Kultur ohne Ausnahme!?
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Kultur ohne Ausnahme!?
Aktions – Forschungs – Geschichten
aus den Jahren 2015 bis 2018
In Kooperation mit dem Projekt
Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Das ist ein Plakat über unsere Aktionsforschung in Kooperation mit dem Reutlinger Projekt KULTUR OHNE
AUSNAME in den Jahren 2015 bis 2018.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Übersicht
1 Eine Frage der Geschichte ........................................................................ 4
2 Vorgeschichte .......................................................................................... 5
3 Weitere Erfahrungen sammeln ............................................................... 13
3.1 Wohin des Weges? ......................................................................................................... 13
3.2 Unterwegs im Reutlinger Kulturleben............................................................................... 21
4 Weitere Geschichten erkunden und vermitteln ...................................... 55
4.1 Wie weiter? .................................................................................................................... 55
4.2 Wo´s passt...................................................................................................................... 57
4.3 Geschichten von unterwegs............................................................................................. 61
5 Weitere Perspektiven entwickeln ........................................................... 74
6 Nachwort ............................................................................................... 89
Auf dem Foto sieht man die Aktionsforscher Matthias Braun (mit Klappe) und Thomas Geprägs (mit Mikro).
Dieser Bericht mit Aktions – Forschungs – Geschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
wurde im Sommer 2018 zusammengestellt von der
AfuW - Agentur für unschätzbare Werte
gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt)
Gönninger Straße 112
72793 Pfullingen
Telefon: 0151-10710576
www.unschaetzbare-werte.de
Geschäftsführer: Harald Sickinger
Handelsregisternummer: HRB 748115
Registergericht: Amtsgericht Stuttgart
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
1 Eine Frage der Geschichte
„Geschichten sind wie Such- und Punktscheinwerfer; sie beleuchten Teile der Bühne,
während der Rest im Dunkeln bleibt. Sie wären nicht wirklich nützlich, wenn sie die
gesamte Bühne gleichmäßig erhellen würden.“.
Das steht auf Seite 27 des Buches „Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der
Moderne“. Dieses Buch handelt davon, wie Menschen in der modernen Welt aus dem
gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt werden. Geschrieben wurde es im Jahr 2005 von
Zygmunt Baumann.
Die folgenden Aktions–Forschungs–Geschichten erzählen von Teilen aus unserem
Aktions-Forschungs-Puzzle, die womöglich auch für andere nützlich sind.
Sie beleuchten Perspektiven von Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, was es
bedeutet, wenn man ausgegrenzt bzw. behindert wird.
Mit Expertinnen und Experten aus eigener Erfahrung gehen wir der Frage nach, wie wir
Barrieren abbauen oder überwinden können. Dabei erzählen unsere Geschichten auch,
wie wir trotz vieler Barrieren zahlreiche Schätze im Kulturleben entdecken.
Unsere Geschichten handeln davon, wie wir In Verbindung mit dem Projekt „Kultur
ohne Ausnahme“ mehr als drei Jahre lang das kulturelle Leben in Reutlingen erkunden.
Wir fragen zum Beispiel: Was ist eigentlich Kultur? Wo gibt es Kultur? Was hilft, damit
alle dabei sein können? Werden Menschen daran gehindert, ihre Interessen und
Talente zu verwirklichen? Wie können wir das Kulturleben so verändern, dass niemand
mehr ausgeschlossen wird?
Auf dem Foto sieht man Thomas Geprägs beim Interview mit einem Besucher des Musik-Festivals Inter:Komm!
im Jahr 2017. Im Hintergrund an der Kamera steht Harald Sickinger. Foto: Alex Müller.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Wir stellen Fragen und setzen uns für Verbesserungen im Kulturleben ein. Das nennen
wir Aktionsforschung.
Meistens arbeiten wir dabei in kleinen Teams. Manchmal sind wir aber auch viele. Wir
gehen unseren persönlichen Interessen und Talenten nach, erkunden Kultur-Orte und
versuchen herauszufinden, wie´s für alle passt.
Was wir erfahren, erzählen wir mit Hilfe von unterschiedlichen Medien weiter. Oft
verwenden wir dabei Filmaufnahmen von unserer Aktionsforschung.
Wenn wir auf diese Weise unsere Geschichten vermitteln, dann wollen wir dadurch
zum Mitforschen und Mitmachen einladen.
So kommen wir nach unserer Erfahrung weiter.
2 Vorgeschichte
„Was hältst Du davon, von Kultur für alle?“
Im Sommer 2014 bekommt die Agentur für unschätzbare Werte von der Organisation
BAFF aus Reutlingen eine Anfrage.
BAFF steht für Bildung – Aktion – Freizeit – Feste und organisiert schon viele Jahre lang
Aktivitäten mit vielen unterschiedlichen Menschen. Getragen wird BAFF von den
Behindertenhilfeorganisationen BruderhausDiakonie und Lebenshilfe.
Die Anfrage lautet, ob wir im Rahmen eines geplanten Projektes zusammenarbeiten
wollen. Das Vorhaben heißt „Kultur ohne Ausnahme“.
BAFF hat zu diesem Zeitpunkt bereits einen Förderantrag bei Aktion Mensch gestellt
und ein kleines Vorprojekt gestartet. Als weitere Partnerorganisationen sind bisher das
Kulturzentrum franz.K, das Kulturamt der Stadt Reutlingen und die Volkshochschule
Reutlingen dabei.
Diese Kooperationspartner haben in der Vergangenheit bereits beim Festival „Kultur
vom Rande“ zusammengearbeitet. Sie wollen, dass gemeinsame Kultur von Menschen
mit und ohne sogenannte Behinderung nicht nur während des Festivals, sondern
immer zu erleben ist. Das Projekt „Kultur ohne Ausnahme“ soll dazu beitragen, dass
Kultur für alle noch selbstverständlicher wird, in Reutlingen und darum herum.
Wir vereinbaren, dass dabei auch die Agentur für unschätzbare Werte mitwirkt und so
starten im Herbst 2014, während der Vorphase des Projektes, unsere ersten
Aktionsforschungsversuche.
Dabei entsteht unter anderem ein Film-Clip mit den folgenden Ausschnitten aus
Straßeninterviews:
Thomas Geprägs: „Was hältst Du davon, von Kultur für alle?“
Passant 1: „Gut, find ich.“
Passantin 2: „Für Kranke, oder?“
Thomas Geprägs: „Ja, ja, für gesunde und für kranke Menschen.“
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Passantin 2: „Ja, würd ich sagen. Und auch für alle, die jetzt bei uns hier noch alle
kommen und so, also das ist Kultur, dass man die alle aufnehmen tut, oder?“
Rolf Rathfelder: „Kultur für alle!“
Passantin 3: „Das ist prima.“
Rolf Rathfelder: „Das ist gut?“
Passantin 3: „Kultur am Rande!“
Rolf Rathfelder: „Ja, so ähnlich.“
Im zweiten Teil des Clips sieht man Markus Lemcke, wie er vor der Internetseite des
Festivals „Kultur vom Rande“ 2014 sitzt. Es läuft ein Film mit unterschiedlichen
Künstlerinnen und Künstlern, die bei dem Festival aufgetreten sind.
Auf diesem Standbild sieht man Markus Lemcke und die Internetseite des Festivals „Kultur vom Rande“.
Harald Sickinger: „Markus, diese Szenen, was bringen die für Dich zum Ausdruck?“
Markus Lemcke: „Dass barrierefreie Kultur sehr unterschiedlich sein kann, dass es eben
sehr viel unterschiedliche Menschen gibt, bei den Menschen mit Behinderungserfahrungen,
die sehr viel unterschiedliche Fähigkeiten haben.“
http://vimeo.com/afuw/kulturfueralle
Markus Lemcke ist Experte für Barrierefreiheit im Bereich der elektronischen
Datenverarbeitung.
Thomas Geprägs und Rolf Rathfelder engagieren sich in Reutlingen im Arbeitskreis
Selbstbestimmung. Das gilt auch für einige andere Bürger*innen, die jetzt bei unserer
Aktionsforschung in Verbindung mit dem Projekt „Kultur ohne Ausnahme“ mitmachen.
Namentlich sind das Frank Bakos, Matthias Braun und Angelika Lotterer.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Sowohl der Arbeitskreis Selbstbestimmung als auch Markus Lemcke waren vor einigen
Jahren bereits an einem Film der Agentur für unschätzbare Werte gegen
Diskriminierung beteiligt.
Ausgegangen ist das Videoprojekt damals von einer Geschichte, die sich im Jahr 2010
zugetragen hatte: Der Türsteher einer Reutlinger Disco verweigerte einem Mann den
Zutritt und begründete das mit dessen Hautfarbe.
Auf diesem Standbild aus unserem Film „...dass alle Menschen gleich sind...“ sieht man einen YouTube - Clip über
den Diskriminierungsfall an der Disco-Türe. In unserem Film schaut Markus Lemcke die Szenen auf YouTube an.
Er sagt, dass es seiner Meinung nach gut ist, wenn so etwas öffentlich gemacht wird.
http://vimeo.com/afuw/ausschnitt-film-gegen-diskriminierung
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Ausgrenzungen stattfinden. Wir wollen aber
ein Kulturleben, wo alle ihre Interessen und Fähigkeiten verwirklichen können. Das
motiviert uns zur Aktionsforschung in Reutlingen und darum herum.
Im Herbst 2014 machen wir uns auf den Weg zu unserer ersten Besichtigungsaktion in
der Reutlinger Stadthalle.
„Und Action!“
„Kamera läuft. Und Aktion!“, sagt der Kameramann Matthias Braun. Dann startet
Thomas Geprägs am Computer das Straßeninterview seines Kollegen Rathfelder über
Kultur für alle, Kultur vom Rande und die Stadthalle.
Bei den Aufnahmen von der Besichtigung kommen Erinnerungen hoch.
Der Film-Clip zeigt, wie Thomas Geprägs, Angelika Lotterer und Rolf Rathfelder auf die
Erkundung mit dem Stadthallen-Manager Christoph Lang zurückblicken.
https://vimeo.com/afuw/stadthalle
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Dazu gekommen sind die Beteiligten damals, nachdem sie im Freizeitprogramm der
Organisation BAFF von unseren geplanten Aktionen gelesen hatten.
Oben sieht man Matthias Braun bei seiner Arbeit als Kameramann.
Das Bild unten zeigt Memory-Kärtchen, die an unseren ersten Besuch in der Stadthalle erinnern.
„Wen von Euch kann man ansprechen,
wenn ich oder meine Kollegen Unterstützung brauchen?“
Markus Lemcke erklärt: „Zunächst geht´s eben darum, dass ... die Orte, wo Kultur
stattfindet, von den baulichen Bedingungen her barrierefrei sind, aber dass eben auch
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
das Personal darauf eingerichtet ist, dass Menschen mit Behinderungserfahrungen
einfach individuelle Wünsche haben, was ...die Teilnahme an Kultur angeht.“.
Anfang 2015 kommen im Kulturzentrum franz.K einige Interessierte zusammen, um
mit dem Geschäftsführer Andreas Roth hinter die Kulissen zu schauen.
Auch bei dieser Aktion machen wir wieder Filmaufnahmen.
Wir stellen Andreas Roth viele Fragen.
Franziska Schiller will zum Beispiel wissen: „Wen von Euch kann man ansprechen, wenn
ich oder meine Kollegen Unterstützung brauchen?“.
Andreas Roth erklärt uns, dass es an der Eintrittskasse und an der Theke immer
Menschen gibt, die weiterhelfen können.
Der erste Kontakt von Franziska Schiller mit der Agentur für unschätzbare Werte hat
sich in der Vorphase des Projektes bei einer Veranstaltung zum Thema Inklusion
ergeben.
Wir hatten zu diesem Zeitpunkt bereits unsere ersten Aktionsforschungserfahrungen
beim Besuch in der Reutlinger Stadthalle gemacht.
Weil hier noch keine Menschen dabei waren, die im Rollstuhl unterwegs sind, suchten
wir bewusst nach Menschen mit diesbezüglichen Erfahrungen.
Bei unserer Aktionsforschung im franz.K mischt auch Detlef Hartwig mit.
Wie einige andere Mitwirkende, war er davor bereits bei unserem Aktionsforschungsfilm
gegen Diskriminierung beteiligt.
Im franz.K fragt Detlef Hartwig: „Wenn die Menschen jetzt reinkommen zur Tür und
sagen: So, jetzt hab ich meine Eintrittskarte verloren. Wie können wir das lösen mit den
Eintrittskarten?“.
Andreas Roth erklärt, dass so etwas schon manchmal vorkommt und dass man in
diesem Fall miteinander spricht. Meistens findet sich dann auch eine Lösung.
http://vimeo.com/afuw/besichtigung-franzk
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Der Mann vom Kulturzentrum franz.K sagt auch, dass wir ihm durch unsere Fragen
wichtige Anregungen geben.
Hier sieht man Andreas Roth während unserer Führung hinter die Kulissen im Kulturzentrum franz.K.
In der Folgezeit sind wir immer wieder bei Veranstaltungen im franz.K und im
angrenzenden Cafe Nepomuk unterwegs.
Zu diesen Veranstaltungen gehört auch ein Auftritt der Band „Station 17“. Hier machen
Menschen mit und ohne Handicap zusammen Musik.
Wir geben unsere Erfahrungen an Andreas Roth und an die anderen Partnerinnen und
Partner des Projektes „Kultur ohne Ausnahme“ weiter. Dafür nutzen wir Videoausschnitte
von unseren ersten Erkundungen.
Auch helfen wir bei der Vorbereitung einer Filmpräsentation im franz.K mit. Dabei geht
es um das Thema „Inklusion weltweit“.
„Kultur ist alles,
wo man auf eine bestimmte Sache aufmerksam macht.“
Immer wieder sind wir außerdem im Schaffwerk aktiv.
Das ist ein altes Haus in Pfullingen.
Hier sammelte ein Mann aus Pfullingen viele alte Dinge und manche formte er um.
Im Jahr 2010 starb dieser Mann.
Das Haus und die vielen Dinge darin erbte seine Tochter.
Jetzt entsteht aus diesem Erbe nach und nach ein lebendiges Museum.
Dabei helfen wir mit.
Es beginnt bei einem Gespräch mit der Hauseigentümerin Sabine Kramer im Frühling
des Jahres 2015.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Weil das Haus bisher mit größeren E-Rollstühlen gar nicht zugänglich ist, besorgt
Franziska Schiller einen Falt-Rollstuhl zum Umsteigen.
http://vimeo.com/afuw/faltrolli
Am 28. April 2015 erscheint im Reutlinger Generalanzeiger ein Artikel über die
Entwicklungen in dem Haus.
Hier sieht man unter anderem, dass auch Aktionsforscherinnen und Aktionsforscher
mit Behinderungserfahrungen mitarbeiten.
Das ist ein Foto mit Bildunterschrift aus dem Artikel der Journalistin Patricia Kozjek:
Der ganze Artikel: https://www.yumpu.com/s/6FDo5zGkmeAEbXTx
Bei Rundführungen durch das Haus kann man Sagen und Märchen hören. In der
Scheune erzählt Sabine Kramer das Märchen über die Bremer Stadtmusikanten:
„Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre treu gedient, dessen Kräfte
aber nun zu Ende gingen, so dass er zur Arbeit immer untauglicher war. Da wollt´ ihn
der Herr aus dem Futter schaffen, aber der Esel merkte, dass kein guter Wind wehte,
lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen; dort, dachte er, kannst Du ja
Stadtmusikant werden...“.
Sigrid Müller, die älteste Mitwirkende in unserem Aktionsforschungsteam, denkt bei
dieser Geschichte an eine andere Geschichte. Wir sitzen in der Schaffwerk-Scheune.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Sigrid Müller sagt, dass im Dritten Reich die Menschen aussortiert worden sind und
fügt hinzu: „Damit fängt es an, das einsam werden, wenn jemand sagt: Dich brauch ich
doch nicht mehr, was kannst denn Du? Und für mich ist es ganz schlimm, wenn ich nach
meinem Beruf gefragt werde. Ich muss drauf schreiben: Ungelernte Arbeiterin. Und im
Grund genommen stimmt das gar nicht.“.
Die 77jährige Sigrid Müller macht bereits seit der Stadthallenbesichtigung bei unserer
Aktionsforschung mit. Dazu gekommen ist sie durch ihren Kontakt mit Peter Föll. Das
ist ein Mitarbeiter der BruderausDiakonie, der uns beim Start unserer
Aktionsforschung unterstützt hat.
„Was ist eigentlich Kultur?“ fragen wir uns in der Anfangsphase immer wieder.
Sigrid Müller antwortet: „Kultur ist alles, wo man auf eine bestimmte Sache
aufmerksam macht.“. Andere ergänzen: Museen, Theater, Musik. „Alles was schön ist“,
sagt Angelika Lotterer. „Alles was Spaß macht“, fügt Rolf Rathfelder hinzu.
Wir stellen auch die Frage: „Was ist dann eigentlich keine Kultur?“.
Angelika Lotterer meint: „Wenn man über einen bestimmt, was man tun muss.“.
Schlechtes Benehmen, Gewalt und Krieg, sind weitere Stichworte, die wir sammeln.
Dann meldetet sich Sigrid Müller und erklärt eindringlich, dass es auch keine Kultur ist,
wenn man sich an die Geschichte gar nicht erinnert.
In einer unserer Filmaufnahmen zeigt Sigrid Müller einen Stoffdruck. Den hat sie bei
ihrer Arbeit in der sogenannten TSA gemacht. Das ist eine Abkürzung und bedeutet
tagesstrukturierende Angebote.
Sigrid Müller: „Da sieht man die Kunst des Stoffdruckens einer 77jährigen Künstlerin.
Eigentlich fällt mir das jetzt schwer zu sagen Künstlerin, weil ich als junger Mensch ja
nur, wenn ich´s mal ganz gemein sagen darf, der Abfall war,...der nie was konnte...“.
http://vimeo.com/afuw/kunst-des-stoffdruckens
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
3 Weitere Erfahrungen sammeln
Im Lauf des Frühlings wird klar, dass die Stiftung Aktion Mensch das Projekt „Kultur
ohne Ausnahme“ ab dem Sommer 2015 drei Jahre lang fördern wird.
Elisabeth Braun und Rosemarie Henes übernehmen die Projektleitung. Markus Christ
beginnt im Kulturbüro mit vielfältigen Vernetzungsaktivitäten. Mit der Agentur für
unschätzbare Werte wird eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Unsere
Aktionsforschung soll bis zum Sommer 2018 weitergehen. Die Verantwortung hierfür
übernimmt Harald Sickinger Die Vorphase des Projekts ist zu Ende, jetzt geht´s so
richtig los.
Faltblatt „Kultur ohne Ausnahme“: https://www.yumpu.com/s/9WyplPXdxLRkCUqT
3.1 Wohin des Weges?
„Was hört Ihr Euch sonst für Musik an?“
Die Kamera filmt einen Ordner. Darauf steht geschrieben: „Verschiedene
Musikgruppen M. Braun“.
Harald Sickinger : „Was ist das, Matze, was man da sieht?“
Matthias Braun: „Verschiedene Musikgruppen“
Harald Sickinger: „Die hast Du da gesammelt, oder?“.
Daraufhin klappt der Experte aus eigener Erfahrung und Mit-Aktionsforscher seinen
Musik-Ordner auf. Den hat er extra mitgebracht, um ihn zu zeigen.
Auf der ersten Seite sieht man einen Veranstaltungshinweis. Es geht dabei um ein
schon länger zurückliegendes Konzert des Liederkranzes Reudern: Das
Weihnachtsoratorium von Heinrich Fidelis Müller.
Matthias Braun erklärt: „Es ist das Mitteilungsblatt von daheim, wo ich gebürtig her
komm.“.
http://vimeo.com/afuw/musikordner
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
In einem Orgelkonzert in Reutlingen war Matthias Braun bisher noch nie. Als wir aber
im Sommer 2015 überlegen, ob und wie wir die lange Orgelnacht erforschen könnten,
da ist er gleich dabei.
Am 15. August von 20 Uhr bis 24 Uhr wird an drei Orgeln gespielt und der
Beleuchtungsmeister Holger Herzog lässt die Kirche mit rund hundert Scheinwerfern
in einem ganz besonderen Licht erscheinen. Mit ihm verabreden sich Matthias Braun,
Thomas Geprägs und Harald Sickinger schon zwei Stunden vor Beginn der
Veranstaltung.
Hier erklärt Holger Herzog (links) den Aktionsforschern Matthias Braun (in der Mitte) und Thomas Geprägs
gerade, wie er die Scheinwerfer steuert.
In unseren Filmaufnahmen findet sich unter anderem diese Gesprächspassage:
Holger Herzog: „Ja, und jetzt habt Ihr Euch ein Orgelkonzert rausgesucht?“
Thomas Geprägs: „Ja.“
Matthias Braun: „Mhm.“
Holger Herzog: „...was hört Ihr Euch sonst für Musik an...?“
Thomas Geprägs: „Alles.“
Holger Herzog: „Alles?“
Matthias Braun: „Ich auch.“
Holger Herzog: „Alles?“
Matthias Braun: „Mhm“
Holger Herzog: „Ah“
Thomas Geprägs: „...Volksmusik, Country bissle“.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Mathias Braun: „Truck...“
Thomas Geprägs: „Truck Stop kennst Du?“
Matthias Braun: „Sagt Dir Truck Stop was?
Holger Herzog: „Truck Stop? Ja, ja, ja. Ja. Ja.“
Matthias Braun: „...Hansestadt Hamburg“.
http://vimeo.com/afuw/was-hoert-ihr
Im Musikordner von Matthias Braun gibt´s weiterführende Informationen über die
Musikgruppe aus der Hamburger Gegend. Das zeigt er uns, als wir an einem anderen
Tag im Pfullinger Schaffwerk zusammensitzen.
„Der wilde, wilde Westen fängt gleich hinter Bernloch an“, sagt Matthias Braun dabei.
„Wer singt das?“, fragt Harald Sickinger.
„Truck Stop singt das“, antwortet Detlef Hartwig.
Er ist ein Freund von Matthias. Immer wieder unternehmen die beiden etwas
zusammen. Zum Beispiel spielen sie gemeinsam Tischtennis.
„Dass die Leute bissle Spaß haben oder dass sie bisschen rumlaufen
können, also das ist für mich, sag ich mal, Kulturnacht“
Auf diesem Standbild aus unseren Filmaufnahmen sieht man rechts Detlef Hartwig. Hier erkundet er gerade mit
anderen Aktionsforschern die Reutlinger Kulturnacht.
Es ist der 26. September 2015, wir sind bei der Reutlinger Kulturnacht unterwegs.
Detlef Hartwig sagt: „Dass die Leute auch bissle Spaß haben oder dass sie bisschen
rumlaufen können, also das ist für mich, sag ich mal, Kulturnacht.“.
Heute erleben wir eine Musikmaschine in der Wilhelmstraße, ein Kabarett im
Matthäus-Alber-Haus, Kurzfilme im neuen Kino Kamino und ein Konzert von „Tante
Friedas Jazzkränzchen“ in der Buchhandlung Osiander.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Dass wir eine Band gesehen haben, erzählt Detlef Hartwig später in seinem Wohnheim,
„also Schlagzeug, Saxophone, Klarinette, je nachdem, und es war ja auch, ja, s´war auch
gut. Teils hat´s die Frau n´ bisschen angestrengt mit Schlagzeug spielen. Der ist schier
der Arm eingeschlafen, wahrscheinlich, so wie´s aussieht. Aber es war ja nicht
eingeschlafen.“.
http://vimeo.com/afuw/kulturnacht
Im Kulturzentrum franz.K, in der Volkshochschule und in der Stadtbibliothek läuft an
diesem Tag ein Film von uns. Besucherinnen und Besucher der Kulturnacht erfahren
dadurch, dass wir das Kulturleben erkunden und unsere Erfahrungen weitergeben.
http://vimeo.com/afuw/koa-einfuehrung
Auch bei anderen Gelegenheiten zeigen wir nun schon ziemlich oft Filmaufnahmen und
erzählen von unterwegs. Das machen wir zum Beispiel bei einer großen Projekt-
Auftaktveranstaltung im franz.K.
Zeitungsartikel: https://www.yumpu.com/s/kyIUH1m58zT3lNEv
Weitere Anlässe für unsere Präsentationen sind im Herbst und Winter 2015 unter
anderem Treffen mit Leitungspersonen der BruderhausDiakonie, die Mitgliederversammlung
des Vereins Lebenshilfe, eine Feier mit den Aktiven von BAFF und eine
Zusammenkunft von Reutlinger Kulturschaffenden. Diese Zusammenkunft nennen sie
„Runder Tisch Kultur“.
„Mir ist aufgefallen, solang ich in dem Projekt unterwegs bin, dass
manche Leut in der Kultur geschätzt werden und andere nicht
und ich frag die Hörer dieser Filmaufnahmen, warum das so ist?“
Diese Aufnahme zeigt die Aktionsforscherinnen Sigrid Müller (links) und Franziska Schiller (rechts) beim
Reutlinger Heimatmuseum
Sigrid Müller und Franziska Schiller berichten vom Besuch einer Ausstellung im
Heimatmuseum. Es geht um die Kindertagesstätte im Reutlinger Gmindersdorf. Diese
Kita gibt´s seit hundert Jahren.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„An meine Kindheit erinnern mich hier viele, viele Dinge“, sagt Sigrid Müller.
Dazu gehören Spielsachen oder auch Bücher wie „Die Hasenschule“ oder „Der
Struwelpeter“. In diesem Buch gibt es eine Figur, die Suppenkasper heißt.
„Es war eigentlich immer auch in der behüteten Wohngemeinschaft, dass solche
Vorbilder dann benützt wurden als Abschreckung“, erzählt die Aktionsforscherin, die
seit rund fünfzig Jahren in Wohneinrichtungen für behinderte Menschen wohnt, „wenn
ich mal meinen Teller nicht leer essen wollte, hieß es gleich: Willst Du so werden wie
der Suppenkasper im Struwelpeter, der gestorben ist, weil er nicht mehr gegessen
hat?“. Dann erklärt sie: „Wenn ich solch eine Ausstellung seh, wie diese hier, dann weiß
ich, dass diese Situation schon viel viel früher begonnen hat, als wie das, was ich in
meinem Leben erfahren durfte.“.
http://vimeo.com/afuw/kita-gmindersdorf
„Für Leut, die sich mit der Vergangenheit beschäftigen, tät ich´s empfehlen“, sagt
Franziska Schiller, „aber bringt jemand mit zum lesen bzw. das Gesehene zu
verarbeiten.“.
Aus ihrem Blickwinkel sind viele Beschriftungen nicht lesbar. Auch gibt es aus ihrer
Sicht einigen Gesprächsbedarf.
Franziska Schiller schaut sich in der Dauerausstellung des Heimatmuseums um. Sie
sieht, wie bestimmte Persönlichkeiten hier gewürdigt werden und sagt: „Mir ist
aufgefallen, solang ich in dem Projekt unterwegs bin, dass manche Leut in der Kultur
geschätzt werden und andere nicht und ich frag die Hörer dieser Filmaufnahmen,
warum das so ist?“.
Unser Video-Ausschnitt zeigt, wie sich das Markus Lemcke und Harald Sickinger am
Computer anschauen.
http://vimeo.com/afuw/eine-frage-der-wertschaetzung
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Wie die Erfahrungen, Eigenschaften, Fähigkeiten und Leistungen jedes Menschen
anerkannt werden können, das scheint uns eine wichtige Frage zu sein. Dem wollen
wir bei unserer Aktionsforschung weiter nachgehen.
Wir machen die Erfahrung, dass manches als Kultur gilt und manches nicht. Bei unserer
Aktionsforschung erleben wir immer wieder, dass auch Menschen ihre Kulturerfahrungen
einbringen wollen, die ansonsten nicht gefragt sind.
Auf dieser Grundlage schreibt Harald Sickinger ein Arbeitspapier zur Beteiligung von
Bürger*innen mit Behinderungserfahrungen:
https://www.yumpu.com/s/F19Q8AgiKprPR0CO
In den ersten Monaten unserer Aktionsforschung haben wir eine Vorgehensweise
entwickelt, die damit beginnt, dass wir nach den individuellen Interessen, Stärken und
bisherigen Erfahrungen der Mitwirkenden fragen. Dafür gehen wir auch an Orte, die
für sie bedeutsam sind und wir sprechen mit Personen aus ihrem Umfeld. Manchmal
kennen die zum Beispiel Stärken der Mitwirkenden, die ihnen selbst gar nicht so
bewusst sind.
Oben sieht man zum Beispiel Franziska Schiller, als sie gerade bei ihrem Arbeitsplatz an der Kasse in einem
Buchladen der LWV Eingliederungshilfe angekommen ist. In dem Laden gibt´s auch Wolle zu kaufen.
Auf dem Bild unten steht Thomas Geprägs bei den Traktoren auf dem Hofgut Gaisbühl der BruderhausDiakonie.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Frank Bakos arbeitet ebenfalls in der Landwirtschaft. „Das ist auch Kultur“, sagt er.
In seinem Zimmer zu Hause hängt ein Plan an der Wand. Was man da sieht, fragt ihn
Harald Sickinger. „Tanzkurs, Fußmassage und Musik, Arbeitskreis“, antwortet Frank
Bakos. Damit meint er den Arbeitskreis Selbstbestimmung, wo er sich schon Jahre
lange für Menschen mit Handicap einsetzt.
Manchmal hilft er in seiner Freizeit auch beim Westbahnhof mit. Dort werden Teile
einer alten Bahn restauriert.
Hier sieht man Frank Bakos beim Reutlinger Westbahnhof.
Wir gehen bei unserer Aktionsforschung von unserem persönlichen Standpunkt aus
und dann erweitern wir Schritt für Schritt unseren Horizont.
„Man muss auch mal über den Tellerrand rausschauen“
Ende 2015 machen wir eine Weiterbildungsreise nach Hamburg und bereiten Praktika
vor.
Man müsse auch mal über den Tellerrand rausschauen, erklärt Franziska Schiller. „Ich
will doch nicht dumm sterben“, meint sie, als wir uns über eine bevorstehende Tagung
in Hamburg unterhalten. Zusammen mit Markus Christ vom Kulturbüro von „Kultur
ohne Ausnahme“ und den Aktionsforschern Matthias Braun und Harald Sickinger reist
sie dorthin, um zu erfahren, wie die Organisation „Leben mit Behinderung“ in Hamburg
Kulturbegleitungen organisiert.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Es wird eine abenteuerliche Tour, mit einigen Hindernissen im Hamburger S-Bahn-
Verkehr und bei der Veranstaltung selbst, wo nicht alles für alle verständlich ist.
Die Veranstalter haben einen Film über die Tagung drehen lassen. Ein Video von uns
zeigt, wie wir diesen Tagungs-Film anschauen. Ungefähr in der Mitte unseres Videos
sieht man Matthias Braun, wie er eingeschlafen ist. „Weil es war auch zum einnicken“,
sagt er und erklärt: „Weil die haben Fremdwörter benutzt und keine einfachen.“
Nicht nur wir, sondern auch die Veranstalter lernen Schritt für Schritt dazu. Dafür
geben wir unsere Erfahrungen an sie weiter.
http://vimeo.com/afuw/rueckblick-tagung-hamburg
Franziska Schiller sagt, dass sie manche Anregungen aus Hamburg in Reutlingen
umsetzen will. Sie möchte, dass noch mehr Menschen mit und ohne Handicap
zusammen weggehen und miteinander Kultur erleben.
Auch bei unserer Reise in den Norden haben wir viel erlebt. Einen Eindruck davon gibt
ein kurzer Clip mit ausgewählten Bildern. Es beginnt mit einer Szene, in der Franziska
Schiller nicht in die S-Bahn einsteigen kann, weil der Einstieg zu hoch ist. Man sieht
außerdem, wie sie mit ihrer Assistentin und den Kollegen auf der Reeperbahn
unterwegs ist, wie wir zusammen einen Club besuchen, ein Feuerwerk entdecken, den
Hamburger Hafen natürlich auch und bei der Heimfahrt isst Matthias Braun noch ein
Franzbrötchen. Das ist einem Hamburger Spezialität.
http://vimeo.com/afuw/impressionen-hamburg-reise
Auf diesem Foto sieht man Franziska Schiller, Matthias Braun und die Assistentin Sina Stosch im Hafen.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
3.2 Unterwegs im Reutlinger Kulturleben
„... und hier im Praktikum ist er guter Computerspezialist“
Ab Januar 2016 arbeiten eine Praktikantin und fünf Praktikanten regelmäßig einen
Arbeitstag in der Woche als Aktionsforscherin bzw. Aktionsforscher bei der Agentur für
unschätzbare Werte mit. Möglich ist das durch entsprechende Vereinbarungen mit den
Werkstätten für behinderte Menschen der BruderhausDiakonie und der LWV
Eingliederungshilfe.
Praktikumsbeschreibung: https://www.yumpu.com/s/RoaecmDsGWkBHg7p
Hier sieht man Frank Bakos und Thomas Geprägs beim Aufgang zu unserem Büro im Kulturamt.
Montags treffen sich Frank Bakos, Thomas Geprägs, Rolf Rathfelder und Harald
Sickinger in einem Raum des Kulturamtes im Spitalhof. Das liegt mitten in der Stadt.
Von hier aus
Matthias Braun, Detlef Hartwig, Franziska Schiller und Harald Sickinger richten derweil
in der Hermann-Kurz-Straße vorübergehend ein weiteres Aktionsforschungszentrum
ein. Das liegt etwas weiter außerhalb. Dafür sind diese Räumlichkeiten im Unterschied
zu unserem Büro im Kulturamt auch für Menschen zugänglich, die im Rollstuhl
unterwegs sind.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
In Filmaufnahmen kann man sehen, wie Franziska Schiller mit Hilfe einer elektrischen
Rampe zu unserem Treffpunkt gelangt.
http://vimeo.com/afuw/elektrische-rampe
Hier sind Detlef Hartwig und Franziska Schiller im Büro mit der Sichtung von Filmaufnahmen beschäftigt.
Wir beschäftigen uns jetzt viel mit der Frage, wie wir unsere Stärken gut einsetzen und
weiterentwickeln können. In einem Ausschnitt aus unserem Videotagebuch sieht man
zum Beispiel, wie Franziska Schiller über ihren Kollegen Detlef Hartwig sagt: „Also ich
hab´ Detlef kennengelernt als Fachmann für Stadtführung“.
Im Computer schauen wir gerade Aufnahmen an, die bei Detlef Hartwig zu Hause
entstanden sind.
„Ich kann´s ja mal zeigen kurz“, hört man ihn sagen und man sieht, wie er sein
Stadtführerleibchen vorführt und auch seinen gelben Stadtführer-Regenschirm.
Franziska Schiller fällt aber spontan noch eine weitere Stärke von Detlef Hartwig ein:
„...hier im Praktikum ist er guter Computerspezialist.
„Und er ist auch guter Dinge“, fügt Matthias Braun hinzu.
http://vimeo.com/afuw/staerken-erkunden
Detlef Hartwig selbst sieht seine Stärken außerdem bei der Unterstützung von
Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern. Zum Beispiel klappt er in der Buslinie 81 die
Rampe aus und ein.
„...sind wir ganz enttäuscht wieder raus, weil sie zu teuer waren.“
„Wir waren noch im Konzertbüro und haben einiges gefragt, ob es Karten gibt für die
Otto – Veranstaltung und was die kosten.“, berichtet Rolf Rathelder in einem anderen
Ausschnitt aus unseren Aufzeichnungen aus der Anfangszeit des Praktikums.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Es geht um einen Auftritt des Komikers Otto in der Reutlinger Stadthalle. „Dann sind
wir ganz enttäuscht wieder raus, weil sie zu teuer waren“, erzählt der Praktikant weiter.
Harald Sickinger fragt, was die Karten kosten. „46 Euro“, antwortet Rolf Rathfelder.
Wenn wir im Kulturleben unterwegs sind, stoßen wir nicht nur an bauliche Barrieren
oder auf Probleme mit der Verständigung. Immer wieder hat das, was jemand am
Besuch einer Kulturveranstaltung hindert, auch mit dem Eintrittspreis zu tun.
Manchmal hilft nach unseren Erfahrungen in solchen Fällen das Reutlinger
Gutscheinheft weiter. Manche Personen können zumindest einen Teil des Eintritts
nicht mit Geld, sondern mit Gutscheinen bezahlen. Teilweise gibt es außerdem schon
von vorneherein eine Ermäßigung für Menschen mit sogenannten Behinderungen und
für andere Personengruppen.
Im Lauf des Praktikums erforschen wir darüber hinaus noch eine weitere Möglichkeit,
um finanzielle Barrieren zu überwinden. Das ist die Reutlinger Kulturpforte.
„Rüdiger Weckmann“, sagt Matthias Braun, während er am Computerbildschirm auf
ihn zeigt. „Er ist der Vorsitzende der Kulturpforte“, fügt Matthias Braun hinzu. Links
daneben sieht man ihn selbst, Markus Christ und Detlef Hartwig. Rechts verdeckt seine
Hand gerade Franziska Schiller.
Franziska Schiller fragt Rüdiger Weckmann in dem Video: „Können Sie uns bitte
erzählen, was das nochmal genau ist mit der Kulturpforte?“. Harald Sickinger schwenkt
die Kamera auf Rüdiger Weckmann. „Also die Kulturpforte ist ein Verein, der sich an die
Kulturveranstalter in Reutlingen gewandt hat mit der Bitte, Freikarten für Menschen
mit geringen Einkommen zur Verfügung zu stellen.“.
http://vimeo.com/afuw/erkundung-kulturpforte
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Wenn man wenig Geld hat, kann man bei der Kulturpforte Gast werden und Gäste
können Freikarten für eine ganze Reihe von Veranstaltungen bekommen. Das
probieren wir aus.
Zuerst muss man mit einem Formular zu einem Wohlfahrtsverband gehen und dort
nachweisen, dass man wenig Geld hat. Dann bekommt man eine Bescheinigung und
kann sich damit für ein Jahr als Gast bei der Kulturpforte registrieren lassen.
Wir waren beispielsweise bei der Arbeiterwohlfahrt und bei der Diakonie, um das zu
testen. Das war mit einigem hin und her verbunden. Aber es hat geklappt und ganz
nebenbei haben wir auch noch freundliche Leute von den beiden Wohlfahrtsverbänden
kennengelernt und über unsere Aktionsforschung informiert.
Hier sieht man Herbert Mang von der Arbeiterwohlfahrt mit Thomas Geprägs und Frank Bakos.
Es gibt viele Begegnungen bei unserer Aktionsforschung. Wenn wir Leute treffen, dann
tauschen wir Erfahrungen aus. Das machen wir beim Bäcker, im Konzertbüro, in der
Touristeninformation, in Ämtern, an verschiedenen Kultur-Orten und auf öffentlichen
Plätzen. Oft machen wir dabei auch Film- oder Fotoaufnahmen
„...und dann haben wir auch geschwätzt über Kultur.“
„Das war montags“, sagt Thomas Geprägs. Er hat eine Memorykarte über unsere
Aktionsforschung in der Hand. Darauf sieht man ihn mit zwei Männern auf dem
Marktplatz stehen. Alle haben Papiere in der Hand. „Da haben wir welche getroffen
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
von der IG Metall“, erklärt er. „Da hab´ ich gefragt: Was macht Ihr? Dann haben wir
geschwätzt und dann hat er gesagt er ist IG Metall und dann haben wir auch geschätzt
über Kultur.“.
Mit einem der beiden Männer haben wir ein kurzes Interview geführt.
„Was muss in Reutlingen passieren, damit es für alle Leute gut ist?“, fragt Thomas
Geprägs.
Sein Gesprächspartner fragt zurück, ob er „Du“ sagen kann und nachdem Thomas
Geprägs das bejaht, sagt der Mann: „Du hast ja am Anfang gesagt zum Beispiel diese
Barrierefreiheit. Natürlich also alle Menschen sollten, ich hab´s ja auch vorhin, am
Anfang erwähnt, Platz finden in dieser Stadt und da gibt´s auch Platz für alle. Also ich
versteh nicht, dass manche Menschen denken müssen immer, Fremde ist immer
Gefahr, sagt der Mann, der Betriebsrat bei einer großen Reutlinger Firma ist. Dann zeigt
er uns Postkarten der Industriegewerkschaft Metall gegen Diskriminierung.
http://vimeo.com/afuw/infostand-igmetall
Hier sieht man einige Memory-Karten von unserer Aktionsforschung. Sie liegen auf dem Reutlinger Stadtplan.
Über die Geschichte der IG Metall in Reutlingen erfahren wir zu einem späteren
Zeitpunkt noch mehr, als wir die Ausstellung „Gute Arbeit – gutes Leben“ im
Heimatmuseum anschauen. Sie handelt davon, wie Beschäftigte von hiesigen Betriebe
sich seit mehr als hundert Jahren für gute Arbeits- und Lebensbedingungen einsetzen.
Uns bringt das unter anderem wieder zur Frage zurück, was jeder und jede von uns
gerne macht und gut kann.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Völlig losgelöst von der Erde“
Thomas Geprägs und Frank Bakos sitzen in unserem Büro im Kulturamt. Sie schauen
sich einen Ausschnitt aus dem Videotagebuch des Freitags-Teams an, das sich in der
Hermann-Kurz-Straße trifft. In dem Video sehen sie Matthias Braun und Detelf Hartwig.
Die stehen neben unserer Litfaß-Säule, auf der wir Infos befestigen, die wir uns merken
wollen. Die beiden singen freudestrahlend: „Völlig losgelöst von der Erde, schwebt das
Raumschiff völlig schwerelooooooos.“. Thomas Geprägs klatscht Beifall.
http://vimeo.com/afuw/nach-dem-konzert
Die Begeisterung der beiden wirkt ansteckend. Das zeigt sich zum Beispiel auch, als
Matthias Braun und Harald Sickinger diese Szenen bei einer Konferenz von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern im Sozialdienst der Werkstatt für behinderte Menschen
vorführen.
Die Gesangseinlage gehört zum Bericht von Matthias Braun und Detlef Hartwig über
ein Konzert von Peter Schilling im Kulturzentrum franz.K und der Text stammt aus
seinem berühmten Lied „Major Tom“.
Die unterschiedlichen Aktionsforscherinnen und Aktionsforscher besuchen
unterschiedliche Veranstaltungen bzw. Kultur-Orte, je nachdem, was zu den eigenen
Interessen passt. Manche von uns sind jetzt als Gäste bei der Kulturpforte registriert
und bekommen Freikarten für manche Veranstaltungen. Manche Kulturangebote sind
aber auch ohne Kulturpforte zugänglich, weil gar kein Eintritt verlangt wird.
Auf dem Bild unten sieht man Frank Bakos und Thomas Geprägs bei Filmaufnahmen in
einer Fotoausstellung. Das ist im Gebäude der Volksbank am Reutlinger Marktplatz im
2. Stock.
Wir denken, dass man wissen sollte, dass man dorthin nur über Treppen kommt. Es
gibt nämlich keinen Aufzug. Darüber sprechen wir auch mit einer Mitarbeiterin der
Volksbank.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„...oben im ersten Stock war ein Workshop über einfache Sprache...“
Die Stadtbibliothek und die Volkshochschule liegen in Reutlingen direkt
nebeneinander. An beiden Orten sind wir immer wieder unterwegs. In unseren
Aufzeichnungen aus dem ersten Quartal 2016 finden wir den folgenden
Gesprächsausschnitt aus unserem Freitags-Team
„Was ist da gewesen?“, fragt Matthias Braun seine Aktionsforschungskollegin
Franziska Schiller. Sie antwortet: „Also ich bin nach dem Essen mit dem Harald
zusammen in die Volkshochschule und in der Volkshochschule oben im ersten Stock war
ein Workshop über einfache Sprache und den hab ich zusammen mit Harald besucht,
dass ich mit Euch zwei leichter umgehen kann, weil Ihr zwei ja leichte Sprache braucht.“.
Bei dem Workshop, den Franziska Schiller mit Harald Sickinger besuchte, ging´s darum,
wie man schwierige Texte in einfache bzw. leichte Sprache übersetzen kann.
Am gleichen Tag haben wir in der Volkshochschule auch noch eine Aktionskunstgruppe
aus Freiburg beraten Diese Leute hatten uns gefragt, ob wir Tipps geben können, wie
sie die Plakate und Installationen aus Reisepässen und ähnlichen Dingen in ihrer
Passausstellung gut zugänglich anbringen. Da ist auch Markus Lemcke dazu
gekommen.
Bei dieser Gelegenheit hat der Experte für das Thema Barrierefreiheit bei der
elektronischen Datenverarbeitung anderen Mitgliedern aus unserem
Aktionsforschungsteam auch gleich noch Tipps zur Bedienung von Tablets gegeben.
Solche Geräte nutzen wir nämlich manchmal bei unserer Arbeit.
Auf dem Foto sieht man das Freitags-Team während des Praktikums. Matthias Braun, Franziska Schiller und
Detlef Hartwig sind hier in der Stadtbücherei. Dort gibt es Bücher in einfacher Sprache.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Wie sich Barrieren in unterschiedlichen Bereichen abbauen lassen, das beschäftigt uns
schon in den ersten Monaten 2016 ganz regelmäßig.
Rolf Rathfelder erzählt zum Beispiel, dass er als Heimbeirat schon mal mit einigen
Mitstreiterinnen und Mitstreitern bei der Zeitung war. Bisher, so sagt er, hätten sie
erfolglos versucht, dass die Sprache der Zeitung einfacher wird. Deshalb treffen wir uns
mit der Koordinatorin des Heimbeirats, um uns abzustimmen.
In der Nikolaikirche besuchen wir die Präsentation eines Krimis in einfacher Sprache
und lesen auch selbst darin. In der Stadtbibliothek erkunden wir neben vielem anderen
auch die Ecke mit den Büchern in einfacher Sprache.
Mit Mitarbeiterinnen der Stadtbibliothek, aber auch mit anderen Beschäftigten der
Stadt Reutlingen tauschen wir uns dann im März 2016 wieder aus. Bei einer
Veranstaltung im großen Sitzungssaal des Rathauses geben unter anderem Franziska
Schiller und Thomas Geprägs ihre Erfahrungen mit dem Abbau von Barrieren weiter.
Zugleich erfahren wir aber bei solchen Gelegenheiten auch selbst wieder mehr.
Thomas Geprägs probiert zum Beispiel eine besondere Kleidung aus. Dadurch
bekommt er ein Gefühl für körperliche Einschränkungen, mit denen andere Menschen
leben und kann sich besser in ihre Lage versetzen.
Auf dem Foto von Thomas Geprägs im Spezialanzug liegt eine Memory-Karte. Wir erinnern uns an viele Aktionsforschungsbesuche
im Reutlinger Rathaus.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Der hat den Rain Man genommen, um auf die Problematik
Behinderung aufmerksam zu machen.“
Wir sortieren Materialen, die wir bei unserer Aktionsforschung gesammelt haben.
Darin findet sich auch eine Einladung von Eugen Blum.
Thomas Geprägs erklärt dazu: “Eugen Blum hat einen Film gezeigt im franz.K und alles
organisiert.“. Franziska Schiller ergänzt: „Der hat den Rain Man genommen, um auf die
Problematik Behinderung aufmerksam zu machen.“.
Das ist eine Aufnahme von der Film-Arbeit mit Eugen Blum. Hier steht er vor dem Kino Kamino und wartet
konzentriert auf das Zeichen „Film ab“.
Der Kontakt von Eugen Blum zur Agentur für unschätzbare Werte und zum Projekt
„Kultur ohne Ausnahme“ war schon einige Zeit vorher durch die Mitarbeiterin einer
sozialen Einrichtung in Reutlingen zu Stande gekommen.
Eugen Blum hatte sich für unsere Arbeit gegen Diskriminierung interessiert und Harald
Sickinger bei unterschiedlichen Gelegenheiten auch von seinen eigenen Erfahrungen
berichtet. Außerdem spielte er Harald Sickinger zum Beispiel Musik vor, die ihm gefällt.
Dazu gehört die Band „Diorama“. Oft sprach er auch über Filme.
Bald stellte sich heraus, dass Eugen Blum viel über Filme weiß und dass es auch welche
gibt, die eine große Bedeutung für ihn haben. Dazu gehört zum Beispiel der Film „Rain
Man“ von Barry Levinson.
Er zeigte Harald Sickinger die DVD und sagte, dass er gerne anderen Menschen etwas
von seinen Ansichten darüber vermitteln würde.
Nach und nach entstand die Idee für eine kleine Veranstaltung und er plante mit
unserer Hilfe eine Filmvorführung mit anschließendem Gespräch.
Die Einladung zu dieser Filmvorführung sieht man auf der nächsten Seite.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Mehr als zwanzig Menschen mit und ohne Behinderungserfahrungen sind gekommen.
Nach dem Film gab es ein angeregtes Gespräch.
„Es war für mich etwas Besonderes, ein neues Erlebnis, weil ich ja zum ersten Mal
moderieren durfte. Ich durfte halt etwas vorstellen. Ich durfte halt vorstellen, ein
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Kunstwerk, einen Film, wo ich mich selber einsehen kann.“, sagt Eugen Blum über seine
Veranstaltung.
Er macht die Erfahrung, dass Filme manchmal Respekt vermitteln können.
„Respekt ist für mich, wenn man mich so akzeptiert wie ich bin, in dem ich zum Beispiel
meine Vergangenheit erzähle“, sagt Eugen Blum, wenn man „etwas über sich erzählt
und der andere versteht das. Er versteht, dass ich mein Mensch bin mit besonderen
bisschen Fähigkeiten.“.
http://vimeo.com/afuw/veranstaltung-rain-man
Matthias Braun, Detlef Hartwig und Harald Sickinger haben sich bei der Filmvorführung
um die Technik im franz.K gekümmert. Dafür haben sie sich vorher mit einem Techniker
des Kulturzentrums getroffen, der ihnen alles erklärt hat.
„Das braucht man noch. Kultur ist das“
Auf diesem Foto steht Thomas Geprägs zwischen Sabine Kramer vom Schaffwerk und dem Pfullinger
Bürgermeister Michael Schrenk. Der Aktionsforscher hält das Amtsblatt in der Hand. Er schlägt vor, dass im
Amtsblatt über die Kultur im Schaffwerk berichtet wird.
In einem unserer Clips steht Thomas Geprägs neben Frank Bakos und dem kleinen
roten Dienstwagen der Agentur für unschätzbare Werte vor dem alten Haus in der
Gönninger Straße in Pfullingen. Dort gibt es viele alte Gegenstände und Skulpturen von
denen viele nicht so genau wissen, wofür die eigentlich gut sind.
Das nicht ganz leicht heizbare Haus nutzen wir jetzt im Frühling 2016 mit zunehmender
Wärme wieder öfter für unsere Arbeit.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Da kam mal ein Bericht: Braucht man das noch oder gehört das weg?“, berichtet
Thomas Geprägs als Reporter in dem Clip. „Das braucht man noch“, sagt er, „Kultur ist
das“.
http://vimeo.com/afuw/kultur-ist-das
Später sagt er das auch dem Bürgermeister von Pfullingen, mit dem wir uns im Rathaus
treffen, um über die Kultur im Schaffwerk zu sprechen.
„Kultur ist Vielfalt, Kultur ist Freude, Kultur ist Freiheit“
„Wenn Sie einen Film drehen müssten über Kultur ohne Ausnahme, was müsste in dem
Film vorkommen?“, fragt Markus Lemcke einen Passanten vor dem Spitalhof auf dem
Reutlinger Marktplatz.
„Kultur würd ich mal sagen. Es geht ja um Kultur ohne Ausnahme. Dann vielleicht
jegliche Kultur. Einfach ohne Ausnahme, keine Ahnung, dass man einfach jede Kultur
der Stadt reinnimmt“, meint der Mann.
Ein paar Schritte weiter spricht Thomas Geprägs eine Frau an: „Was ist für Sie Kultur?“.
Sie antwortet: „Kultur ist Vielfalt, Kultur ist Freude, Kultur ist Freiheit.“.
Danach kommt ein Junge zu Wort: „Kultur ist für mich, wenn jeder da seinen eigenen
Zweck hat und zwar, also jeder seine eigene Tradition.“.
http://vimeo.com/afuw/freiluft-aktionsforschungsbuero
Immer wieder sind wir auf öffentlichen Straßen und Plätzen unterwegs. Dabei mischen
sich diejenigen, die gerade im Praktikum sind mit anderen Aktionsforscherinnen und
Aktionsforschern, die in ihrer Freizeit mitwirken.
So ist das auch heute, an diesem Tag im April 2016.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
An der einen Ecke des Platzes tauscht sich Franziska Schiller gerade mit einem Bürger
darüber aus, ob Barrierefreiheit nur Menschen betrifft, die im Rollstuhl unterwegs
sind.
Auf der anderen Seite erklären Mattias Braun und andere Kollegen unsere
Aktionsforschung. Dafür haben wir ein Büro unter freiem Himmel aufgebaut.
Hier sieht man Thomas Geprägs, Matthias Braun und unten einen Gast in unserem Freiluft-Forschungsbüro.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„...dass wir jetzt zum Beispiel die Experten in eigener Sache
mehr einbeziehen sollten...“
Franziska Schiller will neue Dinge erfahren und neue Menschen kennenlernen. Zugleich
will sie auch ihre eigenen Sichtweisen weitervermitteln. Das macht sie bei vielen
Gelegenheiten. Dazu gehören auch zwei Seminaren des Bundesamtes für Familie und
zivilgesellschaftliche Aufgaben. Hier berichtet sie engagierten jungen Menschen im
Bundesfreiwilligendienst von ihren persönlichen Lebenserfahrungen und zusammen
mit Harald Sickinger auch von unseren Erfahrungen in Verbindung mit dem Projekt
„Kultur ohne Ausnahme“.
Hier sind Franziska Schiller und Harld Sickinger im Vordergrund mit einer Seminargruppe im April 2016 zu sehen.
Eine weitere Gelegenheit ergibt sich beim Reutlinger Generalanzeiger.
Von links nach rechts: Gisela Sämann vom GEA, Franziska Schiller, Matthias Braun und Detlef Hartwig
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Schon seit Sommer 2015 haben wir Kontakt zur Reutlinger Ressortleiterin der Zeitung.
Nach einigen Vorgesprächen und Vorbereitungen vereinbart Franziska Schiller mit
Gisela Sämann, dass sie die Ressortleiterin eine Woche lang bei ihrer Arbeit begleitet.
Dadurch erfahren wir viel Neues darüber, wie eine Zeitung gemacht wird und auch die
Macherinnen und Macher der Zeitung lernen dazu.
Am Ende der Hospitationswoche im Mai 2016 entstehen Filmaufnahmen, Darin sieht
man Franziska Schiller mit Gisela Sämann in einer Redaktionssitzung. Im Gespräch mit
Harald Sickinger sagt die Zeitungsfrau danach: „Auch die Kollegen, die jetzt immer
geholfen haben, die Franziska die Treppen rauf und runter zu tun, die glaub ich, haben
jetzt auch einen anderen Blick auf dieses Haus.“.
http://vimeo.com/afuw/lernerfahrungen-gea
Die Redaktionsräume sind nur über eine Treppe zugänglich. Einige Wochen vor der
Hospitation haben wir deshalb mit Frau Sämann ausprobiert, wie dieses Hindernis zu
überwinden ist. Die Lösung war schließlich unser Faltrollstuhl, den Franziska Schiller
ein Jahr vorher für das Schaffwerk organisiert hatte. Ähnlich wie dort, stieg Franziska
vom Elektrorollstuhl in den Faltrolli um und wurde dann von verschiedenen Helfern die
Treppe hochgezogen bzw. später wieder hinuntergebracht.
Hier sieht man die Treppe zu den Redaktionsräumen. Mit dem Faltrollstuhl und mit Unterstützung der Redaktion
konnte Franziska Schiller dort hinaufgelangen.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Gisela Sämann sagt, dass sie von Franziska Schiller noch andere wichtige Dinge gelernt
hat.
Das ist zum Beispiel, „dass wir jetzt die Experten in eigener Sache, also Menschen mit
Behinderungen mehr einbeziehen sollten in unsere Berichterstattung. Also nicht über
jemanden zu schreiben, sondern tatsächlich mal nachzufragen.“. So beschreibt es die
Ressortleiterin beim Reutlinger Generalanzeiger nach einigen Tagen intensiver
Zusammenarbeit mit Franziska Schiller.
Gisela Sämann und Franziska Schiller bei der gemeinsamen Arbeit, die ihnen offensichtlich Freude bereitet.
In diesen Monaten ist Franziska Schiller mit anderen Mitwirkenden unserer
Aktionsforschung an vielen Orten unterwegs, wo unsere Erfahrungen als Expertinnen
und Experten in eigener Sache gefragt sind.
Wir beraten beispielsweise einige Interessierte, die Menschen mit Handicap zu
Kulturveranstaltungen begleiten wollen. Dabei arbeiten wir mit Markus Christ vom
Kulturbüro des Projekts „Kultur ohne Ausnahme“ zusammen.
In Kooperation mit dem Projekt k.l.e.v.e.r-iq wirken wir beim Verbessern der
Wegweiser in einem Amtsgebäude mit. Das machen Franzika Schiller und Harald
Sickinger in Zusammenarbeit mit anderen Expertinnen und Experten. Dazu gehören
auch Markus Lemcke und Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.
Wir arbeiten mit vielen unterschiedlichen Expertinnen und Experten aus eigener
Erfahrung zusammen und so vergrößert sich der Kreis von direkt oder indirekt
Mitwirkenden bei der Aktionsforschung für eine Kultur ohne Ausnahme nach und nach
immer weiter.
In diesem Zusammenhang besuchen wir zum Beispiel auch den Förder- und
Betreuungsbereich einer Behindertenhilfeeinrichtung, stellen dort unsere Arbeit vor
und erkundigen uns nach dem Kulturleben von Menschen, die auf viel Assistenz
angewiesen sind.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Vor einem Konzert in Gebärdensprache treffen sich Frank Bakos, Thomas Geprägs und
Harald Sickinger mit einem Beschäftigten der BruderhausDiakonie-Werkstatt, der auf
Gebärdensprache angewiesen ist. Sein Chef übersetzt und so erfahren wir zum Beispiel
und geben weiter, dass der Mann gerne Musikveranstaltungen besuchen möchte, wo
man die Schwingungen der Musik am ganzen Körper spüren kann.
So etwas erleben wir im franz.K dann auch selbst beim Konzert des Gospelchors aus
Gönningen mit dem Gebärdenchor der Volkshochschule Tübingen.
Manchmal sind wir bei unserer Aktionsforschung mit Menschen im Kontakt, die uns
wichtige Dinge sagen, deren Namen wir aber nicht nennen. Wir geben das dann in
anonymisierter Form weiter.
Der folgende Ausschnitt aus einem Gespräch von Harald Sickinger mit der Bewohnerin
einer stationären Wohngruppe für Menschen mit sogenannten Behinderungen ist ein
Beispiel dafür. Die Frau erzählt, warum sie manchmal Selbstgemaltes in der Wohnung
herumliegen lässt.
Harald Sickinger: „Was hindert Sie im Moment an der Teilnahme am Kulturleben?“
Expertin aus eigener Erfahrung: „Dass ich nicht ernst genommen werd´. Manchmal
überhaupt nicht und jetzt fängt das so ganz, ganz sachte an zu kommen, dass ich ernst
genommen werde. Ganz besonders mit meinem Malen und mit meiner Kunst. Ich bin
zum Teil glücklich, aber zum Teil auch sehr enttäuscht, wenn´s dann heißt: Ach ja, die
Frau, die lässt das und das wieder überall rumfahren und liegen und so. Und wenn ich
das mach, dann möcht ich eigentlich bloß damit sagen: Schau mal, was ich wieder in
meiner Kunst hergestellt hab.“.
„Etwas ausprobieren“
Kameramann Frank Bakos bei der Arbeit im Schaffwerk
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Frank Bakos steht in unserem provisorischen Frühlings-Projektbüro im Schaffwerk an
der großen Kamera.
Er filmt, wie Thomas Geprägs und Rolf Rathfelder auf ein großes Papier schreiben, was
aus ihrer Sicht ein gutes Museum ausmacht. „Aufzug“ steht schon drauf und „Rampe“,
auch „Wegbeschreibung mit Symbolen“. Darüber ist das Wort „Barrierefrei“ zu lesen
und darunter “Keine Stufen“.
Jetzt schreibt Rolf Rathfelder mit einem dicken blauen Filzstift: „Etwas ausprobieren“.
Harald Sickinger fragt ihn: „Rolf tätest Du sagen, das gehört auch zu einem guten
Museum?“.
Rolf Rathfelder antwortet: „Ha ja, wenn man was ausprobieren kann. Tät ich schon
sagen.“.
In der nächsten Aufnahme sieht man Matthias Braun. Er zieht eine Kuckucksuhr auf,
die an der Wand hängt. Er weiß, wie das geht, weil sein Opa die gleiche hatte.
Wir befinden uns in einer Stube mit vielen geschichtsträchtigen Dingen. Sabine Kramer
versucht etwas zu zeigen, was sie besonders an ihren Vater erinnert.
http://vimeo.com/afuw/museum-zum-ausprobieren
Später schreibt Matthias Braun auf ein Plakat. „Alte Uhren“. In der nächsten Einstellung
kann man mehr erkennen. Auf dem Plakat steht in der Mitte geschrieben „Ein Museum
über mich“. Eine Motorsäge soll auch auf dem Plakat drauf sein, erklärt Matthias
Braun, weil er einen Motorsägeschein hat. Dann erinnert er an einen Besuch seiner
Konfirmations-Vorbereitungsgruppe vor vielen Jahren in Eckwälden. Während
Matthias Braun dort im Internat war, kamen ihn seine Altersgenossinnen und
Altersgenossen aus dem Heimatort ganz überraschend besuchen. „Von dem hab` ich
nichts gewusst“, berichtet er freudestrahlend.
Wir nutzen das alte Haus und die alten Gegenstände, um uns mit Dingen zu
beschäftigen, die für unser eigenes Kulturleben wichtig sind. Wenn wir uns die
geschichtsträchtigen Dinge im Schaffwerk anschauen, dann führt uns das immer
wieder zur Frage, wie es eigentlich mit unserer eigenen Geschichte ist, wie sie bisher
verlaufen ist und wie sie gut weitergehen kann.
Mit der Zeit finden wir immer besser heraus, was wem wichtig ist, welche Stärken wer
hat und wer welche Rollen übernehmen kann. Dafür probieren wir vieles aus.
Frank Bakos und Matthias Braun zum Beispiel sind ab und zu in der Rolle des
Kartenkontrolleurs bei „Sagenhaften Rundführungen“ im Schaffwerk unterwegs
In einem unserer Filmbeiträge sieht man Matthias Braun mit einem „Original“-
Stempel. Den bekommen die Gäste bei den Rundführungen aufgedrückt.
Aber Achtung! Am Ende des Clips zeigt er den Stempel für diejenigen, die nicht bezahlt
haben. „Da steht nix drauf“, sagt Matthias Braun.
http://vimeo.com/afuw/rund-ums-schaffwerk
Auch an der Begegnungskultur in seinem eigenen Wohnviertel arbeitet Matthias Braun
während des Praktikums mit. Immer wieder hilft er nach dem Viertel-Mittagstisch in
der Kreuzkirche beim Abbau. Dabei unterstützt ihn Markus Christ vom Kulturbüro.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Matthias Braun stapelt Stühle und Markus Christ hilft ihm bei Abbau in der Kreuzkirche.
„Um eine richtig gute Arbeit machen zu können,
brauchst Du auch eine Basis...“
Frank Bakos, Rolf Rathfelder und Thomas Geprägs beim Aufbau von Informationswänden in unserer neuen
Aktionsforschungsbasis im ehemaligen Konzertbüro.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Hier steht Frank Bakos an der Eingangstüre zu unserem neuen provisorischen Aktionsforschungszentrum.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Das ehemalige Konzertbüro zwischen dem Reutlinger Marktplatz und dem Spitalhof
steht schon lange leer. Mehrfach hat Rosemarie Henes von BAFF mit uns zusammen
die Verantwortlichen der Stadt darum gebeten, dass wir den Raum für unsere Arbeit
nutzen dürfen. Lange ohne Erfolg.
Im Juni 2016 klappt es dann doch noch. Vorübergehend können wir hier unser
Aktionsforschungsbüro einrichten und zumindest mal fast bis zum Ende des Jahres
bleiben Das ist für uns vor allem auch deshalb wichtig, weil das ehemalige Konzertbüro
für Menschen zugänglich ist, die im Rollstuhl unterwegs sind.
„Um eine richtig gute Arbeit machen zu können, brauchst Du auch eine Basis“, sagt
Franziska Schiller. Das ehemalige Konzertbüro ist ein guter Basis-Ort, für eine
„vernünftige Arbeit“, wie es unsere Kollegin formuliert.
An diesem zentral gelegenen Ort können wir nun noch leichter mit Bürgerinnen und
Bürgern ins Gespräch kommen.
Einmal tauschen wir uns vor unserem Büro auch mit dem Künstler Erich Rosenberger
aus.
Er ist zufällig vorbeigekommen und es entwickelt sich ein angeregtes Gespräch. Dabei
erzählt er uns von seinen Verbesserungsideen für das Reutlinger Kulturleben:
„Es wär nicht schlecht, wenn die Stadt Reutlingen oder die Gemeinde, oder wie man´s
auch immer nennt, ne Halle zur Verfügung stellen würde, wo die einzelnen Leute, also
halt Künstler zusammen kommen könnten, um a) Austausch zu haben und b) kleine
Geheimnisse untereinander zu lüften, c) einfach spontan ein Bild malen, die anderen
machen Musik daneben...“.
http://vimeo.com/afuw/halle-zum-zusammenkommen
Der Künstler Erich Rosenberger im angeregten Gespräch vor unserem Aktions-Forschungsbüro
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Eine der Hauptpersonen sitzt im Rollstuhl. Von da her hat mich das
auch selber angesprochen, weil ich selber im Rollstuhl sitze.“
Von Anfang an waren wir in unterschiedlichen Behindertenhilfe-Einrichtungen
unterwegs. Dort haben wir über unsere Arbeit informiert, Fragen gestellt und Leute
kennengelernt. Dazu gehört auch Maria Eckert.
Sie ist bei der LWV-Eingliederungshilfe beschäftigt. Wir treffen sie manchmal an der
Pforte in Rappertshofen und im Buchladen der Einrichtung in Rommelsbach, aber auch
beim Fußgänger*innen-Check bzw. Rollstuhlfahr-Check in der Reutlinger Innenstadt
sind wir ihr schon als Expertin aus eigener Erfahrung begegnet. Auf Einladung der
Stadtverwaltung haben wir dabei gemeinsam erkundet, wo und wie Gehwege bzw.
Rollstuhlfahrwege verbessert werden können.
Jetzt will die Expertin aus eigener Erfahrung einen Kultur-Tipp weitergeben. Wir stehen
mit der Kamera vor dem Reutlinger Cineplex-Kino. Im Schaukasten hängt ein Plakat
über den Film „Ein ganzes halbes Jahr“.
Maria Eckert sagt: „Der Film läuft ab dem 23.6. hier im Kino und, ja, ich hab gesagt, ich
muss diesen Film unbedingt sehen, weil das Buch so toll war.“. Sie fasst die Handlung
kurz zusammen und sagt in diesem Zusammenhang: „Eine der Hauptpersonen sitzt im
Rollstuhl. Von da her hat mich das auch selber angesprochen, weil ich selber im
Rollstuhl sitze.“.
Harald Sickinger fragt: „Wenn man hier mit dem Rolli ins Kino gehen möchte, kann Frau
oder Mann dann den Film gut sehen?“.
Das sei ein bisschen schwierig, antwortet die Rollstuhlfahrerin.
Im Unterschied zum neuen Kino Kamino ist es im Cineplex an der Planie so, „dass das
einzige Kino, was barrierefrei ist, das Kino 1 ist und alle anderen sind nur durch Treppen
erreichbar.“. So erklärt es uns Maria Eckert.
Manchmal werden die Filmvorstellungen auch noch kurzfristig in andere Kinosäle
verlegt. So kann man sich nicht wirklich sicher sein, ob man den Film sehen kann.
https://vimeo.com/afuw/unterwegs-mit-maria-eckert
Maria Eckert vor dem Filmplakat beim Kino an der Planie.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
In diesem Fall können Maria Eckert, Frank Bakos und Harald Sickinger den Film aber
tatsächlich zusammen anschauen und womöglich machen das auch noch andere Leute,
die unser Video mit dem Tipp auf unserer Internetseite oder bei einem unserer
Kulturvermittlungs-Treffen gesehen haben. Vielleicht hat sich ja die eine oder der
andere animieren lassen, den Film anzuschauen.
„Kann ich dann nur Euch besuchen oder auch selber Kurse leiten?“
Im Juli 2016 sind wir bei der LEF-Jahrestagung eingeladen. LEF bedeutet
Landesverband der Evangelischen Erwachsenen- und Familienbildung in Württemberg.
Thomas Geprägs. Markus Lemcke, Franziska Schiller und Harald Sickinger fahren zu der
Veranstaltung nach Bad Boll.
Auf dem Foto von der Tagung in Bad Boll sieht man von rechts Markus Lemcke, Harald Sickinger, Franziska
Schiller, Thomas Geprägs sowie Frieder Leube vom Haus der Familie in Reutlingen und Vertreterinnen anderer
Familienbildungsstätten.
Hier zeigen wir Videos und berichten von unseren Erfahrungen bei der
Aktionsforschung im Kulturleben. Dazu gehören auch Erfahrungen im Reutlinger Haus
der Familie. Dort waren wir im Frühjahr, haben Fragen gestellt und Filmaufnahmen
gemacht.
„Kann ich dann nur Euch besuchen oder auch selber Kurse leiten?“, fragt Franziska
Schiller in einem Videoausschnitt, den wir bei der Tagung zeigen.
Der Leiter des Bildungshauses Frieder Leube erzählt, dass es solche Anfragen immer
wieder gibt. Normalerweise braucht man eine bestimmte Qualifikation, um einen Kurs
zu leiten.
„Ausbildung, Wissen in dem Sinn mit Ausbildung, Zeugnis und so weiter hab ich keins.“,
sagt Franziska Schiller. Aber trotzdem kennt sie sich mit einigen Dingen gut aus.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Zum Beispiel macht sie als Kompressionsstrumpf-Trägerin oft die Erfahrung, dass ihr
die Strümpfe nicht richtig angezogen werden und äußert die Idee, dass sie doch mal
einen Kurs leiten könnte, wie man Kompressionsstrümpfe richtig anzieht.
So tauschen wir uns mit den Verantwortlichen der württembergischen Familienbildungsstätten
unter anderem über Möglichkeiten aus, wie Expertinnen bzw.
Experten aus eigener Erfahrung zusammen mit pädagogischen Fachkräften einen Kurs
leiten könnten.
In anderen Filmaufnahmen von unserem Besuch im Reutlinger Haus der Familie sagt
der Leiter Frieder Leube: „Wir haben seit einem guten Jahr eine neue Homepage und
da war´s uns wichtig, dass wir die Homepage so programmieren lassen, dass
Menschen, die mit dem Sehen Schwierigkeiten haben, die ein eingeschränktes
Sehvermögen haben, dass die die Schrift entsprechend groß stellen können, dass die
auch unsere Angebote lesen können...“.
Nach diesem Ausschnitt sehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung in Bad
Boll, wie Markus Lemcke die Homepage testet. „So jetzt geh ich hier mal auf das
Pluszeichen....Jetzt haben wir schon gesehen, irgendwas vergrößert sich. Aber das
Spannende ist, ist die Seite auch so programmiert, dass man sie jetzt noch bedienen
kann? Jetzt gehen wir hier mal runter. Also wir sehen jetzt hier ganz deutlich, die Schrift
hat sich vergrößert. Das hat also funktioniert. Die Programmierung ist gut...“.
http://vimeo.com/afuw/homepage-hdf
Auf diesem Video-Standbild sieht man, wie Markus Lemcke gerade die Schrift auf der Homepage prüft.
Auch Aufnahmen von einer Befahrung der Toilette schauen wir an. Außerdem
sprechen wir über Möglichkeiten zur Vereinfachung der Sprache und über einige
weitere Aktionsforschungs-Themen.
„Haben Sie Fragen an uns?“, sieht und hört man Thomas Geprägs in einem weiteren
Filmausschnitt sagen.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Mich würde interessierten, was war Ihr erster Eindruck, als Sie hier ins Haus
gekommen sind?“.
Thomas Geprägs antwortet: „Mein erster Eindruck war, schöne Räume, barrierefrei
ausgebaut, dass man mit dem Rollstuhl kann runter und Aufzug für Rollstuhlfahrer,
Kinderwägen, schönes Haus find ich.“.
Franziska Schiller beschreibt, wie sie angekommen ist: „Als ich hier dann das schöne,
weiße Haus und ihre Freundlichkeit gesehen hab, hab ich mich gleich daheim gefühlt.“.
Frieder Leube und seine Kollegin Irmela Theurer-Weigele sagen, dass sie das freut.
http://vimeo.com/afuw/fragen-an-uns
Das Haus der Familie soll inklusiv sein, sagen sie. Das betrifft nicht nur Menschen mit
Handicap, sondern auch alle anderen.
Es gibt im Haus der Familie das Ferda-Café. Hier treffen sich regelmäßig Frauen und
manchmal auch Männer aus unterschiedlichen Ländern. Sie reden miteinander und
tauschen ihre unterschiedlichen Erfahrungen aus. Das gefällt Franziska Schiller und so
nimmt sie ab jetzt manchmal daran teil.
Begegnungen mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern bereichern unsere
Aktionsforschung für eine Kultur ohne Ausnahme. Das erleben wir bei Ferda
international und bei vielen anderen Gelegenheiten.
Dazu gehört zum Beispiel auch unser Informationsstand beim interkulturellen Open Air
Festival Inter:Komm! des Kulturzentrums franz.K. Hier gibt´s wie so oft Videos von
unserer Aktionsforschung, Erzählungen und Gespräche, die andere und uns selbst
wieder ein Stück weiterbringen.
„Letztes Jahr war ich da auch und dann spielen da drei Orgeln“
Hier erklärt Thomas Geprägs, dass es bei der langen Orgelnacht in der Marienkirche Lichteffekte gibt.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Thomas Geprägs und Rolf Rathfelder stehen vor der Marienkirche und unterhalten sich
über den bevorstehenden Reutlinger Orgelsommer.
„Letztes Jahr war ich da auch und dann spielen da drei Orgeln. Eine oben, links rechts.“,
sagt Thomas Geprägs über seine Erfahrungen bei der langen Orgelnacht 2015.
Als wir wieder im Aktionsforschungsbüro sind, schauen wir Filmaufnahmen von
unserer Aktionsforschung im letzten Jahr an und Thomas Geprägs erklärt, wie Holger
Herzog die Marienkirche in ein ganz besonders Licht taucht:
„In der Mitte sitzt, sitzt einer von Tübingen und der hat so Licht gemacht, mit so
Lichteffekten.“.
http://vimeo.com/afuw/kulturtipp-orgelnacht
Über die Orgelnacht sprechen wir auch mit Susanne Merkl vom Kulturamt. Es geht um
die Rollstuhlgerechtigkeit, um die Verständlichkeit der Informationen und um die
Zugänglichkeit dieser Informationen zum Beispiel für blinde Menschen im Internet
Hierbei ziehen wir wieder Markus Lemcke zu Rate.
Frau Merkl gibt uns dann viel Informationsmaterial mit.
„Ich hab da so ein Plakat. Kann man das unten bei Euch aufhängen?“, fragt Rolf
Rathfelder seine Lebensgefährtin Angelika Lotterer.
In Wohnhäusern für Menschen mit Handicap und an vielen anderen Orten geben wir
Informationen über Kulturveranstaltungen weiter.
Angelika Lotterer geht dieses Jahr auch mit und wird nach ihrem ersten Besuch ein
richtiger Fan der langen Orgelnacht.
http://vimeo.com/afuw/gespraech-orgelnacht
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Dieses Standbild aus unseren Filmaufnahmen zeigt Rolf Rathfelder im Gespräch mit Angelika Lotterer.
„Das ist für mich eine ganz tolle Kultur gewesen“
Im ehemaligen Konzertbüro geben wir unsere Erfahrungen weiter und hören, was
andere uns zu sagen haben.
Walter Rebstock interessiert sich ebenfalls für die lange Orgelnacht. Rolf Rathfelder
hat auch ihn neugierig gemacht. Jetzt sprechen wir unter anderem darüber, wie man
nach dem Ende der Veranstaltung in der Marienkirche die Heimfahrt organisieren
kann.
Durch die gläserne Eingangstüre hindurch sieht man Walter Rebstock beim Gespräch in unserem Büro.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Wir fragen unsere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner auch oft, was Kultur
für sie bedeutet.
Walter Rebstock zeigt uns in diesem Zusammenhang einen Zeitungsartikel. Dieser
Artikel dreht sich um eine Aktion von BAFF. Dabei wurden Kübel mit Nutzpflanzen wie
Tomaten und Kartoffeln bepflanzt. Walter Rebstock war dabei.
Dass da Sachen drin wachsen, die von den Bürgerinnen und Bürgern geerntet werden
können, erzählt er und nennt Orte, wo solche Kübel stehen: Bei der Marienkirche, in
der Oberlinstraße, unten an der Vesperkirche, beim franz.K und auch direkt bei
unserem Büro im Spitalhof.
So können wir einfach rausgehen und schauen, was da wächst. „Das ist für mich eine
ganz tolle Kultur gewesen“, sagt Walter Rebstock über die Pflanz-Aktion.
http://vimeo.com/afuw/pflanz-kultur
Rolf Rathfelder und Walter Rebstock bei den bepflanzten Kübeln im Spitalhof. Sie entdecken gerade Tomaten.
Es gibt viele Arten, wie man etwas zum Kulturleben beitragen kann. Diese Erfahrung
machen wir regelmäßig.
Rolf Rathfelder mit Matthias Braun stehen vor dem Schaufenster der Reutlinger
Touristeninformation. Hier sehen sie Veranstaltungshinweise auf einem Bildschirm. Es
gibt auch einen Hinweis auf das Burning Eagle Festival. Das gibt es im Sommer auf dem
Gelände des Umweltbildungszentrums Listhof.
„Das ist doch das Burning Eagle Festival, was ist das genau“, meint Rolf Rathfelder.
„Da schaff ich“, sagt Matthias Braun.
„Ja, was machst Du da?“, fragt ihn sein Aktionsforschungskollege.
„Erst in der Küche“ antwortet Matthias Braun und erwähnt dann noch, dass er auch
Eintrittskarten abreißen muss.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Das hat er mit Markus Christ vom Kulturbüro des Projekts „Kultur ohne Ausnahme“
und mit den Festival-Veranstaltern so besprochen.
http://vimeo.com/afuw/mitarbeit-burning-eagle
Matthias Braun mit Rolf Rathfelder vor dem Informationsbildschirm der Touristeninformation am Marktplatz.
„Wir haben sie repariert
und dann ist sie wieder schwarz geworden“
Jedes Jahr nach den Sommerferien gibt es in Reutlingen und im ganzen Land einen Tag
des offenen Denkmals.
An diesem Tag erkunden wir unterschiedliche Denkmale und Geschichten darum
herum. Dabei entstehen wieder kurze Videoclips.
„Also hier stehen wir im Gmindersdorf am Dienstwagen von der Agentur für
unschätzbare Werte und das ist alles Gmindersorf“, berichtet der Aktionsforschungs-
Reporter Thomas Geprägs.
Dann erzählt ein ehrenamtlicher Stadtführer: „Das Gmindersdorf ist so entstanden, es
gab hier keine Arbeitskräfte mehr und drum hat der Gminder verarmte Bauern aus
Österreich und Italien angeworben hierher und da es ne große Wohnungsnot gab in
Reutlingen, wurde das Gmindersdorf errichtet.“.
Vor hundert Jahren war das. Die Firma Gminder war ein Textilunternehmen.
„Das sieht hier so bisschen ländlich hier aus, bisschen ländlich“, meint Thomas Geprägs
und der Stadtführer erklärt, dass das so gewollt ist, dass jedes Haus deshalb auch
seinen Garten hat.
Wir erfahren noch einiges mehr über das besondere Wohnviertel im Reutlinger
Westen.
„Also das war Gmindersdorf“, hört man Thomas Geprägs am Ende des Clips sagen, „das
hat die Firma Gminder gegründet.“.
http://vimeo.com/afuw/gmindersdorf
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Hier sieht man Thomas Geprägs am Anfang der Reportage über das Gmindersdorf.
Von unserem Besuch in einer alten Sägemühle am Fluss Echaz gibt´s ebenfalls einen
kurzen Zusammenschnitt:
http://vimeo.com/afuw/saegemuehle
Dieses Foto stammt aus unserem Filmbeitrag über die alte Sägemühle in Reutlingen.
Beim Westbahnhof zeigen die Freunde der Zahnradbahn Honau-Lichtenstein eine alte
Dampflok, die sie restauriert haben. Dabei hat auch Frank Bakos mitgearbeitet.
„Wir haben sie repariert und dann ist sie wieder schwarz geworden“, sagt er und auch
sein Chef von den Freunden der Zahnradbahn kommt in unserem Video zu Wort.
http://vimeo.com/afuw/alte-lok
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Oben: Thomas Geprägs mit Frank Bakos im Gespräch bei der alten Dampflok.
Unten: Ein Besucher unseres vorübergehenden Aktionsforschungszentrums, als er dieses Video anschaut.
„Aber sonst find ich einfach das franz K. kulturell so einen Diamant“
Wir nutzen das ehemalige Konzertbüro in der zweiten Jahreshälfte 2016 zum
Erfahrungsaustausch zwischen Menschen aus unterschiedlichen Gruppen und
Generationen. Bürgerinnen und Bürgern mit und ohne Handicap, Mitarbeitende in der
Behindertenhilfe und Ämtern, Kultur erlebende und Kultur schaffende Menschen,
Eltern, ältere Menschen ebenso wie junge Leute.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Ich will mich nicht nur auf Rap beziehen“, sagt der Rapper Santiago Österle.
Aus seiner Sicht sind alle Formen von Kunst ein Sprachrohr.
„Ich speziell befasse mich halt mit Rap, weil ich selber Texte schreibe, erklärt der junge
Mann, dessen Kunst wir zuletzt bei einer Präsentation des Antidiskriminierungsprojektes
TALK im franz.K erlebt haben.
Durch Musik versucht er seine Entfaltung zu finden und Kraft zu schöpfen.
Santiago Österle sitzt mit Harald Sickinger vor einem Plakat.
Sie sprechen über das Unterwegssein. Was braucht man, damit man gut unterwegs
sein kann, im Kulturleben und im Leben insgesamt?
http://vimeo.com/afuw/kraftquelle-musik
Santiago Österle spricht über Kraftquellen in seinem Leben.
Das Kulturzentrum franz.K ist für Santiago Österle ein wichtiger Ort.
Es freut ihn, dass hier nach und nach Barrieren abgebaut werden.
„Was sich jetzt echt getan hat, ist toll, dass es jetzt einen Lifter auf die Bühne hoch gibt,
auf die Auftrittsbühne, wo ich dann mit dem Rolli, in meinem Fall, hochfahren kann und
den Auftritt machen kann.“.
Problematisch ist aus seiner Sicht noch, dass es keinen Aufzug zu den Räumen gibt, wo
die Künstlerinnen und Künstler sich normalerweise vor und nach dem Auftritt
aufhalten. Außerdem ist der Hintereingang für ihn nicht gut nutzbar.
„Aber sonst find ich einfach das franz.K kulturell so einen Diamant“, meint der Musiker.
Er findet die große Bandbreite der Musik dort toll. Jeden Mittwoch geht er zum Rap-
Workshop des Projekts TALK ins franz.K. „Deswegen ist das irgendwie so ne zweite
Heimat für mich geworden“, sagt Santiago Österle.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Wir blättern im Programmheft des Kulturzentrums franz. K und entdecken „Heiners
Schmuckschatulle“.
Das ist eine neue Veranstaltungsreihe, die vom Projekt „Kultur ohne Ausnahme“ mit
veranstaltet wird. Markus Christ vom Kulturbüro organisiert und koordiniert da viele
Dinge.
Im Herbst 2016 findet die Veranstaltung zu ersten Mal statt.
Franziska Schiller hilft an der Kasse mit, Eugen Blum hilft Harald Sickinger beim Filmen
und Thomas Geprägs interviewt Gäste.
„Sehr lustig“, hört man eine Zuschauerin in unserem Video sagen. „Mit dem Heiner
Kondschak“, erklärt der Reporter Thomas Geprägs. „Klasse, sehr überraschend“,
klingt´s aus dem Publikum. Dann sieht man etwas von dem, was sie meinen. Heiner
Kondschak singt: „Eine kleine Schmuckschatulle öffnet ihre Tür. Diese kleine
Schmuckschatulle, die gehört mir. Vielleicht wird´s ein kleines Festchen, ich freu mich
schon sehr drauf und das kleine Kästchen macht jetzt seinen Deckel auf.“.
http://vimeo.com/afuw/schmuckschatulle
Es sind unterschiedliche Überraschungsgäste, die der Künstler aus seiner
Schmuckschatulle zieht. So wird dieser Abend wie auch spätere Schmuckschatullen-
Abende im franz.K sehr abwechslungsreich.
Manches ist zum Schmunzeln und Lachen, auch Ernstes ist dabei, Bekanntes und
Neues, Musik, Theater, Lyrik, Comedy oder Tanz.
Moderiert und mit eigenem angereichert wird das Ganze von dem in der Region
bekannten Musiker, Schauspieler und Regisseur Heiner Kondschak.
In den nächsten eineinhalb Jahren unserer Aktionsforschung in Verbindung mit dem
Projekt „Kultur ohne Ausnahme“ sind wir noch oft im franz.K. unterwegs.
Ab Ende 2016 geben wir in Zusammenarbeit mit dem Team des Kulturzentrums auch
Freikarten an Menschen, die sich sonst den Eintritt kaum leisten könnten. Außerdem
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
werden wir von den Verantwortlichen immer wieder zu Rate gezogen, wenn es um den
Abbau von Barrieren geht. Für uns ist dieser Ort zu einem zentralen Forschungs- und
Begegnungszentrum geworden.
Frank Bakos (hier ohne Hut) mit den Truffle Valley Boys nach deren Auftritt beim Bluegrass-Fesival im franz.K.
Wir beschäftigen uns viel mit der Frage, was einen guten Kultur-Ort ausmacht.
Damit zusammenhängend entsteht in Kooperation mit dem Projekt „Lokale Bildungsnetzwerke
(LoBiN)“ ein Film. „Wo´s passt“ heißt das rund 20minütige Video von Harald
Sickinger über die Perspektiven von jungen Leuten.
Ende Dezember 2016 wird „Wo´s passt“ im Reutlinger Jugendhaus Bastille präsentiert.
Nach der Filmvorführung rappt Santiago Österle live:
„Ich rolle durch die Straßen, guck mir die Sachen an, weiß irgendwie gar nicht, was ich
dagegen machen kann.“.
Dass er die Sachen runter rockt, rappt er und dass „dadurch das Leben ein bisschen
bunter“ wird. „Such mir die kleinen Puzzleteile die mich faszinieren“, ist in der Bastille
zu hören, „...aber ein barrierefreies Leben wär meine erste Wahl.“, heißt es am Schluss.
Hier sieht man Memory-Kärtchen, die mit unserer Aktionsforschung im Jugendhaus Bastille und im
Kulturzentrum franz.K zusammenhängen
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
4 Weitere Geschichten erkunden und vermitteln
4.1 Wie weiter?
Januar 2017, alternativer Neujahrsempfang.
Der große Saal im Kulturzentrum franz.K ist voller Informationsstände und Menschen,
die sich austauschen. An einem der Stände informieren BAFF und der Arbeitskreis
Selbstbestimmung über ihre Arbeit und über das Projekt „Kultur ohne Ausnahme“. Auf
einem großen Bildschirm laufen Filmaufnahmen von unserer Aktionsforschung, mit
wenigen Worten und mit Musik unterlegt.
„...Interessen verfolgen...Talenten nachgehen...Erfahrungen
sammeln...Erfahrungen weitergeben...Barrieren abbauen...Kultur
weiter entwickeln...Perspektiven verändern...Schätze entdecken...“
Eine Schachtel mit der Aufschrift „Reutlingen Puzzle“. Sie ist geöffnet. Man sieht
Puzzle-Teile. Darunter das Logo von „Kultur ohne Ausnahme“ und der Zusatz „damit´s
für alle passt“.
In der nächsten Szene ist Markus Lemcke zu erkennen, wie er im Computer etwas über
„Kultur ohne Ausnahme“ liest. Dann ein Filmausschnitt mit Fahnenschwenker beim
Schwörtag. Dahinter Reutlingens Oberbürgermeisterin Bosch. Davor Frank Bakos, wie
er die Zeremonie filmt. Es folgen viele weitere bewegte Bilder von unserer Arbeit.
Kurze Texteinblendungen erklären, was wir tun.
„Interessen verfolgen“ heißt die erste. Wir versuchen herauszufinden, was in unserem
Interesse und was im Interesse anderer Menschen liegt.
Auch dass wir unseren eigenen und anderen „Talenten nachgehen“ zeigt der Clip.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Man erfährt außerdem, dass wir „Erfahrungen sammeln“ und „Erfahrungen
weitergeben“. Das unterstreicht zum Beispiel eine Szene mit Andreas Roth vom
franz.K. Er zeigt uns ein Plakat für die Veranstaltung „Hyrrätytöö“. Das ist das „neue
Spektakel in der Theatermanege. „Ohne Elefanten“, steht auf dem Plakat.
In unserem Gespräch stellt sich dann heraus, dass auch sonst keine Tiere dabei sind.
„Warum steht das nicht drauf, dass da keine Tiere dabei sind?“, fragt Frank Bakos.
Wir denken, es kommt zu Missverständnissen, wenn da nur steht „Ohne Elefanten“.
Deshalb schreiben wir dahinter „und auch ohne andere Tiere“.
Wie wir Erfahrungen weitergeben, davon erzählen noch andere Beispiele: Im Haus der
Familie, bei einer Tagung in Bad Boll, beim Reutlinger Generalanzeiger...
Nach der Einblendung „Barrieren abbauen“ sieht man Bücher in einfacher Sprache und
danach, wie Rolf Rathfelder in einem Leitfaden liest. „Das inklusive Museum“ steht
drauf.
Vom „Perspektiven verändern“ erzählen diese und weitere Filmschnipsel ebenfalls und
vom „Schätze entdecken“ – bei Heiners Schmuckschatulle und bei vielen anderen
Gelegenheiten...
http://vimeo.com/afuw/impressionen-koa-01-2017
Hier verlässt Santiago Österle unser vorübergehendes Aktionsforschungsbüro beim Spitalhof. Diese Szene steht
am Ende des Clips mit Eindrücken von unserer Aktionsforschung in der ersten Hälfte des Projekts „Kultur ohne
Ausnahme“.
Wir entwickeln und vermitteln nun mehr und mehr ausgewählte Geschichten, von
denen wir meinen, dass sie uns selbst und andere weiterbringen.
Jede dieser „Geschichten von unterwegs“ vermittelt eine etwas andere Perspektive.
Jede ist wie ein Puzzle-Teil und nach und nach entsteht ein zusammenhängendes Bild.
Durch Videos, Fotos und Erzählungen geben wir bei kleineren und größeren Treffen
bzw. Veranstaltungen weiter, was im jeweiligen Zusammenhang von Interesse ist.
Die Beratungs- und Informationsstelle Jugendgemeinderat bei der Stadt Reutlingen
beispielsweise interessiert sich ebenso für unseren Rat wie wir unter anderem auch
bei zur Evangelischen Bezirkssynode zum Austausch eingeladen sind.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
An den unterschiedlichsten Orten berichten wir über unsere Aktionsforschung und
kommen mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch.
Das ehemalige Konzertbüro können wir nun nicht mehr als Treffpunkt nutzen. Also
veranstalten wir wöchentliche Treffs im Kaffeehäusle und später im Café Nepomuk.
Bald laden wir darüber hinaus monatlich zu „Geschichten von unterwegs“-
Veranstaltungen in den Kulturpark im Reutlinger Norden ein. Beim bunten Abend im
Wohnheim für Menschen mit Handicap kreuzen wir ebenso auf, wie bei vielen
öffentlichen Kultur-Ereignissen in Reutlingen und darum herum.
Hier vermitteln wir unsere Geschichten von unterwegs und erkunden bzw. entwickeln
zugleich weitergehende.
Dabei machen wir immer wieder die Erfahrung, dass wir weiterkommen, wenn wir dort
anfangen, wo´s passt.
4.2 Wo´s passt
„Du wirst akzeptiert, wie Du bist...“
„Alteburgstraße, IHK, da ist das Kaffeehäusle, bei der Alteburgstraße, Pomo, Volkspark
Pomologie, da ist das Kaffeehäusle von der Lebenshilfe“, sagt Thomas Geprägs.
Er hat sich eine Kopie mit einem Ausschnitt aus dem Reutlinger Stadtplan gemacht.
Dann hat er Umrisse eingezeichnet und ausgeschnitten.
„Das ist das katholische Heilig Geist-Gebiet und in der Kirche bin ich“, erklärt unser
Aktionsforschungskollege.
„Und das ist für Dich wichtig?“, fragt ihn Harald Sickinger.
„Das ist für mich wichtig“, antwortet Thomas Geprägs.
Thomas Geprägs zeigt das ausgeschnittene Heilig Geist-Gebiet. Danach sagt er zu einer Unterstützerin, dass sie
die ausgeschnittene Karte mit dem Kopierer bitte noch vergrößern soll.
http://vimeo.com/afuw/wichtiges-gebiet
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Das Kaffeehäusle und das Gebiet darum herum sind aus seiner Sicht gute Orte.
Im Zusammenhang mit dem Filmprojekt „Wo´s passt“ haben wir auch einiges darüber
erfahren, was aus der Sicht von Jugendlichen einen guten Kultur-Ort ausmacht.
http://vimeo.com/afuw/wos-passt
„Du wirst so akzeptiert, wie Du bist...was Du bist und was nicht und das gehört
irgendwie dazu, zu ´nem Ort, wo ich mich wohl fühl“, sagte ein Jugendlicher vor dem
Jugendhaus Bastille. Das ist ein guter Ort für ihn.
Diese Aufnahme aus dem Film „Wo´s passt“ zeigt das Jugendhaus Bastille und Leute auf dem Sportplatz davor.
Später saß der junge Mann bei uns im ehemaligen Konzertbüro.
Wir schauten die Szene zusammen an und er sagte: „Das ist ganz wichtig, dass man
einen Ort hat, wo man akzeptiert wird, um Selbstvertrauen zu entwickeln und wenn
man Selbstsicherheit auch hat, kann man anfangen, auch sich selber zu verändern.“.
Franziska Schiller sieht das genauso. Andere aus unserer Runde stimmen zu.
„Ich selber sein können“, steht auf einer Karte. Davon träumt Franziska Schiller.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Auch Rolf Rathfelder wünscht sich das. Da müsse man eigentlich noch dazuschreiben
„und sich nicht hinter einer Maske zu verstecken“, sagt er.
„Mich sicher fühlen“ ist auf einer anderen Karte zu lesen. Matthias Braun hält sie in die
Kamera.
Was aus seiner Sicht hilft, damit man sich sicher fühlen kann, fragt ihn Harald Sickinger.
„Miteinander reden, wenn man Ängste hat und so.“, antwortet Matthias Braun und
blickt zu Detlef Hartwig. Der ergänzt „Wenn man nicht weiter weiß, muss man jemand
holen, wo hilfsbereit ist...Mitbewohner am besten oder Mitarbeiter.“.
http://vimeo.com/afuw/sicher-fuehlen
“Dass man Freunde hat“, erklärt Detlef Hartwig später noch, das sei wichtig, damit man
sich sicher fühlen kann.
Der Film „Wo´s passt“ läuft gerade achteinhalb Minuten, da geht´s auch hier darum:
„Und kann man dann sagen, also, n´ guter Ort ist auch dort, wo...“, beginnt Harald Sickinger
seine Frage an einen Schüler der Reutlinger Erich-Kästner-Schule und bringt
den Satz nicht zu Ende. „...Freunde sind“, sagt der Schüler spontan dazwischen. „Ja,
kann man“, fügt er hinzu.
Vieles von dem, was die Jugendlichen sagen, scheint auch für uns und andere
Menschen zu gelten, unabhängig vom Alter. Es passt,...
• wo man anerkannt wird, wie man ist und wo man sich entwickeln kann
• wo Freundinnen und Freunde sind
• wo man seinen Interessen nachgehen kann
Auch Respekt sei sehr wichtig, sagen viele.
Der Film „Wo´s passt“ ist jetzt eine viertel Stunde gelaufen.
„TALK – respect connects“ steht in der Einladung zur Präsentation des Jugendkunst-
Projekts T.A.L.K. Das ist Englisch und bedeutet, dass Respekt verbindet.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Santiago Österle erklärt: „Das Talkprojekt ist einfach für mich ein Zusammenfinden von
Jugendlichen, die dann zusammen Sachen arbeiten. Das TALK-Projekt schließt ja total
viel ein. Es schließt den Graffiti-Workshop ein, also den Fotoworkshop, den Rap-
Workshop ein und es schließt den Tanz-Workshop ein. Also, es ist sehr viel, was in dem
Projekt innerhalb passiert und halt beim Rap ist es halt sehr intensiv, weil wir mit
unserem Coach Kabu die Texte erarbeiten und einfach über unser Leben praktisch
reden.“.
Santiago Österle beii der „T.A.L.K.-Präsentation.
Danach sieht man Santiago Österle mit anderen Musiker*innen auf der Bühne in
seinem Element.
Er rappt: „...mein halbes Leben KBF, viele positive Gedanken, ich habe viel gelernt und
dafür möchte ich danken. Doch Dinge ändern sich. Das Leben hat mich eingeholt. Neue
Klasse, neue Zeit...“. Dann singen er und die anderen Mitwirkenden „franz.K, hands up,
franz.K, hands up...“.
Das heißt übersetzt „franz.K, Hände hoch, franz.K. Hände hoch...“ und das Publikum
macht mit. Aber das sieht man im Film nicht. Das wissen wir, weil wir dabei waren.
Dass aus Santiagos Perspektive im franz.K noch nicht alle, aber schon einige Barrieren
abgebaut worden sind, erfahren wir in der nächsten Szene des Films „Wo´s passt“ –
und dass dieses Kulturzentrum ein Diamant für ihn ist.
Am Ende geht´s im „Wo´s passt“-Film noch um andere Bereiche, die wichtig sind, für
ein gutes Kulturleben. Dazu gehört zum Beispiel die Schule.
„Ich träume eigentlich von einer Schule, die keine Barrieren mehr aufstellt und die
Grenzen für alle öffnet.“, sagt der Rapper.
Diesen Traum träumt er nicht allein.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
4.3 Geschichten von unterwegs
„Wir sind das Projekt Kultur ohne Ausnahme,
was sind Sie für ein Verein?“
„Wir sind das Projekt Kultur ohne Ausnahme, was sind Sie für ein Verein?“, fragt
Thomas Geprägs an einem der vielen Infostände beim alternativen Neujahrsempfang
im Kulturzentrum franz.K.
Die Leute am Stand sagen, dass sie sich für bessere Radwege einsetzen. Das ist auch
Kultur. „Mit Lebenskultur hat´s was zu tun und es ist gesund“, meint eine Frau.
„Wenn Menschen zusammen kommen“, das sei für ihn Kultur, antwortet ein
Jugendlicher am Stand des Kulturzentrums Zelle.
„Was man gemeinsam schafft“, das bedeutet Kultur aus der Sicht eines Mannes, der
beim alternativen Neujahrsempfang die schwule Bewegung in Reutlingen (SchwuBeRt)
vertritt.
Alternativ bedeutet anders. Beim alternativen Neujahrsempfang kommen Leute
zusammen, die sich für eine Welt einsetzen, wo einiges anders gemacht wird. Dabei
geht es um den Umgang mit der Natur und um den Umgang der Menschen
miteinander.
Auf der Bühne erklärt Thomas Geprägs, was der Arbeitskreis Selbstbestimmung macht.
Er sagt, der „setzt sich ein für Menschen mit Handicap und speziell im Freibad für
Rollstuhlfahrer. Eigene Kabinen, eigene Duschen und ein Lifter“. Er will „dass sie vom
Rollstuhl aus in den Lifter sitzen können und einfach runter ins Wasser.“.
Weitere Aktive aus dem Arbeitskreis sitzen mit Markus Christ vom Kulturbüro neben
Thomas Geprägs auf der Bühne und baden ihre Füße in einem Planschbecken.
Von links sieht man hier Brigitte Edelmann (mit Schild), Rolf Rathfelder, Angelika Lotterer, Frank Bakos (mit Gießkanne),
hinter ihm sitzt Markus Christ und rechts steht Thomas Geprägs mit dem Mikrofon in der Hand.
Das ist eine Protest-Aktion, „weil das im Freibad so schlecht ist“, sagt Thomas Geprägs.
https://www.yumpu.com/s/U0HLPdIBb2wRJ1Ou (Geschichte mit Text und Videos)
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Wir Menschen müssen umdenken...“
Rolf Rathfelder zeigt ein Buch: „Das haben wir gemacht für die Gedenkstätte in
Grafeneck. Das ist so ein Buch, wo das erklärt, was da passiert ist“. Der Arbeitskreis
Selbstbestimmung hat beim Schreiben des Buches geholfen. Auch Angelika Lotterer
war dabei. Sie ergänzt: „Was man früher zur Nazizeit mit Leut mit Handicaps gemacht
hat.“.
„Die waren verdunkelt“, sagt Rolf Rathfelder über die grauen Busse. Damit wurden in
der Zeit des Nationalsozialismus Menschen mit Handicap abgeholt und nach Grafeneck
auf der Schwäbischen Alb gebracht. Dort wurden sie ermordet.
Er blättert weiter und zeigt uns ein Foto von dem Gebäude, in dem die Menschen
ermordet wurden.
http://vimeo.com/afuw/grafeneck
Am 27. Januar ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Aus
diesem Anlass kommt das Gespräch auf diejenigen, die im Zusammenhang mit der
entwertenden und ausgrenzenden Kultur des Nationalsozialismus ermordet wurden.
Aus diesem Gespräch stammt der folgende Ausschnitt:
Harald Sickiger: „Im Saal der Heime am Gustav-Werner-Platz gibt´s einen Gedenk-
Gottesdienst und am Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus werden Kerzen
aufgestellt. Welche Bedeutung haben solche Gedenk-Orte für Dich?“
Franziska Schiller: „Wir Menschen müssen umdenken und um umzudenken helfen
solche Teile.“
Aus dem Gespräch entsteht das nächste Puzzleteil mit Text und Videos. Wir verwenden
es bei unseren Treffen und machen´s wie andere Teile auch im Internet zugänglich:
https://www.yumpu.com/s/IHLyhz6osMxqeJkB (Geschichte mit Text und Videos)
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Ich frag, ob sie noch zwei Freikarten für Paula haben“
Matthias Braun startet den Film-Trailer. Darin sagt ein Mann: „Paula, ich glaube nicht,
dass Du eine gottbegnadete Künstlerin ersten Ranges wirst. Frauen können keine
Malerinnen werden. Matthias Braun und sein Freund Detlef Hartwig interessieren sich
für den Film. Er läuft im Kamino-Kino.
Franziska Schiller hat ihn schon gesehen. Sie erklärt: Es geht um eine wahre
Begebenheit, Paula. Sie ist am Anfang des letzten Jahrhunderts im Norden von
Deutschland aufgewachsen und als junge Frau weiß sie genau, dass ihr das Malen liegt
und dass sie´s kann und sie wollt damit ihre Stärke zeigen und das einfach machen.
Am Anfang hat Paula einen Malkurs besucht, wo sie genau nach Vorschriften malen
sollte, wie in der Fotografie, man sollte in der Malerei die Natur naturgetreu
wiedergeben. Aber das war der Paula egal. Sie hat das so gesehen und gut. Sie malte
weiterhin nach ihren Empfindungen. Sie hat halt Nasen wie Kartoffeln gesehen und
dann hat sie Nasen wie Kartoffeln gemalt. Der Freund von ihrem Mallehrer hat sie
gefragt; Sehen Sie das so? Sie hat dann gesagt: Ja, das sehe ich so, als Kartoffel...“.
„...Jeder Mensch ist ja ein Individuum und die Paula hat halt ihr Individuum gelebt,
indem ihr das, was andere gesagt haben, in Anführungszeichen scheißegal war“, sagt
Franziska Schiller und fügt hinzu: „Ihr Mann hat sie gehalten und auch gehen lassen,
sie hat auch Freundinnen um sich herumgehabt, die mit ihr revoluzzt haben.“
Der Film handelt unter anderem davon, wie eine Frau trotz vieler Widerstände ihre
Fähigkeiten im Kulturleben verwirklicht. Dabei werden Fragen aufgeworfen, die viele
Menschen beschäftigen.
Die „Geschichte von unterwegs“ dazu wird unter anderem im Berufsbildungsbereich
einer Behindertenhilfeeinrichtung als Anschauungsmaterial verwendet.
https://www.yumpu.com/s/uldzQ6IKBHJDEWbM (Geschichte mit Text und Videos)
63
Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Hat der Sohn von der Besitzerin hier Musik gemacht?“
„In diesem Haus hat der Sohn der Besitzerin damals schon, ehe der Jazzclub gegründet
wurde, hat der spaßeshalber bei sich im Keller ab und zu Konzerte gemacht“, erklärt
der Vorsitzende des Reutlinger Jazzclubs in der Mitte.
Seit inzwischen mehr als 40 Jahren hat der Verein den Keller gepachtet und lädt zu
Musikveranstaltungen dorthin ein.
„Hat der Sohn von der Besitzerin hier Musik gemacht“, fragt Thomas Geprägs.
Clemens Wittel antwortet „Der hat hier Veranstaltungen gemacht. Er selber, glaub ich,
hat gar keine Musik gemacht. Aber der hatte so Spaß an der Jazz-Musik, dass er dann
selber Bands engagiert hat und dann immer mal wieder hier unten, im Kohlenkeller
sozusagen, ein Konzert gemacht hat.“.
Von links stehen hier Clemens Wittel, Frank Bakos und Thomas Geprägs auf der steilen Treppe zum Jazzclub.
https://www.yumpu.com/s/qrIbCSxEBX256vaV (Geschichte mit Text und Videos)
Die Geschichte rund um den Jazzclub entsteht anlässlich eines Konzertbesuchs. Dabei
spielen Jazzmusiker spontan in unterschiedlichen Besetzungen zusammen. Der Eintritt
ist frei. Trotzdem gibt es Barrieren. Mit dem Rollstuhl kommt man nicht in den Jazzclub.
Wir überlegen mit Clemens Wittel, ob man einen Treppenlift einbauen könnte. Er zeigt
uns, dass die steile Treppe in den Keller dafür zu eng ist. Bei Veranstaltungen müssen
Fluchtwege immer gut zugänglich sein, falls es einmal brennt.
„Vereint gegen Barrieren“
Am 8. Mai 2017 erscheint ein Artikel der Journalistin Elke Schäle-Schmitt im Reutlinger
Generalanzeiger Es geht um eine Veranstaltung im Spitalhof, die von der Architektenkammer
zusammen mit der Liga für Teilhabe organisiert wurde. Die Überschrift heißt
„Vereint gegen Barrieren“.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Artikel im GEA: https://www.yumpu.com/s/HGMUn6vEPiwsr14K
Das Foto stammt aus dem Artikel. Es zeigt Teilnehmende der Podiumsdiskussion: Von links: Maria Eckert, Ulrich
Schwille, Andreas Bauer, Lothar Bauer, Konrad Berger und Moderator Eckart Hammer.
Perspektiven von Expertinnen und Experten aus eigener Erfahrung flossen unter
anderem durch die Mitwirkung von Maria Eckert bei einer Podiumsdiskussion und
durch die Präsentation von Videobeispielen aus unserer Aktionsforschung durch
Harald Sickinger ein.
Dabei ging es um Erfahrungen mit Barrieren im öffentlichen Raum in der Region.
Beispielsweise ging es laut GEA-Artikel um „schlecht lesbare Hinweisschilder, oder
sprachlich komplizierte Ankündigungen für Kulturveranstaltungen, Internetauftritte,
die keine Rücksicht auf Sehbehinderte nehmen, obwohl das technisch recht einfach
möglich wäre...“.
Letzteres spricht ein Filmbeispiel an, das sich um die Einkaufskultur dreht.
Markus Lemcke schaut sich eine Internetseite an, die zum Einkaufen in Reutlingens
Nachbarstadt Metzingen einlädt. Dabei stellt er fest, dass bei den Fotos u. a. die Texte
fehlen, welche die Fotos für blinde und sehbehinderte Menschen beschreiben sollten.
http://vimeo.com/afuw/fehlende-alternativtexte
„Am beeindruckendsten“, schreibt der Generalanzeiger weiter, „war das Beispiel einer
Reutlinger Rollstuhlfahrerin. die mit der Bahn zum Einkaufen nach Metzingen wollte
und für die normalerweise zehn Minuten dauernde Fahrt aus vielerlei Gründen letztlich
zwei Stunden brauchte – samt Kehrschleife in Nürtingen, weil sie sonst am Bahnhof in
Metzingen auf einer Insel festgesessen wäre.“.
Auch diese Geschichte dokumentieren wir als „Geschichte von unterwegs“ mit Text
und Videoausschnitten:
https://www.yumpu.com/s/5XehF6xjmrN7tPZb
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Mitte Mai erscheint im Schwäbischen Tagblatt noch ein Artikel, der ausschließlich die
Bahnfahrt mit Hindernissen zum Thema macht:
Artikel im Tagblatt: https://www.yumpu.com/s/eNWiR1nLgVDv0CbA
Wir möchten allerdings nicht nur Geschichten über Barrieren vermitteln. Wir wollen
Wege erkunden, die uns selbst und andere die Schätze der Kultur erleben lassen.
„Ich finde, so etwas ist wirklich auch ein Schatz...“
Thomas Geprägs im Gespräch mit Reutlingens Oberbürgermeisterin Barbara Bosch
„Die hat gesagt, dass es nicht mehr wegzudenken ist aus Reutlingen, Kultur vom
Rande“, erklärt Thomas Geprägs, als wir die Aufnahmen von unserem Gespräch im
Rathaus noch einmal anschauen. Dann fügt er hinzu: „Die sitzt auch immer am
Schreibtisch“.
Im Film sieht man, wie er sie fragt: „Was macht so ´ne Oberbürgermeisterin den ganzen
Tag?“ und wie er sie eine Schachtel öffnen lässt. Ursprünglich war da mal ein Spiel drin.
„Entdecke die Wunder der Erde“ steht drauf.
Die Oberbürgermeisterin holt das Programm des Festivals „Kultur vom Rande“ aus der
Schachtel. Das findet im Juni statt. „So etwas ist wirklich auch ein Schatz, vielleicht
sogar ein Wunder der Erde“, sagt sie.
Thomas Geprägs, Franziska Schiller und Harald Sickinger erstellen fünf Videoclips mit
prominenten Unterstützerinnen und Unterstützern des Festivals Diese Clips werden
bei der Eröffnung gezeigt.
http://vimeo.com/afuw/bosch-kulturvomrande
http://vimeo.com/afuw/wuerth-kulturvomrande
http://vimeo.com/afuw/mack-kulturvomrande
http://vimeo.com/afuw/bauer-kulturvomrande
http://vimeo.com/afuw/keller-kulturvomrande
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Bei jedem dieser Gespräche tauschen wir uns über viele unterschiedliche Fragen aus.
Es geht nie ausschließlich um „Kultur vom Rande“, sondern um Kultur ohne Ausnahme
insgesamt.
Zum Gespräch mit Barbara Bosch hat Thomas Geprägs einen Reutlinger Stadtplan
mitgebracht. Er möchte ihr zeigen, dass der für viele Menschen nicht gut lesbar ist.
Sie erklärt, dass momentan an einem besser lesbaren Stadtplan gearbeitet wird und
dass dabei auch Expertinnen und Experten beteiligt sind, die das Problem aus eigener
Erfahrung kennen.
Außerdem erwähnt sie die Mitwirkung einer Organisation mit dem Namen
„Behindertenliga“. Diese Organisation hat allerdings ihren Namen geändert.
Thomas Geprägs sagt in freundlichem Ton: „Frau Bosch, sie haben gesagt
Behindertenliga. Das heißt mittlerweile Liga für Teilhabe.“.
Die Oberbürgermeisterin bedankt sich für den Hinweis.
http://vimeo.com/afuw/gespraech-stadtplan
„...dass man sich dann vielleicht mal aufmacht,
um was dran zu ändern...“
Ob man von den Bremer Stadtmusikanten etwas lernen kann, wollen wir wissen.
„Ja“, sagt die Passantin, die wir beim ehemaligen Konzertbüro in der Reutlinger
Innenstadt angesprochen haben.
Sie meint: „Wie´s bei den Brüdern Grimm in dem Märchen so schön heißt, etwas
Besseres als den Tod findet man überall. Also, dass, wenn einem nix mehr passt, die
zuständigen Zustände, dass man sich dann vielleicht einfach mal aufmacht, um was
dran zu ändern.“.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Dieses Gespräch kommt in einem der fünf Videogeschichten vor, die Franziska Schiller
und Harald Sickinger in Zusammenarbeit mit anderen Aktionsforscherinnen und
Aktionsforschern speziell zur Präsentation vor den abendlichen Theatervorstellungen
beim Festival „Kultur vom Rande“ produziert haben.
Wir haben einige Ausschnitte daraus zusammengestellt.
http://vimeo.com/afuw/ausschnitte-gvu-kvr
Diese ausgewählten Filmpassagen drehen sich um Wunder der Erde und um
märchenhafte Vorstellungen.
Rolf Rathfelder und Angelika Lotterer sagen zum Beispiel, es ist auch ein Wunder der
Erde, dass sie sich kennen und lieben gelernt haben.
Es geht aber auch darum, wie es wäre, wenn Märchen oder Träume wahr würden.
Rolf Rathfelder wünscht sich, dass er wie ein erwachsener Mensch behandelt wird und
nicht wie ein kleines Kind. „Dass alle Menschen gleichbehandelt werden, wär auch ein
Traum“, sagt der Aktionsforscher.
„Da müssen alle an einem Strang ziehen, nicht mit Handicap und mit Handicaps“,
ergänzt ihn seine Lebensgefährtin Angelika Lotterer.
Dass wir ja so eine Art Schatzsuche machen, meint Harald Sickinger und schwenkt mit
der Kamera auf jene Schachtel, in der früher ein Spiel drin gewesen ist und die schon
bei der Oberbürgermeisterin zu sehen war. „Auf der Kiste steht ja drauf: Expedition.
Entdecke die Wunder der Erde. Wie kann man eigentlich erklären, was eine Expedition
ist, Franzi?“, fragt er.
Franziska Schiller denkt nach. Dann sagt sie: „Eine lange, anstrengende, interessante,
vielfältige Reise.“.
In dieser Momentaufnahme fährt Franziska Schiller gerade aus dem Bild, um dann auf dem Marktplatz wieder
auf zu tauchen. Im Gepäck hat sie die Bremer Stadtmusikanten: Ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn. Das
Zelt im Hintergrund ist ein Veranstaltungsort beim Festival „Kultur vom Rande“.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Das gibt mir Phantasie“
Hier sieht man ein Beispiel dafür, wie die Behindertenhilfeeinrichtung LWV Eingliederungshilfe in Rappertshofen
ausgewählte Geschichten von unterwegs aus unserer Aktionsforschung präsentiert. Der rechte Faden führt zu
der Stelle auf dem Stadtplan, wo sich das Kunstmuseum Spendhaus befindet.
„Wenn Sie malen, freitags jetzt, können Sie das Gefühl beschreiben, wie das ist, wenn
Sie malen“, fragt Harald Sickinger die Malerin Gabi Pfister. Sie ist erst vor kurzem zur
Malerin geworden, freitags, im offenen Atelier des Projekts „Kultur ohne Ausnahme“.
Gabi Pfister sagt: „Ich fühle mich befreit, einfach befreit“.
Franziska Schiller schaut diese Szene zusammen mit Harald Sickinger an. Sie kann
dieses Gefühl gut verstehen. Ihr geht´s manchmal ganz ähnlich.
„Vor mir hängt ein schwarzrotes Bild“, sagt sie in einer Aufnahme, die im Kunstmuseum
Spendhaus entstanden ist. Es ist ein Bild von HAP Grieshaber.
„Schwarz und rot sind eigentlich gefährliche Farben“, erklärt Franziska Schiller weiter,
„aber das ist für mich ein warmes, ausdrucksvolles Bild. Das guck ich gern an. Das gibt
mir Phantasie. Das gibt mir Wärme.“.
Dieses Bild hat sie inspiriert, selbst kreativ zu werden, in den Werkräumen des
Kunstmuseums.
http://vimeo.com/afuw/kunstmuseum
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Solche „Geschichten unterwegs“ geben auch anderen Leuten Phantasie zum Kultur
erleben und zum Kultur schaffen.
Das passiert zum Beispiel bei unserem wöchentlichen Kultur-Treff im Cafe´Nepomuk,
bei unseren monatlichen Veranstaltungen im Kulturpark in Rappertshofen und bei
vielen weiteren Treffen mit Menschen mit Handicap, mit denjenigen, die sie
unterstützen, mit Verantwortlichen von Kultureinrichtungen und mit allen möglichen
anderen Interessierten.
Dabei geht es um die Schätze der Kultur und um Herausforderungen auf dem Weg
dahin. Es geht um den Abbau von Barrieren, um die Organisation von Assistenz. Es geht
um ganz bestimmte Kultur-Veranstaltungen und um Kultur-Orte ganz allgemein.
Im Sommer 2017 ist nach dem Festival „Kultur vom Rande“ unter anderem mal wieder
der Reutlinger Orgelsommer ein Thema, wenn wir Geschichten von unterwegs
erzählen, auch die Kulturnacht, die bald wieder kommt und unsere Erfahrungen beim
diesjährigen Inter:Komm!-Festival. Dort haben wir einige Stimmen eingefangen.
„Wie würdest Du Inter:Komm! erklären?“, fragt Thomas Geprägs einen Besucher.
Der antwortet: „Also, ich find es toll, dass es keinen Eintritt kostet, dass jeder kommen
kann, auch die, die kein Geld haben, Flüchtlinge und so.“.
http://vimeo.com/afuw/stimmen-interkomm
Dieses Foto zeigt Frank Bakos in unserer kleinen „Aktionsforschungs-Basisstation“ beim Inter:Komm!-Festival.
Im Herbst 2017 drehen sich unsere „Geschichten von unterwegs“ dann zum Beispiel
wieder um Denkmale.
Am Tag des offenen Denkmals sind wir im Pfullinger Schaffwerk und in der Reutlinger
Oststadt unterwegs, wo es alte prächtige Häuser gibt, aber auch manches mehr, was
das Kulturleben bereichert.
Hier fragt Franziska Schiller den Stadtführer, wie er in dreißig Sekunden die Oststadt
erklären würde.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Dieser Stadtteil habe gemeinsam mit anderen die höchste Lebensqualität in
Reutlingen, meint er.
Unter uns entwickelt sich daraus ein Gespräch über Lebensqualität. Was bedeutet das
für uns selbst, an den Orten, wo wir wohnen?
Auch dieses kurze Video ist ein Beispiel dafür, womit wir bei unseren Treffen und
Veranstaltungen zum Austausch über das Thema Kultur ohne Ausnahme anregen.
http://vimeo.com/afuw/lebensqualitaet
Diese Leute hören gerade dem Stadtführer zu, wie er eine Geschichte vom Reutlinger Landratsamt erzählt.
Im Kulturpark Rapperthofen im Reutlinger Norden besuchen inzwischen regelmäßig
mehr als zwanzig Menschen unsere monatlichen „Geschichten von unterwegs“ –
Veranstaltungen.
Begonnen hat diese Sache im Frühling 2017 mit einer persönlichen Geschichte von
Franziska Schiller, die selbst in Rappertshofen wohnt. Zusammen mit Harald Sickinger
zeigte sie Videos und erzählte von ihren Erfahrungen in Verbindung mit dem Projekt
„Kultur ohne Ausnahme“.
Inzwischen ist daraus ein regelmäßiger Termin geworden, bei dem wir Informationen
und Meinungen austauschen, aber auch konkrete Aktivitäten planen. Unter anderem
Veranstaltungen im Kamino und im franz.K spielen hier oft eine wichtige Rolle.
Mancher Bewohner und manche Bewohnerin einer Behindertenhilfeeinrichtung ist
nun gemeinsam mit uns unterwegs, zum Beispiel bei Heiners Schmuckschatulle oder
beim Filmschauen.
Oft nutzen wir unsere selbst gemachten Filmclips, wenn wir Kultureinrichtungen
vorstellen.
Auch über das Kamino zeigen wir immer wieder ein kurzes Video. Darin ist unter
anderem Harald Sickinger zu sehen, wie er über den Eintrittsreis redet.
Für Menschen mit Behindertenausweis kostet es sechs Euro, erklärt er.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Das Kino Kamino ist im Stadtgebiet Oststadt“, erklärt Thomas Geprägs in dem Clip.
Dass es sich im Ziegelweg befindet ergänzt Rolf Rathfelder. Dann sieht man Franziska
Schiller, lachend, vor dem Kamino.
http://vimeo.com/afuw/kamino
Wenn es der Anlass gebietet, sind wir Immer wieder auch an Orten unterwegs bzw.
erzählen Geschichten von Orten, die nicht jede und jeder gleich mit Kultur in
Verbindung bringt.
Die Hochschule Reutlingen zum Beispiel veranstaltet anlässlich des Reformationsjubiläums
ein Konzert mit dem Leipziger Barockorchester und mit dem Valparaiso
Chorale. Das ist ein Chor aus den USA.
Das Konzert wird in der Stadthalle gegeben. Davor zeigen wir bei verschiedenen
Veranstaltungen und Treffen ausgewählte Ausschnitte von einem Gespräch mit dem
Organisator Prof. Dr. Baldur Veit. Er leitet an der Hochschule das Büro für
internationale Angelegenheiten. Offiziell und in Englisch heißt das „Reutlingen International
Office (RIO)“.
„Ich versuche alle internationalen Aktivitäten der Hochschule zu koordinieren“, erklärt
Baldur Veit im Gespräch mit Thomas Geprägs, Franziska Schiller und Harald Sickinger.
Das Konzert, sagt er, "hat mit den internationalen Beziehungen der Hochschule zu tun.
Die Valparaiso University ist eine Partnerhochschule der Hochschule Reutlingen.
http://vimeo.com/afuw/hochschule-reutlingen
Es gibt noch viele weitere kleinere und größere Geschichten, die wir im Herbst und im
Winter 2017 / 2018 erkunden und vermitteln.
So berichten wir unter anderem vom Gedenken an die Opfer des Holocaust anlässlich
des Jahrestages der sogenannten Reichskristallnacht, von Sportangeboten für
Menschen mit und ohne Handicap und von Angeboten der Volkshochschule.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Das Heimatmuseum, das Kunstmuseum und die Stadtbibliothek sind ebenfalls immer
wieder Thema.
In der Stadtbibliothek gibt es jetzt auch Lesungen von Büchern, die in einfacher Sprache
geschrieben sind.
Franziska Schiller macht außerdem darauf aufmerksam, dass man in der Bibliothek
auch ins Internet gehen kann. Das sieht man in einem unserer Filmchen.
http://vimeo.com/afuw/stadtbibliothek
In diesem Bildausschnitt aus dem Video-Clip sieht man eine Informationsbroschüre über die Stadtbibliothek. Sie
ist in leichter Sprache geschrieben und liegt hier auf dem Reutlinger Stadtplan.
Bis zum Ende des Projekts „Kultur ohne Ausnahme“ im Sommer 2018 und darüber
hinaus vermitteln wir solche Geschichten, um Anregungen zu geben und ins Gespräch
zu kommen und so auch selbst wieder Anregungen zu bekommen.
Im Dezember 2017 ist Edith Koschwitz (links) in unserem offenen Kulturtreff zu Gast. Rechts neben ihr sieht man
Angelika Lotterer. Wir sprechen über die Reutlinger Kulturnacht, für deren Organisation Edith Koschwitz
verantwortlich ist. Außerdem leitet sie das Projekt „Fortschreibung der Kulturkonzeption Reutlingen“. Auch das
interessiert uns sehr.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Gelegenheiten zum Austausch ergeben sich im Nebenraum des Café Nepomuk, im
Kulturpark in Rappertshofen, bei einer Sitzung des Heimbeirats von Bewohnerinnen
und Bewohnern einer Behindertenhilfeeinrichtung, bei Besuchen im Wohnheim, bei
vielen persönlichen Treffen und an Infoständen, bei Gesprächen über die
Fortschreibung der Kulturkonzeption für Reutlingen und nicht zuletzt bei einer großen
Veranstaltung des Projekts „Kultur ohne Ausnahme“ im Reutlinger Spitalhof.
Bei all dem gehen wir von unseren eigenen Erfahrungen aus und versuchen diese
Schritt für Schritt mit anderen zu verbinden.
5 Weitere Perspektiven entwickeln
Die Stadt Reutlingen hat im Jahr 2006 eine Kulturkonzeption beschlossen.
Das Wort Konzeption kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „etwas
zusammenfassen“.
In der Kulturkonzeption hat die Stadtverwaltung das Kulturleben der Stadt zusammengefasst.
Die Kulturkonzeption ist ein dickes Buch.
Seit Sommer 2017 wird die bisherige Kulturkonzeption fortgeschrieben. Das heißt, sie
wird weiterentwickelt.
Deshalb machen sich jetzt viele Leute Gedanken darüber. Wir machen das auch.
Puzzleteil mit Text und Videos: https://www.yumpu.com/s/tZARP0TOapx73jgB
Das Foto zeigt Spielfiguren, mit denen wir wichtige Fragen verdeutlichen: Ein Rollstuhlfahrer, der sich fragt, wie
er die baulichen Barrieren überwinden soll, die ihm den Weg versperren; eine Frau, die sich fragt, ob ihr das Geld
reicht, welches der Geldautomat ausspuckt und unterschiedliche Personen, die sich fragen, wie Kommunikation
gelingt. Dazu gehört nicht nur das Thema, auf welches ein Schild hinweist. „Halt! Leichte Sprache“ steht drauf.
Außerdem sieht man da einen Omnibus. Das ist lateinisch und bedeutet „für alle“. Wie entsteht eine Kultur, die
möglichst für alle passt? Auf dem Stadtplan sind schon einige Teile des Reutlingen-Puzzles zu sehen, die zu passen
scheinen und ein nach und nach zusammenhängendes Bild entstehen lassen.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„...buchstäblich jede und jeder...“
„In die Kulturkonzeption gehört ja auch jede Hautfarbe“, sagt Franziska Schiller,
„buchstäblich jede und jeder, egal welche Hautfarbe, welche Sprache, welche was auch
immer, einfach jeder.“.
Eine Kultur ohne Ausnahme entstehen zu lassen, das betrifft zunächst einmal alle und
alles. Das betrifft nicht nur Reutlingen. Das betrifft die ganze Welt.
Es ist Januar 2018. Im Kulturzentrum franz.K. findet wieder der alternative Neujahrsempfang
statt. Auf der Bühne steht Thomas Geprägs und führt das Video ein, welches
wir mitgebracht haben:
„Wir sind das Projekt Kultur ohne Ausnahmen“. sagt er, „wir setzen uns ein für
Menschen mit Handicap, dass die im Kulturleben teilnehmen, für das setzen wir uns ein.
Kultur ist auch eine Schule für alle, wo Menschen mit und ohne Handicap gemeinsam
in die Schule gehen. Früher war´s nicht so. Da wurden Menschen mit Handicap
ausgegrenzt“.
Dann fragt er: „Was hat Kultur ohne Ausnahme mit Klimawandel zu tun?“ und der Film
wird gestartet.
Hier sieht man Thomas Geprägs bei seiner Rede zur Einführung unseres Filmclips beim alternativen
Neujahrsempfang im Kulturzentrum franz.K.
„Klima wandel(n) – solidarisch handeln“, heißt das Motto beim diesjährigen alternativen
Neujahrsempfang.
In unserem Clip erklärt Franziska Schiller: „Wir stehen ja ein für Kultur für alle und wenn
wir Kultur für alle haben, gehören wir ja alle zusammen“.
Alle miteinander können das gesellschaftliche Klima ändern, meint sie, damit niemand
ausgegrenzt wird.
„Solidarisch, das ist für mich ein Fremdwort. Das kapier ich nicht ganz, was das sein
soll“, sagt Rolf Rathfelder ein wenig später in unserem Filmbeitrag.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Dann sieht man, wie Thomas Geprägs die Überschrift über der Einladung zum
Neujahrsempfang anschaut und sagt: „Das kapier ich auch nicht, solidarisch, das ist ein
schwieriges Wort.“.
Franziska Schiller erklärt, was es aus ihrer Sicht bedeutet: „Nach meinem Verständnis
heißt das, so zu handeln, dass es für jeden, für die Welt, für die Tiere und für die
Menschen okay ist.“.
Dann folgen Straßenszenen mit den Bremer Stadtmusikanten – Ein Esel, ein Hund eine
Katze und ein Hahn, die sich zusammenschließen und zu ändern versuchen, was in
ihrem Leben nicht passt.
http://vimeo.com/afuw/klima-wandeln
„...gegenseitig unterstützen...“
„Kultur bedeutet, dass die Leute gegenseitig unterstützen,“ sagt unser Kollege Detlef
Hartwig. „Das ist sehr wichtig“, ergänzt er, der immer wieder Leuten im Rollstuhl hilft,
wenn sie zum Beispiel jemanden brauchen, um die Rampe vom Stadtbus auszuklappen.
Wie so viele Leute unterstützt er andere Leute und braucht zugleich auch manchmal
selbst Unterstützung.
Das ist zum Beispiel beim Besuch von Kulturveranstaltungen der Fall: „Alleine tät ich´s
mir nicht trauen, sondern ich nehm jemand mit, wo sich mit mir auskennt.“, erklärt
Detlef Hartwig.
„Jetzt gibt´s manchmal so Kulturbegleiter, die holen einen daheim ab und bringen einen
auch abends wieder heim“, erwähnt Angelika Lotterer und spricht damit etwas an, was
das Kulturbüro von „Kultur ohne Ausnahme“ organisiert hat.
„Also jetzt gerade spontan kommt mir die Geschichte mit dem Kunstmuseum in den
Kopf. Die Unterstützung war beim Schaffen ziemlich wertvoll. Sonst hätte mein Krabat
nie Flügel gekriegt und so weiter“, meint Franziska Schiller.
Der „Krabat“ von Franziska Schiller
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Wenn viele Personen und Organisation zusammenschaffen, dann finden wir immer
wieder Möglichkeiten, wie´s passt. Das ist unsere Erfahrung.
Im Kunstmuseum arbeiten seit Anfang 2018 wieder einige Aktionsforscherinnen und
Aktionsforscher mit Kerstin Rilling zusammen.
Sie hat uns bereits im letzten Jahr geholfen, sodass wir unsere Perspektiven mit Kunst
sichtbar machen und erweitern konnten.
„Wir machen uns mit Kunst auf den Weg“ heißt es jetzt.
Mit dabei ist auch Christine Fuchs, die sich bereits seit einiger Zeit bei vielen unserer
Erkundungen und Aktionen beteiligt.
Dazu gekommen ist sie durch unsere monatlichen „Geschichten von unterwegs“ im
Kulturpark.
Vor kurzem hat sie ein persönliches Zukunftsfest veranstaltet.
Was das ist, erklärt sie so: „Ein Zukunftsfest ist eine Veranstaltung, wo man mehrere
Leute aussucht, die man gerne dabeihaben möchte, um die Zukunft zu gestalten und
dabei Unterstützer zu suchen.
Was sehr wichtig war, sagt sie, war „wie die Leute mich gesehen haben oder sehen und
auch meine Fähigkeiten, die ich hab.“.
http://vimeo.com/afuw/zukunftsfest
Bei dem Zukunftsfest ging es neben vielen anderen Themen auch um die Frage, wie sie
die passende Unterstützung fürs Fahren mit dem Stadtbus bekommen kann.
Christine Fuchs am Busbahnhof. Seit dem Zukunftsfest ist sie öfter mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„...wenn jeder quasi und jede
da ihre Fähigkeiten einbringen kann...“
Was bei der Kulturkonzeption eigentlich sonst noch beachtet werden sollte, fragt
Harald Sickinger.
Rolf Rathfelder antwortet: „Wenn eine neue Kulturstätte gebaut wird, dass die
Menschen mit Behinderung mit einbezogen werden beim Planen und Bauen.“.
„Respekt ist wichtig“ sagt Thomas Geprägs immer wieder, wenn es darum geht, wie
eine Kultur ohne Ausgrenzung entstehen kann.
Einen Menschen zu respektieren heißt zunächst einmal, ihn und seine jeweilige
persönliche Perspektive zu verstehen oder das mindestens zu versuchen.
Thomas Geprägs als Reporter vor dem Neubau des Reutlinger Stadttheaters „Die Tonne“.
„Wir sind das Projekt Kultur ohne Ausnahmen“, hört man Thomas Geprägs sagen, „wir
stehen hier vor dem Theater Tonne.“. Dann erklärt er, dass beim Theater eine
Arbeitskollegin von seinem Arbeitsplatz auf dem Hofgut Gaisbühl mitspielt und dass
auch seine Aktionsforschungskollegin Franziska Schiller hier Schauspielerin ist.
„Das ist ein schönes Gebäude“, meint Thomas Geprägs über den Neubau und betont:
„Das ist nicht weit von mir daheim, Theater Tonne, früher war´s weiter.“.
Dieses Jahr will er sich hier einige Theaterstücke anschauen.
http://vimeo.com/afuw/tonne
„Und was kann man eigentlich machen, dass es in so ´ner Kultureinrichtung Respekt
gibt?“, hakt Harald Sickinger nach.
„Für jeden eine Möglichkeit schaffen. So, wie zum Beispiel im Haus der Familie“,
antwortet Franziska Schiller, „der eine betreut die Kinder, der andere kocht, der andere
macht einen kulturellen Abend.“.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Seit unserem Aktionsforschungsbesuch im Haus der Familie besucht Franziska Schiller
dort immer wieder das Ferda-Café.
Da treffen sich Menschen aus unterschiedlichen Ländern.
Einige von ihnen trifft sie neuerdings auch bei einem Projekt, das in der
Volkshochschule stattfindet. Dabei wird mit Mosaik-Steinen gearbeitet.
Hier begegnen sich die Menschen auch Augenhöhe, findet Franziska Schiller.
„Auf Augenhöhe“, so heißt auch ein Film, den wir vor einiger Zeit im Kino Kamino
gesehen haben.
Jetzt, im März 2018, läuft er in der Nikolaikirche in der Veranstaltungsreihe „Film für
alle“.
Franziska Schiller und Harald Sickinger waren bei einem Vorbereitungstreffen und
haben Plakate mitgebracht.
Matthias Braun schaut sich das Plakat an. „Ich tät den Film weiterempfehlen“, sagt er
und erzählt ein bisschen, worum es geht:
„Es ist ein kleinwüchsiger Vater und ein großer Sohn“. Der Film sei empfehlenswert,
meint Matthias Braun, „an manchen Stellen ist er witzig und ab und zu auch traurig.“.
Auch Thomas Geprägs und Franziska Schiller empfehlen den Film, weil er aus ihrer Sicht
unterschiedliche Probleme unterhaltsam vermittelt.
So beginnt ein kurzes Video mit Ausschnitten aus unserem Gespräch über „Auf
Augenhöhe“.
Dieses Video schauen unter anderem einige Schülerinnen und Schüler an, die sich im
Unterricht damit beschäftigen.
http://vimeo.com/afuw/filmbesprechung-auf-augenhoehe
Von links nach rechts sieht man hier Matthias Braun, Rolf Rathfelder, Angelika Lotterer und Thomas Geprägs. Sie
unterhalten sich über den Film „Auf Augenhöhe“.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
„Viel erreicht, aber auch noch viel zu tun...“
Im März 2018 präsentieren wir ausgewählte Geschichten von unterwegs bei einer
großen Veranstaltung, die das Projekt „Kultur ohne Ausnahme“ mit der Evangelischen
Hochschule organsiert hat.
Einladung zur Veranstaltung: https://www.yumpu.com/s/QfIKXbwzp6LUg4Nm
„Viel erreicht, aber auch noch einiges zu tun...“ heißt es in der Überschrift des
Veranstaltungsberichts von Gisela Sämann, der danach im Reutlinger Generalanzeiger
erscheint.
In der Zusammenfassung am Ende des Artikels steht: „Genug Ideen, Reutlingen zum
inklusiven Kulturort zu machen, gibt es – das hat die Veranstaltung im Spitalhof gezeigt.
Und auch, wie wichtig es ist, Menschen mit Behinderung in die Planungen mit
einzubeziehen: als Experten in eigener Sache.“.
Artikel im GEA: https://www.yumpu.com/s/AWejTi6MGhpR47C9
Unsere Erfahrung ist: Wir kommen weiter, wenn bei der Entwicklung unseres Kulturlebens
von unseren Interessen und Talenten ausgegangen wird.
Es passt, wenn wir dem nachgehen, was wir gerne machen und was wir gut können.
Die ersten Schwierigkeiten auf dem Weg ins Kulturleben treten allerdings oft schon
auf, bevor wir das Haus verlassen – zum Beispiel,
• wenn wir selbst nicht wissen, was wir wollen und können,
• oder, wenn andere unsere Interessen und Talente nicht verstehen
• oder, wenn wir nicht wissen, wo wir unseren Interessen und Talenten nachgehen
können
• oder, wenn wir uns nicht dorthin bewegen können, weil die passenden
Bewegungsmittel fehlen oder die Orientierung oder die Sicherheit oder die Kraft
oder einfach die Motivation.
80
Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Manche Expertinnen und Experten aus eigener Erfahrung sagen, dass es eine Art
ansteckende Krankheit gibt, die sich manchmal in Wohnheimen ausbreitet.
„Lustlosigkeit“ oder „Faulheit“ könnte man die nennen, meint Rolf Rathfelder.
Oder „Müdigkeit“, fügt Angelika Lotterer hinzu.
Franziska Schiller schlägt noch eine andere Bezeichnung für diese Sache vor, die
manche beim Kultur erleben und beim Kultur schaffen behindert. „Ich tät´s Hospitalisation
nennen“, sagt sie.
„Das ist aber ein Fremdwort“, wirft Rolf Rathfelder ein.
„Was heißt das auf Deutsch und in einfacher Sprache, dass wir´s auch verstehen?“, fragt
Matthias Braun.
Franziska Schiller antwortet: „Dass wir einfach, wie Ihr´s gesagt habt, keinen Bock mehr
haben, was zu machen und uns dann im Haus immer im Kringel drehen.“.
http://vimeo.com/afuw/motivationsfragen
So ist das nach unserer Erfahrung teilweise, so ist es aber nicht immer.
Wir selbst und viele andere um uns herum tun einiges,
• damit wir herausfinden, was wir wollen und können
• und das auch anderen vermitteln
• und die vorhandenen Möglichkeiten des Kulturlebens entdecken
• und neue Möglichkeiten entwickeln – und das betrifft auch die Motivation und
die Kraft und die Sicherheit und die Orientierung und passende Bewegungsmittel
ebenso.
Viele öffentliche Verkehrsmittel passen aber noch nicht für alle und einige von uns
suchen Menschen, die sie unterwegs unterstützen.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Im Lauf der letzten Jahre haben wir immer wieder bei Begehungen und Befahrungen
mitgemacht, um unsere Perspektiven zu vermitteln.
Erst kürzlich organisierte der Landkreis in der Volkshochschule einen Fachtag zum
barrierefreien Planen und Bauen. Auch die Agentur für unschätzbare Werte war dabei.
„Dass die Kulturstätten barrierefrei sind und gut zugänglich ist wichtig“, meint Rolf
Rathfelder, als wir über die Weiterentwicklung der Kulturkonzeption sprechen.
Dafür bleibt noch viel zu tun.
Nicht selten liegt es am Geld, wenn jemand außen vor bleibt. Das betrifft unter
anderem die Eintrittspreise.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Die bisherigen Regelungen über Freikarten für Menschen mit wenig Geld helfen
ebenso weiter, wie zum Beispiel auch das Reutlinger Gutscheinheft und ermäßigte
Eintrittspreise für bestimmte Veranstaltungen.
Manchmal sind die Reglungen aber noch ziemlich kompliziert.
Aus manchen Bereichen des Kulturlebens ist man ohne viel Geld ausgeschlossen.
Stellvertretend für viele andere sagt Angelika Lotterer: „Es sollte halt auch so sein, dass
es für jedermann und für uns bezahlbar ist.“.
Verstehen und verstanden werden ist sehr wichtig, damit wir Kultur miterleben und
mitschaffen können.
Nach unserer Erfahrung kommen wir weiter, wenn wir eine angemessene Sprache
suchen und finden oder erfinden, wenn wir so sprechen und schreiben, dass wir uns
leichter verständigen können.
Das betrifft nicht nur die Verwendung von Fremdwörtern, sondern die Kommunikation
insgesamt.
„Kommunikation“ ist ein Fremdwort. Es kommt aus der lateinischen Sprache und es
bedeutet, dass man Wissen, Erfahrungen oder auch Gefühle austauscht.
Auch im Frühling und Sommer 2018 beschäftigen wir uns weiterhin mit dem Austausch
von Wissen, Erfahrungen und Gefühlen.
Wir helfen zum Beispiel bei der Entwicklung eines Stadt-Spiels für Reutlingen mit,
indem wir den Spielemacherinnen und Spielemachern unsere Perspektiven vermitteln.
Diese fließen dabei ebenso ein, wie die Perspektiven von vielen anderen Menschen.
Dazu gehören auch Menschen, die aus ihren Heimatländern flüchten mussten und jetzt
in Reutlingen leben.
Das Wort „Perspektive“ stammt ebenfalls aus der lateinischen Sprache.
„Das bedeutet Ansicht oder Aussicht“, erklärt Rolf Rathfelder.
Wenn wir unsere Ansichten austauschen, dann verändern wir dabei oft nicht nur
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
unsere Ansichten, sondern auch unsere Aussichten.
Salima Fellous arbeitet in der Volkshochschule an einem Mosaik. Dabei erzählt sie vom
Hamam. Das ist ein türkisches Bad. „Da sind die Fliesen auch mit Mosaik gemacht“,
sagt sie und fügt hinzu: „Das ist auch wunderschön.“.
Dann sieht man gleich nebenan Franziska Schiller bei der Arbeit mit Mosaiksteinen.
http://vimeo.com/afuw/mosaik
Unsere Aktionsforschung sehen wir wie eine Mosaik-Arbeit und die geht weiter.
Auch als das Projekt „Kultur ohne Ausnahme“ offiziell langsam zu Ende geht, vermitteln
wir weiter Geschichten von unterwegs – vom Mosaik-Projekt des Familienforums in
der Volkshochschule, von vielen anderen Mosaik-Arbeiten und von vielen aktuellen
Veranstaltungen. Dazu gehört wieder mal das Inter:Komm!-Fesival, es ist ja schließlich
schon wieder Sommer.
Warum er das Festival besucht, will Franziska Schiller da von einem Besucher wissen.
Er antwortet: „Weil meine Freundin wollte herkommen“. Dann erzählen der Mann und
seine Freundin, dass sie schon einmal da waren und dass es ihnen gut gefallen hat,
auch weil es das Festival unter freiem Himmel stattfindet.
„Was muss passieren in Reutlingen noch, damit´s ´ne Kultur ohne Ausnahme gibt, also
eine Kultur für alle?“, fragt Harald Sickinger.
„Dass schon alle zusammen sind, halli galli kann man sagen“, meint der Besucher und
erklärt, dass man das im Arabischen so sagt.
http://vimeo.com/afuw/halli-galli
Im Wasenwald wird den ganzen Sommer über Naturtheater gespielt.
https://vimeo.com/afuw/naturtheater
Auch einige von uns machen sich mit Kunst auf den Weg in die Natur
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Es ist Juli 2018.
„...wohin ich geh...“
Harald Sickinger: "Was hat´s mit dem Esel auf sich?“
Christine Fuchs: „Der begleitet mich in meinem Weg, wohin ich geh, das ist für mich
sehr wichtig“
Franziska Schiller: „Der guckt so gutmütig, wie der Sabine ihrer, hat aber viel Energie.“
Harald Sickinger; „Was hast Du gesagt, Franzi?“
Franziska Schiller: „Ich hab gesagt, dass der Christine ihr Esel Ruhe ausstrahlt, wie der
Sabine ihr Esel von den Bremer Stadtmusikanten, aber viel Energie hat.“
Harald Sickinger: „Und Du hast auch was gesagt, Kerstin, zum Esel.“
Kerstin Rilling: „Ich weiß gar nicht, was hab ich gesagt, dass er so viel Ausdruck hat,
dass es ein ganz eigener Christine-Esel geworden ist, dass die Christine zuerst gar keinen
selber machen wollt, weil sie gesagt hat, ich kann das gar nicht, gell, und dann sie eine
ganz eigene Form für ihren Esel gefunden hat und dann ist es so ein toller Esel
geworden. Und der geht auch ganz oft den Berg nauf, gell, der muss immer bergauf
gehen?“
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Christine Fuchs: „Mhm“
Flüstern aus der Runde: „Das ist wichtig“
Kerstin Rilling: „Das ist wichtig, ja, das haben wir auch festgestellt.“
Christine Fuchs: „Ja“.
Kerstin Rilling: „Und jetzt ist er auf der Alb, wie Du.“
Christine Fuchs: „Das erste Ziel auf der Alb.“
http://vimeo.com/afuw/esel
Bei der Fortsetzung unserer Aktionsforschung hilft jetzt auch unser gerade anlaufendes
Projekt „Andere Perspektiven!?“ weiter. Gefördert wird das von der Baden-
Württemberg-Stiftung.
In diesem Zusammenhang knüpfen wir an unsere bisherigen Aktionsforschungs-
Erfahrungen an, erkunden nun außer den Schätzen der Kultur auch die Schätze der
Natur und sind öfter im Biosphärengebiet Schwäbische Alb unterwegs. Wir gehen dem
nach, was uns weiterbringt und dafür beschäftigen wir uns mit Geschichten, die andere
Perspektiven vermitteln.
Vorhin hat Sabine Kramer vom Kulturbetrieb Schaffwerk schon das Märchen von den
Bremer Stadtmusikanten erzählt.
„Was hat das mit den 4 Häusern auf sich?“, fragt sie jetzt in die Runde und zeigt auf
eine gelbe Fahne. Sie hängt links von der weißen Fahne mit dem Esel drauf.
„Ja, das haben wir gedruckt in der Druckerei“, antwortet Eugen Blum und erzählt über
sein Motiv.
http://vimeo.com/afuw/4-haeuser
Die Fahne ist wie alle anderen bei unserer „Kultur ohne Ausnahme“-Arbeit im
Kunstmuseum entstanden.
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Kultur ohne Ausnahme!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018
Eugen Blum hat etwas zu seinem Motiv geschrieben:
„4 Häuser
Das Haus Nummer eins ist leer.
Das Haus Nummer zwei ist mit Menschen mit Handicap befülllt.
Das Haus Nummer drei ist mit Soldaten überfüllt.
Das Haus Nummer vier ist mit Traurigkeit überfüllt.
Alle 4 Häuser sind in der Seelsorge!!!!“
Wir stehen jetzt an einem steilen Abhang.
Eugen Blum: „Das ist hier natürlich eine sehr große Aussicht, also ich find´s sehr schön,
wie das ist, das passt zur Landschaft. Obwohl man muss hier bisschen aufpassen, dass
man jetzt nicht da runterrutscht, weil es etwas gefährlich sein kann.“.
„Ja, was würden Sie denn am liebsten da runter schreien?“, fragt Eugen Blum und zeigt
auf das Plakat, das wir im Kunstmuseum gemacht haben.
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So nimmt die Sache ihren Lauf...
http://vimeo.com/afuw/der-berg-ruft
.
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6 Nachwort
„Da sieht man Vergangenheit und Zukunft“
In unseren Filmaufnahmen aus der Anfangszeit 2015 finden wir ein Gespräch mit Sigrid
Müller.
Harald Sickinger:
„Wenn´s jetzt ein Sigrid-Müller-Museum geben tät, was wär da drin?“
Sigrid Müller:
„Oooooh...darf ich´s sagen, bist nicht bös?... da wär bestimmt die große Klappe drin.“
http://vimeo.com/afuw/sigrid-mueller-museum
Sie machte den Mund auf, wenn ihr etwas wichtig war.
Wichtig war ihr zum Beispiel das Denkmal auf dem Gustav-Werner-Platz, wo wir uns
immer wieder trafen.
Sie erklärte:
„Das Denkmal ist die Erinnerung an das Dritte Reich, weil man ja da auch aus der
Gustav-Werner Stiftung Leute, die noch namensmäßig bekannt sind, zur Deportation
abgeholt hat...Ich fühl mich doch dem angeschlossen, weißt Du, weil ich doch in der Zeit
gelebt hab.“.
Einmal brachte sie als Geschenk für uns ein selbstgemaltes Bild mit und wir stellten es
vorübergehend auf dem Sockel des Denkmals ab.
Harald Sickinger nahm das Smarthone, nahm die Szenerie auf und stellte eine Frage:
„Sigrid, was sieht man da? Was kann man da sehen, weil ich film´s jetzt?“
Ihre Antwort war: „Da sieht man Vergangenheit und Zukunft.“
Später schauten wir uns diese Aufnahmen zusammen an und sprachen weiter:
Sigrid Müller: „Man sieht die Vergangenheit und die Zukunft in einem und ich glaube,
die Vergangenheit ist genauso wichtig, wie die Zukunft.“
Harald Sickinger: „Was ist die Vergangenheit und was ist die Zukunft auf dem Bild?“
Sigrid Müller: „Die Zukunft ist mein jetziger Standpunkt der Kunst. Die Vergangenheit
ist das, was ich hinter mir habe, was in Not und Elend und sonst wie geendet hat.“
http://vimeo.com/afuw/vergangenheit-und-zukunft
Unsere Kollegin Sigrid Müller ist im Frühling 2017 gestorben.
Wir haben viel von ihr gelernt.
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Dieses Foto zeigt das selbstgemalte Bild von Sigrid Müller auf dem Sockel des Denkmals für die Opfer der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
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