Engagement als Ressource - BBE
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<strong>Engagement</strong> <strong>als</strong> <strong>Ressource</strong><br />
In der freien Wohlfahrtspflege wird das Ehrenamt wieder entdeckt und neu in den Organisationen<br />
verortet<br />
O Holger Backhaus-Maul und Karsten Speck<br />
Holger Backhaus-Maul, Soziologe und Verwaltungswissenschaftler, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an<br />
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Vorstandsmitglied der Aktiven Bürgerschaft e. V.<br />
E-Mail holger.backhaus-maul@paedagogik.uni-halle.de<br />
Dr. Karsten Speck, Erziehungswissenschaftler, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität<br />
Potsdam.<br />
E-Mail speck@rz.uni-potsdam.de<br />
Quelle: Blätter der Wohlfahrtspflege 6/2006<br />
Das Themenheft der Blätter der Wohlfahrtspflege mit Beiträgen zu dem Schwerpunkt »<strong>Engagement</strong> <strong>als</strong><br />
<strong>Ressource</strong>« erscheint im November 2006. Das Einzelheft kostet 11,- Euro zuzüglich Versandkosten und<br />
Mehrwertsteuer. Der Jahresbezugspreis beträgt 55,- Euro (für Studierende und arbeitslose Bezieher auf<br />
jährlichen Nachweis 28,- Euro).<br />
Nomos Verlagsgesellschaft, 76520 Baden-Baden, Telefon 07221 2104-39, Fax 07221 210443, E-Mail<br />
hohmann@nomos.de<br />
Die freie Wohlfahrtspflege entstand in Deutschland nicht zuletzt aus dem freiwilligen <strong>Engagement</strong><br />
von Bürgerinnen und Bürgern. Nach einer Phase der Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente<br />
und Verfahren in Diensten und Einrichtungen stehen die Wohlfahrtsverbände nun vor der Aufgabe,<br />
das inzwischen keinesfalls mehr selbstverständliche <strong>Engagement</strong> stärker in den Blick zu nehmen.<br />
<strong>Engagement</strong> bietet der freien Wohlfahrtspflege die Chance, wirtschaftlich relevante <strong>Ressource</strong>n zu<br />
erschließen und damit ihre eigene Bedeutung und Leistungsfähigkeit im deutschen Sozi<strong>als</strong>taat zu<br />
beleben und ihr spezifisches Profil zu aktualisieren. Die Wohlfahrtsverbände stehen damit vor der<br />
Herausforderung, <strong>Engagement</strong> nicht nur <strong>als</strong> Tradition zu pflegen, sondern innerhalb ihrer Dienste<br />
und Einrichtungen mit zeitgemäßen Verfahren und Instrumenten zu implementieren.<br />
Die freie Wohlfahrtspflege ist ein traditionsreicher und zentraler Bestandteil des deutschen Sozi<strong>als</strong>ystems<br />
(vgl. Backhaus-Maul/Olk 1995). Mit der Gründung von Wohlfahrtsverbänden verläuft ihre Entwicklung in<br />
Auseinandersetzung mit staatlichen, wirtschaftlichen und assoziativen Einflüssen (vgl. Sachße 1995). In<br />
ihrem Selbstverständnis <strong>als</strong> nichtstaatliche Non-Profit-Organisationen hoben die Spitzenverbände der<br />
freien Wohlfahrtspflege immer wieder ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Selbstgestaltung ihres<br />
Tuns hervor. Die Grundlage ihrer organisatorischen Eigenständigkeit bildet — historisch gesehen —<br />
<strong>Engagement</strong> in seinen vielfältigen Varianten (vgl. Steinbacher 2004).<br />
Und heute? Seit den 1990er Jahren erfährt die Entwicklung der freien Wohlfahrtspflege eine deutliche<br />
Beschleunigung (vgl. Angerhausen u. a. 1998, Bode 2004, Heinze/Strünck/Schmid 1997,<br />
Sachße/Rauschenbach/Olk 1995, Ottnad/ Wahl/Miegel 2000; journalistisch-kritisch Scheytt 2005 und<br />
politisch-polemisch Enste 2004). Staatlicherseits ist ein sozialrechtlich regulierter Wettbewerb zwischen<br />
-1-
freien Leistungsanbietern eingeführt worden.<br />
In den Diensten und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege wurden betriebswirtschaftliche<br />
Instrumente und Verfahren implementiert (vgl. Backhaus-Maul 2003, Dahme/Kühnlein/Wohlfahrt 2005,<br />
Merchel 2003, Olk/Otto 2003). Darüber hinaus sind »marktfähige« Leistungsbereiche der freien<br />
Wohlfahrtspflege in privatgewerbliche Organisationsformen ausgelagert worden. Angesichts der<br />
skizzierten staatlichen Wettbewerbsregulierung und der (betriebs-) wirtschaftlichen Reorganisation der<br />
Leistungserbringung ist zu fragen, wie sich die Eigenständigkeit der freien Wohlfahrtspflege entwickelt<br />
hat und welche Bedeutung dabei dem <strong>Engagement</strong> zukommt.<br />
Auch das <strong>Engagement</strong> unterliegt selbstverständlich einem sozialen Wandel. Während das traditionelle<br />
Ehrenamt eine längerfristige Verpflichtung bedeutete, gründet <strong>Engagement</strong> heute in einem Wechsel von<br />
Selbst- und Fremdbezügen und ist häufig zeitlich befristet. Im projektbezogenen <strong>Engagement</strong> von Bürgern<br />
auf der Grundlage von Eigeninteressen und Gemeinwohlbezug kommt diese in Deutschland noch relativ<br />
junge Entwicklung des <strong>Engagement</strong>s treffend zum Ausdruck.<br />
Somit ist zu fragen, ob und vor allem inwieweit es der freien Wohlfahrtspflege angesichts des Strukturund<br />
Motivwandels des <strong>Engagement</strong>s gelingt (vgl. den bemerkenswert frühen Beitrag von Olk 1989 und die<br />
grundlegende Studie von Jakob 1993, Beher/Liebig/Rauschenbach 1998, Heinze/Olk 1999 und<br />
Enquetekommission 2002), auf die Interessen von Engagierten an individuell-biografisch passfähigen und<br />
projektbezogenen <strong>Engagement</strong>möglichkeiten mit adäquaten Angeboten zu reagieren, Erwartungen der<br />
Engagierten nach Selbstverwirklichung, Mitbestimmung und persönlicher Erfüllung zu berücksichtigen<br />
sowie Übergänge zwischen Erwerbsarbeit einerseits und <strong>Engagement</strong> andererseits zu eröffnen.<br />
Angesichts der mittlerweile weitgehend abgeschlossenen wirtschaftlichen Reorganisation der freien<br />
Wohlfahrtspflege stellt sich die Frage, welchen Stellenwert <strong>Engagement</strong> <strong>als</strong> Garant verbandlicher<br />
Autonomie und <strong>als</strong> wirtschaftliche »<strong>Ressource</strong>« innerhalb der freien Wohlfahrtspflege heute noch oder<br />
wieder hat. Inwiefern gelingt es der freien Wohlfahrtspflege <strong>als</strong>o, <strong>Engagement</strong> <strong>als</strong> wirtschaftliche<br />
<strong>Ressource</strong> zu entfalten? Mit welchen Vorstellungen, Methoden und Konzepten wird versucht, <strong>Engagement</strong><br />
innerhalb der freien Wohlfahrtspflege zu steuern und zu managen? Inwiefern gelingt es den<br />
Wohlfahrtsverbänden, die volkswirtschaftliche Bedeutung und vor allem den materiellen sowie<br />
immateriellen Mehrwert des <strong>Engagement</strong>s — gegenüber privatgewerblichen Trägern — in die<br />
gesellschaftspolitischen, fachlichen und verbandlichen Debatten einzubringen?<br />
Wie sich <strong>Engagement</strong> in der freien Wohlfahrtspflege heute darstellt<br />
Der Paritätische Wohlfahrtsverband, Landesverband Berlin e. V. kann <strong>als</strong> verbandlicher Prototyp<br />
innerhalb der freien Wohlfahrtspflege verstanden werden, an dem typische Strukturmerkmale,<br />
Entwicklungen und Dilemmata des <strong>Engagement</strong>s in der freien Wohlfahrtspflege herausgearbeitet und<br />
diskutiert werden können.<br />
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin ist ein großstädtischer Landesverband mit einer beachtlichen<br />
Vielzahl und Vielfalt an Mitgliedsorganisationen und einer vergleichsweise hohen Anzahl Engagierter in<br />
den Diensten und Einrichtungen. Darüber hinaus verfügen er und seine Mitgliedsorganisationen über<br />
engagementpolitisch bedeutsame Spezialdienste und Kooperationspartner, wie etwa die<br />
Freiwilligenagentur »Treffpunkt Hilfsbereitschaft«, die Beratungsorganisation »Unternehmen — Partner<br />
der Jugend«, die Akademie für Ehrenamtlichkeit und die Paritätische Akademie.<br />
Und <strong>Engagement</strong>politik ist innerhalb des Landesverbandes und seiner Mitgliedsorganisationen seit Jahren<br />
Gegenstand von Diskussionen und konzeptionellen Überlegungen. Forschungsstrategisch ist der<br />
Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin zudem ein besonders geeignetes Untersuchungsobjekt, da an<br />
-2
vorhandene empirische <strong>Engagement</strong>studien (vgl. Kramer/Sauer/Wagner 1993, Gensicke/Hartung 2003,<br />
Speck/Schüll/Wagner 2003) angeknüpft werden kann, und nicht zuletzt auch weil aufseiten des<br />
Führungsperson<strong>als</strong> die Bereitschaft erfreulich deutlich ausgeprägt ist, die eigenen Organisationen in<br />
durchaus sensiblen Bereichen untersuchen zu lassen und eigene Strategie zu reflektieren (vgl. Menninger<br />
2001 und Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin 1999).<br />
Im Folgenden werden ausgewählte Befunde einer im Auftrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin im Jahre 2005 durchgeführten, mehrteiligen empirischen Untersuchung präsentiert (vgl.<br />
Backhaus-Maul/Speck 2005; Internet http://www.paritaet-berlin.de). Ein wichtiges Ziel der<br />
Untersuchung war es, eine umfassende Bestandsaufnahme des <strong>Engagement</strong>s in den Einrichtungen und<br />
Diensten der Mitgliedsorganisationen des Landesverbandes vorzunehmen (»quantitative<br />
Bestandsaufnahme«). In einem zweiten Untersuchungsschritt wurden das engagementpolitische<br />
Organisationswissen, insbesondere die entsprechenden Steuerungs- und Managementvorstellungen sowie<br />
die strategischen Überlegungen und Vorhaben des Führungsperson<strong>als</strong> erhoben (»qualitative Erhebung des<br />
Organisationswissens«). Die Gesamtuntersuchung basiert auf einer quantitativen Fragebogenerhebung von<br />
331 der 600 Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin und auf qualitativen<br />
Experteninterviews mit insgesamt dreiunddreißig ausgewählten Führungskräften aus den verschiedenen<br />
Fachgebieten des Landesverbandes.<br />
Welchen Umfang das freiwillige <strong>Engagement</strong> heute einnimmt<br />
Die quantitative Bestandsaufnahme erfolgte mittels Fragebogenerhebung und macht die hohe Bedeutung<br />
des <strong>Engagement</strong>s für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin und seine Mitgliedsorganisationen<br />
deutlich. So zeigt sich bei einer Analyse der durchschnittlichen Engagiertenzahlen (Medianwerte), dass<br />
etwa fünf weibliche und drei männliche Engagierte je Organisation mit insgesamt zirka 55 Stunden<br />
monatlich Monat tätig sind. Den Befragungsergebnissen zufolge sind in den Mitgliedsorganisationen<br />
insgesamt 15.794 Engagierte tätig, davon sind zwei Drittel Frauen. Summiert man das angegebene<br />
Volumen, dann werden von den Engagierten in den Mitgliedsorganisationen des Landesverbandes Berlin<br />
insgesamt 181.766 Stunden pro Monat unentgeltlich erbracht.<br />
Überraschend zeigt sich dabei, dass — entgegen der allgemeinen Diskussion über einen Strukturwandel<br />
des <strong>Engagement</strong>s — in den befragten Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin ein eher verbindliches und langfristiges <strong>Engagement</strong> vorherrschend ist. So arbeiten fast zwei<br />
Drittel der Engagierten kontinuierlich in den befragten Organisationen und lediglich ein Drittel ist<br />
gelegentlich engagiert. Dieser Befund deutet darauf hin, dass altes und neues <strong>Engagement</strong> parallel<br />
bestehen und sich nicht ausschließen. Für Organisationen ergibt sich daraus allerdings die<br />
Herausforderung, auf beide <strong>Engagement</strong>formen mit passenden organisatorischen Arrangements Bezug zu<br />
nehmen.<br />
Die Organisationen ihrerseits nennen sehr unterschiedliche Gründe für den Einsatz Engagierter. Wichtige<br />
Argumente für den Einsatz von Engagierten sind deren hohe Motivation (94 %) sowie ihre Erfahrungen<br />
(85 %) und Qualifikationen (77 %). Seltener — wenngleich immer noch beachtenswert — werden die<br />
<strong>Engagement</strong>tradition der Organisationen (51 %) und Kosteneinsparungen (44 %) <strong>als</strong> Gründe für den Einsatz<br />
von Engagierten genannt. Als Einsatzgebiete für Engagierte kommen unserer Untersuchung zufolge unter<br />
anderem die Arbeit mit Jugendlichen, die Selbsthilfe, der Kindergartenbereich, die Altenhilfe, die Soziale<br />
Arbeit mit Migranten, aber auch die psychiatrische Versorgung, der Pflegebereich und die Arbeit im<br />
Hospiz in Betracht. Das breite Einsatzspektrum macht deutlich, dass es — entgegen der üblichen<br />
Behauptungen — grundsätzlich keine Frage des Arbeitsbereiches ist, ob Engagierte eingesetzt werden<br />
können oder nicht.<br />
Um die Bedeutung des <strong>Engagement</strong>s für die Mitgliedsorganisationen des Paritätischen<br />
-3
Wohlfahrtsverbandes Berlin noch präziser herauszuarbeiten, wurden die Organisationen mittels eines<br />
vergleichsweise harten Indikators danach befragt, inwieweit ihre Existenz (!) von den Engagierten<br />
abhängt. Wie die Ergebnisse zeigen, ist offenbar immerhin knapp die Hälfte der befragten Organisationen<br />
zur Sicherung ihres Bestandes sehr stark oder stark von Engagierten abhängig (45 %). Etwa ein Fünftel der<br />
Organisationen gibt an, zumindest teils/teils von den Engagierten abhängig zu sein (19 %). Beim übrigen<br />
Drittel der befragten Organisationen besteht — den eigenen Angaben zufolge — keine derartige<br />
Abhängigkeit (36 %). Auffällig ist, dass vor allem kleinere Organisationen häufiger <strong>als</strong> größere<br />
Organisationen (69 % vs. 20 %) angeben, von Engagierten abhängig zu sein.<br />
Die quantitativen Befunde machen deutlich, dass <strong>Engagement</strong> eine wichtige <strong>Ressource</strong> und ein zentraler<br />
Bestandsfaktor für die Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlins ist. Vor<br />
diesem Hintergrund erscheint es von besonderem Interesse, ob sich die hohe Bedeutung des <strong>Engagement</strong>s<br />
in entsprechend förderlichen Strukturen und <strong>Ressource</strong>n der Organisationen niederschlägt.<br />
Die engagementbezogenen Strukturen, Bedingungen und <strong>Ressource</strong>n sind — dieses kann vorweggenommen<br />
werden — je nach Organisation sehr unterschiedlich. So zeigt es sich, dass den eigenen Angaben zufolge<br />
gut ein Viertel der Organisationen über einen hauptamtlichen (27 %) und ein Fünftel über einen<br />
ehrenamtlichen <strong>Engagement</strong>verantwortlichen verfügt (18 %). Die Mehrheit der befragten Organisationen<br />
(55 %) hat aber keinen Verantwortlichen für das <strong>Engagement</strong>, wobei beachtet werden muss, dass auch<br />
den meisten hauptamtlich Verantwortlichen in der Regel nur relativ wenig Zeit für das<br />
Personalmanagement der Engagierten zur Verfügung steht (weniger <strong>als</strong> fünf Stunden pro Woche).<br />
Die Gewinnung neuer Engagierter erfolgt in erster Linie über eine persönliche Ansprache (86 %) und<br />
Mund-zu-Mund-Werbung (56 %). Die Ergebnisse sprechen dafür, dass die meisten Organisationen bei der<br />
Gewinnung von Engagierten auf klassische Informationswege setzen und weniger auf<br />
strategisch-konzeptionelle oder kooperationsbezogene Ansätze zurückgreifen.<br />
Bei der Vorbereitung der Engagierten auf ihre Tätigkeit werden offensichtlich überwiegend mündliche<br />
und kurze Einweisungen, aber seltener schriftliche und längerfristige Maßnahmen eingesetzt<br />
(z. B. Fortbildung, Ausbildung). Die Mitbestimmung von Engagierten erfolgt in erster Linie über<br />
Vorstandsämter. Von einer Ausnahme abgesehen, sind alle anderen abgefragten<br />
Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Engagierten offensichtlich in der Mehrheit der Organisationen nicht<br />
üblich. Dieses gilt für die Erstellung der Dienstpläne und den Einsatz neuer Hauptamtlicher, aber eben<br />
auch für die Teilnahme an Dienstbesprechungen, den Einsatz neuer Engagierter sowie die Erstellung von<br />
Konzeptionen und Anträgen.<br />
Bemerkenswert an den Befunden ist, dass die Engagierten — neben der Vorstandstätigkeit — in erster<br />
Linie praktisch-helfende Tätigkeiten übernehmen. Äußerst selten hingegen sind sie mit<br />
konzeptionell-strategischen und organisationsinternen Entscheidungen und Aufgaben betraut. Eine<br />
genauere Analyse der Tätigkeitsbereiche macht diesbezüglich auf zwei interessante Zusammenhänge<br />
aufmerksam:<br />
! Zum einen zeigt sich, dass Engagierte in kleineren Organisationen stärker in bestimmte Tätigkeiten<br />
eingebunden werden <strong>als</strong> in größeren. Dieses könnte umgekehrt bedeuten, dass die Potenziale und<br />
Kompetenzen der Engagierten in größeren Organisationen nicht vollständig ausgeschöpft werden.<br />
! Zum anderen ist erkennbar, dass Engagierte stärker mit bestimmten Tätigkeiten betraut werden, wenn<br />
ein hauptamtlicher oder ehrenamtlicher Verantwortlicher für das <strong>Engagement</strong> in den Organisationen<br />
existiert. <strong>Engagement</strong>verantwortliche haben <strong>als</strong>o nachweisbar eine engagementfördernde Funktion.<br />
Günstige Rahmenbedingungen zur Pflege und Unterstützung der Engagierten stellen die Organisationen in<br />
unterschiedlichem Maße bereit: Fast alle Organisationen bedanken sich bei ihren Engagierten in Form von<br />
persönlicher Anerkennung. Über die Hälfte der Organisationen bietet — den eigenen Angaben zufolge —<br />
ihren Engagierten außerdem einen Versicherungsschutz sowie die Mitnutzung der Infrastruktur der<br />
Organisation an. Weitergehende Unterstützungsformen, wie beispielsweise kostenlose<br />
-4-
Fortbildungsangebote, Ehrenamtsnachweise und Supervision und selbst schriftliche Stellenbeschreibungen<br />
für Engagierte können bei der Mehrzahl der befragten Organisationen nicht <strong>als</strong> gegeben vorausgesetzt<br />
werden.<br />
Was man in der Organisation von den Engagierten weiß<br />
Die qualitative Untersuchung, die sich auf leitfadenbasierte Experteninterviews stützt, verdeutlicht<br />
zunächst, dass seitens des interviewten Führungsperson<strong>als</strong> in den Mitgliedsorganisationen des<br />
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin kein einheitlicher <strong>Engagement</strong>begriff besteht. Der Begriff des<br />
»bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s« wird nicht selten <strong>als</strong> »eine politische Perspektive von oben« kritisiert.<br />
Demgegenüber findet der traditionsreiche Begriff des »Ehrenamtes« in den Organisationen weite<br />
Verbreitung und große Akzeptanz, u. a. mit der Begründung, er sei historisch gewachsen und biete eine<br />
klare Abgrenzung zu den Hauptamtlichen. Und eine Befragte meint schlicht: »Wir Älteren sind es<br />
zumindest so gewohnt.«<br />
Die weitergehende Analyse des Verständnisses vom Ehrenamt macht deutlich, dass sich die Bedeutung<br />
des Begriffs — hinter dem Rücken der Beteiligten — modernisiert hat. Der in den Interviews präsentierte<br />
Begriff von Ehrenamtlichkeit umfasst mittlerweile die neuen Formen des befristeten und stärker<br />
selbstbezüglichen <strong>Engagement</strong>s. Gleichwohl zeigen die Experteninterviews: Die befragten Führungskräfte<br />
sind im Sinne einer Kontinuität der Arbeit, der notwendigen Einarbeitung der Engagierten und der<br />
Verlässlichkeit des <strong>Engagement</strong>s prioritär an dauerhaftem und regelmäßigem <strong>Engagement</strong> interessiert. Ihr<br />
Organisationsinteresse ist darauf ausgerichtet, geeignete Engagierte langfristig an die Einrichtungen und<br />
Dienste zu binden.<br />
Gleichzeitig ist den interviewten Expertinnen und Experten deutlich, dass selbstlose Dauerengagierte<br />
keine Selbstverständlichkeit mehr sind. So äußern Befragte: »Also die Zeiträume [des <strong>Engagement</strong>s] sind<br />
kleiner geworden«, »Also man ist eher bereit, sich für eine kurzfristigere Sache zu engagieren« oder »Die<br />
Bereitschaft sinkt, je mehr man sich verpflichten muss über einen längeren Zeitraum eine Aufgabe<br />
wahrzunehmen.« Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die befragten Führungskräfte<br />
<strong>Engagement</strong> <strong>als</strong> wichtige Organisationsressource wahrnehmen und diskutieren; gleichzeitig fällt aber auf,<br />
dass andere — gesellschaftspolitische — Begründungsmuster von <strong>Engagement</strong>, die konstitutiv für die freie<br />
Wohlfahrtspflege waren, deutlich in den Hintergrund treten.<br />
Bei eingehender Betrachtung wird zudem deutlich, dass in den Mitgliedsorganisationen — trotz der<br />
proklamierten Bedeutung des <strong>Engagement</strong>s — die engagementbezogenen Steuerungs- und<br />
Managementaufgaben höchst unterschiedlich wahrgenommen werden und entwickelt sind. Für die<br />
Einarbeitung und Begleitung der Engagierten werden — wie die Interviews belegen — durchaus<br />
beträchtliche personelle und sachliche <strong>Ressource</strong>n bereitgestellt. Vor allem in größeren Einrichtungen<br />
und bei einem pluralen <strong>Engagement</strong>verständnis zeichnen sich engagementfördernde Strategien ab.<br />
Ausbaufähig erscheinen besonders die Gewinnung, Einarbeitung und fachliche Begleitung der<br />
Engagierten. Die Experteninterviews machen deutlich, dass nur relativ selten gezielte Aktivitäten zur<br />
Gewinnung von Engagierten sowie spezifische Maßnahmen zur Anerkennung und Pflege der Engagierten<br />
existieren.<br />
In den Experteninterviews und in den Fragebögen wurden die Führungs- und Leitungskräfte explizit zur<br />
organisations- und verbandspolitischen Strategieentwicklung in <strong>Engagement</strong>angelegenheiten befragt. Die<br />
Befunde zeigen einen organisations- und verbandsbezogenen Handlungsbedarf auf. In der quantitativen<br />
Untersuchung gab lediglich eine Minderheit von rund einem Viertel der befragten Experten besondere<br />
Aktionen oder Projekte zur Weiterentwicklung des <strong>Engagement</strong>s an. Schriftliche Konzepte, Berichte oder<br />
Dokumentationen über Aktivitäten zur Weiterentwicklung des <strong>Engagement</strong>s existierten ebenfalls nur in<br />
knapp einem Fünftel der befragten Einrichtungen und Dienste. Fraglich ist aufgrund der Ausführungen in<br />
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den Experteninterviews auch, ob es die genannten Ideen und Vorhaben rechtfertigen, bereits von<br />
engagementpolitischen Strategien zu sprechen. Die Interviews legen vielmehr eine engagementpolitische<br />
Strategielücke offen: Die Mehrzahl der interviewten Führungskräfte kann keine — über die täglichen<br />
Bedarfe und Anforderungen der Einrichtungen und Dienste hinausweisenden — engagementpolitischen<br />
Konzepte vorweisen oder zumindest umreißen. Insgesamt betrachtet erfolgt — von größeren<br />
Mitgliedsorganisationen abgesehen — der Einsatz der verschiedenen Managementtools im<br />
<strong>Engagement</strong>bereich oft eher zufällig und situationsabhängig und in der Regel nicht unter den Prämissen<br />
eines engagementbezogenen Konzeptes.<br />
Wie man versunkene Schätze heben kann<br />
<strong>Engagement</strong> ist eine wichtige politische Legitimationsgrundlage für die freie Wohlfahrtspflege. Vor dem<br />
Hintergrund der wirtschaftlichen Reorganisation der Einrichtungen und Dienste der freien<br />
Wohlfahrtspflege gewinnt <strong>Engagement</strong> <strong>als</strong> <strong>Ressource</strong> an Bedeutung.<br />
Es sind — wie die beiden im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in<br />
den Jahren 1999 und 2004 durchgeführten Freiwilligensurveys zeigen — vor allem Verbände und Vereine,<br />
die Einsatzmöglichkeiten für <strong>Engagement</strong> eröffnen. Insofern die freie Wohlfahrtspflege ihre<br />
subsidiaritätspolitisch und zivilgesellschaftlich begründete Privilegierung im deutschen Sozi<strong>als</strong>ystem<br />
behalten will, empfiehlt es sich, die im Zuge von Professionalisierung und wirtschaftlicher Reorganisation<br />
vernachlässigte und inzwischen keinesfalls mehr selbstverständliche <strong>Ressource</strong> »<strong>Engagement</strong>« stärker in<br />
den Blick nehmen. <strong>Engagement</strong> bietet der freien Wohlfahrtspflege die Chance, wirtschaftlich relevante<br />
und gesellschaftspolitisch bedeutsame <strong>Ressource</strong>n zu erschließen und damit auch ihre eigene Bedeutung<br />
und Leistungsfähigkeit im deutschen Sozi<strong>als</strong>taat wieder zu beleben und ihr spezifisches Profil zu<br />
aktualisieren. Die freie Wohlfahrtspflege steht damit vor der Herausforderung, <strong>Engagement</strong> nicht nur <strong>als</strong><br />
Tradition zu pflegen, sondern innerhalb ihrer Einrichtungen und Dienste mit zeitgemäßen Verfahren und<br />
Instrumenten zu implementieren.<br />
Eine engagementpolitische Modernisierung der freien Wohlfahrtspflege bedeutet zunächst einmal eine<br />
empirische Bestandsaufnahme und selbstkritische Analyse der Bedeutung des <strong>Engagement</strong>s innerhalb von<br />
Verbänden, Einrichtungen und Diensten der freien Wohlfahrtspflege. Erst wenn — jenseits der allseits<br />
gepflegten Mythen und Rituale — der Stellenwert des <strong>Engagement</strong>s realistisch geklärt ist, können ein<br />
engagementpolitisches Konzept und entsprechende Strategien entwickelt werden.<br />
Eine denkbare Strategie zur Bergung der versunkenen Schätze könnte darin bestehen, eine breite,<br />
wissensorientierte <strong>Engagement</strong>förderung in möglichst allen Mitgliedsorganisationen sowie Einrichtungen<br />
und Diensten eines Verbandes anzuvisieren. Hierzu bieten sich beispielsweise Handreichungen,<br />
Empfehlungen, kostengünstige Fortbildungen und Tagungen, eine engagementpolitische<br />
Öffentlichkeitsarbeit und ein regelmäßig tagender und entscheidungsbefugter Arbeitskreis (wohlgemerkt:<br />
nicht eine mit ihrer Selbstverwaltung beschäftigte Kommission) an.<br />
Eine zweite handlungsorientierte Strategie könnte darauf hinauslaufen, das <strong>Engagement</strong> in ausgewählten<br />
Organisationen sowie Diensten und Einrichtungen zu fördern und so möglicherweise einen<br />
Schneeballeffekt zu erzeugen. In Betracht kommen hier finanzielle Förderungen für besonders innovative<br />
Projekte und intelligente Ideen oder die Unterstützung der <strong>Engagement</strong>förderung durch eine zeitlich<br />
begrenzte Organisationsberatung für engagementpolitisch aufgeschlossene Verbände, Dienste und<br />
Einrichtungen.<br />
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Resümee<br />
Betrachtet man <strong>Engagement</strong> <strong>als</strong> eine gesellschaftspolitisch und sozialwirtschaftlich relevante <strong>Ressource</strong>,<br />
dann liegt es nahe, dem Thema <strong>Engagement</strong> neben der Verbandspolitik vorrangig in der Personal- und<br />
Organisationsentwicklung der freien Wohlfahrtspflege einen hohen Stellenwert beizumessen.<br />
In der Personalentwicklung ist verbandpolitisch vor allem das Passungsverhältnis zwischen Haupt- und<br />
Ehrenamtlichen weiter zu entwickeln. So empfiehlt es sich, hauptamtliche Ansprechpartner für die<br />
<strong>Engagement</strong>förderung mit ausreichenden zeitlichen und finanziellen <strong>Ressource</strong>n auszustatten sowie<br />
gezielte Fortbildungen der Hauptamtlichen zur Einführung, fachlichen Begleitung und Anerkennung von<br />
Engagierten, bedürfnis- und bedarfsorientierte Fortbildungen für die Engagierten, regelmäßige<br />
Personalentwicklungsgespräche mit den Engagierten über ihre Erwartungen, Zukunftspläne und<br />
Einsatzmöglichkeiten und gemeinsame Veranstaltungen und Fortbildungen von Hauptamtlichen und<br />
Engagierten anzubieten.<br />
Im Zuge der Organisationsentwicklung sind bestehende Strukturen im Hinblick auf die ihre<br />
<strong>Engagement</strong>verträglichkeit umzugestalten. Darüber hinaus werden öffentlichkeitswirksame Kampagnen<br />
zu den Möglichkeiten und den Vorteilen durch ein <strong>Engagement</strong>, vielfältige Einstiegsangebote in das<br />
<strong>Engagement</strong> (die den inhaltlichen Erwartungen, Sinnorientierungen, Zeitstrukturen sowie<br />
Selbstverwirklichungs- und Partizipationsansprüchen der Engagierten entgegenkommen) sowie nicht<br />
zuletzt klare Aufgaben- und Stellenbeschreibungen für die Engagierten benötigt.<br />
Diese Forderungen sind eigentlich jeweils für sich genommen eher Kleinigkeiten und<br />
Selbstverständlichkeiten, die aber eingebettet in eine engagementpolitische Konzeption und<br />
entsprechende Handlungsstrategien des Führungsperson<strong>als</strong> eine — gegenüber der wirtschaftlichen<br />
Reorganisation seit den 1990er Jahren — nachholende Modernisierung und »frische«, fachliche<br />
Neuakzentuierung verbandlicher Autonomie in der freien Wohlfahrtspflege erwarten lassen.<br />
-7-
Literatur<br />
Angerhausen, Susanne/Backhaus-Maul, Holger/Offe, Claus/Olk, Thomas/Schiebel, Martina 1998:<br />
Überholen ohne einzuholen. Freie Wohlfahrtspflege in Ostdeutschland, Opladen.<br />
Backhaus-Maul, Holger 2003: Die Subsidiaritätsidee in den Zeiten der Kostenrechnung, in: Olk,<br />
Thomas/Otto, Hans-Uwe (Hg.): Soziale Arbeit <strong>als</strong> Dienstleistung, Neuwied, S. 194—225.<br />
Backhaus-Maul, Holger/Olk, Thomas 1994: Von Subsidiarität zu »outcontracting«: Zum Wandel der<br />
Beziehungen von Staat und Wohlfahrtsverbänden in der Sozialpolitik. In: Streeck (Hg.): Staat und<br />
Verbände, Opladen, S. 100—135.<br />
Backhaus-Maul, Holger/Speck, Karsten unter Mitarbeit von Katrin Harm, Wolfgang Pieper, Yvonne<br />
Rintelmann, Franziska Wehner u.a. 2005: Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> 2005. Eine empirische Erhebung<br />
zum bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong> in den Mitgliedsorganisationen des Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverbandes Berlin, Berlin (Internet http://www.paritaet-berlin.de).<br />
Bode, Ingo 2004: Disorganisierter Wohlfahrtskapitalismus. Die Reorganisation des Sozi<strong>als</strong>ektors in<br />
Deutschland, Frankreich und Großbritannien, Wiesbaden.<br />
Beher, Karin/Liebig, Reinhard/Rauschenbach, Thomas 1998: Das Ehrenamt in empirischen Studien — ein<br />
sekundäranalytischer Vergleich, Stuttgart/Berlin/Köln.<br />
Dahme, Heinz-Jürgen/Kühnlein, Gertrud/Wohlfahrt, Norbert 2005: Zwischen Wettbewerb und<br />
Subsidiarität, Berlin.<br />
Enquete-Kommission »Zukunft des Bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s« des Deutschen Bundestages (Hg.)<br />
2002: Bericht. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft,<br />
Opladen.<br />
Enste, Dominik 2004: Auf den Schultern der Schwachen. Wohlfahrtsverbände in Deutschland, Köln.<br />
Gensicke, Thomas/Hartung, Susanne 2003: Freiwilliges <strong>Engagement</strong> und Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />
in Berlin. Paritätische Bundesakademie. Untersuchungen zum aktuellen Stand im Auftrag der<br />
Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz. Teil 1, Landesstudie. Freiwilliges<br />
<strong>Engagement</strong> in Berlin. Freiwilligenarbeit, Ehrenamt und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>, München.<br />
Heinze, Rolf G./Olk, Thomas 1999: Vom Ehrenamt zum bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>. Trends des<br />
begrifflichen und gesellschaftlichen Strukturwandels, in: Kistler, Ernst/Noll, Heinz-Herbert/Priller,<br />
Eckhard (Hg.): Perspektiven gesellschaftlichen Zusammenhalts. Empirische Befunde, Praxiserfahrungen,<br />
Messkonzepte, Berlin. S. 77—100.<br />
Heinze, Rolf G./Schmid, Josef/Strünck, Christoph 1997: Zur politischen Ökonomie der sozialen<br />
Dienstleistungen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 49. Jg., Heft 2, S. 242—271.<br />
Jakob, Gisela 1993: Zwischen Dienst und Selbstbezug. Eine biographieanalytische Untersuchung<br />
ehrenamtlichen <strong>Engagement</strong>s, Opladen.<br />
Kramer, David/Sauer, Peter/Wagner, Stephan 1993: Untersuchung über Art, Umfang und Motivation<br />
ehrenamtlicher Arbeit im Rahmen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Berlin.<br />
Menninger, Oswald 2001: Private und gemeinnützige soziale Dienstleister — Konkurrenten auf einem<br />
gemeinsamen Markt? Was folgt aus der Konkurrenz für die gemeinnützigen Einrichtungen?, Berlin<br />
(Internet http://paritaet-berlin.de/artikel/download/544.pdf)<br />
-8-
Merchel, Joachim 1989: Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband. Seine Funktion im korporatistisch<br />
gefügten System sozialer Arbeit, Weinheim.<br />
Merchel, Joachim 2003: Trägerstrukturen in der Sozialen Arbeit, München.<br />
Olk, Thomas 1989: Vom »alten« zum »neuen« Ehrenamt, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, Jg. 136, Heft<br />
1, S. 7—10.<br />
Olk, Thomas/Otto, Hans-Uwe (Hg.) 2003: Soziale Arbeit <strong>als</strong> Dienstleistung, Neuwied.<br />
Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin 1999: Für eine Wende in der Berliner Finanz-, Sozial- und<br />
Gesellschaftspolitik. 10-Punkte-Papier des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin zur Legislaturperiode<br />
1999—2003, Berlin.<br />
Rauschenbach, Thomas/Sachße, Christoph/Olk, Thomas (Hg.) 1995: Von der Wertgemeinschaft zum<br />
Dienstleistungsunternehmen. Jugend- und Wohlfahrtsverbände im Umbruch, Frankfurt am Main.<br />
Sachße, Christoph 1995: Verein, Verband und Wohlfahrtsstaat: Entstehung und Entwicklung der »dualen«<br />
Wohlfahrtspflege, in: Rauschenbach, Thomas/ders.,/Olk, Thomas (Hg.): Von der Wertgemeinschaft zum<br />
Dienstleistungsunternehmen. Jugend- und Wohlfahrtsverbände im Umbruch, Frankfurt am Main, S.<br />
123—149.<br />
Scheytt, Stefan 2005: Helfer in Not, in: brand eins, Jg. 7, Heft 10, S. 118—122.<br />
Speck, Karsten/Schüll, Beatrice/Wagner, Stephan 2003: Freiwilliges <strong>Engagement</strong> und Bürgerschaftliches<br />
<strong>Engagement</strong> in Berlin. Paritätische Bundesakademie. Untersuchungen zum aktuellen Stand im Auftrag der<br />
Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, Teil 2, Organisationsbefragung, Halle,<br />
Berlin.<br />
Steinbacher, Elke 2004: Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> in Wohlfahrtsverbänden — Professionelle und<br />
organisationale Herausforderungen in der Sozialen Arbeit, Wiesbaden.<br />
-9-
Fünf Schritte zu einem zeitgemäßen Umgang mit den <strong>Engagement</strong>pozenzialen in der freien<br />
Wohlfahrtspflege<br />
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin misst — ebenso wie viele seiner Mitgliedsorganisationen — dem<br />
<strong>Engagement</strong> bereits seit geraumer Zeit hohe Bedeutung bei. Dieses zeigt sich anhand entsprechender<br />
Veröffentlichungen, Tagungen und nicht zuletzt auch der vorliegenden Untersuchung. Angesichts der<br />
Intensivierung und Ausweitung der Dienstleistungsfunktion, grundlegender gesellschafts- und<br />
sozialpolitischer Veränderungen sowie des Wandels des <strong>Engagement</strong>s ist die »Zeit reif« — so die<br />
vorliegenden empirischen Befunde — für die Entwicklung einer differenzierten engagementpolitischen<br />
Strategie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin und seiner Mitgliedsorganisationen. Wenn sich der<br />
Paritätische Wohlfahrtsverband und seine Mitgliedsorganisationen für eine engagementpolitische<br />
Strategiebildung entscheiden, so bedeutet dieses, <strong>Engagement</strong>politik in fachlicher und politischer<br />
Hinsicht <strong>als</strong> Führungsaufgabe zu verstehen und entsprechend in den Organisationen, Einrichtungen und<br />
Diensten zu implementieren. Eine so verstandene engagementpolitische Strategie lässt sich in<br />
verschiedene Handlungsdimensionen unterscheiden, wobei die Abfolge der nachfolgend skizzierten<br />
Handlungsschritte nicht zwingend ist:<br />
1. In einem ersten Handlungsschritt ginge es vor allem um eine innerverbandliche Erörterung und<br />
öffentlichkeitswirksame Darstellung von <strong>Engagement</strong>politik. Eine derartige Selbstverständigung und<br />
Präsentation könnte in Form einer <strong>Engagement</strong>kampagne mittels Plakaten, Printmedien und Events<br />
umgesetzt werden. Innerverbandlich wäre eine derartige Kampagne durch verbandspolitische<br />
Stellungnahmen und Informationen, z. B. in Mitgliederzeitschriften und Mitgliederversammlungen, sowie<br />
engagementbezogene Wettbewerbe und Preisverleihungen zu flankieren. Dieser Handlungsschritt würde<br />
vermutlich nach Außen zur sozialpolitischen Profilierung und Imagebildung des Verbandes und nach Innen<br />
zum Bedeutungszuwachs von <strong>Engagement</strong>politik beitragen.<br />
2. Ein zweiter Handlungsschritt könnte darin bestehen, eine sachlich breite sowie zeitlich und sozial<br />
dauerhafte <strong>Engagement</strong>förderung in möglichst vielen Mitgliedsorganisationen des Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverbandes Berlin zu initiieren. Hierzu bieten sich beispielsweise konkrete Handreichungen (z.<br />
B. Checklisten, Methodenkoffer und Handbücher), organisationsspezifische Empfehlungen (z. B. zu<br />
Rechtsfragen, zur Zusammenarbeit von Hauptamtlichen und Engagierten sowie zur Gewinnung,<br />
Begleitung, Anerkennung und Verabschiedung von Engagierten) sowie kostengünstige Schulungen,<br />
Fortbildungen und Tagungen an. Vor allem in der Aus- und Weiterbildung ist es ratsam, die<br />
unterschiedlichen Personalgruppen, d. h. insbesondere Hauptamtliche und Engagierte, sowie Führungsund<br />
Leitungskräfte einzuladen, um die divergierenden Sichtweisen engagementpolitisch relevanter<br />
Akteure zum Ausdruck zu bringen und deren Kooperation zu verbessern. Dieser Handlungsschritt würde zu<br />
einer »flächendeckenden Versorgung« der Mitgliedsorganisationen mit relevanten engagementbezogenen<br />
Wissensbeständen beitragen. Fraglich bleibt allerdings, welche Resonanz dieser Handlungsschritt bei<br />
engagementpolitisch »enthaltsamen« Mitgliedsorganisationen finden würde und inwiefern es<br />
»gutwilligen« Organisationen gelingen könnte, ihre gesammelten Wissensvorräte in Organisationshandeln<br />
umzusetzen.<br />
3. Ein dritter Handlungsschritt könnte darauf abzielen, das konkrete <strong>Engagement</strong> in ausgewählten<br />
Mitgliedsorganisationen, Diensten und Einrichtungen zeitlich befristet aktiv zu unterstützen. Als<br />
Förderinstrument würde sich eine zeitliche begrenzte Organisationsberatung empfehlen. Diese<br />
engagementbezogene Organisationsberatung könnte vom Verband (mit-) finanziert werden und in Form<br />
von Angebotsmodulen, etwa zur engagementspezifischen Organisations-, Personal- und<br />
Qualitätsentwicklung, vorgehalten werden. Interessierte Einrichtungen müssten dann bestimmte<br />
Anforderungen, wie etwa die Bereitstellung von Zeitressourcen und den Abschluss eines<br />
Kooperationsvertrages oder einer Zielvereinbarung, erfüllen. Die Organisationsberatung selbst könnte<br />
über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahr durch eine Beratungsgruppe aus dem Kreis der<br />
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Mitgliedsorganisationen und/oder auch durch den Verband selbst durchgeführt werden. Im Rahmen der<br />
Organisationsberatung sollten bei den beteiligten Mitgliedsorganisation in jedem Fall a) Analysen des<br />
<strong>Engagement</strong>potenzi<strong>als</strong>, insbesondere der Stärken und Schwächen, b) die Vorbereitung und<br />
Implementation von entsprechenden Veränderungen sowie c) eine Evaluation der Ergebnisse und Effekte<br />
vorgenommen werden. Aus organisationsanalytischer Perspektive bietet dieser Handlungsschritt die<br />
Chance, an die Interessen, Kompetenzen und Besonderheiten von Mitgliedsorganisationen, Diensten und<br />
Einrichtungen anzuknüpfen, Veränderungen in den beteiligten Organisationen zu induzieren sowie<br />
mittelfristig möglicherweise einen »Schneeballeffekt« im Verband aufzulösen. Nachteilig könnte es sich<br />
auswirken, dass sich dieser Handlungsschritt anfänglich primär an »engagementfreundliche« und eher<br />
größere Organisationen richtet oder von diesen wahrgenommen wird.<br />
4. Als ein vierter Handlungsschritt wäre vorstellbar, auf die Verbreitung engagementpolitischer<br />
Erfahrungen in den Mitgliedsorganisationen im Sinne eines Peer- oder Vernetzungsansatzes zu setzen.<br />
Tragfähig erscheinen hier beispielsweise eine kollegiale Beratung durch »engagementerfahrene«<br />
Organisationen (Peer-Beratung), eine sachliche Vernetzung »ähnlicher« Organisationen oder gegenseitige<br />
»Organisationshospitationen«. Der Nutzen dieses Handlungsschrittes ist vor allem im wechselseitigen<br />
Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Gleichen zu sehen. Dennoch wäre es denkbar, dass es<br />
innerverbandlich etwa durch Unverbindlichkeit, Ineffektivität und Konkurrenzangst zu Konflikten kommen<br />
könnte. Insofern erfordert dieser Handlungsschritt eine professionelle Moderation und Begleitung sowie<br />
geeignete Interaktions- und Kommunikationsstrukturen.<br />
5. Ein fünfter Handlungsschritt könnte schließlich darin bestehen, <strong>Engagement</strong> bei Aufnahmeanträgen,<br />
Mittelzuweisungen und -verhandlungen und Qualitätszertifizierungen zu einem Gütekriterium zu erklären.<br />
Dieser Handlungsschritt dürfte aufgrund seiner finanziellen Effekte nicht unumstritten sein, und würde<br />
allerdings eine eindeutige engagementpolitische Positionierung seiner Mitgliedsorganisationen und<br />
letztlich des Verbandes voraussetzen.<br />
Quelle: Backhaus-Maul, Holger/Speck, Karsten unter Mitarbeit von Katrin Harm, Wolfgang Pieper, Yvonne<br />
Rintelmann, Franziska Wehner u. a. 2005: Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> 2005. Eine empirische Erhebung zum<br />
bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong> in den Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Berlin.<br />
— Die Studie ist auf der Website des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin <strong>als</strong> PDF-Datei kostenlos erhältlich<br />
(Internet http://www.paritaet-berlin.de/upload/download/2383_studie.pdf).<br />
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