Stadtmagazin CLP Ausgabe 23
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
eportage<br />
Dschingis Khan, hoch verehrt als Vater der Nation<br />
des Landes funktioniert. Oder die Schulen, die es in jedem<br />
Bezirk gibt.“ Dennoch: Nach den vielen Jahren der Unterdrückung<br />
spricht man wieder die alte Sprache, hat Tempel<br />
und Klöster neu aufgebaut. Der Glaube an die Geister wird<br />
wieder gepflegt, der buddhistische Lamaismus erlebt eine<br />
Renaissance. Und Dschingis Khan, bei den Russen als imperialistischer<br />
Kriegsherr verpönt, steht als Symbolfigur einer<br />
freien Mongolei wieder hoch im Kurs. Der mächtigste Mann<br />
der damaligen Welt vereinte die verfeindeten Stämme der<br />
Burjaten, Tartaren, Kasaken und Kirgisen unter seiner Kuratel<br />
und schuf das größte zusammenhängende Reich der Erde.<br />
Als der „Herr des Himmels“ vermutlich 1227 starb, erstreckte<br />
sich die Mongolei von China bis Polen.<br />
Wie zu Zeiten des Steppenfürsten scheinen alle Mongolen<br />
wieder Deels zu tragen, die langen Mäntel aus Baumwolle<br />
oder Seide. Auch die Teilnehmer unserer Karawane sind darin<br />
eingehüllt, in baumwollene versteht sich, gefüttert und<br />
gesteppt. Darunter lugen dicke Hosen aus Kaschmir hervor<br />
– warm und kuschelig und völlig unprätentiös in die Stiefel<br />
gesteckt.<br />
Wir sind auf einer Anhöhe angelangt. Unten dehnt sich<br />
eine schier endlose Ebene aus: Bughiin Tsav. wo grüne Flächen<br />
Weidelandes die gelbbraune Landschaft unterbrechen.<br />
Hier stehen die weißen runden Stoffjurten von Munkthuyas<br />
Familie. Dicker Rauch dringt aus einem der Zelte – wir kommen<br />
gerade recht zum Essen. Munkthuya springt vom Kamel<br />
und eilt ihren Kindern entgegen. Vier Monate hat sie sie diesmal<br />
nicht gesehen. Ihre Mutter tritt vor die Jurte, ein Tablett<br />
mit getrocknetem Joghurt und Hartkäse in der einen, eine<br />
Kanne Kumys in der anderen Hand – der traditionelle Willkommensgruß.<br />
Ein paar Tropfen des Getränks werden nach<br />
alter Sitte über die Schulter geschnippt als Opfergabe für die<br />
Geister.<br />
Pures Fett als Leckerbissen<br />
Dann bittet der Hausherr auf den bequemen Kissen am<br />
Zeltboden Platz zu nehmen. Das Feuer ist ja schon angezündet,<br />
im Nu brutzelt Schmalz in der hohen Pfanne, schwimmen<br />
Gebäckstücke darin. Der Dunst vernebelt die Fotos<br />
der Familienmitglieder, die mit Stecknadeln an die runden<br />
Stoffwände gepinnt sind. Der Fernseher bleibt heute aus, da<br />
könnte Ruski TV sogar eine dieser beliebten Sit-Coms senden,<br />
wofür die Nomaden sogar ihre Jurten mit Antennen<br />
bestücken! Stattdessen untermalt Stimmengewirr die gemütliche<br />
Atmosphäre, die Fragen scheinen zahllos. Nur, dass<br />
hier nicht die Gäste aus der Stadt nach den Begebenheiten<br />
dort befragt werden. Viel wichtiger ist es für die Städter, zu<br />
erfahren, wie die Weidegründe im Winterlager sind, was chinesische<br />
Schwarzhändler an der Grenze derzeit für das Kilo<br />
Kaschmirwolle zahlen, ob der Kamelbiss in Omours Hand geheilt<br />
ist und so weiter.<br />
Später kommt Wodka auf den Tisch. Irgendwann gegen<br />
Abend schlachtet jemand ein Schaf, und wenn das Fleisch in<br />
einer großen Eisenkanne fertig geschmort ist, wird man dem<br />
Gast aus Europa das beste Stück des Schwanzes anbieten –<br />
pures Fett, dick wie ein Daumen und groß wie ein Handteller.<br />
Der Gast wird dankend ablehnen, wohl wissend, dass die älteste<br />
Frau der Familie es stattdessen essen wird. Nicht allein<br />
aus Rücksichtnahme, nein, schließlich hatte ich vor einiger<br />
Zeit an einem anderen Ort nicht diese Chance, weiß aber<br />
heute noch genau, wie Fettschwanz schmeckt.<br />
34 Das <strong>Stadtmagazin</strong> für Cloppenburg & umzu | Reise