrüstungsshops und die<br />

nervösen Gipfelaspiranten, die mit Rucksack und Steinschlaghelm<br />

auf die Dämmerung warten, um endlich<br />

aufzusteigen, Stromboli die Aura eines sizilianischen<br />

Kathmandus und jede Menge polyglotten Charme.<br />

Garantiert mit Lavaausbruch –<br />

einmalig weltweit<br />

Zurück zu Ugo. Die 924 Höhenmeter bis zum Kraterrand<br />

fallen unter die Rubrik Genussbergsteigen. Auf<br />

dem zunächst steinigen Serpentinenpfad gewinnen<br />

wir schnell an Höhe. Eidechsen flüchten in mannshohe,<br />

quietschgelb-blühende Ginsterbüsche. Rosmarin<br />

und Salbei verströmen einen betörenden Duft. Über<br />

Zitronen- und Orangenhaine reicht der Blick auf das<br />

vor der Küste aufragende kleine Inselchen Strombolicchio.<br />

Mitten auf diesem längst erloschenen Vulkanschlot<br />

ragt eine weiß gekalkte Gnadenkapelle in den<br />

Himmel – der Ausblick ist eine Augenweide. »Ab hier<br />

dürfen Touristen nur noch mit Guide weiter«, erklärt<br />

Ugo bei einer Wegtafel auf 400 Metern über dem Meer.<br />

Wer es auf eigene Faust versucht, riskiert satte Bußgelder.<br />

»In der Hauptsaison wird häufig kontrolliert. Es<br />

ist leider zu viel vorgefallen in den letzten Jahren. Und<br />

wenn das Zivilschutzamt eine erhöhte seismische Tätigkeit<br />

feststellt und den Aufstieg untersagt, sollte auch<br />

tatsächlich keiner oben auf dem Vulkan sein«, erklärt<br />

der drahtige Bergführer. Zwei Schritte vorwärts, einen<br />

zurück – weiter oben strapaziert der lose Vulkansand<br />

die Waden. Doch schon hören wir das Fauchen der Höllenschlünde.<br />

Auf 750 Metern Seehöhe offenbart sich<br />

bei Schutzwällen aus Stahl und Beton der erste Einblick<br />

in den Hauptkrater. Beim ersten richtigen Rumms<br />

10


ICH LIEBE NATUR<br />

Ich liebe Performance<br />

Am Aussichtspunkt »Quattrocchi« könnte ein zweites Augenpaar nicht schaden...<br />

Blick über die Faraglioni vor Lipari bis in den »Gran Cratere« von Vulcano.<br />

fällt einem fast die Kamera aus der Hand. Glühende Lavabrocken fräsen brennende<br />

Feuerschneisen durch das Dunkel. Poltern lautstark die Sciara del Fuoco hinunter,<br />

um schließlich mit lautem Zischen im Meer zu verdampfen. Draußen in den Wellen<br />

antwortet die Armada der Ausflugsboote zeitgleich mit einem Blitzlichtgewitter.<br />

Wow, der Stromboli, der Leuchtturm der Antike, der schon Odysseus den Weg<br />

wies, legt sich mächtig ins Zeug. Ehrfürchtig steigen wir höher zum Pizzo Sopra la<br />

Fossa auf 918 Metern. Im Abstand von zehn bis zwanzig Minuten kündigt animalisches<br />

Fauchen urgewaltige Eruptionen an. Teilweise sind bis zu neun der elf Krater<br />

gleichzeitig aktiv. Hephaistos muss noch ein paar Angestellte haben. Während Vulkane<br />

weltweit gelangweilt vor sich hin qualmen, bricht Musterknabe Stromboli seit<br />

Tausenden von Jahren mehrmals stündlich aus. Diese Form der Aktivität gibt es<br />

tatsächlich nur einmal auf der Welt und wurde deswegen auch »Strombolianischer<br />

Vulkanismus« benannt. Wir Europäer haben in dem Fall Glück: Kein kostspieliger<br />

Langstreckenflug, kein Jetlag und auch keine schmerzhaften Impfungen sind nötig,<br />

um dieses geologische Wunder und einmalige Schauspiel erleben zu können.<br />

Der Abstieg vom Stromboli erfolgt weiter westlich. Dort lässt sich die Vulkanasche<br />

»direttissima« absurfen. Natürlich landen wir alle noch im Ritrivo Ingrid. Und<br />

natürlich bestellen wir eine Pizza Stromboli mit extrascharfer Salami, natürlich aus<br />

dem Holzofen. »Wann geht eigentlich euer Boot«, fragt Ugo mittendrin mit vollem<br />

Mund? »Arrrgh, wie gemein«, ... das Vulkanvirus hat uns jetzt schon fest am Wickel.<br />

Photo: Florian Mayerhoffer Location: Velebit / Croatia<br />

Text und Fotos: Norbert Eisele-Hein<br />

ITALIEN<br />

<br />

Maremma 26<br />

Der Weg ist das Ziel! Sportlicher Wanderrucksack speziell<br />

für Frauen, mit dem auch längere Strecken und genussvolle<br />

Hüttentouren problemlos möglich sind. vaude.com


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

ERLEBT: Abenteuer-Tour durch die Schluchten des Val Grande Nationalparks<br />

GROSSES TAL & WILDE WASSER<br />

Im Norden des Piemont liegt der Val Grande Nationalpark, ein wilder, menschenverlassener Landstrich. Der Rio Val<br />

Grande fräst sein Flussbett darin nahezu ungezähmt durch eine schroffe, steile Bergwelt, die seit Jahrzehnten sich selbst<br />

überlassen wurde. Ein Paradies, geschaffen von wilden Wassern, und ein Abenteuerspielplatz für Packraft-Pioniere.<br />

Als Kind war die ganze Welt ein Abenteuer, das meist<br />

direkt vor der Haustür begonnen hat. Die Neugierde<br />

war der Wegweiser, nicht das Tourenbuch. Unbefangen<br />

und unbeschwert entdeckten wir die Natur, liefen<br />

Flussufer entlang, um die Quelle zu finden, und folgten<br />

nur unserer kindlichen Abenteuerlust. Manchmal<br />

finden wir diesen Spieltrieb wieder, machen uns auf<br />

die Suche nach dem verborgenen Pfad. Für uns liegt<br />

er im Nordwesten des Piemont. Dort, im Grenzgebiet<br />

zum Schweizer Tessin, schlummert eine Perle wilder<br />

alpiner Natur. Von über 2000 Meter hohen Bergketten<br />

umschlossen ist der Nationalpark Val Grande ein<br />

Juwel für all diejenigen, die bereit sind, den sicheren,<br />

ausgetretenen Weg zu verlassen. Nur 20 Minuten von<br />

der romantischen Stadt Verbania am Lago Maggiore<br />

entfernt liegt er: der Eingang zum größten Wildnisgebiet<br />

Italiens. Von dieser Nummer werden wir noch unseren<br />

Enkelkindern erzählen, denke ich mir, als wir die<br />

Straßen von Premosello hochkurbeln. Wir wollen den<br />

Fluss Rio Val Grande im Herzen des Nationalparks quasi<br />

»erstbefahren«. Mit kleinen, besonders leichten und<br />

im Rucksack verstaubaren Schlauchbooten, sogenannten<br />

»Packrafts«. Ein echtes Abenteuer, drei Tage ohne<br />

Handyempfang und ohne nachlesbares Wissen, was<br />

uns »da unten« tatsächlich erwarten wird.<br />

Es ist Anfang August. Während Scharen von Urlaubern<br />

nur wenige Kilometer entfernt die Ufer und Eisdielen<br />

rund um den Lago Maggiore bevölkern, starten wir vom<br />

kleinen Örtchen Colloro unsere Tour. Wir, das sind: Guido,<br />

im »richtigen« Leben Professor an einer Münchner<br />

Hochschule und Canyoning-Guide-Ausbilder, sozusagen<br />

unsere »Lebensversicherung« bei diesem Projekt.<br />

Philipp, ein junger Fotograf aus Zürich und begeisterter<br />

Paddler. Jürg, mein Kollege aus der Schweiz. Und ich.<br />

In der Abendsonne steigen wir in Richtung Berggrat,<br />

um dort oben zu nächtigen und am nächsten Vormittag<br />

nach dem nordseitigen Abstieg in den Oberlauf des Rio<br />

Val Grande einzusetzen. Von dort, so der Plan, werden<br />

wir dem Flussbett folgen, bis wir nach insgesamt rund<br />

18 Kilometern das östliche Ende des Nationalparks bei<br />

der markanten Steinbrücke Ponte Casletto erreichen.<br />

Schlafen unter Schafen<br />

Die Rucksäcke sind ordentlich schwer. Neben Schlafsack,<br />

Matte, Tarp, Verpflegung, Kocher und Ersatzkleidung<br />

hat jeder von uns noch sein eigenes Packraft, teilbare<br />

Paddel und Neoprenausrüstung im Gepäck. Und<br />

das will zunächst knapp 1000 Höhenmeter bis zur Alpe<br />

della Colma, unserem Ziel für die erste Nacht, hochgeschleppt<br />

werden. Im letzten Tageslicht winken uns<br />

die Bewohner der beiden Siedlungen Alpe La Piana und<br />

Alpe La Motta skeptisch zu. Wanderer mit Paddel am<br />

Rucksack haben sie hier noch nie gesehen. Es duftet<br />

nach Heu, Schaf und lauer Sommernacht. Als wir endlich<br />

völlig erschöpft die rustikale Steinhütte erreichen,<br />

ist es bereits Nacht. 25 Minuten und eine Tütensuppe<br />

später schmiege ich mich in meinen Schlafsack, ausgerollt<br />

zwischen den Schafen, um den klaren Sternenhimmel<br />

zu genießen. Was für ein Anblick! Ein letzter,<br />

massiver Glücksmoment, bevor die Lichter ausgehen.<br />

Steil windet sich der kleine Steig am nächsten Morgen<br />

zwischen Farnen und Buschwerk den Hang hinunter,<br />

keine 30 Zentimeter breit. Wir passieren mehrere Alphütten.<br />

Die Dächer der mühsam aus Steinplatten aufgemauerten<br />

Häuschen sind eingefallen. Bäume wachsen<br />

aus den ehemaligen Behausungen, in denen bis in die<br />

Siebzigerjahre hinein versucht wurde, mit dem harten<br />

Älpler-Leben einen Grunderwerb zu erwirtschaften. In<br />

12


Links: Lautloses Gleiten unter der Ponte Velina.<br />

Mitte oben: Frühstück mit Aussicht an der Alpe della Colma.<br />

Mitte unten: Glasklar und angenehm frisch ist das Wasser des Rio Val Grande.<br />

Rechts: Bergsteigen mit Boot - der Zugang ins Val Grande ist anspruchsvoll.<br />

Unser Ursprung: die raue Wildnis der Coast<br />

Mountains in Kanada. Unsere Verpflichtung:<br />

unermüdlich innovativ in der Entwicklung, präzise<br />

CONCEPTION/FABRICATION ARTISANALE/PERFORMANCE<br />

in der Verarbeitung. Unser Anspruch: beste<br />

Performance genau dann, wenn sie gebraucht wird.<br />

der Ferne zeigen sich die ersten Gämsen, der Weg wirkt fast jungfräulich – paradiesische<br />

Zustände für uns Wildnishungrige.<br />

Weg ohne Rückkehr<br />

Am Talgrund nahe der Alpe Val Gabbio wollen wir die Boote wassern. Endlich paddeln,<br />

so der Plan. Was uns auf den nächsten zwei Tagen erwarten wird, davon wissen<br />

wir, offen gestanden, wenig. Das Gebiet ist bestenfalls in einer Auflösung von<br />

1:50.000 zuverlässig kartiert, eine detaillierte Beschreibung des Flussverlaufs nicht<br />

wirklich vorhanden. Nach 30 Minuten und einem schnellen Rührei aus der Tüte sind<br />

unsere vier bunten Luftboote einsatzbereit. Wanderkleidung und -stiefel stecken in<br />

den Rucksäcken und wir in hautengen Neoprenkostümen. Das Wasser ist kalt, glasklar<br />

und schillert in allen erdenklichen Grüntönen. Es kann losgehen.<br />

Nach der ersten Biegung und 20 Paddelschlägen müssen wir wieder stoppen. Dicke<br />

Brocken versperren den Weg. Aussteigen, tragen. Mit gerade einmal 2,2 Kilogramm<br />

sind unsere Gummikähne sagenhaft leicht. Wir witzeln, dass wir am Ende<br />

wahrscheinlich die Boote mehr schleppen als paddeln. Noch finden wir das lustig.<br />

Ganz ohne ist unser Vorhaben jedoch nicht. Diesseits des Bergkammes gibt es keinerlei<br />

Handy- und kaum GPS-Empfang. Ausstiegswege sind rar, es geht nur vor oder<br />

zurück. Zwei Stunden später erreichen wir die erste Schlüsselstelle: eine etwa sieben<br />

Meter hohe, glatt gewaschene, steile Felsrutsche. Guido macht den Anfang, tastet<br />

sich auf allen vieren Stück für Stück hinunter. Nach der Hälfte gibt es keinen Halt<br />

mehr – erstaunlich elegant rutscht er in das tiefgrüne Wasserbecken. Wir schieben<br />

alle Boote nach, dann trete ich mit weichen Knien an. Irgendwann geben auch meine<br />

Gummisohlen nach. Ich rutsche mit mit einem mulmigen Gefühl im Magen die Rinne<br />

runter. Zugegeben, das war eigentlich ein ziemlicher Spaß.<br />

Es folgt ein ständiger Wechsel aus kurzen Paddelpassagen und gelaufenen oder<br />

gekletterten Abschnitten. Ich bewundere Guido: Unbeschreiblich, wie er das Gelände<br />

liest und sich darin bewegt wie eine Katze. Regelmäßig müssen wir mittlerweile


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

Mut wird mit Spaß belohnt. Nur zurück geht es nicht mehr ...<br />

Anders als geplant: kein Durchkommen im Sitzen.<br />

die Energiereserven auffüllen. Wie Hochöfen verbrennen<br />

unsere Körper in dem anspruchsvollen Gelände<br />

jede eingeworfene Kalorie. Besonders die permanente<br />

Anspannung laugt aus. Oft müssen wir über haushohe<br />

Ansammlungen aus Felsblöcken klettern. Abzurutschen<br />

wäre eine schlechte Idee, denn eine anatomische<br />

Panne dürfen wir uns hier nicht leisten. Trotz Erschöpfung<br />

und Psychostress halten wir immer wieder inne<br />

und bestaunen diese sagenhaft unberührte Natur. Die<br />

kunstvoll gewundenen, in die Felswände geschliffenen<br />

Formationen geben einen einzigartig schönen Eindruck<br />

von der Kraft des Wassers, das seit Jahrtausenden hier<br />

am Werk ist.<br />

Das Tal wird enger. Vor uns liegt die Schlucht von<br />

L’Arca, angeblich die spektakulärste Schlüsselstelle.<br />

Die Sonne hat sich mittlerweile hinter eine graue Wolkenschicht<br />

verzogen. Mein Blick wandert nach oben. Zu<br />

beiden Seiten ragen die Felswände 200 Meter hoch und<br />

nur fünf Meter auseinander. In diesem Moment klatscht<br />

der erste Regentropfen auf meine Stirn, gefolgt von einem<br />

entfernten Donnergrollen. Ein Anflug von Panik<br />

macht sich bemerkbar. Schluchten laufen bei Regen<br />

schnell voll wie Badewannen – und bekanntlich soll man<br />

in denen ja nicht mit Elektrizität spielen. Verdammt! Ausgerechnet<br />

jetzt versperrt uns ein riesiger Felsklotz das<br />

Weiterkommen. Links und rechts davon fällt das Wasser<br />

sechs Meter in die Tiefe. Alle Blicke sind auf Guido gerichtet,<br />

er grübelt, sucht nach dem besten Lösungsweg<br />

für diese Aufgabe. Abklettern geht nicht, nur abseilen.<br />

Doch zuvor noch die Gretchen-Frage: »Wir müssen uns<br />

alle einig sein, dass wir diesen Schritt tun wollen. Wenn<br />

ich aber das Seil von unten abgezogen habe, geht es nur<br />

noch in eine Richtung weiter!« Um der Dramatik der Situation<br />

Ausdruck zu verleihen, donnert es nochmals.<br />

Von allen kommt ein halblautes »Ja«. Mit geschickten<br />

Handgriffen baut Guido aus Reepschnur und Maillon einen<br />

Fixpunkt um einen schweren Felsbrocken. Minuten<br />

später hänge ich im Wasserfall und schwebe der Gumpe<br />

darunter entgegen. Nichts wie weg von hier!<br />

Klinisch tot und überglücklich<br />

»Ich glaube, die Felsnase da vorne müsste es sein«,<br />

ruft Jürg mit euphorischer Stimme. Eine Viertelstunde<br />

später stehen wir tatsächlich oberhalb einer Kiesbank<br />

und blicken auf den Wegweiser zur nahen Alpe Orfalecchio,<br />

unseren Zielpunkt für heute Abend. Dieses Gefühl<br />

ist nicht in Worte zu fassen, ehrlich. Unser Plan,<br />

den Rio Val Grande überwiegend zu paddeln und notfalls<br />

unmögliche Stellen zu umtragen, ging zumindest<br />

heute nicht auf. Wir haben unsere Packrafts gefühlte 90<br />

Prozent der Zeit geschleppt. Im Augenblick ist mir das<br />

egal. Nach zwölf Stunden im Dauereinsatz liege ich auf<br />

meiner Matte und fühle mich klinisch tot. Zehn Minuten<br />

Batterien aufladen. Als ich die Augen öffne, sehe ich<br />

Philipp, wie er versucht, sich wie ein junges Fohlen nach<br />

einer anstrengenden Geburt aus der Fruchtblase – in<br />

seinem Fall sein Neoprenanzug – zu winden. Ich breche<br />

ab vor Lachen. Der Blick, den ich von ihm kassiere, ist<br />

unbezahlbar, aber dann findet auch er es komisch, beide<br />

Handgelenke noch immer in den Ärmeln verheddert.<br />

In »Vorfreude« auf ein Leichtgewichts-Dinner aus<br />

der Tüte setzen wir ein kleines Lagerfeuer auf einem<br />

riesigen, oben abgeflachten Felsblock über dem Fluss<br />

in Gang. Und dann kommt der Moment, an dem ich<br />

Jürg trotz Entkräftung am liebsten um den Hals gefallen<br />

wäre: Aus seinem Rucksack zaubert er mit einem<br />

breiten Grinsen acht dicke Grillwürste und flauschig<br />

weiches Brot hervor. Halleluja! Nach so einem Tag nun<br />

Stockwurst am Feuer hoch über dem wilden Fluss –<br />

das übertrifft jede Vorstellungskraft.<br />

Am Morgen blicken wir bei Kaffee und Müsli auf der<br />

Karte auf eine immer breiter werdende blaue Markierung<br />

für den Rio Val Grande. Wir sind uns einig: Das<br />

schaffen wir! Und tatsächlich, in den folgenden Stunden<br />

können wir deutlich länger paddeln, machen entsprechend<br />

mehr Strecke. Einige Male erreichen wir<br />

Passagen, die gänzlich verblockt vor uns liegen. Ausgehöhlte<br />

Halbtunnel, geschaffen in unzähligen Jahren<br />

des Wasser- und Sedimenttransports. Wissenschaftler<br />

würden das »fluviatile Tiefenerosion« nennen. Als Laie<br />

sollte man sich von solch feuchten Fallen eigentlich<br />

fernhalten. Für Guido sind sie das Salz in der Suppe,<br />

und er führt uns mit absolut beneidenswerter Sicherheit<br />

durch diese spektakulären Abschnitte.<br />

Finale (Val) Grande<br />

Vor uns taucht die Ponte di Velina auf, ein Mauerwerk<br />

aus Stein, das sich mit Rundbögen an die steilen<br />

Felswände klammert. Lautlos gleiten wir unter ihr<br />

hindurch, können jeden Kiesel haargenau unter uns<br />

erkennen, so klar und ruhig fließt der Rio Val Grande<br />

hier. Kleine Farne mit unterschiedlichsten Blattformen<br />

kleben in der Vertikalen, Miniaturwasserfälle treffen<br />

aus großer Höhe senkrecht auf die glatte Wasseroberfläche.<br />

Außer fernem Vogelgezwitscher ist kein Laut zu<br />

hören, drei bis vier Meter unter uns stehen Forellen still<br />

in der Strömung und warten auf den nächsten Lecker-<br />

14


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

bissen. Zum Teil sind die Abstände zwischen den Felswänden<br />

nur so breit, dass wir gerade mit unseren Booten<br />

durchpassen. Man fühlt sich wie in einer anderen<br />

Welt. Die Strapazen der letzten zwei Tage sind fast vergessen.<br />

Dann öffnet sich das Tal etwas, die Strömung<br />

kommt gänzlich zum Erliegen. Wie ein Infinity-Pool in<br />

einem Luxus-Resort beendet die Staumauer kurz vor<br />

der Ponte Casletto nicht nur den Vortrieb des Rio Val<br />

Grande, sondern auch unsere Reise. Die Boote und die<br />

Neopren-Bekleidung verschwinden in den Rucksäcken,<br />

30 Minuten später sitzen wir auf den Rücksitzen eines<br />

örtlichen Taxis – und kurven ziemlich erschöpft, aber<br />

mit zufriedenem Grinsen zurück Richtung Zivilisation.<br />

Text: Moritz Becher<br />

Fotos: Philipp Schuppli<br />

<br />

ITALIEN<br />

Letzter Blick auf Premosello in der Abendsonne. Danach folgen drei Tage Wildnis ohne Handyempfang.<br />

EXPED – EXPEDITION EQUIPMENT<br />

VENUS II<br />

UNSER KLASSIKER FÜR 2 PERSONEN<br />

Das Venus II ist ein leichtes, hochwertiges Bergsteiger- und<br />

Trekking-Zelt fürs ganze Jahr. Es ist blitzschnell aufgestellt,<br />

selbststehend und bietet beiden Bewohnern je einen Eingang mit<br />

grosszügigem Vorzelt fürs Gepäck. Die Innenzelt-Ein gänge haben<br />

eine Moskitonetz- sowie eine Zeltstofflage, je nach Witterung<br />

kann also beliebig belüftet werden. Zahlreiche Netztaschen im<br />

Innern bieten praktischen Stauraum.<br />

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stabiles Leichtgewicht<br />

jedem sein Eingang mit Vorzelt<br />

blitzschnell aufgestellt<br />

Foto: Jean-Luc Grossmann<br />

15


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

Peak District: Zeitreise mit dem Tourenrad<br />

DURCHS GRÜNE HERZ DER INSEL<br />

Alte Schlösser, noble Herrenhäuser, weite Schafweiden und Heidemoore – im Herzen Großbritanniens erheben sich in<br />

gelassener Regelmäßigkeit die sanften Hügel des Peak District – garniert von einer grandiosen Mischung aus Natur<br />

und Kultur. Eine wahrhaft entschleunigende Radtour durch eine britische Bilderbuchlandschaft.<br />

Der Regen hat aufgehört. Das Grün der Landschaft<br />

wirkt so frisch, als hätte der Maler seinen Pinsel gerade<br />

erst weggelegt. Es ist die dominierende Farbe im<br />

Peak District. Das Gebiet ist seit 1951 Nationalpark –<br />

der erste des Landes. 1400 Quadratkilometer umfasst<br />

die Region der Grafschaft Derbyshire. Viel Natur. Viel<br />

Platz für ungestörte Radtouren. Das Naturschutzgebiet<br />

markiert den Übergang vom südlichen Flachland<br />

und den sanften »Midlands« hin zum nordenglischen<br />

Berggebiet. Die Gipfel gehören zum ersten Viertel der<br />

insgesamt 240 Kilometer langen, von Süden nach Norden<br />

laufenden »Pennines« – aufgrund ihrer Lage auch<br />

gerne als »Backbone of England« bezeichnet.<br />

Seit einigen Stunden kurbeln wir entlang einsamer<br />

Sträßchen. In den Packtaschen der Räder haben wir alles<br />

verstaut, was wir für die nächsten Tage brauchen.<br />

Der Peak District, die Perle Mittelenglands, ist Naherholungsgebiet<br />

des ehemaligen Industriegürtels Manchester,<br />

Birmingham und Liverpool. Entsprechend gut<br />

angeschlossen ist man hier. Als Wander- und Reitparadies<br />

ist die Gegend schon lange kein Geheimtipp mehr.<br />

Doch in jüngster Zeit finden auch immer mehr Tourenradler<br />

hier ihr Dorado. »Loops« nennen die Engländer<br />

die ausgewählten Strecken, auf denen sich die grandiose<br />

Landschaft entdecken und echtes Outdoor-Feeling<br />

inhalieren lässt.<br />

Alles wasserdicht verpackt<br />

Die erste Nacht auf dem Campingplatz in Bakewell<br />

war geruhsam. Sanft wiegen sich die Bäume im Wind,<br />

eine milde Brise streicht über den kurz geschorenen<br />

Rasen. Gestärkt von tiefem Schlaf starten wir morgens<br />

durch – gemächlich, denn eilig hat es hier niemand.<br />

Von Freunden haben wir den Tipp bekommen, »Packt<br />

eure Ausrüstung wasserdicht ein, England wässert<br />

seine Besucher regelmäßig«. Gaskocher, GPS-Gerät,<br />

Zelt, Schlafsack, Matte – alles hat irgendwie in unsere<br />

Packtaschen gepasst. Am Horizont quellen dunkle<br />

Wolken – und bestätigen, wovor unsere Ratgeber gewarnt<br />

haben. Noch aber ist es trocken. Eine gute Gelegenheit,<br />

noch etwas durch das malerische Örtchen<br />

Bakewell zu schlendern. Dort, wo die wuchtige, alte<br />

Steinbrücke in fünf Bögen den River Wye überspannt,<br />

gibt es den berühmten »Bakewell Pudding« – eine Sünde<br />

für »Couch Potatoes«, Treibstoff für uns Radler. Die<br />

hier 1860 erfundene, gebackene süße Versuchung gibt<br />

uns Energie für die bevorstehenden Höhenmeter. Einer<br />

Legende zufolge soll die Köstlichkeit rein zufällig von<br />

einer unerfahrenen Küchenhilfe im White Horse Inn<br />

kreiert worden sein. Wem der Sinn eher nach etwas<br />

Deftigem steht, der ist ein Stück weiter in der Thornbridge<br />

Brewery richtig. Hier lassen sich mehr als vier<br />

Dutzend Biersorten verkosten. Wir verzichten, Promille<br />

vertragen sich nicht mit der Pedaltreterei. Wieso<br />

also nicht alternativ das Chesworth House besichtigen?<br />

Das architektonische Schmuckstück mit seinen atemberaubend<br />

schönen Gärten ist einer der prunkvollsten<br />

Herrensitze Englands – und jeden Besuch wert.<br />

Das Flüstern der Natur<br />

Nun aber in den Sattel! Saftig grüne, von wackeligen<br />

Steinbarrieren umschlossene Wiesen und Weiden huschen<br />

an uns vorüber. Dazwischen fügen sich bunt gewürfelt<br />

kleine Gehöfte, Dörfer und Kleinstädte ein. Wir<br />

genießen jede Pedalumdrehung durch die herrliche<br />

Landschaft. Nur die heranziehenden Gewitterwolken<br />

machen uns Sorgen. Als wir an einem Wäldchen stoppen,<br />

hält zeitgleich ein Auto neben uns. Der Fahrer, ein<br />

knorriger Einheimischer mit Hornbrille und verschmitztem<br />

Lächeln, warnt uns trocken: »Passen Sie auf, gleich<br />

16


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

Links: Tourenrad-Traum - endlos durch grüne Weidelandschaften pedalieren.<br />

Oben: Einer von vielen Hinguckern: die St. John the Baptist Church in Tideswell.<br />

Unten: Das Zelt garantiert Freiheit, Standort-Flexibilität und Draußen-Genuss.<br />

Kulinarische Köstlichkeiten:<br />

Das Peak District zeigt sich »very british«.<br />

regnet’s.« Noch während er spricht, zerplatzen die ersten<br />

dicken Tropfen auf unseren Helmen. Zum Glück ist<br />

es nicht weit zum Örtchen Parsley Hay, dort gibt es eine<br />

Bike-Station mit Restaurant. Während es draußen in<br />

Strömen gießt, gönnen wir uns ein »Full English Breakfast«.<br />

»Full« bezieht sich dabei auf den körperlichen<br />

Zustand nach dem Verzehr: Bohnen in Tomatensauce,<br />

Spiegelei, Rösti-Ecken, Grillwürstchen, Speck, Toast<br />

und Blackpudding – keine Süßspeise, sondern gebratene<br />

Blutwurst. Bei so viel »Schmalkost« kriecht uns die<br />

Trägheit bald in die Knochen. Was soll’s, schon Asterix<br />

ist daran gescheitert, solche Esstraditionen zu verstehen,<br />

als er mit seinem Freund Obelix bei den Briten war.<br />

So schnell, wie sie gekommen sind, verziehen sich die<br />

Gewitterwolken, und wir kehren dankbar auf unsere<br />

Sättel zurück. Die frische Luft reaktiviert die Lebensgeister,<br />

die Beine verbrennen die üppig getankten Kalorien.<br />

Per Drahtesel im Peak District unterwegs zu sein<br />

bedeutet Feld- und asphaltierte Wege in Abwechslung.<br />

Immer wieder kreuzen Fasane unaufgeregt die Fahrbahn.<br />

Nicht umsonst heißt der Loop 8 »Hills, dales and<br />

trails«. Gehöfte aus Natursteinen schmiegen sich in<br />

die Landschaft, als wären sie ein natürlicher Teil von<br />

ihr. Kleine Bäche bahnen sich ihren Weg, dick gepolsterte<br />

Schafe suchen bei Schlechtwetter Zuflucht unter<br />

mächtigen Eichen, deren dicke Äste schwer fast bis zum<br />

Boden hinunterreichen – und so zu natürlichen Schutzburgen<br />

werden. Man verspürt augenblicklich das Verlangen<br />

innezuhalten, in diese Landschaft einzutauchen,<br />

sie zu malen – oder genau hier sein Zelt aufzuschlagen.<br />

Gedacht, getan. Der freundliche Farmer hat kein Problem<br />

damit, uns auf seinem Land campieren zu lassen.<br />

Mancher mag vielleicht lieber in einem der renovierten<br />

Herrenhäuser absteigen. Für uns ist dieses temporäre<br />

wurzellose Dasein ohne großen Luxus der Inbegriff von<br />

Freiheit und Erholung.<br />

Gärten und Parks – Very British!<br />

Nahezu stündlich, zuweilen von Minute zu Minute, ändert<br />

sich das Licht, wechseln die Farben des Himmels,<br />

die Formen der Wolken. Wir genießen jede Sekunde, ehe<br />

die Nacht hereinbricht. Am nächsten Morgen begrüßen<br />

wir den Tag mit einer ordentlichen Portion Müsli und<br />

einem Pot starken Kaffee, kredenzt auf unserem treuen<br />

Gaskocher. Auf unserem Tagesplan steht die höchst<br />

gelegene Marktstadt Englands: Buxton liegt 307 Meter<br />

über dem Meeresspiegel und ist einer der ältesten Kurorte<br />

des Königreichs. Schon die Römer wussten um die<br />

Vorzüge der wohltuenden Thermalquellen. Berühmtheit<br />

erfuhr die Region aber auch durch die Höhlen der »Blue<br />

John Cavern«. Der Name geht auf einen blau funkelnden<br />

Halbedelstein zurück, der in den vergangenen 250<br />

Jahren nur hier gefunden wurde. Aus dem im Jahre 1813<br />

größten je entdeckten »Blue John« wurde eine wertvolle<br />

Vase gefertigt, die wir schon zu Beginn unseres Trips in<br />

Bakewell auf Schloss Chatsworth bewundern durften.<br />

Nicht weniger edel wirkt der Park von Buxton. Grünes<br />

und Blühendes ist dem Engländer seit keltischen Zeiten<br />

heilig. Die berühmten englischen Gärten und Parks sind<br />

auch im Peak District ein nicht wegzudenkender Teil der<br />

üppig grünen Landschaft. Da wundert es kaum, dass<br />

eine Gartenveranstaltung mehr Zulauf verzeichnet als<br />

so manches Fußball- oder Rugbyspiel.<br />

Gegenüber des Opernhauses strömt aus einem Löwenkopf<br />

kostenlos Mineralwasser. Wir füllen unsere<br />

Flaschen, gerüstet für die Weiterfahrt. Wieder tauchen<br />

wir ein in eine üppige Melange aus Grüntönen: Wälder,<br />

Wiesen, Hügel. In Tideswell mit seiner wunderbaren<br />

Kirche »St. John the Baptist«, auch bekannt als »Cathedral<br />

of the Peak«, entlasten wir unser Sitzfleisch und<br />

stellen die Räder ab. Der Aufstieg zum Aussichtspunkt<br />

von Chapel-en-le-Frith lohnt jeden Schweißtropfen: Zu<br />

unseren Füßen liegt das sagenumwobene Goyt Valley.<br />

Die Abendsonne verwandelt den leichten Dunst über<br />

den Wiesen, Waldinseln, Bachläufen und Seen in einen<br />

goldenen Schleier. Viele sagen, das Goyt Valley sei die<br />

schönste Seenlandschaft des Peak District. Fast vergessen<br />

wir, dass auch morgen noch eine Etappe ansteht. Zu<br />

gerne würden wir hierbleiben und nicht anderes tun als<br />

uns einfach nur sattzusehen an diesem grünen Paradies.<br />

Text und Fotos: Klaus Herzmann<br />

<br />

17


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

FOTO Travis Burke/Goalzero<br />

FOTO Goalzero<br />

Besserwisser: Stromversorgung auf Tour<br />

WATT SATT<br />

Viele digitale Helfer machen inzwischen auch das Outdoor-Leben angenehmer.<br />

Doch ihre Akkus brauchen Strom. Den liefern heute mobile Lade- und<br />

Speichergeräte. Johannes »Joh« Ahrens kennt sich mit ihnen bestens<br />

aus – er lötet auch gerne mal selbst herum.<br />

In Katalogen entdeckt man Dinge, über die vor Kurzem<br />

selbst James Bond gestaunt hätte: Mini-Wasserstoff-<br />

Reaktoren, Solarzellen – sogar Kochtöpfe, die Energie<br />

erzeugen. Sind die Hersteller verrückt geworden?<br />

Überhaupt nicht. Die Leute schleppen immer mehr<br />

Technik mit in die Natur – und die funktioniert eben<br />

nicht ohne Strom. Ich selbst packe gerade für eine längere<br />

Tour, und da kommt einiges zusammen: eine große<br />

Kamera, das Handy, die Stirnlampe, mein Navigationsgerät<br />

und die GPS-Uhr. Nur leider wurden die Bäume<br />

in Nordskandinavien immer noch nicht mit Steckdosen<br />

ausgestattet.<br />

Teilweise muten die Produkte recht futuristisch an.<br />

Sind das eher Spielzeuge für Technikfans – oder tatsächlich<br />

zuverlässige Begleiter für jedermann?<br />

Das ist sehr unterschiedlich. Die thermischen Generatoren<br />

zum Beispiel, die etwa aus Feuer oder Kocherhitze<br />

Energie gewinnen, haben sich noch nicht so richtig<br />

durchgesetzt. Die Herstellerangaben bleiben meist<br />

unerfüllt, einige Kunden sind enttäuscht. Ich bin skeptisch,<br />

ob die sich am Markt behaupten können. Einen<br />

Schritt weiter sind die Wasserstoff-Reaktoren, aber<br />

auch diese Technik für unterwegs steckt noch in den<br />

Kinderschuhen …<br />

… heißt das, dass ich Angst haben muss, dass mir der<br />

Reaktor im Rucksack in die Luft fliegt? Schließlich<br />

trägt man hier Patronen mit Wasserstoff mit sich herum!<br />

Der Hersteller garantiert, dass man die Patronen sogar<br />

mit ins Flugzeug nehmen kann – dann sollten sie wirklich<br />

sicher sein. Echte Langzeiterfahrungen haben wir<br />

damit noch nicht gesammelt. Wir haben ein Testgerät<br />

im Einsatz und setzen es immer mal wieder auf Touren<br />

ein. Bisher ohne Probleme. Ich meinte aber eher:<br />

Die Reaktoren bringen erst Vorteile, wenn man sehr<br />

viel mehr Energie benötigt, als es der normale Benutzer<br />

tut. Aber auch da bleibt spannend, was die Zukunft<br />

bringt.<br />

Bleiben für die breite Masse also Solargeräte.<br />

Solarpanels funktionieren schon recht zuverlässig, nur<br />

muss man bei der Benutzung ein paar Dinge beachten.<br />

Wichtig ist vor allem, dass sie möglichst im rechten<br />

Winkel zur Sonne ausgerichtet sind und wenig Fläche<br />

abgeschattet wird. Ich tüftle gerne – und einmal habe<br />

ich mir mal den Spaß gemacht und die Leistung an einem<br />

Panel gemessen. Sobald ich es gekippt habe, waren<br />

die Einbußen gegenüber dem, was auf der Verpackung<br />

stand, enorm.<br />

Ein Solarpanel genau im 90-Grad-Winkel zur Sonne<br />

auszurichten und dann nicht mehr zu bewegen, dürfte<br />

im Outdoor-Alltag schwierig sein.<br />

Die Herstellerangaben zu Leistung und Ladezeit beziehen<br />

sich auf Laborbedingungen – die habe ich draußen<br />

natürlich nie. In unseren Breitengraden scheint die<br />

Sonne kaum senkrecht und erst recht nicht, wenn ich<br />

in Skandinavien wandern gehe. Und leider soll es ab<br />

und zu vorkommen, dass sich eine Wolke vor die Sonne<br />

schiebt. Viele schnallen ihr Solarteil auch an den Rucksack,<br />

an das Deck ihres Kajaks oder oben auf den Gepäckträger<br />

am Rad. Klar, dass wir auch da mit Verlusten<br />

rechnen müssen, das Panel wird nie hundertprozentig<br />

ideal ausgerichtet sein. Wenn man sich also Gedanken<br />

macht, wie leistungsstark das Gerät sein muss, das<br />

man braucht, sollte man schon Reserve einrechnen.<br />

Dass Solarzellen Energie einsammeln, während ich<br />

laufe, paddle und Rad fahre, klingt ja ideal. Sind die<br />

Geräte robust genug für solche Einsätze?<br />

Solarpanels sind sehr unempfindlich. Man sollte nur<br />

darauf achten, dass man die Oberfläche nicht zu sehr<br />

verdreckt oder zerkratzt, das bringt natürlich Leistungsverluste<br />

mit sich. Da die Panels aus vielen kleinen<br />

Solarmodulen zusammengebaut sind, könnte von<br />

denen sogar eines ausfallen und das Gerät bleibt im<br />

Gesamten noch nutzbar, wenn auch mit weniger Leistung.<br />

Und es kann sogar auch mal nass werden. Nur die<br />

elektrischen Anschlüsse, die sich meist auf der Rückseite<br />

befinden, sollten nicht baden gehen.<br />

Die Produkte welcher Marken versorgen uns unterwegs<br />

mit Energie? Start-ups? Oder haben Traditionshersteller<br />

einen neuen Markt entdeckt?<br />

Die kleinen Wasserstoff-Reaktoren stellt Brunton her,<br />

ein US-Unternehmen, das bereits lange auf dem Markt<br />

ist und ursprünglich auf Kompasse spezialisiert war.<br />

Im Bereich Solarstrom sind neue Spieler am Markt. Ich<br />

habe fast alles durchprobiert und auch schon vieles zu-<br />

Johannes Ahrens ist viel draußen<br />

unterwegs. Kamera, Handy<br />

und GPS kommen dank mobiler<br />

Stromversorgung auch auf<br />

langen Trekkingtouren mit.<br />

JOHANNES AHRENS EMPFIEHLT ...<br />

... Gewichtsfanatikern, die jedes Gramm zählen:<br />

»Ein kleines Akkupack ohne Solarpanel, am besten mit<br />

Lithium-Technik, weil am leichtesten. Z. B. Goal Zero<br />

»Switch 8«: 8 Wattstunden Kapazität, 91 Gramm leicht,<br />

39,95 Euro.«<br />

... Sparfüchsen, die wenig ausgeben wollen:<br />

»Auf keinen Fall ein scheinbar günstiges Kombiprodukt,<br />

wie etwa Akku mit Solarpanel auf der Vorderseite,<br />

das Ganze so groß wie ein Smartphone – die taugen<br />

nichts. Dann lieber ein vernünftiges Akkupack für um<br />

die 40 Euro und auf das Solarpanel verzichten.«<br />

... Technikfans mit erhöhtem Strombedarf:<br />

»Bei großen Akkus von z. B. Spiegelreflexkameras<br />

reicht die USB-Ladefunktion nicht mehr aus. Dafür<br />

bräuchte man einen speziellen Wandler, um die<br />

Spannung zu transformieren (z. B. Pixo »C-USB« 29,95<br />

Euro). Da aber bei hohem Strombedarf ohnehin mehr<br />

Kapazität benötigt wird: Einfach den ›Sherpa 50‹ von<br />

Goal Zero samt Inverter nehmen, das ganz normale<br />

Ladegerät nutzen und wahlweise mit dem Solarpanel<br />

›Nomad 13‹ die Sonnenenergie puffern. Da bewegen wir<br />

uns zwar knapp<br />

über 400 Euro,<br />

doch damit<br />

klappt auch<br />

die Stromversorgung<br />

im<br />

gewünschten<br />

Umfang.«<br />

18


FOTO Travis Burke/Goalzero<br />

sammengelötet. Empfehlen kann ich Produkte von Goal Zero und Powertraveller.<br />

Beide bieten wirklich pfannenfertige Produkte an, leicht verständlich und simpel in<br />

der Funktionsweise. Persönlich gefallen mir die Sachen von Goal Zero für den Outdoor-Einsatz<br />

noch etwas besser. Aber das ist auch ein bisschen Geschmackssache.<br />

Neben Geräten, die unterwegs Strom erzeugen, gibt es sogenannte »Akkupacks«,<br />

die ich zu Hause bequem an der Steckdose laden kann. Ist es nicht viel einfacher,<br />

gespeicherte Energie mitzunehmen?<br />

Klar ist das einfacher, die Frage ist nur: Komme ich damit zurecht – oder bin ich<br />

schon am zweiten Tag verzweifelt, weil ich die Energie aufgebraucht habe? Deshalb<br />

versuche ich in Beratungsgesprächen mit Kunden immer als Erstes herauszufinden,<br />

wie hoch ihr Strombedarf ungefähr sein wird. Das geht mit einer ganz einfachen<br />

Frage: Was soll wie oft aufgeladen werden? Wenn ich das weiß, brauche ich eigentlich<br />

nur etwas technisches Verständnis und Kenntnisse in den Grundrechenarten ...<br />

Bitteschön!<br />

Okay, ein Beispiel – Achtung, jetzt kommen Zahlen: Ein Handy-Akku hat etwa sieben<br />

Wattstunden, ein GPS genauso viel. Wenn ich nun mein Handy zweimal unterwegs aufladen<br />

will, brauche ich also einen Akkupack mit 14 Wattstunden. Mindestens, denn Akkus<br />

werden mit der Zeit schwächer – wer sicher gehen will, kauft sich also einen mit 20<br />

Wattstunden und hat Reserve. Wenn ich nun aber mein Handy ständig leer spiele und<br />

auch noch das GPS laden will, brauche ich einen Akku mit der doppelten Kapazität. Die<br />

sind dann aber schon recht schwer und auch teuer – besser wäre es also, ein Solarpanel<br />

mitzunehmen und mit ihm einen kleineren Akkupack, um unterwegs nachzuladen.<br />

Different<br />

Inside.<br />

Von innen heraus anders- In den vergangenen<br />

20 Jahren hat Mountain Hardwear Outdoor<br />

Bekleidung und Hartware neu definiert. Durch<br />

Innovation, Handwerkskunst und dem Antrieb<br />

Dinge anders anzugehen.<br />

Foto: Miah Watt<br />

Ich lade also meine Geräte nicht direkt an der Energiequelle, sondern zunächst<br />

an den Extra-Akkus?<br />

An die meisten Solarpanels lassen sich Geräte per USB-Kabel anschließen. Smartphones<br />

z. B. laden aber erst ab einer gewissen Wattleistung, die Solargeräte nicht konstant<br />

erreichen. So kann es passieren, dass mein Gerät auch nach zehn Stunden Sonnenschein<br />

nur halb voll ist, weil immer nur dann geladen wurde, wenn die Bedingungen ideal<br />

waren. Dazu kommt, dass es für den Handy-Akku extrem »ungesund« ist, wenn das<br />

Laden ständig unterbrochen wird. Technisch eleganter und deutlich praxistauglicher<br />

ist daher der Umweg über einen Akkupack. Das sammelt den ganzen Tag über Energie<br />

vom Solarpanel, ohne eine Mindestladeleistung zu benötigen. Abends im Zelt kann man<br />

dann per USB-Kabel ganz komfortabel seine Geräte laden – akkuschonend.<br />

Und was ist mit Geräten, die keinen USB-Eingang haben?<br />

Dafür hat Goal Zero einen sogenannten »Inverter« gebaut, der sich an den großen<br />

Akkupack »Sherpa« anschließen lässt. Er transformiert die knapp 20 Volt Spannung<br />

vom Akku für einen normalen Eurostecker-Anschluss. Aber Achtung: Bei über 60<br />

Watt Leistung schaltet er sich ab, sprich: Weder Föhn noch Wasserkocher dürfen mit<br />

auf Tour. Für Laptops, große Kameras oder Spezialakkus ist er aber sehr hilfreich.<br />

Früher gab es auch noch was ganz anderes: Taschenlampen mit Kurbel, bei denen<br />

der Benutzer selbst sein eigenes Kraftwerk war …<br />

Kurbel-Trafos sind eher ein Wunschtraum derer, die auch daran glauben, ihren<br />

Strombedarf von einem Hamster im Laufrad erzeugen lassen zu können. Aber auch<br />

hier gibt es Möglichkeiten: Goal Zero etwa hat eine Taschenlampe mit Solarpanel<br />

und Kurbel im Angebot, die auch eine Lademöglichkeit per USB-Anschluss integriert<br />

hat. Aber wenn ich das mal vorrechnen darf: Die Kurbel liefert bei 120 Umdrehungen<br />

pro Minute 2,2 Watt – um eine Smartphone zu laden, würde das bedeuten:<br />

Vier Stunden am Rad drehen! Bleibt nur zu hoffen, dass das Gerät danach auch Empfang<br />

hat, um einem den Weg durch die Wildnis zu weisen …<br />

Text: Moritz Baumstieger<br />

Stretch Ozonic Jacket<br />

Eine 2,5 Lagen Jacke, die wasserdicht,<br />

atmungsaktiv, unglaublich anschmiegsam und<br />

stretchig ist.<br />

Eine leichte Jacke mit höchster Funktion und angenehm<br />

sanften Tragegefühl, sie wird Deine erste Wahl sein für alle<br />

Aktivitäten draussen. Die exzellente Kontruktion erfüllt alle<br />

Anforderungen, die Du während Deiner Outdoor-Aktivitäten an<br />

die Jacke hast. DryQ Active Technologie schützt Dich vor allen<br />

feucht-nassen Witterungsverhältnissen.


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

EinBlick: Evolutionskünstler Arc’teryx<br />

IMMER EINEN SCHRITT VORAUS<br />

Kanada – nur wenige Länder stehen so sehr für wilde, atemberaubend schöne Natur und die Erfüllung von Outdoor-<br />

Abenteuerträumen. In Vancouver, dem Schmelztiegel aller »Outdoor-Verrückten«, hat sich vor 26 Jahren eine kleine<br />

Manufaktur mit langer Wunschliste, höchstem Anspruch und feinsten Ergebnissen niedergelassen: Arc’teryx.<br />

Anfang der 90er-Jahre. Es herrscht Pionierstimmung<br />

in einer kleinen Firma in Kanadas Outdoor-Hauptstadt<br />

Vancouver. Getüftelt wird am bequemsten Hüftklettergurt,<br />

den die Szene je um die Hüften hatte. Neue Maßstäbe<br />

möchte Kletterer Dave Lane setzen, als er 1989<br />

das Unternehmen »Rock Solid Manufacturing« gründet.<br />

Und legt sich damit gleich mit den ganz Großen der<br />

Branche an: The North Face hat bereits eine Kollektion<br />

mit ähnlichem Namen in den Regalen. Also müssen<br />

Lane und sein neuer Partner Jeremy Guard ihre Marke<br />

umbenennen. Was also könnte als Name für die Dinge<br />

stehen, die ihnen wichtig sind: Perfektion, Akribie, Streben<br />

nach permanenter Weiterentwicklung. Klingt nach<br />

Evolution. Dachten sich Lane und Guard auch – und<br />

erkoren das Abbild des Synonyms für Evolution als ihr<br />

neues Markenlogo: das fossile Skelett des Urvogels Archaeopteryx.<br />

Die Kurzform: Arc’teryx ...<br />

Wie viele Marken der Outdoor-Welt ist eben auch<br />

Arc’teryx aus einer Unzufriedenheit mit dem Bestehenden<br />

entstanden. Der Ansatz: Wenn es die notwendige<br />

Lösung noch nicht gibt, bauen wir sie eben als Erste.<br />

Um die Klettergurte bequem zu machen, entwickelte<br />

das Team um Dave Lane also »einfach« ein neues, spezielles<br />

Pressverfahren, mit dem filigrane, dreidimensionale<br />

Polsterungen möglich wurden. Fachausdruck<br />

»Thermo-Molding«. Die erhoffte Wirkung – ein für damalige<br />

Verhältnisse unglaublicher Gurt na mes »Vapor«<br />

– sprach sich bald in Fachkreisen herum. Mitte der 90er<br />

tauchte in den Fachgeschäften der erste Rucksack, Modell<br />

»Bora«, mit dem markanten Logo auf. Das Thermo-<br />

Molding-Verfahren kam bei seinem Hüftgurt und seiner<br />

Rückenpartie zum Einsatz – und zauberte ein verzücktes<br />

Grinsen in die Gesichter der Menschen, die ihn erstmals<br />

aufsetzten. Das Loch, das die Anschaffung in die<br />

Reisekasse riss, wurde mit lebenslanger Zufriedenheit<br />

aufgefüllt. Wenige Jahre später brachte Arc’teryx seine<br />

ersten Jacken auf den Markt und traf auch damit voll ins<br />

Mark der Outdoor-Enthusiasten. Passform, Funktion,<br />

Gewicht, scheinbar alles war an ihnen mit kompromissloser<br />

Perfektion umgesetzt. Dass die edlen Teile auch<br />

noch richtig gut aussahen, war ein äußerst willkommener<br />

Nebeneffekt.<br />

Viele kleine Revolutionen<br />

Bis heute lebt die Marke von Mitarbeitern mit überdurchschnittlich<br />

hoher Leidenschaft für ihr Tun. Menschen,<br />

die nicht Ruhe geben, bevor sie ihre Vorstellung<br />

eines perfekten Produktes realisiert haben. So brach -<br />

ten die »Birds«, wie die Kanadier von Insidern genannt<br />

werden, nach dem Thermo-Molding noch zahlreiche<br />

weitere bahnbrechende Produktentwicklungen auf den<br />

Weg, die heute zum Standard in der Outdoor-Welt zählen.<br />

Wie zum Beispiel den wasserfesten Reißverschluss,<br />

an dem sich Weltmarktführer YKK lange die Zähne ausgebissen<br />

hatte. Mike Blenkarn – eine Legende unter<br />

den »Daniel Düsentriebs« der Branche und seit 1995<br />

bei Arc’teryx – beschichtete, bügelte, schnippelte und<br />

testete so lange, bis er ihn 1998 endlich in Serie einbauen<br />

konnte. Mittlerweile gehören solche wasserfesten<br />

Reißverschlüsse zum Branchen-Standard. Auch der Laminathersteller<br />

W.L. Gore profitierte vom Innovationsdrang<br />

aus Vancouver. Im Rahmen der jahrzehntelangen<br />

Partnerschaft war man maßgeblich an der Entwicklung<br />

bahnbrechender Top-Laminate wie »Gore-Tex Pro«<br />

beteiligt. Die Liste der kleinen Revolutionen ist noch<br />

länger: z. B. »Zipper-Garagen« um das Eindringen von<br />

Wasser in Außentaschen zu unterbinden, Thermolaminierung,<br />

um Nähte mit Tapes wasserdicht zu machen,<br />

dreidimensionale Schnitttechnik ...<br />

Auch wenn Arc’teryx im Jahr <strong>2<strong>01</strong>5</strong> kein Geheimtipp<br />

mehr ist, an kompromissloser Qualität und herausragender<br />

Design-Arbeit hat einer der besten Importe in der<br />

Geschichte Kanadas – zumindest aus Sicht von Alpinisten,<br />

Trekkern und Kletterern – kein bisschen eingebüßt,<br />

im Gegenteil. Seit dem ersten wasserfesten Reißverschluss<br />

ist Mike Blenkarns Kollegenschaft gewachsen.<br />

Aus einem halben Dutzend Ende der 80er-Jahre<br />

sind über 600 Mitarbeiter geworden. Und gearbeitet<br />

wird nicht mehr in einem Keller, sondern in mehreren<br />

großzügig angelegten Gebäuden in North Vancouver am<br />

Fuße der Berge British Columbias. Am Empfang sitzt<br />

Usha Parbhakar, auf ihrem Firmenausweis steht die<br />

Mitarbeiternummer 1. Zu Beginn hatte sie Klettergurte<br />

genäht, jetzt regelt sie den Zugang in die Schaltzentrale<br />

des Unternehmens. Auch sie strahlt diese Zufriedenheit<br />

aus, die im »Bird’s Nest« omnipräsent ist.<br />

Die Perfektion liegt im Detail<br />

Knapp 400 verschiedene Modelle hat Arc’teryx mittlerweile<br />

in seiner Kollektion. Aber verträgt eine auf<br />

Feinheiten und kompromisslose Funktion ausgerichtete<br />

Marke so viel Wachstum? Das tut sie. Denn Leidenschaft,<br />

Neugierde und Perfektionismus sind nach<br />

wie vor Einstellungskriterien. Wenn ein Produkt nicht<br />

»fertig« ist, kommt es auch nicht auf den Markt. Basta!<br />

Im Design-Center von Arc’teryx tüfteln gleich auf<br />

zwei Stockwerken circa 30 Produktdesigner, Schneider,<br />

Mustermacher und Farbspezialisten an neuen Modellen<br />

und Materialien. Mittendrin steht der nach reichlich Arbeit<br />

aussehende Tisch von Carl Moriarty, dem Chef der<br />

Truppe. »Viele Leute haben gesagt, mit dem Wachstum<br />

würde das Produkt schlecht werden. Aber es macht<br />

Spaß, diesen Menschen das Gegenteil zu beweisen«,<br />

20


Kein Schnickschnack: Arbeitsplatz von<br />

passionierten Puristen.<br />

Design-Legende Mike Blenkarn<br />

in seinem Metier.<br />

Gründer Dave Lane testet sein erstes<br />

Produkt: Klettergurte.<br />

Nur die besten Stoffe kommen<br />

in ein Arc’teryx-Produkt.<br />

sagt er mit einem zufriedenen Lächeln. Neben den vielen<br />

Detaillösungen sei vor allem der dreidimensionale<br />

Schnitt der Grund, warum die Menschen Arc’teryx-Bekleidung<br />

so liebten – volle Bewegungsfreiheit und trotzdem<br />

eine athletische Passform.<br />

Im nächsten Gebäudetrakt sind die Wände gepflastert<br />

mit unzähligen Farbkombinationen. Es ist das Reich<br />

von Kristi Birnie, Hüterin der Farben und damit Leiterin<br />

eines Bereiches, der für Arc’teryx essenziell wichtig ist.<br />

Studien haben bestätigt, dass ein enormer Anteil bei<br />

der Entscheidung für ein Produkt an dessen Farbgebung<br />

hängt. Und genau hier setzen Kristi Birnie und ihr<br />

neunköpfiges Team an. Sie beherrschen die Komposition<br />

und Dosierung von Farben nahezu perfekt, wie etwa<br />

das Setzen minimalster Kontrastpunkte durch andersfarbige<br />

Reißverschlussbändchen an einer einfarbigen<br />

Jacke – die ansonsten vielleicht »langweilig« wirken<br />

würde. Dazu kommt die punktgenaue Auswahl der einzelnen<br />

Farben, die immer auf eine Art speziell sind –<br />

wie der exakt passende Name dazu. So heißt ein helles<br />

Grün «mantis», das englische Wort für Gottesanbeterin,<br />

ein dunkles Rot «buckeye», die Rosskastanie. «Damit<br />

hauchen wir einem relativ sterilen Produkt Leben ein»,<br />

sagt Birnie, selbst eingehüllt in ein perfekt abgestimmtes,<br />

kräftiges, aber unaufdringliches Outfit. Allein den<br />

Jacken einer Saison verabreichen die Arc’teryx-<br />

Farbkünstler circa 60 verschiedene Farben.<br />

Echte Handwerkskunst<br />

Die Fertigung der hochwertigsten Kollektionsteile ist<br />

mit klassischer Massenproduktion kaum vergleichbar,<br />

eher mit traditioneller Handwerkskunst. Die Produktion<br />

einer Alpha SV Jacket, der Porsche unter den Bergsportjacken,<br />

benötigt 211 Arbeitsschritte, durchgeführt<br />

von 65 unterschiedlichen Personen, und einen Zeitaufwand<br />

von durchschnittlich vier Stunden und 38 Minuten<br />

– für eine Jacke. Allein das Logo entsteht durch ungefähr<br />

11.000 Stiche, um optisch wie qualitativ dem hohen<br />

Anspruch gerecht zu werden. Kein Produkt verlässt<br />

die Produktion, ohne vorher eine genaue Qualitätskontrolle<br />

zu durchlaufen. Die Rücklaufquote der Garantieabteilung<br />

liegt bei unter einem Prozent. Bei Darren<br />

Ritten, dem Manager des Kundenservice-Centers und<br />

ebenfalls »Langzeit-Vogel« wie Blenkarn, Moriarty und<br />

Birnie, gehen häufig Anfragen ein, ob sie es nicht bitte,<br />

bitte schaffen könnten, die abgetragene, manchmal<br />

jahrzehntealte Jacke nach einem Sturz wieder zu reparieren.<br />

»Auch diese Menschen versuchen wir natürlich<br />

glücklich zu machen«, sagt Ritten. Dafür halten er<br />

und sein Team früher<br />

verwendete Stoffe und<br />

Farben parat.<br />

Seit 26 Jahren sprudelt<br />

es Innovationen aus<br />

dem Hause Arc’teryx. Woher<br />

bekommen sie all die Eingebungen? »Wir leben hier in<br />

einem einzigen Testcenter. Um uns herum gibt es wunderbare<br />

Berge, Meer und Natur, eine riesige Spielwiese<br />

für jede erdenkliche Outdoor-Sportart – und dazu eine<br />

Menge Regen«, erklärt Chef-Designer Carl Moriarty.<br />

In seinen Augen sieht man die Lust auf weitere Tüftlererfolge,<br />

um der Konkurrenz wieder einen Schritt voraus<br />

zu sein. Man darf gespannt sein auf den nächsten<br />

Schritt der Evolution ...<br />

Text: Moritz Becher<br />

Fotos: Arc’teryx, Angela Percival<br />

21


RAUSZEIT Winter Sommer 2<strong>01</strong>4/<strong>2<strong>01</strong>5</strong> <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

NACHGEFRAGT: Bo Hilleberg<br />

TERMIN BEI DR. ZELT<br />

Viele nennen ihn schlicht den »Zeltpapst«. Dass Bo Hilleberg eines der meistbegehrten Outdoor-Produkte geschaffen<br />

hat, i st allerdings eher eine natürliche Konsequenz seiner Denkweise. Mit fast 75 kann er zurückblicken auf ein Leben,<br />

das bestimmt war und ist von seinem Familiensinn, seiner grenzenlosen Liebe zur Natur und dem Fokus auf – man ahnt<br />

es – die besten Zelte der Welt.<br />

Manche Menschen haben dieses außergewöhnliche Charisma.<br />

Eine Aura, mit der sie ihre Mitmenschen in den<br />

Bann ziehen. Bo Hilleberg, den die meisten »Bosse« nennen<br />

dürfen, ist so ein Mensch. Schon der Nachname an sich<br />

löst bei vielen Outdoorern feuchte Augen aus. Bei denen,<br />

die ein Hilleberg-Zelt besitzen, vor Rührung und Stolz, bei<br />

dem Rest vor Wehmut. Um sein Lebenswerk zu begreifen,<br />

sollte man Bosse näher kennenlernen. Keine Starallüren,<br />

kein offensichtlicher Luxus, nur der Wunsch, dass die notwendigen<br />

Dinge im Leben funktionieren. Denn genau aus<br />

diesem Grund, oder besser weil eben genau das nicht der<br />

Fall war, können heute Outdoor-Abenteurer auf dem patagonischen<br />

Inlandeis oder den nordschwedischen Fjälls<br />

beruhigt in ihre Schlafsäcke kriechen, wenn draußen Mutter<br />

Natur mal wieder die Windmaschine angestellt hat.<br />

Denn hätte er sich damals, auf seinen wochenlangen Solo-<br />

Touren in der Wildnis des Sarek Nationalparks, nicht so<br />

maßlos über sein Zelt geärgert, dann gäbe es die grünen<br />

und roten Tunnel-, Kuppel- und Geodät-Modelle aus dem<br />

jämtländischen Frösön heute vermutlich nicht.<br />

Lässt man Bo Hilleberg aus dem Nähkästchen plaudern,<br />

lernt man einen Mann kennen, dessen Liebe zur<br />

Natur von klein auf einfach da war. Er wuchs in behüteten<br />

Verhältnissen im Südosten Schwedens, nahe der Stadt<br />

Söderköping, auf, der Vater ein Waldarbeiter, die Mutter<br />

Leiterin eines kleinen Geschäftes und Hausfrau. Der<br />

Weg zum nachbarlichen Bauernhof, um frische Milch zu<br />

holen, war begleitet von Naturgeräuschen – Wind in den<br />

Bäumen, das »Bellen« der Füchse, das Kreischen der<br />

Greifvögel. All das fasziniert Bosse. So viel Zeit wie möglich<br />

verbringt er im Freien. Oft allein, denn zum einen,<br />

so sagt er, kann man die Natur dann intensiver erleben,<br />

zum anderen war damals auf dem Land die Leidenschaft<br />

für das Freizeitthema Outdoor noch nicht sonderlich weit<br />

verbreitet. »Die Leute haben den ganzen Tag draußen<br />

gearbeitet, weil sie es mussten.« Erst später, während<br />

seines Militärdienstes in der »Mountain Ranger School«<br />

im nordschwedischen Kiruna und bei seiner Ausbildung<br />

in Forstwirtschaft lernt er Gleichgesinnte kennen. Zunächst<br />

favorisiert er den Wald, das Geschehen unterhalb<br />

der Baumgrenzen, dann zieht es ihn zunehmend in alpine<br />

Regionen. Immer mit dabei: ein nicht wirklich funktionierendes<br />

Zelt. 1971 gründet er die Hilleberg AB, einen<br />

Importeursbetrieb für finnische Forstausrüstung und<br />

kleine, den Wald schonende Maschinen. Parallel nehmen<br />

Ärger und Vision Formen an: Bosse tüftelt an seinen ersten<br />

Zelt-Prototypen. Seine Idee ist ebenso simpel wie revolutionär.<br />

»Ich wollte nicht nur ein starkes Zelt, das dem<br />

Wetter dieser rauen Region standhalten würde, sondern<br />

auch eines, dessen Innenzelt beim Aufbau im Regen nicht<br />

nass wird.« Der Gedanke klingt nicht nur für ihn logisch –<br />

und nach einiger Entwicklungsarbeit steht ein Firstzelt,<br />

in dem das Innenzelt bereits eingeknüpft ist. »Keb«, die<br />

Abkürzung für seinen geliebten Berg Kebnekaise, tauft<br />

Bo sein erstes »Hilleberg«. Das Zelt ist gut, wie soll es<br />

aber weitergehen? Er entschließt sich, den Forstmaschinenbetrieb<br />

einzustellen und alles auf die Karte Zelte zu<br />

setzen. Seine Frau Renate, die er 1971 im Skiurlaub in<br />

Tirol kennengelernt und bereits ein Jahr später mit Ehering<br />

am Finger nach Schweden »importiert« hat, näht die<br />

Zelte, Bo entwickelt und verkauft. Gut 40 Jahre später<br />

ist das Sortiment auf über 35 Modelle angewachsen, die<br />

Firma – mittlerweile international bekannt – nach wie vor<br />

ein Familienbetrieb. Tochter Petra leitet in Seattle das<br />

Geschehen der US-Tochterfirma, Sohn Rolf lenkte viele<br />

Jahre als Geschäftsführer den Betrieb in Europa und ist<br />

heute Aufsichtsrat bei Hilleberg und Präsident der Scandinavian<br />

Outdoor Group. Und Bosse? Der ist immer noch<br />

– neben Familienoberhaupt und CEO der Hilleberg Group<br />

– der Leiter der Produktentwicklung. Im Oktober 2<strong>01</strong>4<br />

erhielt er von der Universität Mid Sweden den Ehrendoktortitel<br />

für die jahrelange Zusammenarbeit in puncto<br />

Entwicklung. Von Ruhestand will er noch nichts wissen:<br />

»Warum sollte ich jetzt aufhören? Ich liebe meinen Job<br />

– außerdem macht es mir Freude, mit jungen, motivierten<br />

Leuten zu arbeiten.« Die Alten, so sagt er, tendieren<br />

immer dazu, in Erinnerungen zu schwelgen und nur über<br />

die Vergangenheit zu sprechen. Er wolle aber lieber nach<br />

vorne schauen, in die Zukunft, das sei spannender. Zugegeben,<br />

sein Arbeitspensum hat er auf 30 Prozent heruntergeschraubt.<br />

Aber die reichen oft, um seinen Vorstellungen<br />

ausreichend Ausdruck zu verleihen. Seine Frau<br />

Renate hat einmal über ihn gesagt, es sei seine größte<br />

Schwäche, immer Recht haben zu müssen – und seine<br />

größte Stärke, dass er eben meistens auch Recht habe.<br />

Wer so lange die Natur sein zweites Zuhause nennt,<br />

ist viel herumgekommen. Doch auch wenn lange Kanu-<br />

Expeditionen im hohen Norden Kanadas und Ausflüge<br />

in den Dschungel Borneos sein Tourenbuch zieren, am<br />

liebsten ist er »vor der Haustür« unterwegs. »Wir sind<br />

hier in Schweden so gesegnet mit grandioser Natur, es<br />

ist eigentlich absolut nicht notwendig, weiter wegzufahren.«<br />

Sein Lieblingsgebiet ist das Naturreservat Rogen in<br />

der Provinz Härjedalen, wohin er regelmäßig Touren mit<br />

der gesamten Hilleberg-Belegschaft unternimmt. Ob er<br />

mit fast 75 wirklich immer noch so oft in »seinen« Zelten<br />

schlafe? So oft es eben gehe. Der Unterschied sei nur,<br />

dass jetzt – im Alter – jeder sein eigenes Schlafzelt habe.<br />

Naja, ein bisschen Luxus darf es für Dr. Zelt schon sein.<br />

Text: Moritz Becher<br />

Fotos: Hilleberg, Moritz Becher<br />

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RAUSZEIT Winter 2<strong>01</strong>4/<strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

Die Entwicklung der besten Zelte als<br />

logische Konsequenz. Im Leben von<br />

Bo Hilleberg spielen Naturerlebnisse<br />

eine zentrale Rolle.<br />

10 Fragen an Bo Hilleberg:<br />

Glaubst du an Schicksal, und wenn ja, warum?<br />

Nein, mir gefällt der Gedanke, dass ich meine Entscheidungen im Leben selbst treffe<br />

und meinen Weg selber gehe.<br />

Bitte vervollständige folgenden Satz: Ein Abenteuer ist ...<br />

... sowohl ein Ausflug in die Natur vor der Haustür als auch eine große Expedition in<br />

unbekanntes Terrain.<br />

Auf welchen Ausrüstungsgegenstand würdest du unterwegs nicht verzichten?<br />

Ein Hilleberg-Zelt (lacht). Im Ernst: vermutlich mein Messer und Streichhölzer. Aber<br />

es hängt tatsächlich stark von der jeweiligen Tour ab.<br />

Was hat dir im Leben schon mal richtig Angst gemacht?<br />

Dinge, die ich nicht beeinflussen oder handhaben kann. Kriege etwa, wie z. B. aktuell in<br />

der Ukraine. Das besorgt mich sehr.<br />

Wer war der beeindruckendste Mensch, den Du je kennengelernt hast, und warum?<br />

Da fällt mir keine spezielle Person ein. Oder besser: Es gibt viele völlig unterschiedliche<br />

Menschen, die mich auf ihre Weise beeindruckt haben.<br />

Was hast du im Leben wirklich Relevantes gelernt?<br />

Einen klaren Fokus vor Augen zu haben, ohne in irgendeiner Weise extrem zu sein.<br />

Was ist Glück für dich?<br />

Einfach draußen die Natur zu genießen oder zu Hause eine gute Zeit mit der<br />

Familie zu verbringen. Sehr simple, aber meines Erachtens essenzielle Dinge.<br />

HIRUNDOS<br />

Effizient und leicht,<br />

um sich auf die Griffe zu stürzen.<br />

Photo © www.kalice.fr<br />

Welchen Kindheitstraum hast du dir erfüllt?<br />

Die Freiheit zu haben, mein Leben selbst zu bestimmen<br />

und Entscheidungen zu treffen – beruflich wie privat.<br />

Welche Dinge werden heutzutage oft überschätzt?<br />

Materieller Besitz und Reichtum.<br />

Wie würde der Titel deiner Autobiografie lauten?<br />

Ich habe kürzlich einen Ehrendoktortitel erhalten.<br />

Vielleicht wäre es also »Outdoor-Doktor Hilleberg«<br />

oder »Der Zelt-Doktor«.<br />

FOTO Christina Karliczek<br />

Leicht-Gurt zum ambitionierten Klettern und Bergsteigen<br />

Der HIRUNDOS ist der ideale Gurt zum leistungsorientierten Sportklettern und<br />

Bergsteigen. Dank der FUSEFRAME Technology verfügt er über ein hervorragendes<br />

Komfort-Gewicht-Verhältnis. www.petzl.com<br />

23


RAUSZEIT Sommer <strong>2<strong>01</strong>5</strong><br />

FOTO Outdoor Research<br />

LIEBESERKLÄRUNG<br />

»VIELE SUCHEN IHR GLÜCK,<br />

WIE SIE IHREN HUT SUCHEN,<br />

DEN SIE AUF DEM KOPF TRAGEN.«<br />

( FRIEDRICH LÖCHNER )<br />

24<br />

Eigentlich weiß ich gar nicht mehr so richtig, wie dieser<br />

Hut zu mir kam. Doch ich kann mich noch genau<br />

an unseren ersten gemeinsamen Auftritt in der Öffentlichkeit<br />

erinnern: Es war ein grauer, verregneter Sonntag,<br />

1992, in Berlin, mit Frau und Kind im Tierpark. Bei<br />

Regen ist dort fast kein Mensch unterwegs, die Tiere<br />

sind entspannt und man kann nahezu unbehelligt durch<br />

die leeren Alleen wandeln. Nahezu. Denn ich, der spazierende<br />

Zweimetermann mit großem »schwarzem<br />

Deckel« veranlasste die wenigen anderen Zoobesucher<br />

dazu, sich irritiert umzudrehen. 1992 waren Hüte alles<br />

andere als »en vogue« oder normal. Die Kapuzen<br />

an Regenjackenkrägen waren zwar vorhanden, hatten<br />

aber wenig funktionalen Nutzwert – und Brillenträger<br />

wie ich bekamen garantiert immer Wasser auf die Lupen.<br />

Kurz: Für meinen neuen Super-Hut nahm ich die<br />

kritischen Blicke herzlich gerne in Kauf. Und hätten<br />

diese Menschen an diesem Tag von seinen Qualitäten<br />

gewusst, es wären neidische Blicke gewesen.<br />

Mein Hut, der bis heute auf den sonnigen Namen<br />

»Seattle Sombrero« hört, war wie eine Befreiung: keine<br />

raschelnde, das Lauschen einschränkende, beengende<br />

Tüte mehr auf dem Kopf. Ich war trocken vom Scheitel<br />

bis zu den Schultern und schritt erhobenen Hauptes in<br />

die Welt hinaus. Unsere erste gemeinsame Reise führte<br />

uns im Kanu durch ein sehr verregnetes Schweden.<br />

Der Fuluälven floss träge dahin, der Regen kredenzte<br />

riesige Platzer auf die Wasseroberfläche. Ein wunderschönes<br />

Erlebnis. Denn ich war warm und trocken unter<br />

dem Spritzverdeck – und unter meinem Hut. Ohne<br />

nervige Kapuze lauschte ich dem Prasseln des Regens,<br />

während das Ally-Kanu im mäandernden Fluss um die<br />

Kurve trieb. Da stand er plötzlich im Wasser, ein Elch<br />

mit seiner Madame. Er war genauso erschrocken wie<br />

wir – ich glaube nicht, dass es dieses Mal am Hut lag.<br />

Seit jenem verregneten Sonntag, 1992 in Berlin, begleitet<br />

mich der Seattle Sombrero zuverlässig durch die<br />

Welt. Klein gefaltet passt er sogar in die Hosentasche, bei<br />

Bedarf bereit zum schützenden Einsatz. Sei es in der sengenden<br />

Sonne der ägyptischen Wüste, beim Bergsteigen<br />

in den Höhen der kaukasischen Gipfel oder in der feuchttropischen<br />

Hitze des südamerikanischen Regenwaldes.<br />

Er ist Schattenspender, Regenschutz und angenehme<br />

Klimaanlage in einem. Etwas in die Jahre gekommen,<br />

muss er mittlerweile hin und wieder in die Waschmaschine<br />

und bekommt anschließend eine neue Imprägnierung<br />

auf die emeritierte Haut. Doch danach ist er wieder ganz<br />

der Alte, so wie damals in Schweden, auf dem Fuluälven.<br />

Seit seinem zwanzigsten Lebensjahr liegt er nicht mehr<br />

nur zusammengefaltet bei meiner „restlichen“ Outdoor-<br />

Ausrüstung. Er hat sich einen Ehrenplatz an der Flurgarderobe<br />

verdient. Der Hut für jeden Tag und jedes Wetter.<br />

Ja, es gibt sie noch, die wirklich guten Dinge.<br />

Andreas Hille<br />

2000, im Pirin-Gebirge in<br />

Bulgarien.<br />

PRODUKTINFORMATION/<br />

OUTDOOR RESEARCH SEATTLE SOMBRERO<br />

Der Hut aus dreilagigem Gore-Tex-Material schützt vor<br />

Sonnenschein und Regenschauern. Mit ein paar Handgriffen<br />

lässt sich die mit Schaum verstärkte Krempe an<br />

die Witterung anpassen. Hochgeklappt und an der Seite<br />

festgeklippt ist der Hut ein praktischer Sonnenschutz.<br />

Bei Regen leitet die heruntergeklappte, breite Krempe<br />

das Wasser wie eine Rinne weg vom Jackenkragen und<br />

hält Gesicht- und Halsbereich trocken. Ein funktionelles<br />

Innenfutter unterstützt den Wasserdampfdurchlass,<br />

sodass unter der Haube ein angenehmes Klima<br />

herrscht. Über ein Innenband lässt sich die Passform<br />

genau auf den Träger einstellen, damit der Hut auch<br />

bei Wind fest am Kopf sitzt. Denn Sonne und Regen, die<br />

wechseln sich ab …<br />

Preis: 54,95 Euro<br />

2<strong>01</strong>4, mit dem Seekajak<br />

rund um Rügen.<br />

1997 mit Tochter am<br />

Titicacasee

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