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Prof. F. Petermann - Chronische Krankheiten, psychosoz. Aspekte

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CHRONISCHE KRANKHEITEN:<br />

PSYCHOSOZIALE ASPEKTE<br />

<strong>Prof</strong>. Dr. Franz <strong>Petermann</strong><br />

Zentrum für Klinische Psychologie und<br />

Rehabilitation<br />

Universität Bremen


<strong>Chronische</strong> <strong>Krankheiten</strong> im Kindes- und<br />

Jugendalter<br />

Gleich zwei Herausforderungen:<br />

• Bewältigung der krankheitsspezifischen<br />

Herausforderungen<br />

• Bewältigung der altersüblichen<br />

Entwicklungsaufgaben


Typologie chronischer Erkrankungen<br />

Chronisch-episodisch verlaufende<br />

Erkrankungen<br />

•Kennzeichen: Akute und relativ<br />

symptomfreie Phasen wechseln einander ab<br />

(z.B. Asthma, Diabetes mellitus)<br />

•Psychologische Hilfen: Patientenschulung<br />

und Verhaltenstraining


Typologie chronischer<br />

Erkrankungen<br />

Progredient oder lebensbedrohlich<br />

verlaufende Erkrankungen<br />

•Kennzeichen: vermutlich verringerte<br />

Lebenserwartung (z.B. Mukoviszidose,<br />

Krebs)<br />

•Psychologische Hilfen: Familien-beratung<br />

zur psychischen Anpassung an die<br />

Lebensbedrohung und die belastenden<br />

Behandlungsanforderungen


Typologie chronischer Erkrankungen<br />

Überdauernde Funktionseinbußen und<br />

Behinderungen<br />

•Kennzeichen: <strong>Krankheiten</strong> mit irreversiblen<br />

sensorischen, motorischen, kognitiven Einbußen<br />

(z.B. nach Unfällen, Lernbehinderung)<br />

•Psychologische Hilfen: Kompensation der<br />

funktionellen Einschränkungen,<br />

Krankheitsakzeptanz, Anpassung der<br />

Zukunftsperspektive der Eltern


Typologie chronischer Erkrankungen<br />

Chronisch-funktionelle Störungen<br />

• Kennzeichen: <strong>Krankheiten</strong> ohne<br />

körperlichen Befund, die ein somatisches<br />

Erscheinungsbild aufweisen (Kopfschmerz,<br />

Bauchschmerz)<br />

• Psychologische Hilfen: verhaltensmedizinische<br />

Methoden, Patientenschulung,<br />

Entspannungsverfahren


Am Beispiel der Adipositas<br />

Adipositasspezifische Anforderungen<br />

• Aufbau körperlicher Aktivität<br />

• Aufbau eines gesunden Essverhaltens<br />

• Regelmäßige Kontrolle des Gewichts<br />

und des Essverhaltens


Am Beispiel der Adipositas<br />

Altersspezifische Anforderungen<br />

• Akzeptanz der eigenen körperlichen<br />

Erscheinung<br />

• Auseinandersetzung mit dem<br />

Selbstkonzept<br />

• Planung der eigenen Zukunft


Körperlich kranke Jugendliche<br />

weisen ein zwei- bis dreifaches Risiko für Verhaltensauffälligkeiten<br />

auf (Aggression, Ängste, Depression)<br />

Gründe hierfür sind:<br />

• Erhöhte Belastungen der Eltern und Familien<br />

• Massive Verlusterlebnisse und Einschränkungen<br />

• Reduzierte Lebensqualität und verengte<br />

Lebensperspektive<br />

• Einschränkung des familiären Zeitbudgets durch<br />

Unterstützung und Hilfestellungen


<strong>Chronische</strong> <strong>Krankheiten</strong> und psychisches Auffälligkeitsrisiko<br />

Das Auffälligkeitsrisiko bezieht sich auf:<br />

� emotionale Störungen (Angst, Depression)<br />

� Verhaltensstörungen (Hyperaktivität, aggressives Verhalten)<br />

� soziale Isolation<br />

� Selbstwertverlust, massive Selbstzweifel<br />

Soziale Risiken<br />

Höheres Alter +<br />

Männliches Geschlecht +<br />

Erkrankungsbezogene Risiken<br />

Schweregrad ?<br />

ZNS-Beteiligung ++<br />

Sichtbarkeit +<br />

Umfeld bezogene Risiken<br />

Widrige familiäre Verhältnisse +


Prozessmodell<br />

Bewältigungsprozess<br />

� Krankheitsmanagement: Compliance mit den Therapieanforderungen<br />

� Selbstregulation von Schmerzen und Beschwerden<br />

� Krankheitsbewältigung <strong>psychosoz</strong>ialer Folgen<br />

� Einbußen der Lebensqualität<br />

Bewältigungs- und Entwicklungsergebnis<br />

� Vergleichbare Entwicklung wie bei gesunden Kindern<br />

� Entwicklungsgewinn und Herausbildung einer Resilienz<br />

<strong>Petermann</strong>, F. (Hrsg.). (2008). Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie<br />

(6., vollst. überarb. Aufl.; S. 520). Göttingen: Hogrefe.


Prozessmodell<br />

Erkrankungs- und behandlungsbedingte Belastungen und<br />

Anforderungen<br />

� Anforderungen zur Therapiemitarbeit<br />

� Erkrankungs- und behandlungsbedingte Schmerzen und Beschwerden<br />

� Funktionseinschränkung und Behinderung<br />

Moderierende Faktoren<br />

� Bewältigung aktueller Entwicklungsaufgaben<br />

� Erkrankungsbezogene und nicht-erkrankungsbezogene Risiko- und<br />

Schutzfaktoren<br />

<strong>Petermann</strong>, F. (Hrsg.). (2008). Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie<br />

(6., vollst. überarb. Aufl.; S. 520). Göttingen: Hogrefe.


Risikogrößen<br />

Kinder und Jugendliche, die an Asthma verstarben<br />

(Strunk, 1991)<br />

Probleme bei der Krankheitsbewältigung<br />

• Schwierigkeiten bei der Therapiemitarbeit<br />

• Missachtung wahrgenommener Symptome<br />

• Manipulativer Gebrauch des Asthmas (sekundärer<br />

Krankheitsgewinn)


Risikogrößen<br />

Mangelnde familiäre Unterstützung<br />

• Schwierigkeiten bei der Durchführung des<br />

Behandlungsplans<br />

• Eltern-Kind-Konflikte<br />

• Familiäre Krisen<br />

Schweregrad der Erkrankung<br />

• spielte untergeordnete Rolle


Psychische Gesundheit von<br />

Familienmitgliedern chronisch kranker Kinder<br />

• Studien belegen bei Eltern chronisch kranker<br />

Kindern erhöhte Raten an emotionalen<br />

Problemen und Inanspruchnahme psychiatrischer<br />

Behandlung<br />

• Sorge um das Kind führt nicht selten zur<br />

Überbehütung, Verwöhnen, Überforderung<br />

• Schuldgefühle der Eltern


Was hilft Familienmitgliedern bei der<br />

Krankheitsbewältigung?<br />

• soziale Unterstützung<br />

• kontinuierliche Kommunikation unter-<br />

einander über die Erkrankung und die<br />

Belastungserfahrungen<br />

• eine positive, zuversichtliche<br />

Grundeinstellung


Zum Compliance-Begriff<br />

Compliance: Gehorsam, Therapiemitarbeit und<br />

Behandlungskooperation<br />

Merkmale: Medikamenteneinnahme vs.<br />

Lebensstiländerung<br />

Dauer: kurz- vs. langfristig<br />

Nutzen: unmittelbar spürbar vs. langfristig erfahrbar


Angaben zur Non-Compliance<br />

Indikation Non-Compliance (%)<br />

� Asthma<br />

� Epilepsie<br />

� Diabetes<br />

� Rheuma<br />

20%<br />

30-50%<br />

40-50%<br />

55-70%


Compliance: Mögliche Barrieren<br />

• unzureichendes krankheits- und behandlungsbezogenes<br />

Wissen<br />

• Behandlungsängste<br />

• unzureichende familiäre Unterstützung<br />

• nachhaltige Veränderung des Lebensstils aufgrund<br />

der Erkrankung<br />

• lange Erkrankungsdauer<br />

• mangelndes Vertrauen in die ärztliche Kompetenz


Risikofaktoren: Behandlungsmerkmale<br />

• schlechte Verfügbarkeit und Erreichbar-<br />

keit des Behandlungsangebotes<br />

• hohe Anforderungen an die<br />

Patientenmitarbeit<br />

• keine kausale Therapie möglich<br />

• hoher Belastungs- und Risikograd der<br />

Therapie


Risikofaktoren: Behandlungsmerkmale<br />

• hoher Behandlungsaufwand für den Patienten<br />

• komplexer oder unübersichtlicher<br />

Behandlungsplan<br />

• einschneidende Lebensstil- oder<br />

Verhaltensänderung<br />

• ungünstige Erscheinungsform von<br />

Behandlungselementen


Risikofaktoren: Behandlungsmerkmale<br />

• negative Vorerfahrung mit einer<br />

Behandlungsform<br />

• Informations- oder Fertigkeitsdefizite<br />

• unbegründete Behandlungsängste<br />

• Verständnis- oder Gedächtnisprobleme<br />

• ungenügende Wirksamkeitsbeurteilung des<br />

Therapieansatzes<br />

• Bequemlichkeit<br />

• Unzufriedenheit mit Behandlung/dem Arzt


Risikofaktoren: Krankheitsmerkmale<br />

• hohe Chronizität der Erkrankung<br />

• langwieriger oder unregelmäßiger Verlauf<br />

• stark wechselnde Befindlichkeiten, phasenweises<br />

Fehlen von Symptomen oder<br />

Krankheitsbelastungen<br />

• schlechte Prognose<br />

• keine unmittelbar spürbaren<br />

Symptomverbesserungen<br />

• keine äußerlich sichtbare Symptomatik


Risikofaktoren: Behandlungs-<br />

und soziale Bedingungen<br />

• Wechsel des behandelnden Arztes<br />

• lange Wartezeiten bei Behandlungsbeginn bzw.<br />

zwischen Therapieintervallen<br />

• lange Wartezeiten bei Arztterminen<br />

• Zeitdruck/Hektik während des Arzttermins<br />

• mangelnde soziale Unterstützung<br />

• wirtschaftliche Probleme<br />

• abweichende Krankheitskonzepte des sozialen<br />

Umfelds


Versorgung von chronisch kranken<br />

Allgemeine Reha-Ziele:<br />

Jugendlichen<br />

• Vermittlung von Krankheits- und Therapiewissen<br />

• verbesserte Krankheits- und Behandlungseinsicht<br />

• Vermittlung sozialer Fertigkeiten<br />

• Verbesserung von Problemlösefähigkeiten<br />

• Bewältigung krankheitsbezogener Gefühle<br />

• Stärkung der Eigenverantwortlichkeit


Besonderheiten bei der Reha mit<br />

Jugendlichen<br />

• Entwicklungsabschnitt mit hohen Anforderungen<br />

an den Betroffenen, sein Lebensumfeld und die<br />

Familie<br />

• Berufswahl und Integration in das Arbeitsleben<br />

• Motivationsprobleme<br />

• besondere Reha-Ziele für diese Altersgruppe:<br />

Optimierung des Sozial- und Arbeitsverhaltens<br />

(Einsatz strukturierter Verhaltenstrainings sowie<br />

Steigerung der sozialen Kompetenz)


Besonderheiten bei der Reha mit<br />

Jugendlichen<br />

• Angebote für jugendspezifische <strong>Krankheiten</strong> (Magersucht,<br />

Drogen-/Suchtprobleme etc.)<br />

• Spezifische Angebote für <strong>psychosoz</strong>iale Lebenslagen<br />

(z. B. Autonomie und chronische Krankheit)<br />

• Jugendspezifische Risiken und chronische <strong>Krankheiten</strong><br />

(z. B. Rauchen, riskantes Verhalten im Straßenverkehr)<br />

• Spezifische Angebote zur Berufsfindung (z. B.<br />

Vermeidung von Allergien im Beruf)<br />

•<br />

Klärungsbedarf:<br />

Grenzfälle zwischen Jugendhilfe und Reha-Angeboten


Flexibilisierung und Modularisierung<br />

der Reha mit Jugendlichen<br />

[A] Reha-Vorbereitung<br />

� Aufklärung und Information durch Kostenträger und Klinik<br />

� Dokumentation der ambulanten Maßnahmen (vor der Reha)<br />

� Abschluss eines Reha-Kontraktes<br />

[B] Reha-Durchführung (stationär)<br />

� Diagnostik, Therapie, Schulung, <strong>psychosoz</strong>iale Betreuung,<br />

Berufsberatung etc.<br />

� Erprobung berufsbezogener Fertigkeiten<br />

[C] Reha-Nachsorge<br />

� Informationsaustausch zwischen dem Jugendlichen und der Klinik<br />

� Nachsorge-Treffen nach 6 und 12 Monaten


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