e v e n rn t a l IM FOKUS HANAU BRÜDER-GRIMM-STADT INTERVIEW CLAUS KAMINSKY OBERBÜRGERMEISTER
HANAU INTERVIEW CLAUS KAMINSKY event journal 7 EJ: Hanau weist verschiedene Aspekte einer Stadt mit Brennpunkten auf. 2017 kam es bei Ihnen gehäuft zu gewalttätigen Vorfällen, die durch die Medien getragen worden sind. Bitte teilen Sie unseren Lesern mit, welche Wege Sie als Antwort darauf beschritten haben. CK: In 2017 erfolgte eine zeitliche Ballung von Straftaten, die das Image und die Außenwahrnehmung der Stadt in der Tat negativ beeinflusst haben. Die einzelnen Taten hatten gar nichts miteinander zu tun und stehen nicht für unsere große Gemeinschaft typisch. In der Fortsetzung einer vermeintlichen Geschichte aus heutiger Sicht ist ganz klar ersichtlich, dass diese Vorfälle keinerlei Auswirkungen auf unser von kultureller Vielfalt positiv geprägtes Miteinander hatten. Es ist nicht meine Rolle, an dieser Stelle irgendetwas zu verharmlosen, aber in unserer Stadt mit rund 100 000 Einwohnern in Rhein-<strong>Mai</strong>n gibt es auch wie in vergleichbaren anderen Städten Straftaten, gegen die natürlich vorgegangen werden muss. Es ist mir wichtig zu betonen, dass dies zunächst eine staatliche Aufgabe ist. Staatliche Polizei und Justiz sind für die Sicherheit in unserem Land verantwortlich. Auf der anderen Seite befinden wir uns selbstverständlich mit den Verantwortlichen des Landes in bester Kooperation bezüglich dessen, was wir tun können, das betrifft zum einen den Bereich der Prävention. Seit 2008 haben wir beispielsweise schon einen Präventionsrat, zum anderen aber auch konkrete Maßnahmen. Diese Maßnahmen waren sogar schon geraume Zeit vor den Ereignissen auf dem Gleis. Ich darf die Platzierung einer Videoüberwachung auf dem Freiheitsplatz in diesem Zusammenhang anführen. In den nächsten Tagen werden die Kameras dann „scharf“ geschaltet. Ferner haben wir eine Stadtwache eingerichtet und das sind eben beides Maßnahmen, die schon vorher projektiert waren und nun plangemäß umgesetzt werden. Viele Menschen haben gedacht, das seien Reaktionen auf die Straftaten, das ist auch nicht schlimm, aber es muss doch richtig gestellt werden, dass die Beschlüsse der Stadt im Hinblick auf ein vorausschauendes Management schon weit vorher gefällt worden sind. Das hat beispielsweise dazu geführt, dass das Land Hessen uns als eine der vier Modellkommunen ausgewählt hat, weil wir auf diesem Feld besonders vorbildlich unterwegs sind. Das wird auch in Zukunft nicht dazu führen, dass Hanau zum Paradies wird, aber wir wollen mit kommunalen Maßnahmen das Zusammenleben in unserer Stadt in positive Bahnen lenken. Wir haben in der Altstadt zudem auch noch ein Haus des Jugendrechts geplant. Jedes Verbrechen ist eines zu viel. Trotzdem kann ich weder in Hanau noch in anderen Städten ein Paradies in Aussicht stellen. EJ: Wie sehen Sie die Probleme Ihrer Stadt vor einem hohen Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund? CK: In Hanau hat ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger einen Migrationshintergrund, das geht bis ins 16. Jahrhundert zurück. "Wir sind hier ganz stolz darauf und zufrieden damit, dass trotz der Tatsache, dass hier Menschen mit Wurzeln aus über 130 Nationen leben, wir hier Tag für Tag ein traditionell friedliches Miteinander praktizieren". Insofern habe ich ein Problem damit festzustellen, es gäbe ein besonderes Problem mit Menschen mit Migrationshintergrund, denn als pauschales Urteil lässt sich das nicht identifizieren. Der Anteil derjenigen, die sich nicht an die Gesetze halten, divergiert kaum quer durch die Bevölkerungsgruppen. Aber ich möchte betonen, dass ich die Frage völlig in Ordnung finde, denn auch die Bürgerinnen und Bürger stellen mir solche Fragen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information. Seit Jahrzehnten hat Integrationspolitik sogar parteiübergreifend bei uns einen ganz hohen Stellenwert, denn wir sind natürlich der Meinung, dass das friedliche Zusammenleben von 130 Nationen etwas mit Integrationsanstrengungen zu tun hat. Das kann man auch daran erkennen, dass die Konflikte hier weniger zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen verlaufen, als vielmehr die Frage gesellschaftlicher Teilhabe betreffend. Das haben wir früh erkannt und als Konsequenz 2006 Gebührenfreiheit im Kindergartenbereich geschaffen, lange bevor das für das Land Hessen überhaupt ein Thema war. Damit wollten wir erreichen, dass ganze Jahrgänge der Drei- bis Sechsjährigen im Kindergarten sind. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt für die Chancengleichheit im späteren Leben und für das spätere Verhalten im Umgang mit anderen Menschen. Die Botschaft ist, dass hier jeder erstmal die gleichen Chancen hat, wenn er sich an die Regeln hält und es keine Unterschiede durch das Einkommen der Eltern bei den zu erreichenden Möglichkeiten in der Zukunft geben soll. EJ: Digitalisierung ist für die Politik immer ein großes Schlagwort. Sieht sich die Stadt schon als Nutznießer dieser Entwicklung bzw. wie stehen Sie drohenden Gefahren gegenüber? CK: Bei der Frage der Digitalisierung habe ich im Moment, bei dem was öffentlich diskutiert wird, den Eindruck dass ganz viel Mode dabei ist. Es fällt auf, dass die Diskrepanz in Sonntagsreden zum Thema der Notwendigkeit der Digitalisierung und der Wirklichkeit, wie diese umgesetzt werden soll, ganz erheblich ist. Je höher die politische Ebene, die dieses Thema aufgreift, desto größer ist die Diskrepanz. Das ist mein grundsätzlicher Eindruck. Wenn Sie mich nun fragen, wie wir es in Hanau machen, so sehen wir das ganz schlicht im Dienste des Bürgers. Das bedeutet, dass wir versuchen, viele Arbeitsprozesse für die Menschen zu vereinfachen. Das beginnt damit, dass wir uns Gedanken darüber machen, ob man wirklich für eine Unterschrift auf ein Amt muss. Allerdings sind die Beschränkungen durch den Gesetzgeber im Moment noch so restriktiv, dass vieles, was wir uns an Umsetzung wünschen, noch gar nicht erlaubt ist. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung viele Hürden, die im Moment noch in den Kommunen bestehen, im Sinne der Vereinfachung des täglichen Lebens zur Seite räumt. Es muss Rechtssicherheit erzeugt werden. Wir wollen mit der Digitalisierung also Prozesse vereinfachen und den Leuten Gänge aufs Rathaus ersparen und wir wollen als Stadt auch Geld damit sparen. Es ist so, dass wir in den letzten Jahren hundert Stellen abbauen konnten, ohne dass der Bürgerservice darunter zu leiden hatte. Das Ende der Einsparungen ist wahrscheinlich nun erreicht, denn Städte wachsen kontinuierlich und somit stehen wir hier dann trotz rationalisierter Prozesse wieder vor neuen Aufgaben. Aber wir planen keine neuen Stellen, denn wir nutzen Produktivitätsfortschritte und in diesem Sinne auch die Digitalisierung. Daneben spielt das Thema Datenschutz eine ganz große Rolle, denn auch wir sind immer wieder Cyber-Attacken ausgesetzt. Die Menschen müssen wissen, dass wir uns die Sicherheit ihrer Daten und die Kontinuität von Arbeitsabläufen auf kommunaler Ebene viel kosten lassen. Wobei ich das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger auf Gesellschaftsebene teilweise als schizophren empfinde, wenn ich mir ansehe, was manche Menschen im Internet über sich preisgeben. Viele Menschen gehen sehr großzügig mit persönlichen Informationen um ohne das Bewusstsein zu haben, dass das Netz nichts vergisst. Meiner Meinung nach besteht eine ganz hohe Dringlichkeit, in den Schulen massiv auf die Gefahren des Cyberspace aufmerksam zu machen, denn die Einfachheit der Bedienung der digitalen Medien steht in gar keinem Verhältnis zu den möglichen weitreichenden Konsequenzen für die Menschen. Das muss man Kindern klar machen. Auch die Fälle von Cyber- Mobbing häufen sich. Das sind alles Gesichtspunkte, die veränderte Lerninhalte für Kinder und Jugendliche bewirken müssen. Gesellschaftliche Diskussions- und Erkenntnisfähigkeit hinken im Moment noch weit hinter den technischen Möglichkeiten her und das bringt viele Gefahren für die User mit sich. Ich möchte die Digitalisierung gar nicht verteufeln, aber eine funktionierende Gesellschaft muss auch mutig sein und muss ihre demokratischen Werte beschützen. Wir würden uns selbst einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir die Regeln fürs Netz und vor allem die Regeln darüber, was mit unseren Daten geschieht, nicht unter demokratischen Gesichtspunkten beschließen würden und es privaten Firmen wie facebook oder Google überlassen, den digitalen Aspekt unseres Lebens zu reglementieren. Das vor Jahren vom Bundesverfassungsgericht festgelegte Recht auf informationelle Selbstbestimmung dürfen wir auf gar keinen Fall aus der