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<strong>DINGE</strong><br />
Eine fotografische Reise ins Reich der Dinge<br />
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Belebte Dinge, gemeinsame Sache<br />
„Ein Ding ist dann wichtig,<br />
wenn irgendjemand denkt, dass es wichtig ist.“<br />
William James<br />
Lebendig ging es schon immer zu im Wohnring 6 in Hamburg-Steilshoop.<br />
Noch ein bisschen lebendiger wurde es, als im Sommer 2017 die neue<br />
barrierefreie SAGA-Wohnanlage in der Fehlinghöhe 16 bezogen wurde und<br />
„LeNa“ gestartet ist.<br />
LeNa – Lebendige Nachbarschaft ist das gemeinsame „Ding“ von Bewohner*innen,<br />
Freiwilligen und Institutionen. Alle tragen dazu bei, dass die<br />
Nachbarschaft gelingt, gemeinsam der Alltag gemeistert wird und: dass<br />
Leben in die Bude kommt!<br />
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Die Fotografin Kristine Thiemann und die Gestalterin Eva Kolb haben im<br />
Winter 2017 einen fotografischen Streifzug durch die 8-farbigen Treppenhäuser<br />
und Gänge der Wohnanlage unternommen. Gemeinsam mit den<br />
Bewohner*innen wurden die vielen kleinen Dinge, die in den Wohnungen<br />
ein neues Zuhause gefunden haben, zu neuem Leben erweckt. Fotokunst<br />
als gemeinsame Sache! Und die Bilder sprechen für sich: einfarbig und<br />
doch nie eintönig, selbstbestimmt und nie dasselbe. Belebt, was vorher<br />
noch ein Ding war. Und gemeinsam, was sonst nur eine Sache ist.
Die SAGA Geschäftsstelle Barmbek hat die Kosten übernommen, ProQuartier<br />
Projektkonzeption und Koordination, aaost hat die Umsetzung unterstützt.<br />
Nach der Ausstellungseröffnung am 27. März 2018 sind die Fotos in<br />
den acht Etagen der Fehlinghöhe 16 zu bestaunen.<br />
Wir danken ganz herzlich allen Bewohner*innen für ihre Gastfreundschaft,<br />
allen Geber*innen für ihre Dinge und allen Teilnehmer*innen der Aktionswochen<br />
für ihren Einsatz: Albina, Alessa, Angela, Ankica, Ayhan, Brigitte,<br />
Elke, Ellen, Erika, Frauke, Gertrud, Gisela A., Gisela T., Gretchen, Halima,<br />
Hertha, Inge D., Inge F., Johann-Werner, Julia, Klaus, Mandy, Marion, Melek,<br />
Otto, Renate, Sonja, Ute, Vlado, Zorica.<br />
Danke an alle Beteiligten!<br />
Anette Kretzer, ProQuartier Hamburg<br />
Such dir ein Ding aus deiner Wohnung.<br />
Irgendein Dingsda. Etwas,<br />
was deinen Alltag formt, begleitet.<br />
Es kann dein persönliches Herzensstück<br />
oder die Spülbürste für den<br />
täglichen Abwasch sein. Die einzige<br />
Auflage: es muss grün sein, so grün<br />
wie deine Treppenhausfarbe.<br />
Nachtrag:<br />
Klaus, wir werden dich vermissen!<br />
Hamburg im März 2018<br />
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ETAGE 0<br />
Man nennt mich Staubschwert und<br />
am liebsten mag ich viel Staub und Spinnen.<br />
Ich wohne im Bad bei Elke im 1. Stock und bin<br />
ein guter Helfer in allen schwierigen Situationen.<br />
Wir heissen „Klamkus” und wohnen bei Elke<br />
im Klammerbeutel. Am liebesten mögen wir<br />
saubere, nasse Wäsche.<br />
Ich heisse Boskop und mag am liebsten Brat.<br />
Ich wohne im 3. Stock bei Angela. Ich bin eine<br />
alte Züchtung und hoffe auf gute Zeiten.<br />
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Die Teilnehmer*innen dieses Projekts hatten den<br />
Auftrag, ihre Wohnungen nach Farben zu durchsuchen.<br />
Genauer gesagt: nach Gegenständen, die<br />
sie im Alltag begleiten. Diese Dinge wurden nach<br />
den acht Stockwerksfarben ihrer Wohnanlage ausgewählt,<br />
von Lindgrün im Erdgeschoss bis Dunkelrot<br />
der siebten Etage. Was sich im ersten Moment<br />
ziemlich einfach anhört, entpuppte sich als spannende<br />
Schatzsuche in den eigenen vier Wänden<br />
mit begeisterten Teilnehmer*innen und verblüffenden<br />
Resultaten.<br />
Die Dinge einer Farbe ergeben ein wunderbares<br />
Sammelsurium. Und jedes einzelne Stück wird mit<br />
viel Liebe zum Detail, Klebeband und Nylonfäden<br />
zu Szenerien und Stillleben. Es gibt keine Grenzen.<br />
Alles ist erlaubt. Je absurder desto besser. Mit viel<br />
Improvisation lösen sich die Dinge aus ihren gewohnten<br />
Sinnzusammenhängen und vollführen<br />
fantasievolle Verwandlungen: Weintrauben werden<br />
zu Bärten, Putzlumpen zu Damenhütchen, Rührschüsseln<br />
zu Ufos, Spülschwämmchen zu Eis am<br />
Stil. Wäscheklammern mutieren zu Kletterpflanzen.<br />
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ETAGE 1<br />
Ich wurde aus einem großen Haufen Amethyste im<br />
Mineralmuseum in Norwegen gefischt. Mein Platz in der<br />
Wohnung ist im Bücherregal. Am liebsten mag ich die<br />
bewundernden Blicke von Lotta und Jaine.<br />
Ich heisse „Elefanti“ und wohne bei Gisela<br />
auf der Fensterbank. Am liebsten mag ich<br />
Grünzeug. Gisela und ich halten zusammen:<br />
Wenn wir vorne rausgeworfen werden,<br />
kommen wir hinten wieder rein.<br />
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Kunst ist zum Angucken. Kunst wird konsumiert.<br />
Nein, diesmal nicht! Es geht ums Mitmachen und<br />
Gestalten … sich als Fotomodel austoben. Und das<br />
mit 60 +? Logisch! Aber, Moment mal! Es gibt hier<br />
keine klassischen Porträtfotos in gelben Mänteln<br />
oder grünen Hemden. Es wird nichts einfach so<br />
mal in die Kamera gehalten. Es werden keine Erinnerungsschnappschüsse<br />
für die Enkel geknipst.<br />
Hier wird Kunst gemacht!<br />
Die „Alten“ – also 60 + – werden aus der Reserve<br />
gelockt. Sie werden ein bisschen verrückt und haben<br />
Spaß. Let’s go dada – let’s go pop! Die Teilnehmer*innen<br />
identifizieren sich mit etwas, bewegen<br />
sich, zeigen etwas, zeigen sich. Oder verbergen auch<br />
etwas. Sie trauen sich das Ungewöhnliche. Es gibt<br />
keine Vorlagen. Man lässt sich aufeinander ein, lässt<br />
sich inspirieren, motivieren, ohne Kunsthochschulstudium<br />
und ohne viel Aufwand. Es ist Kunst mit<br />
den Gegenständen, mit uns, zwischen und in den<br />
Gegenständen.<br />
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ETAGE 2<br />
Ich wohne bei Anka in der Küche im<br />
2. Stock. Am liebsten mag ich Kaffee<br />
und wenn ich voll bin, freue ich mich.<br />
Ich wohne bei Vlado in der 2. Etage.<br />
Mein Platz ist der Balkon.<br />
Am liebsten mag ich Zigarettenasche!<br />
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ETAGE 3<br />
Mein Name ist „Olivia“ und ich wohne bei<br />
Albina im 3. Stockwerk. Am liebsten mag ich das<br />
Dekoletée meiner Besitzerin. Ich bin ein Geschenk<br />
ihres Mannes zum 70. Geburtstag.<br />
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Möglichkeiten sich einzubringen, gibt es viele: Ein<br />
oder mehrere Dinge zum „Casting” anmelden. Annahme<br />
der Dinge in der Sammelstelle und Ausfüllen<br />
der Leihlisten. Wahre oder halbwahre Biografien zu<br />
den Gegenständen aufschreiben. Bei der Nachbarin<br />
nachfragen, ob sie noch eine Pflanze für ein Foto<br />
hat. Sich Grün anziehen. Sich Türkis anziehen. Sich<br />
Rot anziehen. Armbänder aus Staubtüchern basteln.<br />
Mit der Nachbarin durch die Blume sprechen. Den<br />
eigenen Nagellack übermalen in der Farbe der vierten<br />
Etage. Auf einem Eierschneider Harfe spielen.<br />
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ETAGE 4<br />
Wir sind bei Hertha in der 4. Etage<br />
zu Hause Und stehen in der Garderobe.<br />
Wir tragen das Wissen der Welt über Länder,<br />
Menschen und Natur für Hertha<br />
mit uns herum.<br />
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Eine herrlich harmonische, familiäre Atmosphäre ist<br />
in diesem mobilen Fotostudio zu spüren!<br />
In Gegenwart professioneller Fototechnik leben die<br />
Teilnehmer*innen auf, genießen die Präsenz vor der<br />
Kamera, bestaunen gemeinsam die Ergebnisse.<br />
Das Fotostudio wird zum Treffpunkt, Menschen<br />
begegnen sich, die sich sonst maximal im Treppenhaus<br />
grüßen. Man kommt ins Gespräch, beobachtet,<br />
gibt Tipps. Klaus dokumentiert alles mit seiner<br />
analogen Kamera. Ayhan erzählt etwas über sein<br />
türkisches Kaffeebesteck.<br />
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ETAGE 5<br />
Man nennt mich „Froschi“.<br />
Ich wohne im Erdgeschoss in der Teeküche.<br />
Am liebsten mag ich Schokolade. Ich vergesse nie<br />
nach dem Essen die Zähne zu putzen!<br />
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ETAGE 6<br />
Ich bin ein Film, der über 10 Jahre in der<br />
Kamera von Ayhan lag und jetzt erst entwickelt<br />
wurde. Ein Spätentwickler sozusagen.<br />
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Was spielerisch daher kommt, wird manchmal<br />
ernst: Kopftuch? So zeige ich mich nicht! Mit einem<br />
Bart aus Weintrauben sehe ich ja aus wie ein Imam.<br />
Auf keinen Fall! Humor und Ernst, Werte und Symbolik,<br />
liegen im Fotostudio eng beieinander und<br />
begleiten jede Inszenierung. Spannungen entstehen,<br />
die eine gute Dynamik erzeugen und gleichzeitig<br />
Grenzen aufzeigen. Meine alten Hände zeige<br />
ich nicht. Die will niemand sehen! Und meine Beine<br />
schon gar nicht. Andererseits kann ein Bein kunstvoll<br />
in eine rote Spitzenbluse gehüllt werden, so<br />
dass eine ungeahnte erotische Seite zum Vorschein<br />
kommt und ihre Trägerin sichtlich stolz macht.<br />
Für die Kunst überschreiten die Teilnehmer*innen<br />
Grenzen.<br />
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ETAGE 7<br />
Mein Name ist „Hirsch“ und ich wohne bei Gretchen<br />
im Vierten. Ich gehöre in die Weihnachtskiste und<br />
mag am liebsten aufgehängt werden. Ich werde schon<br />
seit vielen Jahren von Gretchen beherbergt.<br />
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Verantwortliche des Projekts:<br />
KRISTINE THIEMANN liebt Menschen und Fotos<br />
gleichermaßen. Als ausgebildete Modefotografin<br />
reist die Hamburgerin um die Welt und wählt zwölf<br />
Jahre lang Paris als ihre Heimatstadt. In der Zeit<br />
in Frankreich beginnt sie auch ihre partizipative<br />
Fotoserie „metropolen”, in der sie Menschen ihre<br />
Umgebung in Szene setzen lässt. Mittlerweile im<br />
kunstpädagogischen Bereich gelandet, ist die Kulturlotsin<br />
unter anderem auch in Hamburgs Stadtteil<br />
Steilshoop mit der Stromkastengalerie präsent.<br />
EVA KOLB ist Gestalterin und Grafikerin. Mit Umweg<br />
über das Studium „Kulturwissenschaften und ästhetische<br />
Praxis“ in Hildesheim führt sie zusammen mit<br />
Marco Heckler das Grafikbüro „Heckler und Kolb<br />
GbR“ in Hamburg Ottensen. Neben ihrer Grafiktätigkeit<br />
leitet sie Kunstkurse und Workshops und stellt<br />
als Papercut-Künstlerin aus.<br />
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Das Reich der Dinge<br />
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Heute mal Indianer oder Hippie? Alles das und viel mehr und immer anders<br />
und immer da, das war Klaus, der mitten in den Ausstellungsvorbereitungen<br />
am 10.3.18 seine letzte Friedenspfeife geraucht hat, leider ohne uns.<br />
Wir hätten dich so gerne bei uns behalten.<br />
In Gedenken an einen großartig frei fühlenden und denkenden Menschen,<br />
der uns vor und hinter der Kamera so viel Freude bereitet hat.<br />
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Der Ethnologe Arjun Appadurai sagt, Dinge haben<br />
ohne den direkten Bezug zu menschlichen Tätigkeiten<br />
keine Bedeutung. Aus theoretischer Perspektive<br />
ergibt sich daraus, dass Dinge von Menschen erst<br />
mit Bedeutung aufgeladen und damit sozialisiert<br />
werden.<br />
Der Anthropologe Igor Kopytoff schlägt vor, Biografien<br />
von Dingen zu erstellen, die ihren „Lebensweg“<br />
verfolgen und verschiedene Stadien, Kontexte und<br />
Bedeutungen eines Dings untersuchen. Nimmt<br />
man zum Beispiel den violetten Amethyst aus der<br />
1. Etage : Er wurde vielleicht in einem vulkanischen<br />
Gestein gefunden, dann führte er ein Dasein im Museum<br />
in Norwegen, heute schmückt er ein Regal in<br />
Steilshoop. Biografien von Dingen geben, laut Kopytoff,<br />
nicht nur Aufschluss darüber, auf welche Weise<br />
sie in verschiedenen Stadien ihrer Existenz verwendet<br />
wurden. Sie zeigen auch Prozesse wie der<br />
Warencharakter eines Dings in bestimmten sozialen<br />
und ökonomischen Zusammenhängen entsteht.<br />
Arjun Appadurai: „The Social Life of Things“ (1999 [1996] : 3)<br />
Igor Kopytoff: „The Cultural Biography of Things: Commodization as a Process“ (1986)<br />
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Jedes Ding braucht seinen Namen<br />
... und eine Biografie!<br />
Menschen und Dinge<br />
lernen sich neu kennen.
Verblüffende Ergebisse<br />
zum Staunen!<br />
Meditative Vorbereitung auf die kommende Behandlung:<br />
Gleich wird eine Nussmaske aufgelegt.<br />
Voller Einsatz: Grenzen<br />
überschreiten für die Kunst!
INHALT<br />
05 Vorwort<br />
07 Die Stockwerke in Farben<br />
41 Das Reich der Dinge<br />
88 Making Of<br />
Herausgeber: SAGA Unternehmensgruppe<br />
Konzeption / Fotografie: Kristine Thiemann (www.metropolen-art.com)<br />
Konzeption / Gestaltung: Eva Kolb (www.hecklerundkolb.de)<br />
Texte: Dr. Anette Kretzer, Kristine Thiemann, Eva Kolb<br />
Lektorat: Juliane Preiß<br />
Druck: Drucktechnik Altona<br />
Auflage: 200<br />
© 2018 SAGA Unternehmensgruppe<br />
Das Projekt wurde ermöglicht durch: