Kultur ohne Ausnahme!?
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!?<br />
Aktions – Forschungs – Geschichten<br />
aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
In Kooperation mit dem Projekt
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Das ist ein Plakat über unsere Aktionsforschung in Kooperation mit dem Reutlinger Projekt KULTUR OHNE<br />
AUSNAME in den Jahren 2015 bis 2018.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Übersicht<br />
1 Eine Frage der Geschichte ........................................................................ 4<br />
2 Vorgeschichte .......................................................................................... 5<br />
3 Weitere Erfahrungen sammeln ............................................................... 13<br />
3.1 Wohin des Weges? ......................................................................................................... 13<br />
3.2 Unterwegs im Reutlinger <strong>Kultur</strong>leben............................................................................... 21<br />
4 Weitere Geschichten erkunden und vermitteln ...................................... 55<br />
4.1 Wie weiter? .................................................................................................................... 55<br />
4.2 Wo´s passt...................................................................................................................... 57<br />
4.3 Geschichten von unterwegs............................................................................................. 61<br />
5 Weitere Perspektiven entwickeln ........................................................... 74<br />
6 Nachwort ............................................................................................... 89<br />
Auf dem Foto sieht man die Aktionsforscher Matthias Braun (mit Klappe) und Thomas Geprägs (mit Mikro).<br />
Dieser Bericht mit Aktions – Forschungs – Geschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
wurde im Sommer 2018 zusammengestellt von der<br />
AfuW - Agentur für unschätzbare Werte<br />
gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt)<br />
Gönninger Straße 112<br />
72793 Pfullingen<br />
Telefon: 0151-10710576<br />
www.unschaetzbare-werte.de<br />
Geschäftsführer: Harald Sickinger<br />
Handelsregisternummer: HRB 748115<br />
Registergericht: Amtsgericht Stuttgart<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
1 Eine Frage der Geschichte<br />
„Geschichten sind wie Such- und Punktscheinwerfer; sie beleuchten Teile der Bühne,<br />
während der Rest im Dunkeln bleibt. Sie wären nicht wirklich nützlich, wenn sie die<br />
gesamte Bühne gleichmäßig erhellen würden.“.<br />
Das steht auf Seite 27 des Buches „Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der<br />
Moderne“. Dieses Buch handelt davon, wie Menschen in der modernen Welt aus dem<br />
gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt werden. Geschrieben wurde es im Jahr 2005 von<br />
Zygmunt Baumann.<br />
Die folgenden Aktions–Forschungs–Geschichten erzählen von Teilen aus unserem<br />
Aktions-Forschungs-Puzzle, die womöglich auch für andere nützlich sind.<br />
Sie beleuchten Perspektiven von Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, was es<br />
bedeutet, wenn man ausgegrenzt bzw. behindert wird.<br />
Mit Expertinnen und Experten aus eigener Erfahrung gehen wir der Frage nach, wie wir<br />
Barrieren abbauen oder überwinden können. Dabei erzählen unsere Geschichten auch,<br />
wie wir trotz vieler Barrieren zahlreiche Schätze im <strong>Kultur</strong>leben entdecken.<br />
Unsere Geschichten handeln davon, wie wir In Verbindung mit dem Projekt „<strong>Kultur</strong><br />
<strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ mehr als drei Jahre lang das kulturelle Leben in Reutlingen erkunden.<br />
Wir fragen zum Beispiel: Was ist eigentlich <strong>Kultur</strong>? Wo gibt es <strong>Kultur</strong>? Was hilft, damit<br />
alle dabei sein können? Werden Menschen daran gehindert, ihre Interessen und<br />
Talente zu verwirklichen? Wie können wir das <strong>Kultur</strong>leben so verändern, dass niemand<br />
mehr ausgeschlossen wird?<br />
Auf dem Foto sieht man Thomas Geprägs beim Interview mit einem Besucher des Musik-Festivals Inter:Komm!<br />
im Jahr 2017. Im Hintergrund an der Kamera steht Harald Sickinger. Foto: Alex Müller.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Wir stellen Fragen und setzen uns für Verbesserungen im <strong>Kultur</strong>leben ein. Das nennen<br />
wir Aktionsforschung.<br />
Meistens arbeiten wir dabei in kleinen Teams. Manchmal sind wir aber auch viele. Wir<br />
gehen unseren persönlichen Interessen und Talenten nach, erkunden <strong>Kultur</strong>-Orte und<br />
versuchen herauszufinden, wie´s für alle passt.<br />
Was wir erfahren, erzählen wir mit Hilfe von unterschiedlichen Medien weiter. Oft<br />
verwenden wir dabei Filmaufnahmen von unserer Aktionsforschung.<br />
Wenn wir auf diese Weise unsere Geschichten vermitteln, dann wollen wir dadurch<br />
zum Mitforschen und Mitmachen einladen.<br />
So kommen wir nach unserer Erfahrung weiter.<br />
2 Vorgeschichte<br />
„Was hältst Du davon, von <strong>Kultur</strong> für alle?“<br />
Im Sommer 2014 bekommt die Agentur für unschätzbare Werte von der Organisation<br />
BAFF aus Reutlingen eine Anfrage.<br />
BAFF steht für Bildung – Aktion – Freizeit – Feste und organisiert schon viele Jahre lang<br />
Aktivitäten mit vielen unterschiedlichen Menschen. Getragen wird BAFF von den<br />
Behindertenhilfeorganisationen BruderhausDiakonie und Lebenshilfe.<br />
Die Anfrage lautet, ob wir im Rahmen eines geplanten Projektes zusammenarbeiten<br />
wollen. Das Vorhaben heißt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“.<br />
BAFF hat zu diesem Zeitpunkt bereits einen Förderantrag bei Aktion Mensch gestellt<br />
und ein kleines Vorprojekt gestartet. Als weitere Partnerorganisationen sind bisher das<br />
<strong>Kultur</strong>zentrum franz.K, das <strong>Kultur</strong>amt der Stadt Reutlingen und die Volkshochschule<br />
Reutlingen dabei.<br />
Diese Kooperationspartner haben in der Vergangenheit bereits beim Festival „<strong>Kultur</strong><br />
vom Rande“ zusammengearbeitet. Sie wollen, dass gemeinsame <strong>Kultur</strong> von Menschen<br />
mit und <strong>ohne</strong> sogenannte Behinderung nicht nur während des Festivals, sondern<br />
immer zu erleben ist. Das Projekt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ soll dazu beitragen, dass<br />
<strong>Kultur</strong> für alle noch selbstverständlicher wird, in Reutlingen und darum herum.<br />
Wir vereinbaren, dass dabei auch die Agentur für unschätzbare Werte mitwirkt und so<br />
starten im Herbst 2014, während der Vorphase des Projektes, unsere ersten<br />
Aktionsforschungsversuche.<br />
Dabei entsteht unter anderem ein Film-Clip mit den folgenden Ausschnitten aus<br />
Straßeninterviews:<br />
Thomas Geprägs: „Was hältst Du davon, von <strong>Kultur</strong> für alle?“<br />
Passant 1: „Gut, find ich.“<br />
Passantin 2: „Für Kranke, oder?“<br />
Thomas Geprägs: „Ja, ja, für gesunde und für kranke Menschen.“<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Passantin 2: „Ja, würd ich sagen. Und auch für alle, die jetzt bei uns hier noch alle<br />
kommen und so, also das ist <strong>Kultur</strong>, dass man die alle aufnehmen tut, oder?“<br />
Rolf Rathfelder: „<strong>Kultur</strong> für alle!“<br />
Passantin 3: „Das ist prima.“<br />
Rolf Rathfelder: „Das ist gut?“<br />
Passantin 3: „<strong>Kultur</strong> am Rande!“<br />
Rolf Rathfelder: „Ja, so ähnlich.“<br />
Im zweiten Teil des Clips sieht man Markus Lemcke, wie er vor der Internetseite des<br />
Festivals „<strong>Kultur</strong> vom Rande“ 2014 sitzt. Es läuft ein Film mit unterschiedlichen<br />
Künstlerinnen und Künstlern, die bei dem Festival aufgetreten sind.<br />
Auf diesem Standbild sieht man Markus Lemcke und die Internetseite des Festivals „<strong>Kultur</strong> vom Rande“.<br />
Harald Sickinger: „Markus, diese Szenen, was bringen die für Dich zum Ausdruck?“<br />
Markus Lemcke: „Dass barrierefreie <strong>Kultur</strong> sehr unterschiedlich sein kann, dass es eben<br />
sehr viel unterschiedliche Menschen gibt, bei den Menschen mit Behinderungserfahrungen,<br />
die sehr viel unterschiedliche Fähigkeiten haben.“<br />
http://vimeo.com/afuw/kulturfueralle<br />
Markus Lemcke ist Experte für Barrierefreiheit im Bereich der elektronischen<br />
Datenverarbeitung.<br />
Thomas Geprägs und Rolf Rathfelder engagieren sich in Reutlingen im Arbeitskreis<br />
Selbstbestimmung. Das gilt auch für einige andere Bürger*innen, die jetzt bei unserer<br />
Aktionsforschung in Verbindung mit dem Projekt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ mitmachen.<br />
Namentlich sind das Frank Bakos, Matthias Braun und Angelika Lotterer.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Sowohl der Arbeitskreis Selbstbestimmung als auch Markus Lemcke waren vor einigen<br />
Jahren bereits an einem Film der Agentur für unschätzbare Werte gegen<br />
Diskriminierung beteiligt.<br />
Ausgegangen ist das Videoprojekt damals von einer Geschichte, die sich im Jahr 2010<br />
zugetragen hatte: Der Türsteher einer Reutlinger Disco verweigerte einem Mann den<br />
Zutritt und begründete das mit dessen Hautfarbe.<br />
Auf diesem Standbild aus unserem Film „...dass alle Menschen gleich sind...“ sieht man einen YouTube - Clip über<br />
den Diskriminierungsfall an der Disco-Türe. In unserem Film schaut Markus Lemcke die Szenen auf YouTube an.<br />
Er sagt, dass es seiner Meinung nach gut ist, wenn so etwas öffentlich gemacht wird.<br />
http://vimeo.com/afuw/ausschnitt-film-gegen-diskriminierung<br />
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Ausgrenzungen stattfinden. Wir wollen aber<br />
ein <strong>Kultur</strong>leben, wo alle ihre Interessen und Fähigkeiten verwirklichen können. Das<br />
motiviert uns zur Aktionsforschung in Reutlingen und darum herum.<br />
Im Herbst 2014 machen wir uns auf den Weg zu unserer ersten Besichtigungsaktion in<br />
der Reutlinger Stadthalle.<br />
„Und Action!“<br />
„Kamera läuft. Und Aktion!“, sagt der Kameramann Matthias Braun. Dann startet<br />
Thomas Geprägs am Computer das Straßeninterview seines Kollegen Rathfelder über<br />
<strong>Kultur</strong> für alle, <strong>Kultur</strong> vom Rande und die Stadthalle.<br />
Bei den Aufnahmen von der Besichtigung kommen Erinnerungen hoch.<br />
Der Film-Clip zeigt, wie Thomas Geprägs, Angelika Lotterer und Rolf Rathfelder auf die<br />
Erkundung mit dem Stadthallen-Manager Christoph Lang zurückblicken.<br />
https://vimeo.com/afuw/stadthalle<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Dazu gekommen sind die Beteiligten damals, nachdem sie im Freizeitprogramm der<br />
Organisation BAFF von unseren geplanten Aktionen gelesen hatten.<br />
Oben sieht man Matthias Braun bei seiner Arbeit als Kameramann.<br />
Das Bild unten zeigt Memory-Kärtchen, die an unseren ersten Besuch in der Stadthalle erinnern.<br />
„Wen von Euch kann man ansprechen,<br />
wenn ich oder meine Kollegen Unterstützung brauchen?“<br />
Markus Lemcke erklärt: „Zunächst geht´s eben darum, dass ... die Orte, wo <strong>Kultur</strong><br />
stattfindet, von den baulichen Bedingungen her barrierefrei sind, aber dass eben auch<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
das Personal darauf eingerichtet ist, dass Menschen mit Behinderungserfahrungen<br />
einfach individuelle Wünsche haben, was ...die Teilnahme an <strong>Kultur</strong> angeht.“.<br />
Anfang 2015 kommen im <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K einige Interessierte zusammen, um<br />
mit dem Geschäftsführer Andreas Roth hinter die Kulissen zu schauen.<br />
Auch bei dieser Aktion machen wir wieder Filmaufnahmen.<br />
Wir stellen Andreas Roth viele Fragen.<br />
Franziska Schiller will zum Beispiel wissen: „Wen von Euch kann man ansprechen, wenn<br />
ich oder meine Kollegen Unterstützung brauchen?“.<br />
Andreas Roth erklärt uns, dass es an der Eintrittskasse und an der Theke immer<br />
Menschen gibt, die weiterhelfen können.<br />
Der erste Kontakt von Franziska Schiller mit der Agentur für unschätzbare Werte hat<br />
sich in der Vorphase des Projektes bei einer Veranstaltung zum Thema Inklusion<br />
ergeben.<br />
Wir hatten zu diesem Zeitpunkt bereits unsere ersten Aktionsforschungserfahrungen<br />
beim Besuch in der Reutlinger Stadthalle gemacht.<br />
Weil hier noch keine Menschen dabei waren, die im Rollstuhl unterwegs sind, suchten<br />
wir bewusst nach Menschen mit diesbezüglichen Erfahrungen.<br />
Bei unserer Aktionsforschung im franz.K mischt auch Detlef Hartwig mit.<br />
Wie einige andere Mitwirkende, war er davor bereits bei unserem Aktionsforschungsfilm<br />
gegen Diskriminierung beteiligt.<br />
Im franz.K fragt Detlef Hartwig: „Wenn die Menschen jetzt reinkommen zur Tür und<br />
sagen: So, jetzt hab ich meine Eintrittskarte verloren. Wie können wir das lösen mit den<br />
Eintrittskarten?“.<br />
Andreas Roth erklärt, dass so etwas schon manchmal vorkommt und dass man in<br />
diesem Fall miteinander spricht. Meistens findet sich dann auch eine Lösung.<br />
http://vimeo.com/afuw/besichtigung-franzk<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Der Mann vom <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K sagt auch, dass wir ihm durch unsere Fragen<br />
wichtige Anregungen geben.<br />
Hier sieht man Andreas Roth während unserer Führung hinter die Kulissen im <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K.<br />
In der Folgezeit sind wir immer wieder bei Veranstaltungen im franz.K und im<br />
angrenzenden Cafe Nepomuk unterwegs.<br />
Zu diesen Veranstaltungen gehört auch ein Auftritt der Band „Station 17“. Hier machen<br />
Menschen mit und <strong>ohne</strong> Handicap zusammen Musik.<br />
Wir geben unsere Erfahrungen an Andreas Roth und an die anderen Partnerinnen und<br />
Partner des Projektes „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ weiter. Dafür nutzen wir Videoausschnitte<br />
von unseren ersten Erkundungen.<br />
Auch helfen wir bei der Vorbereitung einer Filmpräsentation im franz.K mit. Dabei geht<br />
es um das Thema „Inklusion weltweit“.<br />
„<strong>Kultur</strong> ist alles,<br />
wo man auf eine bestimmte Sache aufmerksam macht.“<br />
Immer wieder sind wir außerdem im Schaffwerk aktiv.<br />
Das ist ein altes Haus in Pfullingen.<br />
Hier sammelte ein Mann aus Pfullingen viele alte Dinge und manche formte er um.<br />
Im Jahr 2010 starb dieser Mann.<br />
Das Haus und die vielen Dinge darin erbte seine Tochter.<br />
Jetzt entsteht aus diesem Erbe nach und nach ein lebendiges Museum.<br />
Dabei helfen wir mit.<br />
Es beginnt bei einem Gespräch mit der Hauseigentümerin Sabine Kramer im Frühling<br />
des Jahres 2015.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Weil das Haus bisher mit größeren E-Rollstühlen gar nicht zugänglich ist, besorgt<br />
Franziska Schiller einen Falt-Rollstuhl zum Umsteigen.<br />
http://vimeo.com/afuw/faltrolli<br />
Am 28. April 2015 erscheint im Reutlinger Generalanzeiger ein Artikel über die<br />
Entwicklungen in dem Haus.<br />
Hier sieht man unter anderem, dass auch Aktionsforscherinnen und Aktionsforscher<br />
mit Behinderungserfahrungen mitarbeiten.<br />
Das ist ein Foto mit Bildunterschrift aus dem Artikel der Journalistin Patricia Kozjek:<br />
Der ganze Artikel: https://www.yumpu.com/s/6FDo5zGkmeAEbXTx<br />
Bei Rundführungen durch das Haus kann man Sagen und Märchen hören. In der<br />
Scheune erzählt Sabine Kramer das Märchen über die Bremer Stadtmusikanten:<br />
„Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre treu gedient, dessen Kräfte<br />
aber nun zu Ende gingen, so dass er zur Arbeit immer untauglicher war. Da wollt´ ihn<br />
der Herr aus dem Futter schaffen, aber der Esel merkte, dass kein guter Wind wehte,<br />
lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen; dort, dachte er, kannst Du ja<br />
Stadtmusikant werden...“.<br />
Sigrid Müller, die älteste Mitwirkende in unserem Aktionsforschungsteam, denkt bei<br />
dieser Geschichte an eine andere Geschichte. Wir sitzen in der Schaffwerk-Scheune.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Sigrid Müller sagt, dass im Dritten Reich die Menschen aussortiert worden sind und<br />
fügt hinzu: „Damit fängt es an, das einsam werden, wenn jemand sagt: Dich brauch ich<br />
doch nicht mehr, was kannst denn Du? Und für mich ist es ganz schlimm, wenn ich nach<br />
meinem Beruf gefragt werde. Ich muss drauf schreiben: Ungelernte Arbeiterin. Und im<br />
Grund genommen stimmt das gar nicht.“.<br />
Die 77jährige Sigrid Müller macht bereits seit der Stadthallenbesichtigung bei unserer<br />
Aktionsforschung mit. Dazu gekommen ist sie durch ihren Kontakt mit Peter Föll. Das<br />
ist ein Mitarbeiter der BruderausDiakonie, der uns beim Start unserer<br />
Aktionsforschung unterstützt hat.<br />
„Was ist eigentlich <strong>Kultur</strong>?“ fragen wir uns in der Anfangsphase immer wieder.<br />
Sigrid Müller antwortet: „<strong>Kultur</strong> ist alles, wo man auf eine bestimmte Sache<br />
aufmerksam macht.“. Andere ergänzen: Museen, Theater, Musik. „Alles was schön ist“,<br />
sagt Angelika Lotterer. „Alles was Spaß macht“, fügt Rolf Rathfelder hinzu.<br />
Wir stellen auch die Frage: „Was ist dann eigentlich keine <strong>Kultur</strong>?“.<br />
Angelika Lotterer meint: „Wenn man über einen bestimmt, was man tun muss.“.<br />
Schlechtes Benehmen, Gewalt und Krieg, sind weitere Stichworte, die wir sammeln.<br />
Dann meldetet sich Sigrid Müller und erklärt eindringlich, dass es auch keine <strong>Kultur</strong> ist,<br />
wenn man sich an die Geschichte gar nicht erinnert.<br />
In einer unserer Filmaufnahmen zeigt Sigrid Müller einen Stoffdruck. Den hat sie bei<br />
ihrer Arbeit in der sogenannten TSA gemacht. Das ist eine Abkürzung und bedeutet<br />
tagesstrukturierende Angebote.<br />
Sigrid Müller: „Da sieht man die Kunst des Stoffdruckens einer 77jährigen Künstlerin.<br />
Eigentlich fällt mir das jetzt schwer zu sagen Künstlerin, weil ich als junger Mensch ja<br />
nur, wenn ich´s mal ganz gemein sagen darf, der Abfall war,...der nie was konnte...“.<br />
http://vimeo.com/afuw/kunst-des-stoffdruckens<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
3 Weitere Erfahrungen sammeln<br />
Im Lauf des Frühlings wird klar, dass die Stiftung Aktion Mensch das Projekt „<strong>Kultur</strong><br />
<strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ ab dem Sommer 2015 drei Jahre lang fördern wird.<br />
Elisabeth Braun und Rosemarie Henes übernehmen die Projektleitung. Markus Christ<br />
beginnt im <strong>Kultur</strong>büro mit vielfältigen Vernetzungsaktivitäten. Mit der Agentur für<br />
unschätzbare Werte wird eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Unsere<br />
Aktionsforschung soll bis zum Sommer 2018 weitergehen. Die Verantwortung hierfür<br />
übernimmt Harald Sickinger Die Vorphase des Projekts ist zu Ende, jetzt geht´s so<br />
richtig los.<br />
Faltblatt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“: https://www.yumpu.com/s/9WyplPXdxLRkCUqT<br />
3.1 Wohin des Weges?<br />
„Was hört Ihr Euch sonst für Musik an?“<br />
Die Kamera filmt einen Ordner. Darauf steht geschrieben: „Verschiedene<br />
Musikgruppen M. Braun“.<br />
Harald Sickinger : „Was ist das, Matze, was man da sieht?“<br />
Matthias Braun: „Verschiedene Musikgruppen“<br />
Harald Sickinger: „Die hast Du da gesammelt, oder?“.<br />
Daraufhin klappt der Experte aus eigener Erfahrung und Mit-Aktionsforscher seinen<br />
Musik-Ordner auf. Den hat er extra mitgebracht, um ihn zu zeigen.<br />
Auf der ersten Seite sieht man einen Veranstaltungshinweis. Es geht dabei um ein<br />
schon länger zurückliegendes Konzert des Liederkranzes Reudern: Das<br />
Weihnachtsoratorium von Heinrich Fidelis Müller.<br />
Matthias Braun erklärt: „Es ist das Mitteilungsblatt von daheim, wo ich gebürtig her<br />
komm.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/musikordner<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
In einem Orgelkonzert in Reutlingen war Matthias Braun bisher noch nie. Als wir aber<br />
im Sommer 2015 überlegen, ob und wie wir die lange Orgelnacht erforschen könnten,<br />
da ist er gleich dabei.<br />
Am 15. August von 20 Uhr bis 24 Uhr wird an drei Orgeln gespielt und der<br />
Beleuchtungsmeister Holger Herzog lässt die Kirche mit rund hundert Scheinwerfern<br />
in einem ganz besonderen Licht erscheinen. Mit ihm verabreden sich Matthias Braun,<br />
Thomas Geprägs und Harald Sickinger schon zwei Stunden vor Beginn der<br />
Veranstaltung.<br />
Hier erklärt Holger Herzog (links) den Aktionsforschern Matthias Braun (in der Mitte) und Thomas Geprägs<br />
gerade, wie er die Scheinwerfer steuert.<br />
In unseren Filmaufnahmen findet sich unter anderem diese Gesprächspassage:<br />
Holger Herzog: „Ja, und jetzt habt Ihr Euch ein Orgelkonzert rausgesucht?“<br />
Thomas Geprägs: „Ja.“<br />
Matthias Braun: „Mhm.“<br />
Holger Herzog: „...was hört Ihr Euch sonst für Musik an...?“<br />
Thomas Geprägs: „Alles.“<br />
Holger Herzog: „Alles?“<br />
Matthias Braun: „Ich auch.“<br />
Holger Herzog: „Alles?“<br />
Matthias Braun: „Mhm“<br />
Holger Herzog: „Ah“<br />
Thomas Geprägs: „...Volksmusik, Country bissle“.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Mathias Braun: „Truck...“<br />
Thomas Geprägs: „Truck Stop kennst Du?“<br />
Matthias Braun: „Sagt Dir Truck Stop was?<br />
Holger Herzog: „Truck Stop? Ja, ja, ja. Ja. Ja.“<br />
Matthias Braun: „...Hansestadt Hamburg“.<br />
http://vimeo.com/afuw/was-hoert-ihr<br />
Im Musikordner von Matthias Braun gibt´s weiterführende Informationen über die<br />
Musikgruppe aus der Hamburger Gegend. Das zeigt er uns, als wir an einem anderen<br />
Tag im Pfullinger Schaffwerk zusammensitzen.<br />
„Der wilde, wilde Westen fängt gleich hinter Bernloch an“, sagt Matthias Braun dabei.<br />
„Wer singt das?“, fragt Harald Sickinger.<br />
„Truck Stop singt das“, antwortet Detlef Hartwig.<br />
Er ist ein Freund von Matthias. Immer wieder unternehmen die beiden etwas<br />
zusammen. Zum Beispiel spielen sie gemeinsam Tischtennis.<br />
„Dass die Leute bissle Spaß haben oder dass sie bisschen rumlaufen<br />
können, also das ist für mich, sag ich mal, <strong>Kultur</strong>nacht“<br />
Auf diesem Standbild aus unseren Filmaufnahmen sieht man rechts Detlef Hartwig. Hier erkundet er gerade mit<br />
anderen Aktionsforschern die Reutlinger <strong>Kultur</strong>nacht.<br />
Es ist der 26. September 2015, wir sind bei der Reutlinger <strong>Kultur</strong>nacht unterwegs.<br />
Detlef Hartwig sagt: „Dass die Leute auch bissle Spaß haben oder dass sie bisschen<br />
rumlaufen können, also das ist für mich, sag ich mal, <strong>Kultur</strong>nacht.“.<br />
Heute erleben wir eine Musikmaschine in der Wilhelmstraße, ein Kabarett im<br />
Matthäus-Alber-Haus, Kurzfilme im neuen Kino Kamino und ein Konzert von „Tante<br />
Friedas Jazzkränzchen“ in der Buchhandlung Osiander.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Dass wir eine Band gesehen haben, erzählt Detlef Hartwig später in seinem Wohnheim,<br />
„also Schlagzeug, Saxophone, Klarinette, je nachdem, und es war ja auch, ja, s´war auch<br />
gut. Teils hat´s die Frau n´ bisschen angestrengt mit Schlagzeug spielen. Der ist schier<br />
der Arm eingeschlafen, wahrscheinlich, so wie´s aussieht. Aber es war ja nicht<br />
eingeschlafen.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/kulturnacht<br />
Im <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K, in der Volkshochschule und in der Stadtbibliothek läuft an<br />
diesem Tag ein Film von uns. Besucherinnen und Besucher der <strong>Kultur</strong>nacht erfahren<br />
dadurch, dass wir das <strong>Kultur</strong>leben erkunden und unsere Erfahrungen weitergeben.<br />
http://vimeo.com/afuw/koa-einfuehrung<br />
Auch bei anderen Gelegenheiten zeigen wir nun schon ziemlich oft Filmaufnahmen und<br />
erzählen von unterwegs. Das machen wir zum Beispiel bei einer großen Projekt-<br />
Auftaktveranstaltung im franz.K.<br />
Zeitungsartikel: https://www.yumpu.com/s/kyIUH1m58zT3lNEv<br />
Weitere Anlässe für unsere Präsentationen sind im Herbst und Winter 2015 unter<br />
anderem Treffen mit Leitungspersonen der BruderhausDiakonie, die Mitgliederversammlung<br />
des Vereins Lebenshilfe, eine Feier mit den Aktiven von BAFF und eine<br />
Zusammenkunft von Reutlinger <strong>Kultur</strong>schaffenden. Diese Zusammenkunft nennen sie<br />
„Runder Tisch <strong>Kultur</strong>“.<br />
„Mir ist aufgefallen, solang ich in dem Projekt unterwegs bin, dass<br />
manche Leut in der <strong>Kultur</strong> geschätzt werden und andere nicht<br />
und ich frag die Hörer dieser Filmaufnahmen, warum das so ist?“<br />
Diese Aufnahme zeigt die Aktionsforscherinnen Sigrid Müller (links) und Franziska Schiller (rechts) beim<br />
Reutlinger Heimatmuseum<br />
Sigrid Müller und Franziska Schiller berichten vom Besuch einer Ausstellung im<br />
Heimatmuseum. Es geht um die Kindertagesstätte im Reutlinger Gmindersdorf. Diese<br />
Kita gibt´s seit hundert Jahren.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„An meine Kindheit erinnern mich hier viele, viele Dinge“, sagt Sigrid Müller.<br />
Dazu gehören Spielsachen oder auch Bücher wie „Die Hasenschule“ oder „Der<br />
Struwelpeter“. In diesem Buch gibt es eine Figur, die Suppenkasper heißt.<br />
„Es war eigentlich immer auch in der behüteten Wohngemeinschaft, dass solche<br />
Vorbilder dann benützt wurden als Abschreckung“, erzählt die Aktionsforscherin, die<br />
seit rund fünfzig Jahren in W<strong>ohne</strong>inrichtungen für behinderte Menschen wohnt, „wenn<br />
ich mal meinen Teller nicht leer essen wollte, hieß es gleich: Willst Du so werden wie<br />
der Suppenkasper im Struwelpeter, der gestorben ist, weil er nicht mehr gegessen<br />
hat?“. Dann erklärt sie: „Wenn ich solch eine Ausstellung seh, wie diese hier, dann weiß<br />
ich, dass diese Situation schon viel viel früher begonnen hat, als wie das, was ich in<br />
meinem Leben erfahren durfte.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/kita-gmindersdorf<br />
„Für Leut, die sich mit der Vergangenheit beschäftigen, tät ich´s empfehlen“, sagt<br />
Franziska Schiller, „aber bringt jemand mit zum lesen bzw. das Gesehene zu<br />
verarbeiten.“.<br />
Aus ihrem Blickwinkel sind viele Beschriftungen nicht lesbar. Auch gibt es aus ihrer<br />
Sicht einigen Gesprächsbedarf.<br />
Franziska Schiller schaut sich in der Dauerausstellung des Heimatmuseums um. Sie<br />
sieht, wie bestimmte Persönlichkeiten hier gewürdigt werden und sagt: „Mir ist<br />
aufgefallen, solang ich in dem Projekt unterwegs bin, dass manche Leut in der <strong>Kultur</strong><br />
geschätzt werden und andere nicht und ich frag die Hörer dieser Filmaufnahmen,<br />
warum das so ist?“.<br />
Unser Video-Ausschnitt zeigt, wie sich das Markus Lemcke und Harald Sickinger am<br />
Computer anschauen.<br />
http://vimeo.com/afuw/eine-frage-der-wertschaetzung<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Wie die Erfahrungen, Eigenschaften, Fähigkeiten und Leistungen jedes Menschen<br />
anerkannt werden können, das scheint uns eine wichtige Frage zu sein. Dem wollen<br />
wir bei unserer Aktionsforschung weiter nachgehen.<br />
Wir machen die Erfahrung, dass manches als <strong>Kultur</strong> gilt und manches nicht. Bei unserer<br />
Aktionsforschung erleben wir immer wieder, dass auch Menschen ihre <strong>Kultur</strong>erfahrungen<br />
einbringen wollen, die ansonsten nicht gefragt sind.<br />
Auf dieser Grundlage schreibt Harald Sickinger ein Arbeitspapier zur Beteiligung von<br />
Bürger*innen mit Behinderungserfahrungen:<br />
https://www.yumpu.com/s/F19Q8AgiKprPR0CO<br />
In den ersten Monaten unserer Aktionsforschung haben wir eine Vorgehensweise<br />
entwickelt, die damit beginnt, dass wir nach den individuellen Interessen, Stärken und<br />
bisherigen Erfahrungen der Mitwirkenden fragen. Dafür gehen wir auch an Orte, die<br />
für sie bedeutsam sind und wir sprechen mit Personen aus ihrem Umfeld. Manchmal<br />
kennen die zum Beispiel Stärken der Mitwirkenden, die ihnen selbst gar nicht so<br />
bewusst sind.<br />
Oben sieht man zum Beispiel Franziska Schiller, als sie gerade bei ihrem Arbeitsplatz an der Kasse in einem<br />
Buchladen der LWV Eingliederungshilfe angekommen ist. In dem Laden gibt´s auch Wolle zu kaufen.<br />
Auf dem Bild unten steht Thomas Geprägs bei den Traktoren auf dem Hofgut Gaisbühl der BruderhausDiakonie.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Frank Bakos arbeitet ebenfalls in der Landwirtschaft. „Das ist auch <strong>Kultur</strong>“, sagt er.<br />
In seinem Zimmer zu Hause hängt ein Plan an der Wand. Was man da sieht, fragt ihn<br />
Harald Sickinger. „Tanzkurs, Fußmassage und Musik, Arbeitskreis“, antwortet Frank<br />
Bakos. Damit meint er den Arbeitskreis Selbstbestimmung, wo er sich schon Jahre<br />
lange für Menschen mit Handicap einsetzt.<br />
Manchmal hilft er in seiner Freizeit auch beim Westbahnhof mit. Dort werden Teile<br />
einer alten Bahn restauriert.<br />
Hier sieht man Frank Bakos beim Reutlinger Westbahnhof.<br />
Wir gehen bei unserer Aktionsforschung von unserem persönlichen Standpunkt aus<br />
und dann erweitern wir Schritt für Schritt unseren Horizont.<br />
„Man muss auch mal über den Tellerrand rausschauen“<br />
Ende 2015 machen wir eine Weiterbildungsreise nach Hamburg und bereiten Praktika<br />
vor.<br />
Man müsse auch mal über den Tellerrand rausschauen, erklärt Franziska Schiller. „Ich<br />
will doch nicht dumm sterben“, meint sie, als wir uns über eine bevorstehende Tagung<br />
in Hamburg unterhalten. Zusammen mit Markus Christ vom <strong>Kultur</strong>büro von „<strong>Kultur</strong><br />
<strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ und den Aktionsforschern Matthias Braun und Harald Sickinger reist<br />
sie dorthin, um zu erfahren, wie die Organisation „Leben mit Behinderung“ in Hamburg<br />
<strong>Kultur</strong>begleitungen organisiert.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Es wird eine abenteuerliche Tour, mit einigen Hindernissen im Hamburger S-Bahn-<br />
Verkehr und bei der Veranstaltung selbst, wo nicht alles für alle verständlich ist.<br />
Die Veranstalter haben einen Film über die Tagung drehen lassen. Ein Video von uns<br />
zeigt, wie wir diesen Tagungs-Film anschauen. Ungefähr in der Mitte unseres Videos<br />
sieht man Matthias Braun, wie er eingeschlafen ist. „Weil es war auch zum einnicken“,<br />
sagt er und erklärt: „Weil die haben Fremdwörter benutzt und keine einfachen.“<br />
Nicht nur wir, sondern auch die Veranstalter lernen Schritt für Schritt dazu. Dafür<br />
geben wir unsere Erfahrungen an sie weiter.<br />
http://vimeo.com/afuw/rueckblick-tagung-hamburg<br />
Franziska Schiller sagt, dass sie manche Anregungen aus Hamburg in Reutlingen<br />
umsetzen will. Sie möchte, dass noch mehr Menschen mit und <strong>ohne</strong> Handicap<br />
zusammen weggehen und miteinander <strong>Kultur</strong> erleben.<br />
Auch bei unserer Reise in den Norden haben wir viel erlebt. Einen Eindruck davon gibt<br />
ein kurzer Clip mit ausgewählten Bildern. Es beginnt mit einer Szene, in der Franziska<br />
Schiller nicht in die S-Bahn einsteigen kann, weil der Einstieg zu hoch ist. Man sieht<br />
außerdem, wie sie mit ihrer Assistentin und den Kollegen auf der Reeperbahn<br />
unterwegs ist, wie wir zusammen einen Club besuchen, ein Feuerwerk entdecken, den<br />
Hamburger Hafen natürlich auch und bei der Heimfahrt isst Matthias Braun noch ein<br />
Franzbrötchen. Das ist einem Hamburger Spezialität.<br />
http://vimeo.com/afuw/impressionen-hamburg-reise<br />
Auf diesem Foto sieht man Franziska Schiller, Matthias Braun und die Assistentin Sina Stosch im Hafen.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
3.2 Unterwegs im Reutlinger <strong>Kultur</strong>leben<br />
„... und hier im Praktikum ist er guter Computerspezialist“<br />
Ab Januar 2016 arbeiten eine Praktikantin und fünf Praktikanten regelmäßig einen<br />
Arbeitstag in der Woche als Aktionsforscherin bzw. Aktionsforscher bei der Agentur für<br />
unschätzbare Werte mit. Möglich ist das durch entsprechende Vereinbarungen mit den<br />
Werkstätten für behinderte Menschen der BruderhausDiakonie und der LWV<br />
Eingliederungshilfe.<br />
Praktikumsbeschreibung: https://www.yumpu.com/s/RoaecmDsGWkBHg7p<br />
Hier sieht man Frank Bakos und Thomas Geprägs beim Aufgang zu unserem Büro im <strong>Kultur</strong>amt.<br />
Montags treffen sich Frank Bakos, Thomas Geprägs, Rolf Rathfelder und Harald<br />
Sickinger in einem Raum des <strong>Kultur</strong>amtes im Spitalhof. Das liegt mitten in der Stadt.<br />
Von hier aus<br />
Matthias Braun, Detlef Hartwig, Franziska Schiller und Harald Sickinger richten derweil<br />
in der Hermann-Kurz-Straße vorübergehend ein weiteres Aktionsforschungszentrum<br />
ein. Das liegt etwas weiter außerhalb. Dafür sind diese Räumlichkeiten im Unterschied<br />
zu unserem Büro im <strong>Kultur</strong>amt auch für Menschen zugänglich, die im Rollstuhl<br />
unterwegs sind.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
In Filmaufnahmen kann man sehen, wie Franziska Schiller mit Hilfe einer elektrischen<br />
Rampe zu unserem Treffpunkt gelangt.<br />
http://vimeo.com/afuw/elektrische-rampe<br />
Hier sind Detlef Hartwig und Franziska Schiller im Büro mit der Sichtung von Filmaufnahmen beschäftigt.<br />
Wir beschäftigen uns jetzt viel mit der Frage, wie wir unsere Stärken gut einsetzen und<br />
weiterentwickeln können. In einem Ausschnitt aus unserem Videotagebuch sieht man<br />
zum Beispiel, wie Franziska Schiller über ihren Kollegen Detlef Hartwig sagt: „Also ich<br />
hab´ Detlef kennengelernt als Fachmann für Stadtführung“.<br />
Im Computer schauen wir gerade Aufnahmen an, die bei Detlef Hartwig zu Hause<br />
entstanden sind.<br />
„Ich kann´s ja mal zeigen kurz“, hört man ihn sagen und man sieht, wie er sein<br />
Stadtführerleibchen vorführt und auch seinen gelben Stadtführer-Regenschirm.<br />
Franziska Schiller fällt aber spontan noch eine weitere Stärke von Detlef Hartwig ein:<br />
„...hier im Praktikum ist er guter Computerspezialist.<br />
„Und er ist auch guter Dinge“, fügt Matthias Braun hinzu.<br />
http://vimeo.com/afuw/staerken-erkunden<br />
Detlef Hartwig selbst sieht seine Stärken außerdem bei der Unterstützung von<br />
Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern. Zum Beispiel klappt er in der Buslinie 81 die<br />
Rampe aus und ein.<br />
„...sind wir ganz enttäuscht wieder raus, weil sie zu teuer waren.“<br />
„Wir waren noch im Konzertbüro und haben einiges gefragt, ob es Karten gibt für die<br />
Otto – Veranstaltung und was die kosten.“, berichtet Rolf Rathelder in einem anderen<br />
Ausschnitt aus unseren Aufzeichnungen aus der Anfangszeit des Praktikums.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Es geht um einen Auftritt des Komikers Otto in der Reutlinger Stadthalle. „Dann sind<br />
wir ganz enttäuscht wieder raus, weil sie zu teuer waren“, erzählt der Praktikant weiter.<br />
Harald Sickinger fragt, was die Karten kosten. „46 Euro“, antwortet Rolf Rathfelder.<br />
Wenn wir im <strong>Kultur</strong>leben unterwegs sind, stoßen wir nicht nur an bauliche Barrieren<br />
oder auf Probleme mit der Verständigung. Immer wieder hat das, was jemand am<br />
Besuch einer <strong>Kultur</strong>veranstaltung hindert, auch mit dem Eintrittspreis zu tun.<br />
Manchmal hilft nach unseren Erfahrungen in solchen Fällen das Reutlinger<br />
Gutscheinheft weiter. Manche Personen können zumindest einen Teil des Eintritts<br />
nicht mit Geld, sondern mit Gutscheinen bezahlen. Teilweise gibt es außerdem schon<br />
von vorneherein eine Ermäßigung für Menschen mit sogenannten Behinderungen und<br />
für andere Personengruppen.<br />
Im Lauf des Praktikums erforschen wir darüber hinaus noch eine weitere Möglichkeit,<br />
um finanzielle Barrieren zu überwinden. Das ist die Reutlinger <strong>Kultur</strong>pforte.<br />
„Rüdiger Weckmann“, sagt Matthias Braun, während er am Computerbildschirm auf<br />
ihn zeigt. „Er ist der Vorsitzende der <strong>Kultur</strong>pforte“, fügt Matthias Braun hinzu. Links<br />
daneben sieht man ihn selbst, Markus Christ und Detlef Hartwig. Rechts verdeckt seine<br />
Hand gerade Franziska Schiller.<br />
Franziska Schiller fragt Rüdiger Weckmann in dem Video: „Können Sie uns bitte<br />
erzählen, was das nochmal genau ist mit der <strong>Kultur</strong>pforte?“. Harald Sickinger schwenkt<br />
die Kamera auf Rüdiger Weckmann. „Also die <strong>Kultur</strong>pforte ist ein Verein, der sich an die<br />
<strong>Kultur</strong>veranstalter in Reutlingen gewandt hat mit der Bitte, Freikarten für Menschen<br />
mit geringen Einkommen zur Verfügung zu stellen.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/erkundung-kulturpforte<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Wenn man wenig Geld hat, kann man bei der <strong>Kultur</strong>pforte Gast werden und Gäste<br />
können Freikarten für eine ganze Reihe von Veranstaltungen bekommen. Das<br />
probieren wir aus.<br />
Zuerst muss man mit einem Formular zu einem Wohlfahrtsverband gehen und dort<br />
nachweisen, dass man wenig Geld hat. Dann bekommt man eine Bescheinigung und<br />
kann sich damit für ein Jahr als Gast bei der <strong>Kultur</strong>pforte registrieren lassen.<br />
Wir waren beispielsweise bei der Arbeiterwohlfahrt und bei der Diakonie, um das zu<br />
testen. Das war mit einigem hin und her verbunden. Aber es hat geklappt und ganz<br />
nebenbei haben wir auch noch freundliche Leute von den beiden Wohlfahrtsverbänden<br />
kennengelernt und über unsere Aktionsforschung informiert.<br />
Hier sieht man Herbert Mang von der Arbeiterwohlfahrt mit Thomas Geprägs und Frank Bakos.<br />
Es gibt viele Begegnungen bei unserer Aktionsforschung. Wenn wir Leute treffen, dann<br />
tauschen wir Erfahrungen aus. Das machen wir beim Bäcker, im Konzertbüro, in der<br />
Touristeninformation, in Ämtern, an verschiedenen <strong>Kultur</strong>-Orten und auf öffentlichen<br />
Plätzen. Oft machen wir dabei auch Film- oder Fotoaufnahmen<br />
„...und dann haben wir auch geschwätzt über <strong>Kultur</strong>.“<br />
„Das war montags“, sagt Thomas Geprägs. Er hat eine Memorykarte über unsere<br />
Aktionsforschung in der Hand. Darauf sieht man ihn mit zwei Männern auf dem<br />
Marktplatz stehen. Alle haben Papiere in der Hand. „Da haben wir welche getroffen<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
von der IG Metall“, erklärt er. „Da hab´ ich gefragt: Was macht Ihr? Dann haben wir<br />
geschwätzt und dann hat er gesagt er ist IG Metall und dann haben wir auch geschätzt<br />
über <strong>Kultur</strong>.“.<br />
Mit einem der beiden Männer haben wir ein kurzes Interview geführt.<br />
„Was muss in Reutlingen passieren, damit es für alle Leute gut ist?“, fragt Thomas<br />
Geprägs.<br />
Sein Gesprächspartner fragt zurück, ob er „Du“ sagen kann und nachdem Thomas<br />
Geprägs das bejaht, sagt der Mann: „Du hast ja am Anfang gesagt zum Beispiel diese<br />
Barrierefreiheit. Natürlich also alle Menschen sollten, ich hab´s ja auch vorhin, am<br />
Anfang erwähnt, Platz finden in dieser Stadt und da gibt´s auch Platz für alle. Also ich<br />
versteh nicht, dass manche Menschen denken müssen immer, Fremde ist immer<br />
Gefahr, sagt der Mann, der Betriebsrat bei einer großen Reutlinger Firma ist. Dann zeigt<br />
er uns Postkarten der Industriegewerkschaft Metall gegen Diskriminierung.<br />
http://vimeo.com/afuw/infostand-igmetall<br />
Hier sieht man einige Memory-Karten von unserer Aktionsforschung. Sie liegen auf dem Reutlinger Stadtplan.<br />
Über die Geschichte der IG Metall in Reutlingen erfahren wir zu einem späteren<br />
Zeitpunkt noch mehr, als wir die Ausstellung „Gute Arbeit – gutes Leben“ im<br />
Heimatmuseum anschauen. Sie handelt davon, wie Beschäftigte von hiesigen Betriebe<br />
sich seit mehr als hundert Jahren für gute Arbeits- und Lebensbedingungen einsetzen.<br />
Uns bringt das unter anderem wieder zur Frage zurück, was jeder und jede von uns<br />
gerne macht und gut kann.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Völlig losgelöst von der Erde“<br />
Thomas Geprägs und Frank Bakos sitzen in unserem Büro im <strong>Kultur</strong>amt. Sie schauen<br />
sich einen Ausschnitt aus dem Videotagebuch des Freitags-Teams an, das sich in der<br />
Hermann-Kurz-Straße trifft. In dem Video sehen sie Matthias Braun und Detelf Hartwig.<br />
Die stehen neben unserer Litfaß-Säule, auf der wir Infos befestigen, die wir uns merken<br />
wollen. Die beiden singen freudestrahlend: „Völlig losgelöst von der Erde, schwebt das<br />
Raumschiff völlig schwerelooooooos.“. Thomas Geprägs klatscht Beifall.<br />
http://vimeo.com/afuw/nach-dem-konzert<br />
Die Begeisterung der beiden wirkt ansteckend. Das zeigt sich zum Beispiel auch, als<br />
Matthias Braun und Harald Sickinger diese Szenen bei einer Konferenz von Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern im Sozialdienst der Werkstatt für behinderte Menschen<br />
vorführen.<br />
Die Gesangseinlage gehört zum Bericht von Matthias Braun und Detlef Hartwig über<br />
ein Konzert von Peter Schilling im <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K und der Text stammt aus<br />
seinem berühmten Lied „Major Tom“.<br />
Die unterschiedlichen Aktionsforscherinnen und Aktionsforscher besuchen<br />
unterschiedliche Veranstaltungen bzw. <strong>Kultur</strong>-Orte, je nachdem, was zu den eigenen<br />
Interessen passt. Manche von uns sind jetzt als Gäste bei der <strong>Kultur</strong>pforte registriert<br />
und bekommen Freikarten für manche Veranstaltungen. Manche <strong>Kultur</strong>angebote sind<br />
aber auch <strong>ohne</strong> <strong>Kultur</strong>pforte zugänglich, weil gar kein Eintritt verlangt wird.<br />
Auf dem Bild unten sieht man Frank Bakos und Thomas Geprägs bei Filmaufnahmen in<br />
einer Fotoausstellung. Das ist im Gebäude der Volksbank am Reutlinger Marktplatz im<br />
2. Stock.<br />
Wir denken, dass man wissen sollte, dass man dorthin nur über Treppen kommt. Es<br />
gibt nämlich keinen Aufzug. Darüber sprechen wir auch mit einer Mitarbeiterin der<br />
Volksbank.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„...oben im ersten Stock war ein Workshop über einfache Sprache...“<br />
Die Stadtbibliothek und die Volkshochschule liegen in Reutlingen direkt<br />
nebeneinander. An beiden Orten sind wir immer wieder unterwegs. In unseren<br />
Aufzeichnungen aus dem ersten Quartal 2016 finden wir den folgenden<br />
Gesprächsausschnitt aus unserem Freitags-Team<br />
„Was ist da gewesen?“, fragt Matthias Braun seine Aktionsforschungskollegin<br />
Franziska Schiller. Sie antwortet: „Also ich bin nach dem Essen mit dem Harald<br />
zusammen in die Volkshochschule und in der Volkshochschule oben im ersten Stock war<br />
ein Workshop über einfache Sprache und den hab ich zusammen mit Harald besucht,<br />
dass ich mit Euch zwei leichter umgehen kann, weil Ihr zwei ja leichte Sprache braucht.“.<br />
Bei dem Workshop, den Franziska Schiller mit Harald Sickinger besuchte, ging´s darum,<br />
wie man schwierige Texte in einfache bzw. leichte Sprache übersetzen kann.<br />
Am gleichen Tag haben wir in der Volkshochschule auch noch eine Aktionskunstgruppe<br />
aus Freiburg beraten Diese Leute hatten uns gefragt, ob wir Tipps geben können, wie<br />
sie die Plakate und Installationen aus Reisepässen und ähnlichen Dingen in ihrer<br />
Passausstellung gut zugänglich anbringen. Da ist auch Markus Lemcke dazu<br />
gekommen.<br />
Bei dieser Gelegenheit hat der Experte für das Thema Barrierefreiheit bei der<br />
elektronischen Datenverarbeitung anderen Mitgliedern aus unserem<br />
Aktionsforschungsteam auch gleich noch Tipps zur Bedienung von Tablets gegeben.<br />
Solche Geräte nutzen wir nämlich manchmal bei unserer Arbeit.<br />
Auf dem Foto sieht man das Freitags-Team während des Praktikums. Matthias Braun, Franziska Schiller und<br />
Detlef Hartwig sind hier in der Stadtbücherei. Dort gibt es Bücher in einfacher Sprache.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Wie sich Barrieren in unterschiedlichen Bereichen abbauen lassen, das beschäftigt uns<br />
schon in den ersten Monaten 2016 ganz regelmäßig.<br />
Rolf Rathfelder erzählt zum Beispiel, dass er als Heimbeirat schon mal mit einigen<br />
Mitstreiterinnen und Mitstreitern bei der Zeitung war. Bisher, so sagt er, hätten sie<br />
erfolglos versucht, dass die Sprache der Zeitung einfacher wird. Deshalb treffen wir uns<br />
mit der Koordinatorin des Heimbeirats, um uns abzustimmen.<br />
In der Nikolaikirche besuchen wir die Präsentation eines Krimis in einfacher Sprache<br />
und lesen auch selbst darin. In der Stadtbibliothek erkunden wir neben vielem anderen<br />
auch die Ecke mit den Büchern in einfacher Sprache.<br />
Mit Mitarbeiterinnen der Stadtbibliothek, aber auch mit anderen Beschäftigten der<br />
Stadt Reutlingen tauschen wir uns dann im März 2016 wieder aus. Bei einer<br />
Veranstaltung im großen Sitzungssaal des Rathauses geben unter anderem Franziska<br />
Schiller und Thomas Geprägs ihre Erfahrungen mit dem Abbau von Barrieren weiter.<br />
Zugleich erfahren wir aber bei solchen Gelegenheiten auch selbst wieder mehr.<br />
Thomas Geprägs probiert zum Beispiel eine besondere Kleidung aus. Dadurch<br />
bekommt er ein Gefühl für körperliche Einschränkungen, mit denen andere Menschen<br />
leben und kann sich besser in ihre Lage versetzen.<br />
Auf dem Foto von Thomas Geprägs im Spezialanzug liegt eine Memory-Karte. Wir erinnern uns an viele Aktionsforschungsbesuche<br />
im Reutlinger Rathaus.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Der hat den Rain Man genommen, um auf die Problematik<br />
Behinderung aufmerksam zu machen.“<br />
Wir sortieren Materialen, die wir bei unserer Aktionsforschung gesammelt haben.<br />
Darin findet sich auch eine Einladung von Eugen Blum.<br />
Thomas Geprägs erklärt dazu: “Eugen Blum hat einen Film gezeigt im franz.K und alles<br />
organisiert.“. Franziska Schiller ergänzt: „Der hat den Rain Man genommen, um auf die<br />
Problematik Behinderung aufmerksam zu machen.“.<br />
Das ist eine Aufnahme von der Film-Arbeit mit Eugen Blum. Hier steht er vor dem Kino Kamino und wartet<br />
konzentriert auf das Zeichen „Film ab“.<br />
Der Kontakt von Eugen Blum zur Agentur für unschätzbare Werte und zum Projekt<br />
„<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ war schon einige Zeit vorher durch die Mitarbeiterin einer<br />
sozialen Einrichtung in Reutlingen zu Stande gekommen.<br />
Eugen Blum hatte sich für unsere Arbeit gegen Diskriminierung interessiert und Harald<br />
Sickinger bei unterschiedlichen Gelegenheiten auch von seinen eigenen Erfahrungen<br />
berichtet. Außerdem spielte er Harald Sickinger zum Beispiel Musik vor, die ihm gefällt.<br />
Dazu gehört die Band „Diorama“. Oft sprach er auch über Filme.<br />
Bald stellte sich heraus, dass Eugen Blum viel über Filme weiß und dass es auch welche<br />
gibt, die eine große Bedeutung für ihn haben. Dazu gehört zum Beispiel der Film „Rain<br />
Man“ von Barry Levinson.<br />
Er zeigte Harald Sickinger die DVD und sagte, dass er gerne anderen Menschen etwas<br />
von seinen Ansichten darüber vermitteln würde.<br />
Nach und nach entstand die Idee für eine kleine Veranstaltung und er plante mit<br />
unserer Hilfe eine Filmvorführung mit anschließendem Gespräch.<br />
Die Einladung zu dieser Filmvorführung sieht man auf der nächsten Seite.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Mehr als zwanzig Menschen mit und <strong>ohne</strong> Behinderungserfahrungen sind gekommen.<br />
Nach dem Film gab es ein angeregtes Gespräch.<br />
„Es war für mich etwas Besonderes, ein neues Erlebnis, weil ich ja zum ersten Mal<br />
moderieren durfte. Ich durfte halt etwas vorstellen. Ich durfte halt vorstellen, ein<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Kunstwerk, einen Film, wo ich mich selber einsehen kann.“, sagt Eugen Blum über seine<br />
Veranstaltung.<br />
Er macht die Erfahrung, dass Filme manchmal Respekt vermitteln können.<br />
„Respekt ist für mich, wenn man mich so akzeptiert wie ich bin, in dem ich zum Beispiel<br />
meine Vergangenheit erzähle“, sagt Eugen Blum, wenn man „etwas über sich erzählt<br />
und der andere versteht das. Er versteht, dass ich mein Mensch bin mit besonderen<br />
bisschen Fähigkeiten.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/veranstaltung-rain-man<br />
Matthias Braun, Detlef Hartwig und Harald Sickinger haben sich bei der Filmvorführung<br />
um die Technik im franz.K gekümmert. Dafür haben sie sich vorher mit einem Techniker<br />
des <strong>Kultur</strong>zentrums getroffen, der ihnen alles erklärt hat.<br />
„Das braucht man noch. <strong>Kultur</strong> ist das“<br />
Auf diesem Foto steht Thomas Geprägs zwischen Sabine Kramer vom Schaffwerk und dem Pfullinger<br />
Bürgermeister Michael Schrenk. Der Aktionsforscher hält das Amtsblatt in der Hand. Er schlägt vor, dass im<br />
Amtsblatt über die <strong>Kultur</strong> im Schaffwerk berichtet wird.<br />
In einem unserer Clips steht Thomas Geprägs neben Frank Bakos und dem kleinen<br />
roten Dienstwagen der Agentur für unschätzbare Werte vor dem alten Haus in der<br />
Gönninger Straße in Pfullingen. Dort gibt es viele alte Gegenstände und Skulpturen von<br />
denen viele nicht so genau wissen, wofür die eigentlich gut sind.<br />
Das nicht ganz leicht heizbare Haus nutzen wir jetzt im Frühling 2016 mit zunehmender<br />
Wärme wieder öfter für unsere Arbeit.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Da kam mal ein Bericht: Braucht man das noch oder gehört das weg?“, berichtet<br />
Thomas Geprägs als Reporter in dem Clip. „Das braucht man noch“, sagt er, „<strong>Kultur</strong> ist<br />
das“.<br />
http://vimeo.com/afuw/kultur-ist-das<br />
Später sagt er das auch dem Bürgermeister von Pfullingen, mit dem wir uns im Rathaus<br />
treffen, um über die <strong>Kultur</strong> im Schaffwerk zu sprechen.<br />
„<strong>Kultur</strong> ist Vielfalt, <strong>Kultur</strong> ist Freude, <strong>Kultur</strong> ist Freiheit“<br />
„Wenn Sie einen Film drehen müssten über <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>, was müsste in dem<br />
Film vorkommen?“, fragt Markus Lemcke einen Passanten vor dem Spitalhof auf dem<br />
Reutlinger Marktplatz.<br />
„<strong>Kultur</strong> würd ich mal sagen. Es geht ja um <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>. Dann vielleicht<br />
jegliche <strong>Kultur</strong>. Einfach <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>, keine Ahnung, dass man einfach jede <strong>Kultur</strong><br />
der Stadt reinnimmt“, meint der Mann.<br />
Ein paar Schritte weiter spricht Thomas Geprägs eine Frau an: „Was ist für Sie <strong>Kultur</strong>?“.<br />
Sie antwortet: „<strong>Kultur</strong> ist Vielfalt, <strong>Kultur</strong> ist Freude, <strong>Kultur</strong> ist Freiheit.“.<br />
Danach kommt ein Junge zu Wort: „<strong>Kultur</strong> ist für mich, wenn jeder da seinen eigenen<br />
Zweck hat und zwar, also jeder seine eigene Tradition.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/freiluft-aktionsforschungsbuero<br />
Immer wieder sind wir auf öffentlichen Straßen und Plätzen unterwegs. Dabei mischen<br />
sich diejenigen, die gerade im Praktikum sind mit anderen Aktionsforscherinnen und<br />
Aktionsforschern, die in ihrer Freizeit mitwirken.<br />
So ist das auch heute, an diesem Tag im April 2016.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
An der einen Ecke des Platzes tauscht sich Franziska Schiller gerade mit einem Bürger<br />
darüber aus, ob Barrierefreiheit nur Menschen betrifft, die im Rollstuhl unterwegs<br />
sind.<br />
Auf der anderen Seite erklären Mattias Braun und andere Kollegen unsere<br />
Aktionsforschung. Dafür haben wir ein Büro unter freiem Himmel aufgebaut.<br />
Hier sieht man Thomas Geprägs, Matthias Braun und unten einen Gast in unserem Freiluft-Forschungsbüro.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„...dass wir jetzt zum Beispiel die Experten in eigener Sache<br />
mehr einbeziehen sollten...“<br />
Franziska Schiller will neue Dinge erfahren und neue Menschen kennenlernen. Zugleich<br />
will sie auch ihre eigenen Sichtweisen weitervermitteln. Das macht sie bei vielen<br />
Gelegenheiten. Dazu gehören auch zwei Seminaren des Bundesamtes für Familie und<br />
zivilgesellschaftliche Aufgaben. Hier berichtet sie engagierten jungen Menschen im<br />
Bundesfreiwilligendienst von ihren persönlichen Lebenserfahrungen und zusammen<br />
mit Harald Sickinger auch von unseren Erfahrungen in Verbindung mit dem Projekt<br />
„<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“.<br />
Hier sind Franziska Schiller und Harld Sickinger im Vordergrund mit einer Seminargruppe im April 2016 zu sehen.<br />
Eine weitere Gelegenheit ergibt sich beim Reutlinger Generalanzeiger.<br />
Von links nach rechts: Gisela Sämann vom GEA, Franziska Schiller, Matthias Braun und Detlef Hartwig<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Schon seit Sommer 2015 haben wir Kontakt zur Reutlinger Ressortleiterin der Zeitung.<br />
Nach einigen Vorgesprächen und Vorbereitungen vereinbart Franziska Schiller mit<br />
Gisela Sämann, dass sie die Ressortleiterin eine Woche lang bei ihrer Arbeit begleitet.<br />
Dadurch erfahren wir viel Neues darüber, wie eine Zeitung gemacht wird und auch die<br />
Macherinnen und Macher der Zeitung lernen dazu.<br />
Am Ende der Hospitationswoche im Mai 2016 entstehen Filmaufnahmen, Darin sieht<br />
man Franziska Schiller mit Gisela Sämann in einer Redaktionssitzung. Im Gespräch mit<br />
Harald Sickinger sagt die Zeitungsfrau danach: „Auch die Kollegen, die jetzt immer<br />
geholfen haben, die Franziska die Treppen rauf und runter zu tun, die glaub ich, haben<br />
jetzt auch einen anderen Blick auf dieses Haus.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/lernerfahrungen-gea<br />
Die Redaktionsräume sind nur über eine Treppe zugänglich. Einige Wochen vor der<br />
Hospitation haben wir deshalb mit Frau Sämann ausprobiert, wie dieses Hindernis zu<br />
überwinden ist. Die Lösung war schließlich unser Faltrollstuhl, den Franziska Schiller<br />
ein Jahr vorher für das Schaffwerk organisiert hatte. Ähnlich wie dort, stieg Franziska<br />
vom Elektrorollstuhl in den Faltrolli um und wurde dann von verschiedenen Helfern die<br />
Treppe hochgezogen bzw. später wieder hinuntergebracht.<br />
Hier sieht man die Treppe zu den Redaktionsräumen. Mit dem Faltrollstuhl und mit Unterstützung der Redaktion<br />
konnte Franziska Schiller dort hinaufgelangen.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Gisela Sämann sagt, dass sie von Franziska Schiller noch andere wichtige Dinge gelernt<br />
hat.<br />
Das ist zum Beispiel, „dass wir jetzt die Experten in eigener Sache, also Menschen mit<br />
Behinderungen mehr einbeziehen sollten in unsere Berichterstattung. Also nicht über<br />
jemanden zu schreiben, sondern tatsächlich mal nachzufragen.“. So beschreibt es die<br />
Ressortleiterin beim Reutlinger Generalanzeiger nach einigen Tagen intensiver<br />
Zusammenarbeit mit Franziska Schiller.<br />
Gisela Sämann und Franziska Schiller bei der gemeinsamen Arbeit, die ihnen offensichtlich Freude bereitet.<br />
In diesen Monaten ist Franziska Schiller mit anderen Mitwirkenden unserer<br />
Aktionsforschung an vielen Orten unterwegs, wo unsere Erfahrungen als Expertinnen<br />
und Experten in eigener Sache gefragt sind.<br />
Wir beraten beispielsweise einige Interessierte, die Menschen mit Handicap zu<br />
<strong>Kultur</strong>veranstaltungen begleiten wollen. Dabei arbeiten wir mit Markus Christ vom<br />
<strong>Kultur</strong>büro des Projekts „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ zusammen.<br />
In Kooperation mit dem Projekt k.l.e.v.e.r-iq wirken wir beim Verbessern der<br />
Wegweiser in einem Amtsgebäude mit. Das machen Franzika Schiller und Harald<br />
Sickinger in Zusammenarbeit mit anderen Expertinnen und Experten. Dazu gehören<br />
auch Markus Lemcke und Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.<br />
Wir arbeiten mit vielen unterschiedlichen Expertinnen und Experten aus eigener<br />
Erfahrung zusammen und so vergrößert sich der Kreis von direkt oder indirekt<br />
Mitwirkenden bei der Aktionsforschung für eine <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong> nach und nach<br />
immer weiter.<br />
In diesem Zusammenhang besuchen wir zum Beispiel auch den Förder- und<br />
Betreuungsbereich einer Behindertenhilfeeinrichtung, stellen dort unsere Arbeit vor<br />
und erkundigen uns nach dem <strong>Kultur</strong>leben von Menschen, die auf viel Assistenz<br />
angewiesen sind.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Vor einem Konzert in Gebärdensprache treffen sich Frank Bakos, Thomas Geprägs und<br />
Harald Sickinger mit einem Beschäftigten der BruderhausDiakonie-Werkstatt, der auf<br />
Gebärdensprache angewiesen ist. Sein Chef übersetzt und so erfahren wir zum Beispiel<br />
und geben weiter, dass der Mann gerne Musikveranstaltungen besuchen möchte, wo<br />
man die Schwingungen der Musik am ganzen Körper spüren kann.<br />
So etwas erleben wir im franz.K dann auch selbst beim Konzert des Gospelchors aus<br />
Gönningen mit dem Gebärdenchor der Volkshochschule Tübingen.<br />
Manchmal sind wir bei unserer Aktionsforschung mit Menschen im Kontakt, die uns<br />
wichtige Dinge sagen, deren Namen wir aber nicht nennen. Wir geben das dann in<br />
anonymisierter Form weiter.<br />
Der folgende Ausschnitt aus einem Gespräch von Harald Sickinger mit der Bew<strong>ohne</strong>rin<br />
einer stationären Wohngruppe für Menschen mit sogenannten Behinderungen ist ein<br />
Beispiel dafür. Die Frau erzählt, warum sie manchmal Selbstgemaltes in der Wohnung<br />
herumliegen lässt.<br />
Harald Sickinger: „Was hindert Sie im Moment an der Teilnahme am <strong>Kultur</strong>leben?“<br />
Expertin aus eigener Erfahrung: „Dass ich nicht ernst genommen werd´. Manchmal<br />
überhaupt nicht und jetzt fängt das so ganz, ganz sachte an zu kommen, dass ich ernst<br />
genommen werde. Ganz besonders mit meinem Malen und mit meiner Kunst. Ich bin<br />
zum Teil glücklich, aber zum Teil auch sehr enttäuscht, wenn´s dann heißt: Ach ja, die<br />
Frau, die lässt das und das wieder überall rumfahren und liegen und so. Und wenn ich<br />
das mach, dann möcht ich eigentlich bloß damit sagen: Schau mal, was ich wieder in<br />
meiner Kunst hergestellt hab.“.<br />
„Etwas ausprobieren“<br />
Kameramann Frank Bakos bei der Arbeit im Schaffwerk<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Frank Bakos steht in unserem provisorischen Frühlings-Projektbüro im Schaffwerk an<br />
der großen Kamera.<br />
Er filmt, wie Thomas Geprägs und Rolf Rathfelder auf ein großes Papier schreiben, was<br />
aus ihrer Sicht ein gutes Museum ausmacht. „Aufzug“ steht schon drauf und „Rampe“,<br />
auch „Wegbeschreibung mit Symbolen“. Darüber ist das Wort „Barrierefrei“ zu lesen<br />
und darunter “Keine Stufen“.<br />
Jetzt schreibt Rolf Rathfelder mit einem dicken blauen Filzstift: „Etwas ausprobieren“.<br />
Harald Sickinger fragt ihn: „Rolf tätest Du sagen, das gehört auch zu einem guten<br />
Museum?“.<br />
Rolf Rathfelder antwortet: „Ha ja, wenn man was ausprobieren kann. Tät ich schon<br />
sagen.“.<br />
In der nächsten Aufnahme sieht man Matthias Braun. Er zieht eine Kuckucksuhr auf,<br />
die an der Wand hängt. Er weiß, wie das geht, weil sein Opa die gleiche hatte.<br />
Wir befinden uns in einer Stube mit vielen geschichtsträchtigen Dingen. Sabine Kramer<br />
versucht etwas zu zeigen, was sie besonders an ihren Vater erinnert.<br />
http://vimeo.com/afuw/museum-zum-ausprobieren<br />
Später schreibt Matthias Braun auf ein Plakat. „Alte Uhren“. In der nächsten Einstellung<br />
kann man mehr erkennen. Auf dem Plakat steht in der Mitte geschrieben „Ein Museum<br />
über mich“. Eine Motorsäge soll auch auf dem Plakat drauf sein, erklärt Matthias<br />
Braun, weil er einen Motorsägeschein hat. Dann erinnert er an einen Besuch seiner<br />
Konfirmations-Vorbereitungsgruppe vor vielen Jahren in Eckwälden. Während<br />
Matthias Braun dort im Internat war, kamen ihn seine Altersgenossinnen und<br />
Altersgenossen aus dem Heimatort ganz überraschend besuchen. „Von dem hab` ich<br />
nichts gewusst“, berichtet er freudestrahlend.<br />
Wir nutzen das alte Haus und die alten Gegenstände, um uns mit Dingen zu<br />
beschäftigen, die für unser eigenes <strong>Kultur</strong>leben wichtig sind. Wenn wir uns die<br />
geschichtsträchtigen Dinge im Schaffwerk anschauen, dann führt uns das immer<br />
wieder zur Frage, wie es eigentlich mit unserer eigenen Geschichte ist, wie sie bisher<br />
verlaufen ist und wie sie gut weitergehen kann.<br />
Mit der Zeit finden wir immer besser heraus, was wem wichtig ist, welche Stärken wer<br />
hat und wer welche Rollen übernehmen kann. Dafür probieren wir vieles aus.<br />
Frank Bakos und Matthias Braun zum Beispiel sind ab und zu in der Rolle des<br />
Kartenkontrolleurs bei „Sagenhaften Rundführungen“ im Schaffwerk unterwegs<br />
In einem unserer Filmbeiträge sieht man Matthias Braun mit einem „Original“-<br />
Stempel. Den bekommen die Gäste bei den Rundführungen aufgedrückt.<br />
Aber Achtung! Am Ende des Clips zeigt er den Stempel für diejenigen, die nicht bezahlt<br />
haben. „Da steht nix drauf“, sagt Matthias Braun.<br />
http://vimeo.com/afuw/rund-ums-schaffwerk<br />
Auch an der Begegnungskultur in seinem eigenen Wohnviertel arbeitet Matthias Braun<br />
während des Praktikums mit. Immer wieder hilft er nach dem Viertel-Mittagstisch in<br />
der Kreuzkirche beim Abbau. Dabei unterstützt ihn Markus Christ vom <strong>Kultur</strong>büro.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Matthias Braun stapelt Stühle und Markus Christ hilft ihm bei Abbau in der Kreuzkirche.<br />
„Um eine richtig gute Arbeit machen zu können,<br />
brauchst Du auch eine Basis...“<br />
Frank Bakos, Rolf Rathfelder und Thomas Geprägs beim Aufbau von Informationswänden in unserer neuen<br />
Aktionsforschungsbasis im ehemaligen Konzertbüro.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Hier steht Frank Bakos an der Eingangstüre zu unserem neuen provisorischen Aktionsforschungszentrum.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Das ehemalige Konzertbüro zwischen dem Reutlinger Marktplatz und dem Spitalhof<br />
steht schon lange leer. Mehrfach hat Rosemarie Henes von BAFF mit uns zusammen<br />
die Verantwortlichen der Stadt darum gebeten, dass wir den Raum für unsere Arbeit<br />
nutzen dürfen. Lange <strong>ohne</strong> Erfolg.<br />
Im Juni 2016 klappt es dann doch noch. Vorübergehend können wir hier unser<br />
Aktionsforschungsbüro einrichten und zumindest mal fast bis zum Ende des Jahres<br />
bleiben Das ist für uns vor allem auch deshalb wichtig, weil das ehemalige Konzertbüro<br />
für Menschen zugänglich ist, die im Rollstuhl unterwegs sind.<br />
„Um eine richtig gute Arbeit machen zu können, brauchst Du auch eine Basis“, sagt<br />
Franziska Schiller. Das ehemalige Konzertbüro ist ein guter Basis-Ort, für eine<br />
„vernünftige Arbeit“, wie es unsere Kollegin formuliert.<br />
An diesem zentral gelegenen Ort können wir nun noch leichter mit Bürgerinnen und<br />
Bürgern ins Gespräch kommen.<br />
Einmal tauschen wir uns vor unserem Büro auch mit dem Künstler Erich Rosenberger<br />
aus.<br />
Er ist zufällig vorbeigekommen und es entwickelt sich ein angeregtes Gespräch. Dabei<br />
erzählt er uns von seinen Verbesserungsideen für das Reutlinger <strong>Kultur</strong>leben:<br />
„Es wär nicht schlecht, wenn die Stadt Reutlingen oder die Gemeinde, oder wie man´s<br />
auch immer nennt, ne Halle zur Verfügung stellen würde, wo die einzelnen Leute, also<br />
halt Künstler zusammen kommen könnten, um a) Austausch zu haben und b) kleine<br />
Geheimnisse untereinander zu lüften, c) einfach spontan ein Bild malen, die anderen<br />
machen Musik daneben...“.<br />
http://vimeo.com/afuw/halle-zum-zusammenkommen<br />
Der Künstler Erich Rosenberger im angeregten Gespräch vor unserem Aktions-Forschungsbüro<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Eine der Hauptpersonen sitzt im Rollstuhl. Von da her hat mich das<br />
auch selber angesprochen, weil ich selber im Rollstuhl sitze.“<br />
Von Anfang an waren wir in unterschiedlichen Behindertenhilfe-Einrichtungen<br />
unterwegs. Dort haben wir über unsere Arbeit informiert, Fragen gestellt und Leute<br />
kennengelernt. Dazu gehört auch Maria Eckert.<br />
Sie ist bei der LWV-Eingliederungshilfe beschäftigt. Wir treffen sie manchmal an der<br />
Pforte in Rappertshofen und im Buchladen der Einrichtung in Rommelsbach, aber auch<br />
beim Fußgänger*innen-Check bzw. Rollstuhlfahr-Check in der Reutlinger Innenstadt<br />
sind wir ihr schon als Expertin aus eigener Erfahrung begegnet. Auf Einladung der<br />
Stadtverwaltung haben wir dabei gemeinsam erkundet, wo und wie Gehwege bzw.<br />
Rollstuhlfahrwege verbessert werden können.<br />
Jetzt will die Expertin aus eigener Erfahrung einen <strong>Kultur</strong>-Tipp weitergeben. Wir stehen<br />
mit der Kamera vor dem Reutlinger Cineplex-Kino. Im Schaukasten hängt ein Plakat<br />
über den Film „Ein ganzes halbes Jahr“.<br />
Maria Eckert sagt: „Der Film läuft ab dem 23.6. hier im Kino und, ja, ich hab gesagt, ich<br />
muss diesen Film unbedingt sehen, weil das Buch so toll war.“. Sie fasst die Handlung<br />
kurz zusammen und sagt in diesem Zusammenhang: „Eine der Hauptpersonen sitzt im<br />
Rollstuhl. Von da her hat mich das auch selber angesprochen, weil ich selber im<br />
Rollstuhl sitze.“.<br />
Harald Sickinger fragt: „Wenn man hier mit dem Rolli ins Kino gehen möchte, kann Frau<br />
oder Mann dann den Film gut sehen?“.<br />
Das sei ein bisschen schwierig, antwortet die Rollstuhlfahrerin.<br />
Im Unterschied zum neuen Kino Kamino ist es im Cineplex an der Planie so, „dass das<br />
einzige Kino, was barrierefrei ist, das Kino 1 ist und alle anderen sind nur durch Treppen<br />
erreichbar.“. So erklärt es uns Maria Eckert.<br />
Manchmal werden die Filmvorstellungen auch noch kurzfristig in andere Kinosäle<br />
verlegt. So kann man sich nicht wirklich sicher sein, ob man den Film sehen kann.<br />
https://vimeo.com/afuw/unterwegs-mit-maria-eckert<br />
Maria Eckert vor dem Filmplakat beim Kino an der Planie.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
In diesem Fall können Maria Eckert, Frank Bakos und Harald Sickinger den Film aber<br />
tatsächlich zusammen anschauen und womöglich machen das auch noch andere Leute,<br />
die unser Video mit dem Tipp auf unserer Internetseite oder bei einem unserer<br />
<strong>Kultur</strong>vermittlungs-Treffen gesehen haben. Vielleicht hat sich ja die eine oder der<br />
andere animieren lassen, den Film anzuschauen.<br />
„Kann ich dann nur Euch besuchen oder auch selber Kurse leiten?“<br />
Im Juli 2016 sind wir bei der LEF-Jahrestagung eingeladen. LEF bedeutet<br />
Landesverband der Evangelischen Erwachsenen- und Familienbildung in Württemberg.<br />
Thomas Geprägs. Markus Lemcke, Franziska Schiller und Harald Sickinger fahren zu der<br />
Veranstaltung nach Bad Boll.<br />
Auf dem Foto von der Tagung in Bad Boll sieht man von rechts Markus Lemcke, Harald Sickinger, Franziska<br />
Schiller, Thomas Geprägs sowie Frieder Leube vom Haus der Familie in Reutlingen und Vertreterinnen anderer<br />
Familienbildungsstätten.<br />
Hier zeigen wir Videos und berichten von unseren Erfahrungen bei der<br />
Aktionsforschung im <strong>Kultur</strong>leben. Dazu gehören auch Erfahrungen im Reutlinger Haus<br />
der Familie. Dort waren wir im Frühjahr, haben Fragen gestellt und Filmaufnahmen<br />
gemacht.<br />
„Kann ich dann nur Euch besuchen oder auch selber Kurse leiten?“, fragt Franziska<br />
Schiller in einem Videoausschnitt, den wir bei der Tagung zeigen.<br />
Der Leiter des Bildungshauses Frieder Leube erzählt, dass es solche Anfragen immer<br />
wieder gibt. Normalerweise braucht man eine bestimmte Qualifikation, um einen Kurs<br />
zu leiten.<br />
„Ausbildung, Wissen in dem Sinn mit Ausbildung, Zeugnis und so weiter hab ich keins.“,<br />
sagt Franziska Schiller. Aber trotzdem kennt sie sich mit einigen Dingen gut aus.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Zum Beispiel macht sie als Kompressionsstrumpf-Trägerin oft die Erfahrung, dass ihr<br />
die Strümpfe nicht richtig angezogen werden und äußert die Idee, dass sie doch mal<br />
einen Kurs leiten könnte, wie man Kompressionsstrümpfe richtig anzieht.<br />
So tauschen wir uns mit den Verantwortlichen der württembergischen Familienbildungsstätten<br />
unter anderem über Möglichkeiten aus, wie Expertinnen bzw.<br />
Experten aus eigener Erfahrung zusammen mit pädagogischen Fachkräften einen Kurs<br />
leiten könnten.<br />
In anderen Filmaufnahmen von unserem Besuch im Reutlinger Haus der Familie sagt<br />
der Leiter Frieder Leube: „Wir haben seit einem guten Jahr eine neue Homepage und<br />
da war´s uns wichtig, dass wir die Homepage so programmieren lassen, dass<br />
Menschen, die mit dem Sehen Schwierigkeiten haben, die ein eingeschränktes<br />
Sehvermögen haben, dass die die Schrift entsprechend groß stellen können, dass die<br />
auch unsere Angebote lesen können...“.<br />
Nach diesem Ausschnitt sehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung in Bad<br />
Boll, wie Markus Lemcke die Homepage testet. „So jetzt geh ich hier mal auf das<br />
Pluszeichen....Jetzt haben wir schon gesehen, irgendwas vergrößert sich. Aber das<br />
Spannende ist, ist die Seite auch so programmiert, dass man sie jetzt noch bedienen<br />
kann? Jetzt gehen wir hier mal runter. Also wir sehen jetzt hier ganz deutlich, die Schrift<br />
hat sich vergrößert. Das hat also funktioniert. Die Programmierung ist gut...“.<br />
http://vimeo.com/afuw/homepage-hdf<br />
Auf diesem Video-Standbild sieht man, wie Markus Lemcke gerade die Schrift auf der Homepage prüft.<br />
Auch Aufnahmen von einer Befahrung der Toilette schauen wir an. Außerdem<br />
sprechen wir über Möglichkeiten zur Vereinfachung der Sprache und über einige<br />
weitere Aktionsforschungs-Themen.<br />
„Haben Sie Fragen an uns?“, sieht und hört man Thomas Geprägs in einem weiteren<br />
Filmausschnitt sagen.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Mich würde interessierten, was war Ihr erster Eindruck, als Sie hier ins Haus<br />
gekommen sind?“.<br />
Thomas Geprägs antwortet: „Mein erster Eindruck war, schöne Räume, barrierefrei<br />
ausgebaut, dass man mit dem Rollstuhl kann runter und Aufzug für Rollstuhlfahrer,<br />
Kinderwägen, schönes Haus find ich.“.<br />
Franziska Schiller beschreibt, wie sie angekommen ist: „Als ich hier dann das schöne,<br />
weiße Haus und ihre Freundlichkeit gesehen hab, hab ich mich gleich daheim gefühlt.“.<br />
Frieder Leube und seine Kollegin Irmela Theurer-Weigele sagen, dass sie das freut.<br />
http://vimeo.com/afuw/fragen-an-uns<br />
Das Haus der Familie soll inklusiv sein, sagen sie. Das betrifft nicht nur Menschen mit<br />
Handicap, sondern auch alle anderen.<br />
Es gibt im Haus der Familie das Ferda-Café. Hier treffen sich regelmäßig Frauen und<br />
manchmal auch Männer aus unterschiedlichen Ländern. Sie reden miteinander und<br />
tauschen ihre unterschiedlichen Erfahrungen aus. Das gefällt Franziska Schiller und so<br />
nimmt sie ab jetzt manchmal daran teil.<br />
Begegnungen mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern bereichern unsere<br />
Aktionsforschung für eine <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>. Das erleben wir bei Ferda<br />
international und bei vielen anderen Gelegenheiten.<br />
Dazu gehört zum Beispiel auch unser Informationsstand beim interkulturellen Open Air<br />
Festival Inter:Komm! des <strong>Kultur</strong>zentrums franz.K. Hier gibt´s wie so oft Videos von<br />
unserer Aktionsforschung, Erzählungen und Gespräche, die andere und uns selbst<br />
wieder ein Stück weiterbringen.<br />
„Letztes Jahr war ich da auch und dann spielen da drei Orgeln“<br />
Hier erklärt Thomas Geprägs, dass es bei der langen Orgelnacht in der Marienkirche Lichteffekte gibt.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Thomas Geprägs und Rolf Rathfelder stehen vor der Marienkirche und unterhalten sich<br />
über den bevorstehenden Reutlinger Orgelsommer.<br />
„Letztes Jahr war ich da auch und dann spielen da drei Orgeln. Eine oben, links rechts.“,<br />
sagt Thomas Geprägs über seine Erfahrungen bei der langen Orgelnacht 2015.<br />
Als wir wieder im Aktionsforschungsbüro sind, schauen wir Filmaufnahmen von<br />
unserer Aktionsforschung im letzten Jahr an und Thomas Geprägs erklärt, wie Holger<br />
Herzog die Marienkirche in ein ganz besonders Licht taucht:<br />
„In der Mitte sitzt, sitzt einer von Tübingen und der hat so Licht gemacht, mit so<br />
Lichteffekten.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/kulturtipp-orgelnacht<br />
Über die Orgelnacht sprechen wir auch mit Susanne Merkl vom <strong>Kultur</strong>amt. Es geht um<br />
die Rollstuhlgerechtigkeit, um die Verständlichkeit der Informationen und um die<br />
Zugänglichkeit dieser Informationen zum Beispiel für blinde Menschen im Internet<br />
Hierbei ziehen wir wieder Markus Lemcke zu Rate.<br />
Frau Merkl gibt uns dann viel Informationsmaterial mit.<br />
„Ich hab da so ein Plakat. Kann man das unten bei Euch aufhängen?“, fragt Rolf<br />
Rathfelder seine Lebensgefährtin Angelika Lotterer.<br />
In Wohnhäusern für Menschen mit Handicap und an vielen anderen Orten geben wir<br />
Informationen über <strong>Kultur</strong>veranstaltungen weiter.<br />
Angelika Lotterer geht dieses Jahr auch mit und wird nach ihrem ersten Besuch ein<br />
richtiger Fan der langen Orgelnacht.<br />
http://vimeo.com/afuw/gespraech-orgelnacht<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Dieses Standbild aus unseren Filmaufnahmen zeigt Rolf Rathfelder im Gespräch mit Angelika Lotterer.<br />
„Das ist für mich eine ganz tolle <strong>Kultur</strong> gewesen“<br />
Im ehemaligen Konzertbüro geben wir unsere Erfahrungen weiter und hören, was<br />
andere uns zu sagen haben.<br />
Walter Rebstock interessiert sich ebenfalls für die lange Orgelnacht. Rolf Rathfelder<br />
hat auch ihn neugierig gemacht. Jetzt sprechen wir unter anderem darüber, wie man<br />
nach dem Ende der Veranstaltung in der Marienkirche die Heimfahrt organisieren<br />
kann.<br />
Durch die gläserne Eingangstüre hindurch sieht man Walter Rebstock beim Gespräch in unserem Büro.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Wir fragen unsere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner auch oft, was <strong>Kultur</strong><br />
für sie bedeutet.<br />
Walter Rebstock zeigt uns in diesem Zusammenhang einen Zeitungsartikel. Dieser<br />
Artikel dreht sich um eine Aktion von BAFF. Dabei wurden Kübel mit Nutzpflanzen wie<br />
Tomaten und Kartoffeln bepflanzt. Walter Rebstock war dabei.<br />
Dass da Sachen drin wachsen, die von den Bürgerinnen und Bürgern geerntet werden<br />
können, erzählt er und nennt Orte, wo solche Kübel stehen: Bei der Marienkirche, in<br />
der Oberlinstraße, unten an der Vesperkirche, beim franz.K und auch direkt bei<br />
unserem Büro im Spitalhof.<br />
So können wir einfach rausgehen und schauen, was da wächst. „Das ist für mich eine<br />
ganz tolle <strong>Kultur</strong> gewesen“, sagt Walter Rebstock über die Pflanz-Aktion.<br />
http://vimeo.com/afuw/pflanz-kultur<br />
Rolf Rathfelder und Walter Rebstock bei den bepflanzten Kübeln im Spitalhof. Sie entdecken gerade Tomaten.<br />
Es gibt viele Arten, wie man etwas zum <strong>Kultur</strong>leben beitragen kann. Diese Erfahrung<br />
machen wir regelmäßig.<br />
Rolf Rathfelder mit Matthias Braun stehen vor dem Schaufenster der Reutlinger<br />
Touristeninformation. Hier sehen sie Veranstaltungshinweise auf einem Bildschirm. Es<br />
gibt auch einen Hinweis auf das Burning Eagle Festival. Das gibt es im Sommer auf dem<br />
Gelände des Umweltbildungszentrums Listhof.<br />
„Das ist doch das Burning Eagle Festival, was ist das genau“, meint Rolf Rathfelder.<br />
„Da schaff ich“, sagt Matthias Braun.<br />
„Ja, was machst Du da?“, fragt ihn sein Aktionsforschungskollege.<br />
„Erst in der Küche“ antwortet Matthias Braun und erwähnt dann noch, dass er auch<br />
Eintrittskarten abreißen muss.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Das hat er mit Markus Christ vom <strong>Kultur</strong>büro des Projekts „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“<br />
und mit den Festival-Veranstaltern so besprochen.<br />
http://vimeo.com/afuw/mitarbeit-burning-eagle<br />
Matthias Braun mit Rolf Rathfelder vor dem Informationsbildschirm der Touristeninformation am Marktplatz.<br />
„Wir haben sie repariert<br />
und dann ist sie wieder schwarz geworden“<br />
Jedes Jahr nach den Sommerferien gibt es in Reutlingen und im ganzen Land einen Tag<br />
des offenen Denkmals.<br />
An diesem Tag erkunden wir unterschiedliche Denkmale und Geschichten darum<br />
herum. Dabei entstehen wieder kurze Videoclips.<br />
„Also hier stehen wir im Gmindersdorf am Dienstwagen von der Agentur für<br />
unschätzbare Werte und das ist alles Gmindersorf“, berichtet der Aktionsforschungs-<br />
Reporter Thomas Geprägs.<br />
Dann erzählt ein ehrenamtlicher Stadtführer: „Das Gmindersdorf ist so entstanden, es<br />
gab hier keine Arbeitskräfte mehr und drum hat der Gminder verarmte Bauern aus<br />
Österreich und Italien angeworben hierher und da es ne große Wohnungsnot gab in<br />
Reutlingen, wurde das Gmindersdorf errichtet.“.<br />
Vor hundert Jahren war das. Die Firma Gminder war ein Textilunternehmen.<br />
„Das sieht hier so bisschen ländlich hier aus, bisschen ländlich“, meint Thomas Geprägs<br />
und der Stadtführer erklärt, dass das so gewollt ist, dass jedes Haus deshalb auch<br />
seinen Garten hat.<br />
Wir erfahren noch einiges mehr über das besondere Wohnviertel im Reutlinger<br />
Westen.<br />
„Also das war Gmindersdorf“, hört man Thomas Geprägs am Ende des Clips sagen, „das<br />
hat die Firma Gminder gegründet.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/gmindersdorf<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Hier sieht man Thomas Geprägs am Anfang der Reportage über das Gmindersdorf.<br />
Von unserem Besuch in einer alten Sägemühle am Fluss Echaz gibt´s ebenfalls einen<br />
kurzen Zusammenschnitt:<br />
http://vimeo.com/afuw/saegemuehle<br />
Dieses Foto stammt aus unserem Filmbeitrag über die alte Sägemühle in Reutlingen.<br />
Beim Westbahnhof zeigen die Freunde der Zahnradbahn Honau-Lichtenstein eine alte<br />
Dampflok, die sie restauriert haben. Dabei hat auch Frank Bakos mitgearbeitet.<br />
„Wir haben sie repariert und dann ist sie wieder schwarz geworden“, sagt er und auch<br />
sein Chef von den Freunden der Zahnradbahn kommt in unserem Video zu Wort.<br />
http://vimeo.com/afuw/alte-lok<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Oben: Thomas Geprägs mit Frank Bakos im Gespräch bei der alten Dampflok.<br />
Unten: Ein Besucher unseres vorübergehenden Aktionsforschungszentrums, als er dieses Video anschaut.<br />
„Aber sonst find ich einfach das franz K. kulturell so einen Diamant“<br />
Wir nutzen das ehemalige Konzertbüro in der zweiten Jahreshälfte 2016 zum<br />
Erfahrungsaustausch zwischen Menschen aus unterschiedlichen Gruppen und<br />
Generationen. Bürgerinnen und Bürgern mit und <strong>ohne</strong> Handicap, Mitarbeitende in der<br />
Behindertenhilfe und Ämtern, <strong>Kultur</strong> erlebende und <strong>Kultur</strong> schaffende Menschen,<br />
Eltern, ältere Menschen ebenso wie junge Leute.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Ich will mich nicht nur auf Rap beziehen“, sagt der Rapper Santiago Österle.<br />
Aus seiner Sicht sind alle Formen von Kunst ein Sprachrohr.<br />
„Ich speziell befasse mich halt mit Rap, weil ich selber Texte schreibe, erklärt der junge<br />
Mann, dessen Kunst wir zuletzt bei einer Präsentation des Antidiskriminierungsprojektes<br />
TALK im franz.K erlebt haben.<br />
Durch Musik versucht er seine Entfaltung zu finden und Kraft zu schöpfen.<br />
Santiago Österle sitzt mit Harald Sickinger vor einem Plakat.<br />
Sie sprechen über das Unterwegssein. Was braucht man, damit man gut unterwegs<br />
sein kann, im <strong>Kultur</strong>leben und im Leben insgesamt?<br />
http://vimeo.com/afuw/kraftquelle-musik<br />
Santiago Österle spricht über Kraftquellen in seinem Leben.<br />
Das <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K ist für Santiago Österle ein wichtiger Ort.<br />
Es freut ihn, dass hier nach und nach Barrieren abgebaut werden.<br />
„Was sich jetzt echt getan hat, ist toll, dass es jetzt einen Lifter auf die Bühne hoch gibt,<br />
auf die Auftrittsbühne, wo ich dann mit dem Rolli, in meinem Fall, hochfahren kann und<br />
den Auftritt machen kann.“.<br />
Problematisch ist aus seiner Sicht noch, dass es keinen Aufzug zu den Räumen gibt, wo<br />
die Künstlerinnen und Künstler sich normalerweise vor und nach dem Auftritt<br />
aufhalten. Außerdem ist der Hintereingang für ihn nicht gut nutzbar.<br />
„Aber sonst find ich einfach das franz.K kulturell so einen Diamant“, meint der Musiker.<br />
Er findet die große Bandbreite der Musik dort toll. Jeden Mittwoch geht er zum Rap-<br />
Workshop des Projekts TALK ins franz.K. „Deswegen ist das irgendwie so ne zweite<br />
Heimat für mich geworden“, sagt Santiago Österle.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Wir blättern im Programmheft des <strong>Kultur</strong>zentrums franz. K und entdecken „Heiners<br />
Schmuckschatulle“.<br />
Das ist eine neue Veranstaltungsreihe, die vom Projekt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ mit<br />
veranstaltet wird. Markus Christ vom <strong>Kultur</strong>büro organisiert und koordiniert da viele<br />
Dinge.<br />
Im Herbst 2016 findet die Veranstaltung zu ersten Mal statt.<br />
Franziska Schiller hilft an der Kasse mit, Eugen Blum hilft Harald Sickinger beim Filmen<br />
und Thomas Geprägs interviewt Gäste.<br />
„Sehr lustig“, hört man eine Zuschauerin in unserem Video sagen. „Mit dem Heiner<br />
Kondschak“, erklärt der Reporter Thomas Geprägs. „Klasse, sehr überraschend“,<br />
klingt´s aus dem Publikum. Dann sieht man etwas von dem, was sie meinen. Heiner<br />
Kondschak singt: „Eine kleine Schmuckschatulle öffnet ihre Tür. Diese kleine<br />
Schmuckschatulle, die gehört mir. Vielleicht wird´s ein kleines Festchen, ich freu mich<br />
schon sehr drauf und das kleine Kästchen macht jetzt seinen Deckel auf.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/schmuckschatulle<br />
Es sind unterschiedliche Überraschungsgäste, die der Künstler aus seiner<br />
Schmuckschatulle zieht. So wird dieser Abend wie auch spätere Schmuckschatullen-<br />
Abende im franz.K sehr abwechslungsreich.<br />
Manches ist zum Schmunzeln und Lachen, auch Ernstes ist dabei, Bekanntes und<br />
Neues, Musik, Theater, Lyrik, Comedy oder Tanz.<br />
Moderiert und mit eigenem angereichert wird das Ganze von dem in der Region<br />
bekannten Musiker, Schauspieler und Regisseur Heiner Kondschak.<br />
In den nächsten eineinhalb Jahren unserer Aktionsforschung in Verbindung mit dem<br />
Projekt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ sind wir noch oft im franz.K. unterwegs.<br />
Ab Ende 2016 geben wir in Zusammenarbeit mit dem Team des <strong>Kultur</strong>zentrums auch<br />
Freikarten an Menschen, die sich sonst den Eintritt kaum leisten könnten. Außerdem<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
werden wir von den Verantwortlichen immer wieder zu Rate gezogen, wenn es um den<br />
Abbau von Barrieren geht. Für uns ist dieser Ort zu einem zentralen Forschungs- und<br />
Begegnungszentrum geworden.<br />
Frank Bakos (hier <strong>ohne</strong> Hut) mit den Truffle Valley Boys nach deren Auftritt beim Bluegrass-Fesival im franz.K.<br />
Wir beschäftigen uns viel mit der Frage, was einen guten <strong>Kultur</strong>-Ort ausmacht.<br />
Damit zusammenhängend entsteht in Kooperation mit dem Projekt „Lokale Bildungsnetzwerke<br />
(LoBiN)“ ein Film. „Wo´s passt“ heißt das rund 20minütige Video von Harald<br />
Sickinger über die Perspektiven von jungen Leuten.<br />
Ende Dezember 2016 wird „Wo´s passt“ im Reutlinger Jugendhaus Bastille präsentiert.<br />
Nach der Filmvorführung rappt Santiago Österle live:<br />
„Ich rolle durch die Straßen, guck mir die Sachen an, weiß irgendwie gar nicht, was ich<br />
dagegen machen kann.“.<br />
Dass er die Sachen runter rockt, rappt er und dass „dadurch das Leben ein bisschen<br />
bunter“ wird. „Such mir die kleinen Puzzleteile die mich faszinieren“, ist in der Bastille<br />
zu hören, „...aber ein barrierefreies Leben wär meine erste Wahl.“, heißt es am Schluss.<br />
Hier sieht man Memory-Kärtchen, die mit unserer Aktionsforschung im Jugendhaus Bastille und im<br />
<strong>Kultur</strong>zentrum franz.K zusammenhängen<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
4 Weitere Geschichten erkunden und vermitteln<br />
4.1 Wie weiter?<br />
Januar 2017, alternativer Neujahrsempfang.<br />
Der große Saal im <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K ist voller Informationsstände und Menschen,<br />
die sich austauschen. An einem der Stände informieren BAFF und der Arbeitskreis<br />
Selbstbestimmung über ihre Arbeit und über das Projekt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“. Auf<br />
einem großen Bildschirm laufen Filmaufnahmen von unserer Aktionsforschung, mit<br />
wenigen Worten und mit Musik unterlegt.<br />
„...Interessen verfolgen...Talenten nachgehen...Erfahrungen<br />
sammeln...Erfahrungen weitergeben...Barrieren abbauen...<strong>Kultur</strong><br />
weiter entwickeln...Perspektiven verändern...Schätze entdecken...“<br />
Eine Schachtel mit der Aufschrift „Reutlingen Puzzle“. Sie ist geöffnet. Man sieht<br />
Puzzle-Teile. Darunter das Logo von „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ und der Zusatz „damit´s<br />
für alle passt“.<br />
In der nächsten Szene ist Markus Lemcke zu erkennen, wie er im Computer etwas über<br />
„<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ liest. Dann ein Filmausschnitt mit Fahnenschwenker beim<br />
Schwörtag. Dahinter Reutlingens Oberbürgermeisterin Bosch. Davor Frank Bakos, wie<br />
er die Zeremonie filmt. Es folgen viele weitere bewegte Bilder von unserer Arbeit.<br />
Kurze Texteinblendungen erklären, was wir tun.<br />
„Interessen verfolgen“ heißt die erste. Wir versuchen herauszufinden, was in unserem<br />
Interesse und was im Interesse anderer Menschen liegt.<br />
Auch dass wir unseren eigenen und anderen „Talenten nachgehen“ zeigt der Clip.<br />
55
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Man erfährt außerdem, dass wir „Erfahrungen sammeln“ und „Erfahrungen<br />
weitergeben“. Das unterstreicht zum Beispiel eine Szene mit Andreas Roth vom<br />
franz.K. Er zeigt uns ein Plakat für die Veranstaltung „Hyrrätytöö“. Das ist das „neue<br />
Spektakel in der Theatermanege. „Ohne Elefanten“, steht auf dem Plakat.<br />
In unserem Gespräch stellt sich dann heraus, dass auch sonst keine Tiere dabei sind.<br />
„Warum steht das nicht drauf, dass da keine Tiere dabei sind?“, fragt Frank Bakos.<br />
Wir denken, es kommt zu Missverständnissen, wenn da nur steht „Ohne Elefanten“.<br />
Deshalb schreiben wir dahinter „und auch <strong>ohne</strong> andere Tiere“.<br />
Wie wir Erfahrungen weitergeben, davon erzählen noch andere Beispiele: Im Haus der<br />
Familie, bei einer Tagung in Bad Boll, beim Reutlinger Generalanzeiger...<br />
Nach der Einblendung „Barrieren abbauen“ sieht man Bücher in einfacher Sprache und<br />
danach, wie Rolf Rathfelder in einem Leitfaden liest. „Das inklusive Museum“ steht<br />
drauf.<br />
Vom „Perspektiven verändern“ erzählen diese und weitere Filmschnipsel ebenfalls und<br />
vom „Schätze entdecken“ – bei Heiners Schmuckschatulle und bei vielen anderen<br />
Gelegenheiten...<br />
http://vimeo.com/afuw/impressionen-koa-01-2017<br />
Hier verlässt Santiago Österle unser vorübergehendes Aktionsforschungsbüro beim Spitalhof. Diese Szene steht<br />
am Ende des Clips mit Eindrücken von unserer Aktionsforschung in der ersten Hälfte des Projekts „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong><br />
<strong>Ausnahme</strong>“.<br />
Wir entwickeln und vermitteln nun mehr und mehr ausgewählte Geschichten, von<br />
denen wir meinen, dass sie uns selbst und andere weiterbringen.<br />
Jede dieser „Geschichten von unterwegs“ vermittelt eine etwas andere Perspektive.<br />
Jede ist wie ein Puzzle-Teil und nach und nach entsteht ein zusammenhängendes Bild.<br />
Durch Videos, Fotos und Erzählungen geben wir bei kleineren und größeren Treffen<br />
bzw. Veranstaltungen weiter, was im jeweiligen Zusammenhang von Interesse ist.<br />
Die Beratungs- und Informationsstelle Jugendgemeinderat bei der Stadt Reutlingen<br />
beispielsweise interessiert sich ebenso für unseren Rat wie wir unter anderem auch<br />
bei zur Evangelischen Bezirkssynode zum Austausch eingeladen sind.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
An den unterschiedlichsten Orten berichten wir über unsere Aktionsforschung und<br />
kommen mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch.<br />
Das ehemalige Konzertbüro können wir nun nicht mehr als Treffpunkt nutzen. Also<br />
veranstalten wir wöchentliche Treffs im Kaffeehäusle und später im Café Nepomuk.<br />
Bald laden wir darüber hinaus monatlich zu „Geschichten von unterwegs“-<br />
Veranstaltungen in den <strong>Kultur</strong>park im Reutlinger Norden ein. Beim bunten Abend im<br />
Wohnheim für Menschen mit Handicap kreuzen wir ebenso auf, wie bei vielen<br />
öffentlichen <strong>Kultur</strong>-Ereignissen in Reutlingen und darum herum.<br />
Hier vermitteln wir unsere Geschichten von unterwegs und erkunden bzw. entwickeln<br />
zugleich weitergehende.<br />
Dabei machen wir immer wieder die Erfahrung, dass wir weiterkommen, wenn wir dort<br />
anfangen, wo´s passt.<br />
4.2 Wo´s passt<br />
„Du wirst akzeptiert, wie Du bist...“<br />
„Alteburgstraße, IHK, da ist das Kaffeehäusle, bei der Alteburgstraße, Pomo, Volkspark<br />
Pomologie, da ist das Kaffeehäusle von der Lebenshilfe“, sagt Thomas Geprägs.<br />
Er hat sich eine Kopie mit einem Ausschnitt aus dem Reutlinger Stadtplan gemacht.<br />
Dann hat er Umrisse eingezeichnet und ausgeschnitten.<br />
„Das ist das katholische Heilig Geist-Gebiet und in der Kirche bin ich“, erklärt unser<br />
Aktionsforschungskollege.<br />
„Und das ist für Dich wichtig?“, fragt ihn Harald Sickinger.<br />
„Das ist für mich wichtig“, antwortet Thomas Geprägs.<br />
Thomas Geprägs zeigt das ausgeschnittene Heilig Geist-Gebiet. Danach sagt er zu einer Unterstützerin, dass sie<br />
die ausgeschnittene Karte mit dem Kopierer bitte noch vergrößern soll.<br />
http://vimeo.com/afuw/wichtiges-gebiet<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Das Kaffeehäusle und das Gebiet darum herum sind aus seiner Sicht gute Orte.<br />
Im Zusammenhang mit dem Filmprojekt „Wo´s passt“ haben wir auch einiges darüber<br />
erfahren, was aus der Sicht von Jugendlichen einen guten <strong>Kultur</strong>-Ort ausmacht.<br />
http://vimeo.com/afuw/wos-passt<br />
„Du wirst so akzeptiert, wie Du bist...was Du bist und was nicht und das gehört<br />
irgendwie dazu, zu ´nem Ort, wo ich mich wohl fühl“, sagte ein Jugendlicher vor dem<br />
Jugendhaus Bastille. Das ist ein guter Ort für ihn.<br />
Diese Aufnahme aus dem Film „Wo´s passt“ zeigt das Jugendhaus Bastille und Leute auf dem Sportplatz davor.<br />
Später saß der junge Mann bei uns im ehemaligen Konzertbüro.<br />
Wir schauten die Szene zusammen an und er sagte: „Das ist ganz wichtig, dass man<br />
einen Ort hat, wo man akzeptiert wird, um Selbstvertrauen zu entwickeln und wenn<br />
man Selbstsicherheit auch hat, kann man anfangen, auch sich selber zu verändern.“.<br />
Franziska Schiller sieht das genauso. Andere aus unserer Runde stimmen zu.<br />
„Ich selber sein können“, steht auf einer Karte. Davon träumt Franziska Schiller.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Auch Rolf Rathfelder wünscht sich das. Da müsse man eigentlich noch dazuschreiben<br />
„und sich nicht hinter einer Maske zu verstecken“, sagt er.<br />
„Mich sicher fühlen“ ist auf einer anderen Karte zu lesen. Matthias Braun hält sie in die<br />
Kamera.<br />
Was aus seiner Sicht hilft, damit man sich sicher fühlen kann, fragt ihn Harald Sickinger.<br />
„Miteinander reden, wenn man Ängste hat und so.“, antwortet Matthias Braun und<br />
blickt zu Detlef Hartwig. Der ergänzt „Wenn man nicht weiter weiß, muss man jemand<br />
holen, wo hilfsbereit ist...Mitbew<strong>ohne</strong>r am besten oder Mitarbeiter.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/sicher-fuehlen<br />
“Dass man Freunde hat“, erklärt Detlef Hartwig später noch, das sei wichtig, damit man<br />
sich sicher fühlen kann.<br />
Der Film „Wo´s passt“ läuft gerade achteinhalb Minuten, da geht´s auch hier darum:<br />
„Und kann man dann sagen, also, n´ guter Ort ist auch dort, wo...“, beginnt Harald Sickinger<br />
seine Frage an einen Schüler der Reutlinger Erich-Kästner-Schule und bringt<br />
den Satz nicht zu Ende. „...Freunde sind“, sagt der Schüler spontan dazwischen. „Ja,<br />
kann man“, fügt er hinzu.<br />
Vieles von dem, was die Jugendlichen sagen, scheint auch für uns und andere<br />
Menschen zu gelten, unabhängig vom Alter. Es passt,...<br />
• wo man anerkannt wird, wie man ist und wo man sich entwickeln kann<br />
• wo Freundinnen und Freunde sind<br />
• wo man seinen Interessen nachgehen kann<br />
Auch Respekt sei sehr wichtig, sagen viele.<br />
Der Film „Wo´s passt“ ist jetzt eine viertel Stunde gelaufen.<br />
„TALK – respect connects“ steht in der Einladung zur Präsentation des Jugendkunst-<br />
Projekts T.A.L.K. Das ist Englisch und bedeutet, dass Respekt verbindet.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Santiago Österle erklärt: „Das Talkprojekt ist einfach für mich ein Zusammenfinden von<br />
Jugendlichen, die dann zusammen Sachen arbeiten. Das TALK-Projekt schließt ja total<br />
viel ein. Es schließt den Graffiti-Workshop ein, also den Fotoworkshop, den Rap-<br />
Workshop ein und es schließt den Tanz-Workshop ein. Also, es ist sehr viel, was in dem<br />
Projekt innerhalb passiert und halt beim Rap ist es halt sehr intensiv, weil wir mit<br />
unserem Coach Kabu die Texte erarbeiten und einfach über unser Leben praktisch<br />
reden.“.<br />
Santiago Österle beii der „T.A.L.K.-Präsentation.<br />
Danach sieht man Santiago Österle mit anderen Musiker*innen auf der Bühne in<br />
seinem Element.<br />
Er rappt: „...mein halbes Leben KBF, viele positive Gedanken, ich habe viel gelernt und<br />
dafür möchte ich danken. Doch Dinge ändern sich. Das Leben hat mich eingeholt. Neue<br />
Klasse, neue Zeit...“. Dann singen er und die anderen Mitwirkenden „franz.K, hands up,<br />
franz.K, hands up...“.<br />
Das heißt übersetzt „franz.K, Hände hoch, franz.K. Hände hoch...“ und das Publikum<br />
macht mit. Aber das sieht man im Film nicht. Das wissen wir, weil wir dabei waren.<br />
Dass aus Santiagos Perspektive im franz.K noch nicht alle, aber schon einige Barrieren<br />
abgebaut worden sind, erfahren wir in der nächsten Szene des Films „Wo´s passt“ –<br />
und dass dieses <strong>Kultur</strong>zentrum ein Diamant für ihn ist.<br />
Am Ende geht´s im „Wo´s passt“-Film noch um andere Bereiche, die wichtig sind, für<br />
ein gutes <strong>Kultur</strong>leben. Dazu gehört zum Beispiel die Schule.<br />
„Ich träume eigentlich von einer Schule, die keine Barrieren mehr aufstellt und die<br />
Grenzen für alle öffnet.“, sagt der Rapper.<br />
Diesen Traum träumt er nicht allein.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
4.3 Geschichten von unterwegs<br />
„Wir sind das Projekt <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>,<br />
was sind Sie für ein Verein?“<br />
„Wir sind das Projekt <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>, was sind Sie für ein Verein?“, fragt<br />
Thomas Geprägs an einem der vielen Infostände beim alternativen Neujahrsempfang<br />
im <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K.<br />
Die Leute am Stand sagen, dass sie sich für bessere Radwege einsetzen. Das ist auch<br />
<strong>Kultur</strong>. „Mit Lebenskultur hat´s was zu tun und es ist gesund“, meint eine Frau.<br />
„Wenn Menschen zusammen kommen“, das sei für ihn <strong>Kultur</strong>, antwortet ein<br />
Jugendlicher am Stand des <strong>Kultur</strong>zentrums Zelle.<br />
„Was man gemeinsam schafft“, das bedeutet <strong>Kultur</strong> aus der Sicht eines Mannes, der<br />
beim alternativen Neujahrsempfang die schwule Bewegung in Reutlingen (SchwuBeRt)<br />
vertritt.<br />
Alternativ bedeutet anders. Beim alternativen Neujahrsempfang kommen Leute<br />
zusammen, die sich für eine Welt einsetzen, wo einiges anders gemacht wird. Dabei<br />
geht es um den Umgang mit der Natur und um den Umgang der Menschen<br />
miteinander.<br />
Auf der Bühne erklärt Thomas Geprägs, was der Arbeitskreis Selbstbestimmung macht.<br />
Er sagt, der „setzt sich ein für Menschen mit Handicap und speziell im Freibad für<br />
Rollstuhlfahrer. Eigene Kabinen, eigene Duschen und ein Lifter“. Er will „dass sie vom<br />
Rollstuhl aus in den Lifter sitzen können und einfach runter ins Wasser.“.<br />
Weitere Aktive aus dem Arbeitskreis sitzen mit Markus Christ vom <strong>Kultur</strong>büro neben<br />
Thomas Geprägs auf der Bühne und baden ihre Füße in einem Planschbecken.<br />
Von links sieht man hier Brigitte Edelmann (mit Schild), Rolf Rathfelder, Angelika Lotterer, Frank Bakos (mit Gießkanne),<br />
hinter ihm sitzt Markus Christ und rechts steht Thomas Geprägs mit dem Mikrofon in der Hand.<br />
Das ist eine Protest-Aktion, „weil das im Freibad so schlecht ist“, sagt Thomas Geprägs.<br />
https://www.yumpu.com/s/U0HLPdIBb2wRJ1Ou (Geschichte mit Text und Videos)<br />
61
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Wir Menschen müssen umdenken...“<br />
Rolf Rathfelder zeigt ein Buch: „Das haben wir gemacht für die Gedenkstätte in<br />
Grafeneck. Das ist so ein Buch, wo das erklärt, was da passiert ist“. Der Arbeitskreis<br />
Selbstbestimmung hat beim Schreiben des Buches geholfen. Auch Angelika Lotterer<br />
war dabei. Sie ergänzt: „Was man früher zur Nazizeit mit Leut mit Handicaps gemacht<br />
hat.“.<br />
„Die waren verdunkelt“, sagt Rolf Rathfelder über die grauen Busse. Damit wurden in<br />
der Zeit des Nationalsozialismus Menschen mit Handicap abgeholt und nach Grafeneck<br />
auf der Schwäbischen Alb gebracht. Dort wurden sie ermordet.<br />
Er blättert weiter und zeigt uns ein Foto von dem Gebäude, in dem die Menschen<br />
ermordet wurden.<br />
http://vimeo.com/afuw/grafeneck<br />
Am 27. Januar ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Aus<br />
diesem Anlass kommt das Gespräch auf diejenigen, die im Zusammenhang mit der<br />
entwertenden und ausgrenzenden <strong>Kultur</strong> des Nationalsozialismus ermordet wurden.<br />
Aus diesem Gespräch stammt der folgende Ausschnitt:<br />
Harald Sickiger: „Im Saal der Heime am Gustav-Werner-Platz gibt´s einen Gedenk-<br />
Gottesdienst und am Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus werden Kerzen<br />
aufgestellt. Welche Bedeutung haben solche Gedenk-Orte für Dich?“<br />
Franziska Schiller: „Wir Menschen müssen umdenken und um umzudenken helfen<br />
solche Teile.“<br />
Aus dem Gespräch entsteht das nächste Puzzleteil mit Text und Videos. Wir verwenden<br />
es bei unseren Treffen und machen´s wie andere Teile auch im Internet zugänglich:<br />
https://www.yumpu.com/s/IHLyhz6osMxqeJkB (Geschichte mit Text und Videos)<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Ich frag, ob sie noch zwei Freikarten für Paula haben“<br />
Matthias Braun startet den Film-Trailer. Darin sagt ein Mann: „Paula, ich glaube nicht,<br />
dass Du eine gottbegnadete Künstlerin ersten Ranges wirst. Frauen können keine<br />
Malerinnen werden. Matthias Braun und sein Freund Detlef Hartwig interessieren sich<br />
für den Film. Er läuft im Kamino-Kino.<br />
Franziska Schiller hat ihn schon gesehen. Sie erklärt: Es geht um eine wahre<br />
Begebenheit, Paula. Sie ist am Anfang des letzten Jahrhunderts im Norden von<br />
Deutschland aufgewachsen und als junge Frau weiß sie genau, dass ihr das Malen liegt<br />
und dass sie´s kann und sie wollt damit ihre Stärke zeigen und das einfach machen.<br />
Am Anfang hat Paula einen Malkurs besucht, wo sie genau nach Vorschriften malen<br />
sollte, wie in der Fotografie, man sollte in der Malerei die Natur naturgetreu<br />
wiedergeben. Aber das war der Paula egal. Sie hat das so gesehen und gut. Sie malte<br />
weiterhin nach ihren Empfindungen. Sie hat halt Nasen wie Kartoffeln gesehen und<br />
dann hat sie Nasen wie Kartoffeln gemalt. Der Freund von ihrem Mallehrer hat sie<br />
gefragt; Sehen Sie das so? Sie hat dann gesagt: Ja, das sehe ich so, als Kartoffel...“.<br />
„...Jeder Mensch ist ja ein Individuum und die Paula hat halt ihr Individuum gelebt,<br />
indem ihr das, was andere gesagt haben, in Anführungszeichen scheißegal war“, sagt<br />
Franziska Schiller und fügt hinzu: „Ihr Mann hat sie gehalten und auch gehen lassen,<br />
sie hat auch Freundinnen um sich herumgehabt, die mit ihr revoluzzt haben.“<br />
Der Film handelt unter anderem davon, wie eine Frau trotz vieler Widerstände ihre<br />
Fähigkeiten im <strong>Kultur</strong>leben verwirklicht. Dabei werden Fragen aufgeworfen, die viele<br />
Menschen beschäftigen.<br />
Die „Geschichte von unterwegs“ dazu wird unter anderem im Berufsbildungsbereich<br />
einer Behindertenhilfeeinrichtung als Anschauungsmaterial verwendet.<br />
https://www.yumpu.com/s/uldzQ6IKBHJDEWbM (Geschichte mit Text und Videos)<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Hat der Sohn von der Besitzerin hier Musik gemacht?“<br />
„In diesem Haus hat der Sohn der Besitzerin damals schon, ehe der Jazzclub gegründet<br />
wurde, hat der spaßeshalber bei sich im Keller ab und zu Konzerte gemacht“, erklärt<br />
der Vorsitzende des Reutlinger Jazzclubs in der Mitte.<br />
Seit inzwischen mehr als 40 Jahren hat der Verein den Keller gepachtet und lädt zu<br />
Musikveranstaltungen dorthin ein.<br />
„Hat der Sohn von der Besitzerin hier Musik gemacht“, fragt Thomas Geprägs.<br />
Clemens Wittel antwortet „Der hat hier Veranstaltungen gemacht. Er selber, glaub ich,<br />
hat gar keine Musik gemacht. Aber der hatte so Spaß an der Jazz-Musik, dass er dann<br />
selber Bands engagiert hat und dann immer mal wieder hier unten, im Kohlenkeller<br />
sozusagen, ein Konzert gemacht hat.“.<br />
Von links stehen hier Clemens Wittel, Frank Bakos und Thomas Geprägs auf der steilen Treppe zum Jazzclub.<br />
https://www.yumpu.com/s/qrIbCSxEBX256vaV (Geschichte mit Text und Videos)<br />
Die Geschichte rund um den Jazzclub entsteht anlässlich eines Konzertbesuchs. Dabei<br />
spielen Jazzmusiker spontan in unterschiedlichen Besetzungen zusammen. Der Eintritt<br />
ist frei. Trotzdem gibt es Barrieren. Mit dem Rollstuhl kommt man nicht in den Jazzclub.<br />
Wir überlegen mit Clemens Wittel, ob man einen Treppenlift einbauen könnte. Er zeigt<br />
uns, dass die steile Treppe in den Keller dafür zu eng ist. Bei Veranstaltungen müssen<br />
Fluchtwege immer gut zugänglich sein, falls es einmal brennt.<br />
„Vereint gegen Barrieren“<br />
Am 8. Mai 2017 erscheint ein Artikel der Journalistin Elke Schäle-Schmitt im Reutlinger<br />
Generalanzeiger Es geht um eine Veranstaltung im Spitalhof, die von der Architektenkammer<br />
zusammen mit der Liga für Teilhabe organisiert wurde. Die Überschrift heißt<br />
„Vereint gegen Barrieren“.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Artikel im GEA: https://www.yumpu.com/s/HGMUn6vEPiwsr14K<br />
Das Foto stammt aus dem Artikel. Es zeigt Teilnehmende der Podiumsdiskussion: Von links: Maria Eckert, Ulrich<br />
Schwille, Andreas Bauer, Lothar Bauer, Konrad Berger und Moderator Eckart Hammer.<br />
Perspektiven von Expertinnen und Experten aus eigener Erfahrung flossen unter<br />
anderem durch die Mitwirkung von Maria Eckert bei einer Podiumsdiskussion und<br />
durch die Präsentation von Videobeispielen aus unserer Aktionsforschung durch<br />
Harald Sickinger ein.<br />
Dabei ging es um Erfahrungen mit Barrieren im öffentlichen Raum in der Region.<br />
Beispielsweise ging es laut GEA-Artikel um „schlecht lesbare Hinweisschilder, oder<br />
sprachlich komplizierte Ankündigungen für <strong>Kultur</strong>veranstaltungen, Internetauftritte,<br />
die keine Rücksicht auf Sehbehinderte nehmen, obwohl das technisch recht einfach<br />
möglich wäre...“.<br />
Letzteres spricht ein Filmbeispiel an, das sich um die Einkaufskultur dreht.<br />
Markus Lemcke schaut sich eine Internetseite an, die zum Einkaufen in Reutlingens<br />
Nachbarstadt Metzingen einlädt. Dabei stellt er fest, dass bei den Fotos u. a. die Texte<br />
fehlen, welche die Fotos für blinde und sehbehinderte Menschen beschreiben sollten.<br />
http://vimeo.com/afuw/fehlende-alternativtexte<br />
„Am beeindruckendsten“, schreibt der Generalanzeiger weiter, „war das Beispiel einer<br />
Reutlinger Rollstuhlfahrerin. die mit der Bahn zum Einkaufen nach Metzingen wollte<br />
und für die normalerweise zehn Minuten dauernde Fahrt aus vielerlei Gründen letztlich<br />
zwei Stunden brauchte – samt Kehrschleife in Nürtingen, weil sie sonst am Bahnhof in<br />
Metzingen auf einer Insel festgesessen wäre.“.<br />
Auch diese Geschichte dokumentieren wir als „Geschichte von unterwegs“ mit Text<br />
und Videoausschnitten:<br />
https://www.yumpu.com/s/5XehF6xjmrN7tPZb<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Mitte Mai erscheint im Schwäbischen Tagblatt noch ein Artikel, der ausschließlich die<br />
Bahnfahrt mit Hindernissen zum Thema macht:<br />
Artikel im Tagblatt: https://www.yumpu.com/s/eNWiR1nLgVDv0CbA<br />
Wir möchten allerdings nicht nur Geschichten über Barrieren vermitteln. Wir wollen<br />
Wege erkunden, die uns selbst und andere die Schätze der <strong>Kultur</strong> erleben lassen.<br />
„Ich finde, so etwas ist wirklich auch ein Schatz...“<br />
Thomas Geprägs im Gespräch mit Reutlingens Oberbürgermeisterin Barbara Bosch<br />
„Die hat gesagt, dass es nicht mehr wegzudenken ist aus Reutlingen, <strong>Kultur</strong> vom<br />
Rande“, erklärt Thomas Geprägs, als wir die Aufnahmen von unserem Gespräch im<br />
Rathaus noch einmal anschauen. Dann fügt er hinzu: „Die sitzt auch immer am<br />
Schreibtisch“.<br />
Im Film sieht man, wie er sie fragt: „Was macht so ´ne Oberbürgermeisterin den ganzen<br />
Tag?“ und wie er sie eine Schachtel öffnen lässt. Ursprünglich war da mal ein Spiel drin.<br />
„Entdecke die Wunder der Erde“ steht drauf.<br />
Die Oberbürgermeisterin holt das Programm des Festivals „<strong>Kultur</strong> vom Rande“ aus der<br />
Schachtel. Das findet im Juni statt. „So etwas ist wirklich auch ein Schatz, vielleicht<br />
sogar ein Wunder der Erde“, sagt sie.<br />
Thomas Geprägs, Franziska Schiller und Harald Sickinger erstellen fünf Videoclips mit<br />
prominenten Unterstützerinnen und Unterstützern des Festivals Diese Clips werden<br />
bei der Eröffnung gezeigt.<br />
http://vimeo.com/afuw/bosch-kulturvomrande<br />
http://vimeo.com/afuw/wuerth-kulturvomrande<br />
http://vimeo.com/afuw/mack-kulturvomrande<br />
http://vimeo.com/afuw/bauer-kulturvomrande<br />
http://vimeo.com/afuw/keller-kulturvomrande<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Bei jedem dieser Gespräche tauschen wir uns über viele unterschiedliche Fragen aus.<br />
Es geht nie ausschließlich um „<strong>Kultur</strong> vom Rande“, sondern um <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong><br />
insgesamt.<br />
Zum Gespräch mit Barbara Bosch hat Thomas Geprägs einen Reutlinger Stadtplan<br />
mitgebracht. Er möchte ihr zeigen, dass der für viele Menschen nicht gut lesbar ist.<br />
Sie erklärt, dass momentan an einem besser lesbaren Stadtplan gearbeitet wird und<br />
dass dabei auch Expertinnen und Experten beteiligt sind, die das Problem aus eigener<br />
Erfahrung kennen.<br />
Außerdem erwähnt sie die Mitwirkung einer Organisation mit dem Namen<br />
„Behindertenliga“. Diese Organisation hat allerdings ihren Namen geändert.<br />
Thomas Geprägs sagt in freundlichem Ton: „Frau Bosch, sie haben gesagt<br />
Behindertenliga. Das heißt mittlerweile Liga für Teilhabe.“.<br />
Die Oberbürgermeisterin bedankt sich für den Hinweis.<br />
http://vimeo.com/afuw/gespraech-stadtplan<br />
„...dass man sich dann vielleicht mal aufmacht,<br />
um was dran zu ändern...“<br />
Ob man von den Bremer Stadtmusikanten etwas lernen kann, wollen wir wissen.<br />
„Ja“, sagt die Passantin, die wir beim ehemaligen Konzertbüro in der Reutlinger<br />
Innenstadt angesprochen haben.<br />
Sie meint: „Wie´s bei den Brüdern Grimm in dem Märchen so schön heißt, etwas<br />
Besseres als den Tod findet man überall. Also, dass, wenn einem nix mehr passt, die<br />
zuständigen Zustände, dass man sich dann vielleicht einfach mal aufmacht, um was<br />
dran zu ändern.“.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Dieses Gespräch kommt in einem der fünf Videogeschichten vor, die Franziska Schiller<br />
und Harald Sickinger in Zusammenarbeit mit anderen Aktionsforscherinnen und<br />
Aktionsforschern speziell zur Präsentation vor den abendlichen Theatervorstellungen<br />
beim Festival „<strong>Kultur</strong> vom Rande“ produziert haben.<br />
Wir haben einige Ausschnitte daraus zusammengestellt.<br />
http://vimeo.com/afuw/ausschnitte-gvu-kvr<br />
Diese ausgewählten Filmpassagen drehen sich um Wunder der Erde und um<br />
märchenhafte Vorstellungen.<br />
Rolf Rathfelder und Angelika Lotterer sagen zum Beispiel, es ist auch ein Wunder der<br />
Erde, dass sie sich kennen und lieben gelernt haben.<br />
Es geht aber auch darum, wie es wäre, wenn Märchen oder Träume wahr würden.<br />
Rolf Rathfelder wünscht sich, dass er wie ein erwachsener Mensch behandelt wird und<br />
nicht wie ein kleines Kind. „Dass alle Menschen gleichbehandelt werden, wär auch ein<br />
Traum“, sagt der Aktionsforscher.<br />
„Da müssen alle an einem Strang ziehen, nicht mit Handicap und mit Handicaps“,<br />
ergänzt ihn seine Lebensgefährtin Angelika Lotterer.<br />
Dass wir ja so eine Art Schatzsuche machen, meint Harald Sickinger und schwenkt mit<br />
der Kamera auf jene Schachtel, in der früher ein Spiel drin gewesen ist und die schon<br />
bei der Oberbürgermeisterin zu sehen war. „Auf der Kiste steht ja drauf: Expedition.<br />
Entdecke die Wunder der Erde. Wie kann man eigentlich erklären, was eine Expedition<br />
ist, Franzi?“, fragt er.<br />
Franziska Schiller denkt nach. Dann sagt sie: „Eine lange, anstrengende, interessante,<br />
vielfältige Reise.“.<br />
In dieser Momentaufnahme fährt Franziska Schiller gerade aus dem Bild, um dann auf dem Marktplatz wieder<br />
auf zu tauchen. Im Gepäck hat sie die Bremer Stadtmusikanten: Ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn. Das<br />
Zelt im Hintergrund ist ein Veranstaltungsort beim Festival „<strong>Kultur</strong> vom Rande“.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Das gibt mir Phantasie“<br />
Hier sieht man ein Beispiel dafür, wie die Behindertenhilfeeinrichtung LWV Eingliederungshilfe in Rappertshofen<br />
ausgewählte Geschichten von unterwegs aus unserer Aktionsforschung präsentiert. Der rechte Faden führt zu<br />
der Stelle auf dem Stadtplan, wo sich das Kunstmuseum Spendhaus befindet.<br />
„Wenn Sie malen, freitags jetzt, können Sie das Gefühl beschreiben, wie das ist, wenn<br />
Sie malen“, fragt Harald Sickinger die Malerin Gabi Pfister. Sie ist erst vor kurzem zur<br />
Malerin geworden, freitags, im offenen Atelier des Projekts „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“.<br />
Gabi Pfister sagt: „Ich fühle mich befreit, einfach befreit“.<br />
Franziska Schiller schaut diese Szene zusammen mit Harald Sickinger an. Sie kann<br />
dieses Gefühl gut verstehen. Ihr geht´s manchmal ganz ähnlich.<br />
„Vor mir hängt ein schwarzrotes Bild“, sagt sie in einer Aufnahme, die im Kunstmuseum<br />
Spendhaus entstanden ist. Es ist ein Bild von HAP Grieshaber.<br />
„Schwarz und rot sind eigentlich gefährliche Farben“, erklärt Franziska Schiller weiter,<br />
„aber das ist für mich ein warmes, ausdrucksvolles Bild. Das guck ich gern an. Das gibt<br />
mir Phantasie. Das gibt mir Wärme.“.<br />
Dieses Bild hat sie inspiriert, selbst kreativ zu werden, in den Werkräumen des<br />
Kunstmuseums.<br />
http://vimeo.com/afuw/kunstmuseum<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Solche „Geschichten unterwegs“ geben auch anderen Leuten Phantasie zum <strong>Kultur</strong><br />
erleben und zum <strong>Kultur</strong> schaffen.<br />
Das passiert zum Beispiel bei unserem wöchentlichen <strong>Kultur</strong>-Treff im Cafe´Nepomuk,<br />
bei unseren monatlichen Veranstaltungen im <strong>Kultur</strong>park in Rappertshofen und bei<br />
vielen weiteren Treffen mit Menschen mit Handicap, mit denjenigen, die sie<br />
unterstützen, mit Verantwortlichen von <strong>Kultur</strong>einrichtungen und mit allen möglichen<br />
anderen Interessierten.<br />
Dabei geht es um die Schätze der <strong>Kultur</strong> und um Herausforderungen auf dem Weg<br />
dahin. Es geht um den Abbau von Barrieren, um die Organisation von Assistenz. Es geht<br />
um ganz bestimmte <strong>Kultur</strong>-Veranstaltungen und um <strong>Kultur</strong>-Orte ganz allgemein.<br />
Im Sommer 2017 ist nach dem Festival „<strong>Kultur</strong> vom Rande“ unter anderem mal wieder<br />
der Reutlinger Orgelsommer ein Thema, wenn wir Geschichten von unterwegs<br />
erzählen, auch die <strong>Kultur</strong>nacht, die bald wieder kommt und unsere Erfahrungen beim<br />
diesjährigen Inter:Komm!-Festival. Dort haben wir einige Stimmen eingefangen.<br />
„Wie würdest Du Inter:Komm! erklären?“, fragt Thomas Geprägs einen Besucher.<br />
Der antwortet: „Also, ich find es toll, dass es keinen Eintritt kostet, dass jeder kommen<br />
kann, auch die, die kein Geld haben, Flüchtlinge und so.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/stimmen-interkomm<br />
Dieses Foto zeigt Frank Bakos in unserer kleinen „Aktionsforschungs-Basisstation“ beim Inter:Komm!-Festival.<br />
Im Herbst 2017 drehen sich unsere „Geschichten von unterwegs“ dann zum Beispiel<br />
wieder um Denkmale.<br />
Am Tag des offenen Denkmals sind wir im Pfullinger Schaffwerk und in der Reutlinger<br />
Oststadt unterwegs, wo es alte prächtige Häuser gibt, aber auch manches mehr, was<br />
das <strong>Kultur</strong>leben bereichert.<br />
Hier fragt Franziska Schiller den Stadtführer, wie er in dreißig Sekunden die Oststadt<br />
erklären würde.<br />
70
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Dieser Stadtteil habe gemeinsam mit anderen die höchste Lebensqualität in<br />
Reutlingen, meint er.<br />
Unter uns entwickelt sich daraus ein Gespräch über Lebensqualität. Was bedeutet das<br />
für uns selbst, an den Orten, wo wir w<strong>ohne</strong>n?<br />
Auch dieses kurze Video ist ein Beispiel dafür, womit wir bei unseren Treffen und<br />
Veranstaltungen zum Austausch über das Thema <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong> anregen.<br />
http://vimeo.com/afuw/lebensqualitaet<br />
Diese Leute hören gerade dem Stadtführer zu, wie er eine Geschichte vom Reutlinger Landratsamt erzählt.<br />
Im <strong>Kultur</strong>park Rapperthofen im Reutlinger Norden besuchen inzwischen regelmäßig<br />
mehr als zwanzig Menschen unsere monatlichen „Geschichten von unterwegs“ –<br />
Veranstaltungen.<br />
Begonnen hat diese Sache im Frühling 2017 mit einer persönlichen Geschichte von<br />
Franziska Schiller, die selbst in Rappertshofen wohnt. Zusammen mit Harald Sickinger<br />
zeigte sie Videos und erzählte von ihren Erfahrungen in Verbindung mit dem Projekt<br />
„<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“.<br />
Inzwischen ist daraus ein regelmäßiger Termin geworden, bei dem wir Informationen<br />
und Meinungen austauschen, aber auch konkrete Aktivitäten planen. Unter anderem<br />
Veranstaltungen im Kamino und im franz.K spielen hier oft eine wichtige Rolle.<br />
Mancher Bew<strong>ohne</strong>r und manche Bew<strong>ohne</strong>rin einer Behindertenhilfeeinrichtung ist<br />
nun gemeinsam mit uns unterwegs, zum Beispiel bei Heiners Schmuckschatulle oder<br />
beim Filmschauen.<br />
Oft nutzen wir unsere selbst gemachten Filmclips, wenn wir <strong>Kultur</strong>einrichtungen<br />
vorstellen.<br />
Auch über das Kamino zeigen wir immer wieder ein kurzes Video. Darin ist unter<br />
anderem Harald Sickinger zu sehen, wie er über den Eintrittsreis redet.<br />
Für Menschen mit Behindertenausweis kostet es sechs Euro, erklärt er.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Das Kino Kamino ist im Stadtgebiet Oststadt“, erklärt Thomas Geprägs in dem Clip.<br />
Dass es sich im Ziegelweg befindet ergänzt Rolf Rathfelder. Dann sieht man Franziska<br />
Schiller, lachend, vor dem Kamino.<br />
http://vimeo.com/afuw/kamino<br />
Wenn es der Anlass gebietet, sind wir Immer wieder auch an Orten unterwegs bzw.<br />
erzählen Geschichten von Orten, die nicht jede und jeder gleich mit <strong>Kultur</strong> in<br />
Verbindung bringt.<br />
Die Hochschule Reutlingen zum Beispiel veranstaltet anlässlich des Reformationsjubiläums<br />
ein Konzert mit dem Leipziger Barockorchester und mit dem Valparaiso<br />
Chorale. Das ist ein Chor aus den USA.<br />
Das Konzert wird in der Stadthalle gegeben. Davor zeigen wir bei verschiedenen<br />
Veranstaltungen und Treffen ausgewählte Ausschnitte von einem Gespräch mit dem<br />
Organisator Prof. Dr. Baldur Veit. Er leitet an der Hochschule das Büro für<br />
internationale Angelegenheiten. Offiziell und in Englisch heißt das „Reutlingen International<br />
Office (RIO)“.<br />
„Ich versuche alle internationalen Aktivitäten der Hochschule zu koordinieren“, erklärt<br />
Baldur Veit im Gespräch mit Thomas Geprägs, Franziska Schiller und Harald Sickinger.<br />
Das Konzert, sagt er, "hat mit den internationalen Beziehungen der Hochschule zu tun.<br />
Die Valparaiso University ist eine Partnerhochschule der Hochschule Reutlingen.<br />
http://vimeo.com/afuw/hochschule-reutlingen<br />
Es gibt noch viele weitere kleinere und größere Geschichten, die wir im Herbst und im<br />
Winter 2017 / 2018 erkunden und vermitteln.<br />
So berichten wir unter anderem vom Gedenken an die Opfer des Holocaust anlässlich<br />
des Jahrestages der sogenannten Reichskristallnacht, von Sportangeboten für<br />
Menschen mit und <strong>ohne</strong> Handicap und von Angeboten der Volkshochschule.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Das Heimatmuseum, das Kunstmuseum und die Stadtbibliothek sind ebenfalls immer<br />
wieder Thema.<br />
In der Stadtbibliothek gibt es jetzt auch Lesungen von Büchern, die in einfacher Sprache<br />
geschrieben sind.<br />
Franziska Schiller macht außerdem darauf aufmerksam, dass man in der Bibliothek<br />
auch ins Internet gehen kann. Das sieht man in einem unserer Filmchen.<br />
http://vimeo.com/afuw/stadtbibliothek<br />
In diesem Bildausschnitt aus dem Video-Clip sieht man eine Informationsbroschüre über die Stadtbibliothek. Sie<br />
ist in leichter Sprache geschrieben und liegt hier auf dem Reutlinger Stadtplan.<br />
Bis zum Ende des Projekts „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ im Sommer 2018 und darüber<br />
hinaus vermitteln wir solche Geschichten, um Anregungen zu geben und ins Gespräch<br />
zu kommen und so auch selbst wieder Anregungen zu bekommen.<br />
Im Dezember 2017 ist Edith Koschwitz (links) in unserem offenen <strong>Kultur</strong>treff zu Gast. Rechts neben ihr sieht man<br />
Angelika Lotterer. Wir sprechen über die Reutlinger <strong>Kultur</strong>nacht, für deren Organisation Edith Koschwitz<br />
verantwortlich ist. Außerdem leitet sie das Projekt „Fortschreibung der <strong>Kultur</strong>konzeption Reutlingen“. Auch das<br />
interessiert uns sehr.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Gelegenheiten zum Austausch ergeben sich im Nebenraum des Café Nepomuk, im<br />
<strong>Kultur</strong>park in Rappertshofen, bei einer Sitzung des Heimbeirats von Bew<strong>ohne</strong>rinnen<br />
und Bew<strong>ohne</strong>rn einer Behindertenhilfeeinrichtung, bei Besuchen im Wohnheim, bei<br />
vielen persönlichen Treffen und an Infoständen, bei Gesprächen über die<br />
Fortschreibung der <strong>Kultur</strong>konzeption für Reutlingen und nicht zuletzt bei einer großen<br />
Veranstaltung des Projekts „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ im Reutlinger Spitalhof.<br />
Bei all dem gehen wir von unseren eigenen Erfahrungen aus und versuchen diese<br />
Schritt für Schritt mit anderen zu verbinden.<br />
5 Weitere Perspektiven entwickeln<br />
Die Stadt Reutlingen hat im Jahr 2006 eine <strong>Kultur</strong>konzeption beschlossen.<br />
Das Wort Konzeption kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „etwas<br />
zusammenfassen“.<br />
In der <strong>Kultur</strong>konzeption hat die Stadtverwaltung das <strong>Kultur</strong>leben der Stadt zusammengefasst.<br />
Die <strong>Kultur</strong>konzeption ist ein dickes Buch.<br />
Seit Sommer 2017 wird die bisherige <strong>Kultur</strong>konzeption fortgeschrieben. Das heißt, sie<br />
wird weiterentwickelt.<br />
Deshalb machen sich jetzt viele Leute Gedanken darüber. Wir machen das auch.<br />
Puzzleteil mit Text und Videos: https://www.yumpu.com/s/tZARP0TOapx73jgB<br />
Das Foto zeigt Spielfiguren, mit denen wir wichtige Fragen verdeutlichen: Ein Rollstuhlfahrer, der sich fragt, wie<br />
er die baulichen Barrieren überwinden soll, die ihm den Weg versperren; eine Frau, die sich fragt, ob ihr das Geld<br />
reicht, welches der Geldautomat ausspuckt und unterschiedliche Personen, die sich fragen, wie Kommunikation<br />
gelingt. Dazu gehört nicht nur das Thema, auf welches ein Schild hinweist. „Halt! Leichte Sprache“ steht drauf.<br />
Außerdem sieht man da einen Omnibus. Das ist lateinisch und bedeutet „für alle“. Wie entsteht eine <strong>Kultur</strong>, die<br />
möglichst für alle passt? Auf dem Stadtplan sind schon einige Teile des Reutlingen-Puzzles zu sehen, die zu passen<br />
scheinen und ein nach und nach zusammenhängendes Bild entstehen lassen.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„...buchstäblich jede und jeder...“<br />
„In die <strong>Kultur</strong>konzeption gehört ja auch jede Hautfarbe“, sagt Franziska Schiller,<br />
„buchstäblich jede und jeder, egal welche Hautfarbe, welche Sprache, welche was auch<br />
immer, einfach jeder.“.<br />
Eine <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong> entstehen zu lassen, das betrifft zunächst einmal alle und<br />
alles. Das betrifft nicht nur Reutlingen. Das betrifft die ganze Welt.<br />
Es ist Januar 2018. Im <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K. findet wieder der alternative Neujahrsempfang<br />
statt. Auf der Bühne steht Thomas Geprägs und führt das Video ein, welches<br />
wir mitgebracht haben:<br />
„Wir sind das Projekt <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>n“. sagt er, „wir setzen uns ein für<br />
Menschen mit Handicap, dass die im <strong>Kultur</strong>leben teilnehmen, für das setzen wir uns ein.<br />
<strong>Kultur</strong> ist auch eine Schule für alle, wo Menschen mit und <strong>ohne</strong> Handicap gemeinsam<br />
in die Schule gehen. Früher war´s nicht so. Da wurden Menschen mit Handicap<br />
ausgegrenzt“.<br />
Dann fragt er: „Was hat <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong> mit Klimawandel zu tun?“ und der Film<br />
wird gestartet.<br />
Hier sieht man Thomas Geprägs bei seiner Rede zur Einführung unseres Filmclips beim alternativen<br />
Neujahrsempfang im <strong>Kultur</strong>zentrum franz.K.<br />
„Klima wandel(n) – solidarisch handeln“, heißt das Motto beim diesjährigen alternativen<br />
Neujahrsempfang.<br />
In unserem Clip erklärt Franziska Schiller: „Wir stehen ja ein für <strong>Kultur</strong> für alle und wenn<br />
wir <strong>Kultur</strong> für alle haben, gehören wir ja alle zusammen“.<br />
Alle miteinander können das gesellschaftliche Klima ändern, meint sie, damit niemand<br />
ausgegrenzt wird.<br />
„Solidarisch, das ist für mich ein Fremdwort. Das kapier ich nicht ganz, was das sein<br />
soll“, sagt Rolf Rathfelder ein wenig später in unserem Filmbeitrag.<br />
75
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Dann sieht man, wie Thomas Geprägs die Überschrift über der Einladung zum<br />
Neujahrsempfang anschaut und sagt: „Das kapier ich auch nicht, solidarisch, das ist ein<br />
schwieriges Wort.“.<br />
Franziska Schiller erklärt, was es aus ihrer Sicht bedeutet: „Nach meinem Verständnis<br />
heißt das, so zu handeln, dass es für jeden, für die Welt, für die Tiere und für die<br />
Menschen okay ist.“.<br />
Dann folgen Straßenszenen mit den Bremer Stadtmusikanten – Ein Esel, ein Hund eine<br />
Katze und ein Hahn, die sich zusammenschließen und zu ändern versuchen, was in<br />
ihrem Leben nicht passt.<br />
http://vimeo.com/afuw/klima-wandeln<br />
„...gegenseitig unterstützen...“<br />
„<strong>Kultur</strong> bedeutet, dass die Leute gegenseitig unterstützen,“ sagt unser Kollege Detlef<br />
Hartwig. „Das ist sehr wichtig“, ergänzt er, der immer wieder Leuten im Rollstuhl hilft,<br />
wenn sie zum Beispiel jemanden brauchen, um die Rampe vom Stadtbus auszuklappen.<br />
Wie so viele Leute unterstützt er andere Leute und braucht zugleich auch manchmal<br />
selbst Unterstützung.<br />
Das ist zum Beispiel beim Besuch von <strong>Kultur</strong>veranstaltungen der Fall: „Alleine tät ich´s<br />
mir nicht trauen, sondern ich nehm jemand mit, wo sich mit mir auskennt.“, erklärt<br />
Detlef Hartwig.<br />
„Jetzt gibt´s manchmal so <strong>Kultur</strong>begleiter, die holen einen daheim ab und bringen einen<br />
auch abends wieder heim“, erwähnt Angelika Lotterer und spricht damit etwas an, was<br />
das <strong>Kultur</strong>büro von „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ organisiert hat.<br />
„Also jetzt gerade spontan kommt mir die Geschichte mit dem Kunstmuseum in den<br />
Kopf. Die Unterstützung war beim Schaffen ziemlich wertvoll. Sonst hätte mein Krabat<br />
nie Flügel gekriegt und so weiter“, meint Franziska Schiller.<br />
Der „Krabat“ von Franziska Schiller<br />
76
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Wenn viele Personen und Organisation zusammenschaffen, dann finden wir immer<br />
wieder Möglichkeiten, wie´s passt. Das ist unsere Erfahrung.<br />
Im Kunstmuseum arbeiten seit Anfang 2018 wieder einige Aktionsforscherinnen und<br />
Aktionsforscher mit Kerstin Rilling zusammen.<br />
Sie hat uns bereits im letzten Jahr geholfen, sodass wir unsere Perspektiven mit Kunst<br />
sichtbar machen und erweitern konnten.<br />
„Wir machen uns mit Kunst auf den Weg“ heißt es jetzt.<br />
Mit dabei ist auch Christine Fuchs, die sich bereits seit einiger Zeit bei vielen unserer<br />
Erkundungen und Aktionen beteiligt.<br />
Dazu gekommen ist sie durch unsere monatlichen „Geschichten von unterwegs“ im<br />
<strong>Kultur</strong>park.<br />
Vor kurzem hat sie ein persönliches Zukunftsfest veranstaltet.<br />
Was das ist, erklärt sie so: „Ein Zukunftsfest ist eine Veranstaltung, wo man mehrere<br />
Leute aussucht, die man gerne dabeihaben möchte, um die Zukunft zu gestalten und<br />
dabei Unterstützer zu suchen.<br />
Was sehr wichtig war, sagt sie, war „wie die Leute mich gesehen haben oder sehen und<br />
auch meine Fähigkeiten, die ich hab.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/zukunftsfest<br />
Bei dem Zukunftsfest ging es neben vielen anderen Themen auch um die Frage, wie sie<br />
die passende Unterstützung fürs Fahren mit dem Stadtbus bekommen kann.<br />
Christine Fuchs am Busbahnhof. Seit dem Zukunftsfest ist sie öfter mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs.<br />
77
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„...wenn jeder quasi und jede<br />
da ihre Fähigkeiten einbringen kann...“<br />
Was bei der <strong>Kultur</strong>konzeption eigentlich sonst noch beachtet werden sollte, fragt<br />
Harald Sickinger.<br />
Rolf Rathfelder antwortet: „Wenn eine neue <strong>Kultur</strong>stätte gebaut wird, dass die<br />
Menschen mit Behinderung mit einbezogen werden beim Planen und Bauen.“.<br />
„Respekt ist wichtig“ sagt Thomas Geprägs immer wieder, wenn es darum geht, wie<br />
eine <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> Ausgrenzung entstehen kann.<br />
Einen Menschen zu respektieren heißt zunächst einmal, ihn und seine jeweilige<br />
persönliche Perspektive zu verstehen oder das mindestens zu versuchen.<br />
Thomas Geprägs als Reporter vor dem Neubau des Reutlinger Stadttheaters „Die Tonne“.<br />
„Wir sind das Projekt <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>n“, hört man Thomas Geprägs sagen, „wir<br />
stehen hier vor dem Theater Tonne.“. Dann erklärt er, dass beim Theater eine<br />
Arbeitskollegin von seinem Arbeitsplatz auf dem Hofgut Gaisbühl mitspielt und dass<br />
auch seine Aktionsforschungskollegin Franziska Schiller hier Schauspielerin ist.<br />
„Das ist ein schönes Gebäude“, meint Thomas Geprägs über den Neubau und betont:<br />
„Das ist nicht weit von mir daheim, Theater Tonne, früher war´s weiter.“.<br />
Dieses Jahr will er sich hier einige Theaterstücke anschauen.<br />
http://vimeo.com/afuw/tonne<br />
„Und was kann man eigentlich machen, dass es in so ´ner <strong>Kultur</strong>einrichtung Respekt<br />
gibt?“, hakt Harald Sickinger nach.<br />
„Für jeden eine Möglichkeit schaffen. So, wie zum Beispiel im Haus der Familie“,<br />
antwortet Franziska Schiller, „der eine betreut die Kinder, der andere kocht, der andere<br />
macht einen kulturellen Abend.“.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Seit unserem Aktionsforschungsbesuch im Haus der Familie besucht Franziska Schiller<br />
dort immer wieder das Ferda-Café.<br />
Da treffen sich Menschen aus unterschiedlichen Ländern.<br />
Einige von ihnen trifft sie neuerdings auch bei einem Projekt, das in der<br />
Volkshochschule stattfindet. Dabei wird mit Mosaik-Steinen gearbeitet.<br />
Hier begegnen sich die Menschen auch Augenhöhe, findet Franziska Schiller.<br />
„Auf Augenhöhe“, so heißt auch ein Film, den wir vor einiger Zeit im Kino Kamino<br />
gesehen haben.<br />
Jetzt, im März 2018, läuft er in der Nikolaikirche in der Veranstaltungsreihe „Film für<br />
alle“.<br />
Franziska Schiller und Harald Sickinger waren bei einem Vorbereitungstreffen und<br />
haben Plakate mitgebracht.<br />
Matthias Braun schaut sich das Plakat an. „Ich tät den Film weiterempfehlen“, sagt er<br />
und erzählt ein bisschen, worum es geht:<br />
„Es ist ein kleinwüchsiger Vater und ein großer Sohn“. Der Film sei empfehlenswert,<br />
meint Matthias Braun, „an manchen Stellen ist er witzig und ab und zu auch traurig.“.<br />
Auch Thomas Geprägs und Franziska Schiller empfehlen den Film, weil er aus ihrer Sicht<br />
unterschiedliche Probleme unterhaltsam vermittelt.<br />
So beginnt ein kurzes Video mit Ausschnitten aus unserem Gespräch über „Auf<br />
Augenhöhe“.<br />
Dieses Video schauen unter anderem einige Schülerinnen und Schüler an, die sich im<br />
Unterricht damit beschäftigen.<br />
http://vimeo.com/afuw/filmbesprechung-auf-augenhoehe<br />
Von links nach rechts sieht man hier Matthias Braun, Rolf Rathfelder, Angelika Lotterer und Thomas Geprägs. Sie<br />
unterhalten sich über den Film „Auf Augenhöhe“.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
„Viel erreicht, aber auch noch viel zu tun...“<br />
Im März 2018 präsentieren wir ausgewählte Geschichten von unterwegs bei einer<br />
großen Veranstaltung, die das Projekt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ mit der Evangelischen<br />
Hochschule organsiert hat.<br />
Einladung zur Veranstaltung: https://www.yumpu.com/s/QfIKXbwzp6LUg4Nm<br />
„Viel erreicht, aber auch noch einiges zu tun...“ heißt es in der Überschrift des<br />
Veranstaltungsberichts von Gisela Sämann, der danach im Reutlinger Generalanzeiger<br />
erscheint.<br />
In der Zusammenfassung am Ende des Artikels steht: „Genug Ideen, Reutlingen zum<br />
inklusiven <strong>Kultur</strong>ort zu machen, gibt es – das hat die Veranstaltung im Spitalhof gezeigt.<br />
Und auch, wie wichtig es ist, Menschen mit Behinderung in die Planungen mit<br />
einzubeziehen: als Experten in eigener Sache.“.<br />
Artikel im GEA: https://www.yumpu.com/s/AWejTi6MGhpR47C9<br />
Unsere Erfahrung ist: Wir kommen weiter, wenn bei der Entwicklung unseres <strong>Kultur</strong>lebens<br />
von unseren Interessen und Talenten ausgegangen wird.<br />
Es passt, wenn wir dem nachgehen, was wir gerne machen und was wir gut können.<br />
Die ersten Schwierigkeiten auf dem Weg ins <strong>Kultur</strong>leben treten allerdings oft schon<br />
auf, bevor wir das Haus verlassen – zum Beispiel,<br />
• wenn wir selbst nicht wissen, was wir wollen und können,<br />
• oder, wenn andere unsere Interessen und Talente nicht verstehen<br />
• oder, wenn wir nicht wissen, wo wir unseren Interessen und Talenten nachgehen<br />
können<br />
• oder, wenn wir uns nicht dorthin bewegen können, weil die passenden<br />
Bewegungsmittel fehlen oder die Orientierung oder die Sicherheit oder die Kraft<br />
oder einfach die Motivation.<br />
80
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Manche Expertinnen und Experten aus eigener Erfahrung sagen, dass es eine Art<br />
ansteckende Krankheit gibt, die sich manchmal in Wohnheimen ausbreitet.<br />
„Lustlosigkeit“ oder „Faulheit“ könnte man die nennen, meint Rolf Rathfelder.<br />
Oder „Müdigkeit“, fügt Angelika Lotterer hinzu.<br />
Franziska Schiller schlägt noch eine andere Bezeichnung für diese Sache vor, die<br />
manche beim <strong>Kultur</strong> erleben und beim <strong>Kultur</strong> schaffen behindert. „Ich tät´s Hospitalisation<br />
nennen“, sagt sie.<br />
„Das ist aber ein Fremdwort“, wirft Rolf Rathfelder ein.<br />
„Was heißt das auf Deutsch und in einfacher Sprache, dass wir´s auch verstehen?“, fragt<br />
Matthias Braun.<br />
Franziska Schiller antwortet: „Dass wir einfach, wie Ihr´s gesagt habt, keinen Bock mehr<br />
haben, was zu machen und uns dann im Haus immer im Kringel drehen.“.<br />
http://vimeo.com/afuw/motivationsfragen<br />
So ist das nach unserer Erfahrung teilweise, so ist es aber nicht immer.<br />
Wir selbst und viele andere um uns herum tun einiges,<br />
• damit wir herausfinden, was wir wollen und können<br />
• und das auch anderen vermitteln<br />
• und die vorhandenen Möglichkeiten des <strong>Kultur</strong>lebens entdecken<br />
• und neue Möglichkeiten entwickeln – und das betrifft auch die Motivation und<br />
die Kraft und die Sicherheit und die Orientierung und passende Bewegungsmittel<br />
ebenso.<br />
Viele öffentliche Verkehrsmittel passen aber noch nicht für alle und einige von uns<br />
suchen Menschen, die sie unterwegs unterstützen.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Im Lauf der letzten Jahre haben wir immer wieder bei Begehungen und Befahrungen<br />
mitgemacht, um unsere Perspektiven zu vermitteln.<br />
Erst kürzlich organisierte der Landkreis in der Volkshochschule einen Fachtag zum<br />
barrierefreien Planen und Bauen. Auch die Agentur für unschätzbare Werte war dabei.<br />
„Dass die <strong>Kultur</strong>stätten barrierefrei sind und gut zugänglich ist wichtig“, meint Rolf<br />
Rathfelder, als wir über die Weiterentwicklung der <strong>Kultur</strong>konzeption sprechen.<br />
Dafür bleibt noch viel zu tun.<br />
Nicht selten liegt es am Geld, wenn jemand außen vor bleibt. Das betrifft unter<br />
anderem die Eintrittspreise.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Die bisherigen Regelungen über Freikarten für Menschen mit wenig Geld helfen<br />
ebenso weiter, wie zum Beispiel auch das Reutlinger Gutscheinheft und ermäßigte<br />
Eintrittspreise für bestimmte Veranstaltungen.<br />
Manchmal sind die Reglungen aber noch ziemlich kompliziert.<br />
Aus manchen Bereichen des <strong>Kultur</strong>lebens ist man <strong>ohne</strong> viel Geld ausgeschlossen.<br />
Stellvertretend für viele andere sagt Angelika Lotterer: „Es sollte halt auch so sein, dass<br />
es für jedermann und für uns bezahlbar ist.“.<br />
Verstehen und verstanden werden ist sehr wichtig, damit wir <strong>Kultur</strong> miterleben und<br />
mitschaffen können.<br />
Nach unserer Erfahrung kommen wir weiter, wenn wir eine angemessene Sprache<br />
suchen und finden oder erfinden, wenn wir so sprechen und schreiben, dass wir uns<br />
leichter verständigen können.<br />
Das betrifft nicht nur die Verwendung von Fremdwörtern, sondern die Kommunikation<br />
insgesamt.<br />
„Kommunikation“ ist ein Fremdwort. Es kommt aus der lateinischen Sprache und es<br />
bedeutet, dass man Wissen, Erfahrungen oder auch Gefühle austauscht.<br />
Auch im Frühling und Sommer 2018 beschäftigen wir uns weiterhin mit dem Austausch<br />
von Wissen, Erfahrungen und Gefühlen.<br />
Wir helfen zum Beispiel bei der Entwicklung eines Stadt-Spiels für Reutlingen mit,<br />
indem wir den Spielemacherinnen und Spielemachern unsere Perspektiven vermitteln.<br />
Diese fließen dabei ebenso ein, wie die Perspektiven von vielen anderen Menschen.<br />
Dazu gehören auch Menschen, die aus ihren Heimatländern flüchten mussten und jetzt<br />
in Reutlingen leben.<br />
Das Wort „Perspektive“ stammt ebenfalls aus der lateinischen Sprache.<br />
„Das bedeutet Ansicht oder Aussicht“, erklärt Rolf Rathfelder.<br />
Wenn wir unsere Ansichten austauschen, dann verändern wir dabei oft nicht nur<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
unsere Ansichten, sondern auch unsere Aussichten.<br />
Salima Fellous arbeitet in der Volkshochschule an einem Mosaik. Dabei erzählt sie vom<br />
Hamam. Das ist ein türkisches Bad. „Da sind die Fliesen auch mit Mosaik gemacht“,<br />
sagt sie und fügt hinzu: „Das ist auch wunderschön.“.<br />
Dann sieht man gleich nebenan Franziska Schiller bei der Arbeit mit Mosaiksteinen.<br />
http://vimeo.com/afuw/mosaik<br />
Unsere Aktionsforschung sehen wir wie eine Mosaik-Arbeit und die geht weiter.<br />
Auch als das Projekt „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“ offiziell langsam zu Ende geht, vermitteln<br />
wir weiter Geschichten von unterwegs – vom Mosaik-Projekt des Familienforums in<br />
der Volkshochschule, von vielen anderen Mosaik-Arbeiten und von vielen aktuellen<br />
Veranstaltungen. Dazu gehört wieder mal das Inter:Komm!-Fesival, es ist ja schließlich<br />
schon wieder Sommer.<br />
Warum er das Festival besucht, will Franziska Schiller da von einem Besucher wissen.<br />
Er antwortet: „Weil meine Freundin wollte herkommen“. Dann erzählen der Mann und<br />
seine Freundin, dass sie schon einmal da waren und dass es ihnen gut gefallen hat,<br />
auch weil es das Festival unter freiem Himmel stattfindet.<br />
„Was muss passieren in Reutlingen noch, damit´s ´ne <strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong> gibt, also<br />
eine <strong>Kultur</strong> für alle?“, fragt Harald Sickinger.<br />
„Dass schon alle zusammen sind, halli galli kann man sagen“, meint der Besucher und<br />
erklärt, dass man das im Arabischen so sagt.<br />
http://vimeo.com/afuw/halli-galli<br />
Im Wasenwald wird den ganzen Sommer über Naturtheater gespielt.<br />
https://vimeo.com/afuw/naturtheater<br />
Auch einige von uns machen sich mit Kunst auf den Weg in die Natur<br />
84
<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Es ist Juli 2018.<br />
„...wohin ich geh...“<br />
Harald Sickinger: "Was hat´s mit dem Esel auf sich?“<br />
Christine Fuchs: „Der begleitet mich in meinem Weg, wohin ich geh, das ist für mich<br />
sehr wichtig“<br />
Franziska Schiller: „Der guckt so gutmütig, wie der Sabine ihrer, hat aber viel Energie.“<br />
Harald Sickinger; „Was hast Du gesagt, Franzi?“<br />
Franziska Schiller: „Ich hab gesagt, dass der Christine ihr Esel Ruhe ausstrahlt, wie der<br />
Sabine ihr Esel von den Bremer Stadtmusikanten, aber viel Energie hat.“<br />
Harald Sickinger: „Und Du hast auch was gesagt, Kerstin, zum Esel.“<br />
Kerstin Rilling: „Ich weiß gar nicht, was hab ich gesagt, dass er so viel Ausdruck hat,<br />
dass es ein ganz eigener Christine-Esel geworden ist, dass die Christine zuerst gar keinen<br />
selber machen wollt, weil sie gesagt hat, ich kann das gar nicht, gell, und dann sie eine<br />
ganz eigene Form für ihren Esel gefunden hat und dann ist es so ein toller Esel<br />
geworden. Und der geht auch ganz oft den Berg nauf, gell, der muss immer bergauf<br />
gehen?“<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Christine Fuchs: „Mhm“<br />
Flüstern aus der Runde: „Das ist wichtig“<br />
Kerstin Rilling: „Das ist wichtig, ja, das haben wir auch festgestellt.“<br />
Christine Fuchs: „Ja“.<br />
Kerstin Rilling: „Und jetzt ist er auf der Alb, wie Du.“<br />
Christine Fuchs: „Das erste Ziel auf der Alb.“<br />
http://vimeo.com/afuw/esel<br />
Bei der Fortsetzung unserer Aktionsforschung hilft jetzt auch unser gerade anlaufendes<br />
Projekt „Andere Perspektiven!?“ weiter. Gefördert wird das von der Baden-<br />
Württemberg-Stiftung.<br />
In diesem Zusammenhang knüpfen wir an unsere bisherigen Aktionsforschungs-<br />
Erfahrungen an, erkunden nun außer den Schätzen der <strong>Kultur</strong> auch die Schätze der<br />
Natur und sind öfter im Biosphärengebiet Schwäbische Alb unterwegs. Wir gehen dem<br />
nach, was uns weiterbringt und dafür beschäftigen wir uns mit Geschichten, die andere<br />
Perspektiven vermitteln.<br />
Vorhin hat Sabine Kramer vom <strong>Kultur</strong>betrieb Schaffwerk schon das Märchen von den<br />
Bremer Stadtmusikanten erzählt.<br />
„Was hat das mit den 4 Häusern auf sich?“, fragt sie jetzt in die Runde und zeigt auf<br />
eine gelbe Fahne. Sie hängt links von der weißen Fahne mit dem Esel drauf.<br />
„Ja, das haben wir gedruckt in der Druckerei“, antwortet Eugen Blum und erzählt über<br />
sein Motiv.<br />
http://vimeo.com/afuw/4-haeuser<br />
Die Fahne ist wie alle anderen bei unserer „<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>“-Arbeit im<br />
Kunstmuseum entstanden.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
Eugen Blum hat etwas zu seinem Motiv geschrieben:<br />
„4 Häuser<br />
Das Haus Nummer eins ist leer.<br />
Das Haus Nummer zwei ist mit Menschen mit Handicap befülllt.<br />
Das Haus Nummer drei ist mit Soldaten überfüllt.<br />
Das Haus Nummer vier ist mit Traurigkeit überfüllt.<br />
Alle 4 Häuser sind in der Seelsorge!!!!“<br />
Wir stehen jetzt an einem steilen Abhang.<br />
Eugen Blum: „Das ist hier natürlich eine sehr große Aussicht, also ich find´s sehr schön,<br />
wie das ist, das passt zur Landschaft. Obwohl man muss hier bisschen aufpassen, dass<br />
man jetzt nicht da runterrutscht, weil es etwas gefährlich sein kann.“.<br />
„Ja, was würden Sie denn am liebsten da runter schreien?“, fragt Eugen Blum und zeigt<br />
auf das Plakat, das wir im Kunstmuseum gemacht haben.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
So nimmt die Sache ihren Lauf...<br />
http://vimeo.com/afuw/der-berg-ruft<br />
.<br />
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<strong>Kultur</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Ausnahme</strong>!? – Aktionsforschungsgeschichten aus den Jahren 2015 bis 2018<br />
6 Nachwort<br />
„Da sieht man Vergangenheit und Zukunft“<br />
In unseren Filmaufnahmen aus der Anfangszeit 2015 finden wir ein Gespräch mit Sigrid<br />
Müller.<br />
Harald Sickinger:<br />
„Wenn´s jetzt ein Sigrid-Müller-Museum geben tät, was wär da drin?“<br />
Sigrid Müller:<br />
„Oooooh...darf ich´s sagen, bist nicht bös?... da wär bestimmt die große Klappe drin.“<br />
http://vimeo.com/afuw/sigrid-mueller-museum<br />
Sie machte den Mund auf, wenn ihr etwas wichtig war.<br />
Wichtig war ihr zum Beispiel das Denkmal auf dem Gustav-Werner-Platz, wo wir uns<br />
immer wieder trafen.<br />
Sie erklärte:<br />
„Das Denkmal ist die Erinnerung an das Dritte Reich, weil man ja da auch aus der<br />
Gustav-Werner Stiftung Leute, die noch namensmäßig bekannt sind, zur Deportation<br />
abgeholt hat...Ich fühl mich doch dem angeschlossen, weißt Du, weil ich doch in der Zeit<br />
gelebt hab.“.<br />
Einmal brachte sie als Geschenk für uns ein selbstgemaltes Bild mit und wir stellten es<br />
vorübergehend auf dem Sockel des Denkmals ab.<br />
Harald Sickinger nahm das Smarthone, nahm die Szenerie auf und stellte eine Frage:<br />
„Sigrid, was sieht man da? Was kann man da sehen, weil ich film´s jetzt?“<br />
Ihre Antwort war: „Da sieht man Vergangenheit und Zukunft.“<br />
Später schauten wir uns diese Aufnahmen zusammen an und sprachen weiter:<br />
Sigrid Müller: „Man sieht die Vergangenheit und die Zukunft in einem und ich glaube,<br />
die Vergangenheit ist genauso wichtig, wie die Zukunft.“<br />
Harald Sickinger: „Was ist die Vergangenheit und was ist die Zukunft auf dem Bild?“<br />
Sigrid Müller: „Die Zukunft ist mein jetziger Standpunkt der Kunst. Die Vergangenheit<br />
ist das, was ich hinter mir habe, was in Not und Elend und sonst wie geendet hat.“<br />
http://vimeo.com/afuw/vergangenheit-und-zukunft<br />
Unsere Kollegin Sigrid Müller ist im Frühling 2017 gestorben.<br />
Wir haben viel von ihr gelernt.<br />
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Dieses Foto zeigt das selbstgemalte Bild von Sigrid Müller auf dem Sockel des Denkmals für die Opfer der<br />
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.<br />
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