15.12.2012 Aufrufe

„Bauernbefreiung“ – eine kurze Einführung

„Bauernbefreiung“ – eine kurze Einführung

„Bauernbefreiung“ – eine kurze Einführung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Am Vorabend der Bauernbefreiung<br />

Agrarische Verhältnisse und frühe Reformen in Niedersachsen<br />

im 18. Jahrhundert<br />

Entwurf, nur für den Gebrauch in m<strong>eine</strong>m Seminar gedacht<br />

Karl H. Schneider, Hannover 2006


Inhaltsverzeichnis<br />

I. Statt <strong>eine</strong>s Vorworts 4<br />

II. Die <strong>„Bauernbefreiung“</strong> <strong>–</strong> <strong>eine</strong> <strong>kurze</strong> <strong>Einführung</strong> 4<br />

III. Dorf und Landwirtschaft vor der Industrialisierung 5<br />

1. Naturraum und Siedlung.........................................................................................................5<br />

1. Ackerbau 10<br />

2. Das „liebe“ Vieh 14<br />

3. Typisches und Untypisches 18<br />

2. Die Dynamik des Dorfes......................................................................................................19<br />

1. Die Gemeinschaft der Ungleichen 19<br />

a) Die Entstehung der Hofklassen................................................................................21<br />

b) Die Meier.....................................................................................................................23<br />

c) Die Kötner...................................................................................................................24<br />

d) Die Kleinstellen...........................................................................................................26<br />

e) Die Nicht-Landbesitzenden.......................................................................................29<br />

f) Die Dynamik der Entwicklung..................................................................................31<br />

2. Beispiele niedersächsischer Dörfer 34<br />

a) Wehrbleck, Strange, Nordholz..................................................................................34<br />

b) Bokensdorf..................................................................................................................37<br />

3. Krisenjahre 38<br />

4. Ein Forschungsdiskurs 39<br />

5. Eine Frage der Perspektive 42<br />

6. Die Rolle des Marktes 43<br />

3. Herrschaftliche Abhängigkeit...............................................................................................43<br />

1. Formen der Abhängigkeit 43<br />

a) Die Grundherrschaft..................................................................................................45<br />

b) Das Meierrecht............................................................................................................49<br />

c) Zins- und Erbzinsrechte, Hägerrecht.......................................................................53<br />

d) Eigenbehörigkeit.........................................................................................................53<br />

e) Zehntherrschaft...........................................................................................................54<br />

f) Dienstwesen.................................................................................................................56<br />

g) Gerichtsherrschaft.......................................................................................................59<br />

2. Die Agrarverfassung im Spannungsfeld zwischen Grundherren und Landesherren 59<br />

3. Ökonomische Folgen bäuerlicher Abhängigkeit 66<br />

SCHNEIDER_Vorabend_Entwurf.odt Seite 2


IV. Agrarreformen als sozialer Prozess 70<br />

1. Reformkonzepte....................................................................................................................70<br />

1. Reform der Landwirtschaft 71<br />

2. Die Celler Landwirtschaftsgesellschaft und die englische Landwirtschaft 73<br />

3. Dienstabstellungen 76<br />

4. Gemeinheitsteilungen 81<br />

5. Frühe Verkoppelungen 87<br />

2. Nachholende Modernisierung? ...........................................................................................91<br />

3. Die Rolle der Bauern...........................................................................................................101<br />

V. Ein Zwischenergebnis 107<br />

VI. Wie dies Buch entstand 109<br />

VII. Ländliche Gesellschaft und Agrarreformen 110<br />

1. <strong>„Bauernbefreiung“</strong> und „liberale Agrarreformen“........................................................112<br />

VIII. Die Bauernbefreiung als Prozess 116<br />

Literatur 122<br />

SCHNEIDER_Vorabend_Entwurf.odt Seite 3


I. Statt <strong>eine</strong>s Vorworts<br />

Im Jahre 1831 <strong>–</strong> in Deutschland zeigten sich Anzeichen revolutionärer Gesinnung und<br />

Tendenzen <strong>–</strong> brach auch im bis dahin ruhigen Königreich Hannover <strong>eine</strong> neue Zeit an.<br />

Sie kündigte sich u.a. dadurch an, dass über grundlegende Dinge wie die Reform der<br />

Landwirtschaft heftig gestritten wurde. Im Mittelpunkt stand dabei die Aufhebung der<br />

bisherigen bäuerlichen Unfreiheit, weniger umstritten war die Aufhebung der<br />

Gemeinweiden, der Angerflächen, der gem<strong>eine</strong>n Marken. Nur <strong>eine</strong>r verweigerte sich<br />

der Annahme, dass die neuen Zeiten unwiederbringlich angebrochen seien, und <strong>eine</strong><br />

genossenschaftliche Nutzung der Feldmarken <strong>eine</strong>r alten, rückständigen Zeit angehöre.<br />

Salomon Philipp Gans aus Celle stemmte sich in <strong>eine</strong>r 1831 in Braunschweig<br />

publizierten Schrift geradezu gegen den Zug der Zeit. S<strong>eine</strong> Schrift war betitelt mit<br />

„Ueber die Verarmung der Städte und des Landmannes und den Verfall der städtischen<br />

Gewerbe im nördlichen Deutschland, insbesondere im Königreiche Hannover. Versuch<br />

<strong>eine</strong>r Darstellung der allgem<strong>eine</strong>n Hauptursache dieser unglücklichen Erscheinungen<br />

und der Mittel zur Abhülfe derselben“.<br />

Eine s<strong>eine</strong>r Klagen bestand darin, dass die Gemeinheitsteilungen und<br />

Verkoppelungen, wir würden heute sagen, die Flurbereinigung, zu schnell und ohne die<br />

Mitsprache der Bauern durchgeführt werde. Gewiss habe sie Vorteile, aber auch<br />

Nachteile wie die „Isolirung des Landmannes in der Aufhebung des freundlichen<br />

nachbarlichen Verhältnisses und Ertödtung alles Gemeinsinnes. “ 1 Gans sah etwas, was<br />

sein Kritiker nicht sehen wollten oder konnten 2 : durch die Reformen, welche im<br />

19. Jahrhundert in Niedersachsen durchgeführt wurden, erfolgte <strong>eine</strong> Umgestaltung der<br />

Landwirtschaft, die nicht nur zu <strong>eine</strong>r Steigerung der Produktivität führte, sondern die<br />

weit reichende Konsequenzen sowohl für die landwirtschaftlichen Betriebe selbst, die<br />

dörfliche Bevölkerung und die gesamte Gesellschaft hatten. Der Fortschritt brachte<br />

zwar auch Vorteile mit sich, er führte aber auch zur Zerstörung von Strukturen, die bis<br />

dahin über Jahrhunderte das Leben auf dem Lande geprägt hatten. Diese Zerstörung,<br />

die inzwischen fast 200 Jahre zurück liegt, hat bis heute wirkende Folgen, erschwert sie<br />

es uns doch heute so sehr das Verständnis dieser untergegangenen ländlichen Welt. Die<br />

Rekonstruktion dieser Welt vor den Reformen und mehr noch die Bewertung dieser<br />

Welt <strong>–</strong> war sie wirklich so reformbedürftig wie oft von zeitgenössischen Kritikern<br />

formuliert wurde? -- ist ein mühseliges Geschäft, <strong>eine</strong> Herausforderung, die immer<br />

wieder nur zu Zwischenergebnissen führen kann.<br />

II. Die <strong>„Bauernbefreiung“</strong> <strong>–</strong> <strong>eine</strong> <strong>kurze</strong> <strong>Einführung</strong><br />

Gegenstand dieses Buches ist die Befreiung der Bauern von Abhängigkeiten, die sie in<br />

ihrer Wirtschaftsführung und ihrem gesamten Leben stark eingrenzten und zudem<br />

vielfältige Lasten und Belastungen zur Folge hatten. Diese Abhängigkeiten lassen sich<br />

in zwei Gruppen einteilen:<br />

1. Solche von Herren, die den Bauern das Land zur Bebauung überlassen hatten und<br />

nun sowohl darüber bestimmten, wie das Land genutzt wurde, als auch<br />

Dienstleistungen und Abgaben von den Höfen einforderten. Diese Herrschaftsrechte<br />

waren durchaus unterschiedlich. Wir fassen diese Abhängigkeiten knapp als „feudale<br />

1 GANS (1831), 56-58.<br />

2 BARING (1831).<br />

4


Abhängigkeiten“ zusammen. Sie lassen sich wiederum in unterschiedliche Gruppen<br />

unterteilen. Da gab es die Grundherrschaft, sie bedeutete, dass der Bauer sein Land<br />

von <strong>eine</strong>m Grundherrn hatte, der über die Nutzung des Landes entschied und<br />

außerdem Abgaben, so genannte Zinsen von dem Hof erhielt. Die wichtigste<br />

Ausprägung der Grundherrschaft war das so genannte Meierrecht. Dann gab es die<br />

Leibherrschaft, die darin bestand, dass der Bauer und s<strong>eine</strong> Familie <strong>eine</strong>m Leibherrn<br />

unterstanden, der über die persönlichen Entscheidungen des Bauern, insbesondere die<br />

Heirat, mit entschied, und bei dem Tod des Bauern oder <strong>eine</strong>s Familienangehörigen<br />

<strong>eine</strong>n Teil des privaten Vermögens des/der Toten erhielt. Dies konnte <strong>eine</strong> mehr<br />

symbolische Abgabe sein oder bis zur Hälfte des Vermögens umfassen. Der Leibherr<br />

übte meist auch die niedere Gerichtsbarkeit über den Bauern aus und war Empfänger<br />

der so genannten Herrendienste. Zu diesen beiden Herrschaftsrechten gesellte sich<br />

noch das Zehntrecht, welches darin bestand, dass bis zu <strong>eine</strong>m Zehntel der Ernte an<br />

den Zehntherrn entrichtet werden musste.<br />

Herrschaftsrechte übten in erster Linie der Landesherr und der Adel aus, dann die<br />

Kirche und schließlich auch Bürger sowie einzelne Städte. Bedenkt man, dass die<br />

privilegierte Position des Adels ohne diese Herrschaftsrechte und die aus ihnen<br />

abgeleiteten Einnahmen kaum denkbar waren, wird deutlich, dass <strong>eine</strong> Aufhebung<br />

dieser Abhängigkeiten <strong>eine</strong> umfassende gesellschaftliche Reform zur Voraussetzung<br />

oder zur Folge haben musste.<br />

2. Die zweite Gruppe von Abhängigkeiten ergab sich aus den dörflichen<br />

Verhältnissen. Größere Teile der Feldmark wurden gemeinsam, genossenschaftlich<br />

genutzt, meist sogar gemeinsam von mehreren Dörfern, sie hießen je nach Region<br />

Allmende, Meente, Gemeinheit, Anger oder Mark. Auf diesen Flächen konnte<br />

niemand individuell wirtschaften. Das war zwar auf den eigentlichen Ackerflächen<br />

möglich, aber da diese aus vielen, schmalen und langen Parzellen mussten sich die<br />

Feldnachbarn über die Nutzung ihres Ackerlandes auch verständigen. Zudem wurde<br />

das Land nach der Ernte teilweise für die Viehweide genutzt, damit es gedüngt werden<br />

konnte. In der Realität handelte es sich bei den genossenschaftlichen Nutzungsrechten<br />

um komplexe, sich überschneidende Rechte, die schon die Zeitgenossen in Verwirrung<br />

setzte.<br />

Dieses Buch stellt zunächst die unterschiedlichen Abhängigkeiten dar, zugleich gibt<br />

es <strong>eine</strong> <strong>Einführung</strong> in die sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Dorf im<br />

18. Jahrhundert. Teilweise werden auch die staatlichen, bzw. landesherrlichen<br />

Verhältnisse behandelt. Es folgt schließlich ein Blick auf die im 18. Jahrhundert<br />

einsetzenden, vorsichtigen Versuche zur Aufhebung der alten feudalen wie<br />

genossenschaftlichen Abhängigkeiten der Bauern.<br />

III.Dorf und Landwirtschaft vor der<br />

Industrialisierung<br />

1. Naturraum und Siedlung<br />

„Der Boden war in der Agrargesellschaft Schlüsselenergieträger. Er lieferte Biomasse<br />

zur Wärmegewinnung und als Nahrung zur Aufrechterhaltung menschlicher und<br />

tierischer Arbeitskraft. Er war zugleich bedeutendstes Produktionsmittel, sicherstes<br />

und gebräuchlichstes Gefäß für die Anlage von Kapital, gewichtigstes Steuersubstrat,<br />

5


ausschlaggebender Maßstab für politische Macht und gesellschaftliche Wertschätzung,<br />

einzige Quelle der sozialen Sicherheit und damit Angelpunkt der sozialen Logik. Wer<br />

nicht genügend Kulturland besaß, um sich und s<strong>eine</strong> Familie ernähren zu können, galt<br />

als arm. Der Grundbesitz spiegelte sich im Speisezettel, er entschied über die<br />

Möglichkeit, <strong>eine</strong> Familie gründen zu können, und er war vielfach ausschlaggebend bei<br />

der Partnerwahl.“ 1<br />

Die Nutzung des Bodens war seit Generationen bis in die kleinsten Details geregelt<br />

worden: von der dörflichen Bevölkerung und von den Grundherren, die ein Interesse<br />

daran hatten, dass bestimmte soziale und wirtschaftliche Verhältnisse auf den Dörfern<br />

bestehen blieben.<br />

Betrachtet man alte Flurkarten, so lässt sich an <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n Detail sofort<br />

erkennen, ob sie vor oder nach den Agrarreformen, in diesem Fall den<br />

Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen, entstanden sind. 2 Vor den Reformen gab<br />

es so gut wie k<strong>eine</strong> gerade Linie im Dorf und in der Feldmark: die Wege und Felder<br />

verliefen meistens in gekrümmter Form und passten sich dem Geländeverlauf an.<br />

Ganz anders dagegen das Bild nach den Reformen: nun dominierten exakt<br />

ausgerichtete gerade Wege, Gräben und Felder; lediglich innerhalb der Dörfer gab es<br />

weiter das geordnete Chaos der Vorreformzeit, da die Flurbereinigung die Siedlungen<br />

(meist) ausschloß. 3<br />

Die dem Gelände angepassten Wege signalisieren die enge Beziehung von<br />

ländlichem Wohnen, Arbeiten und Leben zur umgebenden Natur. Diese Beziehung<br />

stellte um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein ausgeklügeltes, fein aufeinander<br />

abgestimmtes System dar, das allerdings auf Störungen jeder Art empfindlich<br />

reagierte. 4 Im wesentlichen basierte es auf <strong>eine</strong>r sehr differenzierten Anpassung der<br />

Menschen an die natürlichen und naturnahen Bedingungen. Dabei hatten sie schon seit<br />

langem in die natürlichen Verhältnisse eingegriffen, was vorrangig zu Lasten des<br />

Waldes gegangen war. Vor allem in der großen Rodungsphase des Hochmittelalters war<br />

<strong>eine</strong> erhebliche Ausdehnung der von Menschen besiedelten Fläche gelungen, und der<br />

Wald vor allem auf die Höhenlagen zurückgedrängt worden. 5 Allerdings hatte die<br />

große Krise des Hochmittelalters, beginnend mit dem frühen 14. Jahrhundert,<br />

erheblich verschärft durch die seit der Mitte des Jahrhunderts Europa heimsuchende<br />

Pest, ergänzt um Fehden und Auseinandersetzungen, die Menschen zu <strong>eine</strong>m Rückzug<br />

aus den größeren Höhenlagen der Mittelgebirge gezwungen. 6<br />

1<br />

PFISTER (1995), Kap. 4.1.1, Anfang.<br />

2 Statt älterer Darstellungen sei jetzt verwiesen auf SEEDORF, MEYER (1996), S. 93-140;<br />

detaillierte regionale Darstellungen liegen für den Kreis Rotenburg/Wümme vor; <strong>eine</strong><br />

neuere Zusammenfassung bieten die Erläuterungshefte der Historisch-Landeskundlichen<br />

Exkursionskarten von Niedersachsen etwa SEEDORF (1989), dort insbes. S. 34-117.<br />

3 Gegenbeispiel Schwaförden; Dorferneuerung Schwaförden, Christiane Cordes; wo habe<br />

ich das?<br />

4 Auf die mittelalterlichen Grundlagen verweist etwa HAUPTMEYER (1997), insbes. S. 1045-<br />

1054; allgemein KÜSTER (1996), XX, <strong>eine</strong>n Überblick der älteren Forschung bietet HENKEL<br />

(1983). Außerdem gibt es <strong>eine</strong> Fülle regionaler Sonderstudien; <strong>eine</strong>n guten räumlich<br />

begrenzten Überblick bieten die Beiträge in den Erläuterungsheften der Historischlandeskundlichen<br />

Exkursionskarte für Niedersachsen, etwa SEEDORF (1989). In<br />

allgem<strong>eine</strong>rem Zusammenhang lesenswert DIPPER (1994), 9-41 („Die Herrschaft der<br />

Natur“).<br />

5 HAUPTMEYER (1997), S. 1065-1068.<br />

6


Doch das war auf lange Sicht gesehen nicht entscheidend, bedeutsamer war die<br />

erhebliche Vergrößerung des Siedlungsgebietes, zumal nicht nur die bewaldeten<br />

Höhenlagen teilweise bezwungen wurden, sondern auch die Feucht- und<br />

Niederungsgebiete Niedersachsens nicht mehr der menschlichen Siedlung völlig<br />

unverschlossen blieben. An der Nordseeküste, aber auch im Binnenland gelangen erste<br />

Erfolge bei der Trockenlegung größerer Feuchtgebiete. 7 Die systematisch angelegten,<br />

relativ „modern” wirkenden Reihensiedlungen dieser Phase (Marschhufen-,<br />

Waldhufen- und Hagenhufendörfer) prägen bis heute Niedersachsens<br />

Siedlungslandschaft. 8<br />

Jedoch änderten diese Erfolge wenig daran, dass es <strong>eine</strong> ungleiche, von den<br />

Bodenverhältnissen abhängige Siedlungsdichte gab. Relativ hoch war sie im Bereich der<br />

Lößzone zwischen Osnabrück, Hannover, Hildesheim und Braunschweig. Mit der<br />

verbesserten Pferde- und Ochsenanspannung des Hochmittelalters bildeten sie auch<br />

für <strong>eine</strong> intensive Bearbeitung kein Hindernis mehr. Ebenfalls relativ hoch, allerdings in<br />

den Flusstälern konzentriert, war die Siedlungsdichte im niedersächsischen Berg- und<br />

Hügelland, während der Harz, in mittelalterlicher Perspektive ein unzugängliches<br />

Hochgebirge, weitgehend siedlungsfrei blieb. Siedlungsdichte heißt übrigens seit dem<br />

13. Jahrhundert <strong>eine</strong> große Zahl ländlicher wie städtischer Siedlungen und damit <strong>eine</strong><br />

enge Verbindung von Stadt und Land, die beide nicht nur häufig zur gleichen Zeit<br />

entstanden, sondern auch funktional aufeinander bezogen waren. 9<br />

Während das Gebiet bis zur Linie Osnabrück, Hannover, Hildesheim, Braunschweig<br />

schon früh relativ dicht besiedelt war, sah es in den nördlich davon gelegenen<br />

Geestgebieten mit den großen Heide- und Moorflächen gänzlich anders aus. Hier<br />

waren nur räumlich eng begrenzte Einbrüche in die Feuchtgebiete gelungen. Moor-<br />

und Feuchtgebiete erwiesen sich auch weiterhin als siedlungsfeindlich. 10<br />

So hatte sich nach der großen Rodungsperiode des Hochmittelalters ein<br />

Siedlungsmuster zwar in enger Anlehnung an die naturräumlichen Gegebenheiten, aber<br />

zugleich beeinflusst durch menschliche Aktivitäten herausgebildet. Dies blieb bis in die<br />

Gegenwart bestehen. 11 Rodung und Urbarmachung von Wäldern bedeutete kein<br />

entscheidendes Hindernis, auch nicht die Trockenlegung zumindest kl<strong>eine</strong>rer<br />

Feuchtgebiete, dagegen bildete die Ertragfähigkeit des Bodens <strong>eine</strong> wesentlich höhere<br />

Hürde für Aktivitäten. Die vorhandene Bodenqualität ließ sich mit dem wenigen<br />

Naturdünger nur in bescheidenem Maße verbessern.<br />

Das in enger Wechselbeziehung zu den natürlichen Voraussetzungen<br />

herausgebildete Siedlungsbild Niedersachsens korrespondierte mit den Verhältnissen<br />

innerhalb der Siedlungen. Sie wurden vornehmlich dort angelegt, wo fünf<br />

Voraussetzungen gegeben waren:<br />

• „<strong>eine</strong> Nährfläche, d.h. ein lehmiger bis anlehmiger Boden für die<br />

Brotgetreideerzeugung,<br />

• Wasser für Mensch und Tier,<br />

• ein trockener Baugrund für das Haus,<br />

6 HAUPTMEYER (1997), S. 1111-1123. Zu den Wüstungen jetzt als Überblick SEEDORF, MEYER<br />

(1996), 2, S. 106-108. RÖSENER (1992), 31-36; Allgemein: ABEL (1976).<br />

7 WASSERMANN (1985).<br />

8 MITTELHÄUSSER (1977), XX.<br />

9 Knapp aber prägnant: HAUPTMEYER (1997), 1041-1045.<br />

10 HAUPTMEYER (1997), 1041-1044. HINRICHS, KRÄMER, REINDERS (1988), XX.<br />

11 Hierzu CHH, welcher Aufsatz?<br />

7


• Grünland für die Winterfutterversorgung (Heugewinnung) und hofnahe<br />

Nachtweiden (Wischhöfe),<br />

• Sommerweideflächen für Rinder, Schafe, Schw<strong>eine</strong> (anfangs Waldweide, die vielfach<br />

zu Heide- und Bruchfläche wurde)”. 12<br />

Aus diesen Voraussetzungen ergab sich ein typisches, wenngleich variantenreiches<br />

Siedlungsmuster. Die Dörfer und Siedlungen 13 lagen meist in Wassernähe<br />

(„Auorientierung“ nach Seedorf) und in enger Nachbarschaft zum nutzbaren<br />

Ackerland. Innerhalb der Dörfer wiederum waren es vornehmlich die älteren Höfe, die<br />

in weitgehend 14 hochwasserfreier Lage dicht am Ackerland lagen, während die<br />

nachfolgenden, jüngeren Stellen entweder in die feuchteren oder die trockenen Lagen<br />

abgedrängt wurden. Während die Problematik <strong>eine</strong>r zu feuchten Lage sofort ins Auge<br />

fällt <strong>–</strong> wer möchte schon bei jedem Frühjahrhochwasser oder Gewitter das Wasser in<br />

der Küche schwimmen sehen? <strong>–</strong> mag <strong>eine</strong> Lage mitten auf dem Ackerland durchaus<br />

vorteilhaft ersch<strong>eine</strong>n; jedoch gilt es in diesem Fall zu bedenken, dass in solchen Fällen<br />

sowohl die hofnahen Grünflächen fehlten, und damit <strong>eine</strong> Versorgung des Viehs<br />

erschwert war, als auch die Wasserversorgung erhebliche Schwierigkeiten bereiten<br />

konnte, da dann tiefe und kostenträchtige Brunnen gesetzt werden mussten. 15<br />

Eine Wende bildete zweifelsohne die spätmittelalterliche Agrarkrise, denn sie<br />

bedeutete das vorläufige Aus für die Binnenkolonisierung, die erst im 16. Jahrhundert<br />

in wesentlich bescheidenerem Maße wieder aufgenommen wurde. 16 Als im<br />

16. Jahrhundert die Bevölkerung wieder zunahm, wurde die neue Bevölkerung in den<br />

vorhandenen Dörfern „angesetzt“, wodurch sich die beschriebene Randlage der neuen<br />

Stellen ergab. 17 Dabei spielte die inzwischen erstarkte und institutionell<br />

weiterentwickelte Landesherrschaft <strong>eine</strong> wichtige Rolle. Sie griff fortan immer stärker<br />

in die dörflichen Verhältnisse ein, verhinderte <strong>eine</strong>rseits die bis dahin üblichen<br />

Erbteilungen und setzte das Anerbenrecht durch, ermöglichte aber andererseits gegen<br />

den teilweise erbitterten Widerstand der Dorfbewohner die Ansetzung neuer Siedler<br />

auf den genossenschaftlich genutzten Flächen. 18<br />

War in der Phase bis Anfang des 14. Jahrhunderts das Siedlungsbild Niedersachsens<br />

dadurch bestimmt gewesen, dass in der Nachbarschaft der kl<strong>eine</strong>n Altsiedeldörfer neue<br />

Rodungssiedlungen in Form der Wald- und Hagenhufendörfer entstanden, so erfuhr es<br />

danach lediglich Erweiterungen und Verf<strong>eine</strong>rungen. Zwar hatte die große Krise des<br />

14. und frühen 15. Jahrhunderts dazu geführt, dass zahlreiche Siedlungen wüst fielen,<br />

aber gleichzeitig war in der Folgezeit durch den internen Siedlungsausbau und die<br />

Entstehung von Tochtersiedlungen das Siedlungsbild sehr komplex geworden. Neben<br />

den mehr oder weniger geschlossenen Dörfern der Börde 19 prägten Plansiedlungen,<br />

12<br />

SCHNEIDER, SEEDORF (1989), 13. SEEDORF, MEYER (1996), 100-106.<br />

13 Die Unterscheidung Dörfer-Siedlungen wird hier getroffen, da für die Geestgebiete auch<br />

Einzelhöfe und Doppelhöfe kennzeichnend sind, die nicht als Dörfer bezeichnet werden<br />

können.<br />

14 Allerdings konnte es durchaus geschehen, daß bei steigendem Grundwasserstand Höfe<br />

verlegt werden mußte; ein Beispiel in Komitee ''1000 Jahre Mandelsloh'' (1985), 182.<br />

15 Hier ggf. Beispiel aus Duddenhausen, wo beide Aspekte zu finden sind.<br />

16<br />

RÖSENER (1985), 255-267. Klären, ob dieser Band!<br />

17<br />

MARTEN (1965), XX.<br />

18<br />

CORDES (1981).<br />

19 Dörfer mit <strong>eine</strong>r geschlossenen Siedlungslage werden Drubbel genannt.<br />

8


Einzelhöfe, Weiler 20 oder Sonderformen wie die ostniedersächsischen Rundlinge 21 das<br />

Bild. 22<br />

Die Abhängigkeit von naturräumlichen Voraussetzungen ist schon durch <strong>eine</strong>n Blick<br />

auf unterschiedliche Siedlungstypen und die Siedlungsdichte sichtbar. In den weiten<br />

Geest-, Heide- und Moorlandschaften Niedersachsens und Westfalens herrschten nicht<br />

nur Streusiedlungen und Einzelhöfe vor, sondern die Siedlungsdichte war relativ<br />

gering, was sowohl für die Verteilung der einzelnen Siedlungen als auch für die<br />

Siedlungsgröße gilt. Die minderwertigen, ertragsarmen Sandböden der Geest<br />

herrschten in Verbindung mit weiträumigen Heide- und Moorflächen vor, in denen<br />

kl<strong>eine</strong>, inselartige humushaltige Eschböden eingestreut waren. Ohne den intensiven<br />

Einsatz bodenverbessernder Maßnahmen wie Düngung oder Trockenlegung ließen<br />

sich die Erträge dieser Böden nur innerhalb enger Grenzen erhöhen. Eine extensive,<br />

weite Flächen benötigende Landwirtschaft war deshalb das Kennzeichen dieser<br />

Gebiete, in denen durch das Abstechen von Heideplaggen, die als Einstreu verwendet<br />

und anschließend als Dünger auf die Ackerflächen ausgebracht wurden, der<br />

notwendige Dünger gewonnen wurde. Bot also die Landwirtschaft nur <strong>eine</strong> schmale<br />

Basis für menschliche Ernährung, so war doch genügend Land für die Siedlung<br />

vorhanden, so dass die wenigen Siedlungen weiträumig angelegt waren. Aus diesen<br />

Voraussetzungen ergab sich ein Landschaftsmuster, in dem Heide, Moor und<br />

Ackerland mit Einzelhofsiedlungen und Dörfern abwechselten.<br />

Schon der erste vergleichende Blick auf ein Bördedorf offenbart große<br />

Unterschiede: sie reichen von der wesentlich geschlosseneren Siedlungsstruktur mit<br />

<strong>eine</strong>r dichten Bebauung im Dorfkern über <strong>eine</strong> größere Siedlungsdichte bis hin zu<br />

naturräumlichen Unterschieden, denn nicht der Wechsel zwischen Moor, Heide,<br />

Weiden und Ackerinseln, sondern <strong>eine</strong> in erster Linie durch weite Ackerfluren<br />

gekennzeichnete Landschaft bestimmt hier das Bild. 23 Aber auch diese zunächst so<br />

„ausgeräumte“ wirkende Landschaft kannte kleinräumige Unterschiede und hatte<br />

zumindest in den Niederungsgebieten und nahe den Wasserläufen kl<strong>eine</strong><br />

Feuchtbiotope. 24 Der Grund für diese Abweichungen ist offenkundig, denn angesichts<br />

der hohen Bodengüte <strong>–</strong> hier waren und sind Bodenwertzahlen 25 von über 80 Punkten<br />

k<strong>eine</strong> Seltenheit <strong>–</strong> wäre <strong>eine</strong> Grünlandwirtschaft Verschwendung gewesen (wobei auch<br />

hier das Vieh als Düngerlieferant und Zugvieh unentbehrlich war!), ebenso wie <strong>eine</strong><br />

weiträumige Siedlungsanlage, während andererseits die geringe Ertragfähigkeit des<br />

Geestbodens <strong>eine</strong> hohe Bevölkerungsdichte verhinderte, die wiederum in den<br />

Bördedörfern durchaus möglich war.<br />

Börde- und Geestdörfer, die hier kurz skizziert wurden, bilden nur zwei von vielen<br />

Erscheinungsformen ländlicher Siedlungen im Nordwesten; ihnen müssen zumindest<br />

noch die Marschdörfer an der Küste und die Dörfer im Bergland an die Seite gestellt<br />

werden. Hinzu kommen Sonderformen wie die planmäßig angelegten Marsch- und<br />

Hagenhufendörfer des Hochmittelalters oder die ostniedersächsischen<br />

Rundlingsdörfer. Die Hagenhufendörfer wurden während des Hochmittelalters als<br />

20 Kl<strong>eine</strong> und weitläufig Dörfer.<br />

21 Kreisförmig angelegte Dörfer.<br />

22 Einen Überblick bietet SEEDORF, MEYER (1996), 108-127.<br />

23 Siehe HAUPTMEYER (1983) mit den Fotos.<br />

24 Einen eindrucksvollen Vergleich bieten die Bilder auf den Umschlagseiten von<br />

HAUPTMEYER (1983), die jeweils den gleichen Bildausschnitt 1820 und 1980 zeigen.<br />

25 Bodenwertzahlen sind ein Richtwert zur Einschätzung der Bodengüte; der Höchstwert<br />

beträgt 100 Punkte.<br />

9


systematische Straßendörfer angelegt, der Begriff ist aus der Hufe, <strong>eine</strong>m Flächenmaß,<br />

und dem Hagen, die das Land einhegende Hecke, zusammegesetzt.<br />

Die nordwestdeutsche Siedlungslandschaft war damit durch <strong>eine</strong> beachtliche Fülle<br />

verschiedener Typen und Varianten gekennzeichnet.<br />

1. Ackerbau<br />

Mit dem Bevölkerungsanstieg zu Beginn des 16. Jahrhunderts, der in wenigen<br />

Jahrzehnten die riesigen Verluste des 14. und frühen 15. Jahrhunderts ausgleichen<br />

konnte, setzte die so genannte „Vergetreidungsphase” Mitteleuropas ein: die Europäer<br />

wurden zu Brot- und Breiessern. 26 Die starke Konzentration auf den Ackerbau ergab<br />

sich schlicht und einfach aus der Tatsache, dass der Kalorienertrag je Flächeneinheit<br />

beim Getreideanbau wesentlich höher ist als bei der Viehzucht. Den Menschen blieb<br />

angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen und der nur unzureichenden<br />

Produktionssteigerung in der Landwirtschaft nichts weiter übrig, als vom<br />

schmackhaften Fleisch zu lassen, und sich der eintönigen Ernährung mittels Brot,<br />

Breien und Hülsenfrüchten zuzuwenden, während das Fleisch den Fest- und<br />

Feiertagen bzw. den besser gestellten Gruppen im Dorf vorbehalten blieb. 27 Diese<br />

Konzentration auf den Ackerbau stieß jedoch an die beschriebenen Grenzen und<br />

zugleich zeigen uns die Flurkarten des späten 18. Jahrhunderts den verbissenen Kampf<br />

der Dorfbewohner gegen diese Grenzen.<br />

In den naturräumlich benachteiligten Gebieten der Geest gab es zwei große<br />

„Felder”: die alten Streifenfluren auf dem Esch, d.h. „altes Ackerland”, und die auf<br />

den Heide- und Angerflächen gerodeten Kämpe 28 , meist Blockfluren, die entweder von<br />

<strong>eine</strong>m Hof allein bewirtschaftet wurden oder inzwischen auf mehrere Bearbeiter<br />

aufgeteilt worden waren. Das neu gerodete Land (das „Rottland”) gehört zu den<br />

typischen Elementen dörflicher Wirtschaftsweise und reicht bis weit in das Mittelalter<br />

zurück, wurde aber besonders in der frühen Neuzeit parallel zum Bevölkerungsanstieg<br />

weiter ausgedehnt.<br />

Das Ackerland wurde <strong>–</strong> so mag es zumindest auf den ersten Blick ersch<strong>eine</strong>n <strong>–</strong><br />

individuell bewirtschaftet, doch zeigt schon ein flüchtiger Blick auf Flurkarten, dass die<br />

Realität komplexer war. Auffällig ist die starke Parzellierung der Flur, die zunächst wie<br />

r<strong>eine</strong> Willkür anmutet, tatsächlich aber ein fein abgestimmtes System bildete, das s<strong>eine</strong><br />

eigene Genese hatte, und sich bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein weiter<br />

entwickelte. 29 Bei Parzellenbreiten von teilweise weniger als zehn Metern war <strong>eine</strong><br />

Bewirtschaftung ohne nachbarliche Absprache nicht möglich. Deshalb waren die Felder<br />

auch in so genannte Schläge oder Gewanne aufgeteilt, auf denen jeweils die gleichen<br />

Früchte angebaut wurden. Das klassische Bild zeigt jeweils drei Gewanne und zwar für<br />

das Wintergetreide (Roggen), das Sommergetreide und die Brache; letztere war<br />

26 In Anlehnung an BRAUDEL ([ca. 1995]a), 156 f. Überzeugend beschreibt BECK (1993), 196-<br />

207, die Ernährungssituation der frühneuzeitlichen Dorfbewohner. Die Folgen des<br />

Bevölkerungsrückgangs nach der Pest und des Anstiegs im 16. Jahrhundert beschreibt<br />

anschaulich LE ROY LADURIE (1990), hier 63-78. MONTANARI (1995), 126 f.<br />

27 Siehe auch den aufschlußreichen Bericht bei Nepomuk SCHWERZ (circa 1980 = 1836), S.<br />

XX<br />

28 Größere geschlossene Ackerfläche, meist außerhalb der alten Ackerflur auf Land mit<br />

geringerer Bodengüte wie Heide angelegt.<br />

29 Siehe KÖSTER (1977), 83-98, mit vielen Karten.<br />

10


notwendig, um das Land regenerieren zu lassen, da die Verbesserung des Bodens durch<br />

Dünger nur in begrenztem Maße möglich war. 30<br />

Die Dreifelderwirtschaft wurde nach und nach im Hochmittelalter eingeführt und<br />

bedeutete damals gegenüber der Zweifelderwirtschaft <strong>eine</strong>n entscheidenden<br />

Fortschritt, so dass sie ursprünglich <strong>eine</strong> moderne, leistungsfähige Wirtschaftsform<br />

war. 31 Im 18. Jahrhundert war alles anders, denn nun erschien sie vielen als veraltete<br />

Form der Feldbewirtschaftung, gab es doch seit dem 16. Jahrhundert Möglichkeiten<br />

<strong>eine</strong>r intensiveren Nutzung des Landes in Form von Fruchtwechselwirtschaften.<br />

Tatsächlich gibt es seit diesem Jahrhundert <strong>eine</strong> Reihe von konkurrierenden, auch die<br />

jeweiligen naturräumlichen Verhältnisse ausnutzenden Wirtschaftsformen, wie der<br />

„ewige” (also ununterbrochene) Roggenanbau auf Teilen der nordwestdeutschen und<br />

westfälischen Geest oder Mehrfelderwirtschaft auf den besseren Gegenden im<br />

mittleren Niedersachsen. Bei aller Komplexität der Wirtschaftsformen bleibt jedoch<br />

das Phänomen der mehr oder weniger stark parzellierten, offenen Felder mit dem<br />

Zwang zur gemeinsamen Absprache, wenngleich der Flurzwang in s<strong>eine</strong>r strengen<br />

Form nur dort auftrat, wo das Land derart parzelliert war, dass den einzelnen Bauern<br />

ein direkter Wegezugang nicht möglich war.<br />

Auch dort, wo jeder Bauer s<strong>eine</strong> Felder direkt erreichen konnte und nicht über das<br />

Land s<strong>eine</strong>r Nachbarn fahren musste, war er, von den noch zu schildernden<br />

grundherrlichen Einschränkungen abgesehen, immer noch nicht „Herr” s<strong>eine</strong>s Landes.<br />

Vielmehr lag über „s<strong>eine</strong>m” Land ein unsichtbares Netz von Rechten, den so<br />

genannten Servituten, die im Herbst den Viehauftrieb auf das Land ermöglichten. Wer<br />

dann nicht zu rechter Zeit sein Feld abgeerntet hatte, der musste mit ansehen, wie<br />

Kühe oder große Schafherden über den Acker zogen und dort weideten. Besonders<br />

dort, wo neben den Bauern auch adelige Güter oder landesherrliche Domänen<br />

Servitutrechte besaßen, insbesondere die Schäfereigerechtigkeit, wirkten sich diese<br />

zusätzlichen Nutzungsrechte hemmend für Veränderungen aus, wie wir noch am<br />

Beispiel der frühen Reformen des 18. Jahrhunderts sehen werden. 32 Der Weideauftrieb<br />

hatte aber nicht nur Nachteile, denn das Beweiden des Ackers mit Schafherden hatte<br />

<strong>eine</strong>n entsprechenden Düngereintrag zur Folge und förderte damit den Ertrag des<br />

Landes. 33<br />

Angesichts der großen Abhängigkeit vom Naturraum, des fehlenden Düngers und<br />

<strong>eine</strong>s häufig unzureichenden Saatguts erstaunt es wenig, dass die Erträge gering und<br />

regional wie im langjährigen Ablauf stark schwankend waren. Auf der Geest waren sie<br />

am geringsten, in den Bördegebieten am höchsten. 34<br />

Die extreme Abhängigkeit von den topographischen Bedingungen hatte<br />

entscheidende Auswirkungen auf die Ernteerträge. Selbst kleinräumige Unterschiede <strong>–</strong><br />

etwas mehr Moor, Heide oder Ackerland, höherer Grundwassserspiegel, Reliefformen<br />

des Geländes u.a.m. <strong>–</strong> waren relevant, so dass allgem<strong>eine</strong> Aussagen über die<br />

Landwirtschaft der frühen Neuzeit kaum möglich ist. Eine 1801 durch den<br />

Reichsfreiherrn vom Stein initiierte Untersuchung über die Landwirtschaft im<br />

nördlichen Westfalen, den preußischen Provinzen Minden-Ravensberg, Tecklenburg<br />

und Lingen, zeigt allein für die Provinz Minden erhebliche Unterschiede in den<br />

30 Wer bietet <strong>eine</strong> schöne, passende Abbildung? Putzger, Weltatlas<br />

31 Eine Verteidigung der alten Flurmark enthält u.a. aus englischer Sicht NEESON (1996).<br />

32 Siehe unten S. .<br />

33 Zur Viehhaltung JENSSEN (1997).<br />

34 Knappe Angaben bei ACHILLES (1991), 22 f; ABEL (1978a), 225 f.<br />

11


Bodenverhältnissen, den Erträgen und den Hofgrößen. 35 In den an der Weser, zum Teil<br />

aber schon auf der Geest oder im Übergang zum Berg- und Hügelland gelegenen<br />

Ämtern waren die Bodenverhältnisse kleinräumig sehr differenziert. So heißt es vom<br />

Amt Schlüsselburg an der mittleren Weser: „Der Leimboden am Weserstrom ist der<br />

herrschende, obgleich auch viel Kleie und Sandboden, auch einiger nasser, in hiesiger<br />

Gegend vorhanden ist.“ Vom südlich davon liegenden Amt Hausberge wird<br />

ausdrücklich betont: „Vielleicht sind wenige Gemein[d]en im Fürstentum, die <strong>eine</strong><br />

solche Mannigfaltigkeit des Bodens aufzuweisen hätten als die hiesige, welches zum<br />

Teil durch bald höhere, bald niedrigere Lage der Grundstücke zwischen dem Berge<br />

und dem Werre Fluß verursacht wird.“ Aufgezählt werden dann Kleiboden, von dem<br />

es am wenigsten gebe, „Leimen macht nächstdem den Hauptbestandteil des hiesigen<br />

Bodens aus, mit dem Unterschied, dass er bald schwerer bald leichter ist, bald <strong>eine</strong><br />

trockene, bald <strong>eine</strong> nasse Lage hat, bald mehr bald weniger mit anderen fruchtbaren<br />

Erdarten oder auch sonst mit Sande gemischt ist“. 36<br />

Insbesondere die Bodennässe stellte die Landwirtschaft immer wieder vor große<br />

Probleme. Die stark parzellierte Feldmark konnte nicht durch Drainage entwässert<br />

werden, statt dessen griff man zu althergebrachten Entwässerungsmaßnahmen. So<br />

heißt es aus dem Amt Hausberge: „Die Ableitung des Wassers von den Feldern ist ein<br />

wichtiger Gegenstand bey der Ackerwirthschaft. Die gem<strong>eine</strong> Methode ist den Acker<br />

hochrückigt zu machen. Wenn er dann auch am Rücken gut trägt, so verliert man desto<br />

mehr an der Nähe der Wasserfurche …“ 37<br />

So schwankten die Erträge selbst auf den Feldern <strong>eine</strong>r Feldmark teilweise stark. In<br />

vier Ämtern des Fürstentums Minden-Ravensberg lagen die Roggenerträge zwischen<br />

dem 4. und dem 8. bis 9. Korn; ähnliche Ertragsunterschiede gab es bei den anderen<br />

Früchten. Gemessen wurden hier die Erträge übrigens in <strong>eine</strong>m Vielfachen der<br />

Aussaat. Das „4. Korn“ hieß also, dass die Ernte das Vierfache der Aussaat ausmachte.<br />

Die heute übliche Form, die Erntemenge in dt/ha, also in Gewicht anzugeben, gab es<br />

noch nicht, statt dessen wurden Hohlmaße oder Verhältniszahlen angegeben, die aber<br />

<strong>eine</strong> eindeutige Umrechnung auf heutige Maße erschweren. Durchschnittserträge<br />

wurden meist nicht angegeben, was angesichts der stark schwankenden Erträge und<br />

den unzureichenden Ermittlungsmethoden auch nicht verwundern sollte.<br />

Durchschnittswerte fehlen auch bei den Hofgrößen. 38 Fehlende exakte Zahlen<br />

hatten ihren Grund u.a. darin, dass sich die Beamten nicht der Mühe unterziehen<br />

wollten, etwa registerförmige Quellen systematisch auszuwerten. Eindeutige<br />

Größenzuordnungen waren außerdem in vielen Fällen nicht möglich, da die Streuung<br />

bei den Betriebsgrößen teilweise erheblich war und für größere Regionen mit stark<br />

unterschiedlicher Bodengüte Vergleichsmöglichkeiten erschwert waren. In den<br />

Geestgebieten gab es etwa große Gemeinheitsflächen, die nicht in die Hofgröße mit<br />

einfließen, während die genossenschaftlichen Flächen in Bördedörfern vergleichsweise<br />

klein waren.<br />

35 LINNEMEIER (1994), S. 30 ff.<br />

36 Ebd., S. 44.<br />

37 Ebd., S. 50.<br />

38 Hier etwa über die Größe der einzelnen Betriebe, nach der zwar auch gefragt wurde, auf<br />

die aber teilweise sehr ungenaue Angaben („Die gewöhnliche Größe <strong>eine</strong>s Bauerhofes ist<br />

ohngefehr 60 bis 70 Morgen.“ zitiert nach LINNEMEIER (1994), S. 72) oder höchstens nach<br />

Hofklassen aufgeteilte wie zum Amt Petershagen (Ebd., S. 81), wobei hier innerhalb der<br />

Hofklassen nur Spannweiten angegeben wurden.<br />

12


Kehren wir aber noch einmal zu den Ernteerträgen zurück, denn deren Höhe wurde<br />

nicht allein von der Bodengüte beeinflusst, sondern in hohem Maße von äußeren<br />

Einflüssen, insbesondere vom Wetter und Ungezieferbefall. Beide Faktoren<br />

verursachten von Jahr zu Jahr starke Schwankungen bei den Ernteerträgen. 39<br />

Bei mehrjährigen Missernten schaukelten sich die Mindererträge schnell zu<br />

extremen Krisen auf, die dadurch verschärft wurden, dass ab der zweiten Missernte<br />

Saatgetreide fehlte. Die unzureichenden Verkehrsverbindungen erschwerten außerdem<br />

den billigen Ankauf von Getreide aus anderen Regionen, verhinderten aber nicht, dass<br />

das Getreide dem Preis folgte, also von den Produzenten, größeren Bauern,<br />

Gutspächtern und dem Adel, dorthin verkauft wurde, wo die Nachfrage und die<br />

Kaufkraft am höchsten waren. 40<br />

Diese periodisch wiederkehrenden und bis in das 19. Jahrhundert hinein<br />

anhaltenden Krisenphasen, die auf dem starken kurzfristigen Rückgang des<br />

Getreideangebots beruhten, sollten nicht über Fortschritte hinweg täuschen. Für die<br />

zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts können wir davon ausgehen, dass gemessen an den<br />

Aussaatmengen zwischen dem 3. und dem 10., in Ausnahmefällen auch dem 12. Korn<br />

geerntet werden konnte. Im ersten Fall bedeutete dies, dass nach Abzug der Aussaat<br />

und der Abgaben für den Grundherrn kaum noch etwas für die Versorgung des Hofes<br />

und der Familie übrig blieb, im letzteren ermöglichten sie Überschüsse bei den<br />

größeren Höfen, die damit <strong>eine</strong>n Teil ihres Getreides auf den städtischen Märkten oder<br />

an Getreidehändler verkaufen konnten. 41<br />

Die Chancen der einzelnen ländlichen Gruppen, auf Phasen hoher Erträge und<br />

Mindererträge zu reagieren, waren demnach sehr unterschiedlich und die Abstände<br />

vergrößerten sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts offenbar weiter. Diejenigen, welche<br />

auch bei schlechten Erträgen immer noch <strong>eine</strong> Marktquote erwirtschafteten, also die<br />

großen Betriebe, profitierten überdurchschnittlich von den hohen Preisen und<br />

versuchten demgemäß, dort zu verkaufen, wo Nachfrage und Kaufkraft am höchsten<br />

waren. 42 Für diese Betriebe dürfte dementsprechend der Anreiz, neue Produkte<br />

einzuführen und die Produktivität allgemein zu erhöhen, am größten gewesen sein,<br />

wenngleich auch hierbei regionale Unterschiede <strong>eine</strong> Rolle gespielt haben dürften.<br />

Andererseits konnten sich Phasen hoher Erträge und entsprechend niedriger<br />

Getreidepreise für diese Betriebe verheerend auswirken. 43<br />

Die mittelgroßen Betriebe konnten zwar in schlechten Jahren in etwa ihren<br />

Eigenbedarf decken, profitierten aber eher von den mengenmäßig guten Ernten, da sie<br />

nur dann Überschüsse auf dem Markt anbieten konnten. Die Klein- und Kleinststellen<br />

dagegen mussten selbst in Normaljahren Getreide zukaufen und erst recht in Zeiten<br />

geringer Ernten, in denen sie unter den extrem hohen Preisen litten.<br />

39 Zur Wetter- und Klimaforschung siehe den Überblick bei MILITZER (1996). Zu<br />

europäischen Forschungen zu den Erträgen bietet der Sammelband BAVEL, THEON (1999)<br />

<strong>eine</strong>n guten, differenzierten Überblick.<br />

40 Erst im 19. Jahrhundert mit dem Eisenbahnbau änderte sich dies, was daran ablesbar ist,<br />

daß innerhalb Deutschlands das Getreidepreisniveau sich stark anglich. WALTER (1995), 95.<br />

41 Zusammenfassend ACHILLES (1982), 138.<br />

42 Die folgende Darstellung folgt weitgehend den frühen Thesen von ABEL (1978b), S. XX,<br />

FREIBURG (1977), hat sich kritisch mit den Annahmen auseinandergesetzt, ACHILLES (1978),<br />

<strong>eine</strong> regionale Fallstudie dazu geliefert. Eine knappe Zusammenfassung der Abelschen<br />

Thesen bietet ABEL (1974), S. 41-46.<br />

43 ABELSHAUSER, BARTMANN (2004), S. Xx (am Anfang); <strong>eine</strong> Zeit extrem niedriger Preise in<br />

den 1820er Jahren leitete <strong>eine</strong> umfassende Kritik an den agrarischen Verhältnissen ein.<br />

13


Die Chancen, durch den Ackerbau vergleichsweise sichere Einnahmen zu<br />

erwirtschaften, waren also regional und sozial ungleich verteilt, woran sich auch durch<br />

die langfristig steigenden Erträge nur wenig änderte, denn letztere stiegen am meisten<br />

in den ohnehin begünstigten Landschaften und hatten positive Effekte nur für die<br />

größeren Betriebe. 44 Andererseits ergab sich hieraus, dass die Landwirtschaft als<br />

Gewerbe zunehmend lukrativer wurde, und damit wichtige Anreize zur<br />

Modernisierung gegeben waren.<br />

2. Das „liebe“ Vieh<br />

Das Wort von der „Vergetreidung” mag den vorschnellen Schluss nahe legen, dass der<br />

Viehwirtschaft k<strong>eine</strong> große Bedeutung zu kam. Dem war gewiss nicht so. Einerseits<br />

gab es mit den Heide- und Angerflächen und nicht zuletzt den niedersächsischen<br />

Nieder- und Hochmooren bis in das 18. Jahrhundert Flächen, die, wenn überhaupt, nur<br />

<strong>eine</strong>r extensiven Bewirtschaftung zugänglich waren. Sie alle spielten <strong>eine</strong> nicht zu<br />

unterschätzende Rolle für die vorindustrielle Landwirtschaft als Viehweide, als<br />

Plaggenhieb 45 oder zum Holzsammeln und waren damit fester Bestandteil <strong>eine</strong>r<br />

differenzierten und genossenschaftlichen Form der Landnutzung. Diese Flächen<br />

stellten zudem Ausgleichsflächen dar, die im Zuge der Bevölkerungszunahme <strong>eine</strong>r<br />

intensiveren Nutzung zugeführt wurden. Die Heideflächen bildeten ein Reservoir für<br />

die Landesherrschaft, das in Zeiten steigender Bevölkerung für Hausbau und<br />

Landausweisungen gern genommen wurde. Bevölkerungszunahme brachte das<br />

bisherige System genossenschaftlicher und extensiver Landnutzung aus dem<br />

Gleichgewicht. Die Folgen für die genossenschaftlichen Flächen waren teilweise<br />

erschreckend, auch wenn in den zeitgenössischen Berichten gewiss übertrieben wurde<br />

wie etwa in den Reiseberichten des Bremer Stadtarchivars Johann Georg Kohl:<br />

„Die Meente [d.h. Gemeinheit, d. Verf.] war ein Institut, das noch aus den barbarischen<br />

Nomadenzeiten zu stammen scheint …Die hohe Haide und der weit um das Dorf sich<br />

herumziehende Wildboden galt als gemeinschaftlicher Besitz der gesamten Bauernschaft, als ein<br />

Gemeingut … und dieselbe für die armen Haidschnucken des Dorfs als Weide. Es war die einzige<br />

Benutzungsweise, die in der Haide möglich war. Jeder trieb auf diese Meente soviel Schafe, als ihm<br />

beliebte. In den Privatbesitz <strong>eine</strong>s strebsamen Individuums konnte nichts davon kommen. Reformen<br />

konnten nicht gemacht werden. Es mußte alles unter dem gefräßigen Zahn der hungrigen<br />

Haidschnucken bleiben … Es ist überflüssig nachzuweisen, dass diese Meente gleichsam wie ein<br />

Alp, wie ein Fluch auf allen Verhältnissen in den Haideländereien lastete …” 46<br />

Viehzucht diente der Fleisch- und Milchversorgung, der Anspannung und der<br />

Düngerproduktion. Es gab gleichwohl <strong>eine</strong>n latenten Viehmangel, der sich in immer<br />

wiederkehrenden Klagen über den zu geringen Viehstapel artikulierte. Das Vieh,<br />

speziell Rindvieh und Schafe, war der entscheidende, nahezu ausschließliche<br />

Düngerlieferant, weshalb dessen ausreichende Zahl nicht zuletzt für den Ackerbau von<br />

kaum zu unterschätzender Bedeutung war, so dass die noch zu erläuternden<br />

Bestrebungen um <strong>eine</strong> Erhöhung des Viehstapels weniger wegen der<br />

44 AKERLOF, MIYAZAKI (1980).<br />

45 Plaggenhieb heißt, dass im Sommer Heidesoden abgestochen und dann als Streu für den<br />

Stall genommen wurde. Die mit Dung getränkten Soden wurden anschließend wieder auf<br />

dem Land als Dünger ausgebracht. Um <strong>eine</strong> Fläche von <strong>eine</strong>m Morgen mit Plaggen zu<br />

düngen, mussten etwa zehn Morgen Heide abgetragen werden.<br />

46 KOHL (1990), S. 25 f.<br />

14


Fleischversorgung, sondern vornehmlich zur Ertragssteigerung beim Getreide gedacht<br />

waren.<br />

Dass der Dünger selbst nach den Maßstäben des 16. oder 17. Jahrhunderts zu knapp<br />

war, lag daran, dass <strong>eine</strong> Winterfütterung des Viehs kaum möglich war. Der<br />

unzureichende Anbau von Futtermitteln und die geringen Heuerträge verhinderten<br />

<strong>eine</strong> effektive Fütterung des Viehs, zudem fehlte es an Wissen über die Menge des<br />

notwendigen Winterfutters. 47 Demgemäß war der Viehbesatz verglichen mit heutigen<br />

Werten gering, was für das Rindvieh und noch spezieller das Schwein galt, welches<br />

lediglich durch die Eichelmast gefüttert wurde und nur in geringen Zahlen vorhanden<br />

war. 48<br />

Bedacht werden sollte aber, dass die zeitgenössischen Quellen meist Steuerlisten<br />

sind, die für die Steuerschätzung grundlegend waren und deshalb durchweg zu niedrige<br />

Werte wiedergeben. Wie groß die Diskrepanzen zwischen tatsächlichen und offiziell<br />

angegebenen Werten sein können, zeigt <strong>eine</strong> aus Anlass der Gemeinheitsteilungen<br />

vorgenommene Erhebung des Amtes Dannenberg aus dem Jahr 1797. 49 Nach Aussage<br />

der Kataster gab es im Amt lediglich 1846 Pferde, gezählt wurden aber 2758; bei den<br />

Rindern betrug das Verhältnis 3149 zu 5475, bei den Schw<strong>eine</strong>n 823 zu 1771 und bei<br />

den Schafen 2512 zu 5278. Die Amtsuntertanen hatten demnach durchschnittlich<br />

doppelt so viele Tiere wie in den Katastern angegeben waren! Diese Zahlen können<br />

zwar nicht verallgem<strong>eine</strong>rt werden, sollten aber zur Vorsicht bei der Interpretation<br />

frühneuzeitlicher Werte mahnen.<br />

Das Pferd spielte nicht nur als Zugtier <strong>eine</strong> große Rolle, sondern sicherte den Status<br />

speziell der größeren Höfe. In den weiten Heidegebieten der Geest darf schließlich das<br />

Schaf als Wollelieferant nicht vergessen werden, wobei dessen große Zeit erst im 18.<br />

und frühen 19. Jahrhundert kam. 50 Schafherden gehörten meist zu Gütern und<br />

Domänen. 51<br />

Kennzeichnend für die Viehzucht war die Tatsache, dass die Tiere völlig anders als<br />

heute gehalten wurden. 52 Zwar überließ man das Vieh nicht sich selbst, sondern hielt es<br />

auch in den Sommermonaten nachts im Stall, tagsüber weidete es indes entweder<br />

hudelos 53 oder durch <strong>eine</strong>n Dorfhirten beaufsichtigt auf den weiten Gemeindeflächen.<br />

Diese meist mit niedrigem Busch- und Strauchwerk bestandenen Bereiche waren<br />

Heide-, Niedermoor- oder Bruchflächen. Die Gemeinweiden oder Angerreviere<br />

konnten sich in teilweise erheblicher Ausdehnung um die Dörfer erstrecken und mit<br />

mehreren hundert Tieren besetzt sein. Meist wurden die großen Reviere von mehreren<br />

Dörfern benutzt. Exemplarisch für diese komplexen Nutzungsrechte sollen die<br />

Gemeinheiten in der Marschvogtei des Amtes Dannenberg näher vorgestellt werden. 54<br />

47 THAER (1799) 1, 147-150; PRASS (1997a), 55 f; ACHILLES (1991), 25.<br />

48 ACHILLES (1991), 27.<br />

49 NHStAH Hann 74 Dannenberg Nr. 3221.<br />

50 ACHILLES (1991), S. 23-28.<br />

51 ACHILLES (1991), 26 f.<br />

52 Siehe dazu die zwar auf Frankreich gemünzten, dennoch auch für Deutschland<br />

aufschlußreichen Bemerkungen von BRAUDEL ([ca. 1995]b), S.??) Knapp für Deutschland<br />

ACHILLES (1991), S.24 f.<br />

53 Also ohne <strong>eine</strong>n Hütejungen.<br />

54 Beschreibung derjenigen Dorfschaften, aus der Marschvogtei Amts Dannenberg, welche<br />

miteinander in Communion und nicht in Communion stehen vom 22.2.1797 (NHStAH<br />

Hann 74 Dannenberg Nr. 3221).<br />

15


Von 28 Dörfern hatten fünf k<strong>eine</strong> Kommunionweiden mit anderen Dörfern, die<br />

Regelungen bei den übrigen waren kompliziert und entziehen sich <strong>eine</strong>r systematischen<br />

Aufstellung. Relativ häufig waren allgem<strong>eine</strong> Regelungen wie in Breese, welches <strong>eine</strong><br />

Kommunionweide mit Dambeck hatte, „so sie alle Tage mit ihren Pferden, Hornvieh,<br />

Schw<strong>eine</strong>n ecl. Schaafen betreiben und behuden können“.<br />

Wie kompliziert die Nutzungsrechte sein konnten, zeigt sich an den Verhältnissen<br />

im Dorf Nebenstedt im Amt Dannenberg. Dort hatten 1797 je zwei herrschaftliche<br />

Voll- und Halbmeier und acht Junker-Halbmeier sowie je ein Groß- und Kleinkossater<br />

(Groß- und Kleinkötner) folgende genossenschaftlichen Nutzungsrechte:<br />

„Sind Forst-Interessenten mit dem Bau- und Lese-Holtz und können hüten mit ihren Pferden,<br />

Hornvieh, Schw<strong>eine</strong>n, Schaafe und Gänse für beständig über ihre mit der Dorfschaft Splitau<br />

Commune Weide nach der Kl<strong>eine</strong>n Lucii bis an den Zadrauer Kirchsteig; und bey hohen<br />

Wasserszeiten aber bis nach der Zadrauer Heide und Kiemen hinaus nach der Hohen Lucii. Denn<br />

Plaggenhieb haben sie nicht. Diese Weide hat hohe und niedrige Stellen, guten Boden und ist durch<br />

die Abwässerung beinahe Marschweide geworden. Demnechst so hat diese Dorfschaft noch <strong>eine</strong><br />

privative Marsch- oder Pflingstweide, nebst Pferde-Nacht-Koppel beim Dorfe belegen, so sie vom<br />

Meytag an bis das die Wiesen loos sind mit ihren Pferden und Hornvieh in der Woche einige mahl<br />

des Tages über ½ Tag behüten.“ 55<br />

Folgende Rechte bestanden also auf dieser Gemeinweide:<br />

1. die Nutzungsrechte wurden gemeinsam mit Nachbargemeinden ausgeübt, und zwar<br />

für:<br />

2. Nutzrechte für Bau- und Leseholz,<br />

3. Hutungsrechte für Pferde, Hornvieh, Schw<strong>eine</strong>, Schafe, Gänse<br />

4. es bestand kein Recht auf Plaggenhieb,<br />

5. neben der Gemeinweide mit den Nachbargemeinden gab es noch ein „privative“<br />

Gemeinde, die nur von der Dorfschaft genutzt werden konnte.<br />

Die Vielzahl dieser sich ergänzenden, teilweise geradezu übereinander liegenden<br />

Sonderrechte machte <strong>eine</strong> schnelle Veränderung nahezu unmöglich. Die alten Rechte<br />

hatte auch die Mentalität der Menschen erheblich beeinflusst, so dass <strong>eine</strong> vollständige<br />

und radikale Aufhebung des alten Systems kaum vorstellbar war, sondern in<br />

Einzelschritten so lange erfolgte, bis <strong>eine</strong> umfassende Neuordnung unvermeidlich war.<br />

Die Beschreibung von Nebenstedt verdeutlicht die räumlich, zeitlich und sachlich<br />

differenzierten Rechte an den Flächen, die zudem in Kombination mit individuellen<br />

Gemeinderechten lagen. Es gab demnach drei Ebenen von Nutzungsrechten:<br />

a) individuelle des einzelnen Landbesitzers, die allerdings durch Überfahrtrechte für<br />

bestimmte Jahreszeiten eingeschränkt sein konnten,<br />

b) genossenschaftliche innerhalb <strong>eine</strong>r Gemeinde,<br />

c) genossenschaftliche zwischen mehreren Gemeinden.<br />

Diese Gemengelage von Nutzungsrechten provozierte seit dem 17. Jahrhundert<br />

zunehmend Konflikte. Nicht nur die noch zu beschreibenden Aktivitäten der<br />

Landesherrschaft auf den Angerflächen sondern durch die Vergrößerung der<br />

Dorfbevölkerung und die häufig trotz aller Absprachen nicht eindeutigen<br />

Nutzungsrechte förderten Konflikte und Auseinandersetzungen. 56 Im Konfliktfall<br />

bedurfte es aufwendiger gerichtlicher Klärungen unter Befragung alter Männer, die als<br />

Hütejungen mehrere Jahrzehnte zuvor die Reviere am besten kennen gelernt hatten.<br />

Mancher von ihnen mag dabei mit leiser Sehnsucht an Kindertage zurückgedacht<br />

55 NHStAH Hann 74 Dannenberg Nr. 3221.<br />

56 PRASS (1997a), 98-103.<br />

16


haben, oder sich erneut an die Ängste und die Einsamkeit jener Zeit wie Ernst<br />

Auhagen aus Steinhude, der im Oktober 1701 über s<strong>eine</strong> Hütezeit im Steinhuder<br />

Meerbruch befragt wurde:<br />

„Er habe sein lebe k<strong>eine</strong> grentze gedacht, sondern das Vieh gehen lassen wo es gewolt, wenn er das<br />

Vieh morgens vom Lager getrieben, habe Er dasselbe gehn lassen, wohin es gewollt, denn es habe<br />

ihm in kein Korn gehn können; inzwischen habe Er sich können etzliche stunden zu schlafen legen,<br />

gegen Mittag aber, wenn die Leute melken wolten, hätte er sie wieder zusammen getrieben, des<br />

Nachts habe er sich in s<strong>eine</strong> Hütten geleget, so auff dem Mohr gestanden.” 57<br />

Aber nicht nur die Gemeinweiden unterlagen <strong>eine</strong>r genossenschaftlichen Nutzung,<br />

sondern auch das Ackerland. Während das Hofland individuell bewirtschaftet wurde,<br />

galt dies für das Ackerland nur in <strong>eine</strong>m begrenzten Maße, denn die schmalstreifigen<br />

Ackerparzellen legten zumindest <strong>eine</strong> gemeinsame Absprache nahe, um zu verhindern,<br />

dass es zu Nutzungskonflikten kam. Darüber hinaus war es in vielen Gebieten<br />

Niedersachsens üblich, dass Triftgerechtigkeiten und Huderechte auf dem Ackerland<br />

lagen, solange k<strong>eine</strong> Feldfrüchte darauf standen. Damit war die individuelle Nutzung<br />

des Landes auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt; nach der Ernte wurde das Land als<br />

Koppelweide genutzt:<br />

„Die dritten Personen zustehenden Berechtigungen zu der Behütung der Felder und Wiesen sind<br />

entweder einseitige oder wechselseitige. Die letzteren, oder die sogenannten Koppelweiden, kommen<br />

gewöhnlich in Fluren vor, in welchen die Grundstücke der Eigenthümer im Gemenge liegen und<br />

dem Einzelnen die Behütung s<strong>eine</strong>s Eigentums nicht wohl möglich ist, ohne die Grundstücke<br />

anderer zu betreten. Die mit der Behütung der angränzenden Gemeinheiten oder Marken in<br />

Verbindung stehenden Koppelweiden können ihren Entstehungsgrund auch darin gehabt haben,<br />

daß die weidepflichtigen Grundstücke in früherer Zeit, unter Vorbehalt <strong>eine</strong>r gemeinschaftlichen<br />

Behütung aus der Gemeinheit entnommen sind.“ 58<br />

Somit ergab sich <strong>eine</strong> enge Beziehung zwischen Dreifelderwirtschaft und den<br />

Weiderechten. 59 Besonders problematisch waren die Weiderechte dort, wo<br />

Schäfereiberechtigungen vorlagen:<br />

„In den Stoppeln des Winter- und Sommerfeldes hatten an manchen Orten die Pferde, Schw<strong>eine</strong><br />

und Gänse <strong>eine</strong> Vorhude, dann folgten Kühe und Schaafe. Im Brachfelde hütete der Schäfer<br />

allenthalben, wohin er mit den Schafen gelangen konnte. Es war ‘offenes Feld’.“ 60<br />

Das galt auch für Samnatz, denn hier waren es die Schafe des benachbarten<br />

landesherrlichen Vorwerks Darzau, die an drei Tagen in der Woche ein Huderecht<br />

hatten und über das Land getrieben werden durften. Es war nicht zuletzt der<br />

Widerstand des dortigen Pächters, der zu der Verzögerung des Verfahrens beitrug.<br />

Die Plaggendüngung als <strong>eine</strong> besondere Form der Heidenutzung darf hier nicht<br />

unterschlagen werden, denn in den sandigen Geestgebieten bildete sie die einzige<br />

Möglichkeit, die Ackerflächen, den Esch, mit ausreichendem Dünger zu versorgen. 61 In<br />

Zeiten geringen Arbeitsanfalls wurden entweder Heide- oder notfalls auch Grasplaggen<br />

mit speziellem Gerät gestochen, die langen Soden aufgerollt und anschließend direkt<br />

auf den Acker gefahren, als Einstreu genutzt oder zusammen mit Dünger kompostiert.<br />

Im Herbst wurde der Kompost oder Dünger dann auf die Äcker gefahren. Die<br />

gesamten, mit der Plaggendüngung verbundenen Tätigkeiten waren extrem<br />

57 STAB Dep. 15 Ha 1. Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.<br />

58 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, S. 347.<br />

59 Ebd., S. 348.<br />

60 Ebd., 349.<br />

61 Ein lokales Beispiel bieten ECKELMANN, KLAUSING (1990), bes. S. 397-400, dort S. 402<br />

weitere allgem<strong>eine</strong> Literatur.<br />

17


arbeitsaufwendig und schwer, außerdem führte der Plaggenhieb zu teilweise<br />

erheblichen Erosionserscheinungen. Er stellte jedoch vor der <strong>Einführung</strong> des<br />

Kunstdüngers die einzige Möglichkeit der Bodenverbesserung dar und ist zugleich ein<br />

Beispiel für gemeinschaftliche Arbeiten in der vorindustriellen Landwirtschaft.<br />

3. Typisches und Untypisches<br />

Betrachtet man diese Strukturen, so ergeben sich vielfältige Muster, die zwar aus<br />

gleichen Elementen zusammengesetzt sind, aber in <strong>eine</strong>r Fülle von immer neuen<br />

Kombinationen auftreten: Sie bestanden aus den Bodenverhältnissen und dem daraus<br />

resultierenden Verhältnis von Ackerfläche und Weideland (Gemeinweiden) bzw.<br />

sonstigen Gemeinheitsflächen, der Dorflage und dem Siedlungsalter und der daraus<br />

resultierenden Dorflage (geschlossenes Haufendorf, Straßendorf etc.) als Konstanten<br />

und dem Wetter als Variable. Dabei ergab sich für das einzelne Dorf ein typische<br />

Muster, das in dieser Kombination einmalig war. So entsteht für den außenstehenden<br />

Beobachter der Eindruck, „Typisches“ vorzufinden, obwohl nicht das Muster selbst<br />

„typisch“ ist, sondern die Elemente dieses Musters bekannt sind oder wiedererkannt<br />

werden. Dies erklärt auch, weshalb ländliche Existenz vor der Industrialisierung<br />

kleinräumig organisiert war und auch so gelebt wurde. Die Menschen passten sich den<br />

vorhandenen Mustern an, sie erlernten seit ihrer Kindheit, innerhalb dieser Muster zu<br />

leben und sich deren Variationen anzupassen. Das Ganze wurde in <strong>eine</strong>m komplexen<br />

Normengefüge geregelt und sorgte dafür, dass das Verhalten der einzelnen Mitglieder<br />

<strong>eine</strong>r Gemeinde aufeinander abgestimmt war. So war diese Welt der vorindustriellen<br />

Dörfer nicht allein durch Abhängigkeit vom Boden, von der Topographie und vom<br />

Wetter geprägt, sondern auch von Menschen, die sich den spezifischen Bedingungen<br />

<strong>eine</strong>r Mangelgesellschaft im jeweiligen lokalen oder regionalen Umfeld angepasst<br />

hatten. Die Entwicklungsmöglichkeiten dieser ländlich-dörflichen Gesellschaft waren<br />

zwar begrenzt, aber durchaus vorhanden, worauf noch einzugehen sein wird.<br />

2. Die Dynamik des Dorfes<br />

1. Die Gemeinschaft der Ungleichen<br />

Es gibt vermutlich nur wenige Bereiche, in denen die „volkstümliche” Vorstellung und<br />

die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung so weit auseinander liegen wie bei der<br />

Struktur der Dorfbevölkerung. „Das ist ja kein Dorf, da leben ja k<strong>eine</strong> Bauern”, so oder<br />

ähnlich bewerten Bewohner des flachen 62 Landes häufig ländliche Siedlungen. Die<br />

hinter dieser Aussage stehende Vermutung, dass Dörfer in erster Linie aus „Bauern”<br />

bestünden, welche <strong>eine</strong> Gemeinschaft gleichgestellter Menschen seien, blendet aus,<br />

dass Dörfer schon vor der Industrialisierung ein komplexes und dynamisches soziales<br />

Gebilde waren. Am Beispiel des nördlich von Hannover gelegenen Dorfes Frielingen<br />

lässt sich ein erster Eindruck <strong>eine</strong>s frühneuzeitlichen Dorfes gewinnen. Dort lebten<br />

1620 laut Aussage des Erbregisters des Amtes Neustadt: 63<br />

62 Oder „platten Landes“, umgangssprachlich für Dörfer!<br />

63 EHLICH (1984), 71-78. S. auch oben S. .<br />

18


2 „dienstpflichtige Ackerleute” mit 21 bis 27 Morgen Ackerland,<br />

4 „dienstpflichtige Halbmeier” mit 12 bis 18 Morgen Ackerland,<br />

16 „dienstpflichtige Kleinkötner”, von denen einige gar kein, <strong>eine</strong>r dagegen 16 Morgen<br />

neu gerodetes Ackerland (Rottland) hatten,<br />

4 „Brinksitzer”, von denen nur <strong>eine</strong>r über etwas Rottland verfügte.<br />

Dieses Bild kehrt mit Variationen bei sehr vielen Dörfern des Amtes Neustadt und<br />

ganz Niedersachsens wieder. Drei Gruppen von Bauern, sog. Hofklassen, lassen sich<br />

grob unterscheiden:<br />

1. Vollbauern, die in Niedersachsen meist Meier heißen, aber auch Ackerleute,<br />

unterschieden dann noch in Voll- und Halbmeier,<br />

2. Mittel- und Kleinbauern, die Köter oder Kötner, und die ebenfalls noch häufig<br />

intern unterschieden werden, etwa in Groß- und in Kleinkötner,<br />

3. Hausbesitzer, die entweder gar kein Land hatten oder nur sehr wenig, welche<br />

Brinksitzer oder, im Westfälischen, Markkötter genannt werden, auch Straßensitzer,<br />

An- oder Abbauer.<br />

Die Hofklassen bildeten gleichsam das Gerüst der vorindustriellen ländlichen<br />

Gesellschaft, ein Gerüst, welches seit dem 18. Jahrhundert immer weniger trug. Am<br />

Anfang stand ein einfaches Schema, das aber im Laufe der Zeit vielfältige Ergänzungen<br />

erfuhr und unübersichtlicher wurde. 64 Zuerst standen sich zwei Gruppen gegenüber:<br />

die Vollhöfe oder einfach nur Höfe und die Koten oder Kotsassen. 65 Der Unterschied<br />

zwischen beiden Gruppen bestand vereinfacht ausgesprochen darin, dass nur die Höfe<br />

über alle Nutzungsrechte verfügten, die für <strong>eine</strong> landwirtschaftliche Vollerwerbsstelle<br />

benötigt wurden wie ausreichendes Ackerland, sogenanntes Hufenland, das die besten<br />

Böden 66 der Gemarkung und die volle Nutzung der genossenschaftlichen Heiden,<br />

Weiden, Moore und Wälder umfaßte.<br />

Tabelle 1: Hofklassen und Landbesitz in den Fürstentümern Calenberg-Göttingen<br />

1689<br />

Hofklasse Zahl v.H. Landbesitz in<br />

Morg. je Hof<br />

Landbesitz<br />

Hofklasse<br />

Meier 3392 23 44,5 150944<br />

Kötner 7621 51 10,3 78496<br />

Brinksitzer 3105 21 4,4 13662<br />

Sonstige 712 5 20,2 14382,4<br />

Summe 14830 100 19,85<br />

Teilsummen<br />

Vollmeier 1675 49 51,4<br />

Halbmeier 1534 45 37,8<br />

Viertelmeier 126 4 30,91<br />

Sonstige M. 57 2<br />

Summe 3392 100<br />

64 Beispiele für frühe Hofklasseneinteilungen im 14. und 15. Jahrhundert bei STÜVE (1851),<br />

10, Anm. 3. HAUPTMEYER (1997), 1127.<br />

65 Kötner sind schon seit dem 12. Jahrhundert nachweisbar: WRASMANN (1944), I, 65-68;<br />

allgemein jetzt: HAUPTMEYER (1997), 1066.<br />

66 Der Begriff „beste Böden“ ist allerdings entsprechend den jeweiligen<br />

Bearbeitungsmöglichkeiten zu interpretieren und ist nicht automatisch mit hohen<br />

Bodenwertzahlen gleichzusetzen.<br />

19


Kötner 3025 40 9,14<br />

Großkötner 1387 18 18,14<br />

Kleinkötner 2949 39 7,16<br />

Halbkötner 148 2 5,56<br />

Mittelkötner 112 1 13,94<br />

Summe 7621 100<br />

Nach Franz, Struktur, S. 236.<br />

Eine Auswertung der Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer Calenberg-<br />

Grubenhagen von 1689 zeigt die Grundstrukturen der frühneuzeitlichen ländlichen<br />

Gesellschaft, in der große soziale Ungleichheit unverkennbar war. In ihr gab es relativ<br />

wenige größere Höfe, die aber das meiste Land bewirtschafteten, während die kl<strong>eine</strong>n<br />

Stellen in der Überzahl waren, aber nur wenig Land bewirtschafteten. So<br />

bewirtschafteten 1/5 der Betriebe über die Hälfte des Ackerlandes.<br />

Innerhalb der Hofklassen gab es ebenfalls <strong>eine</strong> weitere Differenzierung, wobei<br />

besonders bei den Kötnern die relativ wenigen wohlhabenden Großkötner im<br />

Gegensatz zu den übrigen Kötnern mit weniger als 10 Morgen Land auffallen. Die hier<br />

genannten Zahlen basieren auf Durchschnittswerten, denen durchaus im Einzelfall<br />

etwas Willkürliches anhaften kann, wie Tabelle 1 zeigt, die für die drei Klassen der<br />

Meier, Kötner und Brinksitzer (ohne weitere Unterteilung) die Verteilung in<br />

Größenklassen enthält. Zwar waren die meisten Meierhöfe größer als die Kötner, aber<br />

es gab immerhin <strong>eine</strong> nennenswerte Zahl von Höfen, die nicht größer als die größten<br />

Kötnerstellen waren.<br />

a) Die Entstehung der Hofklassen<br />

Wie kam es aber überhaupt zur Entstehung dieser Hofklassen? Die im 16. Jahrhundert<br />

einsetzende Agrarkonjunktur sorgte im Zusammenspiel mit dem Bemühen des<br />

Landesherrn um erhöhte Einnahmen dafür, dass die ländliche Arbeitsorganisation<br />

systematisch verändert wurde. Die forcierte Einrichtung von agrarischen<br />

Großbetrieben des Adels (Güter) und des Landesherrn (Vorwerke) machte es<br />

notwendig, dass die zu deren Bewirtschaftung herangezogenen Bauern entsprechend<br />

ihrer Leistungsfähigkeit eingestuft wurden. Als Richtlinie diente die alte<br />

Unterscheidung nach Höfen und Kötnern, wobei die Höfe Spanndienste, die Kötner<br />

Handdienste zu erbringen hatten. Grundlage der Zuordnung zu den jeweiligen<br />

Hofklassen war aber nicht allein die Einteilung als Hof oder Kötner, sondern der<br />

individuell genutzte Landbesitz. So konnte durchaus in Einzelfällen ein mittelalterlicher<br />

Kötner nun als halber Hof, ein mittelalterlicher Hof als Kötner eingestuft werden. Das<br />

Bemühen, die Dienstlasten weitgehend den wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen,<br />

führte zudem zu <strong>eine</strong>r weiteren Unterteilung der vorhandenen beiden Gruppen. So<br />

entstanden Voll- und Halbhöfe, später auch Dreiviertel- und Viertelhöfe, Groß- und<br />

Kleinkötner. Die Höfe wurden regional unterschiedlich bezeichnet, so als Höfe, als<br />

Meier oder Spänner (Voll- und Halbspänner), wobei letztere Bezeichnung noch am<br />

sinnfälligsten auf den Zweck dieser Einteilung verweist.<br />

Werner Küchenthal hat die Entstehung der Hofklassen im Herzogtum<br />

Braunschweig detailliert ermittelt. 67 Der enge Zusammenhang zwischen der<br />

<strong>Einführung</strong> von Hofklassen und Dienstleistungen wird hier ebenso sichtbar wie die<br />

Differenzierung der Klassenbezeichnungen. Nach 1551 wurde im Herzogtum zwischen<br />

67 KÜCHENTHAL (1965), 12-19.<br />

20


Ackermännern, Halbspännern (sic!) und Kötern unterschieden, letztere wurden erst<br />

160 Jahre später in Großköter und Kleinköter unterschieden. Ähnlich dürfte es im Amt<br />

Aerzen gewesen sein, wo die Klassifizierung vermutlich nach 1517 erfolgte, als „durch<br />

den großzügigen Ausbau der Domäne umfangreiche Spann- und Handdienste<br />

erforderlich wurden”. 68 Nicht anders sah es in Verden aus, wo 1534 zum ersten Mal die<br />

Unterscheidung in volle und halbe Höfe vollzogen wurde, wobei neben Hofteilungen<br />

auch der unterschiedliche Grad der Leistungsfähigkeit <strong>eine</strong> wichtige Rolle gespielt<br />

haben dürfte. Mit der Ausdehnung der Eigenbetriebe der Landesherren und adligfreier<br />

Gütern im weiteren Verlauf des Jahrhunderts fand ebenfalls <strong>eine</strong> Differenzierung<br />

der Hofklassen in Voll-, Halb- und Viertelspänner statt. 69 Skepsis gegen <strong>eine</strong> zu<br />

voreilige Zuordnung der Klassen zu Siedlungsschichten äußerte auch Maßberg für die<br />

Vogtei Groß-Denkte, der darauf verweist, dass viele Halbmeierhöfe ihre Bezeichnung<br />

erst dem Landtagsabschied von 1597 zu verdanken hatten. 70<br />

Die Klassenbezeichnungen des 18. Jahrhunderts spiegeln also nicht so sehr die<br />

Siedlungsgeschichte, sondern die Größenverhältnisse des 16. Jahrhunderts wider. Sie<br />

sollten aber selbst unter diesem Aspekt nicht überbewertet werden, da die mit der<br />

Einteilung beauftragten Amtmänner häufig willkürlich arbeiteten. 71 So konnte ein als<br />

Halbmeier eingestufter Hof entweder ein „kl<strong>eine</strong>r“ Meierhof, ein großer Kötner oder<br />

ein geteilter Vollmeierhof sein. Diese im 16. Jahrhundert schon unübersichtlichen<br />

Verhältnisse wurden durch die weitere Entwicklung nicht einfacher. Zu den<br />

Kleinkötnern gesellten sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts die Brinksitzer, im 18.<br />

Jahrhundert die Straßensitzer, im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert die An- und<br />

Abbauer.<br />

Die im 16. Jahrhundert gefundene Klasseneinteilung wurde k<strong>eine</strong>r weiteren<br />

Überprüfung unterzogen, so dass im 18. Jahrhundert Halbmeier zuweilen weniger<br />

Land als Großkötner bewirtschafteten, obwohl diese nur Handdienste, jene aber die<br />

aufwendigen Spanndienste zu verrichten hatten. 72 „Die wahrscheinlichste Deutung ist,<br />

dass die Klassifikation der Höfe … nur einmal, und zwar zu Beginn der<br />

frühneuzeitlichen Rodungsperiode erfolgt ist”. 73<br />

Es gab also k<strong>eine</strong> einheitliche Abgrenzung der Hofklassen, sondern fließende<br />

Übergänge. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen.<br />

In den Fürstentümern Calenberg-Grubenhagen hatten zwar die Meier grundsätzlich<br />

mehr Landbesitz als die Kötner, dennoch war die größeren Kötnerhöfe kaum kl<strong>eine</strong>r<br />

als die kl<strong>eine</strong>ren Meierhöfe. Geringe Unterschiede bestanden auch zwischen den<br />

Brinksitzern und vielen Kleinkötnern.<br />

Im schaumburgischen Dorf Lindhorst ist bereits 1544 <strong>eine</strong> ganze Abfolge von<br />

Hofgrößen zu erkennen, die vom Hof mit 70 Morgen Land zum Einmorgen-Betrieb<br />

reicht. 74 Dort bewirtschafteten die 13 größten Betriebe insgesamt 480 Morgen, die 12<br />

kleinsten aber nur 90 Morgen.<br />

Eine Auswertung registerförmiger Quellen in den Dörfern östlich von Hannover<br />

zeigt sehr unterschiedliche Muster in der Verteilung der Hofklassen: neben Dörfern<br />

68 MARTEN (1965), 84.<br />

69 VOIGT (1962), 149.<br />

70 MASSBERG (1930), 41.<br />

71 KÜCHENTHAL (1965), 155 f; MARTEN (1965), 88 f.<br />

72 Schneider (1983), 30-39, 106.<br />

73 [=1400 - Marten 1965 Die Entwicklung der ...=], 84. Siehe auch Pröve, Dorf, 13-17.<br />

74 ROTHE (1998), 66 f. Beleg bezieht sich auf die alte Version!<br />

21


mit <strong>eine</strong>r klaren Stufung entsprechend der Hofklassen gab es solche, bei denen es<br />

fließende Übergänge gab (siehe Tabelle 2).<br />

Tabelle 2: Hofklassen und Ackerland zweier Dörfer östlich von Hannover<br />

Ort Ackerland Ort Ackerland<br />

Engensen 1669* Himten Einsaat Oesselse 1593** Morg.<br />

Vollhöfner 69 Dienstpfl. Vollmeier 88<br />

3/4 Höfner 68 88<br />

63,5 88<br />

72 Dienstpfl. Halbmeier 44<br />

69 33<br />

Halbhöfner 47 22<br />

54 11<br />

54 Dienstgelder Halbmeier 79,8<br />

55 66<br />

43,5 Juncker ganze Meier 110<br />

42 Junckern halbe Meier 66<br />

54 66<br />

54 Dienstpfl. Köter 1<br />

39 8<br />

64 6<br />

1 1/2 Viertelhöfner 48 6<br />

47 0<br />

Viertelhöfner 33 Dienstg. Köter 0<br />

26 0<br />

30 Junker Köter 1<br />

31,5 0<br />

Kothsasse 28,5 0<br />

23 0<br />

25 0<br />

18 0<br />

13 0<br />

4,5 Brinksitzer 0<br />

11,25 0<br />

6,5 0<br />

* Nach Bardehle, Peter, Bearb.: Das Erbregister<br />

der Vogtei Burgwedel von 1669. Hildesheim<br />

1986.<br />

b) Die Meier<br />

** Goedeke, Hans, Hrg.: Erbregister der Ämter<br />

Ruthe und Koldingen von 1593. (Quellen zur<br />

Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

Niedersachsens in der Neuzeit Bd. 1)<br />

Hildesheim 1973.<br />

An der Spitze der bäuerlichen Hofklassen standen also die Vollhöfe, die in den<br />

einzelnen niedersächsischen Regionen zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich<br />

bezeichnet wurden. Im Amt Aerzen wechselten in der frühen Neuzeit die<br />

Bezeichnungen von Ackerleuten zu Vollmeiern, von Halbspännern zu Halbmeiern.<br />

22


Beide hatten <strong>eine</strong>n Spanntag pro Woche zu leisten, erstere mit vier, letztere mit zwei<br />

Pferden. 75 Ähnlich sah es in Braunschweig aus, wo der „Ackermann“ die Bezeichnung<br />

„Baumann“ verdrängte. Unter „Bauhof“ wurden alle spannpflichtigen Höfe<br />

verstanden, also auch die Halbspänner. Ebenso wie im Weserbergland hatten die<br />

Vollhöfe den vollen, die Halbhöfe (Halbspänner, Halbmeier) den halben Dienst zu<br />

leisten. 76<br />

Tabelle 3 Hofklassen im Kurfürstentum Hannover 1796 (Anteile in v.H.)<br />

Territorium Meier Köter Kleinstellen<br />

Calenberg 25,3 47,25 27,5<br />

Göttingen 9,3 71 19,7<br />

Grubenhagen 11,9 65,5 22,5<br />

Lüneburg 53,5 29,1 17,3<br />

Dannenberg 80,8 10,25 8,9<br />

Hoya/Diepholz 34,6 24,1 41,2<br />

Bremen-Verden 40,8 26,6 32,6<br />

Lauenburg 55,8 16,6 27,6<br />

Insgesamt 38,5 34,8 26,8<br />

Berechnet nach den absoluten Zahlen bei ACHILLES, Lage, 19, Tab. 1<br />

Meist werden die Höfe der Meier und Halbmeier als die ältesten Höfe angesehen.<br />

Doch darf dies nicht zu schematisch gesehen werden. 77 Horst-Rüdiger Marten konnte<br />

nachweisen, dass im Weserbergland „30 % aller Meierstellen in den nicht wüst<br />

gewordenen Dörfern aus dem 16. Jahrhundert [sind] oder … zu solchen aufgestockt“<br />

wurden. 78 Die Zuordnung <strong>eine</strong>r Hofklasse zu <strong>eine</strong>r Siedlungsschicht könne nur<br />

geschehen unter Berücksichtigung ihres „Besitzumfanges innerhalb der verschiedenen<br />

alten Flurkomplexe, nach Lage der Hofstelle im Dorf und zum Wasser, nach s<strong>eine</strong>n<br />

Berechtigungen und Grundherrschaften über Hof und Land”. 79 Immerhin lassen sich<br />

unter Berücksichtigung dieser Aspekte „77 % aller Meierstellen des 17. Jahrhunderts<br />

oder deren Mutterhöfe in den wüstungsresistenten Ortschaften ins Mittelalter”<br />

zurückverfolgen. 80 Halbhöfe seien nur zu 51 % aus Teilungen entstanden, davon 14 %<br />

im Mittelalter und der Rest in der frühen Neuzeit.<br />

Käthe Mittelhäußer kam 1950 zu dem Ergebnis, dass in Südniedersachsen die<br />

Halbhöfe <strong>eine</strong> erste Nachsiedlerschicht darstellten, 81 Erika Köster kann dagegen<br />

belegen, dass Halbmeier aus Teilungen von Vollhöfen entstanden sind. 82 In Luthe bei<br />

Wunstorf/Hannover wiederum waren zumindest zwei Halbhöfe nicht aus Vollhöfen<br />

hervorgegangen, aber an den ältesten Fluren beteiligt. 83 All das weist auf den<br />

75<br />

MARTEN (1965), 81.<br />

76<br />

KÜCHENTHAL (1965), 145.<br />

77<br />

MARTEN (1965), 81-85.<br />

78<br />

MARTEN (1965), 82. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt für das Wendland MEIBEYER (1964),<br />

37, 39 f., 51, 59.<br />

79<br />

MARTEN (1965), 85.<br />

80<br />

MARTEN (1965), 86 f.<br />

81<br />

MITTELHÄUSSER (1950)<br />

82 So konnte Erika Köster für ein Dorf bei Rotenburg/Wümme vorrangig die Entstehung<br />

der Halbhöfe aus Teilungen nachweisen; KÖSTER (1977), 66 f (für Unterstedt).<br />

83<br />

MUSSMANN ([1969]), 32 f.<br />

23


komplexen Entstehungsprozess der im 18. und 19. Jahrhundert vorzufindenden<br />

Siedlungs- und Klassenstrukturen hin. Neben den Wüstungsvorgängen des<br />

Spätmittelalters kommt dem Landesausbau des 16. Jahrhunderts <strong>eine</strong> besondere Rolle<br />

zu.<br />

c) Die Kötner<br />

Von allen Hofklassen gab es in der frühen Neuzeit bei den Kleinstellen die größte<br />

Dynamik. 84 Die Kötner sind in der Regel das Ergebnis von Rodungsprozessen im<br />

Mittelalter und in der frühen Neuzeit. 85 Sie weisen unter allen Hofstellen <strong>eine</strong><br />

besonders große Bandbreite auf. Küchenthal ermittelte für Braunschweig, dass<br />

Kothöfe u.a. das Ergebnis <strong>eine</strong>s umfangreichen Grundbesitzverkehrs bis in das 16.<br />

Jahrhundert waren, der teilweise aus der Wüstungsphase des 14. Jahrhunderts<br />

resultierte. 86 In der Grafschaft Hoya war die Gruppe der Köter im 16. Jahrhundert<br />

noch schwach entwickelt, sie bewirtschafteten innerhalb der Feldmark jüngeres<br />

Rodungsland, wurden zu Spanndiensten selten, dafür aber zu Eggediensten<br />

herangezogen. 87 Die starke Differenzierung der Köter, die seit dem 17. Jahrhundert<br />

zunehmend in Groß- und Kleinkötner unterschieden wurden, ließe sich an vielen<br />

Beispielen zeigen. 88 In der Vogtei Groß-Denkte gab es 1551 107 Kothöfe, von denen<br />

17 überhaupt kein Land, zwei nur „fremdes“, also gepachtetes Land hatten und<br />

immerhin 73 Hufenland sowie 15 größere Flächen bewirtschafteten, woraus sich<br />

entnehmen läßt, dass die Masse der Kötner des 16. Jahrhunderts aus alten Höfen<br />

hervorgegangen ist. 89<br />

Vereinfacht kann man unterscheiden zwischen „großen“ Großkötnern, die etwa so<br />

viel Land wie die Meier bewirtschafteten, 90 Kötner, die nebenbei noch <strong>eine</strong><br />

handwerkliche Tätigkeit ausübten 91 und auf Tagelöhnerarbeit angewiesene<br />

Kleinkötnern ohne Grundbesitz. 92 Dabei konnte einzelnen Kothöfen der symbolische<br />

Aufstieg zu den Vollhöfen gelingen, wofür etwa die im Museumsdorf Cloppenburg<br />

ausgestellte Wehlburg <strong>eine</strong>n Beleg bietet. 93 Die Beziehungen zwischen Meiern und<br />

Kötnern dürften dort, wo die Besitzunterschiede ausgeprägt waren, nicht immer<br />

unproblematisch gewesen sein. 94 Andernorts konnten beide Gruppen ohne starke<br />

symbolische Abgrenzung nebeneinander leben. 95<br />

84<br />

WEHLER (1987), 1, 170-174.<br />

85<br />

HAUPTMEYER (1997), 1066.<br />

86<br />

KÜCHENTHAL (1965), 135-137.<br />

87<br />

RÖPKE (1924), 39-42.<br />

88<br />

SCHNEIDER (1983), XX; siehe auch die Register und Lagerbücher des 16. und 17.<br />

Jahrhunderts.<br />

89<br />

MASSBERG (1930), 35.<br />

90<br />

SCHNEIDER (1983), XX.<br />

91 Auf diese Gruppe verweist MARTEN (1965), 106, der noch einmal betont, daß sich Kötner<br />

wirtschaftlich nicht schlechter als Meier stehen mußten.<br />

92<br />

ACHILLES (1982), 89-92, der zeigt, daß ohne Zuverdienst, der in den von Achilles<br />

untersuchten Fällen eher gering war, die Stellen nicht hätten existieren können.<br />

93<br />

OTTENJANN (1975).<br />

94 Dazu SCHLUMBOHM (1994), Kap. 6, der allerdings speziell die Beziehungen zwischen Bauern<br />

und Heuerleuten untersucht.<br />

95<br />

MARTEN (1965), 106.<br />

24


Kennzeichen der frühneuzeitlichen Entwicklung war demnach die unterschiedliche<br />

Entwicklung der einzelnen Hofklassen. Spätestens im ausgehenden 17. Jahrhundert,<br />

teilweise schon im 16. Jahrhundert war der Anteil der Bauern im eigentlichen Sinn, also<br />

derjenigen, die allein von den Erträgen ihres Hofes leben konnten, verhältnismäßig<br />

klein. Sie aber waren es, die das verfügbare Ackerland bewirtschafteten, wie das Beispiel<br />

der Lindhorster Bauern von 1544 zeigt. Im osnabrückischen Kirchspiel Belm nahm<br />

zwar zwischen 1512 und 1858 die Zahl der Haushalte drastisch zu, jedoch schlug sich<br />

dies nahezu ausschließlich in <strong>eine</strong>r Zunahme der landlosen Haushalte nieder. 96 Für das<br />

Kurfürstentum Hannover liegen für 1796 Daten vor, die <strong>eine</strong> starke räumliche<br />

Differenzierung hinsichtlich der Verteilung der Hofklassen zeigen. Insbesondere in den<br />

südlichen Territorien dominierten die Kleinstellen, während in den nördlichen Ämtern<br />

der Geest der Anteil der Meierstellen signifikant höher war. Ähnliche Befunde des<br />

deutlichen Zuwachses der Kleinstellen und der Stagnation bei den großen Höfen ergibt<br />

sich in fast allen niedersächsischen Gebieten. 97<br />

d) Die Kleinstellen<br />

Während die bäuerliche Bevölkerung vorrangig von der Nutzung des Landes existieren<br />

konnte, stellte sich die Situation bei den Brinksitzern und Heuerlingen anders dar.<br />

Diese Dorfbewohner hatten nicht die Rechte der Gemeindemitglieder. Brinksitzer<br />

verfügten immerhin noch über eigenen Hausbesitz, Heuerlingen fehlte dagegen selbst<br />

dieser, so mussten sie bei Bauern in Backhäusern, auf der Leibzucht oder in speziellen<br />

Heuerlingshäusernwohnen und für die Bauern bestimmte Arbeitsleistungen zu<br />

erbringen. 98 Brinksitzer und Heuerlinge waren auf die genossenschaftlichen<br />

Einrichtungen des Dorfes angewiesen, vor allem auf die Gemeinheitsnutzungen bei<br />

Weide, Mast und Holz, um <strong>eine</strong> Kuh zu halten und Brennholz zu haben. Zunächst<br />

wurden sie, da ihre Zahl noch nicht sehr groß war, auch auf den Gemeinweiden oder<br />

in den Wäldern geduldet. Schließlich standen sie in verwandtschaftlichen Beziehungen<br />

zu den Reiheleuten. Es waren die nicht erbberechtigten Söhne und Töchter von<br />

Bauernstellen, die als Kleinstelleninhaber auf wenigen manchmal zu Erbzinsrecht vom<br />

Hof abgetretenen Stücken Land oder auf etwas Rottland versuchten, <strong>eine</strong> eigene<br />

Existenz zu schaffen, die durch Tagelöhnerarbeit, Saisonarbeit (Hollandgang) und<br />

handwerkliche Tätigkeiten ergänzt werden mußte. Besonders für den Westen<br />

Niedersachsens ist diese Abhängigkeit von außerlandwirtschaftlichen<br />

Erwerbsmöglichkeiten eindringlich nachgewiesen worden. 99 Hollandgängerei und die<br />

L<strong>eine</strong>nweberei waren hier wichtige Erwerbsmöglichkeiten. 100 Es war in diesen Gebieten<br />

somit nicht mehr allein die „Tragfähigkeit“ der Landwirtschaft, die das<br />

Bevölkerungswachstum steuerte, sondern die Einbindung in überregionale Wirtschafts-<br />

und Austauschbeziehungen. 101<br />

96 SCHLUMBOHM (1994), 54 f.<br />

97 GREES (1983), passim, insbes. Karte: „Beispiele ländlicher Sozialstruktur in Mitteleuropa<br />

(16.-19. Jh.)” nach S. 200.<br />

98 WRASMANN (1921), I, 81. Ausführlicher dazu für das östliche Westfalen MOOSER (1984), etwa<br />

203.<br />

99 BÖLSKER-SCHLICHT (1987); als neueste Mikrostudie SCHLUMBOHM (1994).<br />

100 FUDENBERG, TIROLE (1991), 125-131.<br />

101 NOLTE (1982); Markus Cerman; Sheilagh C. Ogilvie (1994), darin insbes. die Einleitung, 9-<br />

21.<br />

25


Die Beziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen des Dorfes waren<br />

komplex. Zwar stammte ein Teil der Angehörigen der Unterschichten als weichende<br />

Erben von den Bauernhöfen ab, aber die sozialen Beziehungen fanden stärker unter<br />

den Angehörigen gleicher Status- und Besitzgruppen statt. Wer den Bauernhof<br />

verlassen mußte, verlor damit zugleich <strong>eine</strong>n Teil s<strong>eine</strong>r sozialen Stellung im Dorf, die<br />

in erster Linie durch den Besitz festgelegt wurde. Während auf diese Weise der soziale<br />

Abstieg jederzeit eintreten konnte, gab es nur wenige Möglichkeiten des sozialen<br />

Aufstiegs. 102 Die Abhängigkeit zwischen Bauern und Heuerlingen dokumentiert sich<br />

auch im Fall der Artländer Wehlburg, wo als Gläubiger Heuerlinge in größerer Zahl<br />

auftraten. 103<br />

Die Problematik der Stellenvermehrung trat besonders in den Geestgebieten<br />

Westniedersachsens bzw. Westfalens mit ihren großen Gemeinheitsflächen offen<br />

zutage. Hier überschnitten sich zwei Entwicklungen, die beide zu <strong>eine</strong>r weit reichenden<br />

Veränderung der Siedlungslandschaft beitrugen und als Ausdruck komplexer regionaler<br />

und internationaler Veränderungen zu sehen sind. In den Geestgebieten mit<br />

vorherrschender Einzelhofsiedlung bestand nicht die Möglichkeit, die saisonal<br />

benötigten Arbeitskräfte aus der dörflichen Unterschicht zu rekrutieren. Deshalb<br />

begannen die Bauern seit dem 16. Jahrhundert damit, auf ihren eigenen großen Höfen<br />

spezielle Häuser für Arbeiter zu schaffen, die sogenannten Heuerlingshäuser.<br />

Heuerlinge wurden aber auch in allen anderen möglichen Gebäuden untergebracht wie<br />

Altenteilerhäusern, Backhäusern oder andern Nebengebäuden. 104<br />

Heuerlinge standen in <strong>eine</strong>r eigenartigen Zwitterstellung, denn <strong>eine</strong>rseits waren sie<br />

billige Tagelöhner für die Bauern, andererseits betrieben sie als Pächter kl<strong>eine</strong><br />

landwirtschaftliche Betriebe. 105 Für die Bauern wäre es zu teuer und zu ineffektiv<br />

gewesen, hätten sie die Heuerlinge als festangestellte Landarbeiter beschäftigt; es war<br />

billiger, ihnen die Grundlage für <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> landwirtschaftliche Existenz zu geben, und<br />

dafür als Gegenleistung neben Geld auch Arbeitsdienste zu verlangen. 106 Mit den<br />

verbesserten Erwerbsmöglichkeiten im Hollandgang und der L<strong>eine</strong>nweberei wurden<br />

die Heuerlingsstellen immer begehrter, so dass deren Zahl schnell anstieg. Parallel<br />

nahmen die Stellenausweisungen von Seiten der Landesherrschaft zur Ansiedlung von<br />

Kleinstellen als Markkötter, Brinksitzer oder Anbauer zu.<br />

Viele der sogenannten kl<strong>eine</strong>n Leute konnten nur noch teilweise in der alten<br />

dörflichen Ordnung überleben. Zwar wohnten sie hier, fütterten ihr weniges Vieh,<br />

ernteten etwas Getreide und Gemüse, arbeiteten bei den Bauern als Tagelöhner und<br />

übten ein kl<strong>eine</strong>s Handwerk aus. Aber das alles reichte selten für <strong>eine</strong>n bescheidenen<br />

Lebensunterhalt. Man war auf zusätzliche Verdienstmöglichkeiten angewiesen und<br />

versuchte der Unterbeschäftigung und gänzlichen Verarmung durch Garnspinnen und<br />

L<strong>eine</strong>nweberei, durch Hausierhandel und andere Tätigkeiten zu begegnen. Die<br />

zeitweise günstigen außerlandwirtschaftlichen Erwerbsmöglichkeiten förderten diese<br />

Entwicklung noch, so dass Arbeit als L<strong>eine</strong>weber oder Hollandgänger nicht<br />

automatisch ein Hinweis auf Armut, sondern als notwendige Existenzsicherung<br />

gewertet werden muss. 107 Im Einzelfall bildete sich ein komplexes Existenzmuster<br />

heraus, das sich aus der Nutzung vieler kl<strong>eine</strong>r Erwerbsnischen zusammensetzte, die<br />

102 Hierzu SCHLUMBOHM (1994).<br />

103 Siehe hierzu OTTENJANN (1975).<br />

104 Ebd., S. 59.<br />

105 Hierzu SSERAPHIM (1948), sowie MOOSER (1984).<br />

106 Eine statistische Übersicht zu den Verhältnissen der osnabrücker Heuerleute aus dem<br />

Jahre 1849 bei SCHLUMBOHM (1994), S. 568f.<br />

26


heute nur noch teilweise erschlossen werden können. Diese Nischen folgten dabei auch<br />

<strong>eine</strong>m regionalen Muster, denn dort, wo die Voraussetzungen für die L<strong>eine</strong>nweberei<br />

günstig waren, gab es nur wenige Hollandgänger, während in benachbarten Regionen<br />

ohne Möglichkeit zum Flachsanbau der Hollandgang dominierte. Dieses von Franz<br />

Bölsker-Schlicht im westlichen Niedersachsen und nördlichen Westfalen beobachtete<br />

Phänomen 108 lässt sich auch in anderen niedersächsischen Gebieten finden. Im<br />

Eichsfeld hatten sich die Wanderarbeiter auf das Maurerhandwerk spezialisiert. Für das<br />

Herzogtum Oldenburg ist <strong>eine</strong> kleinräumige gewerbliche Differenzierung<br />

nachgewiesen worden. 109 Ähnliches galt für Schaumburg-Lippe, wo etwa die Arbeit in<br />

den landesherrlichen Forsten oder für die dienstpflichtigen Bauernhöfe <strong>eine</strong> wichtige<br />

Erwerbsgrundlage bildete. 110 Letzteres trifft sicherlich auch auf andere Regionen zu, in<br />

denen bäuerliche Dienstleistungen in arbeitsintensiven Jahreszeiten zu verrichten<br />

waren. 111<br />

Die kl<strong>eine</strong>n Stellen wurden meist auf Gemeindeland angesetzt, wodurch sich dessen<br />

Umfang kontinuierlich verringerte. Dieses Verfahren wurde besonders von der<br />

Landesherrschaft benutzt, um auf den großen, nur wenig genutzten Geestflächen die<br />

Einwohnerzahlen zu erhöhen. 112 Die bisherigen Gemeindemitglieder, teilweise auch die<br />

Gutsherren sahen diese Entwicklung mit großen Bedenken und versuchten sich mit<br />

allen Mitteln dagegen zu wehren. 113 So meldete der Wehrblecker Ortsvorsteher, als<br />

1821 ein Anbauer namens Hake auf der Heide ein Haus bauen wollte: „dass die<br />

Eingesessenen mit der Ausweisung nicht friedlich wären u. selbige nicht glaubten, dass<br />

Hake Vermögen genug zum Anbau habe, u. er zuvor beweisen sollte, worin selbiges<br />

bestünde“. 114 Die Heideflächen waren seit dem 18. Jahrhundert von der<br />

Landesherrschaft schon zu <strong>eine</strong>r systematischen Anlage von Anbauerstellen etwa für<br />

ehemalige Soldaten genutzt worden. 115 Oft blieb es nicht bei verbalem Widerstand.<br />

In diesen Auseinandersetzungen symbolisierte sich der Konflikt zwischen<br />

Besitzenden und Nichtbesitzenden. Doch wer war Besitzender? Anbauer, die sich<br />

selbst gegen den Widerstand der Gemeindemitglieder niedergelassen hatten, wehrten<br />

sich wenige Jahre später ebenfalls gegen die ausweisung neuer Anbauerstellen. Die<br />

Ursache lag letztlich in den begrenzten Landressourcen: Neubauern waren auf die<br />

Mitnutzung der Gemeinweide angewiesen, was aber aus der Sicht der alten<br />

Dorfbewohner gleich zu <strong>eine</strong>m doppelten Verlust führte, denn neben den auf den<br />

Gemeinweiden ausgewiesenen Hausstellen wurden die Gemeinweiden zusätzlich durch<br />

das Vieh der Neubauer belastet.<br />

Eine Aufstellung des Dorfes Nebenstedt (Amt Dannenberg) von 1797 zeigt die<br />

komplexen genossenschaftlichen Nutzungsrechte:<br />

„Sind Forst-Interessenten mit dem Bau- und Lese-Holtz und können hüten mit ihren Pferden, Hornvieh,<br />

Schw<strong>eine</strong>n, Schaafe und Gänse für beständig über ihre mit der Dorfschaft Splitau Commune Weide nach<br />

der Kl<strong>eine</strong>n Lucii bis an den Zadrauer Kirchsteig; und bey hohen Wasserszeiten aber bis nach der<br />

107 Siehe dazu die Diskussion um die Protoindustrialisierung etwa in Markus Cerman;<br />

Sheilagh C. Ogilvie (1994), ??? (1998).<br />

108 BÖLSKER-SCHLICHT (1987), S. 123-133.<br />

109 HINRICHS, KRÄMER, REINDERS (1988).<br />

110 SCHNEIDER (1994), S..<br />

111 Bericht Amt Dannenberg v. 11.11.1786 in NHStaH Hann. 74 Dannenberg Nr. 877.<br />

112 Dazu CORDES (1981).<br />

113 Beispiele bei SCHLUMBOHM (1994), S. 59-66.<br />

114 Amtsbericht vom 18.10.1821 in NHStAH Hann 74 Sulingen Nr. 1495.<br />

115 CORDES (1981).<br />

27


Zadrauer Heide und Kiemen hinaus nach der Hohen Lucii. Denn Plaggenhieb haben sie nicht. Diese<br />

Weide hat hohe und niedrige Stellen, guten Boden und ist durch die Abwässerung beinahe Marschweide<br />

geworden. Demnechst so hat diese Dorfschaft noch <strong>eine</strong> privative Marsch- oder Pflingstweide, nebst Pferde-<br />

Nacht-Koppel beim Dorfe belegen, so sie vom Meytag an bis das die Wiesen loos sind mit ihren Pferden<br />

und Hornvieh in der Woche einige mahl des Tages über 1/2 Tag behüten.“ 116<br />

Die Gemeinden verfügten also nicht immer ausschließlich allein („privative“) über die<br />

genutzten Gemeinheitsflächen, sondern häufig in Gemeinschaft („in communion“) mit<br />

anderen benachbarten Dörfern. Besonders um die kl<strong>eine</strong>n Landstädte konnte ein<br />

Kranz von Dörfern liegen, die mit der Stadt gemeinsame Huderechte hatten, wie im<br />

Falle der Stadt Dannenberg, die 1797 ihre Gemeinweiden mit insgesamt 18<br />

umliegenden Dörfern teilte. 117 Bei der Ausweitung der Nutzung dieser Flächen durch<br />

Anbauer und <strong>eine</strong> Vergrößerung des Viehstapels waren Konflikte zwischen den<br />

Kommunen kaum zu vermeiden. Angesichts der differenzierten und teilweise nur<br />

durch die Überlieferung, das „Herkommen“, abgesicherten Rechte, die sich zudem<br />

nach den Nutzungsformen unterschieden, waren Konfliktlösungen häufig mit<br />

langwierigen Prozessen verbunden. 118<br />

e) Die Nicht-Landbesitzenden<br />

Die Voll- und Halbmeier, Kötner und zuweilen die Brinksitzer bildeten als<br />

„Reihestellen” die bäuerliche Gemeinde. 119 Mit der Zugehörigkeit zur Gemeinde waren<br />

wichtige Rechte verbunden, wie das auf die Nutzung der Gemeinheiten.<br />

Gemeindemitglieder war auch verpflichtet, sich an den Ausgaben der Gemeinde zu<br />

beteiligen und öffentliche Arbeiten zusammen mit den anderen Gemeindegenossen zu<br />

übernehmen. Neben der Gemeinde standen mit steigender Bevölkerungszahl immer<br />

mehr Nicht-Gemeindemitglieder. Die Gruppe dieser Dorfbewohner war in sich sehr<br />

uneinheitlich. Zu ihr gehörten die An- und Abbauer des 18. und frühen 19.<br />

Jahrhunderts, die nur über ein kl<strong>eine</strong>s Haus verfügten, ebenso wie die Einlieger,<br />

Häuslinge oder die Heuerleute in Osnabrück, die alle bei anderen Hausbesitzern zur<br />

Miete wohnten, und natürlich das Gesinde. „Die unterbäuerliche Klasse war<br />

heterogener als die bäuerliche Klasse, da die differenzierenden Merkmale<br />

Parzellenbesitz, lokale Verwandtschaft und Einkommensunterschiede ökonomisch und<br />

sozial weit folgenreicher waren als die Besitzunterschiede innerhalb der<br />

Bauernklasse.“ 120<br />

Ein Blick allein auf die Hausstellen, also die hausbesitzende Bevölkerung, ist jedoch<br />

unvollständig, da innerhalb der Dörfer <strong>eine</strong> große Zahl von Menschen lebte, die über<br />

k<strong>eine</strong>n Hausbesitz, und sei er mit noch so wenig Land ausgestattet, verfügten. Franz<br />

zählte insgesamt 73.086 zu den Höfen gehörende Menschen, einschließlich 4767<br />

Leibzüchtern und 36868 Kindern. 121 Dem standen 5440 Einlieger gegenüber, die auf<br />

116 NHStAH Hann 74 Dannenberg Nr. 3221.<br />

117 Ebd.<br />

118<br />

PRASS (1997a), 98-103; SCHNEIDER (1995a).<br />

119 Allgemein dazu als neuere Darstellung WUNDER (1986); HAUPTMEYER (1988), neuester<br />

Forschungsüberblick: BLICKLE (1998).<br />

120<br />

MOOSER (1984), 206.<br />

121<br />

FRANZ (1974), S. 232. Die Angaben wirken nicht ganz eindeutig, so ist von 1606<br />

Haushalten die Rede, die ausgewertet wurden, was nicht stimmen kann, unklar ist auch, ob<br />

die gezählten 36.868 Kinder nur der hausbesitzenden Bevölkerung zugerechnet werden<br />

können, da bei den Einliegern k<strong>eine</strong> Kinder genannt wurden.<br />

28


den Höfen wohnten, aber nicht zur bäuerlichen Familie gehörten und 8845 zum<br />

Gesinde zählende Personen. 122 Dies bedeutet, dass über 10 % der dörflichen<br />

Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr hausbesitzend war.<br />

Ein noch genaueres Bild ermöglicht der Blick auf ein einzelnes Dorf, in diesem Fall<br />

das zum Kloster Loccum gehörende, am Steinhuder Meer gelegene Dorf Winzlar. 123 In<br />

Winzlar gab es 1689 insgesamt 59 Hausstellen, sieben Halbmeier, 25 Kötner und 27<br />

Brinksitzer. Die durchschnittliche Hofgröße betrug bei den Halbmeiern 32,5 Morgen,<br />

bei den Kötnern knapp 11 Morgen und bei den Brinksitzern 2,4 Morgen. Allerdings<br />

sind diese Werte nur begrenzt aussagekräftig, denn hinter ihnen verbergen sich<br />

teilweise erhebliche Unterschiede. Am geringsten waren sie noch bei den Halbmeiern,<br />

die zwischen 27 und 37 Morgen Land besaßen. Erheblicher waren sie bei den Kötnern,<br />

von denen 14 mehr als 10 Morgen Land bewirtschafteten, mit <strong>eine</strong>m Höchstwert von<br />

22 Morgen, also fast so viel wie beim kleinsten Halbmeier, zehn hatten zwischen 4 und<br />

9 Morgen Land und <strong>eine</strong>r war sogar landlos. Ein ähnlich differenziertes Bild bietet sich<br />

bei den Brinksitzern, von denen drei über 5 Morgen Land bewirtschafteten, 17<br />

zwischen 0,25 und 3,75 Morgen, während sieben überhaupt kein Land hatten. Die<br />

Hofklassen geben damit erste Hinweise auf die Betriebsgrößen, mehr aber nicht,<br />

besonders die Klasse der Kötner zeichnete sich durch extrem große Unterschiede aus.<br />

Die Einbeziehung der nicht-hausbesitzenden Bevölkerung zeigt die noch größere<br />

Komplexität der ländlichen Gesellschaft. So lebten 1689 in dem am Steinhuder Meer<br />

gelegenen Dorf Winzlar 393 Menschen, was für ein frühneuzeitliches Dorf in<br />

Niedersachsen <strong>eine</strong> ansehnliche Zahl war. Für jedes Haus erfasste die<br />

Kopfsteuerbeschreibung alle anwesenden Personen, auch solche, die nicht<br />

steuerpflichtig waren. In sechs Kategorien lassen sich die Einwohner einteilen: die<br />

Hausbesitzer (meistens Ehepaare), deren Kinder, Leibzüchter, Gesinde, zur Miete<br />

wohnende Häuslinge und schließlich noch weitere Personen, teilweise Verwandte der<br />

Hausbesitzer, teilweise nicht zuzuordnen. Rechnet man zur eigentlichen Familie die<br />

Hausbesitzer, deren Kinder und die Leibzüchter, so ergibt sich für die bäuerlichen<br />

Betriebe über zehn Morgen Land <strong>eine</strong> Gesamtzahl von 110 Personen (oder 28 %), für<br />

die kleinbäuerliche Bevölkerung mit fünf bis zehn Morgen Land <strong>eine</strong> Zahl von 73<br />

Personen (18,6 %) und für die landarme bzw. landlose Bevölkerung <strong>eine</strong> Zahl von 119<br />

Personen (30,3 %). Damit ist aber noch nicht die gesamte Bevölkerung erfasst, denn sie<br />

ist noch durch 57 Häuslinge (14,5 %), 28 Knechte und Mägde und sechs weitere<br />

Personen zu ergänzen.<br />

Hinter diesen schlichten Daten standen vor allem Armut und latente oder gar akute<br />

Not. Selbst die bäuerliche Bevölkerung dürfte kaum Reichtümer angesammelt haben,<br />

dazu waren die Besitzgrößen zu gering, zumal die wirklich großen Höfe, die Vollmeier,<br />

gänzlich fehlten. Immerhin versorgten diese Höfe erkennbar mehr Menschen als die<br />

kl<strong>eine</strong>ren, was schon aus der durchschnittlichen Personenzahl von 7,6 bei den<br />

Halbmeierhaushalten, im Gegensatz von 7,2 bei den Kötnern und lediglich 5,9 bei den<br />

Brinksitzern hervorgeht.<br />

Die durchschnittliche Kinderzahl je Haushalt zeigt auf, woher diese Unterschiede<br />

kamen: so lebten in den Haushalten der Halbmeier deutlich mehr Kinder als in denen<br />

der Kötner oder der Brinksitzer, erheblich höher war auch der Gesindebesatz auf den<br />

bäuerlichen Stellen, während die Differenzen bei den Leibzüchtern eher zufälliger<br />

122 Hierzu zählt Franz auch die Hirten, während die Zahl der Knechte und Mägde lediglich<br />

5596 betrug (ebd.).<br />

123<br />

BURCHARD, MUNDHENKE (1960), S. 149 ff, eigene Auswertung.<br />

29


Natur und bei den Häuslingen insgesamt gering war. 124 Der geringe Gesindebesatz bei<br />

den Kleinstellen ist kaum überraschend, gab es hier doch nur wenig Land zu<br />

bewirtschaften und das gelang auch mit den Familienarbeitskräften. Überraschender ist<br />

da schon die Tatsache, dass auch einzelne Brinksitzer <strong>eine</strong> Magd beschäftigten, wobei<br />

es sich meist um junge Mädchen handelte, die für Unterkunft und Verpflegung Kinder<br />

beaufsichtigten und kl<strong>eine</strong> Arbeiten im Haushalt verrichteten. Hier wird die Armut<br />

wieder greifbar, auch dann, wenn es beim Haushalt des Halbmeiers Johann Kiel heißt:<br />

„Ein arm Kind Hinrich, so bettelt.“ 125 Ganz schlimm sah es auf der Stelle des Kötners<br />

Heinrich Brehmeyer aus, zu dem es heißt: „das Land haben andere Leute und ist ganz<br />

arm. Leibzüchterin, dessen Mutter Catrina Blote (80 J.). Deren Tochter Elisabeth ist<br />

lahm. Häusling Catrina Mehrings (30 J.) arm.“ 126<br />

f) Die Dynamik der Entwicklung<br />

Es waren die „kl<strong>eine</strong>n Leute“, die Brinksitzer und Häuslinge, die das Bild in Dörfern<br />

wie Winzlar prägten, nicht die großen Bauern, die wie hier zuweilen völlig fehlten.<br />

Leider fehlt für Calenberg <strong>eine</strong> Fortschreibung der Zahlen von 1689, aber es liegen<br />

vergleichbare braunschweigische Zahlen vor, die <strong>eine</strong>n Eindruck von dem Geschehen<br />

erlauben, welches im 18. Jahrhundert einsetzte. Hier verdoppelte sich zwischen 1656<br />

und 1800 die Gesamtzahl der Stellen von 7212 auf 14424; vergleichsweise stark nahm<br />

dabei die Zahl der Ackerhöfe von 830 auf 1400 zu 127 , die der Halbspännerhöfe blieb<br />

fast konstant (1200 zu 1457), die der Kothöfe stieg von 5182 auf 7399 an, während als<br />

völlig neue Schicht der Brinksitzer 1800 mit <strong>eine</strong>r Gesamtzahl von 4168 schon fast die<br />

Zahl der Kötner erreichte. 128<br />

Eine starke Vermehrung dieser Bevölkerungsgruppen musste das innerdörfliche<br />

Gleichgewicht empfindlich stören. Genau das geschah im 18. Jahrhundert, nachdem<br />

die z.T. hohen Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Krieges ausgeglichen waren.<br />

Ab 1750 begannen sich die Verhältnisse in den Dörfern zu verschlechtern. Erkennbar<br />

wird dies schon bei <strong>eine</strong>m Blick auf die Entwicklung der einzelnen Hofklassen.<br />

Tabelle 4: Hofklassen im Herzogtum Braunschweig<br />

1656 1750 um 1800 Zuwachs 1656-1750 in v.H.<br />

Ackerhöfe 830 1370 1400 168,67<br />

Halbspännerhöfe 1200 1470 1457 121,42<br />

Kothöfe 5182 7900 7399 142,78<br />

Brinksitzer 0 2400 4168<br />

Anbauer 0 500 0<br />

Summe 7212 13640 14424 200,00<br />

Quelle: ACHILLES, Belastung,<br />

124 Die Durchschnittswerte wurden unter Einbeziehung der Haushalte ohne entsprechende<br />

Personen berechnet.<br />

125<br />

BURCHARD, MUNDHENKE (1960), S. 150.<br />

126<br />

BURCHARD, MUNDHENKE (1960), S. 154. Kranke, meist lahme Dorfbewohner, werden noch<br />

häufiger erwähnt.<br />

127 Wobei die höchste Zunahme von 830 auf 1370 Stellen zwischen 1656 und 1750 erfolgte,<br />

was vermuten läßt, daß 1656 vor allem Ackerhöfe wüst lagen und erst in den folgenden<br />

Jahren wiederbesetzt wurden.<br />

128<br />

ACHILLES (1972a), S. 26, Tab. 4.<br />

30


Zwischen 1650 und 1800 verdoppelte sich mithin die Zahl der Hofstellen im<br />

Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. An dieser Verdoppelung waren aber die<br />

einzelnen Hofklassen unterschiedlich beteiligt. Am geringsten war die Zunahme bei<br />

den Halbmeiern, größer fiel sie bei den Ackerhöfen und den Kothöfen aus;<br />

entscheidend für die Zunahme war jedoch die Entstehung der neuen unterbäuerlichen<br />

Schicht der Brinksitzer (und Anbauer), die 1800 deutlich mehr Stellen umfasste als die<br />

übrigen Höfe zusammen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich in den anderen<br />

niedersächsischen Territorien in z.T. noch größerem Maße beobachten. Vom Ende des<br />

Dreißigjährigen Krieges bis 1800 hatte sich die Einwohnerzahl auf dem flachen Lande<br />

etwa verdoppelt. Diese Verdoppelung ist insofern bemerkenswert, als es sich dabei um<br />

Anerbengebiete handelte, in denen es gewisse Grenzen für die Anlage neuer Hofstellen<br />

gab. Im Realteilungsgebiet des Eichsfeldes wuchs die Einwohnerzahl sogar um das<br />

Dreifache. 129 Überall hatte die Zahl der kl<strong>eine</strong>n Stellen rapide zugenommen, während<br />

die Zahl der bäuerlichen Betriebe aufgrund des Anerbenrechts begrenzt blieb. 130<br />

Eine ähnliche Entwicklung fand auch in Westniedersachsen statt. Im Kirchspiel<br />

Belm blieb seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die Zahl der großen Höfe konstant, die<br />

der kl<strong>eine</strong>ren stieg erst Anfang des 19. Jahrhunderts etwas an, während die Haushalte<br />

von 250 Anfang des 17. Jahrhunderts bis auf knapp 600 Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

zunahmen, worunter sich über 400 Heuerlingsstellen befanden. 131 Das Anerbenrecht<br />

verhinderte damit zwar erfolgreich <strong>eine</strong> Auflösung der bäuerlichen, jedoch nicht die<br />

Entstehung <strong>eine</strong>r breiten landlosen Bevölkerungsschicht. „Nicht innerhalb des Kreises<br />

der bäuerlichen Besitzer fanden also die wesentlichen Verschiebungen statt, sondern<br />

das außerordentliche Wachstum der eigentumslosen Schicht veränderte das Gesicht<br />

dieser ländlichen Gesellschaft.“ 132<br />

Die innerdörflichen Verhältnisse standen in <strong>eine</strong>m größeren sachlichen wie<br />

räumlichen Kontext. Sie waren abhängig von der allgem<strong>eine</strong>n Politik des Landesherrn<br />

und s<strong>eine</strong>r Beamten, zugleich eingebunden in die überregionale Nachfrage nach<br />

Arbeitskräften oder gewerblichen Erzeugnissen. Damit war die dörfliche Gesellschaft<br />

vor den Agrarreformen weder harmonisch noch stabil. Dass sie nicht idyllisch war,<br />

dürfte inzwischen k<strong>eine</strong> besondere Aufmerksamkeit mehr erregen, wichtiger ist aber<br />

ihre Instabilität. Das war die notwendige Folge der beschriebenen Verhältnisse. Analog<br />

zur Konjunkturforschung kann man zwei Arten der Instabilität beschreiben. Zuerst<br />

war diese Gesellschaft in hohem Maße von den natürlichen Ressourcen abhängig,<br />

wobei die entscheidende Variable nicht der Boden, sondern das Klima war. Die in<br />

unterschiedlichen Abständen ausbrechenden Erntekrisen und die von Jahr zu Jahr stark<br />

schwankenden Erntemengen sind darauf zurückzuführen. 133<br />

Diese Dynamik wurde überlagert und ergänzt durch die interregionalen und<br />

internationalen Verflechtungen nordwestdeutscher Regionen, welche zwar den<br />

ländlichen Regionen <strong>eine</strong> relativ lange und vermeintlich stabile Wohlfahrtsphase<br />

verschafften, sie aber in neue, elementare Abhängigkeiten führten. Diese<br />

Verflechtungen führten allerdings zu <strong>eine</strong>m regionalen Anpassungsmuster, das durch<br />

<strong>eine</strong> hohe Variationsbreite gekennzeichnet ist, und in zeitgenössischen Reiseberichten<br />

129 SCHNEIDER, SEEDORF (1989), S. XX.<br />

130 GREES (1983).<br />

131 SCHLUMBOHM (1994), S.54 f.<br />

132 Ebd., S. 58.<br />

133 Dazu allgemein und immer noch grundlegend: ABEL (1978b).<br />

31


immer wieder hervorgehoben wird, aber auch von der neueren Forschung bestätigt<br />

wurde. 134<br />

Kompliziert waren ebenfalls die Beziehungen zwischen den einzelnen sozialen<br />

Gruppen im Dorf, wobei es in diesem Bereich wiederum regionale Abweichungen bzw.<br />

regionale Muster gab. In den Gebieten mit Hollandgang spielten offenbar die<br />

Hollandgänger auch für die bäuerliche Bevölkerung <strong>eine</strong> wichtige Rolle. Mit dem<br />

verdienten Geld wurden bei der Rückkehr nicht selten die obrigkeitlichen Steuern und<br />

die Schulden bei den Bauern bezahlt, die im Winter oder Frühjahr entstanden waren,<br />

weil kein Brot- und kein Saatkorn mehr vorhanden waren. 135 Dieses Geld wurde von<br />

den Bauern zumindest teilweise für Investitionen genutzt, wie das Beispiel der<br />

Wehlburg nahe legt. 136<br />

Zusätzliche Verdienstmöglichkeiten verbunden mit den Abfindungen, die den<br />

weichenden Erben zustanden, bildeten oft den Anlass für frühe Familiengründungen.<br />

Nicht erbberechtigte Söhne kauften von ihrer Abfindung <strong>eine</strong>n Webstuhl und<br />

heirateten bald; denn Kinder waren wertvolle Arbeitskräfte, die schon im Alter von 6-8<br />

Jahren mithelfen mussten.<br />

Die meist armen Brinksitzer oder Einlieger sahen indes nicht ohne Verbitterung ihre<br />

Abhängigkeit von den großen Bauern. Die Bauern wiederum warfen den kl<strong>eine</strong>n<br />

Leuten vor, verschwenderisch mit dem Geld umzugehen und sich nicht an alte<br />

dörfliche Sitten zu halten, früh Kinder zu bekommen und <strong>eine</strong>n unschicklichen<br />

Lebenswandel zu führen. Für den Einlieger, Brinksitzer oder Heuerlinge aber waren<br />

Kinder wertvolle Arbeitskräfte, ohne deren frühe Mitarbeit beim Spinnen, Weben,<br />

Viehhüten, Torfmachen u.a. ein Überleben nur schwer war. 137<br />

Auf diese Weise etablierten sich neue Abhängigkeiten, die neben den vorhandenen<br />

feudalen lagen. Die Dynamik dieser ländlichen Gesellschaft zwischen Landwirtschaft,<br />

Verlagsarbeit und Wanderarbeit, ist mit dem zwar umstrittenen aber auf die Forschung<br />

äußerst anregenden Konzept der „Proto-Industrialisierung“ zu fassen versucht<br />

worden. Die ursprünglichen Ergebnisse über die Wechselbeziehungen zwischen<br />

Verlagsarbeit, demographischer und industrieller Entwicklung wurden inzwischen<br />

verf<strong>eine</strong>rt, ergänzt und korrigiert. 138 In dieser Perspektive treten die<br />

Wechselbeziehungen und die regionale Variationsbreite stärker hervor, wird aber auch<br />

der Übergangscharakter dieser Periode betont.<br />

Armut, Abhängigkeit und soziale Ungleichheit gehörten zu den elementaren<br />

Erfahrungen dieser ländlichen Welt des 17. bis frühen 19. Jahrhunderts: die<br />

Unterschichten waren streng getrennt von der bäuerlichen Oberschicht; lediglich für<br />

die Kleinbauern bot sich zuweilen die Chance sozialen Aufstiegs. Damit war die<br />

ländliche Gesellschaft „in hohem Maße bäuerlich geprägt, und sie blieb es, obwohl sie<br />

von der Proto-Industrialisierung erfaßt wurde und die Bauern bald nur noch <strong>eine</strong><br />

Minderheit in ihr waren“. 139<br />

134 Als bekanntestes Beispiel zeitgenössisches Beispiel: SCHWERZ (circa 1980 = 1836); sonst:<br />

REINDERS (1990); BÖLSKER-SCHLICHT (1987), 88-165.<br />

135<br />

TACK (1902); SCHAER (1978), BÖLSKER-SCHLICHT (1987), 295 f mit zwei Beispielrechnungen.<br />

136<br />

OTTENJANN (1975).<br />

137 Eindrucksvolle Belege bei , etwa 81-95. Allerdings konnten von der neueren Forschung<br />

die Annahmen der Protoindustrialisierungsforscher nicht bestätigt werden, dass es <strong>eine</strong>n<br />

eindeutigen Zusammenhang zwischen heimgewerblicher Arbeit und frühem Heiratsalter<br />

gab.<br />

138 Neuester Überblick bei Markus Cerman; Sheilagh C. Ogilvie (1994).<br />

139<br />

SCHLUMBOHM (1994), S. 612.<br />

32


Diese hier beschriebenen Verhältnisse schlugen sich auch in <strong>eine</strong>m<br />

Bevölkerungswachtum nieder, welches aber angesichts der unzureichenden<br />

statistischen Daten nur ansatzweise erfasst werden kann.<br />

Wichtig: hier noch nach Daten fahnden!<br />

Bislang dazu: Treue 1964, 7 und 29 und Brakensiek, 449, außerdem Könenkamp,<br />

Situation.<br />

2. Beispiele niedersächsischer Dörfer<br />

Ein wichtiges Kennzeichen vorindustrieller Verhältnisse waren deren Vielgestaltigkeit.<br />

Zwar gab es zentrale Elemente, die in jedem Dorf anzutreffen waren, aber je nach den<br />

lokalen Verhältnissen gab es immer wieder neue Kombinationen dieser Elemente.<br />

Deshalb sollen diese Elemente anhand zweier Siedlungen näher beschrieben werden.<br />

Ausgesucht wurden zwei Dörfer, in denen der Autor um 1990 selbst tätig war, die er<br />

also auch aus eigener Anschauung kennt.<br />

a) Wehrbleck, Strange, Nordholz<br />

Westlich der Weser, südwestlich von Sulingen liegen im Bereich der Sulinger Geest die<br />

drei Orte Wehrbleck, Strange und Nordholz. 140 Im Westen und Süden erstreckt sich<br />

das Wietingsmoor und begrenzt die Siedlungen. Die Ackerflächen sind relativ klein<br />

und befinden sich jeweils in direkter Nähe zur Siedlung. Im Falle von Nordholz ist die<br />

„Auenorientierung“ (Seedorf) offenkundig; bei Wehrbleck wird sie erst erkennbar,<br />

wenn die Höhenunterschiede und die nordöstlich des Dorfes vorhandene Niederung<br />

berücksichtigt werden. Wehrbleck und Nordholz sind alte Siedlungen. Nordholz ist bis<br />

in das 20. Jahrhundert im Kern <strong>eine</strong> Doppelhofanlage geblieben, vermutlich<br />

hervorgegangen aus <strong>eine</strong>m alten Meierhof; Wehrbleck dagegen ist schon im 18.<br />

Jahrhundert ein sozial und räumlich stark differenziertes Dorf. Die am Rande des<br />

Pagenmoors auf Heidesand angelegte Siedlung Strange schließlich gehört <strong>eine</strong>r<br />

jüngeren Siedlungsphase an, und besitzt nur geringe, nahezu bedeutungslose<br />

Ackerflächen. 141 Bemerkenswert sind diese drei Siedlungen deshalb, weil sie ein Beispiel<br />

für die Dynamik und Variationsbreite ländlicher Siedlung bilden.<br />

Die Verteilung der Höfe innerhalb des Dorfes legt die Annahme nahe, dass<br />

Wehrbleck wie Nordholz ursprünglich aus zwei Meierhöfen bestanden hat, die<br />

zwischen Feucht- und Grünland im Nordosten und dem Ackerland im Westen lagen.<br />

Der geteilte Hofraum der beiden halben Höfe deutet darauf hin, dass sie aus <strong>eine</strong>m<br />

Meierhof hervorgegangen sind. Östlich von ihnen entwickelten sich die Kötnerstellen.<br />

Im 16. Jahrhundert verfügte Wehrbleck schon über 12 Hofstellen, wobei <strong>eine</strong>m<br />

Meierhof zwei halbe Höfe, acht Kötner und ein Brinksitzer gegenüberstanden. 142 Bis<br />

1677 verdichtete sich die Bebauung bei den Kötnerhöfen, während die großen<br />

Hofräume der drei Meier unangetastet blieben. Außerdem dehnte sich der Ort nach<br />

Norden aus. 1677 hatte sich die Zahl der Hofstellen durch die Ansetzung von<br />

Kleinstellen auf 18 erhöht. 143 Neben der Zunahme der Kleinstellen ist die innere<br />

Differenzierung der Kötner bemerkenswert, die in Fahrkötner (mit Pferdebesitz), halbe<br />

140 Die folgende Darstellung nach SCHNEIDER (1991), insbes. S. 27-30. Knappe Angaben über<br />

die Siedlungen jetzt auch im GOV Hoya.<br />

141 CORDES (1981), XX.<br />

142 Erbregister von 1581 (NHStAH Hann. 74 Sulingen 17).<br />

33


Fahrkötner, Handkötner, Dreiviertel- und Viertelhandkötner unterschieden werden.<br />

Die Größe des Landbesitzes wurde anhand der Aussaatmengen angegeben. 144 Der<br />

größte Hof Nr. 1 hatte 8 Malter 6 Scheffel Aussaat, die beiden Halbmeier hatten ca. 5<br />

½ Malter, die Kötner zwischen drei und vier Malter, die Brinksitzer zwischen 0 und 2<br />

Malter Aussaatflächen. Geht man davon aus, dass ein die Aussaatmenge von <strong>eine</strong>m<br />

Himten („Himtsaat“) etwa 1/3 Morgen entsprach, so wären das beim Meier ca. 53<br />

Morgen Ackerland, bei den Halbmeiern ca. 33 Morgen und bei den Brinksitzern bis zu<br />

10 Morgen, also insgesamt kl<strong>eine</strong> Flächen, die auf die große Bedeutung der<br />

Viehhaltung hinweisen. 145 Bei der Bewertung der Hofgrößen muss zudem die geringe<br />

Bodengüte berücksichtigt werden.<br />

1677 nennen die Akten für die 18 Wehrblecker Höfe insgesamt 35 Pferde, also<br />

knapp 2 je Hof, 8 Fohlen, 76 Kühe, 71 Rinder, 48 Schw<strong>eine</strong>, 10 Bienenstöcke und 169<br />

Schafe. 146 An dieser Aufstellung ist zunächst der Pferdebesatz bemerkenswert, denn die<br />

Unterschiede zwischen den einzelnen Hofklassen waren erstaunlich gering, bzw.<br />

teilweise nicht vorhanden. Alle Meier hielten zwei Pferde, die Kötner dagegen zwei bis<br />

drei und selbst die beiden Brinksitzer und <strong>eine</strong>r der vier Beibauern hatten zwei Pferde,<br />

während von den übrigen drei Beibauern nur <strong>eine</strong>r ein Tier hielt. Ein ähnliches Bild<br />

bietet sich bei den Kühen und den Rindern, wo die Kötner etwas mehr Tiere als die<br />

größeren Meierhöfe hielten, während die Zahl der von den Kleinstellen gehaltenen<br />

Tiere kaum unter der der größeren Höfe lag. Unterschiede zwischen großen und<br />

kl<strong>eine</strong>n Höfen sind dagegen bei den Schw<strong>eine</strong>n auszumachen, denn die<br />

Schw<strong>eine</strong>haltung war nicht nur insgesamt (mit 48 oder 2,67 Tieren je Hof)<br />

unbedeutend, unter den Kleinstellenbesitzern (Brinksitzern und Beibauern) gab es nur<br />

zwei, die überhaupt (jeweils zwei) Tiere hielten. Gering war ebenfalls die Bienenhaltung<br />

und die Schafhaltung (insgesamt 169 Tiere waren auf acht Herden verteilt).<br />

Wie sehr die Viehhaltung mit den genossenschaftlichen Nutzungsrechten<br />

korrespondierte, zeigen die Einträge in dem genannten Lagerbuch. So heißt es zum<br />

Vollmeier Hinrich Graue:<br />

„Mast in privato: Hat Eichen bey dem Hause stehen, da Von Bey Voller Mastzeit etwa 4 ad 5 Schw<strong>eine</strong><br />

gefeistet werden können. In Communio Er mit der Dehlzucht auff den Weddigeloh Berechtiget.<br />

Gem<strong>eine</strong> Weide: Leßet dessen Vieh promiscui in der finckenstelle von Weddigeloh gehen und weiden, und<br />

auff den umbliegenden Heiden. Fewerung: Grabet Torff auff s<strong>eine</strong>n Platze auf der Luuckflüße, hinter<br />

dem Holtze gewandt. Plaggen und Heidmatt: Ist gleich bey dem dorff, vorne schon angezeiget, Berechtiget.<br />

Schäffereye: Hat itzo k<strong>eine</strong>, muß aber sonsten dieselben auff der Heide und morasten nach Barver zu<br />

gehen und weiden lassen.” 147<br />

Dieser Auszug verdeutlicht die schon beschriebenen Elemente dörflicher Wirtschaft<br />

und läßt auch erkennen, weshalb gerade die Kleinstellen zwar über <strong>eine</strong>n relativ großen<br />

Viehstapel, aber nur wenig Schw<strong>eine</strong> verfügten. Der umfangreiche Rindviehbesatz<br />

143 Die Zahl der Meier war konstant geblieben, die der Kötner nur um <strong>eine</strong> Stelle<br />

angewachsen. Lagerbuch von 1677 (NHStAH Hann. 74 Sulingen 23).<br />

144 Dazu etwa KÖSTER (1977), XX. Die Umrechnung dieser Angaben in heutige Flächenmaße<br />

ist sehr schwierig.<br />

145<br />

ENGEL (1965), S. 5 und 8. Eingehender und differenzierter für Rotenburg/Wümme<br />

behandelt dies ThemaKÖSTER (1977) , S. 13-17). Siehe auch HIRSCHFELDER (1971), S. 53 für<br />

Osnabrück.<br />

146 NHStAH Hann. 74 Sulingen 23. Hierbei sollten die Abweichungen zwischen den<br />

erhobenen und den tatsächlichen Werten jedoch berücksichtigt werden (siehe oben S. ).<br />

147 Ebd. S. 413 f.<br />

34


musste den geringen Landbesitz kompensieren und wurde durch die<br />

genossenschaftlichen Nutzungsrechte erleichtert. Dagegen war die Schw<strong>eine</strong>haltung an<br />

Mastrechte gebunden, die nur bei den größeren Hofstellen mit entsprechenden<br />

Eichenbeständen vorhanden waren. Erklärungsbedürftig bleibt allerdings die bis zu<br />

den Kleinstellen reichende Pferdehaltung.<br />

Die in dem <strong>kurze</strong>n Textauszug aufgeführten Flurbezeichnungen (Weddigeloh,<br />

Finkenstelle, Luuckflüße) lassen die vorindustrielle Flur als ein komplexes, durch<br />

unterschiedliche Nutzungsrechte und Zuordnungen differenziertes Gebilde<br />

hervortreten, dessen wahre Bedeutung sich nur denjenigen erschloss, die das Gebiet<br />

aus eigener Anschauung kannten. 148<br />

Neben Wehrbleck gab es noch die beiden Vollmeier in Nordholz (12 bzw. 5 ½<br />

Malter Aussaat) und fünf Stellen in Strange nördlich von Wehrbleck. Diese Siedlung<br />

entstand auf <strong>eine</strong>r Sanddüne am Moor (daher der Flurname Strange), diente den<br />

Wehrblecker Bauern als gemeinsames Weiderevier (Anger) und wurde gegen den<br />

teilweise erbitterten Widerstand der Wehrblecker Einwohner im 18. Jahrhundert weiter<br />

ausgebaut. 149 Bis 1769 150 entstanden hier sechs Stellen, die allesamt als Brinksitzer bzw.<br />

Beibauern eingestuft wurden und mit Ausnahme des ersten Brinksitzers (3 Malter<br />

Aussaat) über kein eigenes Land verfügten. In Wehrbleck selbst nahm die Stellenzahl<br />

bis 1769 um ebenfalls sechs auf nunmehr 24 Stellen zu.<br />

Das Siedlungsgebiet um Wehrbleck wies damit in der zweiten Hälfte des<br />

18. Jahrhunderts das Nebeneinander von drei Siedlungsformen auf: <strong>eine</strong>n Doppelhof,<br />

<strong>eine</strong> relativ geschlossene Bauernsiedlung und <strong>eine</strong> Nachsiedlung. Unverkennbar war<br />

zudem die Zunahme der Kleinstellen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert,<br />

womit <strong>eine</strong> Entwicklung fortgesetzt wurde, die schon im 16. Jahrhundert begonnen<br />

hatte.<br />

Angesichts der ungünstigen naturräumlichen Voraussetzungen <strong>–</strong> Heide und Moor<br />

prägten in erster Linie die Siedlungslandschaft, während die Ackerflächen relativ klein<br />

und den älteren Hofstellen vorbehalten waren <strong>–</strong> erhebt sich die Frage, welche<br />

wirtschaftliche Grundlage die Kleinstellen hatten. Gewiß nutzten sie die<br />

genossenschaftlichen Flächen zur Viehhaltung, was den erwähnten Widerstand der<br />

alten Siedler gegen die neuen Stellen provozierte, stachen Torf und arbeiteten teilweise<br />

bei den Bauern. Das allein dürfte aber nicht ausgereicht haben. Als weitere<br />

Erwerbsquelle taucht in den Quellen der „Hollandgang“ auf. 151 Eine Aufstellung von<br />

1767 nennt aus Wehrbleck 15 Männer, die nach Holland gingen um zu „baggern”<br />

(Torfstechen), Gras zu mähen oder Gartenarbeit zu verrichten. 152 Die meisten<br />

verließen ihren Ort Mitte April und kehrten im Juni und Juli zurück. Sie verdienten<br />

Brutto zwischen 18 und 40 Reichstaler (rt.), wovon nach Abzug der Lebensmittel 153 ,<br />

der Reisekosten und der Kleidungskosten 6 bis 21 rt. Übrig blieben. Insgesamt betrug<br />

der Nettoverdienst, der auf diese Weise in das Dorf kam, über 200 rt. Bis auf zwei<br />

Neubauer handelte es sich im übrigen um Häusler, die in den landesherrlichen<br />

Registern um dieses Zeit nicht erwähnt werden. Damit ist also die Frage, welche<br />

Existenzgrundlage die kl<strong>eine</strong>n Stätten hatten, nur zu <strong>eine</strong>m Teil zu beantworten.<br />

148 Allgemein zur Flurnamenforschung SCHEUERMANN (1995).<br />

149 NHStAH Hann. 74 Sulingen 1495. Allgemein CORDES (1981), XX.<br />

150 Ebd. (Nachträge).<br />

151 Hierzu BÖLSKER-SCHLICHT (1987); TACK (1902), EIYNCK (1993).<br />

152 NHStAH Hann. 74 Sulingen 1536.<br />

153 Fast alle nahmen zwischen 40 und 50 Pfd. Speck und etwas Fahrgeld mit.<br />

35


) Bokensdorf<br />

Bokensdorf liegt im Osten Niedersachsens nördlich von Fallersleben und nordwestlich<br />

von Wolfsburg. Es gehört zu den ostniedersächsischen Rundlingsdörfern und hat bis<br />

heute das Siedlungsbild <strong>eine</strong>s Rundlings bewahrt. 154 Die Bauernhöfe liegen um den<br />

Dorfplatz, das Dorf selbst befindet sich auf <strong>eine</strong>r kl<strong>eine</strong>n Anhöhe, die Höfe sind von<br />

Grünland umgeben. An dieser Stelle sollen nicht die unterschiedlichen Theorien zur<br />

Entstehung der Rundlinge diskutiert werden, vielmehr erscheint es beachtenswert, wie<br />

ein im Vergleich zu Wehrbleck ähnliches, im Detail abgewandeltes Siedlungsmuster zu<br />

erkennen ist. Das Dorf liegt auf <strong>eine</strong>r trockenen Anhöhe und ist von Grünland<br />

umgeben, in <strong>eine</strong>m zweiten Ring liegt das Ackerland, welches etwas umfangreicher als<br />

in Wehrbleck ist, aber ebenfalls durch Heideflächen ergänzt wird.<br />

1678 hatte das Dorf 12 Hausstellen: je fünf Meier (vier Vollmeier, ein Halbmeier),<br />

und fünf Kötnerstellen, außerdem zwei wüste Stellen. 155 Der Besitz an Ackerland<br />

variierte von 20 (Meier) bis fünf Morgen (Kötner). 156 Bis in das späte 18. Jahrhundert<br />

gab es kaum Veränderungen. 157 Lediglich die drei kleinsten Stellen werden im 18.<br />

Jahrhundert als Brinksitzer bezeichnet; seit 1747 gibt es auch k<strong>eine</strong> wüsten,<br />

unbewirtschafteten Stellen mehr. Damit weist die Siedlung nicht die Dynamik auf, der<br />

wir in Wehrbleck begegnet sind. Obwohl die dortigen Rahmenbedingungen eher<br />

ungünstiger als in Bokensdorf waren, kam es zu <strong>eine</strong>r Vergrößerung der Stellenzahl,<br />

die sich sowohl in <strong>eine</strong>r Verdichtung der Bebauung im Dorf als auch zur Entstehung<br />

der Neubauersiedlung Strange führte. Bokensdorf bleibt dagegen bis Ende des<br />

18. Jahrhunderts ein geschlossenes Rundlingsdorf, welches k<strong>eine</strong> Erweiterung erfährt<br />

und nur in geringem Maße durch Kleinbauerstellen ergänzt wird.<br />

Der Viehbesatz von Bokensdorf wich 1678, also <strong>eine</strong> Generation nach dem Ende<br />

des 30-jährigen Krieges, nur scheinbar von dem Wehrblecks ab. Pferde wurden in<br />

diesem Dorf gar nicht gehalten, während die Zahl der Kühe und Ochsen je Hof<br />

deutlich höher lag (durchschnittlich 11, in Einzelfällen bis 21). Hier wurden also<br />

Ochsen zur Anspannung genommen, was entweder als <strong>eine</strong> regionale Eigenheit<br />

gedeutet werden kann oder <strong>eine</strong> ortsspezifische Reaktion auf den Krieges sein<br />

konnte. 158 Die Schw<strong>eine</strong>haltung lag in Bokensdorf noch unter den Wehrblecker Werten<br />

(mit durchschnittlich 1,6 Tieren), die Schafhaltung leicht höher.<br />

3. Krisenjahre<br />

Wie empfindlich das innerdörfliche Gleichgewicht auf Störungen reagierte,<br />

offenbarten mit aller Deutlichkeit die Jahre 1771/72. 159 Zwei aufeinander folgende<br />

154 Allgemein TIETZE, KÜHLHORN (1977), S. 38-42. Da fehlt noch was. XX<br />

155 Höfebeschreibung von 1678, hier nach BOSSE (1988), S. 147. Allgemein RUND (1996),<br />

S. XX.<br />

156 Die Quelle nennt lediglich die Einsaatmengen, woraus sich die Flächen berechnen lassen<br />

(BOSSE (1988), S. 146).<br />

157 BOSSE (1988), S. 304 mit den Daten des Kontributionskatasters 1687, 1700, 1747; dem<br />

Feuerstellenverzeichnis von 1766 und der Mannzahlrolle von 1791.<br />

158 Gegen ersteres spricht, dass in den anderen Orten des Boldecker Landes durchaus<br />

Pferdehaltung vorkam; allerdings gab es auch in den anderen Dörfern größere Höfe, die<br />

k<strong>eine</strong> Pferde hielten; BOSSE (1988), 156-165,<br />

159 Grundsätzlich zu den Mißernten DIPPER (1994), 61-63; ABEL (1974), 191-266.<br />

36


Missernten zeigten verheerende Folgen, denn nach der ersten Missernte waren die<br />

Vorräte der „kl<strong>eine</strong>n Leute“ aufgebraucht und es fehlte schon teilweise an Aussaat. Die<br />

Preise stiegen sprunghaft, so dass auch für viele Landbewohner das Brotkorn nahezu<br />

unerschwinglich teuer wurde. Da die Bauern versuchten, ihre Ernte an die<br />

Meistbietenden zu verkaufen, da sie die während des vorhergegangenen Krieges<br />

erlittenen Verluste nun ausgleichen wollten, wurde das Brotkorn zudem noch knapp. In<br />

der Krise zeigte sich die Ungleichheit der ländlichen Gesellschaft ebenso krass wie die<br />

gegenseitige Abhängigkeit der dörflichen Schichten. Während <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Minderheit<br />

von Bauern von den extrem hohen Preisen profitierte, litt ein Großteil der ländlichen<br />

Bevölkerung an Hunger. Der durch die hohen Getreidepreise bedingte<br />

Kaufkraftschwund führte zu <strong>eine</strong>r Absatzkrise bei den ländlichen<br />

Gewerbetreibenden. 160 „Hungersnot ist nicht, wenn das Brot teuer ist, sondern wenn<br />

nicht so viel verdient werden kann, um genug Brot kaufen zu können“, heißt es noch<br />

1844. 161<br />

Der Hunger hatte demographische Konsequenzen. Die Sterblichkeit stieg unter den<br />

Kindern und alten Menschen in diesen beiden Jahren drastisch an, während die<br />

Geburten deutlich zurückgingen. Zwar war auch in „normalen“ Jahren die Sterblichkeit<br />

vergleichsweise hoch, wofür neben der extremen Kindersterblichkeit Epidemien (Ruhr<br />

oder Blattern) und Kriegsereignisse verantwortlich waren. 162 Dennoch gehörten Jahre<br />

mit <strong>eine</strong>r extrem überhöhten Sterblichkeit eher der Vergangenheit an. Die Entwicklung<br />

von 1771-1773 musste deshalb besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, weil in<br />

diesen Jahren die Regierungen erstmalig versuchten, durch systematische Erhebung<br />

statistischer Daten Informationen über die Bevölkerungsentwicklung zu erhalten. 163<br />

Die Regierungen versuchten auf beide Herausforderungen zu reagieren, indem<br />

Getreide aus Militärmagazinen zu vergünstigten Preisen angeboten, Höchstpreise<br />

festgelegt, Ausfuhrverbote erlassen und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen<br />

wurden. 164 Allerdings zeigten sich zugleich die Grenzen des absolutistischen<br />

Wohlfahrtsstaates, der dieser Herausforderung nur bedingt gewachsen war, denn das<br />

Verhalten der Untertanen war mit den herkömmlichen Mitteln nur in begrenztem<br />

Umfang zu regeln. Zielkonflikte kamen hinzu. Viele Bauern waren bei den geringen<br />

Erntemengen auf hohe Preise angewiesen, um den vielen Verpflichtungen gegen Staat<br />

und Grundherren nachkommen zu können. Höchstpreise und Ausfuhrverbote<br />

verstärkten damit in erster Linie die Beschäftigungskrise für die kl<strong>eine</strong>n Leute, denen<br />

die Kunden und Arbeitgeber fehlten, da die Bauern überall einsparen mussten. 165<br />

Die wohlgemeinten Regelungsversuche scheiterten letztlich an der Realität des<br />

Wirtschaftsprozesses und den divergierenden Interessen der beteiligten Personen und<br />

Gruppen. Diese Zusammenhänge blieben den Zeitgenossen nicht verborgen. Nicht die<br />

Anlage von neuen Kornmagazinen, sondern höhere Ernten waren die beste Vorsorge<br />

gegen ähnliche Katastrophen. Eine Erhöhung der Produktivität konnte nur gelingen,<br />

wenn grundlegende Veränderungen durchgeführt wurden. Die Notwendigkeit solcher<br />

Veränderungen wurde seit den 1770er Jahren verstärkt diskutiert. Kritik wurde an der<br />

160 ABEL (1974), 207-209.<br />

161 Nach <strong>eine</strong>m Bericht aus dem Vogtland, zitiert bei JANTKE, HILGER (1965), 53.<br />

162 ABEL (1974), 252-257; ROTHE (1998), 137. Klären, ob schon die gedruckte Ausgabe!<br />

163 FISCHER, KUNZ (1991), XX.<br />

164 Beispiele bei ABEL (1974), 226-238. Ein regionales Beispiel bei SCHNEIDER (1983), 125-139.<br />

165 In Schaumburg-Lippe kam es deshalb zu dem Versuch, das Verhalten der an der<br />

Landwirtschaft beteiligten Personen durch <strong>eine</strong> gemeinsame Institution besser zu regeln,<br />

das „Institut zur Verbesserung des Nahrungsstandes“ (SCHNEIDER (1983), 145-152).<br />

37


isherigen Wirtschaftsweise überall dort geübt, wo Zeit und Arbeitskraft verschwendet<br />

wurden: bei den bäuerlichen Zwangsdiensten ebenso wie bei der extremen<br />

Parzellierung vieler Feldmarken oder den schlecht genutzten Gemeinweiden.<br />

Regierungen und Wissenschaftler erarbeiteten Vorschläge zur Steigerung der<br />

Produktivität und gaben Anregungen für den Anbau neuer Pflanzen und die<br />

<strong>Einführung</strong> neuer Fruchtfolgen, die Beschränkung bäuerlicher Freiheit durch Grund-<br />

und Leibherrschaft wie sie im nächsten Kapitel beschrieben wird, wurde zunehmend<br />

als nicht mit den Erfordernissen der Zeit verträglich empfunden.<br />

4. Ein Forschungsdiskurs<br />

Die beschriebenen Strukturen und Prozesse zeigen, dass die agrarisch-ländliche<br />

Gesellschaft vor 1800 weder statisch noch weltabgewandt war, sondern in hohem Maße<br />

dynamische Elemente aufwies und Teil <strong>eine</strong>s komplexen überregionalen ökonomischen<br />

und gesellschaftlichen Systems war. Von der Forschung wurden diese Elemente lange<br />

Zeit nicht berücksichtigt, was auch daran lag, dass die deutsche<br />

Agrargeschichtsforschung, von der Ausnahme Wilhelm Abel abgesehen, bis in die<br />

1970-er Jahre vornehmlich Verfassungsgeschichte betrieb und damit andere Aspekte<br />

kaum berücksichtigte.<br />

Vor fast 30 Jahren setzte jedoch <strong>eine</strong> wissenschaftliche Debatte ein, die langfristig zu<br />

<strong>eine</strong>r wesentlich differenzierteren Bewertung ländlicher Verhältnisse führte.<br />

Ausgangspunkt war ein 1975 veröffentlichter Aufsatz von Franklin F. Mendels über<br />

Flandern, in dem er das Zusammenwirken zweier unterschiedlich strukturierter<br />

ländlicher Regionen in Flandern untersuchte: Einerseits <strong>eine</strong> agrarisch orientierte,<br />

andererseits <strong>eine</strong> gewerblich strukturierte, die beide in <strong>eine</strong>m ökonomischen<br />

Wechselverhältnis zueinander standen. 166 Die L<strong>eine</strong>n herstellende gewerbliche Region<br />

war auf den Ankauf von Getreide aus der agrarischen Region angewiesen, die<br />

demzufolge <strong>eine</strong>n wichtigen Markt für ihre Produkte fand, was gleichzeitig der<br />

Intensivierung der Landwirtschaft diente. Mendels sah damals besonders in der<br />

gewerblichen Region <strong>eine</strong> Vorstufe für die Industrialisierung. Dieser Forschungsansatz<br />

wurde wenige Jahre später in <strong>eine</strong>r heftig diskutierten Studie über die<br />

„Industrialisierung vor der Industrialisierung“ theoretisch abgesichert und regional<br />

ausgeweitet. 167 Unabhängig von der nach wie vor nicht ausgeräumten Skepsis, ob es<br />

sich bei den unterschiedlichen Formen ländlicher Gewerbetätigkeit um Vorläufer der<br />

Industrialisierung handelte, lassen sich aus der damaligen Studie, den folgenden<br />

Diskussionen und Studien doch einige bemerkenswerte Schlussfolgerungen über<br />

ländliche Strukturen ziehen, die teilweise mit älteren Forschungsergebnissen<br />

übereinstimmen. 168<br />

Die ländliche Welt vor der Industrialisierung war nicht spätestens seit dem Beginn<br />

des 18. Jahrhunderts k<strong>eine</strong>swegs mehr <strong>eine</strong> rein bäuerlich-statische, sondern sie war<br />

erstens durch <strong>eine</strong>n sich kontinuierlich erhöhenden Anteil nichtbäuerlich, gewerblich<br />

166 MENDELS (1972).<br />

167 KRIEDTE, MEDICK, SCHLUMBOHM (1977); zu dem dann einsetzenden umfassenden<br />

Forschungsdiskurs fehlt noch <strong>eine</strong> Gesamtdarstellung; siehe aber exemplarisch: Cerman,<br />

Ogilvie: Einleitung: Theorien der Proto-Industrialisierung. In: Markus Cerman; Sheilagh C.<br />

Ogilvie (1994), 9-21. EBELING, MAGER (1997). Jetzt auch KRIEDTE, HANS MEDICK; JÜRGEN<br />

SCHLUMBOHM, JÜRGEN SCHLUMBOHM (1998).<br />

168 KRIEDTE, MEDICK, SCHLUMBOHM (1977); SCHLUMBOHM (1994).<br />

38


orientierter Bevölkerung gekennzeichnet und sie zwar zweitens in Teilbereichen<br />

dynamisch, d.h. von Wandel und Veränderung erfasst.<br />

Der nichtbäuerliche Bevölkerungsanteil nutzte zwar weiterhin die Möglichkeiten<br />

ländlicher Subsistenzsicherung über die Bewirtschaftung eigenen Landes, die Nutzung<br />

der Gemeinweiden und die Arbeit als Tagelöhner bei den bäuerlichen Betrieben. Sie<br />

war aber gezwungen, diese durch zusätzliche Aktivitäten zu ergänzen, die sich aus dem<br />

lokalen oder kleinregionalen Kontext ergaben (Handwerker für den örtlichen Bedarf),<br />

in zunehmenden Maße aber durch überregionale Strukturen bestimmt wurden. Dabei<br />

konnten sich jeweils kleinregionale Muster ausbilden. 169 Besondere Beachtung hat der<br />

nordwestdeutsche „L<strong>eine</strong>ngürtel“ gefunden, da er am besten in das 1977 entwickelte<br />

Konzept der „Industrialisierung vor der Industrialisierung“ passte. Auffällig ist<br />

besonders bei den beiden wichtigsten nordwestdeutschen Varianten der<br />

außerlandwirtschaftlichen Existenzsicherung auf internationalen Handels- und<br />

Wirtschaftsbeziehungen beruhte. Während die L<strong>eine</strong>nherstellung in internationale<br />

Handels- und Austauschbeziehungen integriert war, handelte es sich bei der<br />

Hollandgängerei um <strong>eine</strong> saisonale Wanderarbeit in die Niederlande. Beide<br />

„Hauptwege“ der gewerblichen Existenzsicherung in Nordwestdeutschland waren<br />

damit auf Rahmenbedingungen angewiesen, die nur in <strong>eine</strong>m begrenzten Umfang<br />

beeinflussbar waren.<br />

Als der im Rahmen des Protoindustrialisierungsansatzes bedeutsamere Weg ist der<br />

der L<strong>eine</strong>nherstellung als Sonderweg der Textilherstellung untersucht worden. Der<br />

besondere Stellenwert der Textilherstellung ergibt sich aus der Kombination gleich<br />

mehrerer Faktoren. Zunächst war ein Blick auf die deutsche Textilherstellung in der<br />

Phase der frühen Industrialisierung zwischen 1750 und 1850 schon allein deshalb nahe<br />

liegend, da in der früher beginnenden englischen Industrialisierung die<br />

Textilherstellung <strong>eine</strong>n zentralen Stellenwert einnahm, und somit es nahe liegend war,<br />

nach ähnlichen Prozessen in Deutschland zu suchen. Sodann verdienen die<br />

eigentlichen Produktionsprozesse Beachtung, weil sie nicht nur in <strong>eine</strong>m<br />

internationalen Zusammenhang gesehen werden müssen, da ein nicht unbedeutender<br />

Teil des L<strong>eine</strong>ns exportiert wurde, sondern sich spezifische Formen der Arbeitsteilung<br />

zwischen den Städten als Zentrum des Handels und dem flachen Land als<br />

Produktionsstandort herausbildeten. Während also die Produktion des L<strong>eine</strong>ns auf<br />

dem flachen Land stattfand und zwar in <strong>eine</strong>r Zone zwischen der agrarischen<br />

Produktion (Subsistenzsicherung) und <strong>eine</strong>r gewerblichen, wurde der Handel von<br />

bürgerlich-städtischen Kaufleuten übernommen. Nur durch deren Zwischenposition<br />

gelang es, die internationalen Beziehungen zu nutzen. 170 Die Beziehungen zwischen<br />

Produzenten und Händlern konnten in unterschiedlicher Weise geregelt sein, wobei das<br />

eigentliche Verlagssystem mit dem Händler, der den Produzenten die Rohware lieferte<br />

und das Fertigprodukt abnahm, nur vordergründig in stärkerem Gegensatz zum<br />

Kaufsystem stand, bei welchem der Produzent den Rohstoff (Garn) selbst beschaffte<br />

und dem Händler lediglich das fertige Produkt überließ.<br />

Die ländliche exportorientierte bzw. exportabhängige L<strong>eine</strong>nweberei blieb dem<br />

ländlichen Milieu und Existenzformen verhaftet, denn die Weber konnten nur deshalb<br />

im internationalen Handel bestehen, weil sie aufgrund ihrer ökonomischen<br />

Absicherung innerhalb der dörflichen Ökonomie zu sehr niedrigen Löhnen bzw.<br />

Preisen arbeiten konnten. Daraus folgerte auch, dass sie weiterhin in den saisonalen<br />

169 BÖLSKER-SCHLICHT (1987), S. 88 ff.<br />

170 Hier vielleicht ein <strong>kurze</strong>r Verweis auf die „Internationales System-Debatte“- Wallerstein.<br />

39


uralen Arbeitsrhythmus eingebunden blieben und die gewerbliche Tätigkeit als<br />

Saisonarbeit betrieben. Neben den klein- und unterbäuerlichen Bevölkerungsgruppen<br />

traten aber durchaus auch Bauern als Produzenten auf, die die arbeitsschwachen<br />

Phasen im Jahr für <strong>eine</strong>n zusätzlichen Verdienst nutzten. 171 Erst gegen Ende des 18.<br />

Jahrhunderts lassen sich Anzeichen dafür erkennen, dass die beschriebenen<br />

landwirtschaftlichen Bindungen sich aufzulösen beginnen und die Leinweber nahezu<br />

vollständig gewerbliche Arbeiter waren, deren agrarische Grundlage minimal wurde.<br />

Neben den ökonomischen Aspekten verdienen die demographischen ebenfalls<br />

besondere Aufmerksamkeit. In den frühen Überlegungen der „Industrialisierung vor<br />

der Industrialisierungs“ Studie gingen die Autoren noch davon aus, dass in den<br />

ländlichen Gebieten mit <strong>eine</strong>r verstärkten gewerblichen Komponente sich <strong>eine</strong>r anderes<br />

demographisches Muster nachweisen lasse als in den bäuerlichen Gebieten. Für<br />

letzteres ging man von <strong>eine</strong>m Modell aus, welches dem „european marriage pattern“<br />

entsprach und darin bestand, dass durch ein spätes Heiratsalter und <strong>eine</strong> begrenzte<br />

Zahl an Hochzeiten der Geburtenüberschuss relativ begrenzt blieb und damit ein<br />

angesichts begrenzter ökonomischer Ressourcen gefährliches schnelles<br />

Bevölkerungswachstum verhinderte. 172 Demgegenüber, so die ursprüngliche Annahme,<br />

gab es in den protoindustriellen Gebieten ein stark abweichendes Verhalten, welches in<br />

frühen Hochzeiten und <strong>eine</strong>r hohen Kinderzahl ebenso bestand wie in <strong>eine</strong>r Zunahme<br />

der Ehen, da junge Familien nun nicht mehr darauf angewiesen waren, <strong>eine</strong> Hofstelle<br />

zu übernehmen, sondern ihre Existenz auf <strong>eine</strong>n Webstuhl und <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong><br />

Mietwohnung gründen konnten. Dieses neue Heiratsmuster löste <strong>eine</strong>n schnellen<br />

Bevölkerungszuwachs aus, der letztlich in die Industrialisierung mündete.<br />

Wir wissen inzwischen, dass diese relativ einfachen Modelle nicht <strong>eine</strong>r komplexen<br />

Wirklichkeit entsprachen, aber jenseits aller mittlerweile notwendigen Differenzierung<br />

weisen sie auf <strong>eine</strong>n für die vorliegende Untersuchung zentralen Aspekt hin, dass die<br />

vorindustrielle ländlich-dörfliche Welt weder durch Uniformität noch durch Statik<br />

gekennzeichnet war. Die Art und Weise, wie die Menschen dieser Welt über ihre<br />

Zukunft entschieden, und das geschah nun nicht zuletzt mit der Heirat bzw. der<br />

fehlenden Möglichkeit zum Heiraten, belegt, dass es k<strong>eine</strong>swegs <strong>eine</strong> einheitliche Form<br />

gab, sondern, abhängig von Regionen, ökonomischen Fakten und soziologischen<br />

Zuordnungen, verschiedene Wege gab, die sich <strong>eine</strong>r vereinfachenden Bewertung<br />

entziehen.<br />

Auch wenn sich manche der ursprünglichen Annahmen der<br />

Protoindustrialisierungs-Theorie nicht aufrechterhalten ließen, so bleibt das Verdienst<br />

dieses Ansatzes nicht nur, die weitere Forschung entscheidend angeregt zu haben,<br />

sondern auch, erneut auf <strong>eine</strong> Aspekte hinzuweisen, die zu leicht bei <strong>eine</strong>r Bewertung<br />

dörflicher Verhältnisse übersehen werden. Sie zeigen, dass das Dorf der frühen<br />

Neuzeit k<strong>eine</strong>swegs von Bauern dominiert war, sondern die unterbäuerliche<br />

Bevölkerung tatsächlich in der Überzahl war, wenngleich sie nur über den Bruchteil des<br />

Bodens verfügen konnte, damit auf gewerbliche Tätigkeiten ausweichen musste und in<br />

deren Nutzung die Chance sah, <strong>eine</strong> eigene Familie zu gründen, wobei dieser Weg<br />

davon abhängig blieb, ob die Rahmenbedingungen (Absatzchancen auf den<br />

internationalen Märkten) gewahrt blieben.<br />

171 Dazu SCHLUMBOHM (1994)über Belm.<br />

172 Vorbildlich waren und sind die englischen Studien, etwa die klassische ältere von STONE<br />

(1990).<br />

40


5. Eine Frage der Perspektive<br />

Die Analyse sozialer und ökonomischer Verhältnisse auf den Dörfern folgt auch in<br />

dieser Darstellung sehr stark den vorhandenen Quellen. Diese allerdings beinhalten<br />

<strong>eine</strong> Problematik, die hier nicht gelöst, wohl aber diskutiert werden soll. Basis unserer<br />

Klassifizierung der ländlichen Gesellschaft sind statistische Daten der<br />

frühneuzeitlichen Landesherren und ihrer Verwaltung. Ihr Interesse bei der Erhebung<br />

der Daten lag darin, <strong>eine</strong>n Überblick über die ökonomische Leistungsfähigkeit der<br />

Höfe zu erhalten, wobei in erster Linie der Landbesitz die Bemessungsgrundlage<br />

darstellte. Andere Einkünfte wurden dagegen nicht oder nur ansatzweise zugrunde<br />

gelegt. Dagegen wurden die feudalen Belastungen weitgehend umfassend und genau<br />

wieder gegeben. Daraus ergeben sich heute Probleme für die Forschung, denn sie ist<br />

nur ansatzweise in der Lage, die tatsächlichen Einkünfte der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe zu errechnen, von den grundsätzlichen methodischen Schwierigkeiten einmal<br />

abgesehen, die entstehen, wenn die Einkünfte aus landwirtschaftlicher Tätigkeit exakt<br />

bemessen wurde. 173<br />

Hier soll aber auf ein anderes Problem verwiesen werden: die Ordnung der<br />

ländlichen Bevölkerung in Hausbesitzende und Nichthausbesitzende, vor allem in die<br />

frühneuzeitlichen Hofklassen der Meier, Halbmeier, Großkötner usw. signalisiert <strong>eine</strong><br />

Ordnung der ländlichen Gesellschaft, die lediglich das Ergebnis landesherrlicher<br />

Vorstellung war. Inwiefern nicht auch andere Ordnungskriterien, etwa nach Wohlstand,<br />

nach sozialer Stellung im Dorf oder anderes von Bedeutung war, lässt sich aus diesen<br />

Daten schlecht ablesen. Zwar wissen wir etwa aus Prozessakten, dass innerhalb des<br />

Dorfes offenbar die großen Stellen an der Stelle der Hierarchie lagen, aber das ist nur<br />

<strong>eine</strong> mögliche Ordnung. Vor allem aber blendet der Blick auf die Hofklassen aus, dass<br />

Wohlstand im Dorf auch auf andere Weise als durch landwirtschaftliche Tätigkeit<br />

erworben werden konnte. Was wir aus den vorhandenen Daten auch ablesen können,<br />

ist nicht nur, dass die ländliche Bevölkerung k<strong>eine</strong>swegs homogen war, sondern auch,<br />

dass unser Bild vom „Bauern“ <strong>eine</strong>r Revision bedarf. 174 Die damit häufig verbundene<br />

Annahme <strong>eine</strong>r rein ländlichen, statischen Existenz kann den neueren<br />

Forschungsbefunden nicht mehr standhalten. Protoindustrielle Tätigkeiten förderten<br />

ebenso wie saisonale Wanderarbeiten <strong>eine</strong> erhöhte Mobilität dieser Gruppen, die<br />

zudem verstärkt nicht landwirtschaftliche Tätigkeiten ausübten. Zugleich dürften die<br />

Angehörigen dieser Gruppen auch in den Heimatregionen mobiler gewesen sein, als es<br />

häufig angenommen wird. Denn für die Angehörigen der land- und hauslosen<br />

Unterschichten gab es k<strong>eine</strong>n festen Wohnstandort, sondern sie bewegten sich in<br />

<strong>eine</strong>m engeren räumlichen Umfeld.<br />

3. Herrschaftliche Abhängigkeit<br />

KHS: dies Kapitel ganz an den Anfang stellen, weil hier wichtige Informationen zu finden<br />

sind, die in den weiteren Kapiteln, die jetzt vorher stehen, verwendet werden, etwa die<br />

Hofklassen oder die zentralen Quellen zum Thema.<br />

173 Dazu allgemein ACHILLES (1982).<br />

174 Vgl. dazu den aktuellen Diskurs zwischen Michael Kearny und Michael J. Watts: KEARNEY,<br />

WATTS (2002).<br />

41


1. For men der Abhängigkeit<br />

Abhängigkeit von Herrschaftsträgern gesellte sich zu der von Natur und Wetter. Sie<br />

beruhte seit dem 16. Jahrhundert auf der Verbindung zweier Komponenten: <strong>eine</strong>r<br />

personalen, sich räumlichen Abgrenzungen entziehenden, und <strong>eine</strong>r territorialen.<br />

Erstere wird auch zusammenfassend als Grundherrschaft bezeichnet. Dazu zählten<br />

neben der Grundherrschaft im engeren Sinn auch die Leibherrschaft oder<br />

Eigenbehörigkeit, das Zehntrecht oder die niedere Gerichtsbarkeit. 175<br />

Die territoriale Komponente war besonders gut dort ausgebildet, wo der Landesherr<br />

seit dem 14./15. Jahrhundert <strong>eine</strong> flächendeckende Verwaltung in Form der Ämter<br />

aufbaute. 176 Die landesherrlichen Ämter nahmen <strong>eine</strong> Zwitterstellung ein, denn sie<br />

hatten sowohl öffentliche Aufgaben 177 zu erfüllen als auch den grundherrlichen Besitz<br />

des Landesherrn zu verwalten, der aus diesen Einkünften s<strong>eine</strong> Staatsausgaben<br />

finanzierte. Der Landesherr war also insofern nichts anderes als ein besonders großer,<br />

öffentliche Aufgaben übernehmender Grundherr. Diese Zwitterstellung der Ämter wie<br />

des gesamten Staates, in dem sich nach heutiger Anschauung öffentliche und private<br />

Elemente miteinander verbanden, war ein Spezifikum der frühneuzeitlichen<br />

Gesellschaft. Seit dem späten Mittelalter genügten die grundherrlichen Einnahmen des<br />

Landesherrn allerdings nicht mehr aus, um die steigenden Staatsausgaben zu<br />

finanzieren. Deshalb wurden in Abstimmung mit den Landständen, der Vertretung des<br />

Adels, der Kirche und der Städte, Steuern beschlossen und erhoben. Die Steuern<br />

verdrängten jedoch nicht die grundherrlichen Einnahmen des Landesherrn, sondern<br />

ergänzten sie. Parallel mit deren Erhöhung erfolgte ebenfalls im 16. Jahrhundert der<br />

Ausbau der landesherrlichen Eigenbetriebe (Vorwerke) zur Erhöhung der naturalen<br />

Einnahmen. 178<br />

Die modernisierte landesherrliche Verwaltung diente nicht zuletzt der verbesserten<br />

Erfassung sämtlicher, dem Landesherrn zustehenden grundherrlichen Leistungen.<br />

Eine der ersten Aufgaben der Ämter war deshalb die systematische Sammlung von<br />

Informationen über die pflichtigen Höfe, die uns in Form der sogenannten<br />

registerförmigen Quellen (in der Sprache der Zeit: Amts-, Lager-, Hausbücher oder<br />

Erbregister) überliefert wurden. 179 Eine Eintragung im Erbregister des Amtes Neustadt<br />

von 1620 soll den Informationsgehalt <strong>eine</strong>s solchen Registers verdeutlichen. Bei dem<br />

Dorf Frielingen nördlich von Hannover heißt es u.a.:<br />

„dienstpflichtige Großköt(n)er”: „Frantz Langreder ist 20 Jahr , hat bey s<strong>eine</strong>m Hofe 12 Morgen, Illsmo.<br />

zustendig, zinset ans Haus Neustadt 4 fl.(Gulden) 15 g.(Groschen). Anstadt des Zehnten jerlichs ein<br />

175 Es fehlt <strong>eine</strong> neuere Agrargeschichte Niedersachsen, weshalb nur auf Einzelbeiträge<br />

hingewiesen werden kann; <strong>eine</strong>n guten Überblick für die Zeit der frühen Neuzeit bietet<br />

immer noch Werner Wittich (WITTICH (1896): Erster Abschnitt, „Die ländliche Verfassung<br />

Niedersachsens und der westfälischen Gebiete Kurhannovers im 18. Jahrhundert“ sowie<br />

sowie aus dem zweiten Abschnitt die Kapitel X und XI); für das Spätmittelalter ist jetzt<br />

heranzuziehen HAUPTMEYER (1997), 1110-1130. Einen gewissen Ersatz bieten die<br />

entsprechenden Kapitel in HUCKER, SCHUBERT, WEISBROD (1997), 185-201, 304-327. Weitere<br />

regionale Einzelstudien werden im folgenden zitiert.<br />

176<br />

WITTICH (1896), 147-184; als Einzelbeispiele: ; HIRSCHFELDER (1971), 14-20.<br />

177 Insofern waren sie Vorläufer der heutigen Kreisverwaltungen.<br />

178<br />

KRÜGER (1980); RIESENER (1991). Zum Ausbau der landesherrlichen Aktivitäten vgl. auch<br />

für Braunschweig , 24.<br />

179<br />

SCHNEIDER (1987), S. 46-50.<br />

42


Schwein. Hat <strong>eine</strong> Wiese vom Haus Ricklingen, zinset dahin 24 g. Dienet den Sommer 2 Tage die<br />

Woche, den Winter <strong>eine</strong> Wochen umb die andere 2 Tage und thut Burgfest und Erntedienst. Das Gewehr<br />

ist <strong>eine</strong> Hellebarte und Degen.” 180<br />

Die Angaben der Eintragung lassen sich in folgende Gruppen aufteilen:<br />

• Einordnung des Hofes in <strong>eine</strong> „Bauernklasse”, hier ein dienstpflichtiger<br />

Großkötner,<br />

• Hinweise zur Person des Bauern (Name und Alter),<br />

• Größe und Art des bewirtschafteten Landes (Ackerland in Morgen, Wiesen in Fuder<br />

Heu),<br />

• Nennung der Personen, denen der Bauer Abgaben zu entrichten hat: in diesem Fall<br />

der Landesherr (= Illustrissimo, der Gnädigste), bzw. das „Haus“<br />

Neustadt/Ricklingen, gemeint ist das Amt,<br />

• Bezeichnung der Abgaben (Zins, Zehnt) und der Dienste (Burgfest[dienst],<br />

Erntedienst),<br />

• Höhe der Abgaben und Umfang der Dienste,<br />

• Bewaffnung im Kriegsfall.<br />

Diese Angaben vermitteln uns <strong>eine</strong> erste Vorstellung von einigen wesentlichen<br />

Merkmalen bäuerlicher Abhängigkeit in der frühen Neuzeit von ca. 1500 bis 1800 bzw.<br />

sogar 1850. Die Bauern waren nicht Eigentümer, sondern sie hatten lediglich ein<br />

Nutzungsrecht am Hof und dem dazugehörigen Land, wofür sie an den oder die<br />

Eigentümer Abgaben und Dienste entrichten mussten.<br />

a) Die Grundherrschaft<br />

Die Verfügung über Grund und Boden, und damit häufig auch über die Menschen,<br />

gehörte zu den zentralen Elementen der agrarischen Gesellschaft. 181 Die Art und<br />

Weise, wie diese Verfügungsgewalt wahrgenommen wurde, erlaubt <strong>eine</strong>n wichtigen<br />

Einblick in die Strukturen und elementaren Grundlagen der frühneuzeitlichen<br />

Gesellschaft. Die Grundherrschaft war zentraler Bestandteil <strong>eine</strong>r Gesellschaft, welche<br />

durch Ungleichheit ebenso geprägt war wie durch die grundlegende Bedeutung von<br />

Landbesitz, der nicht allein von zentraler ökonomischer Bedeutung war, sondern<br />

zugleich über die gesellschaftliche Stellung, damit über Prestige und Chancen zur<br />

Machtausübung entschied.<br />

Größte Grundbesitzer waren der Landesherr, der Adel und die Kirche. Das Land<br />

wurde zu <strong>eine</strong>m großen Teil von Bauern bewirtschaftet, die lediglich ein Nutzungsrecht<br />

hatten (dominium utile), während das Obereigentum (dominium directum) beim<br />

Grundherrn lag, der damit die entscheidende Verfügungsgewalt über den Bauern und<br />

das Land ausübte. Während im Mittelalter Land und Leute (Bauern) eng miteinander<br />

verknüpft waren, hatte sich diese Bindung im Übergang zur Neuzeit weitgehend<br />

aufgelöst. Dies hatte zur Folge, dass bestimmte Höfe nur von Eigenbehörigen<br />

bewirtschaftet werden konnten.<br />

180 EHLICH (1984). Zu Frielingen: BARTEL-TRETOW (1985).<br />

181 Knapper Überblick zur grundherrlichen Bindung der Bauern bei TROSSBACH (1993), 6-20;<br />

die rein rechtlichen Verhältnisse beschreibt LÜTGE (1967), 116-200; für Niedersachsen<br />

immer noch wichtig WITTICH (1896), insbes. 1-11 (Grundherrschaft und Rittergut in<br />

Niedersachsen), 19-83 (Bäuerliches Besitzrecht) ; neuerdings ACHILLES (1993), 42-48. Die<br />

mittelalterlichen niedersächsichen Verhältnisse jetzt bei HAUPTMEYER (1997), 1055-1094;<br />

auf diese Darstellung sei grundsätzlich verwiesen.<br />

43


Kennzeichen der grundherrschaftlichen Verhältnisse war deren Zersplitterung:<br />

neben dem jeweiligen Landesherrn übten Adelige, Bürger, Städte und nicht zuletzt<br />

kirchliche Einrichtungen wie Pfarren, Stifte oder Klöster grundherrliche Rechte aus. In<br />

Niedersachsen gab es zudem k<strong>eine</strong> geschlossenen Herrschaftsbezirke einzelner<br />

Grundherren, sondern <strong>eine</strong> Gemengelage von Herrschaftsrechten, die sich bis auf den<br />

einzelnen Hof fortsetzen konnte. 182<br />

Tabelle 5 Hofklassen im Fürstentum Calenberg 1689<br />

Hofklasse absolut v.H. durchschn. Hofgröße in Morgen<br />

Vollmeier 1.531 16 50<br />

Halbmeier 1.038 11 34<br />

Kötner 4.285 45 9<br />

Brinksitzer 2.225 24 4<br />

Häuslinge 405 4 <strong>–</strong><br />

Gesamt 9.484 100 12<br />

Quelle: Eigene Berechnung nach Franz, Struktur.<br />

So hatten die Meier des Dorfes Seelze Anfang des 17. Jahrhunderts folgende<br />

Grundherren 183 :<br />

• Die Witwe des dienstpflichtigen Meiers Diedrich Lockemanns zahlte dem Pastor<br />

den Grundzins, sie diente außerdem an das Amt Blumenau.<br />

• Der „freie Junkern Meier“ Curdt Röver gab s<strong>eine</strong>n Grundzins an die von Alten zu<br />

Dunau und Goltern, mußte an diese auch dienen und hatte zudem geringe Dienste<br />

dem Amt Blumenau zu leisten.<br />

• Ähnlich erging es Hans Rindfleisch, dessen Grundherr Tonnies von Campen war.<br />

• Grundherr des Arndt Gieseken war der Kammermeister Albert Everding,<br />

außerdem waren geringe Diensten und Abgaben an das Amt Blumenau zu<br />

entrichten.<br />

• Albert Everding hatte den Hof des Curdt Gisken übernommen, „weil der Meyer<br />

darauf verarmt und s<strong>eine</strong> Zinße jerlich nicht entrichten konnen“.<br />

Das hier an <strong>eine</strong>m Beispiel erläuterte Bild ließe sich in größerem Maßstab<br />

wiederholen; als Muster bliebe die starke Gemengelage und das räumliche<br />

Nebeneinander unterschiedlicher Herrschaftsrechte. 184<br />

Exemplarisch sollen hier einige Daten aus dem Amt Blumenau wiedergegeben<br />

werden. Bemerkenswert ist die Verteilung der Grundherren (siehe Tabelle 50). Hier<br />

waren kirchliche Einrichtungen mit weitem Abstand wichtigste Grundbesitzer, es<br />

folgten der Adel und dann erst der Landesherr, nur knapp vor Bürgern.<br />

Tabelle 6: Grundherren im Amt Blumenau b. Hannover Anfang 16. Jahrhundert<br />

Kirche 39,5 %<br />

Adel 24,9 %<br />

Stifte/Klöster 20,4 %<br />

Landesherr 19,7 %<br />

Sonstige 14,1 %.<br />

Bürger 13,7 %<br />

182 Neueste Darstellung dieser Verhältnisse bei REINDERS-DÜSELDER (1995), etwa S. 55-57.<br />

183 Es handelte sich hier um die dienstpflichtigen Meier und die freien Meier; LATHWESEN<br />

(1978), S. 59-66; Neuabdruck in HAUPTMEYER, BEGEMANN (1992), S. xx.<br />

184 Beispiele hierfür lieferte schon WITTICH (1896), siehe etwa die Beispiele in den Anlagen,<br />

etwa die Verteilung der Grundherrschaft im Amt Rethen, Anlagen S. 25-29.<br />

44


Das Lagerbuch des Amtes Blumenau von 1600 ergänzt aus dem Lagerbuch von 1655 (= Veröffentlichungen der<br />

Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 34 = Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

Niedersachsens in der Neuzeit 4), bearb. von Heinrich Lathwesen, Hildesheim 1978, eigene Auswertung.<br />

Betrachtet man die Verteilung der Grundherren je nach Hofklassen, so zeigt sich, dass<br />

die großen und zugleich ältesten Höfe als Grundherren vorwiegend Klöster und Stifte<br />

hatten, während bei den kl<strong>eine</strong>n, jüngeren Stellen (Kötner, Brinksitzer) die Kirche und<br />

der Landesherr die wichtigsten Grundherren waren. Eine Sonderstellung nahmen die<br />

„freien“ Höfe ein, deren Grundherren entweder die Kirche oder der Adel war.<br />

„Freiheit“ bezog sich hier offenbar lediglich darauf, dass sie dem Landesherrn nicht<br />

dienstpflichtig waren.<br />

Tabelle 7: Die Verteilung der Grundherren nach Hofklassen im Amt Blumenau b.<br />

Hannover<br />

in v.H.<br />

Klasse Landesherr Kirche Übrige Adel Bürger Sonst.<br />

kirchliche<br />

Institutione<br />

Vollmeier 8,1 13,3 47,3 13,5 10,8 6,8<br />

Freie Vollmeier 3,3 13,6 1,7 66,1 10,2 5,1<br />

Halbmeier 6,4 12,8 32,1 8,9 25,6 14,1<br />

Freie Halbmeier 7,5 27,5 -- 52,5 7,5 5,0<br />

Höfelinge -- 10,0 -- 65,0 25,0<br />

Kötner 21,7 35,6 14,0 7,9 7,0 14,0<br />

Freie Kötner 13,5 47,9 1,0 25,0 8,3 4,2<br />

Brinksitzer 22,5 35,5 12,9 -- 9,6 16,7<br />

Das Lagerbuch des Amtes Blumenau von 1600 ergänzt aus dem Lagerbuch von 1655 (= Veröffentlichungen der<br />

Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 34 = Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

Niedersachsens in der Neuzeit 4), bearb. von Heinrich Lathwesen, Hildesheim 1978, eigene Auswertung.<br />

Die Existenz von „freien“ Höfen, die dennoch den Landesherrn als Grundherrn<br />

hatten, verweist darauf, dass <strong>eine</strong> Reihe von Bauern hatte mehr als <strong>eine</strong>n Grundherrn<br />

hatten. Von 566 Betrieben hatten 103 zwei Grundherren, weitere 55 sogar mehr als<br />

zwei. 90 Betriebe hatten gar k<strong>eine</strong>n Grundherrn, sondern nur Hofherren, was daran<br />

lag, dass es sich um zu Stellen ohne Landbesitz handelte. Es gab also sogar die<br />

Unterscheidung zwischen Hofherr und Grundherr, also die Trennung der<br />

Herrschaftsrechte über den einzelnen Bauernhof von denen über das Ackerland. Die<br />

schon erwähnte Gemengelage der Herrschaftsrechte wird auch an diesen Verhältnissen<br />

wieder deutlich erkennbar.<br />

Diese Gemengelage mag zunächst den Bauern wie <strong>eine</strong>n Gefangenen in <strong>eine</strong>m<br />

dichten Netz unterschiedlicher Rechte und Ansprüche ersch<strong>eine</strong>n lassen. Sie dürfte<br />

aber eher den gegenteiligen Effekt gehabt haben, da die Rechtsansprüche der<br />

verschiedenen Herren sich gegenseitig blockieren konnten. Außerdem hatten die<br />

Bauern die Möglichkeit, die verschiedenen Grundherren gegeneinander auszuspielen,<br />

etwa den Landesherrn gegen den adeligen Grundherren.<br />

Welche Konsequenzen dagegen <strong>eine</strong> Bündelung von Herrschaftsrechten hatte, zeigt<br />

das Beispiel der Gebiete mit Gutsherrschaft, die für die Bauern <strong>eine</strong> extreme<br />

persönliche wie sachliche Abhängigkeit zur Folge hatte. Als Eigenbehörige und<br />

Schollenpflichtige <strong>eine</strong>m einzigen Gutsherrn unterworfen, der alle Herrschaftsrechte in<br />

s<strong>eine</strong>r Hand vereinigte, zu hohen Dienstleistungen auf dem Gutsbetrieb verpflichtet,<br />

entsprachen sie dem Stereotyp des abhängigen geknechteten Bauern. 185 Inzwischen<br />

185 En knapper neuerer Überblick bei RÖSENER (1993), S. 137-152.<br />

n<br />

45


wurde das Bild allerdings verf<strong>eine</strong>rt, ist facettenreicher geworden und hat zu <strong>eine</strong>r<br />

Abschwächung des bisher formulierten Kontrastes geführt. 186<br />

Neben der rechtlichen Abhängigkeit dürften weitere Faktoren <strong>eine</strong> Rolle bei der<br />

Ausgestaltung der konkreten Situation gespielt haben. Immerhin gab es <strong>eine</strong> große<br />

Bandbreite von Rechtsverhältnissen, die selbst in kl<strong>eine</strong>n Territorien wie in der<br />

Grafschaft Schaumburg (-Lippe) anzutreffen waren; sie reichte von freien über fastfreie<br />

bis hin zu eigenbehörigen Bauern. 187 In Osnabrück waren von 5000 Bauern etwa<br />

3200 Eigenbehörige von Grundherren, während der Landesherr relativ wenig<br />

abhängige Bauern hatte. 188 Andererseits dominierte in der Grafschaft Schaumburg-<br />

Lippe der Landesherr eindeutig die Grundherrschaft, wenngleich sein Anteil an den<br />

grundherrlich gebundenen Bauern zuweilen überschätzt wird. 189<br />

Im mittleren und südlichen Niedersachsen gab es vor den Agrarreformen nur<br />

wenige grundherrenfreie Bauern, die ihr Land ohne Einschränkung zu Eigentum<br />

besaßen und darüber frei verfügen konnten. In der Grafschaft Hoya waren es im 18.<br />

Jahrhundert Holländer, die im Mittelalter angesiedelt worden waren, Altfreie,<br />

Freigelassene und Vogteileute. 190 Vor allem in Rodungsgebieten konnten freie Bauern<br />

<strong>eine</strong>n größeren Anteil haben, allerdings waren die „freien Häger” im<br />

Schaumburgischen lediglich persönlich frei, unterlagen aber gleichwohl<br />

grundherrlichen Bindungen. 191 Auch die so genannten Freien im Amt Ilten waren<br />

grundherrschaftlich gebunden. 192<br />

Anders lagen die Verhältnisse in den reichen Marschengebieten Ostfrieslands und<br />

Nordoldenburgs sowie in den Ländern Wursten und Kehdingen, wo sich viele Bauern<br />

schon früh frei gekauft hatten, sofern sie nicht ohnehin ihr Land zu freiem Eigentum<br />

besaßen. Sie konnten ohne Genehmigung <strong>eine</strong>s Grundherrn ihr Land bzw. ihre<br />

Hofstelle veräußern, verpachten oder teilen. So konnte sich hier schon früh <strong>eine</strong><br />

gewinnorientierte Landwirtschaft mit großen Höfen entwickeln. 193 Aber das war eher<br />

die Ausnahme, denn ansonsten waren viele der westniedersächsischen, eigentlich<br />

westfälischen Bauern bis in das 19. Jahrhundert weder freie Inhaber ihrer Höfe noch<br />

ihres Landes, in den westlichen Gebieten waren sie auch noch persönlich als<br />

Eigenbehörige ihrem Leibherrn verpflichtet. Dass manche Kategorien zur<br />

Beschreibung ökonomischer und sozialer Realitäten unzureichend sind, mag daran<br />

ablesbar sein, dass im Oldenburgischen vorrangig die vom Status her hochstehenden<br />

Vollhöfe (Vollerben) Eigenbehörige, die Inhaber der (jüngeren) Kleinstellen zumeist<br />

Freie waren. 194<br />

Es gab mithin <strong>eine</strong> Reihe von regionalen Eigenheiten, k<strong>eine</strong>swegs ein homogenes<br />

Bild der agrarischen Verhältnisse. Einen groben Überblick soll die folgende Aufstellung<br />

über wichtige Besitzrechte Niedersachsens auf, um <strong>eine</strong>n Überblick verschaffen. 195<br />

186 Dazu jetzt die beiden Sammelbände Peters (1999), Peters, Krug-Richter (1995).<br />

187 Schneider (1994), 63-71.<br />

188 Landesherr: 14,3 %, Domkapitel 11,8 %, Adelige aus Osnabrück 38,8 %, Auswärtige 35,1<br />

%; HIRSCHFELDER (1971), 51-54.<br />

189<br />

SCHNEIDER (1994), 67.<br />

190<br />

RÖPKE (1924), 17-23.<br />

191<br />

SCHNEIDER (1994), 1, XX; allerdings hatten die Häger k<strong>eine</strong> Grundzinsen zu leisten,<br />

192<br />

FRITZEMEIER (1992), 111-132.<br />

193 Der große Reichtum der Marschenbauern führte allerdings auch zu großen sozialen<br />

Unterschieden: KAPPELHOFF (1982), 35-46.<br />

194<br />

REINDERS-DÜSELDER (1995), S. 159.<br />

46


) Das Meierrecht<br />

Vorherrschendes und prägendes Besitzrecht in Niedersachsen war das Meierrecht. Aus<br />

dem zunächst nur zeitlich begrenzten Nutzungsrecht wurde im Verlauf des<br />

16. Jahrhunderts ein „erbliches dingliches Recht auf Nutzung fremden Gutes mit der<br />

Verbindlichkeit, das Gut den Grundsätzen bäuerlicher Wirtschaftsführung gemäß zu<br />

bewirtschaften, bestimmte jährliche Leistungen davon zu entrichten und nach Ablauf<br />

bestimmter Perioden <strong>eine</strong>n neuen Meierbrief zu lösen” 196 . Während Ackerland, Wiesen<br />

und Hofstätte zu Meierrecht verliehen waren, gehörten die Hofgebäude in der Regel<br />

zum Eigentum (Allod) des Bauern. 197 Ein Hof konnte aber nicht nur Land nach dem<br />

Meierrecht besitzen, sondern auch nach weiteren Besitzrechten, wie dem Erbzinsrecht,<br />

dem Lehnrecht oder als Erbe. 198 Doch insgesamt dominierte das Meierrecht in<br />

Niedersachsen.<br />

Es hatte gleichsam zwei Gesichter. Auf der <strong>eine</strong>n Seite brachte es den Bauern ein<br />

vergleichsweises hohes Maß an Sicherheit, sowohl hinsichtlich des Hofes als auch der<br />

Abgaben. Ein „Bauernlegen“, d.h. das Aufkaufen bäuerlicher Betriebe, war kaum noch<br />

möglich, nachdem im 16. Jahrhundert noch Landesherren und Adelige davon<br />

Gebrauch gemacht hatten. 199 Allerdings gab es das Abmeierungsrecht, welches jedoch<br />

nur selten angewandt wurde. Es gab dem Grundherrn grundsätzlich die Möglichkeit,<br />

bei bestimmten groben Versäumnissen der Bauern, diese vom Hof zu entsetzen und<br />

sie durch <strong>eine</strong>n neuen Bauern zu ersetzen.<br />

Außerdem wurden die Bauern vor Abgabenerhöhungen ihrer Grundherren<br />

geschützt. Diese Seite ist in der älteren Literatur immer wieder hervorgehoben worden,<br />

zumal sie mit den ostelbischen Verhältnissen und der dortigen drastischen<br />

Verschlechterung bäuerlicher Besitzrechte kontrastiert. 200<br />

Doch das Meierrecht hatte noch ein zweites, zuweilen vergessenes Gesicht: Es war<br />

mit vielen Einschränkungen für den Bauern verbunden, die sowohl die<br />

Verfügungsgewalt über den bewirtschafteten Hof als auch die verstärkte <strong>Einführung</strong><br />

von neuen Steuern betrafen. Über den ersten Punkt geben die zeitgenössischen<br />

Meierbriefe in Verbindung mit der Gesetzgebung gute Auskunft.<br />

Als Beispiel sei der Meierbrief des Carl Heinrich Herbst aus Wennigsen genommen,<br />

der am 24. Dezember 1707 ausgestellt wurde. 201 Beteiligte des Vertrages waren die<br />

Äbtissin des Klosters Wennigsen und der dortige Amtmann für den Konvent auf der<br />

<strong>eine</strong>n, der genannte Carl Heinrich Herbst auf der anderen Seite. Zu <strong>eine</strong>m Meierhof<br />

gehörte nicht nur das Ackerland, sondern ein ganzes Bündel von Nutzungsrechten, die<br />

zu Beginn des Briefes detailliert beschrieben werden. Sie setzen sich aus folgenden<br />

Elementen zusammen:<br />

195 Einen guten Überblick bietet neben WITTICH (1896), 19-72, die Festschrift zum 100jährigen<br />

Bestehen der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft in Celle: Königliche<br />

Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, S. 250-255, 398-404. Außerdem OBERSCHELP (1982),<br />

106-110.<br />

196<br />

WITTICH (1896), 3.<br />

197<br />

BODE (1910), 4.<br />

198<br />

OBERSCHELP (1982), 106 f.<br />

199 Zum Begriff siehe auch unten S. 60.<br />

200 Zur Entwicklung in Ostdeutschland jetzt die ältere Literatur zusammenfassend Kaak,<br />

Gutsherrschaft.<br />

201<br />

HAUPTMEYER, BEGEMANN (1992), Nr. 40.<br />

47


1. die Beschreibung des zum Hof gehörigen Landes, in diesem Fall 28 Morgen<br />

Ackerland und<br />

„<strong>eine</strong>n Theil in der Wull Wiese und 1 Wiese bei der Ahler See benebst 1 Garten am Hause und 1 kl.<br />

[<strong>eine</strong>n] Garten im Lindenfelde [und] 1 kl.[<strong>eine</strong>n] Garten am Hohenfelde so derselbe vom Lande und der<br />

Wanne gemacht, auch allen dazu gehörigen Recht- und Gerechtigkeiten im Felde, Holtze, Huede, Trifft<br />

und Weiden, nebst andern dazu gehörigen Pertinentzien 202 , in der Maaße, wie sein Vorwirth und deßen<br />

Vorfahren solches alles inne gehabt, genutzet und gebrauchet hat, auf Zeit s<strong>eine</strong>s Lebens hinwiederum<br />

eingethan und ihn damit bemeyert haben,“<br />

2. die Beschreibung der Auflagen, die für die Nutzung des Landes gelten, wobei diese<br />

Beschreibung sehr weitgehend und differenziert ist, wobei der zentrale Passus der ist,<br />

dass der Hof „in vollkommen gutem Stande“ gehalten werden soll:<br />

„dergestalt und also: dass er die Meyer-Stedde und deren Pertinentzien, in guter Aufsicht, Art, Gaile 203<br />

und Besamung halten, haußhälterisch gebrauchen, das geringste davon aber, ohne Unser Vorwissen und<br />

ausdrückliche Einwilligung, nicht verändern, beschweren, verkauffen, vertauschen, verpfänden, zur<br />

Abtheilung, Aussteuer, Mitgift, Leibzucht und Gegen-Vermächtnisse, es sey gäntzlich oder auf <strong>eine</strong><br />

Zeitlang, verschreiben, oder in einige andere Wege veräusern, noch Stellungs- oder Arts-weise andern<br />

Leuthen abtreten, und in fremde Hände kommen lassen, sondern vielmehr dasselbe beysammen verwahren<br />

und selbst cultiviren, sich auch mit allem Fleisse und Treue erkundigen, was etwa davon abkommen, und<br />

dass solches wieder herbeygebracht werde, auch ohne des Closters dabey ihm zu leistende Hülfe und<br />

Beystand, gebührend betreiben, und überhaupt den Hoff mit dessen Gebäuden, Zäunen, Inventarien-<br />

Stücken und Zubehörde in vollenkommenem gutem Stande erhalten solle,“<br />

3. Die Auflage, dass alle den Hof betreffenden Maßnahmen oder Verträge die<br />

Einwilligung, den Consens des Grundherrn, voraussetzen:<br />

„mit dem aus drücklichen Bedinge:dass das Meyerguth durch k<strong>eine</strong>rley Verträge und Contracte mit<br />

Schulden oder Abgifften ohne des Guhtsherren Einwilligung beschweret werde, gestalten dann nicht nur<br />

alle diejenige Schulden oder andere Verschreibungen, welche, ohne des Closters, als Guthsherrn, Consens,<br />

dem Hofe zur Last gemachet, übernommen und eingegangen seyn mögten, ohnedem von selbst null, nichtig<br />

und unkräftig, folglich ohne alle Verbindlichkeit seyn und bleiben, sondern auch so wenig deshalben, als<br />

wegen zu starker Beschwerung des Allodii 204 einige Remissiones 205 verlanget oder ertheilet werden sollen.“<br />

4. Und schließlich muss sich der Bauer zu besonderer Treue dem Grundherrn<br />

gegenüber verpflichten, wozu u.a. die regelmäßige Ablieferung der Abgaben gehört:<br />

„Ferner verspricht unser neuer Meyer Carl Hinrich Herbst Uns und Unserm Closter getreu und hold,<br />

daneben gehalten zu seyn, ausser dem bereits mit zehen Rthlr. entrichteten Weinkauffe, alljährlich um<br />

Michaelis an untadelicher marckgängiger Frucht und gebührender in hiesigen Landen eingeführten<br />

Braunschweigischen Maaße auf das Closter zu liefern …“<br />

Es war mithin alles genau geregelt, der Besitzstand ebenso festgeschrieben wie die<br />

Nutzungsrechte und die Tatsache, dass der Meier k<strong>eine</strong>rlei unternehmerischen<br />

Spielraum hatte. Er war kein eigenbehöriger Mann, aber dennoch ökonomisch kaum<br />

handlungsfähig. Für die Praxis waren indes nicht allein diese Bestimmungen, sondern<br />

die konkreten Kontrollmöglichkeiten des Grundherrn entscheidend.<br />

Der Bauer hatte für die ihm überlassenen Rechte Abgaben zu leisten, die im Falle<br />

des Carl Heinrich Herbst aus Getreideabgaben, Hühnern, Eiern und Geldabgaben<br />

bestanden. Den größten Posten bildeten die Getreideabgaben, es waren immerhin 2<br />

202 Nutzungsrechte.<br />

203 Düngung.<br />

204 Eigenbesitz.<br />

205 Nachlässe.<br />

48


Malter Roggen, 2 Malter Gerste und 3 Malter Hafer. Ein Malter Roggen hatte etwa das<br />

Gewicht von 120 kg, ein Malter Gerste wog ca. 105 kg, ein Malter Hafer 75 kg. 206 Der<br />

Hof hatte also jährlich etwa 240 kg Roggen, 210 kg Gerste und 225 kg Hafer zu<br />

entrichten. Geht man von <strong>eine</strong>m Rohertrag von 10 dt/ha aus, 207 so musste etwa die<br />

Ernte <strong>eine</strong>s ha oder knapp ein Sechstel des Ackerlandes für die Abgaben an den<br />

Grundherrn aufgewandt werden. Hinzu müssen aber die weiteren kl<strong>eine</strong>n Natural- und<br />

Geldabgaben, die Dienste sowie der Zehnte und schließlich die Leistungen an den<br />

Landesherrn und die Kirche berücksichtigt werden. Außerdem hatte der Bauer von<br />

den Erträgen des Landes das Saatgut für das nächste Jahr abzuzweigen. Der Meierbrief<br />

selbst kostete 10 Rtlr. Eine genauere Darstellung der ökonomischen Folgen der<br />

Abhängigkeit folgt unten S. )<br />

Der Meierbrief schloss mit weiteren Regularien, die den Bauern gegenüber dem<br />

Grundherrn auf <strong>eine</strong> Einhaltung der Vertragsbestimmungen verpflichteten.<br />

Andernfalls wurde <strong>eine</strong> Abmeierung angedroht.<br />

Solche Bestimmungen standen in engem Zusammenhang mit gesetzlichen<br />

Regelungen, die in den nordwestdeutschen Territorien seit dem Ende des<br />

16. Jahrhunderts erlassen worden waren. Als Teil übergreifender Regelungen wie<br />

Landtagsabschiede oder Polizeiordnungen bzw. von Einzelgesetzen wurde das<br />

Meierrecht näher definiert; erst im 18. Jahrhundert wurden komplette Meierordnungen<br />

realisiert, wenngleich nicht in allen Territorien. 208<br />

Als Beispiel für die gesetzlichen Regelungen, denen die Meierhöfe unterworfen<br />

waren, soll die Calenbergische Meierordnung vom 12. Mai 1772 in einigen wichtigen<br />

Auszügen vorgestellt werden. 209 Grundlegende Aussagen erfolgen schon im ersten<br />

Kapitel „Von der Beschaffenheit der Meyer-Güther“, woraus hervorgeht, dass bis zum<br />

Beweis des Gegenteils alle Bauernhöfe „es mögen Voll- oder Halbmeyer, Köther-Höfe<br />

oder Brinksitzer-Stellen seyn“ als Meiergüter gelten sollten. Das Meierrecht war also<br />

nicht auf die Klasse der Meier beschränkt, sondern betraf ebenfalls Kleinstellen wie<br />

Brinksitzer oder Straßensitzer. Unter Meiergütern wurden Höfe verstanden, „woran<br />

denen Guthsherren das Eigenthum, denen Meyern aber ein Erb-Pacht-Recht, unter der<br />

Bedingung zusteht, dass sie das Guth in gutem Stande erhalten, <strong>eine</strong>n jährlichen<br />

festgesetzten, und nicht zu erhöhenden Meyer-Zins richtig abtragen, und bey jeder<br />

Veränderung des Hauswirths, auch wo es hergebracht ist, des Gutsherren, gegen<br />

Bezahlung des Weinkaufs, 210 <strong>eine</strong>n neuen Meyer-Brief auslösen …“<br />

Art. 2 sicherte das Erbrecht des Meier für ihn und s<strong>eine</strong> Kinder auch dann, wenn<br />

der Meierbrief nicht auf Lebenszeit, sondern lediglich auf 9 oder 12 Jahre ausgestellt<br />

war. Geregelt wurde ebenfalls im ersten Kapitel, wie verfahren werden sollte, wenn ein<br />

Hof mehrere Grundherren hatte (derjenige, dem die höchsten Abgaben zustanden<br />

bzw. den Weinkauf vom Hof oder der Hofstätte erhielt). In den weiteren Kapiteln<br />

wurden die Regelungen für den Meierbrief und den Weinkauf, den Meierzins und die<br />

206 Nach ENGEL (1965), S. 9. Die Engelschen Angaben sind weit weniger präzise wie die<br />

anderer Autoren, dürften damit gerade deshalb realistischer sein. Über die vergeblichen<br />

Versuche des braunschweigischen Staates, einheitliche Hohlmaße durchzusetzen vgl.<br />

ALBRECHT (1980), XX.<br />

207 ACHILLES (1972a), 179 ff<br />

208 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 402-404. TURNER (1960); <strong>eine</strong>n guten<br />

Überblick der hannoverschen Gesetze bietet OPPERMANN (1861).<br />

209 Basis ist die gedruckte Fassung in NHStAH Hann. 74 Calenberg Nr. 470.<br />

210 Der Weinkauf hatte nichts mit dem Wein zu tun, sondern war <strong>eine</strong> Gebühr für den<br />

Vertragsabschluß.<br />

49


Remissionen (Abgabenreduzierungen), die Verhältnisse bei Besetzung, Veräußerung,<br />

Teilung oder Verpfändung, die Erbfolge und schließlich die Abmeierung näher<br />

bestimmt. Das Meierrecht ließ dem Bauern theoretisch <strong>eine</strong>n nur geringen<br />

Handlungsspielraum, sicherte aber bestimmte Nutzungsrechte und schützte ihn vor<br />

Willkür seitens s<strong>eine</strong>r Herren.<br />

Eng verbunden mit dem Meierrecht war das Anerbenrecht. Es beendete die<br />

Realteilung und damit die Aufteilung des Hofes unter mehrere erbberechtigte Kinder.<br />

Die Realteilung hatte vor 1550 zu <strong>eine</strong>r verstärkten Zersplitterung des bäuerlichen<br />

Besitzes geführt. Diese sollte nun durch das Anerbenrecht verhindert und damit der<br />

Bestand <strong>eine</strong>s leistungsfähigen Bauernstandes gesichert werden. 211<br />

Die Erbgewohnheiten wiesen <strong>eine</strong> große Vielfalt auf, wie ein Blick auf die seit 1815<br />

zum Königreich Hannover gehörenden Gebiete zeigt. Im Fürstentum Lüneburg hatte<br />

sich bei den Meiergütern das Erbrecht des ältesten Sohnes erst zu Beginn des<br />

18. Jahrhunderts durchgesetzt, ähnlich wie in der Grafschaft Hoya. Im Fürstentum<br />

Calenberg konnte nach der Meierordnung von 1772 dagegen der Meier s<strong>eine</strong>n<br />

Nachfolger selbst bestimmen. Ein solches Wahlrecht gab es auch im Fürstentum<br />

Hildesheim. In den Herzogtümern Bremen und Verden wiederum konnte der älteste<br />

oder der jüngste Sohn erben. In der Grafschaft Diepholz hatte sich das Erbrecht des<br />

jüngsten Sohnes durchgesetzt. Im Fürstentum Osnabrück legte zwar die<br />

Eigentumsordnung von 1722 ein Erbrecht des jüngsten Sohnes bzw. der Tochter fest,<br />

doch herrschte in manchen Kirchspielen das Ältestenrecht. In den Grafschaften<br />

Lingen und Bentheim erbte das jüngste bzw. älteste (Bentheim) Kind. Im Münsterland<br />

schließlich wählte der Gutsherr den Erben. Bei aller Vielfalt hatten die Söhne<br />

grundsätzlich Vorrang vor den Töchtern. Gab es k<strong>eine</strong> leiblichen Erben des Bauern, so<br />

fiel der Hof an den Grundherrn zurück (Heimfallsrecht). Dieser musste den Hof dann<br />

wieder an <strong>eine</strong>n anderen Bauern vergeben. Oft wurden hierfür Verwandte des<br />

bisherigen Bauern gewählt.<br />

Zu den wenigen niedersächsischen Gebieten, in denen die Realteilung seit dem<br />

Mittelalter beibehalten wurde, gehört das Eichsfeld. 212 Hier wurde beim Eintreten <strong>eine</strong>s<br />

Erbfalls der Hof nicht von <strong>eine</strong>m Anerben übernommen, der die weichenden Erben<br />

mit Geldzahlungen oder Sachleistungen abfand. Vielmehr wurde der Hof unter alle<br />

Erben aufgeteilt. Zwar gab es oft Ehelosigkeit, um so die Existenz des Hofes zu<br />

sichern und <strong>eine</strong> Teilung zu verhindern, aber schon im 18. Jahrhundert fand die<br />

Realteilung immer häufigere Anwendung. Die Folge war <strong>eine</strong> Flurzersplitterung, wie sie<br />

in k<strong>eine</strong>r anderen niedersächsischen Landschaft jemals aufgetreten ist. Als Beispiel<br />

kann dabei die Flur von Werxhausen dienen, die schon im Jahre 1746 in 1560 Parzellen<br />

aufgeteilt war, die auf 115 Stelleninhaber entfielen. Drei Viertel aller Stelleninhaber<br />

besaßen weniger als <strong>eine</strong>n Morgen Ackerland. Doch nicht genug damit, fast die Hälfte<br />

der Gemarkung stand nicht den Einwohnern zur Verfügung, sondern gehörte dem<br />

Duderstädter Stadtgut.<br />

c) Zins- und Erbzinsrechte, Hägerrecht<br />

Ein geteiltes Besitzrecht zwischen dem Grundherrn als Obereigentümer (dominium<br />

directum) und dem Bauern als Untereigentümer (dominium utile) war das Zins- oder<br />

211 BISCHOFF (1966). Siehe auch den Überblick bei Königliche Landwirtschaftsgesellschaft<br />

(1864), S. 250-255.<br />

212 Zur Situation des Eichsfelds im 19. Jahrhundert: SCHNIER, SCHULZ-GREVE U.A. (1990).<br />

50


Erbzinsrecht (Emphyteuse). Der Bauer war zu bestimmten Abgaben an den<br />

Grundherrn verpflichtet (Erbzins), konnte jedoch ursprünglich frei über das<br />

Erbzinsland verfügen. Um 1600 wurden diese freien Verfügungsrechte eingeschränkt,<br />

die Bauern durften danach ihre Erbzinsgüter nicht mehr frei veräußern. 213 Im mittleren<br />

Niedersachsen waren allerdings meist nur kl<strong>eine</strong>re Grundstücke zu Erbzinsrecht<br />

ausgetan.<br />

Größere Bedeutung hatte das Hägerrecht. Es entstammte der Rodungsphase des<br />

Hochmittelalters und fand sich in den Rodungsdörfern (Namensendung auf -hagen<br />

oder -rode, aber auch andere Endungen möglich). Hägerland oder Erbland war meist<br />

nur gering mit Grundabgaben belastet und konnte frei vererbt werden. Zudem waren<br />

die Häger freie Leute, während die Masse der anderen Bauern noch hörig war. 214<br />

Verbunden mit dem Hägerrecht war übrigens häufig <strong>eine</strong> spezielle Flur- und<br />

Siedlungsform, khs: hier Querverweis? sowie die Namens für die Orte auf -hagen.<br />

d) Eigenbehörigkeit<br />

Während im östlichen Niedersachsen die Eigenbehörigkeit schon im 15. Jahrhundert<br />

weitgehend aufgelöst worden war, hielt sie sich im westliche Niedersachsen noch bis in<br />

das 19. Jahrhundert. 215 Gebiete mit Eigenbehörigkeit waren Osnabrück, Arenberg-<br />

Meppen, Lingen, Bentheim, Diepholz, Teile von Hoya sowie einige Calenbergische<br />

Ortschaften (Loccum, Vogtei Lachem), außerdem einige Dörfer im Schaumburgischen.<br />

Wichtige Grundzüge der Eigenbehörigkeit lassen sich an der der Osnabrückischen<br />

Eigentumsordnung ablesen. 216 Es waren „nicht allein die ‚eigenen Höfe’ und die zu<br />

denselben gehörenden Grundstücke im Eigenthume des Gutsherrn, wie solches auch<br />

bei dem Meierrechte der Fall ist, sondern auch die Besitzer der Höfe selbst und deren<br />

Nachkommen … Eigenthum des Gutsherrn. Ohne s<strong>eine</strong> Bewilligung konnte der<br />

Besitz <strong>eine</strong>r eigenbehörigen Stelle nicht übertragen werden, dabei mußten nicht nur<br />

Antrittsgelder, Laudemien, Auffahrten oder Weinkauf entrichtet werden, sondern der<br />

Gutsherr ließ auch auf s<strong>eine</strong> Stellen k<strong>eine</strong> neuen Wirthe oder Wirthinnen kommen,<br />

wenn sie nicht s<strong>eine</strong> Leibeigenen waren oder sich ihm zu leibeigen gaben.“ 217<br />

Die Abgaben waren im übrigen nicht festgelegt, so dass sie der Grundherr bei<br />

Übergabe des Hofes neu festlegen konnte. In Osnabrück durfte der Leibherr bei Tod<br />

des Eigenbehörigen die Hälfte des Vermögens einziehen, Prozesse gegen den<br />

Leibherrn konnte der Bauer nur aus s<strong>eine</strong>n eigenen Mitteln führen, nicht aus denen der<br />

Stelle. Insgesamt 21 Gründe zur Abmeierung nannte die Eigentumsordnung, wobei<br />

das Herunterwirtschaften der Stelle und das Verweigern von Abgaben am<br />

bedeutsamsten waren. Die Festschrift der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft<br />

kommentierte 1864 diesen Zustand mit den Worten:<br />

213 Herzog Heinrich Julii Constitution wegen verbotener Alienation der Lehn-, Erben-Zins-<br />

und Meier-Güter; 1598, April 3. In: OPPERMANN (1861), S.1 f.<br />

214 BLOHM (1943).<br />

215 Darstellung der Eigenbehörigkeit bei REINDERS-DÜSELDER (1995), 155-166; für Schaumburg<br />

SCHNEIDER (1994), 1, S. XX; Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 398-401.<br />

216 Hier nach Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 399; siehe auch KLOENTRUP<br />

(1798-1800), I, 290-308; HIRSCHFELDER (1971), 89-95 und öfter.<br />

217 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 399.<br />

51


„Es wird wohl k<strong>eine</strong>r weiteren Ausführung bedürfen, dass aus solchen Verhältnissen viele<br />

Streitigkeiten entspringen mußten, und dass dabei <strong>eine</strong> Zunahme des Wohlstandes und ein<br />

Fortschritt in der Bewirthschaftung der eigenbehörigen Stellen schwerlich möglich war.“ 218<br />

Die Eigenbehörigkeit war, das geht aus den beschriebenen Verhältnissen auch<br />

hervor, immer an <strong>eine</strong>n Hof gebunden, doch konnten Grundherr und Leibherr<br />

unterschiedliche Personen sein. In jedem Fall musste sich ein aufheiratender, freier<br />

Partner in die Eigenbehörigkeit begeben. Die Eigenbehörigkeit bedeutete für den<br />

Bauern und s<strong>eine</strong> Familie <strong>eine</strong> entscheidende Einschränkung der persönlichen Freiheit.<br />

Ohne Zustimmung (Konsens) des Leibherrn konnte ein Eigenbehöriger weder<br />

heiraten noch vom Hof ziehen. 219 Erwerb von Eigentum (Allod) war zwar möglich,<br />

doch standen dem Leibherrn speziell in Westniedersachsen bzw. in den westfälischen<br />

Gebieten teilweise erhebliche Anteile am Erbe des Eigenbehörigen zu. Einschneidend<br />

konnten sich Sterbfallabgaben bei Tod <strong>eine</strong>s oder <strong>eine</strong>r Eigenbehörigen auswirken.<br />

Besthaupt, Bestkleid oder Bestpferd, die in den mittleren Teilen Niedersachsens<br />

gefordert wurden, ersch<strong>eine</strong>n gering im Vergleich zu den hohen Abgaben in<br />

Osnabrück, die bis zur Hälfte des Privatvermögens des Toten betragen konnten, mit<br />

einschneidenden ökonomischen Folgen verbunden war: „Der Hof konnte schnell<br />

verschulden und in Not geraten, wenn die Todesfälle in der Familie rasch aufeinander<br />

folgten.“ 220<br />

e) Zehntherrschaft<br />

Neben der Grundherrschaft bildete die Zehntherrschaft <strong>eine</strong> drückende und deshalb<br />

verhasste Belastung. Ursprünglich war der Zehnt <strong>eine</strong> rein kirchliche Abgabe gewesen.<br />

Schon früh kam er auch in den Besitz des Landesherrn, der ihn s<strong>eine</strong>rseits oft<br />

wiederverkaufte, verschenkte oder als Lehen an Adelige vergab. 221 Es wurde zwischen<br />

dem großen Getreidezehnten und dem kl<strong>eine</strong>n, dem Fleischzehnten, unterschieden,<br />

jedoch dürfte letzterer nur selten eingefordert worden sein. Die Zehntherrschaft lag im<br />

Gegensatz zu den meisten anderen herrschaftlichen Rechten in der Regel geschlossen<br />

auf der gesamten zehntpflichtigen Flur <strong>eine</strong>s Dorfes; daneben gab es auch immer noch<br />

kl<strong>eine</strong>re zehntfreie Grundstücke. Zehntpflichtiges Land war also doppelt belastet: über<br />

die Grundherrschaft mit den entsprechenden Abgaben und die Zehntherrschaft.<br />

Zehntherren waren in der frühen Neuzeit die gleichen Herren, die auch Grundherren<br />

sein konnten, also der Landesherr, die Kirche, Adelige und auch Bürgerliche.<br />

In den einzelnen Territorien hatte das Zehntrecht <strong>eine</strong> unterschiedliche Ausprägung<br />

gefunden, die anhand einiger Beispiele erläutert werden soll. 222 Die auch für das<br />

Fürstentum Göttingen geltende Calenberger Zehntordnung von 1709 schrieb vor,<br />

„dass von aller und jeder in der Zehntflur belegener Länderei, es mag darauf, über oder unter der<br />

Erde gewachsen sein, was da wolle, der Zehnte gegeben werden muß, und wer die Zehntfreiheit <strong>eine</strong>s<br />

Grundstücks in Anspruch nimmt, der soll beweisen, dass entweder der Zehntherr solche<br />

218 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 400.<br />

219 Das Konsensrecht betraf im Osnabrückischen alle Rechtsgeschäfte von Eigenbehörigen,<br />

„die sich zum Nachteil des Hofes auswirken konnten“, größte Bedeutung erlangte es bei<br />

Krediten; HIRSCHFELDER (1971), 89 f.<br />

220 HIRSCHFELDER (1971), 152.<br />

221 Dazu als regionales Beispiel HIRSCHFELDER (1971), S. 164-167. Siehe allgemein OBERSCHELP<br />

(1982), 113-116.<br />

222 Nach Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 382-390.<br />

52


zugestanden, oder dass innerhalb 40 Jahren von solchem Stücke, wenn es besäet gewesen, kein<br />

Zehnten gegeben worden ist.“<br />

Für Brachland und die beim Pflügen notwendigen Wendeflächen galten besondere<br />

Regeln:<br />

„Der Zehnten von den in die Brache gesäeten oder gepflanzten Früchten, welche nach und nach<br />

eingeerndtet werden, Kohl, Rüben, Wurzeln usw. soll mit Geld bezahlt werden. Lassen die<br />

Zehntpflichtigen von dem zehntpflichtigen Lande über 8 bis 10 Fuß breite Wendungen unbestellt<br />

zur Weide liegen, so sollen sie dem Zehntherrn Entschädigung zahlen.“<br />

Neben der r<strong>eine</strong>n Belastung durch die Abgabe wirkten sich die vielfältigen<br />

Beschränkungen der Wirtschaftsführung behindernd aus:<br />

„Zehntpflichtige Ländereien dürfen nur mit der Genehmigung des Zehntherrn und der Hude-<br />

Interessenten zu Gärten, Wiesen, Weiden oder Holzungen umgewandelt werden. Aus Neubrüchen<br />

ist der Zehnten an den Grundherrn zu entrichten. Unzeitiges Abhüten oder Abschneiden der Saat<br />

ist verboten. Wenn außer dem Zehnten noch die 3. oder 4. Garbe (Theilkorn) zu entrichten (384)<br />

ist, soll zunächst der Zehnten und dann das Theilkorn gezogen werden, … Es dürfen nur Hocken<br />

oder Haufen von 10 oder 20, oder wo die 11. Garbe gezogen wird, von 11 oder 22 Garben gebildet<br />

werden. … Der Mißbrauch, dass Schnitter und Binder als Lohn für ihre Arbeit Garben erhalten<br />

und solche mit nach Hause nehmen, ehe der Zehnten davon gezogen worden ist, sowie dass den<br />

Kindbetterinnen einige Garben freigelassen werden, soll nicht Statt haben.“ 223<br />

Einschneidend für die bäuerliche Wirtschaftsführung war demnach nicht nur die<br />

Höhe des Zehntens, sondern in gleichem Maße auch die Modalitäten des Einziehens,<br />

denn die Bauern mussten dem Zehntherrn ansagen, „wann die Früchte gebunden,<br />

geschockt und trocken sind“, danach hatten sie bis zu <strong>eine</strong>n Tag zu warten, ehe sie ihre<br />

Ernte einfahren durften, um dem Zehntherrn Gelegenheit zu geben, s<strong>eine</strong>n Zehnten<br />

zu „ziehen“.<br />

Vergleichbare Bestimmungen sahen die anderen niedersächsischen Zehntordnungen<br />

vor. Ihnen allen gemeinsam waren die weit reichenden Rechte der Zehntherren, auch<br />

die Tatsache, dass beim Getreidezehnten meist die gesamte Feldmark <strong>eine</strong>s Dorfes<br />

pflichtig war und nur einzelne Feldstücken ausgenommen waren. Brach- und<br />

Gartenfrüchten unterlagen durchweg ebenfalls dem Zehntrecht.<br />

Beim Fleischzehnt gab es unterschiedliche Gewohnheiten:<br />

„In der Regel sind Pferde und Kühe angeschrieben und von <strong>eine</strong>m Jahre dem andern zugezählt, das<br />

Vieh hat ‘auf der Schrift’ gestanden, bis zehn Stück voll gewesen, worauf ein Stück als Zehnten<br />

abgegeben oder mit Geld bezahlt ist. Von dem kl<strong>eine</strong>n Vieh und den Immen ist der Zehnten<br />

alljährlich gezogen.“<br />

Die Zehntpflichtigkeit bildete zwar die Regel, es gab jedoch Ausnahmen: im<br />

Wendland, im Amt Neuhaus und im Boldeckerland fehlte sie, ebenfalls in den<br />

Marschen. 224 In Osnabrück wurde der Zehnt schon relativ früh durch Geldrenten<br />

ersetzt. In einigen Gebieten des Herzogtums Arenberg-Meppen, in den Grafschaften<br />

Bentheim und Lingen lag der Zehnt lediglich auf den älteren Teilen der Feldmark. Im<br />

Hümmling sollen „nur einige Ortschaften zehntpflichtig gewesen“ 225 sein. Ostfriesland<br />

(mit Ausnahme einiger Orte im Amt Leer) und der Oberharz kannten ebenfalls k<strong>eine</strong>n<br />

Zehnt.<br />

Im Laufe des 18. Jahrhunderts gingen die Bauern dazu über, den Zehnt für <strong>eine</strong><br />

gegen <strong>eine</strong> feste Geldsumme zu pachten, so dass die Behinderungen durch den<br />

223 [=274 - Königliche 1864 Festschrift zur Säcu...=], 2, 382-384.<br />

224 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 390.<br />

225 Ebd.<br />

53


Zehntzug fortfielen. 226 Andererseits wurde der Zehnt an Dritte gern verpachtet, etwa<br />

an Bürger. 227<br />

f) Dienstwesen<br />

Neben den grundherrlichen Abgaben, denjenigen, die aus der Eigenbehörigkeit<br />

entstammten sowie dem Zehnt sind schließlich noch die Dienste als eigene Form der<br />

Belastung hervorzuheben. Das Dienstwesen gehört ohne Zweifel zu den komplexen<br />

Folgen bäuerlicher Abhängigkeit, es konnte <strong>eine</strong> erhebliche Belastung darstellen und es<br />

entzieht sich <strong>eine</strong>r einfachen Systematisierung. 228 Die Festschrift der Königlichen<br />

Landwirtschaftsgesellschaft unterteilte sie 1864 in öffentliche und private Dienste,<br />

wobei die öffentlichen wie folgt beschrieben wurden:<br />

„Zu den ersteren gehören zunächst die Hoheitsdienste, welche von Seiten der Regierung zu öffentlichen<br />

Zwecken gefordert werden können, namentlich die Landfolgen zur Nothhülfe in gem<strong>eine</strong>r Gefahr behuf<br />

Besserung der öffentlichen Wege, zu Arrestanten- und Krankenfuhren behuf Fortschaffung von Personen<br />

und Gegenständen zu militärischen Zwecken, die hohe Jagdfolge behuf Erlegung des zu Schaden gehenden<br />

Wildes und der Raubtiere, die Gefangenenwachen, Briefträgerdienste usw. …“<br />

Davon unterschieden wurden die Privatdienste, die auch als Herrendienste oder<br />

Frondienste bezeichnet wurden. Hierbei handelte es sich vorwiegend um<br />

landwirtschaftliche Arbeiten, die zur Bestellung großer Eigenwirtschaften (Vorwerke)<br />

von Adeligen oder des Landesherrn dienten:<br />

Die zu Privatzwecken zu leistenden Dienste sind von den Besitzern der berechtigten Domainen,<br />

Güter und Höfe zu leisten, werden unter dem Namen gutsherrliche oder Herrendienste begriffen<br />

und stehen in näherer oder fernerer Beziehung zu den berechtigten Grundstücken und deren<br />

Bewirtschaftung. Sie werden verwendet zu der Bestellung des Ackers, zum Mistfahren, Pflügen und<br />

Eggen, zum Mähen, Binden und Einfahren der Früchte, zum Mähen der Wiesen und zum<br />

Trocknen und Einfahren des Heues, zum Dreschen, zu Gartenarbeiten, zum Ausbringen der<br />

Ställe und Reinigen der Höfe, zu Wege- und Grabenarbeiten, zum Torfstechen sowie zum<br />

Trocknen und Einfahren des Torfs, zum Holzanfahren, Holzhauen, Schaafscheren,<br />

Flachsreinigen, Spinnen, usw., ferner bei dem Neubau und der Reparatur der Gebäude,<br />

Befriedigungen und Brücken (Burgvestdienste), in den Forsten und behuf der Jagd, zu Reisen,<br />

Marktfuhren, Botendiensten usw. Es gibt wohl k<strong>eine</strong> in <strong>eine</strong>m Landhaushalte gewöhnlich<br />

vorkommende Arbeit, zu welcher die gutsherrlichen Dienste nicht benutzt worden sind.“ 229<br />

Gleich, ob es sich um öffentliche oder private Dienste handelte, es wurde in jedem Fall<br />

ein breites Spektrum von Arbeiten verrichtet, wobei landwirtschaftliche Tätigkeiten bei<br />

den privaten Diensten überwogen. Dienste waren nach Bedarf zu leisten, <strong>eine</strong><br />

ungleiche Behandlung der Dienstpflichtigen sollte vermieden werden. Unterschieden<br />

wurde nach Spanndiensten und Handdiensten, wobei lediglich die größeren Höfe<br />

(Meier, teilweise auch große Kötnerbetriebe) zu Spanndiensten herangezogen wurden.<br />

Die Klassifizierung der Höfe folgte entsprechend den schon erwähnten Hofklassen:<br />

226 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 392.<br />

227 OBERSCHELP (1982), 113.<br />

228 Wieder wird hier auf die Festschrift der königlichen Landwirtschaftsgesellschaft<br />

zurückgegriffen, die den besten Überblick bietet (Königliche Landwirtschaftsgesellschaft<br />

(1864), 2, 362-367.) Außerdem die ältere Literatur zusammenfassend: OBERSCHELP<br />

(1982), 116-119.<br />

229 Ebd., 363.<br />

54


„Von den bespannten Dienstpflichtigen leistet in der Regel ein Halbmeier, Vollspänner oder<br />

Ackermann das Doppelte <strong>eine</strong>s Halbmeiers, Halbspänners oder Halbackerhofes, sowie von den<br />

Handdienstpflichtigen der Vollköthner doppelt so viel zu leisten hat als der Halbköthner.“ Weitere<br />

Unterscheidungen betrafen die Tatsache, ob die Dienste in ihrem Umfang genau festgelegt, gemessen,<br />

waren oder nicht (ungemessen waren). Bei sogenannten Reihediensten wurden die Pflichtigen der<br />

Reihe nach herangezogen. Selbst An- und Abbauer sowie Häuslinge hatten für die Überlassung<br />

von Hausgrundstücken Dienste zu leisten.<br />

Im Fürstentum Calenberg, dem Fürstbistum Hildesheim sowie den Grafschaften<br />

Hoya und Diepholz gab es nur sehr wenige Ausnahmen von der Dienstpflicht. Die<br />

Hildesheimische Dienstordnung von 1773 bestimmte, „dass der gewöhnliche<br />

wöchentliche Reihedienst <strong>eine</strong>s Halbspänners in <strong>eine</strong>m und <strong>eine</strong>s Vollspänners in zwei<br />

Spanndiensttagen, der <strong>eine</strong>s Kothsassen aber in zwei Handdiensttagen“ bestand. Für<br />

die in <strong>eine</strong>r Woche nicht abgeleisteten Dienste wurde ein festgesetztes Dienstgeld<br />

bezahlt. 230 Laut Dienstordnung mussten Dienste im Winter tags zuvor bis 4 Uhr, im<br />

Sommer bis 6 Uhr angemeldet werden.<br />

„Ungehorsame Dienstpflichtige kann der Dienstherr, wenn er mit den Gerichten versehen ist 231 , zu<br />

ihrer Schuldigkeit anhalten, vorerst sie auspfänden und bei beharrlicher Widersetzlichkeit mit dem<br />

‘Gehorsam’ oder Gefängniß bestrafen.“ 232<br />

Die während des Dienstes zu leistenden Arbeiten, deren Dauer und weitere<br />

Modalitäten waren zwar definiert, jedoch lässt sich nicht immer exakt sagen, ob sie in<br />

dieser Form auch geleistet wurden. Problematisch dürfte die Trennung von privaten<br />

und öffentlichen Diensten gewesen sein, denn manch ein Amtmann wird nicht der<br />

Versuchung widerstanden haben, öffentliche Landfolgedienste für s<strong>eine</strong> Privatzwecke<br />

zu verwenden.<br />

Die Diensthöhen waren bei den Ackerdiensten immer je Woche festgelegt; wurde<br />

die Arbeit in dieser Zeit nicht verlangt, so musste statt dessen ein Dienstgeld bezahlt<br />

werden, welches in Hildesheim 9 Mgr. je Spanntag und 1 Ggr. 233 je Handtag betrug. Die<br />

Überprüfung der Dienstleistung erfolgte mittels Dienstbücher oder Kerbhölzer.<br />

Bei den Diensten gab es regionale Unterschiede. In Ostfriesland herrschte<br />

Dienstfreiheit, in den Grafschaften Bentheim, Lingen und dem Herzogtum Arenberg-<br />

Meppen bestand dagegen die Dienstpflicht. Im Fürstentum Osnabrück waren die<br />

eigenbehörigen Stellen zu Diensten verpflichtet, nicht jedoch die übrigen. Im Amt<br />

Grönenberg standen insgesamt 741 eigenbehörigen Kolonaten (Höfen) des<br />

Landesherrn, der Rittergüter, der säkularisierten Klöster und der Geistlichkeit 541 freie<br />

und schatzpflichtige Höfe gegenüber. 234 Die Osnabrückische Eigentumsordnung von<br />

1722 regelt im Kapitel XIII die Dienste, die u.a. nach dem Herkommen geleistet und<br />

nicht verändert werden durften. Hier gab es auch den Zwangsgesindedienst für die<br />

Kinder der Bauern, die nach ihrer Konfirmation ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr<br />

beim Gutsherrn umsonst zu dienen hatten und anschließend noch weitere sieben Jahre<br />

dort zum Dienst gezwungen werden konnten. 235<br />

„Wenn <strong>eine</strong> eigenbehörige Person, Knecht oder Magd, ‘des Eigenthums oder desselben Schuldigkeit<br />

sich entziehen wollte’, so stand dem Gutsherrn die actio confession wider dieselbe zu. Bezeigte<br />

230 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 364.<br />

231 Dies bedeutete, dass er gleichzeitig die Gerichtsherrschaft innehatte.<br />

232 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 364.<br />

233 Gute Groschen, siehe Glossar.<br />

234 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 366.<br />

235 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 2, 367.<br />

55


sie sich widersetzlich, so war dem Gutsherrn die levis coercitio, castigatio und custodia<br />

gestattet, worunter nach Cap. XIV, § 1 zu verstehen sein wird, dass er dieselbe längstens auf<br />

zweimal 24 Stunden zur Verwahrung zu bringen und mit Wasser und Brod zu speise befugt<br />

war.“ 236<br />

Das letzte Zitat weist darauf hin, dass die Dienstpflicht gewiss zu den<br />

problematischen Rechten gehörte. In Osnabrück wurden die Diensthöhen im<br />

17. Jahrhundert nach dem Herkommen geleistet, was dazu führte, dass Vollhöfe<br />

(Vollerben) mit der Hand, Markkötter aber mit dem Spann dienen mussten, wenn sich<br />

in jüngerer Zeit ihre Betriebsgröße deutlich verändert hatte. Im 17. Jahrhundert waren<br />

alle Dienste gemessen, im 18. Jahrhundert dagegen kam es zu <strong>eine</strong>r Zunahme der für<br />

den Dienstherrn günstigeren ungemessenen Dienste. 237 Die Dienstherren, gleich ob es<br />

sich um den Landesherrn oder die privaten Grundherren handelte, waren bemüht „sich<br />

möglichst viele Dienste in natura zu sichern und sie nach Möglichkeit an Umfang zu<br />

vergrößern“ 238 . Für die Pflichtigen waren die Dienste mit vielen Belastungen<br />

verbunden: die Meier mussten teilweise ein eigenes Pferdegespann mit Wagen für den<br />

Dienst vorhalten, während für die Handdienste meist nicht der Bauer arbeitete,<br />

sondern Tagelöhner aus dem Dorf. Insbesondere in Erntezeiten waren die Dienste in<br />

besonderem Maße nachteilig, da jetzt auf dem Hof alle verfügbaren Kräfte benötigt<br />

wurden, jedoch der Dienstherr ebenfalls alle vorhandenen Diensttage abforderte. Das<br />

war insofern doppelt nachteilig, weil es spezielle Erntedienste gab, die Dienstbelastung<br />

also gerade in dieser wichtigen Phase des landwirtschaftlichen Jahres noch höher lag als<br />

üblich. Deshalb bevorzugten die Pflichtigen die Zahlung <strong>eine</strong>s Dienstgeldes, um den<br />

betriebswirtschaftlichen Nachteilen entgehen zu können. Häufig wurden nicht alle<br />

Dienste benötigt, so dass der „Überschuss“ an Dritte verpachtet wurde. 239<br />

Zwar kannte das Dienstwesen k<strong>eine</strong> willkürlichen Maßnahmen, sondern folgte<br />

bestimmten Regeln, aber der Dienstherr hatte derart genug Auslegungsmöglichkeiten,<br />

um s<strong>eine</strong> Interessen durchsetzen zu können. Andererseits konnten sich die Bauern<br />

durch nachlässige und langsame Verrichtung der Arbeit in gewissen Grenzen dagegen<br />

wehren.<br />

Dienste waren gewiss unrentabel und konfliktfördernd, stellten aber aus der Sicht<br />

der Empfänger lange Zeit <strong>eine</strong> leicht zu handhabende Form der Nutzung bäuerlicher<br />

Arbeitskraft dar.<br />

g) Gerichtsherrschaft<br />

Seit dem späten Mittelalter begann sich die Landesherrschaft zu stabilisieren; sie wurde<br />

institutionalisiert und allmählich auch territorialisiert. 240 Gleichwohl hielten sich viele<br />

personelle, nicht raumbezogene Elemente von Herrschaft, wie etwa in der<br />

Gerichtsherrschaft. 241 Der Landesherr konkurrierte in diesem Bereich mit anderen<br />

Herrschaftsträgern und konnte sie erst in <strong>eine</strong>m langen Prozess nach und nach<br />

verdrängen.<br />

236 Ebd.<br />

237HIRSCHFELDER (1971), 117 f. Allgemein zu den Diensten in Osnabrück: ders., 120-140;<br />

WINKLER (1959), 43-55.<br />

238<br />

WINKLER (1959), 52 ff.<br />

239<br />

HIRSCHFELDER (1971), 130-132.<br />

240 Dazu jetzt zusammenfassend für Niedersachsen HUCKER, SCHUBERT, WEISBROD (1997), 783-<br />

785. Sollte sein: Schubert, Niedersachsen ?? XX<br />

241<br />

BOETTICHER (1992). Khs: reicht das?<br />

56


Oft waren die Gerichtsherren zugleich Grundherren der jweiligen Bauern und<br />

wurden dann als Gutsherren bezeichnet. Es liegt auf der Hand, dass diese<br />

Kombination dem Grundherrn besondere Möglichkeiten gegenüber s<strong>eine</strong>n Bauern<br />

gab. Es ist allerdings ein Kennzeichen der niedersächsischen Agrarverfassung, dass<br />

solche Verhältnisse nicht überwogen. Selbst dort, wo von Gutsherren die Rede war,<br />

handelte es sich nicht um Gutsherren im Sinne weit reichender Herrschaftsrechte wie<br />

in einigen ostelbischen, gutsherrschaftlichen Gebieten, wo alle Herrschaftsrechte<br />

(Grund-, Leib-, Gerichtsherr) in der Hand <strong>eine</strong>s Herrn vereinigt waren, der zudem<br />

über geschlossene Herrschaftsgebiete verfügte.<br />

Dem Gerichtsherrn standen Gebühren für bestimmte regelmäßig zu erbringende<br />

Leistungen, Gerichtsdienste außerdem Gebühren (Sporteln) für die Inanspruchnahme<br />

des Gerichtsherrn und natürlich Strafgelder (Brüche) zu. Was die Gerichtsherrschaft<br />

von anderen Herrschaftsrechten auszeichnete, war ihre Koppelung mit den Diensten.<br />

Es scheint durchgängig so gewesen zu sein, dass dem Gerichtsherrn, nicht dem<br />

Grundherrn die Leistung von bäuerlichen Diensten zustand.<br />

2. Die Ag rar verfassung im Spannungsfeld zwischen<br />

Gr undher ren und Landesher ren<br />

Die Gerichtsherrschaft verweist auf die herausragende Stellung, die der Landesherr<br />

unter den Herrschaftsträgern einnahm. In der älteren Forschung wurden die weit<br />

reichenden, noch zu skizzierenden Eingriffe der nordwestdeutschen Landesherren in<br />

die grundherrlichen Rechte hervorgehoben und als „Bauernschutz“ bezeichnet. Diese<br />

Wertschätzung des niedersächsischen „Bauernschutzes“ resultierte nicht zuletzt aus<br />

dem Vergleich mit den ostelbischen Verhältnissen, wo sich im 15. und 16. Jahrhundert<br />

der Übergang zur modernen Gutsherrschaft mit <strong>eine</strong>r drastischen Einschränkung<br />

bäuerlicher Rechte vollzog. 242 Insofern war es durchaus nahe liegend, wenn Werner<br />

Wittich sein ursprüngliches Thema, die hannoverschen Agrarreformen, deshalb nur<br />

kursorisch behandelte, weil er meinte, dass die wesentlichen Entwicklungen im<br />

16. Jahrhundert mit der Durchsetzung des Bauernschutzes stattfanden. 243 Allerdings<br />

sollten Feststellungen dieser Art nicht überbewertet werden, denn inzwischen wissen<br />

wir, dass die Entwicklung auch in Nordwestdeutschland wesentlich komplexer verlief.<br />

Zudem erfolgte der Bauernschutz k<strong>eine</strong>swegs uneigennützig, sondern sollte die<br />

Einnahmen des Landesherrn absichern. 244<br />

Werner Wittich begann s<strong>eine</strong> Darstellung nicht zufällig mit <strong>eine</strong>m Kapitel über<br />

„Grundherrschaft und Rittergut in Niedersachsen“. 245 Damit verwies er auf den engen<br />

Zusammenhang <strong>eine</strong>s „mit Privilegien oder Herrschaftsrechten versehenen<br />

Grundbesitz(es)“ 246 mit der rechtlichen Situation der bäuerlichen Bevölkerung hin. Die<br />

Einbindung der grundherrlich gebundenen Bevölkerung in ein komplexes System<br />

personaler Abhängigkeit blieb grundsätzlich bis in das 19. Jahrhundert hinein bestehen,<br />

besaß regionale Unterschiede und <strong>eine</strong> gewisse, noch darzustellende Entwicklung.<br />

242 Neuester Forschungsüberblick bei KAAK (1991).<br />

243 WITTICH (1896), VIII.<br />

244 HAUPTMEYER (1997), 1128.<br />

245 WITTICH (1896), 1-12.<br />

246 WITTICH (1896), 1.<br />

57


Das 16. Jahrhundert war <strong>eine</strong> Phase starken ökonomischen und demographischen<br />

Wandels. 247 Die nach der Stagnationsphase des 15. Jahrhunderts schnell wachsende<br />

Bevölkerung war ein wichtiges Element <strong>eine</strong>r allgem<strong>eine</strong>n Aufschwungphase.<br />

Kennzeichen dieser Aufschwungphase waren u.a. stark steigende Getreidepreise<br />

aufgrund der zunehmenden Nachfrage nach Getreide und daraus resultierend <strong>eine</strong><br />

verstärkte Förderung der Landwirtschaft, <strong>eine</strong> Zunahme des Großbetriebs und <strong>eine</strong><br />

regionale Differenzierung der Produktion. 248 Die Tendenz zum Großbetrieb war zwar<br />

in Ostdeutschland am stärksten ausgeprägt, lässt sich aber auch in Niedersachsen<br />

beobachten. 249 Wenig bekannt sind die Ansätze zur Herausbildung landwirtschaftlicher<br />

Großbetriebe in niedersächsischen und westfälischen Gebieten, die sowohl vom Adel<br />

als auch vom Landesherrn getragen wurden. 250 Durch das Aufkaufen von Bauernhöfen<br />

entstanden etwa im Calenbergischen bei Hannover mehrere Rittergüter aus bisherigen<br />

Bauernhöfen oder wüsten Fluren. 251 Vergleichbare Entwicklungen lassen sich in<br />

anderen Territorien beobachten. 252 Für den Weserraum bildeten die infolge der hohen<br />

Agrarpreise gestiegenen Einnahmen die Basis für teilweise erhebliche Einkommen<br />

adeliger Haushalte. 253 Allerdings blieb es in Niedersachsen bei Ansätzen, die im 17. und<br />

18. Jahrhundert sogar teilweise zurückgenommen wurden. 254<br />

Adel und Landesherren suchten durch das Aufkaufen bzw. Einziehen von<br />

Bauernland die Voraussetzung für eigene, von Bauern zu bewirtschaftende<br />

Großbetriebe zu schaffen, um die Einnahmen zu erhöhen, was insbesondere für die<br />

Landesherren angesichts steigender Ausgaben auch dringend nötig war. 255 Die<br />

Steigerung der Domäneneinnahmen durch <strong>eine</strong> Vergrößerung der landesherrlichen<br />

Eigenbetriebe und <strong>eine</strong> Intensivierung der Produktion stellten also die Antwort auf<br />

zunehmende Finanzprobleme dar. Bis in das 18. Jahrhundert galten die<br />

Domäneneinnahmen immerhin als die zentrale Finanzierungsquelle des Staates. Somit<br />

waren auch Einnahmen aus der Grundherrschaft oder Leibherrschaft steuerliche<br />

Leistungen. 256 Mit der Zunahme landesherrlicher Aufgaben zeigte sich, dass die<br />

bisherigen Einnahmen aus der Domäne und den landesherrlichen Regalien<br />

unzureichend waren. Ein Weg der Geldbeschaffung bildete die Verpfändung von<br />

landesherrlichen Einkünften, insbesondere von Ämtern und Schlössern. 257 Dieser Weg<br />

konnte aber nicht auf Dauer beschritten werden, da hierdurch die Einnahmesituation<br />

nur kurzfristig verbessert wurde. Statt dessen wurden zwei andere Wege beschritten:<br />

247 ABEL (1978b), 97-141; BAUER, MATIS (1988)=1584 - Bauer 1988 Geburt der Neuzeit: ...=].<br />

248 Allerdings stellt sich die Frage, weshalb in Europa weit reichender agrarischer Fortschritt<br />

nur in wenigen Regionen eintrat, obwohl die Rahmenbedingungen vergleichsweise günstig<br />

waren; dazu etwa DUPLESSIS (1997), Part II.<br />

249 KAAK (1991), XX.<br />

250 Am, Beispiel des südniedersächsischen Klosters Mariengarten: BOETTICHER (1989), 82 und<br />

90. Jetzt unter Hinweis auf die ältere Forschung und mit neuen Ergebnissen MAURER<br />

(1995), insbes. 242 f.<br />

251 STOELTING, MUENCHHAUSEN (1912).<br />

252 Als neueste Zusammenfassung MAURER (1995), XX. BOETTICHER (1986), 226 f.<br />

253 RICHARZ (1971), 28-30; 67-95.<br />

254 Beispiele dafür bei OEHR (1903), 26 für Braunschweig; RÖPKE (1924), 28; WRASMANN (1921),<br />

I, 76; HESSE (1900), 43-50. Zusammenfassend BOETTICHER (1986), 227 f.<br />

255 Belege dafür bei OEHR (1903), 19; SAALFELD, ABEL (1960), 23-33 (für Adel wie Landesherr);<br />

MAURER (1995), 242 f.; HAUPTMEYER (1997), 1128.<br />

256 HIRSCHFELDER (1971), 152.<br />

257 SCHUBERT (1991), 15.<br />

58


die <strong>Einführung</strong> von Steuern unter Hinzuziehung der anderen Herrschaftsträger im<br />

Land, also den Landständen, und <strong>eine</strong> systematische Verbesserung der<br />

Domäneneinnahmen. 258<br />

Struktur der Staatseinnahmen in der Frühen Neuzeit<br />

Gruppe Bezeichnungen Bedeutung<br />

Regalia Monopole, Zölle Geldeinnahmen<br />

gesamte Bevölkerung, aber Ausnahmen<br />

Konnten nur begrenzt gesteigert werden<br />

Domäneneinna<br />

hmen<br />

Abgaben der Bauern an den<br />

Landesherrn als Grundherrn<br />

(Grundabgaben, Zehnt etc.)<br />

Einnahmen aus den<br />

Vorwerken<br />

Forsteinnahmen<br />

Steuern Bede<br />

Schatz<br />

Personensteuern<br />

Grundsteuern<br />

Accise (Verbrauchssteuer)<br />

Geld- und Naturaleinnahmen<br />

Landbevölkerung<br />

Konnten vor allem durch verbesserte Verwaltung,<br />

Erhöhung der Dienste und Ausbau der Vorwerke<br />

gesteigert werden<br />

Geldeinnahmen<br />

gesamte Bevölkerung, aber Ausnahmen<br />

Weitgehend abhängig von den Landständen, die<br />

auch teilweise die Verwaltung dieser Steuern<br />

übernahmen,<br />

mit der Kontribution (Grundsteuer) ein neuer<br />

Steuertyp, den der Landesherr allein kontrollierte<br />

Steuerähnliche Leistungen waren von den Bewohnern <strong>eine</strong>s Territoriums<br />

(Herzogtum, Grafschaft, Bistum) aufzubringende Leistungen. Allerdings wurden die<br />

Landbewohner meist stärker belastet als die Stadtbürger. Geldzahlungen (Bede, Schatz,<br />

Kopfsteuer, Kontribution) dienten vorrangig der Kriegführung, wurden aber auch zu<br />

anderen Zwecken verwandt. Hinzu kamen spezielle, ausschließlich von der<br />

Landbevölkerung zu leistende Dienste für den Wegebau, die Erbauung oder Reparatur<br />

landesherrlicher Gebäude (Burgfestdienste) oder für den Krieg (Landfolgedienste,<br />

Kriegerfuhren). 259 Nicht die Entwicklung zum modernen Steuerstaat, der lediglich auf<br />

der Erhebung direkter wie indirekter Steuern und Abgaben beruht, sondern der<br />

Ausbau aller Einnahmen, auch der naturalen aus der Landwirtschaft, kennzeichnet die<br />

Entwicklung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Selbst dort, wo aufgrund des<br />

Bergbaus die monetären Einnahmen überdurchschnittlich hoch waren wie im<br />

Herzogtum Braunschweig, fand ein systematischer Ausbau landwirtschaftlicher<br />

Leistungen statt. 260 Ein weiteres Kennzeichen dieser Entwicklung war die systematische<br />

Erfassung aller Leistungen und Abgaben. Das entscheidende Moment dieser<br />

Entwicklung dürfte neben der Etablierung neuer Abgaben die Durchsetzung des<br />

Untertanenprinzips gewesen sein: „Die Steuer macht den Untertan.” 261<br />

Am Beispiel der steuerlichen Belastung des Amtes Ilten östlich von Hannover lässt<br />

sich ein Überblick der finanziellen Belastung mit den unterschiedlichen Steuer- und<br />

Abgabenarten gewinnen, aus dem hervorgeht, dass vor allem die Kontribution und der<br />

Zehnt <strong>eine</strong> hohe Belastung darstellten (vgl. Abbildung 1).<br />

258 Siehe dazu allgemein: REINHARD (1996); REINHARD (1999).<br />

259 KRÜGER (1980).<br />

260 KRASCHEWSKI (1978), 139.<br />

261 SCHUBERT (1991), 21.<br />

59


Abbildung 1: Abgaben im Amt Ilten nach FRITZEMEIER, Korporation, 112<br />

40<br />

37,5<br />

35<br />

32,5<br />

30<br />

27,5<br />

25<br />

22,5<br />

20<br />

17,5<br />

15<br />

12,5<br />

10<br />

7,5<br />

Abgaben im Amt Ilten 1770<br />

Angesichts der bis dahin bestehenden großen Probleme der Territorien, ihre<br />

finanziellen Probleme zu lösen, 262 mussten alle Ressourcen genutzt werden, wozu auch<br />

die Intensivierung bzw. der Ausbau von Domänen gehörte. Die Landesherren nutzten<br />

also jede sich bietende Gelegenheit, ihre Einnahmen zu erhöhen, und dies hatte Folgen<br />

für die Entwicklung der Landwirtschaft in Nordwestdeutschland. Aufgrund s<strong>eine</strong>s<br />

steigenden Geldbedarfs erwies sich die Landesherren als ernsthafte Konkurrenten der<br />

privaten Grund-, Leib- und Zehntherren. Benötigte sie zur Deckung ihrer Bedürfnisse<br />

von den Bauern höhere Leistungen, so mussten die Ansprüche der anderen in ihrer<br />

Höhe begrenzt werden. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts war etwa den<br />

Calenberger Grundherren zugesichert worden, dass sie nach eigenem Gutdünken ihre<br />

Bauern „setzen und entsetzen” konnten. 263 Damit hatten sie das Recht, ihre Bauern<br />

nach Ablauf der Pachtzeit ohne weiteres vom Hof zu vertreiben, den Hof<br />

anschließend gegen höhere Abgaben an <strong>eine</strong>n anderen Bauern zu verpachten oder ihn<br />

selbst (das heißt durch dienstpflichtige Bauern) zu bewirtschaften. Es gab <strong>eine</strong>n<br />

offenkundigen Trend hin zur verstärkten Bewirtschaftung von Eigenbetrieben seitens<br />

der größeren Grundherren. 264<br />

Doch schon bald engten die welfischen Landesherren die Befugnisse der<br />

Grundherren immer weiter ein. 265 Schon 1526 durften die calenbergischen<br />

Grundherren ihre Bauern nicht einfach mehr mit neuen Abgaben belasten. 266 5<br />

2,5<br />

0<br />

Amtsabgaben<br />

Grundherrliche Abgaben<br />

Service<br />

Zehnt<br />

Kontribution<br />

Dorfabgaben<br />

Am Ende<br />

dieses Jahrhunderts war an die Stelle der Zeitpacht die Erblichkeit bäuerlichen Besitzes<br />

getreten und <strong>eine</strong> Erhöhung grundherrlicher Abgaben ausgeschlossen. Gleichzeitig<br />

wurden die bäuerlichen Dienstleistungen (Herrendienste) in ihrer Höhe begrenzt.<br />

Abgeschlossen wurde diese Entwicklung in den beiden Landtagsabschieden von<br />

Salzdahlum 1597 für das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel und Gandersheim<br />

262 GRESKY (1984).<br />

263 Privileg Herzog Erich I. von 1526 (SPITTLER (1786), I, 209-212) xx überprüfen!<br />

264 Am, Beispiel des südniedersächsischen Klosters Mariengarten: BOETTICHER (1989) 82 und<br />

90. Jetzt unter Hinweis auf die ältere Forschung und mit neuen Ergebnissen MAURER<br />

(1995), insbes. 242 f.<br />

265 Allgemein zum Bauernschutz im 16. Jahrhundert: HÖTZSCH (1902); für Braunschweig OEHR<br />

(1903), SAALFELD, ABEL (1960), 17-19, SOMMER (1983).<br />

266 SCHUBERT (1991), 37.<br />

60


1601 für das Herzogtum Calenberg. 267 Damit verloren die adeligen Grundherren<br />

weitgehend die Möglichkeit, bäuerliche Abgaben zu erhöhen oder die Bauern von ihren<br />

Höfen zu „entsetzen“. Von den damaligen welfischen Landen blieb nur Göttingen von<br />

diesen Regelungen unberührt.<br />

Nutznießer waren nicht so sehr die Bauern. Denn wenn sie auch nicht mehr mit<br />

steigenden Abgaben an den Grundherren zu rechnen brauchten, hieß das nicht, dass<br />

ihre Belastungen gleich blieben. Ab jetzt war es der Staat, der immer höhere<br />

Steuerforderungen an die Bauern stellte. Er hatte die Voraussetzungen geschaffen, um<br />

nunmehr weitgehend allein darüber entscheiden zu können, welche neuen Abgaben<br />

und Leistungen auf die Bauern entfielen. 268<br />

Bis in jüngere Zeit wird betont, dass der Bauernschutz eingeführt worden sei, damit<br />

die Landesherren zu Lasten der Adeligen, die ihre Einnahmen ja nicht mehr erhöhen<br />

durften, nunmehr durch Steuererhöhungen die Staatseinnahmen weiter verbesserten. 269<br />

Doch dürfen dabei nicht die domanialen Einnahmen vergessen werden. Die Nutzung<br />

von Domänen gehört k<strong>eine</strong>swegs zu den mittelalterlichen Elementen frühmoderner<br />

Staatlichkeit, sondern im Gegenteil zu deren modernen. 270 Angesichts der sich gegen<br />

Ende des 14. Jahrhunderts offenbarenden massiven Finanzprobleme und der<br />

Erfahrung, dass sich die Landstände die Bewilligung von Steuern nur gegen politische<br />

Mitspracherechte bezahlen ließen, war der Weg zu <strong>eine</strong>r Intensivierung der<br />

Domäneneinnahmen vorgezeichnet. 271<br />

Spätestens seit dem 15. Jahrhundert verbesserte die Landesherrschaft die<br />

überkommenen Formen der Herrschaftsausübung über die Bauern und ergänzte sie<br />

durch neue. Mit den Ämtern wurde <strong>eine</strong> flächendeckende untere<br />

Verwaltungsorganisation aufgebaut, die <strong>eine</strong> wesentlich effektivere Kontrolle<br />

ermöglichte. 272 Bis dahin hatten sich die Bauern den Ansprüchen der Herrschaft<br />

verhältnismäßig leicht entziehen können, da nur ungenaue Abgabenregister bestanden<br />

und die bäuerlichen Besitzverhältnisse kaum kontrolliert wurden. Aufgrund der im<br />

16. Jahrhundert begonnenen Anfertigung von Registern (Erbregister, Lagerbücher)<br />

hatten die landesherrlichen Beamten nun <strong>eine</strong>n hinreichend genauen Überblick und<br />

konnten so etwa Besitzveränderungen durch Verkäufe oder Verpfändungen leichter<br />

feststellen. 273<br />

Hinzu kam der im 16. Jahrhundert energisch betriebene Ausbau der<br />

Rentkammerverwaltung und die damit verbundene Vergrößerung der landesherrlichen<br />

Vorwere. 274 Dadurch wurden die Bauern nicht nur zu Steuerleistungen heran gezogen,<br />

267 10.10.1601: Chur-Braunschweigisch-Lüneburgische Landesverordnungen und Gesetze. Caput<br />

VIII: Land-Tages-Abscheide und Reglement Landtschafftlicher Wahlen, zum Gebrauch der<br />

Fürstentümer, Graf- und Herrschaften Calenbergischen Theils, Göttingen 1740.<br />

268 Diese Darstellung verkürzt bewusst die komplexere Entwicklung zum modernen Staat,<br />

denn die Landstände und damit auch die Feudalherren, waren auch in Niedersachsen bis<br />

zum 17. Jahrhundert entscheidend an dieser Entwicklung beteiligt.<br />

269 Etwa WEHLER (1987), 72.<br />

270 Dazu jetzt als knapper Überblick mit Bibliographie BUCHHOLZ (1996), hier insbes. 59-64.<br />

271 KRÜGER (1980), XX, ACHILLES (1972a), XX.<br />

272 Diese Kontrolle erfolgte aber nicht lückenlos: SCHLUMBOHM (1997); neuerdings und stärker<br />

differenzierend: HÄRTER (2002).<br />

273 RICHTER (1979), KROESCHELL (1974).<br />

274 Für Braunschweig: KRASCHEWSKI (1978), 45-50. Siehe auch HAHN (1989), neuester<br />

Überblick zur Entwicklung der Landstände im 16. Jahrhundert: SCHUBERT (1991).<br />

61


sondern ebenfalls für Arbeitsleistungen auf den Domänen. 275 Damit gliederte sich die<br />

Landesherrschaft in den allgem<strong>eine</strong>n Prozess zur Ausdehnung des Gutsbetriebs ein,<br />

bzw. übernimmt geradezu <strong>eine</strong> Führungsposition. Die Festlegung der Dienste und<br />

deren Organisation stellte im 16. Jahrhundert <strong>eine</strong> erhebliche Leistung dar, die auch<br />

dazu führte, dass die untere Verwaltungsebene der Ämter stärker an die Rentkammer<br />

gebunden wurde. 276<br />

Parallel dazu wurden steuerähnliche Leistungen in Zusammenarbeit mit den<br />

Landständen eingeführt und systematisch ausgebaut; nach der Kontribution als<br />

Grundsteuer wurde in Hannover 1686 der Licent als Verbrauchssteuer eingeführt. 277<br />

Nach anfänglichen Problemen kam mit der revidierten Licentordnung von 1690 der<br />

große Erfolg; im gleichen Jahr erbrachte die neue Steuer <strong>eine</strong>n Ertrag von<br />

250.000 Rtlr., die in erster Linie aus der Besteuerung von Mehl, Brot, Fleisch und Bier<br />

resultierten. Ein Überblick der gesamten steuerlichen Belastung des Landes ist<br />

aufgrund der unterschiedlichen Kassen nicht einfach, dennoch ist unverkennbar, dass<br />

die steuerlichen Einnahmen und die Rentkammereinkünfte in Kombination mit den<br />

Bergwerkseinkünften von zentraler Bedeutung für den Staatshaushalt waren. 278 Mit all<br />

diesen Maßnahmen gelang es, die Staatsfinanzen auf <strong>eine</strong> breitere Grundlage zu stellen,<br />

ohne dass dabei die Kammereinnahmen vernachlässigt wurden.<br />

Schriftenreihe: Veröffentlichungen der Historischen Kommission für<br />

Niedersachsen und Bremen ; 18<br />

Ähnlich wie in Calenberg/Hannover sah es um 1750 im Herzogtum Braunschweig<br />

aus, wo von 941.000 Rtlr. Gesamteinnahmen immerhin 412.000 Rtlr. aus der Kammer-<br />

und Klosterkammer bzw. aus deren Grundbesitz stammten. 279<br />

Auch in diesem Bereich bewirkten die landesherrlichen Aktivitäten ein<br />

Zurückdrängen der konkurrierenden grundherrlichen Gewalten, ohne dabei die<br />

Grundherrschaft in Frage zu stellen. 280 Mit der zunehmenden Durchsetzung<br />

„absolutistischer” Tendenzen im 17. Jahrhundert verstärkte sich diese Tendenz noch<br />

weiter. 281<br />

Die hier skizzierten Vorgänge blieben nicht auf Nordwestdeutschland beschränkt.<br />

Der Weg, die Domäneneinnahmen systematisch auszubauen, kennzeichnet besonders<br />

das 16. Jahrhundert. Hierfür ist in der Forschung der Begriff des „Finanzstaates”<br />

eingeführt worden. 282 In Deutschland blieben die Domäneneinnahmen bis in das<br />

19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung für die Staatseinnahmen. 283 Insofern kann<br />

kaum von <strong>eine</strong>r Übergangslösung zwischen Domänen- und Steuerstaat gesprochen<br />

275 SOMMER (1983), 96-98.<br />

276 KRASCHEWSKI (1978), 51, Anm. 175: undat. Ausschreiben an alle Ämter, den Herrendienst<br />

richtig abzurechnen.<br />

277 SPITTLER, WÄCHTER (1835), II, 341-345; SCHNATH (1938), I, 319-324. Winnige, Kontribution,<br />

60 f und 67 f.<br />

278 Zahlen bei SCHNATH (1938), I, 326 f. Einen knappen Überblick enthält KALTHOFF, ROHR<br />

(1983), 29-32.<br />

279 ACHILLES (1972b), 149, Tab. 11.<br />

280 WITTICH (1896), XX.<br />

281 Zur Entwicklung in Braunschweig jetzt zusammenfassend: RÖMER (2000), insbes. S. 551 ff.<br />

282 KRÜGER (1980), kritisch dazu REINHARD (1996), 280 f.<br />

283 Zu den Versuchen Steins, die Domänen zu verkaufen siehe SCHEEL, SCHMIDT (1967), etwa<br />

II, Nr. 547, 618 f oder I, Nr. 89, 297; siehe auch BUCHHOLZ (1996), 59.<br />

62


werden. 284 Nicht der Übergang von naturalen und domanialen Einnahmen zu solchen<br />

monetärer und steuerlicher Art kennzeichnen die Entwicklung zwischen dem 16. und<br />

dem 18. Jahrhundert, sondern die zunehmende Erfassung sämtlicher Leistungen durch<br />

den Staat. Kersten Krüger schreibt zu den Auswirkungen der territorialen Politik in<br />

dieser Jahrhundert:<br />

„Sie [die Politik] macht sich geltend als <strong>eine</strong> von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zunehmende Erfassung der<br />

grundherrlichen und gerichtsherrlichen Einnahmequellen, als stetig anwachsende Anspannung der<br />

Leistungen für den Staat …“ 285<br />

Schon Werner Wittich hat auf die durchaus erkennbaren Entwicklungsprozesse der<br />

nordwestdeutschen Agrarverfassung hingewiesen. Anfang des 18. Jahrhunderts musste<br />

der Staat eingreifen, um Versuche der Grundherren, Zinserhöhungen durchzusetzen,<br />

zu verhindern. 286 Andererseits erhielten die Grundherren in Calenberg ab 1719 wieder<br />

erweiterte Verfügungsrechte über ihre Bauernhöfe. Auflösungstendenzen gab es<br />

besonders in den den Grafschaften Hoya-Diepholz und dem Herzogtum Bremen-<br />

Verden, wo reiche, mit Diensten und Abgaben nicht übermäßig belastete Bauern sich<br />

zunehmend von ihren Gutsherren freikauften. 287 Eine 1766 erlassene Verordnung<br />

blockierte <strong>eine</strong> weitere Lösung der Höfe aus der Grundherrschaft und schrieb die<br />

bisherigen Eingriffs- und Kontrollrechte fest. 288 Die Auflösungstendenzen im Stift<br />

Verden gingen immerhin so weit, dass Bauern sogar ganze Güter aufkauften. 289<br />

In ihrem regionalen und territorialen Wechselspiel glich die nordwestdeutsche<br />

Agrarverfassung <strong>eine</strong>m zeitlich wie räumlich variierendem Muster. Hervorzuheben ist<br />

die Trennung in westlich der Weser gelegene Gebiete mit Eigenbehörigkeit und in<br />

östliche ohne persönliche Abhängigkeitsbeziehungen. 290 Zusammenfassend lassen sich<br />

folgende Elemente der „nordwestdeutschen Agrarverfassung” benennen:<br />

• die Vielzahl der feudalen Herrschaftsrechte über die Bauern,<br />

• die Aufteilung dieser Rechte auf mehrere Personen bzw. Einrichtungen,<br />

• die relative Sicherheit der Bauern vor willkürlichen Eingriffen der einzelnen<br />

Herrschaftsträger,<br />

• der geringe Grad der Verfügungsgewalt, den die Bauern über „ihren” Boden hatten,<br />

• die dominierende Stellung der Landesherrschaft.<br />

284 BUCHHOLZ (1996), 17.<br />

285 KRÜGER (1980), 45.<br />

286 WITTICH (1896), 409 f.<br />

287 WITTICH (1896), 411 f; HESSE (1900), 133.<br />

288 WITTICH (1896), 412; HESSE (1900), 116f.<br />

289 HESSE (1900), 133.<br />

290 Weitgehend, aber nicht völlig: siehe die Beispiele Schaumburg-Lippe und Stift Loccum<br />

EGGERS (1994).<br />

63


3. Ökonomische Folg en bäuerlicher Abhängigkeit<br />

Nachdem die ältere agrargeschichtliche Forschung sich auf die Untersuchung<br />

rechtlicher Fragen konzentrierte und nur ansatzweise die soziale und ökonomische<br />

Dimension bäuerlicher Abhängigkeit untersuchte 291 , erfolgte in den 1960er Jahren unter<br />

dem Einfluss der Untersuchungen von Wilhelm Abel ein entscheidender Neuansatz.<br />

Abels Hinwendung zur Wirtschafts- und Konjunkturgeschichte, eingeleitet mit s<strong>eine</strong>n<br />

„Agrarkrisen und Agrarkonjunkturen” 292 , förderte <strong>eine</strong> Reihe von Untersuchungen zur<br />

ökonomischen Situation bäuerlicher Betriebe. 293<br />

Feudale und staatliche Abhängigkeit äußerte sich in <strong>eine</strong>r Vielzahl von Leistungen<br />

an die unterschiedlichsten Empfänger aus. Diese für Gebiete mit Grundherrschaft, also<br />

auch für Niedersachsen, typische Aufsplitterung erschwert nicht nur uns Heutigen den<br />

Überblick, sondern bereitete auch schon den Zeitgenossen Mühe. Besonders adelige<br />

Herren mit wenigen, über ein großes Gebiet verstreut wohnenden abhängigen Bauern<br />

hatten lediglich beschränkte Kontrollmöglichkeiten. 294 Eine teure Verwaltung mit der<br />

regelmäßigen Führung von registerförmigen Daten zur Erfassung der Abhängigen kam<br />

oft nicht in Frage. Die Bauern hatten in diesen Fällen die Möglichkeit, sich einzelnen<br />

Abgaben wie dem Weinkauf zu entziehen.<br />

Anders sah es dort aus, wo sich mehrere Rechte in <strong>eine</strong>r Hand befanden oder der<br />

jeweilige Herr viele abhängige Bauern hatte und über <strong>eine</strong> gut arbeitende Verwaltung<br />

verfügte. Dazu gehörten neben den einzelnen Landesherren besonders die Klöster.<br />

Hatten sie zudem die Gerichtsherrschaft über die abhängigen Höfe inne, so konnten<br />

sie ihre Rechte an diesen durchsetzen. 295<br />

Das große Interesse der Feudalherren an der Sicherung ihrer Einnahmen führte<br />

dazu, dass sie vergleichsweise gut Buch führten, so dass wir über diesen Bereich gut<br />

informiert sind. Schwieriger, beinahe unmöglich ist es, <strong>eine</strong> betriebswirtschaftliche<br />

Gesamtrechnung zu erstellen, die auch die Einnahmen und die Betriebsausgaben<br />

erfasst. 296 Hierzu fehlen uns viele wichtige Informationen; lediglich einige ausgewählte<br />

Höfe können relativ genau berechnet werden. Verallgem<strong>eine</strong>rn lassen sich solche Daten<br />

aber kaum, zu groß waren die Unterschiede hinsichtlich Hofgröße, Landgüte und<br />

Abgaben. Außerdem schwankten die Ernteerträge von Jahr zu Jahr viel stärker als<br />

heute. Da es k<strong>eine</strong> Buchführung gab, fehlen viele Informationen über Einnahmen und<br />

Ausgaben der Höfe.<br />

Achilles, der 71 hannoversche Betriebe untersuchte, von denen es ausführliche<br />

zeitgenössische Ertragsanschläge gibt, schreibt dazu: „Schon die einfache Frage,<br />

291 Ein gutes Beispiel bieten hierfür die Arbeiten von Friedrich Lütge, etwa s<strong>eine</strong><br />

Agrarverfassung. LÜTGE (1967)<br />

292 ABEL (1978b).<br />

293 Dies gilt auch für den europäischen Vergleich. Siehe etwa BÉAUR (1999), insbes. S. 136 f,<br />

sowie insgesamt der zitierte Band. Béaur fragt gleich zu Beginn, weshalb die Produktivität<br />

der Landwirtschaft so lange ein so geringes Interesse gefunden hat.<br />

294 Ein kl<strong>eine</strong>s Beispiel für die Probleme der Grundherren, ihre Herrschaftsansprüche<br />

durchzusetzen, bietet SCHNEIDER (1989)<br />

295 Beispiel dafür BOETTICHER (1989).<br />

296 Neuere knappe Zusammenfassung bei ACHILLES (1972a) , S. 28-35. Siehe außerdem<br />

ACHILLES (1982), passim. Einzelstudien für Niedersachsen stammen von BREMEN (1971),<br />

RISTO (1964), ACHILLES (1982); zusammenfassend ABEL (1978a), 253-257.<br />

64


welchen Umfang die Dienste hatten und ob sie <strong>eine</strong> drückende Lasten waren, ist<br />

höchstens für den Einzelfall, nicht aber für alle 71 Betriebe zu beantworten.“ 297<br />

Wir sind also auf mehr oder weniger genaue Schätzungen angewiesen. Bei den von<br />

Achilles untersuchten Betrieben im Fürstentum Calenberg schwankte der in Geld<br />

berechnete Anteil der einzelnen Lasten an dem Rohertrag der Höfe zwischen 25 und<br />

30 %, während er im damals noch zu Hannover gehörenden Herzogtum Lauenburg<br />

mit 10 % extrem niedrig lag. 298 Eine Übersicht weiterer Einzel- und<br />

Reihenuntersuchungen kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Belastung durch Steuern<br />

und Abgaben zwischen weniger als 10 % im Jeverland und nahezu 40 % im mittleren<br />

Niedersachsen bewegte, woraus sich mit aller Vorsicht schließen ließe, dass in den<br />

Gebieten mit ausgeprägterer Grundherrschaft etwa 20 <strong>–</strong> 30 % der Roheinnahmen für<br />

feudale und staatliche Abgaben zu entrichten waren. 299<br />

Von dem Rohertrag gingen aber nicht nur die feudalen und staatlichen Lasten ab,<br />

sondern das Saatkorn, die Naturalentnahmen und Betriebsausgaben sowie Lohn oder<br />

Reparaturkosten. Unter Berücksichtigung dieser Posten lassen sich zwei Feststellungen<br />

treffen. Zum <strong>eine</strong>n waren die Einkommensunterschiede zwischen den großen und den<br />

kl<strong>eine</strong>n Betrieben im Vergleich zu heute eher gering, reiche Bauern bildeten die<br />

Ausnahme. Andererseits hatten viele Höfe teils erhebliche Schulden, die sich zum Teil<br />

daraus ergaben, dass die normalen Ausgaben höher als die Einnahmen waren. So<br />

hatten die von Ulrich Risto untersuchten Höfe der Vogtei Soltau <strong>eine</strong>n<br />

durchschnittlichen Zuschussbedarf von 21 % des Roheinkommens. 300 Solche Werte<br />

werden zwar durch andere Untersuchungen nicht bestätigt, jedoch ist es unzweifelhaft,<br />

dass Schulden ein durchaus normales Phänomen der frühneuzeitlichen Landwirtschaft<br />

waren. 301<br />

Es gab Schulden infolge <strong>eine</strong>s grundsätzlichen Mißverhältnisses zwischen<br />

Einnahmen und Ausgaben, weil letztere zu hoch oder erstere zu niedrig waren.<br />

Aufgrund der Bindung der Dienste an die Betriebsgröße litten speziell kl<strong>eine</strong> Betriebe<br />

<strong>eine</strong>r Hofklasse unter der Dienstlast. 302 Außerdem dürfte auch schon in der<br />

vorindustriellen Landwirtschaft die betriebswirtschaftliche Eignung der<br />

Betriebsinhaber nicht nur von unterschiedlicher Qualität, sondern auch von Bedeutung<br />

für die finanzielle Situation der Betriebe gewesen sein, was sich in den zeitgenössischen<br />

Quellen beispielsweise in Klagen über die „Trunksucht” der Bauern niederschlägt. 303<br />

Hinzu kamen weitere Faktoren wie Schulden infolge <strong>eine</strong>s zu hohen Brautschatzes<br />

oder durch Freikauf. 304 Konjunkturelle Entwicklungen dürfen vor allem im<br />

18. Jahrhundert nicht unterschätzt werden, da zumindest große Betriebe in<br />

zunehmenden Maße in Marktverflechtungen eingebunden wurden. 305 Für<br />

marktorientierte Betriebe erwiesen sich zudem die unzureichenden<br />

297 ACHILLES (1982), 117.<br />

298 ACHILLES (1982).<br />

299 Übersicht bei ABEL (1978a), 254.<br />

300 ABEL (1978a), 254; RISTO (1964)Risto, Abgaben.<br />

301 PRÖVE (1929), 23; GAGLIARDO (1969), 45-49; WINKLER (1959), 71-84; HIRSCHFELDER (1971),<br />

179-181; HENNING (1964); SCHNEIDER (1982).<br />

302 Ein Beispiel bei RASMUSSEN (1989), 79 f.<br />

303 Ebd., 64.<br />

304 Der Halbmeier Hartmann Bergdorf Nr. 1 in Schaumburg-Lippe kaufte sich 1772 von der<br />

Eigenbehörigkeit frei und mußte anschließend mit 1576 Rtlr. Schulden in die Äußerung.<br />

STAB L 3 Mc 75 f, Bericht Amt Bückeburg vom 30.6.1814.<br />

305 ACHILLES (1982).<br />

65


Kreditmöglichkeiten als Hemmschuh. Eine Verschuldung bäuerlicher Betriebe dürfte<br />

demnach nicht allein Ausdruck zu hoher Feudalquoten bzw. Steuerlasten gewesen sein.<br />

Wenn Betriebe in Relation zu ihrer Klasseneinteilung zu klein wurden, konnte das<br />

auch daran liegen, dass sie Land durch Verpfänden verloren hatten. Zwar war dies nach<br />

dem Meierrecht verboten, aber vor der <strong>Einführung</strong> der ersten Vermessungen kaum zu<br />

kontrollieren. Eine 1712 vorgenommene Erhebung in 14 Dörfern des Weserberglandes<br />

ergab, dass durchschnittlich fast 7 % des Landes versetzt waren, wobei die Werte in<br />

einzelnen Dörfern bis auf 20 % ansteigen konnten. Solche extremen Werte gab es in<br />

Orten mit <strong>eine</strong>r hohen Bevölkerungsdichte, <strong>eine</strong>m großen Anteil an Kötnern,<br />

erheblichen Flurerweiterungen seit dem 16. Jahrhundert und <strong>eine</strong>r starken<br />

Gemengelage des Ackerlandes. 306 In Verden sch<strong>eine</strong>n die Meier die Höfe als ihr<br />

Eigentum betrachtet und deshalb eigenständig Land versetzt oder verpfändet zu haben.<br />

1624 wurden zur Verhinderung unkontrollierter Landverkäufe angelegt. 307 Hinweise<br />

auf Versetzen von Landstücken gibt es auch aus dem Fürstentum Lüneburg. 308<br />

Es fehlte nicht an Versuchen, der problematischen, schon im 16. Jahrhundert<br />

erkennbaren Verschuldungstendenz zu begegnen; neben <strong>eine</strong>r verstärkten staatlichen<br />

Aufsicht sind spezielle Entschuldungsverfahren zu nennen, wie das schaumburglippische<br />

Äußerungsverfahren. 309 Das schaumburg-lippische Verfahren beispielsweise<br />

sicherte zwar der Familie des Bauern den Hofbesitz, führte aber ansonsten zu<br />

erheblichen Einbußen in der Lebensführung.<br />

306 MARTEN (1965), 121, 123.<br />

307 HESSE (1900), 65 f.<<br />

308 PRÖVE (1929), 23, der vom Versetzen von Land in geringem Umfang berichtet.<br />

309 SCHNEIDER (1982); ähnlich war das hoyaische Administrationsverfahren; RÖPKE (1924), 75-<br />

79.<br />

66


IV. Agrarreformen als sozialer Prozess<br />

1. Reformkonzepte<br />

„Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweck hat, durch Produktion vegetabilischer<br />

und tierischer Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu erwerben. Je höher dieser Gewinn<br />

nachhaltig ist, desto vollständiger wird dieser Zweck erfüllt. Die vollkommenste Landwirtschaft ist<br />

also die, welche den möglich höchsten, nachhaltigen Gewinn, nach Verhältnis des Vermögens, der<br />

Kräfte und Umstände aus ihrem Betriebe zieht.” 1<br />

Diese vielzitierten Sätze Albrechts Thaers aus dem Jahre 1809 werden allgemein als<br />

Beleg für die Modernisierungsansätze des 18. Jahrhunderts genommen, obwohl sie<br />

dem frühen 19. Jahrhundert entstammen. Gleichwohl sind sie als Ausdruck<br />

gewandelter Vorstellungen auch für das 18. Jahrhundert von Bedeutung, verweisen sie<br />

doch darauf, dass ohne <strong>eine</strong> grundsätzliche Neubewertung agrarischer Tätigkeit das<br />

Problem der geringen Produktivität nicht gelöst werden konnte. 2 Wie groß der Schritt<br />

war, den Thaer hier für Deutschland formulierte, wird erkennbar, wenn man zum<br />

Vergleich <strong>eine</strong> Quelle über die Situation der kurhannoverschen Landwirtschaft aus dem<br />

Jahre 1766 heranzieht, die im Auftrag des Königs Informationen den „wahren<br />

Zustand, fernern Erwerb und hingegen s<strong>eine</strong> Ausgaben und Abgiften“ hannoverscher<br />

Landwirte erfassen sollte. 3 Hinter diesen Sätzen verbarg sich etwas anderes als <strong>eine</strong><br />

Gewinnerwartung. Vielmehr wollte der König „wissen, ob die Bauernhöfe in der Lage<br />

waren, ihren Bewirtschaftern <strong>eine</strong>n standesgemäßen Lebensunterhalt zu gewähren und<br />

den Berechtigten, wozu auch er [=der König] gehörte, ihre ‚Abgiften’ zu sichern“. 4<br />

Der Vergleich dieser beiden Aussagen zeigt den zwischen 1766 und 1809 erfolgten<br />

Wandel, wobei davon auszugehen ist, dass die Thaer‘sche Bewertung nur langsam <strong>eine</strong><br />

größere Verbreitung unter den Landwirten fand. Insofern hatten die ersten Sätze der<br />

„Grundsätze der rationellen Landwirtschaft” vornehmlich programmatischen<br />

Charakter. Dass Thaer weder ständische Schranken oder Vorrechte noch<br />

patriarchalische Beziehungen zwischen Bauern und Gutsherren akzeptieren wollte,<br />

wies ebenfalls in das 19. Jahrhundert. Das Werk richtete sich weniger an abhängige<br />

Bauern, sondern an bürgerliche oder adelige Bewirtschafter von großen Gutsbetrieben;<br />

insofern unterschied es sich wesentlich von Reformbemühungen, die nicht den<br />

Grundherren, sondern den abhängigen Bauern zu <strong>eine</strong>r modernen<br />

Landbewirtschaftung anregen wollten.<br />

Es war ein weiter Weg, bis solche Sätze niedergeschrieben werden konnten. Zwar<br />

gab es schon seit dem 16. Jahrhundert <strong>eine</strong> beachtliche Fülle von Schriften, die<br />

praktische Hinweise zur bäuerlichen Wirtschaftsführung enthielten („Hausväterliteratur”),<br />

jedoch waren sie nicht nach wissenschaftlichen Kriterien geschrieben.<br />

Erst mit der Einrichtung kameralistischer Lehrstühle an den Universitäten des<br />

1 THAER (1880), 3. Zu Thaer jetzt: PANNE (2002).<br />

2 Allgemein: [=49 - Abel 1978 Geschichte der deuts...=, FRAUENDORFER (1963); CONRADY<br />

(1967); MITTELHÄUSSER (1977), bes. 371-375. Es gibt inzwischen <strong>eine</strong> breite internationale<br />

Literatur zum Aspekt von Agrarreformen und den Begriff der „Agrarrevolution“; siehe<br />

etwa .<br />

3 ACHILLES (1982), 4.<br />

4 ACHILLES (1982), 7.<br />

67


18. Jahrhunderts, wie z.B. 1755 in Göttingen, änderte sich das. 5 Die nun einsetzende<br />

systematische theoretische Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft zielte vor allem<br />

auf <strong>eine</strong> Hebung der Einkünfte des eigenen Staates und klammerte damit Aspekte des<br />

internationalen Handels weitgehend aus. 6 Die Landwirtschaft spielte allein deshalb in<br />

der Arbeit bedeutender Kameralisten <strong>eine</strong> zentrale Rolle, weil sie der wichtigste<br />

ökonomische Bereich der Volkswirtschaft war. Die Analyse der Kameralisten legte <strong>eine</strong><br />

Reihe von Schwachstellen der agrarischen Wirtschaft bloß. Bemängelt wurden die<br />

mangelnde Effektivität, die unzureichende Bodenbearbeitung, die unzureichend<br />

eingeführte Fruchtwechselwirtschaft, die genossenschaftlichen Nutzungsrechte und die<br />

naturalen Belastungen der abhängigen bäuerlichen Betriebe. J. H. G. von Justi nannte<br />

folgende Problembereiche:<br />

• <strong>eine</strong> zu enge Siedlungsweise, weshalb er <strong>eine</strong> Auflockerung der Dörfer bzw.<br />

Aussiedlung der Höfe forderte,<br />

• zu schmale und zu lange Ackerstreifen,<br />

• die gemeinschaftlichen Weiderechte auf Brach- und Stoppelfelder, die aufgehoben<br />

und statt dessen Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen durchgeführt werden<br />

sollten,<br />

• <strong>eine</strong> teilweise übermäßige Größe von Rittergütern (und teilweise auch von<br />

Bauerngütern),<br />

• die feudale Abhängigkeit der Bauern, insbesondere die Dienstpflicht,<br />

• <strong>eine</strong> schlechte Wirtschaftsführung seitens der Bauern. 7<br />

Die Bedeutung der Kameralisten bestand aber nicht allein darin, Mängel aufzulisten<br />

und Verbesserungsvorschläge zu erstellen, sondern in ihrer Vermittlungsfunktion als<br />

akademische Lehrer und Autoren wichtiger kameralistischer Werke. 8 Die Adressaten<br />

ihrer Arbeiten waren nicht die Bauern, sondern Beamte, Gutsbesitzer, Pastoren und<br />

Lehrer. Allein ihnen wurde <strong>eine</strong> modernisierende Funktion innerhalb der<br />

frühneuzeitlichen Landwirtschaft zugewiesen, woran sich bis in das 20. Jahrhundert nur<br />

wenig änderte. 9<br />

1. Refor m der Landwir tschaft<br />

Nicht so sehr die einzelnen Reformmaßnahmen selbst, sondern <strong>eine</strong> grundsätzliche<br />

und intensive Beschäftigung mit der Landwirtschaft war das Kennzeichen des<br />

18. Jahrhunderts. Sie blieb nicht allein auf die Universitäten beschränkt, sondern<br />

erfasste weite Bevölkerungsgruppen. Wichtige Mittler zwischen Wissenschaft und<br />

Öffentlichkeit waren die seit der Mitte des Jahrhunderts überall gegründeten<br />

5 Einen knappen ideengeschichtlichen Einblick bietet FRAUENDORFER (1963), 116-126 zu der<br />

Hausväterliteratur und 126-141 zu den Kameralisten. Siehe auch DITTRICH (1974) , 35-122.<br />

6<br />

FRAUENDORFER (1963), 126-141; GAGLIARDO (1969), 37 f.<br />

7 Justi, Abhandlung von denen Hindernissen <strong>eine</strong>r blühenden Landwirtschaft, hier nach<br />

ABEL (1978a), 282.<br />

8 Die Aufstellung kameralistischer Schriften bei DITTRICH (1974), 125-145 ist leider<br />

unvollständig. Einen immer noch brauchbaren Überblick bietet ABEL (1978a), 280-289, der<br />

den Durchbruch zur wissenschaftlichen Landbauwissenschaft auf die Jahre 1727 und 1753<br />

bis 1759 legt (ebd., S. 281). Siehe auch die älteren Darstellungen von Zielenziger,<br />

Kameralisten und TAUTSCHER (1947). Einen Überblick zur niedersächsischen<br />

Landwirtschaft bietet ACHILLES (1987), außerdem ACHILLES (1987).<br />

9<br />

ACHILLES (1994).<br />

68


Landwirtschaftsgesellschaften, von denen die Celler (1764), deren berühmtestes<br />

Mitglied Albrecht Thaer war, besondere Bedeutung erlangte. Mitglieder der<br />

Gesellschaften waren aber nicht die abhängigen Bauern, sondern neben den<br />

Wissenschaftlern vorrangig Beamte, Adlige und Bürgerliche, unter diesen wiederum<br />

viele Lehrer und Pastoren. 10<br />

Broschüren, Zeitschriften, Bücher und Kalender dienten der Verbreitung neuer<br />

Erkenntnisse. Bauernkalender wandten sich speziell an bäuerliche Leser. Eine der<br />

bekanntesten Schriften für die ländliche Bevölkerung war das „Noth- und<br />

Hülfsbüchlein für Bauersleute oder lehrreiche Freuden- und Trauer-Geschichte des<br />

Dorfes Mildheim“ des Gothaer Verlegers und Publizisten Rudolph Zacharias Becker,<br />

dessen Erstausgabe 1788 erschien. In der Rahmenhandlung, den Freuden- und<br />

Trauergeschichten des Dorfes Mildheim, wurden der Landbevölkerung nicht nur<br />

Lehren über den richtigen Umgang mit der Obrigkeit erteilt, sondern sie wurde auch<br />

belehrt, dass Menschen erst dann beerdigt werden sollten, wenn ihr Tod einwandfrei<br />

sichergestellt war. Sie erfuhren, wie sie Brot richtig backen konnten, wie „<strong>eine</strong><br />

geschickte, reinliche und ordentliche Hausfrau viel dazu hilft, dass ihre Leute gesund<br />

bleiben und ein hohes Alter erlangen“ 11 , oder wie „bei <strong>eine</strong>r ungeschickten, säuischen<br />

und unordentlichen Hausfrau immer alles kränkelt und elend ist“. Im zweiten Teil des<br />

Buches wurden Hilfen zu <strong>eine</strong>r verbesserten Landwirtschaft gegeben und das Vorbild<br />

des Schweizer Bauern Kleinjogg gepriesen. 12 Schließlich folgten im dritten Teil Tips für<br />

Notfälle wie das Verhalten bei Bissen von tollwütigen Hunden oder „vom Behexen,<br />

Zaubern und Vergiften“.<br />

Lehrer und Pastoren versuchten durch praktische Vorführungen und theoretische<br />

Erläuterungen die Bauern zur Übernahme neuer Landbaumethoden zu bewegen.<br />

Zurück hielten sich dagegen die Reformer, wenn es um die herrschaftliche<br />

Abhängigkeit ging. Nur wenige Radikale brachten dieses Thema zu Sprache. 13 Die<br />

übrigen befürchteten offenbar, dass <strong>eine</strong> Diskussion bäuerlicher Unfreiheit bald in <strong>eine</strong><br />

grundsätzliche Kritik der damaligen politischen Zustände einmünden würde. 14 Mit dem<br />

Ausbruch der Französischen Revolution und ihrem Übergreifen in das linksrheinische<br />

Deutschland erhielten Reformen in diesem Bereich <strong>eine</strong> zusätzliche Brisanz. 15 Die<br />

Angst der Herrschenden vor bäuerlichem Widerstand war vielleicht nicht so<br />

unbegründet, denn besonders in den reichen Regionen setzten sich die Bauern schon<br />

früh mit der Französischen Revolution auseinander: „Es scheint … die … These<br />

angebracht zu sein, dass wie k<strong>eine</strong> voraufgegangene politisch-geistige Umwälzung …<br />

10 Zur Gründung der Gesellschaft siehe DEIKE, DEIKE (1994) , außerdem enthalten die<br />

Festschriften der Gesellschaft wichtige Informationen (insbesondere Königliche<br />

Landwirtschaftsgesellschaft (1864), hier ; ebenfalls , 15-44). Die meisten Mitglieder der<br />

Gesellschaft stammten aus dem nordöstlichen und mittleren Niedersachsen; PRASS (1997b),<br />

60.<br />

11 BECKER (1980 = 1788), Nr. 19, 155-160.<br />

12 „Die Wirthschaft <strong>eine</strong>s philosophischen Bauers.“ Entworfen von H. E. Hirzel, M.D. und Stadtarzt<br />

in Zürich. Neue und vermehrte Auflage Zürich 1774. Ein gekürzter Nachdruck ist 1980 in<br />

Zürich erschienen.<br />

13 Ein Beispiel dafür bietet die Schrift von MÜNCHHAUSEN (1793), etwa 26: „Tausend Jahre<br />

Unrecht macht k<strong>eine</strong> Stunde recht.“ Münchhausen war u.a. „Chur-Hannöverischer Justizrat und<br />

Hofgerichtsassessor“, so im Titel des Buches.<br />

14 Dazu SCHREINER (1983).<br />

15 MÖLLER (1989), 528-531; WEIS (1982), 201-204. Für Süddeutschland Beispiele SCHEEL (1980), etwa<br />

90.<br />

69


die Französische Revolution und ihre Folgen die Gemüter in Stadt und Land zutiefst<br />

bewegt haben: Wie anders ist es zu erklären, dass auf den Höfen der Bauer dieser Zeit<br />

viele Bücher über Frankreich, s<strong>eine</strong> Politik, sein neues Recht und s<strong>eine</strong> neue Freiheit<br />

gekauft hat, wenn es ihn nicht persönlich getroffen hätte?“ 16<br />

Die Übernahme neuer Fruchtfolgen oder Anbaumethoden erfolgte k<strong>eine</strong>swegs<br />

linear, wie die von Otto Ulbricht untersuchte <strong>Einführung</strong> des Rotklees belegt. 17 Klee<br />

war zwar in Deutschland seit langem bekannt, wurde aber bis zur Mitte des<br />

18. Jahrhunderts nur in geringem Umfang eingesetzt. Die Tatsache, dass schon vor der<br />

Jahrhundertwende Hoyaische Bauern Rotklee säten, zeigt jedoch, „dass unter gewissen<br />

Umständen die von den Zeitgenossen wie von der modernen Diffusionsforschung<br />

behauptete Neuerungsfeindlichkeit dieser Gruppe zurücktreten konnte” 18 . Die weitere<br />

Verbreitung des Klees blieb allerdings weiterhin begrenzt, woran auch Rinderpest und<br />

Hungersnot Anfang der 1770er Jahren ihren Beitrag hatten, da der Klee im Gegensatz<br />

zur Kartoffel nicht direkt für die menschliche Ernährung genutzt werden konnte.<br />

Anfang der 1780er Jahre hatte sich der Kleeanbau dann zumindest im Calenbergischen<br />

durchgesetzt, und wurde von 1789 bis 1803 durch die unentgeltliche Abgabe von<br />

Kleesamen weiter gefördert. 19 Trotz zuletzt 48.000 Pfund verteilten Kleesamens gelang<br />

gleichwohl nur <strong>eine</strong> sehr langsame Übernahme, wofür Ulbricht vor allem das Problem<br />

der „over-adoption” verantwortlich macht: der Klee wurde zu sehr gepriesen, so dass<br />

Enttäuschungen bei wenig sachgerechtem Anbau nicht ausbleiben konnten. 20<br />

2. Die Celler Landwir tschaftsg esellschaft und die englische<br />

Landwir tschaft<br />

Besondere Beachtung verdienen die Aktivitäten der Cellischen<br />

Landwirtschaftgesellschaft und die Rolle der englischen Landwirtschaft für<br />

Reformansätze in Kurhannover. 21 Aufgabe der 1764 gegründeten Gesellschaft war es,<br />

„den Wohlstand Unserer Teutschen Lande durch Landwirthschaftliche Verbesserungen<br />

zu befordern, und zu dem Ende sowohl ihre eigenem dahin einschlagende Einsichten<br />

und Erfahrungen bekant zu machen als die von anderen gemachten Anmerckungen<br />

einzusammeln und zu verbreiten”. 22 Angesichts schon früherer Gründungen in<br />

Frankreich und Deutschland stellte diese Gesellschaft nichts grundsätzlich Neues dar,<br />

gehörte aber zu den frühen Gründungen in Deutschland. 23<br />

Die Landwirtschaftsgesellschaft war darum bemüht, systematischer Informationen<br />

über agrarische Innovationen zu verbreiten, wozu <strong>eine</strong> typisches Verfahren gewählt<br />

wurde: Preisschriften und Prämien für vorbildliche Landwirte. 24 Als Medium diente das<br />

16<br />

OTTENJANN (1984), 105.<br />

17<br />

ULBRICHT (1980), 279-297. Zu der langsamen <strong>Einführung</strong> des Klees auch PRASS (1997b), 81.<br />

18<br />

ULBRICHT (1980), 283.<br />

19<br />

ULBRICHT (1980), 290 f.<br />

20<br />

ULBRICHT (1980), 297. PRASS (1997b), 55, 81 f.<br />

21 Die folgende Darstellung bezieht sich in erster Linie auf ULBRICHT (1980); s.a. DEIKE,<br />

DEIKE (1994); Ulbrichts Arbeit stellt auch <strong>eine</strong> kritische Auseinandersetzung mit KROKER<br />

(1971), dar. Jetzt auch PANNE (2002).<br />

22 ULBRICHT (1980), 265.<br />

23 ABEL (1978a), 277; BLUM (1978), 287-292; DEIKE, DEIKE (1994), 19-52.<br />

24 PRASS (1997b), 53 f.<br />

70


Hannoversche Magazin, welches aber nur <strong>eine</strong> begrenzte Wirkung entfalten konnte,<br />

weshalb ab 1788 nur noch wenige Preisschriften ausgeschrieben wurden. 25 Statt dessen<br />

wurden andere Wege gewählt, wie die Verteilung von silbernen Medaillen und<br />

Bechern. 26 Hinzu kam die direkte Beratung der Bauern sowie die Versendung von<br />

Materialien etwa zur <strong>Einführung</strong> des Kleeanbaus. 27 Gering waren die Erfolge bei<br />

strukturellen Reformmaßnahmen wie der <strong>Einführung</strong> der Stallfütterung, da diese mit<br />

umfangreichen Investitionen und Betriebsumstellungen verbunden war, für die vielen<br />

Landwirten die Mittel fehlten. Stärkeres Engagement leistete die Gesellschaft bei den<br />

Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen. 28<br />

Otto Ulbricht hat sich mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Celler Gesellschaft<br />

tatsächlich dazu diente, die englische Landwirtschaft in Hannover einzuführen. 29<br />

Offenbar geschah dies nur in geringem Maße, sondern es wurden vorrangig deutsche<br />

Entwicklungen beachtet. 30 Die hannoversche Gesellschaft nahm sogar insofern <strong>eine</strong><br />

Sonderrolle ein, als im Gegensatz zu anderen Landwirtschaftsgesellschaften k<strong>eine</strong><br />

besondere Vorliebe für England bestand: „Von Frankreich über Ungarn und Rußland<br />

bis nach Schweden herrschte die anglophile Haltung vor <strong>–</strong> nur in dem in Personalunion<br />

mit Großbritannien verbundenen Hannover nicht.“ 31 Belege für diese Aussage finden<br />

sich in den Schriften wichtiger Kameralisten wie Otto Fr. v. Münchhausens<br />

„Hausvater” (1764-1773) oder den Arbeiten von Johann Beckmann, wobei letzterer<br />

sogar von <strong>eine</strong>m Innovationstransfer von Deutschland nach England ausging. 32<br />

Am Beispiel des Claus Brüggemann lassen sich zentrale Elemente und Probleme<br />

des Innovationstransfers zwischen England und Hannover nachvollziehen. 33 Der aus<br />

Lauenburg stammende Brüggemann wurde zwischen 1778 und 1782 vom bekannten<br />

englischen Landwirt Duckett in Petersham und Esher ausgebildet. Zu den vermittelten<br />

Lerninhalten gehörten hochintensiver Ackerbau, Einsatz neuer Geräte, Drillwirtschaft<br />

und die englische Schafzucht. Nach s<strong>eine</strong>r Rückkehr sollte Brüggemann die<br />

erworbenen Kenntnisse in der Lüneburger Heide anwenden. Er scheiterte jedoch und<br />

erfuhr seitdem heftige Kritik. Es spricht indes vieles dafür, dass nicht der Lauenburger<br />

Landwirt, sondern das gewählte Verfahren und das Verhalten der hannoverschen<br />

Behörden problematisch waren. Die Heidekultivierung ließ sich weder mit <strong>eine</strong>m<br />

einzelnen innovativen Landwirt, noch ohne großen finanziellen Aufwand erreichen.<br />

Zudem ist es fraglich, ob die vermittelten Methoden überhaupt auf die Lüneburger<br />

Heide anwendbar waren. Duckett, Brüggemanns englischer Lehrer, kannte die<br />

25<br />

PRASS (1997b), 54; auf <strong>eine</strong>r systematischen Auswertung des Magazins basieren die<br />

Darstellungen von Oberschelp: OBERSCHELP (1985), OBERSCHELP (1982); zum Magazin<br />

<strong>kurze</strong> Hinweise ebd., XIII-XIV. Noch immer relevant: Königliche<br />

Landwirtschaftsgesellschaft (1864), 1,<br />

26 Königliche Landwirtschaftsgesellschaft (1864)Prass, Reformprogramm, 54 f; ähnlich verfuhr man<br />

in Schaumburg-Lippe (Schneider, Verhältnisse, 145), wo allerdings Belohnung und<br />

Bestrafung sich ergänzen sollten.<br />

27<br />

PRASS (1997b), 55.<br />

28<br />

PRASS (1997b), 56 f.<br />

29<br />

ULBRICHT (1980)=1715 - Ulbricht 1980 Englische Landwirtsc...=], 268 f. Dazu hat vor <strong>kurze</strong>n<br />

Walter Achilles kritisch Stellung bezogen, ohne die grundlegende Argumentation von<br />

Ulbricht widerlegen zu können, ACHILLES (2001).<br />

30<br />

ULBRICHT (1980), 270.<br />

31<br />

ULBRICHT (1980), 206.<br />

32<br />

ULBRICHT (1980), 122.<br />

33<br />

ULBRICHT (1980), 233-241.<br />

71


Lüneburger Heide nicht und konnte s<strong>eine</strong>n Zögling nur unzureichend auf die<br />

gewünschte Aufgabe vorbereiten. Ein Scheitern Brüggemanns war damit gleichsam<br />

vorprogrammiert.<br />

Blicken wir auf Albrecht Thaer. 34 Thaer wurde am 14. 5. 1752 in Celle geboren,<br />

studierte von 1770 bis 1774 in Göttingen Medizin, wurde 1784 Mitglied der<br />

Landwirtschaftsgesellschaft in Celle und kaufte dort ein 36 ha großes Anwesen, das er<br />

zum Musterbetrieb ausbaute. Er begründete s<strong>eine</strong>n Ruhm und s<strong>eine</strong> große Wirkung<br />

mit den zwischen 1798 und 1804 erschienenen Beiträgen zur Kenntnis der englischen<br />

Landwirtschaft. 35 Zur gleichen Zeit (1799 bis 1804) publizierte er zudem s<strong>eine</strong><br />

„Annalen der niedersächsischen Landwirtschaft“. 1804 ging er nach Preußen, wo er<br />

1806 in Möglin ein landwirtschaftliches Institut gründete. Als Höhepunkt s<strong>eine</strong>r<br />

Tätigkeit dürften die 1809 bis 1812 erschienenen „Grundsätze der rationellen<br />

Landwirtschaft“ gelten. Thaer, der seit 1810 außerordentlicher Professor in Berlin war,<br />

starb am 26.10.1828 in Möglin.<br />

Thaer war selbst nie in England gewesen; s<strong>eine</strong> Informationen hatte er aus<br />

Veröffentlichungen und von zwei wichtigen Englandreisenden: dem hannoverschen<br />

Hofrat Jobst Anton v. Hinüber, der 1766/67 in England gewesen war, 36 und dem<br />

Amtmann Friedrich Christian Georg Westfeld aus Weende bei Göttingen, der 1792 in<br />

England war, sich aber schon vorher in verschiedenen Schriften zur englischen<br />

Landwirtschaft geäußert hatte. 37 Selbst den wichtigsten Agrarschriftsteller Englands,<br />

Arthur Young, kannte Thaer nur aus dessen Schriften. 38 Von Hinüber, mit dessen Sohn<br />

Gerhard Thaer eng befreundet war, stellte ihm außerdem s<strong>eine</strong> umfangreiche<br />

Bibliothek zur Verfügung.<br />

Es war nicht so sehr das Ergebnis der Personalunion, wenn ab 1800 in Hannover<br />

<strong>eine</strong> positive Aufnahme der englischen Landwirtschaft zu verzeichnen war, sondern es<br />

war speziell dem Wirken Thaers zuzuschreiben. Während einige s<strong>eine</strong>r hannoverschen<br />

Fachkollegen eher skeptisch der Englischen Landwirtschaft gegenüberstanden, befand<br />

sich Thaer in weitgehender Übereinstimmung mit anderen nichthannoverschen, etwa<br />

preußischen Englandreisenden. 39 Der agrarwissenschaftliche Fortschritt des<br />

18. Jahrhunderts war also kaum ein gleichförmiger Prozess, sondern er wurde selbst in<br />

der Gruppe der Reformer von individuellen wie kollektiven Wahrnehmungsverhalten<br />

beeinflusst. Die Selbstwahrnehmung der hannoverschen Reformer als <strong>eine</strong> Art<br />

„Avantgarde“, als erfolgreiche Modernisierer dürfte deren Verhalten nicht unwesentlich<br />

bestimmt haben.<br />

34 Zu Thaer aus <strong>eine</strong>m umfangreichen Schrifttum: KLEMM (1994), sowie KLEMM, MEYER<br />

(1968). Jetzt PANNE (2002).<br />

35 Der genaue Titel lautet: Einleitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft und ihrer<br />

neuen praktischen und theoretischen Fortschritte in Rücksicht auf Vervollkommnung<br />

deutscher Landwirthe und Cameralisten. 3 Bde., Hannover 1798-1800.<br />

36 ULBRICHT (1980), 222 f.<br />

37 ULBRICHT (1980), 242.<br />

38 ULBRICHT (1980), 142-159.<br />

39 ULBRICHT (1980), 261. Zu den Englandreisen im 18. Jahrhundert siehe ‘??? (1983); MAURER<br />

(1992).<br />

72


3. Dienstabstellung en<br />

Das Dienstwesen gehört in den meisten nordwestdeutschen Territorien zu den<br />

zentralen Elementen der frühneuzeitlichen Agrarverfassung. Es bildete in mehrfacher<br />

Hinsicht <strong>eine</strong> wichtige Grundlage der damaligen Staaten, da ohne die so genannten<br />

Herrendienste die landesherrlichen Domänen nicht bewirtschaftet, ohne die<br />

Landfolgedienste die vielfältigen Transport- und Arbeitsleistungen in Krieg und<br />

Frieden nicht erbracht werden konnten. Am Beispiel der Dienste lässt sich die<br />

Argumentationsweise der Kritiker der alten Agrarverfassung gut verdeutlichen. Das<br />

Dienstwesen bestand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus ständigen und<br />

nichtständigen Diensten, Hand- und Spanndiensten, Diensten für Gerichts-, Grund-<br />

und Leibherren, für den Landesherrn und die Gemeinde. In Niedersachsen bildeten<br />

die sogenannten Herren- oder Frondienste neben den landesherrlichen und<br />

kommunalen Diensten vor allem dort <strong>eine</strong> große Belastung, wo größere landesherrliche<br />

Domänen bestanden. 40 Das Dienstwesen war insgesamt derart kompliziert, dass schon<br />

den Zeitgenossen ein Überblick schwer fiel.<br />

Unter den vielfältigen Diensten nahmen die „Herrendienste“ <strong>eine</strong> Sonderrolle ein,<br />

da sie die wichtigste Gruppe darstellten und in größerer Zahl vorzugsweise auf den<br />

landesherrlichen Domänen verrichtet wurden. Während auf den kl<strong>eine</strong>n adligen<br />

Gütern schon früh die Dienste in Geldzahlungen umgewandelt worden waren,<br />

bestanden bei den landesherrlichen Domänen oft die naturalen Dienste bis Mitte des<br />

18. Jahrhunderts weiter. Somit mussten gerade die dem Landesherrn dienstpflichtigen<br />

Bauern ein Interesse an der Abstellung dieser Dienste haben.<br />

Kritiker des überkommenen Frondienstwesens waren deshalb auch<br />

Verwaltungsbeamte, die in ihrer täglichen Praxis mit dem Dienstwesen konfrontiert<br />

wurden und dessen Ineffektivität sahen, wie der schaumburg-lippische Kammerrat<br />

Westfeld (1746-1782). 41 Westfeld hatte nicht nur Anfang der 1770er Jahre mit der<br />

Abstellung der Herrendienste auf einigen schaumburg-lippischen Vorwerken<br />

begonnen, sondern wenige Jahre später in <strong>eine</strong>r Preisschrift der Göttingischen<br />

Akademie der Wissenschaft s<strong>eine</strong> Überlegungen zu den Dienstabstellungen und die<br />

gemachten Erfahrungen ausführlich dargestellt. Er argumentierte auf mehreren<br />

Ebenen: 42<br />

Für den Staat sah er den Nutzen der Dienstabstellung darin, dass die Produktivität<br />

der Untertanen steigen werde. Den Untertanen helfe die Abstellung, weil sie die<br />

Arbeitszeit effektiver nutzen konnten, um ihr eigenes Feld besser zu bestellen oder<br />

zusätzliche Arbeiten zu übernehmen. Es wirke zudem nicht mehr das schlechte Vorbild<br />

der langsam und nachlässig verrichteten Arbeit im Herrendienst, außerdem könne<br />

durch den Wegfall der Dienste auch die kostspielige Pferdehaltung verringert werden. 43<br />

Den Empfängern der Dienste ging nach Ansicht des Kammerrats nichts verloren, weil<br />

sie erstens durch Geldzahlungen entschädigt wurden und zweitens die<br />

Arbeitsverfassung der Betriebe von der schwerfälligen Arbeit mit Dienstpflichtigen auf<br />

40 Siehe oben S. 54.<br />

41 Einen guten Überblick zu Westfelds Wirken bietet ULBRICHT (1980), S. 241-250; siehe<br />

außerdem SCHNEIDER (1983), 112-118.<br />

42 Siehe Text in HAUPTMEYER, BEGEMANN (1992), S. XX.<br />

43 ACHILLES (1982), 116. Wenige Jahrzehnte später argumentierte Gustav von Gülich, der die<br />

Folgen der Dienstabstellungen erlebt hatte, anders: die Bauern würden zu unnützen und<br />

den Ackerbau behindernden Frachtfuhren übergehen; GÜLICH (1831), XX.<br />

73


<strong>eine</strong> mit Tagelöhnern umstellen konnten. Westfeld fasste sein Konzept mit den Worten<br />

zusammen:<br />

„Niemand soll verlieren und der Dienstpflichtige den Aufwand, der k<strong>eine</strong>m zugute gekommen ist,<br />

gewinnen.”<br />

Unter Westfeld wurden in Schaumburg-Lippe Anfang der 1770er Jahre erste<br />

Dienstabstellungen durchgeführt. Die Bauern hatten für die entfallenden Dienste ein<br />

erhöhtes Dienstgeld 44 zu zahlen, wobei sich der Dienstherr <strong>eine</strong>n Restbestand naturaler<br />

Dienste vorbehielt. Da die Abstellungsrezesse auf 30 Jahre abgeschlossen wurden,<br />

kann man noch nicht von Ablösung, also <strong>eine</strong>r endgültigen Aufhebung sprechen.<br />

Westfeld hatte die schaumburg-lippischen Reformen 1773 im Rahmen <strong>eine</strong>r<br />

Preisschrift der Göttingischen Akademie der Wissenschaften <strong>eine</strong>m größeren<br />

Publikum vorstellen können. Mit der Darstellung des regionalen Beispiels verband er<br />

ein allgem<strong>eine</strong>s Konzept für Dienstabstellungen auf landesherrlichen Vorwerken. 45<br />

„Der Gewinn, den der Staat von der Aufhebung der Frondienstbarkeit haben wird, der wahre<br />

Wohlstand der Untertanen, die Beförderung der Industrie 46 , die Bevölkerung, die Verbesserung des<br />

Ackerbaus, die Verminderung der unnützen Consumtion, die größere Freiheit des Volkes und die<br />

Folgen von allen diesen Vorteilen ... die Glückseligkeit des Ganzen <strong>–</strong> macht diese Sache mehr zur<br />

Angelegenheit des Staates als der einzelnen Besitzer der Diensthöfe.” 47<br />

Nach s<strong>eine</strong>m Übertritt in hannoversche Dienste war Westfeld u.a. 48 auch als<br />

Oberkommissar für die in Kurhannover schon in den 1750er Jahren projektierten,<br />

durch den 7jährigen Krieg verhinderten, seit Mitte der 1770er Jahre erneut voran<br />

getriebenen Dienstabstellungen zuständig. 49 Schon vor dem Ausbruch des 7jährigen<br />

Krieges hatte es unter dem Einfluss des kurhannoverschen Geheimrates Gerlach<br />

Adolf von Münchhausen Erhebungen über das Dienstwesen gegeben, die dessen<br />

Schwächen offen legten. 50 Münchhausen arbeitete deshalb nach dem Ende des Krieges<br />

gezielt auf <strong>eine</strong> Abstellung der Dienste hin. 1768 begannen unter s<strong>eine</strong>m Einfluss die<br />

Vorarbeiten für Dienstabstellungen in sieben calenbergischen Dörfern. Vermutlich<br />

durch Münchhausens Tod wurden die weiteren Arbeiten unterbrochen und erst Ende<br />

1773 wieder aufgenommen; im Mai 1774 einigte sich die Kammer auf <strong>eine</strong>n Plan zur<br />

Dienstabstellung. 51 Zugleich wurden die sich aus <strong>eine</strong>r Abstellung ergebenden Folgen<br />

sowohl für die Domänen, die Ersatz für die bisherigen Dienste finden mussten, als<br />

auch für die Bauern, die das erhöhte Dienstgeld aufzubringen hatten, erörtert.<br />

Bis Mitte der 1790er Jahre waren auf allen hannoverschen Domänen die<br />

Dienstabstellungen durchgeführt. Dabei wurden die Dienste in folgende Gruppen<br />

unterteilt, die jeweils in unterschiedlichem Maße der Dienstabstellung unterworfen<br />

waren:<br />

• Hoheitsdienste wurden gar nicht abgestellt,<br />

• Amtsdienste wurden teilweise abgestellt und<br />

44 Dienstgeld hatten sich auch zu zahlen, wenn die jeweils wochenweise festgelegten Dienste<br />

nicht benötigt wurden.<br />

45 Siehe dazu auch SCHNEIDER (1995a).<br />

46 Industrie hier im Sinne von Fleiß gebraucht.<br />

47 C.F.G. Westfeld: Über die Abstellung des Herrendienstes. In: Hannoversches Magazin 56.<br />

Stück, 1773, Sp. 882 <strong>–</strong> 912. SCHNEIDER (1983), 112-124.<br />

48 Er war zudem neben s<strong>eine</strong>r Tätigkeit als Klosteramtmann erst in Wülfinghausen, dann in<br />

Weende.<br />

49 Zu den früheren Versuchen siehe WITTICH (1896), 415 und CONRADY (1967), 181.<br />

50 WITTICH (1896), 415 f.<br />

51 WITTICH (1896), 418.<br />

74


• Landwirtschaftsdienste wurden völlig abgestellt.<br />

Am Beispiel der Dienstabstellung im Amt Blumenau lassen sich die bisherigen<br />

Strukturen und die Art der Abstellung gut verdeutlichen. 52<br />

Zu Spanndiensten wurden Vollmeier, Dreiviertelmeier, Halbmeier und Höfelinge<br />

herangezogen, zu den Handdiensten die Höfelinge, Großkötner, Mittelkötner,<br />

Kleinkötner und Brinksitzer.<br />

Dienstbelastung und Dienstabstellung im Amt Blumenau 1770<br />

nur dem Landesherrn pflichtige Höfe<br />

Hofklasse Dienste/ Jahr Dienstgeld<br />

Vollmeier,<br />

66 (davon 48 „ordinaire“) 5 Rtlr. 19 Gr. 3 Pf f. 48 Tage<br />

Dreiviertelmeier<br />

Spanntage<br />

Halbmeier<br />

37 4/5 ( 28 4<br />

/ ) Spanntage<br />

5<br />

Höfelinge 25 (19 ½) Spanntage<br />

Großköter 71 (50) Handdienste<br />

Kleinköter 50,5 (37,5) Handdienste<br />

Brinksitzer 37 (25) Handdienste 9 Gr. 3 Pf. f. 25 Tage<br />

NHStAH Hann. 88 A 477<br />

Es wurden aber nicht alle Dienste tatsächlich wirklich („in natura“) geleistet.<br />

1738/39 gab es insgesamt 5802 ½ ordinäre Spanndienste, von denen aber tatsächlich<br />

nur 4152 (71,6 %) verrichtet wurden. Bei den Handdiensten war das Missverhältnis<br />

zwischen Soll und Ist noch gravierender: statt der 14925 ordinären Handdiensttage<br />

wurden von den Pflichtigen nur 5516 oder 37 % geleistet. 53<br />

Der Rezess über die Verwandlung der Natural-Hand- und Spanndienste in<br />

Geldabgaben im Amt Blumenau wurde am 30.12.1775 geschlossen. Danach wurde der<br />

gewöhnliche Wochendienst vollständig aufgehoben, wofür die Bauern statt des<br />

normalen Dienstgeldes nun ein sogenanntes erhöhtes zu zahlen hatten (siehe Tabelle).<br />

Bestehen blieben die Burgfestdienste, die aber nur „in Herrschaftlichen<br />

Angelegenheiten und Amts-Bedürfnissen“ verlangt werden sollten, also nicht für<br />

landwirtschaftliche Dienste, was bislang offenkundig der Fall war. Zu den ebenfalls<br />

weiterhin bestehenden Landfolgediensten hieß es: „dass die wirksamsten<br />

Vorkehrungen getroffen werden sollen, damit bey der Verrichtung der Landfolgen und<br />

Kriegerreisen, wann solche erfordert und ausgeschrieben werden, kein Misbrauch<br />

vorgehe, noch ein Untertan vor dem andern beschwert werde“.<br />

Die Aufzählung enthält weitere von der Abstellung nicht betroffene Dienste <strong>–</strong><br />

Jagdfolgen, Amtsdienste, Mühlendienste, Holz- und Hudedienste <strong>–</strong> und zeigt das<br />

Ausmaß und die Bedeutung, die die Dienstleistungen für das Funktionieren des<br />

frühneuzeitlichen Staates besaßen.<br />

Sechs bzw. acht Zahlungstermine wurden für die Spanndienst-, bzw.<br />

Handdienstleistenden festgelegt; die Zahlungen begannen bei ersteren am 1. September<br />

und endeten am 1. Februar, bei den Handdienstpflichtigen war es die Zeit vom 1.<br />

August bis zum 1. März. Diese Vorgaben wurden ergänzt durch Strafen bei<br />

Zahlungsversäumnis und den Zusatz:<br />

„Würde auch <strong>eine</strong>r oder anderer s<strong>eine</strong> eingeerndteten Früchte so früh verschleudern, daß zu besorgen<br />

wäre, er werde die späteren Termine gehörig nicht im Stande seyn, so ist von Obrigkeits wegen der<br />

weitere Verkauf der Früchte zu inhibitieren.“<br />

52 Darstellung nach NHStAH Hann. 88 A 477. Siehe auch SCHNEIDER (1995a), hier 68-74 zu<br />

den Dienstabstellungen im Amt Aerzen.<br />

53 NHStAH Hann. 88 A Nr. 475. Über die Abstellungen im Amt Calenberg berichtet<br />

BECKMANN (1779), 114-138. Die Regelungen in den beiden Ämtern waren weitgehend identisch.<br />

75


Der Rezess hatte <strong>eine</strong> Dauer von 30 Jahren; zwei Jahre vor dessen Ablauf sollten die<br />

Bauern entscheiden können, wie danach zu verfahren sei. Zum Schluss wurden sie<br />

ermahnt, den Vertrag in allen Punkten sorgfältig einzuhalten und sich grundsätzlich als<br />

gute Hauswirte zu beweisen:<br />

„Gleichwie nun schlieslich die in dem gegenwärtigen Recesse beschriebenen Veränderungen des<br />

Dienstwesens in dem Amte Blumenau mit Hintansetzung aller Vortheile für die allergnädigste<br />

Landes-Herrschaft blos den eigenen Nutzen und die Beförderung des Wohlstandes der Unterthanen<br />

zum Zweck hat, Also erwartet man zuverlässig, daß die Unterthanen ihrer Seits allem demjenigen,<br />

wozu dieser Vergleich und Recess sie verbindet, auf das genaueste nachkommen, die erhaltene große<br />

Erleichterung in ihren Dienst-Pflichten sich gehörig zu Nuzze machen, mithin ihre Feld-Arbeit,<br />

Handthierung und Gewerbe mit allem Fleiße obliegen und in ihrem Hauswesen überhaupt <strong>eine</strong><br />

solche Einrichtung treffen werden, daß dieselben die huldreichsten Absichten Sr. Königlichen<br />

Majestät … auf das vollkommenste in Erfüllung bringen …“<br />

Die in dieser Aussage genannte Begründung, die Reform diene in erster Linie den<br />

Bauern, entsprach nur bedingt der tatsächlichen Intention, denn die überlieferten<br />

internen Berechnungen zeigen, dass die Kammer vorrangig bemüht war, ihre<br />

Einnahmen zu erhöhen. 54<br />

Bis 1787 konnte die Reform konnte in 65 Ämtern durchgeführt werden, sie<br />

scheiterte in fünf lüneburgischen Ämtern, in 27 Ämtern war bis dahin noch gar nichts<br />

geschehen. 55<br />

Bislang fehlen genauere Untersuchungen über die konkreten Folgen dieser Reform,<br />

zu vermuten ist jedoch, dass ihre Wirkung unterschiedlich ausfiel. In <strong>eine</strong>m Bericht des<br />

Amtes Dannenberg vom 11.11.1786 hieß es, die Abstellung der Dienste bringe<br />

„k<strong>eine</strong>n Nutzen, denn daß die Mähers Tagelöhner senden, ist ihnen auch jetzt vergönnet, und bis<br />

auf den Vormäher, der s<strong>eine</strong> Pröven erhält, schicken sie gewöhnlich solche Leute, deren Abgang in<br />

den vielen verschiedenen Dörfern, woraus sie erfolgen, nicht vermerket werden kann, ja es sind<br />

darunter Leute, die hier in der Stadt als Tagelöhner ihr Brodt suchen. Freilich liegen diese, so lange<br />

das Mähen dauert, zusammen und trincken auf Rechnung ihrer Wirthe vielleicht einige Tonnen<br />

Bier mehr als sie solten, … sie sind hergegen früh und spät zur Stelle und müssen der Anführung<br />

des Vormähers … gehorchen.“<br />

Durch die Dienstabstellungen änderte sich die Wirtschaftsführung vieler<br />

landesherrlicher Domänen. Während bei den größeren Betrieben nur die entfernt<br />

liegenden Ländereien wegen der weiten Wege an Bauern verpachtet wurden, löste man<br />

die kl<strong>eine</strong>ren z.T. durch Vereinzelung, d.h. durch Verpachtung aller Flurstücke an<br />

Bauern, auf. 56<br />

Die Reform wurde k<strong>eine</strong>swegs von den Bauern abgelehnt, sondern teilweise sogar<br />

energisch gefordert, schien sie doch das Ende <strong>eine</strong>r drückenden Last zu bedeuten. 57<br />

Solange die Getreidepreise hoch und zugleich die Ernten ertragreich waren, dürfte es<br />

k<strong>eine</strong> großen Probleme bereitet haben, die notwendigen Dienstgelder aufzubringen. 58<br />

Wir wissen allerdings noch zu wenig von den bäuerlichen Verhältnissen, um in diesem<br />

54 Solche internen Berechnungen sind für das Amt Aerzen überliefert; NHStAH Hann. 88 A<br />

97 I.<br />

55 Von diesen lagen wiederum 14 in Lüneburg; WITTICH (1896), 420.<br />

56 WITTICH (1896), 421. Im hannoverschen Amt Fallesleben kam es im 18. Jahrhundert nicht<br />

mehr zu <strong>eine</strong>r Verpachtung; RIESENER (1991), 146-149. Es fehlen allerdings Detailstudien über<br />

weitere Ämter.<br />

57 SCHNEIDER (1995a). Ähnlich sah es in Schaumburg-Lippe aus; SCHNEIDER (1983), 119.<br />

58 GÜLICH (1827), 27.<br />

76


Punkt eindeutige Aussagen machen zu können. Immerhin gibt es Indizien dafür, dass<br />

die finanziellen Lasten speziell bei den kl<strong>eine</strong>ren Betrieben nicht gering waren. 59<br />

Die Abstellung der Herrendienste verlief allerdings nicht überall reibungslos, weil<br />

die Amtspächter oft bestrebt waren, ich möglichst lange der für sie praktischen Dienste<br />

zu vergewissern. Gleichwohl war sie in <strong>eine</strong>m überschaubaren Zeitraum abgeschlossen.<br />

Allerdings blieben die Dienstabstellungen auf die landesherrlichen Ämter begrenzt.<br />

Die adeligen Gutsbesitzer entschieden jeweils individuell, ob und wie sie die<br />

bäuerlichen Dienste verlangten. Insgesamt wissen wir über die Zustände auf den<br />

adeligen Gütern noch zu wenig. 60<br />

Die Dienstabstellungen hatten zweierlei Konsequenzen: sie beschleunigten die<br />

Monetarisierung der Landeseinkünfte und sie förderten die ohnehin sich entwickelnde<br />

Marktbindung der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Ihr schrittweiser, tastender<br />

Charakter ist unverkennbar, es wird weder Grundherrschaft in Frage gestellt, noch<br />

versucht, die Ökonomie des Landes auf <strong>eine</strong> neue Grundlage zu stellen.<br />

Dagegen wurde zwar die Leibeigenschaft als Überrest <strong>eine</strong>s barbarischen Zeitalters<br />

kritisiert, Vorschläge, wie die vielfältigen herrschaftlichen Abhängigkeiten überwunden<br />

werden konnten, unterblieben. 61 Das war nicht weiter verwunderlich, denn mit der<br />

herrschaftlichen Abhängigkeit stand auch die soziale Stellung der Adeligen zur<br />

Disposition und mehr noch, die gesamte Einnahmestruktur des Staates. Reformansätze<br />

in diesem Bereich berührten damit die gesellschaftliche und staatliche Struktur, griffen<br />

in die autonomen Rechte des Adels ein, erforderten ein neues Steuersystem und hätten<br />

<strong>eine</strong> grundlegende Gesellschaftsreform zur Konsequenz gehabt. 62<br />

4. Gemeinheitsteilung en<br />

1779 stellten vier Vollmeier und elf Halbmeier des Dorfes Klein Berkel im<br />

calenbergischen Amt Aerzen <strong>eine</strong>n Antrag auf Teilung des 39 Morgen umfassenden<br />

Großen und Kl<strong>eine</strong>n Angers vor Klein Berkel bei Hameln. 63 Nutzungsberechtigte,<br />

sogenannte Interessenten, waren neben den genannten Antragstellern noch sechs<br />

„Dreispänner“ (Drittelmeier), 12 Vollkötner, 10 Halbkötner und das königliche Amt<br />

Aerzen mit dazugehöriger Schäferei. Gegenstand dieses Antrags war die Aufhebung<br />

bislang genossenschaftlich genutzer Flächen, also Gemeinheiten, die nun in <strong>eine</strong><br />

individuelle Nutzung überführt werden sollten. Es handelt sich also um <strong>eine</strong>n Antrag<br />

auf <strong>eine</strong> Gemeinheitsteilung.<br />

Wie ging es in Klein Berkel weiter? Die im folgenden Jahr aufgenommenen<br />

Verhandlungen brachten kein Ergebnis, obwohl sich die Kammer eingeschaltet hatte.<br />

Grund für das Scheitern war die Weigerung der Kleinstellenbesitzer, dem Teilungsplan<br />

zuzustimmen. Dieser sah <strong>eine</strong> Verteilung des Landes in Abhängigkeit von der<br />

Klasseneinteilung vor. Ein Halbmeier sollte die Hälfte <strong>eine</strong>s Vollmeiers, ein<br />

59 Klagen über Schwierigkeiten, das Dienstgeld aufzubringen, sind jedenfalls überliefert; etwa<br />

Klagen der Bauern des Amtes Aerzen vom 6.7.1789; NHStAH Hann. 88 A 97 II; des<br />

Amtes Blumenau, Amtsbericht vom 18.3.1783; NHStAH Hann. 479.<br />

60 GÜLICH (1827), 28 f vergleicht aber für das Fürstentum Calenberg die Verhältnisse auf den<br />

adeligen Gütern mit weiterhin hohen Dienstlasten mit denen der landesherrlichen Bauern,<br />

was darauf hindeutet, daß hier weiterhin Dienste verlangt wurden.<br />

61 MÜNCHHAUSEN (1793) sowie SCHREINER (1983).<br />

62 Dazu ZIMMERMANN (1983).<br />

63 NHStAH Hann. 88 A Nr. 205; danach die folgende Darstellung.<br />

77


Dreispänner ein Drittel, ein Vollkötner ein Viertel erhalten. 10 Jahre später, im<br />

Dezember 1789, wurde ein zweiter Versuch unternommen, nachdem auch das Amt<br />

Aerzen die Ansicht vertreten hatte, dass der erste Teilungsmaßstab ungerecht sei.<br />

Obwohl die Kötner wesentlich stärker als die Meier auf den Anger angewiesen waren,<br />

hätten sie jeweils nur nur 1/3 Morgen erhalten, was selbst zum Halten <strong>eine</strong>r Kuh zu<br />

wenig war. Versuche, durch <strong>eine</strong>n anderen Teilungsmaßstab zu <strong>eine</strong>r Regelung zu<br />

gelangen, scheiterten ebenfalls.<br />

Der Verlauf dieser gescheiterten frühen Teilung weist auf wichtige Aspekte von<br />

Gemeinheitsteilungen. Das Hauptproblem bestand darin, dass nicht alle Dorfbewohner<br />

<strong>eine</strong>n gleich großen Anteil des Landes erhielten, sondern die Anteile entsprechend der<br />

Hofgröße gestaffelt waren. Die sozial und ökonomisch dominante bäuerliche<br />

Bevölkerung versuchte ihre Interessen durchzusetzen, stieß dabei aber auf den<br />

Widerstand der Kleinstelleninhaber, die in existentieller Weise auf das<br />

genossenschaftlich genutzte Land angewiesen waren. Das Finden <strong>eine</strong>s<br />

Teilungsmaßstabes war also mehr als ein technisches Problem, sondern eng verbunden<br />

mit den sozialen Verhältnissen im Dorf.<br />

Das Beispiel zeigt zugleich, dass die Initiative zur Teilung von den Bauern ausging<br />

und vermutlich nicht von der Obrigkeit. Aufschlussreich ist das Verhalten des<br />

landesherrlichen Amtes, welches gegen die Teilung stimmte, indem es betonte, die<br />

Aufhebung der bisherigen Nutzung des Angers bringe dem Amtshaushalt wesentliche<br />

Nachteile, da insbesondere die Schafzucht dann sehr eingeschränkt sei. Der Amtmann<br />

schloss mit den Worten:<br />

„Aus diesem erheblichem Grunde hat ein jeder hiesiger Haushaltspächter Ursache zu wünschen,<br />

daß diese beiden benannten Gemeinheits Pertinentien in statu quo verbleiben mögten.“ 64<br />

Ein Jahr später, vermutlich nach <strong>eine</strong>m Wechsel des Amtmannes, wurde dann doch die<br />

Teilung in modifizierter Form durchgeführt.<br />

Wie schwer tun wir uns heute mit Veränderungen und Reformen, wenn sie unseren<br />

eigenen Lebensbereich betreffen und es sich um wohl vertraute Dinge handelt?<br />

Ziel <strong>eine</strong>r Gemeinheitsteilung war die individuelle Aufteilung bisher<br />

genossenschaftlich genutzter Ländereien an die bisherigen Nutzungsberechtigten, seien<br />

es die Bewohner <strong>eine</strong>s oder mehrerer Dörfer, landesherrliche Domänen oder adelige<br />

Güter. Dadurch sollte <strong>eine</strong> intensivere Grünlandwirtschaft und <strong>eine</strong> Erhöhung des<br />

Viehstapels erreicht werden, wodurch wiederum der Düngeranfall steigen und damit<br />

der Ackerbau verbessert würde. Das Problem bestand darin, die bisherigen<br />

gemeinsamen Rechte in individuelle so aufzuteilen, dass niemand verlor und alle<br />

gewannen. Solange alle Beteiligten sich einigen konnten, gab es k<strong>eine</strong> Schwierigkeiten,<br />

doch gehörten freiwillige Einigungen zu den Ausnahmen. Häufig widersetzte sich<br />

mindestens <strong>eine</strong> der Parteien, so dass genaue Regeln festgelegt werden mussten, woran<br />

es aber zunächst mangelte. Das Verfahren war nicht allein deshalb nur schwer<br />

durchzuführen. Häufig war nicht einmal bekannt, wie groß die zu teilenden Flächen<br />

waren, weshalb zuvor <strong>eine</strong> erste Vermessung durchgeführt werden musste. Das alles<br />

kostete Geld, und das war gerade bei den kl<strong>eine</strong>n Stellen knapp. 65<br />

Die im Falle Klein Berkels gefundene Lösung <strong>eine</strong>r Aufteilung nach Hofklassen<br />

wurde zwar auch in anderen Fällen versucht 66 , war aber nur bedingt geeignet, da jeweils<br />

64 Ebd., Bericht vom 6.12.1788.<br />

65<br />

THAER (1799), 1, 95, verweist auf die Kosten, welche Gemeinheitsteilungen verhindern<br />

könnten.<br />

66<br />

GOLKOWSKY (1966), 35-46.<br />

78


ortstypische Verhältnisse einbezogen werden mussten. So wurden in dem zum Amt<br />

Stolzenau gehörigen Dorf Holzhausen 1777 drei Maßstäbe diskutiert: nach der<br />

Kontribution von den Ländereien, nach der Kontribution von den Häusern und der<br />

„Qualité“ der Höfe. 67 Gegen den Widerstand der Brinksitzer, die teilweise relativ viel<br />

Land bewirtschafteten, wurde der dritte Maßstab, die Hofklasse, zugrunde gelegt, so<br />

dass am Ende die Meier acht mal so viel Land erhielten wie die Brinksitzer.<br />

Für die frühen Reformen spielten landesherrliche Anregungen <strong>eine</strong> wichtige Rolle.<br />

Die Verordnung vom 22. November 1768, „wie in Landes-Oeconomie-<br />

Angelegenheiten zu verfahren“, markiert <strong>eine</strong>n wichtigen Einschnitt innerhalb der<br />

niedersächsischen, bzw. hannoverschen Agrarreformen. Hier heißt es eingangs:<br />

„Wir Georg der Andere 68 Fügen hiermit zu wissen, wasmaßen Wir seit hergestelltem Frieden es<br />

<strong>eine</strong>n, Unserer Aufmerksamkeit besonders würdigen Gegenstand sein lassen, <strong>eine</strong>stheils durch die<br />

Aufhebung der der Kultur des Landes gemeiniglich schädlich und nachtheilig fallenden<br />

Gemeinheiten, anderntheils durch Anordnung verschiedener zur Verbesserung des Landes<br />

abzweckenden gemeinnützigen Veranstaltungen, und endlich durch Ansetzung neuer Anbauer und<br />

des Endes geschehene Anweisungen, das Wohl Unserer deutschen Lande und getreuen Unterthanen<br />

zu befördern, solchergestalt die Landesprodukte zu vermehren, Unsere Lande durch Herbeiziehung<br />

mehrerer ansässiger Unterthanen zu bevölkern, und allen und jeden derselben Gelegenheit zu<br />

verschaffen, vermittelst ihres Fleißes und ihrer Arbeit ihr gutes und austrägliches Auskommen zu<br />

erwerben.” 69<br />

Erlassen wurde die Verordnung nicht zufällig wenige Jahre nach dem Ende des<br />

7jährigen Krieges, hatte dieser doch die Notwendigkeit <strong>eine</strong>r intensiveren Förderung<br />

der Landwirtschaft und der gesamten Volkswirtschaft vor Augen geführt. Außerdem<br />

hatte er <strong>eine</strong>n Schuldenberg hinterlassen, der jetzt durch <strong>eine</strong> allgem<strong>eine</strong> Förderung des<br />

Landes abgebaut werden sollte. 70<br />

Mit der Gründung der Cellischen Landwirtschaftsgesellschaft war schon zuvor ein<br />

wichtiger Schritt in Richtung auf <strong>eine</strong> modernisierte Landwirtschaft erfolgt, jetzt sollte<br />

mit <strong>eine</strong>r konkreten Maßnahme die Sitaution des Landes dadurch verbessert werden,<br />

dass die Landnutzung intensiviert wurde. Damit sollte zugleich <strong>eine</strong> Erhöhung der<br />

Einwohnerzahl erreicht werden. 71<br />

Die Lüneburger Heide bildete mit ihren weiten ungenutzten Heideflächen ein<br />

geeignetes Experimentierfeld für Modernisierungsversuche, denn wie hieß es in Thaers<br />

Annalen?<br />

„Die Unfruchtbarkeit dieser Gegend ist fast durch ganz Europa bekannt, und unter der<br />

Lüneburger Heide denkt man sich die Wüste Arabiens im Kl<strong>eine</strong>n.” 72<br />

Hier bestanden aus der Sicht der modernen Agrarwissenschaft zu viele Defizierte: die<br />

fehlende systematische Einteilung in Winter-, Sommer- und Brachfelder,<br />

unzureichende Weiden und Wiesen, denen lediglich <strong>eine</strong> intensiv betriebene Pferde-<br />

und Schw<strong>eine</strong>- sowie Bienenzucht gegenüberstand. Die zeitgenössische<br />

Ertragsberechnung <strong>eine</strong>s Hofes erbrachte ein jährliches Minus von 18 Rtlr. 23 Gr. 73<br />

67<br />

GOLKOWSKY (1966), 41.<br />

68 Versehentlich für Georg der Dritte.<br />

69<br />

SPANGENBERG (1820), 239 - 243, hier S. 239.<br />

70 Allgemein dazu RÖMER (1998). Speziell:OBERSCHELP (1982), 108 f.<br />

71 Hierzu knapp zusammenfassend und die ältere Literatur referierend BRAKENSIEK (1991),<br />

196 f.<br />

72<br />

THAER (1799), 1, 86.<br />

73<br />

THAER (1799), 1, 102-141.<br />

79


Dieses Ergebnis wird durch neuere Berechnungen bestätigt. 74 Nur dank der<br />

Übernahme von Nebenarbeiten konnten die Betriebe finanziell überleben. Thaers<br />

Annalen nennen „Verkehr mit dem Holze, Fracht-Fahren, Pferde-Zucht und Handel,<br />

Torf-Stechen, Sammeln des Fuhren-Saamens und des Wacholder, auch wohl<br />

Bickbeeren, das Kaufgarn-Spinnen und das Weben grober Leinwand, verstärkte<br />

Bienenzucht”, fügen aber hinzu, der Frachtdienst als Hauptverdienst sei ein „Grund<br />

zum Verderben” der betreffenden Höfe. 75<br />

Besondere Bedeutung hatte für die teilweise großen Heidebetriebe die Nutzung der<br />

weiträumigen Heideflächen, 76 die <strong>eine</strong> notwendige Grundlage zur Verbesserung des<br />

Ackerlandes bildeten, indem sie als Streuheide oder als Plaggenheide genutzt wurden. 77<br />

Das große „Entwicklungspotential“ des Fürstentums Lüneburg mochte durchaus<br />

anstachelnd wirken 78 , stellte die Beamten aber auch vor weitreichende Probleme. Der<br />

Versuch, durch Innovationstransfer aus England zu <strong>eine</strong>r Intensivierung der<br />

agrarischen Produktion beizutragen, scheiterte beinahe kläglich, wie das Beispiel des<br />

Claus Brüggemann zeigt, dessen Erfahrungen sich nicht in der Lüneburger Heide<br />

durchsetzen ließen. 79<br />

Trotz dieser Rückschläge wurden in dieser Region die Versuche zur Verbesserung<br />

der Reformen nicht aufgegeben, zu sehr wirkten hier die schwierigen naturräumlichen<br />

Verhältnisse und wohl auch das dänisch-lauenburgische Beispiel. Sie erstreckten sich<br />

sowohl auf die Zusammenlegung der Felder (Verkoppelungen) wie die<br />

Gemeinheitsteilungen. Impulse gingen von der Landesherrschaft und den<br />

lünebugischen bzw. den hoyaischen Landständen aus. 80 Allerdings sollte gerade die<br />

Verordnung von 1768 nicht überbewertet werden, da sie in ihren Aussagen und<br />

Ausführungsbestimmungen zu unbestimmt war, um <strong>eine</strong>n schnellen Reformprozess zu<br />

ermöglichen.<br />

Eine entscheidende Rolle spielten die unteren Beamten, denn sie konnten durch ihre<br />

gute Orts- und Untertanenkenntnis, durch ihre eigenen agrarischen Aktivitäten, ihre<br />

Funktion als Verwaltungs- und Gerichtsbeamte sowie als Pächter landesherrlicher<br />

Domänen in vielfältiger Weise das lokale Geschehen beeinflussen. Ihr Verhalten konnte<br />

sich dabei sowohl fördernd wie bremsend auf das jeweilige Geschehen auswirken, 81 da<br />

sie nicht selten zugleich Pächter des jeweiligen Amtsvorwerks waren. So hatten sie<br />

<strong>eine</strong>rseits die Interessen des Landesherrn zu vertreten und andererseits ihre eigenen.<br />

Allerdings waren sie gerade deshalb besser mit den praktischen Problemen vertraut als<br />

ihre juristisch geschulten Nachfolger des 19. Jahrhunderts. 82 Die Kammer bemühte<br />

sich in den 1770er Jahren, gerade die unteren Beamten zu Reformen zu motivieren. 83<br />

74<br />

RISTO (1964), 99-101.<br />

75<br />

THAER (1799), 1, 110-111, Zitat S. 113. Grund war die Tatsache, dass die Betriebe bei der<br />

zu starken Übernahme von Frachtdiensten die eigene Landwirschaft vernachlässigten.<br />

76 Ein „idealtypischer Heidehof“ bewirtschaftete ca. 1400 Morgen Heide, aber nur 170<br />

Morgen Ackerland; VÖLKSEN (1984), 16.<br />

77<br />

VÖLKSEN (1984), S. 17. Siehe auch THAER (1799), 1, 147-150.<br />

78<br />

BRAKENSIEK (1991), 196.<br />

79<br />

ULBRICHT (1980), 233-241; s.a. oben S. .<br />

80<br />

GOLKOWSKY (1966), 22-28.<br />

81<br />

PRASS (1997b), 67 f; insofern ist die Zuordnung der Amtleute zu den „Agenten“ der<br />

Reformen zumindest doppelsinnig.<br />

82 Seit der neuen Amtsordnung von 1823 waren die Amtleute k<strong>eine</strong> Pächter mehr; PRASS<br />

(1997b), 186.<br />

80


Impulse konnten auch von Adeligen ausgehen, die <strong>eine</strong> Eigenwirtschaft betrieben.<br />

Ihr Einfluss auf das Reformgeschehen dürfte aber analog zu dem der Amtmänner<br />

ambivalent gewesen sein, denn sie waren zwar eher in der Lage, sich mit den neueren<br />

wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzen und hatten aufgrund <strong>eine</strong>r<br />

höheren Marktquote ein größeres Interesse, Innovationen durchzuführen, profitierten<br />

jedoch auch von dem bisherigen System, vor allem dort, wo sie die<br />

Schäfereigerechtigkeit innehatten. 84<br />

Schließlich dürfen die Bauern nicht vergessen werden, wobei unsere Kenntnis noch<br />

rudimentär ist. Es deutet einiges darauf hin, dass sie immer wieder und schon zu<br />

<strong>eine</strong>m relativ frühen Zeitpunkt auf Reformen drängten. 85 Dabei ging die Initiative<br />

meist, aber nicht immer von den größeren Betrieben aus, die stärker marktorientiert<br />

wirtschafteten, und für die <strong>eine</strong> stärkere Individualisierung der Landwirtschaft von<br />

Vorteil war. Es konnten aber auch von den Kleinstellenbesitzern Anregungen<br />

ausgehen. 86<br />

Schließlich hatten schon die frühen Reformen <strong>eine</strong> räumliche Komponente. Stefan<br />

Brakensiek konnte für ostwestfälische Gebiete mit <strong>eine</strong>r ausgeprägten<br />

Protoindustrialisierung ermitteln, dass die größere Binnennachfrage nach<br />

Nahrungsmitteln seitens der Heimarbeiter <strong>eine</strong>n Modernisierungsprozeß in Gang<br />

setzte. 87 Für Niedersachsen fehlen uns entsprechende Regionalstudien, auch wenn es<br />

derzeit k<strong>eine</strong> Hinweise für derartige dynamische Prozesse gibt, sind sie doch nicht<br />

auszuschließen. 88 Hier wurden allerdings die ersten Reformen nicht in den verdichteten<br />

Regionen mit Heimgewerbe, sondern in den nordöstlichen Geestgebieten durchgeführt<br />

und in den Bördegebieten des mittleren Niedersachsen, während sie in den westlichen<br />

Geest- und Moorgebieten erst im 19. Jahrhundert realisiert wurden. Es gab mithin im<br />

18. Jahrhundert <strong>eine</strong> starke regionale Differenzierung des Reformgeschehens, wobei<br />

die naturräumlichen Voraussetzungen und die daraus resultierende Flurnutzung, der<br />

Marktzugang, aber auch die staatliche Reformbürokratie <strong>eine</strong> entscheidende Rolle<br />

spielten. 89<br />

Die Gründe für die nur zögernden Anfänge der ersten Gemeinheitsteilungen lagen<br />

nicht zuletzt darin, dass die bisherige Feldbewirtschaftung bei allen rationalen<br />

Nachteilen das Ergebnis <strong>eine</strong>r Reihe von komplexen Anpassungsprozessen war und<br />

somit für die Zeitgenossen in hohem Maße sinnvoll und vernünftig erschien, wie selbst<br />

einige Agrarwissenschaftler feststellten. Ein Haupteinwand gegen die neuen Formen<br />

der Feldbewirtschaftung könnte gewesen sein, dass bei ihnen zwar die Erträge<br />

optimiert wurden, gleichzeitig aber die Risiken stiegen, während die alte<br />

Bewirschaftungsform vergleichsweise sichere Ernten garantierte. 90<br />

Auch wenn die Initiative einzelner gesellschaftlicher Gruppen am Anfang vieler<br />

kl<strong>eine</strong>r Reformen stand, so spielten dennoch gesetzliche Regelungen <strong>eine</strong> nicht<br />

83 NHStAH Hann 74 Dannenberg, Nr. 3077: „Die Beförderung der Gemeinheits-<br />

Theilungen und Verkoppelungen und deshalb ertheilte Aufträge.“<br />

84 Dazu u.a. auch PRASS (1997b), 130-132, 149 f.<br />

85 GOLKOWSKY (1966), 55.<br />

86 Ebd., SCHNEIDER (1994), 1, 91.<br />

87 BRAKENSIEK (1991), 402-404 (Zusammenfassung).<br />

88 Brakensieks Feststellungen über die nichtwestfälischen Gebiete müssen deshalb auch mit<br />

gewisser Vorsicht bewertet werden.<br />

89 BRAKENSIEK (1991), 394-423 (Zusammenfassung) und GOLKOWSKY (1966), 55. Eine<br />

systematische, neuere Forschungsergebnisse an den Akten überprüfende Darstellungen<br />

gibt es nicht.<br />

81


unerhebliche Rolle. Sie bestand u.a. darin, einheitliche und realisierbare<br />

Rahmenbedingungen festzulegen. Einen grundlegenden Anstoß für<br />

Gemeinheitsteilungen gab im Kurfürstentum Hannover die schon erwähnte<br />

Verordnung vom 22. November 1768, wie in „Landes-Oekonomie-Angelegenheiten zu<br />

verfahren”. 91 Hauptaufgabe dieser Verordnung war es, die landesherrlichen Beamten zu<br />

ermuntern, in ihrem Amtsbezirk jede sich bietende Gelegenheit für Teilungen zu<br />

nutzen. Dem gleichen Zweck dienten in der Folgezeit weitere Kammerausschreiben.<br />

Ab 1776 hatten auf Anforderung der Rentkammer „die sämtlichen Beamten alljährlich<br />

auf Maitag und ohnvergeßlich einzuberichten, ob und inwiefern sie in ihrem Amte<br />

Gelegenheit gehabt, Gemeinheitsteilungen wirklich zustande zu bringen, oder aber im<br />

Gefolge des obigen vorzubereiten”. 92<br />

Etwa zur gleichen Zeit wurden in den anderen niedersächsischen Territorien<br />

ähnliche Schritte unternommen, um die Felder zusammen zu legen oder die<br />

Gemeinheiten aufzuteilen. In Braunschweig wurden während und nach der<br />

Generallandesvermessung von 1746 bis 1784 Gemeinheiten aufgehoben und erste<br />

Verkoppelungen durchgeführt. 93 Das Hezogtum Braunschweig wies sehr<br />

unterschiedliche naturräumliche Gebiete auf: Geest in den nördlichen, Börde in den<br />

mittleren und Berg- und Hügelland in den südlichen Landesteilen. Der Anteil der<br />

Gemeinheiten oder Allmende war in den nördlichen Landesteilen sehr hoch, in den<br />

übrigen Gebieten vergleichsweise niedrig. Entsprechend ihrer Funktion als<br />

kartographische Aufnahme konnte die Landesvermessung zwar erste Korrekturen des<br />

vorhandenen Feldsystems erreichen, aber k<strong>eine</strong> grundsätzliche Umgestaltung der<br />

gesamten Feldmark.<br />

In Osnabrück war die Situation anders als in Braunschweig, denn hier bildeten<br />

Einzelhöfe und große Gemeinheitsflächen (hier: Marken) <strong>eine</strong>n wesentlichen<br />

Bestandteil der Kulturlandschaft. 94 Seit dem 16. Jahrhundert hatte es <strong>eine</strong>n drastischen<br />

Anstieg der unterbäuerlichen Heuerlinge gegeben, die zunehmend die vorhandenen<br />

Marken für ihr Vieh nutzten. 95 Schon früh gab es Ansätze zur Aufhebung der Marken,<br />

da deren Zustand sich in Folge der Übernutzung erheblich verschlechterte und sie im<br />

Berg- und Hügelland ihre Aufgabe als Holzlieferant nicht mehr erfüllen konnten.<br />

„Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts trat deutlich zu Tage, dass die<br />

Markenwirtschaft <strong>–</strong> verstanden vor allem als Holz- und Mastwirtschaft <strong>–</strong> am Ende<br />

war.“ 96 Mit zwei Verordnungen von 1721 und 1785 sollten freiwillige Markenteilungen<br />

gefördert werden, wobei diese „die Merkmale <strong>eine</strong>r freiwilligen Selbstauflösung der<br />

Markgenossenschaft“ hatten. 97 Jedoch wurden die zahlenmäßig dominierenden<br />

Heuerlinge nur in geringem Maße beteiligt, obwohl sie besonders auf die<br />

90 Etwa Westfeld über die Verkoppelungen; GOLKOWSKY (1966), S. XX. In der<br />

westeuropäischen Forschung werden derzeit wieder die positiven Elemente der alten<br />

Agrarwirtschaft diskutiert; siehe etwa: BEKAR, REED (2003).<br />

91 Beleg für die Quellen.<br />

92 Zit. nach GOLKOWSKY (1966), 92 f.<br />

93<br />

KRAATZ (1975), 2 f; WISWE (1965); außerdem mit knapper Zusammenfassung BRAKENSIEK<br />

(1991), S. 222.<br />

94<br />

BRAKENSIEK (1991), 299-310 mit der neuesten Zusammenfassung;<br />

95 Als Regionalstudie mit <strong>eine</strong>r detaillierten Beschreibung der Konflikte um die<br />

Markennutzung: SCHLUMBOHM (1994), 46-58.<br />

96<br />

BRAKENSIEK (1991), 305.<br />

97<br />

BRAKENSIEK (1991), 308; Middendorf (1927), XX.<br />

82


Markennutzung angewiesen waren, was zu <strong>eine</strong>r deutlichen Verschlechterung ihrer<br />

ökonomischen Situation führte.<br />

Im Herzogtum Oldenburg, das seit 1773 zu Dänemark gehörte, fanden dagegen<br />

k<strong>eine</strong> weit reichenden Reformen wie im dänischen Holstein statt. 98 Auf der Geest hatte<br />

ein ähnlicher Prozess wie in Osnabrück mit <strong>eine</strong>r weitgehenden Entwaldung und <strong>eine</strong>r<br />

Zunahme der Kleinstellenbesitzer eingesetzt. Eine allgem<strong>eine</strong> Landesvermessung sollte<br />

ab 1790 der Vorbereitung von Reformen dienen, zu denen es aber im 18. Jahrhundert<br />

nicht mehr kam.<br />

In der Grafschaft Schaumburg-Lippe und der benachbarten, mit Hessen<br />

verbundenen Grafschaft Schaumburg kam es im 18. Jahrhundert lediglich zu ersten<br />

Versuchen. Das Fehlen gesetzlicher Regelungen verhinderte hier in beiden Fällen<br />

entsprechende Reformansätze. 99 Einzelne von den Gemeinden ausgehende Versuche in<br />

der Grafschaft Schaumburg scheiterten speziell am Widerstand der<br />

Schäfereiberechtigten.<br />

Das seit 1744 zu Preußen gehörende Ostfriesland, erfuhr mit dem 1765 erlassenen<br />

Urbarmachungsedikt <strong>eine</strong>n wichtigen Anstoß für Gemeinheitsteilungen, da als<br />

Voraussetzung für die Kolonisation die Generalteilungen der bislang von mehreren<br />

Gemeinden kollektiv benutzten Flächen notwendig war. 100<br />

Insgesamt waren die Ergebnisse dieser frühen Reformphase bescheiden. Der<br />

schleppende Verlauf der Gemeinheitsteilungen hatte mehrere Gründe. Am Anfang<br />

stand zunächst Überzeugungsarbeit, denn die Vorzüge <strong>eine</strong>r individuellen<br />

Gründlandnutzung waren entweder nicht allen sofort klar oder sie bestanden nur für<br />

einzelne Gruppen der bisherigen Berechtigten. Schwierig war das Verfahren, da die<br />

Gemeinheiten in der Regel von mehreren Gemeinden, dem landesherrlichen Amt und<br />

gegebenenfalls <strong>eine</strong>m adligen Gut genutzt wurden. Ehe die bisherigen<br />

Nutzungsberechtigten das Land individuell bewirtschaften konnten, bedurfte es erst<br />

<strong>eine</strong>r Generalteilung, die die Anteile der einzelnen Gemeinde trennte, was bei der<br />

Gemengelage der bisherigen Rechte, Mast-, Hude- und Holznutzung, nicht immer<br />

einfach war. Noch schwieriger war, wie schon dargestellt, der zweite Abschnitt, die<br />

Spezialteilung, durch die die Anteile der einzelnen Gemeindemitglieder bestimmt<br />

wurden. Oft gab es gegen die angewandten Teilungsmaßstäbe Widerstand in den<br />

Gemeinden.<br />

Dennoch sollten die Dorfbewohner in ihrer hemmenden Wirkung auf die Reform<br />

nicht überschätzt werden, denn die Beispiele für deren Einsatz zugunsten der Reform<br />

sind trotz <strong>eine</strong>s noch lückenhaften Forschungsstandes unübersehbar, wobei neben den<br />

Unterschieden zwischen den einzelnen Hofklassen regionale Abweichungen zu<br />

berücksichtigen sind. Gerade weil die Reform in hohem Maße in die vorhandenen<br />

dörflichen Strukturen eingriff und sie veränderte, kam der Regelungsfähigkeit des<br />

Staates <strong>eine</strong> nicht zu unterschätzende Rolle zu. Und gerade in diesem Punkt<br />

vermochten die entsprechenden Gesetze und Verordnungen kaum zu überzeugen,<br />

enthielten sie doch zumeist nur Absichtserklärungen, aber k<strong>eine</strong> genauen, juristisch<br />

einwandfreien Prozeduren. 101 Außerdem fehlte ein entsprechend ausgebildeter<br />

Verwaltungsapparat, der in der Lage gewesen wäre, die notwendigen Maßnahmen wie<br />

Vermessung, Erfassung des Bestandes und korrekte Berechnung der Abfindungen, in<br />

98 BRAKENSIEK (1991), 249-258. SCHAER, ECKHARDT (1993).<br />

99 BRAKENSIEK (1991), 235-242; SCHNEIDER (1994), 1, 82 f und 87.<br />

100 BRAKENSIEK (1991), 245.<br />

101 PRASS (1997b), 45-47.<br />

83


überschaubarer Zeit zu realisieren. In diesen Punkten brachte erst das 19. Jahrhundert<br />

den entscheidenden Durchbruch.<br />

5. Fr ühe Verkoppelung en<br />

Am 5. Dezember 1775 wurde vom Amt Dannenberg im Wendland zu Protokoll<br />

genommen, der Hauswirt Heinrich Meyer aus Samnatz wünsche, dass s<strong>eine</strong> Abgaben<br />

reduziert werden mögen, da er genauso viele Abgaben wie s<strong>eine</strong> Nachbarn zu leisten<br />

habe, obwohl er über weniger Land verfüge. Dem Protokoll ist weiter beigefügt, „dass<br />

sie [die Dorfbewohner] ihre Acker Länderey seit geraumer Zeit in 4 Theilen, oder<br />

Schlägen getheilet, wovon 2 für Winter, 1 für Sommer Frucht und der 4. Theil das<br />

Brackfeld ausmache.” Damit war der Wunsch verbunden, die Felder verkoppeln zu<br />

lassen. Mit diesem relativ <strong>kurze</strong>n Protokoll begann <strong>eine</strong> nahezu 20jährige Odyssee um<br />

die Verkoppelung der kl<strong>eine</strong>n Samnatzer Feldmark, die stellvertretend für ein zentrales<br />

Reformgeschehen in Nordwestdeutschland hier vorgestellt werden soll. 102<br />

13 Jahre später, am 13.8.1788, meldete der Kondukteur Ziegler aus Neuhaus an das<br />

Amt Dannenberg:<br />

„Euer Wohlgebohren habe ich die Ehre zu benachrichtigen, daß Jeden der Samnatzer Einwohner<br />

am 9ten d.M.[onats] 5 Koppeln angewiesen worden, um nach vollendeter Erndte die Bestellung der<br />

Saat in denselben vornehmen zu können. Die Sache wird dem Anschein nach den Vorteil<br />

übertreffen, den die Bauern sich davon versprochen haben...“<br />

Schon am 23. Oktober desselben Jahres berichtete er von dem erfolgreichen Abschluß<br />

der Verkoppelung in Samnatz:<br />

„Die Einteilung der Feldmark Samnatz ist dahin berichtiget, daß jeder der 4 Eingesessenen in 7<br />

Binnenschlägen zu 9 Morg.= 63 Morgen,<br />

in 7 Außenschlägen zu 5 ½ Morgen = 38 ½ Morgen,<br />

in Allem an Ackerländereien 101 ½ Morgen<br />

erhalten hat.<br />

An Wiesenlande hat jeder erhalten 1 ¾ Morgen. Die Haide ist theils an den Koppeln geschnitten,<br />

um die Ackerländereien daraus erweitern zu können, theils ist selbige zum Busch und Plaggenhieb<br />

in Schlägen von 5 Morgen bis zu 40 Morgen gelegt, so daß jeder Hauswirth in Allem an Haide<br />

und Weide besitzt<br />

180 Morgen.<br />

An Gartenland ist jedem, theils in Verbindung mit der zu Futterkräutern bestimmten Hofkoppel,<br />

teils um und bei der Wohnung zugeteilt 3 Morgen.<br />

Zum Anbau sind reserviert 5 Morgen.<br />

Der Schultze hat zur Dienstkoppel erhalten 12 Morgen.<br />

Auf den Fall, daß die Darzauer Schafhude aufgehoben werden sollte, ist <strong>eine</strong> Trift zu den übrigen<br />

Feldmarken abgepfahlet.“<br />

Weshalb hatte es lange 13 Jahre gedauert, bis die Zusammenlegung der Felder<br />

durchgeführt wurde, obwohl die Voraussetzungen hier vergleichsweise günstig waren,<br />

denn die Inhaber der vier Samnatzer Hausstellen waren sich von Beginn an einig? Über<br />

die Verkoppelung entschieden jedoch nicht nur die Bauern, sondern es gab neben der<br />

Schäferei <strong>eine</strong> Obrigkeit, die in der Veränderung der Feldmark <strong>eine</strong> Chance sah,<br />

zugleich die Abgaben zu erhöhen.<br />

102 Darstellung nach NHStAH Hann. 74 Dannenberg 3546; s.a. WRASE (1973), S. 37.<br />

84


Die Verzögerung lag mithin nicht allein an dem Widerstand der Bauern oder der<br />

Unfähigkeit der Beamten, sondern an weiteren Faktoren. Betrachten wir dazu noch<br />

einmal kurz die alte Feldbewirtschaftungsform, wie sie in Niedersachsen bis Anfang<br />

des 19. Jahrhunderts üblich war. Sie basierte auf der individuellen Nutzung des<br />

eigentlichen Hofes, der Bewirtschaftung des Ackerlandes und der gemeinsamen<br />

Nutzung der Grünflächen, der Heide, Moore und Wälder (vgl. oben Seite ff).<br />

Modernisierungen, und sei es nur die von den Verfechtern <strong>eine</strong>r modernen<br />

Agrarwirtschaft geforderte Besömmerung der Brache mit Klee oder Leguminosen,<br />

bereitete unter diesen Bedingungen Probleme. Allerdings war die Besömmerung der<br />

Brache schon seit dem 17. Jahrhundert in landesherrlichen Ordnungen geregelt, wie in<br />

der Calenberger Zehntordnung, die die besömmerte Fläche auf maximal ¼ des<br />

Brachfeldes begrenzte. 103<br />

Weiderechte spielten in den südlichen Landesteilen, in Calenberg, Göttingen,<br />

Grubenhagen, Hohnstein und Hildesheim <strong>eine</strong> größere Rolle, wobei meist die<br />

Domänen und adeligen Güter die Schäfereirechte für ganze Gerichtsbezirke besaßen,<br />

so dass hier sowohl Gemeinheitsteilungen wie auch Flurzusammenlegungen auf<br />

Widerstände stießen. 104 Dagegen spielten diese Rechte in den nördlichen Landesteilen,<br />

wo es weder Weideberechtigungen noch Schäfereirechte in größerer Zahl gab, k<strong>eine</strong><br />

entscheidende Rolle.<br />

Einer intensiven und individuellen Bewirtschaftung des Landes standen sowohl<br />

diese Weideberechtigungen als auch die sonstige, sich aus der starken Parzellierung des<br />

Landes ergebenden Nutzungsbeschränkungen entgegen. Ansätze zur Aufhebung dieser<br />

Beschränkungen reichen bis in das späte Mittelalter und das 16. Jahrhundert zurück, als<br />

etwa in den Marschgegenden ein intensiver Ackerbau aufgenommen wurde. 105 Eine<br />

frühe Umlegung gab es Anfang der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts in zwei Dörfern<br />

des Bistums Verden. 106<br />

Weitere Verkoppelungen sind vereinzelt auch im 17. und frühen 18. Jahrhundert<br />

nachzuweisen; doch fallen sie zahlenmäßig nicht ins Gewicht. 107 Viele Ansätze<br />

scheiterten, weil sich die Beteiligten nicht einigen konnten, die Reformbestrebungen<br />

zu akademisch und obrigkeitlich waren und die Bauern nicht überzeugen konnten. Es<br />

fehlte an Vorbildern und sichtbaren Erfolgen in nächster Nachbarschaft. Solche<br />

Vorbilder gab es seit dem 18. Jahrhundert in England und in Dänemark. In England<br />

waren schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts 50 % bis 75 % der landwirtschaftlichen<br />

Nutzfläche verkoppelt und eingehegt. 108 In <strong>eine</strong>m komplexen, regional sehr<br />

unterschiedlich verlaufenden Prozess wurden dort seit dem 16. Jahrhundert die<br />

genossenschaftlichen Nutzungen durch individuelle ersetzt. Es fanden die sogenannten<br />

Einhegungen (enclosures) statt, die darin bestanden, dass die bislang offenen Felder<br />

durch Steinwälle oder Hecken eingeht wurden. Ziel der Einhegungen war die<br />

Erhöhung der Produktivität der Landwirtschaft vor allem durch <strong>eine</strong> Intensivierung<br />

der Schafzucht. Verlierer dieser Entwicklung waren die Bauern, denn die<br />

Gemeinweiden verschwanden und die Umstellung kostete viel Geld. 109<br />

103 Ebd., wo als zweites Beispiel die Hildesheimer Polizeiordnung von 1665 erwähnt wird.<br />

104<br />

WRASE (1973), 350 und PRASS (1997b), 130-132.<br />

105<br />

SEEDORF (1962).<br />

106<br />

SEEDORF (1962).<br />

107 Beleg fehlt!<br />

108<br />

HOSKINS (1985), S. 147-154, S. 177-210. Hier fehlt noch neuere englische Literatur! etwa<br />

Neeson Englische agrargeschichte, siehe Hist-Sem!<br />

85


Im dänischen Schleswig-Holstein hatte seit 1712 <strong>eine</strong> zunächst freiwillige<br />

Zusammenlegungsbewegung eingesetzt, in deren Verlauf Bauern und adelige Reformer<br />

gemeinsam begannen, die vorhandene Agrarverfassung zu verändern. Ergebnis dieses<br />

Prozesses war die Anlage von mit Wall und Hecken umstandenen Koppeln, auf denen<br />

<strong>eine</strong> geregelte Feld-Gras-Wirtschaft betrieben wurde. Der Begriff (Koppel), nicht<br />

jedoch die Elemente Wall und Hecke oder die spezielle Koppelwirtschaft wurde in<br />

Niedersachsen übernommen. Die zunächst freiwilligen, teilweise gegen den<br />

landesherrlichen Widerstand realisierten Verkoppelungen waren derart erfolgreich, dass<br />

sie seit 1768 in ein staatliches Verfahren überführt wurden. 110<br />

KHS: hier Karte einfügen?<br />

Die Entwicklung in Schleswig-Holstein mit ihren sichtbaren Erfolgen beeinflusste<br />

entscheidend den Fortgang der Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen im<br />

benachbarten Herzogtum Lauenburg, das bis zum Wiener Kongress 1815 zum<br />

Kurfürstentum Hannover gehörte. 111 Allerdings sollte dieser Übergang zu Reformen<br />

im benachbarten Lauenburg nicht als Ergebnis systematischer Übertragung seitens der<br />

Obrigkeit gesehen werden. Zwar wurden hier die ersten Verkoppelungen nicht von den<br />

Bauern in Eigenregie durchgeführt, aber von ihnen gingen wichtige Anstöße aus. 112<br />

Der entscheidende Grund für die beginnenden Verkoppelungen dürfte darin zu sehen<br />

sein, dass die vorhandene genossenschaftliche Feldnutzung angesichts <strong>eine</strong>r<br />

gestiegenen Bevölkerung an ihre Grenze stieß. Es fehlte vor allem an ausreichendem<br />

Dünger, so dass die Erträge des Ackerbaus zu gering waren. Von Gerhard Meyer ist<br />

auf die enge Verbindung genossenschaftlicher und herrschaftlicher Elemente in der<br />

alten Agrarverfassung verwiesen worden und darauf, dass angesichts der zunehmenden<br />

landesherrlichen Spielräume das adelige Element, mithin die Grundherrschaft immer<br />

weniger Akzeptanz fand. 113 Eine begrenzte Maßnahme wie die Verkoppelung stellte<br />

letztlich das gesamte System der Feldwirtschaft und der feudalen Abhängigkeit in<br />

Frage, denn den Bauern war nicht allein daran gelegen, die bisherigen<br />

genossenschaftlichen Elemente der Feldwirtschaft, sondern zugleich die herrschaftliche<br />

Ordnung als solche zu beseitigen bzw. zu reduzieren. Auf das übrige Kurfürstentum<br />

Hannover griff diese Entwicklung jedoch nicht über.<br />

Dort gingen wichtige Impulse von der Regierung, bzw. der Kammer aus. 1766<br />

wurden, weil die Bauern k<strong>eine</strong> Versuche unternahmen, im Fürstentum Lüneburg<br />

mehrere kl<strong>eine</strong> Vorwerke aufgeteilt und an Bauern oder an Neubauern (Anbauern)<br />

vergeben. 114 Erste dörfliche Verkoppelungen wurden in der zweiten Hälfte der 1770er<br />

Jahre in den Ämtern Ebstorf und Neuhaus durchgeführt. Bezeichnend für diese<br />

frühen Anfänge war der Wunsch der Bauern, mit der Verkoppelung zugleich <strong>eine</strong><br />

Senkung der Abgaben und <strong>eine</strong> Abfindung der Schäfereigerechtigkeit durchzuführen.<br />

Die weiteren Jahre waren von mühsam erreichten kl<strong>eine</strong>n Fortschritten geprägt; 115<br />

nur wenige Maßnahmen konnten realisiert werden, wie in Breese, wo 1787 ein<br />

Teilungs- und 1791 ein Verkoppelungsplan vorgelegt wird, in Gümse, wo es 1792 zum<br />

Verkoppelungsplan kommt oder in Saaße und Tatendorf, wo lediglich die<br />

109 „Briefly, one may define enclosures as a method of increasing the productivity or<br />

profitability of land.“ THIRSK (1984), S. 65 f.<br />

110<br />

AST-REIMERS (1965); PRANGE (1971).<br />

111<br />

MEYER (1965).<br />

112<br />

MEYER (1965), S. 52-55.<br />

113<br />

MEYER (1965), S. 57-59.<br />

114 Das folgende nach WRASE (1973), S. 34 f.<br />

115<br />

WRASE (1973), S. 36-38.<br />

86


Verkoppelung erreicht wird. 1792 schließlich gelingt die Verkoppelung der Feldmark<br />

Strachau. Bezeichnend für diese frühen Reformen ist, dass in den meisten Fällen die<br />

landesherrlichen Vorwerke mit einbezogen wurden.<br />

Die Bilanz zweier Jahrzehnte war enttäuschend: Weder bei den Verkoppelungen<br />

noch den Gemeinheitsteilungen konnten große Erfolge erzielt werde. So wurden<br />

zwischen 1775 und 1796 im gesamten Kurfürstentum lediglich 36 Teilungen ermittelt,<br />

weshalb <strong>eine</strong> Kommission eingesetzt wurde, die <strong>eine</strong> Gemeinheitsteilungsordnung für<br />

das Fürstentum Lüneburg entwarf. 116<br />

Der Versuch, auf freiwilliger Basis ohne ein differenziertes gesetzliches<br />

Instrumentarium zu <strong>eine</strong>r umfassenden Neugestaltung der Landwirtschaft zu gelangen,<br />

scheiterte im Gegensatz zu Holstein in Hannover. Die Verzögerungen waren die Folge<br />

mehrerer Faktoren. So erschwerte die Vielzahl der sich überlagernden Nutzungsrechte<br />

<strong>eine</strong> gütliche Einigung zwischen den Beteiligten vor allem dann, wenn seitens der<br />

Verwaltung k<strong>eine</strong> kompetenten Fachleute zur Verfügung standen. Hinzu kamen speziell<br />

die Schäfereirechte, die in Lüneburg wie auch in anderen Regionen zu <strong>eine</strong>r Blockade<br />

von Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen führen konnten. Teilweise verbot sich<br />

<strong>eine</strong> Teilreform auch deshalb, weil die naturräumlichen Voraussetzungen ungeeignet<br />

waren und nur <strong>eine</strong> umfassende Maßnahme sinnvoll war. Schließlich konnten die<br />

Kosten retardierend wirken, weshalb die Kammer im Herzogtum Lauenburg auch alle<br />

Kosten, im Fürstentum Lüneburg zumindest die Vermessungskosten übernommen<br />

hatte. 117 Problematisch dürfte aber letztlich das gesamte Verfahren gewesen sein, denn<br />

bei dem Fehlen bäuerlich-ländlicher Aktivitäten, die gezielt und gut wie in Schleswig-<br />

Holstein organisiert das Verfahren vorantrieben, ließ sich mit dem fallweisen Vorgehen<br />

ohne ausgebildete Verwaltungsbeamte, ohne <strong>eine</strong>n entsprechenden Apparat und ohne<br />

detaillierte Verfahrensvorschriften relativ wenig ausrichten.<br />

2. Nachholende Modernisierung?<br />

Der 30jährige Krieg und die ihm folgenden Kriege hatten tiefe Wunden besonders im<br />

mittleren Europa geschlagen. Städte und Dörfer waren menschenleer, Häuser und<br />

Höfe standen verlassen, die Menschen waren vertrieben oder auf der Flucht vor dem<br />

Krieg aus ihrer Heimat verschwunden, waren verarmt und bettelten. Dennoch gelang<br />

es in vergleichsweise <strong>kurze</strong>r Zeit, die Verluste und Schäden des Krieges auszugleichen,<br />

so dass spätestens um 1750 die Einwohnerzahlen wieder über denen vor 1618 lagen. 118<br />

Der Westfälische Frieden hatte zu <strong>eine</strong>r weiteren Aufwertung der deutschen<br />

Territorialstaaten geführt und deren Handlungsmöglichkeiten erweitert. Maßnahmen<br />

zur Verbesserung, Vereinheitlichung und Modernisierung der Verwaltung waren<br />

notwendig, um die inzwischen ausgedehnten landesherrlichen und staatlichen<br />

Aktivitäten zu finanzieren. Besonders in zwei Bereichen, der Hofhaltung und dem<br />

Militärwesen, hatten der Krieg und die Nachkriegszeit <strong>eine</strong>n erheblichen Handlungs-<br />

und Finanzbedarf geweckt. 119 Das war insofern nichts Neues, als schon im<br />

16. Jahrhundert der Landesherr die Landstände um Geld bitten musste. Seit dem<br />

17. Jahrhundert war er bemüht, s<strong>eine</strong> Finanzen möglichst ohne ständische Mitsprache<br />

zu organisieren, weshalb die ständische Rechte beschnitten und neue Steuern, wie die<br />

116 WRASE (1973), S. 43.<br />

117 WRASE (1973), S. 48 f.<br />

118 PRESS (1991), 270.<br />

119 Siehe hierzu jetzt WINNIGE (1996).<br />

87


Kontribution, eingeführt wurden. 120 Eine Ausschaltung der Landstände wie in den<br />

brandenburgisch-preußischen Territorien gab es allerdings in Niedersachsen nur in<br />

begrenztem Maße.<br />

Die Frage, ob es <strong>eine</strong>n „starken“ Staat gab, gar <strong>eine</strong>n „absolutistischen“ wird bis in<br />

jüngste Zeit kontrovers diskutiert. 121 Von Winfried Baumgart stammt etwa die<br />

Formulierung, es habe sich um <strong>eine</strong>n „funktional selektiven Staat“ gehandelt. 122 Die<br />

Diskussion über die Handlungsmöglichkeiten des absolutistischen Staates ist für unser<br />

Thema von nicht geringer Bedeutung. Sie führt zu der Frage nach den Faktoren, die<br />

zur Durchsetzung <strong>eine</strong>r neuen Form der Landbewirtschaftung geführt haben. Damit<br />

ist die Frage verbunden, wie diese Form überhaupt bewertet werden soll. Die<br />

Agrarverfassung, wie sie sich bis in das 17. Jahrhundert entwickelt hatte, war zu <strong>eine</strong>m<br />

wesentlichen Teil das Ergebnis politischer Entscheidungsprozesse, unterschiedlicher<br />

Machtverhältnisse und Zielvorstellungen. Der sich im 16. Jahrhundert etablierende<br />

Steuerstaat war in entscheidendem Maße auf <strong>eine</strong> leistungsfähige Landwirtschaft<br />

angewiesen. Konkurrierende Herrschaft seitens des Adels konnte im Westen<br />

weitgehend zurückgedrängt bzw. kontrolliert werden, ohne sie letztlich in Frage zu<br />

stellen. Ein Machtkompromiss wie in Preußen zwischen Staat und Adel war hier nicht<br />

notwendig. 123<br />

Die neuere Forschung hat allerdings teilweise erhebliche Zweifel geäußert, ob es im<br />

späten 17. und frühen 18. Jahrhundert <strong>eine</strong>n absolutistischen Staat gegeben habe, der<br />

unabhängig von den Landständen, insbesondere dem Adel hat regieren und sich<br />

gegenüber lokalen und regionalen Gewalten sowie dem Herkommen hat durchsetzen<br />

können. Die Staaten des 18. Jahrhunderts blieben in ihrer Handlungsfähigkeit weiter<br />

durch die landständischen Positionen, die territorialen Eigenheiten und <strong>eine</strong><br />

unzureichende Behördenorganisation eingeschränkt, was insbesondere, aber nicht<br />

allein für die nordwestdeutschen Gebiete gilt. 124 Aber haben sie diese Beschränkung<br />

überhaupt in dieser Form gesehen, oder waren diese Elemente nicht-moderner<br />

Staatlichkeit selbstverständliches Kennzeichen landesherrlicher Politik? 125<br />

Exemplarisch lässt sich dies an den ständischen Mitspracherechten und der<br />

Verwaltungsstruktur zeigen. Zwar ist sich die Forschung inzwischen längst darüber<br />

einig, dass von <strong>eine</strong>r Ausschaltung landständischer Rechte kaum die Rede sein kann,<br />

auch wenn in einigen Territorien wie in Brandenburg-Preußen k<strong>eine</strong> Landtage mehr<br />

einberufen wurden und die Landstände das Steuerbewilligungsrecht verloren hatten. 126<br />

Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis für die agrarischen Verhältnisse kann nur darin<br />

bestehen, stärker nach den internen Reibungsverlusten zu fragen, weil der Adel als<br />

wichtigster politischer und sozialer Repräsentant erhebliche Möglichkeiten zur<br />

Blockade hatte. Selbst der preußische Absolutismus als Herrschaftskompromiß mit<br />

dem Adel weist auf diese Dimension hin, die in den kurhannoverschen Landen von<br />

120 PRESS (1991),<br />

121 Einen guten Überblick bieten die Aufsätze in BIRTSCH (1996), und ASCH (1996).<br />

122 So auf der Tagung der Frühneuzeit-AG in Jena, am 19.9.1997.<br />

123 Dazu die oben genannten neueren Literaturtitel, außerdem SCHLUMBOHM (1997); neuerdings<br />

und stärker differenzierend: HÄRTER (2002). Allerdings stellte sich die Frage speziell im<br />

größten nordwestdeutschen Territorium, in Kurhannover deshalb nicht, weil hier der<br />

Landesherr in England war und die im 17. Jahrhundert erkennbaren Tendenzen zum<br />

Absolutismus nicht weiter entwickelt wurden.<br />

124 Eine Ausnahme bildete der Kleinstaat Schaumburg-Lippe, dazu HAUPTMEYER (1980).<br />

125 Auf die spezifische Form frühmoderner Staatlichkeit verweist: BLÄNKNER (1992).<br />

126 Als neuere Darstellung dazu DREITZEL (1992).<br />

88


weit größerer Bedeutung war. Hier blieben die alten regionalen bzw. territorialen<br />

Landstände bis in das 19. Jahrhundert bestehen und schränkten <strong>eine</strong> einheitliche und<br />

gesamtstaatliche Reformpolitik ein.<br />

So klagte Spittler in s<strong>eine</strong>r Geschichte Kurhannovers: Wenn König Georg III. für<br />

acht Millionen Briten <strong>eine</strong> neue Steuer auflegen wolle, müsse er nur die Bewilligung des<br />

Parlamentes einholen, „aber wenn derselbe von s<strong>eine</strong>n sämtlichen Deutschen Unterthanen, welche<br />

ungefähr höchstens den zehnten Theil s<strong>eine</strong>r Insulaner ausmachen, <strong>eine</strong> allgem<strong>eine</strong> neue Steuer<br />

verlangt, so muß mit sechs verschiedenen Parlamenten vorher verhandelt werden, und jedes dieser sechs<br />

verschiedenen Parlamente besteht aus mehreren Classen von Landständen gleichwichtiger Rechte und<br />

gleichversicherter Privilegien, welche alle, so sehr sonst ihre Vorzüge verschieden sind, um ihre freye<br />

Einwilligung hierüber befragt werden müssen, auch will am Ende das Volk im Lande Hadeln noch<br />

besonders gebeten seyn“. 127<br />

Es gab k<strong>eine</strong>n einheitlichen hannoverschen Staat, sondern ein Konglomerat von<br />

mehr oder weniger eigenständigen Teilterritorien, die jeweils über eigene<br />

landständische Vertretungen verfügten. Die Diskussionen mit den lüneburgischen<br />

Landständen über die Ausweisung neuer Anbauerstellen zeigen den begrenzten<br />

staatlichen Handlungsspielraum. 128 Die im Fürstentum Lüneburg zu Tage tretenden<br />

Positionen lassen die komplexe Struktur frühneuzeitlicher Staaten erkennen, was zur<br />

Folge hatte, dass landesherrliche Intentionen in Konflikt mit den Interessen anderer<br />

gesellschaftlicher Gruppen geraten konnten. Die neuere Forschung hat auf das<br />

Programmatische und auch das Propagandistische des Absolutismus verwiesen und<br />

damit den Begriff stärker auf s<strong>eine</strong>n zeitgeschichtlichen Kontext reduziert. 129 Zugleich<br />

zeigen diese Arbeiten, dass die Handlungsweise des Staates kontextgebunden und<br />

k<strong>eine</strong>swegs immer geplant war. Zugleich waren die Unterschiede zwischen den<br />

europäischen Staaten, die über absolutistische oder nicht absolutistische Monarchien<br />

verfügten, weit geringer als früher angenommen. Die englische Monarchie, der ein<br />

starkes Parlament gegenüber stand, war teilweise gewiss genauso handlungsfähig wie<br />

die „absolutistischen“ Konkurrenten in Deutschland, worauf auch das obige Zitat<br />

Spittlers hinweist.<br />

Angesichts dieses Forschungs- und Diskussionsstandes ist es überraschend, dass<br />

hinsichtlich der Agrarreformen <strong>eine</strong> neuere Debatte weitgehend ausgeblieben ist. Die<br />

großen Männer und Ideen dominieren bis in jüngste Handbücher sowohl zur<br />

niedersächsischen Geschichte als auch zur deutschen Agrargeschichte. 130 Solche<br />

Darstellungen sind entstanden vor dem Hintergrund <strong>eine</strong>r positivistischen<br />

Fortschreibung aufklärerischen Gedankenguts, unter der Annahme, dass die Reformen<br />

erfolgreich und insofern die ihnen zugrunde liegenden Prozesse nicht weiter zu<br />

untersuchen seien.<br />

127 DREITZEL (1992), I, 1 f.<br />

128 DEIKE, DEIKE (1994), 63-67.<br />

129 Als Frage formuliert in der Einleitung von ASCH (1996), 23; außerdem ebd. Ernst Hinrichs:<br />

Abschied vom Absolutismus, 361. Schon vor über 30 Jahren hat Ernst Hubatsch davor<br />

gewarnt, den Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts über zubewerten: „Der angeblich<br />

absolut regierende Herrscher der Barockzeit war noch ziemlich weit entfernt von der Absolutheit der modernen<br />

abstrakten demokratischen Staatsgewalt, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert … herausbildet.“ (HUBATSCH<br />

(1965), 9). Schon im Titel ist die Dichotomie des Absolutismusbegriffs angelegt bei<br />

VIERHAUS (1990).<br />

130 HUCKER, SCHUBERT, WEISBROD (1997), 349-352; ACHILLES (1993), 91-100, der die „treibenden<br />

Ideen und Kräfte“ darstellt.<br />

89


Anders stellt es sich dar, wenn nach dem Zusammenhang von Staatlichkeit und den<br />

Folgen ökonomischer Entwicklungen oder den Verhaltensweisen unterschiedlicher<br />

gesellschaftlicher Gruppen gefragt wird. Zuweilen wirkt die ältere, von Knapp<br />

angeregte Forschung problemorientierter, denn schon Wittich wies auf den engen<br />

Zusammenhang von staatlichen Interessen und Agrarpolitik im 18. Jahrhundert hin. 131<br />

Im 16. Jahrhundert standen die Agrarpolitik und Maßnahmen zur Verbesserung der<br />

staatlichen Einnahmen in <strong>eine</strong>m engen, funktionalen Verhältnis. Daran änderte sich<br />

auch in der Folgezeit nichts; im Gegenteil, angesichts <strong>eine</strong>r zunehmenden<br />

Staatsverschuldung kam der Forderung nach Verbesserung der Einnahmesituation<br />

erhöhte Priorität zu. 132 Die neue Position der Territorialstaaten, die internationalen<br />

Konflikte und die Bemühungen um <strong>eine</strong> neue Herrschaftslegitimation bedingten <strong>eine</strong><br />

verstärkte Förderung des wirtschaftlichen Geschehens, mit der Absicht, die<br />

Einwohnerzahl zu erhöhen, <strong>eine</strong> aktive Handelsbilanz zu erzielen und <strong>eine</strong>n möglichst<br />

großen Staatsschatz zu erwirtschaften. 133 Im Gegensatz zu älteren Vorstellungen, die in<br />

<strong>eine</strong>r steigenden Bevölkerung eher <strong>eine</strong> Bedrohung knapper Ressourcen sahen, wurde<br />

seit dem 16. Jahrhundert Bevölkerungswachstum als notwendige Voraussetzung<br />

gesamtgesellschaftlichen Wachstums gesehen: 134<br />

„Sie [die Landesherren] wollten mehr Untertanen haben, weil mehr Untertanen mehr<br />

Steuerzahler, mehr Arbeiter und mehr Konsumenten bedeuteten, die die Wirtschaft stimulierten,<br />

und mehr Rekruten für die Armee waren.“ 135<br />

Die dabei angewandten Methoden merkantilistischer Wirtschaftspolitik orientierten<br />

sich zwar vergleichsweise stark an dem französischen Vorbild, wiesen jedoch zugleich<br />

individuelle Ausformungen auf. Bei aller Förderung von Gewerbe und Handwerk blieb<br />

die Dominanz der Landwirtschaft ungebrochen. Die Auseinandersetzung mit der<br />

agrarischen Produktionsweise schlug sich in der Entstehung <strong>eine</strong>r speziellen<br />

Literaturgattung („Hausväterliteratur“), der Etablierung von ökonomischen Sozietäten,<br />

schließlich der Einrichtung kameralistischer Lehrstühle zur Forschung und Ausbildung<br />

des Verwaltungsnachwuchses nieder. Die systematische und kritische<br />

Auseinandersetzung mit der vorhandenen agrarischen Produktionsweise legte bald<br />

viele problematische Aspekte bloß, wies auf Ungereimtheiten hin und benannte<br />

Änderungsvorschläge. Gleichwohl stand sie weiterhin in enger Verbindung mit der<br />

vorhandenen landesherrlichen Ebene. Die Wirkungen dieser theoretischen,<br />

aufklärerischen Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft sollte jedoch nicht<br />

überbewertet werden, denn die in sich geschlossenen Theoriegebäude <strong>eine</strong>s Quesnay<br />

oder Beckmann entstammen in der Regel der zweiten Hälfte des Jahrhunderts,<br />

während Reformansätze schon viel früher, wenngleich vereinzelt und ohne<br />

systematische Begründung entstanden. Dies ist exemplarisch an der Neuorganisation<br />

der preußischen Domänenverwaltung unter Friedrich-Wilhelm zu sehen, welche durch<br />

die <strong>Einführung</strong> des Generalpächters <strong>eine</strong> verbesserte Einnahmesituation für den Staat<br />

bezweckte. 136<br />

131 Ansatzweise geschieht dies bei WEHLER (1987), 164-170.<br />

132 REINHARD (1996).<br />

133 BLUM (1978), 206-209.<br />

134 SCHULZE (1987), 26.<br />

135 BLUM (1978), 207, eigene Übersetzung. („They wanted more subjects because more subjects meant<br />

more taxpayers, more workers and consumers to stimulate economic life and more recruits for their<br />

armies.“)<br />

136 MÜLLER (1981), hier 318.<br />

90


Die Konzentration auf die theoretische Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft<br />

verkennt zugleich, dass hierdurch Kausalitäten nahe gelegt werden, die in der Praxis<br />

kaum nachzuweisen sind. Die zunehmende Inanspruchnahme aller ökonomischen<br />

Kräfte als Voraussetzung für <strong>eine</strong> Steigerung der staatlichen Leistungskraft in <strong>eine</strong>m<br />

Jahrhundert der Kriege und Konflikte musste gewissermaßen notgedrungen an erster<br />

Stelle die Landwirtschaft berücksichtigen.<br />

Die in mehreren nordwestdeutschen Territorien betriebene Redintegrationspolitik,<br />

die Wiederbesetzung vornehmlich der größeren Hofstellen mit Landwirten, muss als<br />

ein Versuch gewertet werden, die für den Staat wichtigste Hofgruppe, die spannfähigen<br />

Betriebe, möglichst schnell wieder in vollständiger Zahl zur Verfügung zu haben,<br />

während die von der ländlichen Bevölkerung begehrteren, weil weniger belasteten<br />

Kleinstellen an zweiter Stelle standen. Ohne <strong>eine</strong> leistungsfähige bäuerliche<br />

Oberschicht waren viele staatlichen und militärischen Funktionen kaum zu erfüllen, so<br />

dass diese Schicht zunächst von den landesherrlichen Verwaltungen gefördert wurde. 137<br />

Die Redintegrationspolitik tangierte letztlich auch die grundherrschaftlichen<br />

Verfügungsrechte über die Höfe, und so ist es nicht verwunderlich, wenn die gegen<br />

Ende des 16. Jahrhunderts begonnene Bauernschutzpolitik nach dem Krieg fortgesetzt<br />

wurde. Gleichzeitig gab es Ende des 17. Jahrhunderts erste Bestrebungen, die naturalen<br />

Verpflichtungen der Bauern zu lockern, weil sie <strong>eine</strong>r effektiven Wirtschaft im Wege<br />

standen. 138 Die agrarischen Verhältnisse befanden sich also schon vor 1750 im Fluss.<br />

Doch hatte dies k<strong>eine</strong> Reduktion der Belastung der Bauern zur Folge, sondern das<br />

Gegenteil: „Es scheint kaum möglich, dass zu den schon vor dem Kriege bestehenden<br />

nicht unbeträchtlichen Lasten noch neue hinzugekommen sein können. Und doch ist<br />

es so …“ 139 Zu den im Fürstentum Osnabrück vorhandenen Abgaben kamen neue<br />

hinzu, es wurden vermehrt Dienste in natura gefordert und gleichzeitig andere in Geld<br />

umgewandelt, was das Dienstwesen noch unübersichtlicher werden ließ. 140<br />

Die Förderung der Kameralwissenschaft hatte ohne Zweifel <strong>eine</strong>n funktionalen<br />

Aspekt, der vorrangig dem fiskalischen Ziel merkantilistischer Vorstellungen diente.<br />

Insofern gingen, jenseits aufklärerisch-kritischer Gedankengänge von den finanziellen<br />

Erfordernissen wichtige Impulse für <strong>eine</strong> Umgestaltung der vorhandenen agrarischen<br />

Verhältnisse aus, die in <strong>eine</strong>m engen Zusammenhang mit der allgem<strong>eine</strong>n Wirtschafts-<br />

und Finanzpolitik standen. Sichtbar werden die landesherrlichen Präferenzen<br />

beispielsweise bei frühen Versuchen, die Dienste auf den landesherrlichen Domänen<br />

abzustellen. Hier ging es nicht um <strong>eine</strong> Entlastung der bäuerlichen Betriebe als<br />

Selbstzweck, sondern um <strong>eine</strong> Verbesserung der Einnahmesituation der Domäne bzw.<br />

der Kammerkasse. 141 Wenn <strong>eine</strong> solche Maßnahme auch mit ökonomischen Vorteilen<br />

für die Bauern verbunden war, so war das sicherlich <strong>eine</strong> angenehme, im Sinne<br />

kameralistischer Politik sinnvolle Folge, die aber nicht im Zentrum des Anliegens<br />

stand.<br />

Seit dem 17., spätestens dem 18. Jahrhundert können wir <strong>eine</strong> Zunahme staatlicher<br />

Aktivitäten gegenüber ständischen Zwischengewalten wie dem Adel oder den Städten<br />

137 Beispiele bei MAUERSBERG (1938), 104; RÖPKE (1924), 61-66; PRÖVE (1929), 42 f; DEIKE,<br />

DEIKE (1994), 54.<br />

138<br />

HESSE (1900), 101 f.<br />

139<br />

WINKLER (1959), 58.<br />

140<br />

HIRSCHFELDER (1971), 133-138.<br />

141 Für Preußen zeigte dies schon GROPP (1967), 65 und 162, der <strong>eine</strong>m kurzfristigen Defizit<br />

<strong>eine</strong>n langfristigen Gewinn gegenüberstellte. Siehe auch unten S. .<br />

91


feststellen. 142 Selbst dort, wo es wie in den Ländern des Kurfürstentums Hannover<br />

nicht zur Ausbildung des Absolutismus kam, 143 nahm die staatliche Kontrolle des<br />

bäuerlichen Besitzes zu Lasten der adeligen Grundherren weiter zu. Diese Ausweitung<br />

staatlicher Eingriffe war für den agrarischen Sektor insofern von Bedeutung, als sich<br />

hier das Bestreben artikulierte, die adeligen Zwischengewalten nach und nach zu<br />

entmachten, und <strong>eine</strong> umfassende und direkte Eingriffsmöglichkeit auf alle ländlichen<br />

Untertanen zu erreichen. 144 Über die genauen Elemente dieses Veränderungsprozesses<br />

sind wir noch unzureichend informiert, aber es gibt Hinweise darauf, daß die Struktur<br />

der nordwestdeutschen Grundherrschaft mit der Gemengelage feudaler Rechte und<br />

kl<strong>eine</strong>n gutswirtschaftlichen Betrieben, der geringen Zahl von adeligen Gerichten und<br />

dem seit dem Ende des 16. Jahrhunderts durchgesetzten Bauernschutz dieser Tendenz<br />

zur Ausdehnung staatlicher Handlungsräume entgegenkam. 145 Hierdurch wurde den<br />

Privatgrundherren ein Teil ihrer elementaren sozialen und ökonomischen Rechte<br />

genommen und vermutlich die Position des Adels geschwächt. Es ist aber noch<br />

weiteren Untersuchungen vorbehalten, das Ausmaß und die Reichweite dieser<br />

staatlichen Eingriffe präziser zu ermitteln. Die Bedeutung dieser Eingriffe dürfte<br />

vermutlich weniger in ihrem Umfang, sondern in ihrer inhaltlichen Richtung zu sehen<br />

sein, denn hier artikulierte sich <strong>eine</strong> Agrarpolitik an, die <strong>eine</strong>rseits in der Tradition des<br />

Bauernschutzes des 16. Jahrhunderts stand und andererseits schon Elemente der<br />

Reformpolitik des 19. Jahrhunderts enthielt. Unzureichend ist bislang die Frage<br />

beantwortet, wie der hannoversche Adel auf diese Politik reagierte.<br />

Trotz der offenkundigen Einschränkung privatgrundherrlicher Rechte blieb die<br />

ständische Struktur der Gesamtgesellschaft vorerst unantastbar, was im hannoverschen<br />

Staat um so mehr galt, als hier der Adel im 18. Jahrhundert zentrale politische<br />

Funktionen übernommen hatte und ihm kein ortsanwesender handlungsfähiger<br />

Landesherr gegenüberstand. 146 Damit ist ein aus landesherrlicher Sicht zentrales<br />

Dilemma der Reformen angesprochen: Die politischen Strukturen setzten <strong>eine</strong> enge<br />

Abstimmung mit den ständischen Zwischengewalten, speziell dem Adel voraus,<br />

wodurch <strong>eine</strong> einheitliche Reformpolitik entscheidend behindert bzw. in ihrer Richtung<br />

und ihren Inhalten verändert wurde. Ebenfalls nicht deckungsgleich mit der staatlichen<br />

Reformpolitik war die Position der Bauern, deren Widerstand gegen Ausweisungen für<br />

neue Anbauernstellen schon angesprochen wurde. 147 In letzter Konsequenz bedeutete<br />

dies, dass der Versuch, die agrarischen Verhältnisse entsprechend den fiskalischen und<br />

staatlichen Interessen neu zu ordnen, die vorhandene gesellschaftliche Ordnung nach<br />

und nach verändern musste. Das musste zwangsläufig auch zu <strong>eine</strong>r neuen<br />

Finanzverwaltung führen die aber erst im 19. Jahrhundert realisiert wurde.<br />

Die Frage ist, ob nicht analog zur Entwicklung im 16. Jahrhundert die Erhöhung<br />

von Steuern einherging mit <strong>eine</strong>r effektiveren Verwaltung der Domäne. Der 30jährige<br />

Krieg hatte zumindest <strong>eine</strong> erhöhten Finanzbedarf zur Folge, der sich sofort in neuen<br />

bzw. erhöhten Steuern niederschlug. 148 Während die grundherrlichen bzw. domanialen<br />

Einnahmen weitgehend stagnierten, expandierten die Steuern weiter und wurden erst<br />

142 WITTICH (1896); gibt es auch noch Neueres? Weitgehend danach auch mehrfach Achilles,<br />

zuletzt inACHILLES (1982), 5.<br />

143 Entsprechende Ansätze des 17. Jahrhunderts fanden nach der Übernahme der englischen<br />

Krone k<strong>eine</strong> Fortsetzung im 18. Jahrhundert.<br />

144 Darauf hat schon vor 100 Jahren Werner Wittich hingewiesen.<br />

145 Bislang nur ROTHE (1998).<br />

146 Lampe?<br />

147 DEIKE, DEIKE (1994), etwa S. 58-62.<br />

92


in den 1790er Jahren unter dem Eindruck der französischen. Revolution gesenkt. 149 Die<br />

finanzielle Situation des Landes und speziell der Kammer verbesserte sich dadurch<br />

aber nicht, 1770 bis 1780 mussten sogar 1 Mill. Rtlr. aufgenommen werden. 150<br />

Neben den Reformversuchen im agrarischen Bereich gab es weitere Maßnahmen<br />

wie die Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten 151 oder statistische und<br />

kartographische Aufnahmen des Staatsgebietes und s<strong>eine</strong>r Einwohner, wobei das<br />

militärische Interesse unverkennbar, aber nicht allein ausschlaggebend war. Dabei<br />

konnten auch Vorhaben, die eigentlich nur der Erfassung des vorhandenen Zustandes<br />

dienen sollten, zu Veränderungen führen, wie die braunschweigische<br />

Landesvermessung der 1740er Jahre. Sie war bald verknüpft mit ersten, noch<br />

zögerlichen Verbesserungen der Feldstruktur und weist damit in die Richtung der<br />

späteren Verkoppelung. Ein Blick auf die Aufgaben dieser Landesvermessung<br />

verdeutlicht die Komplexität absolutistischer Reformversuche, denn sie sollten dienen<br />

• der Fixierung der Grundbesitzverhältnisse und Berichtigung der durch Abpflügen<br />

und „Okkupation“ eingetretenen Ungerechtigkeiten und damit zur Erlangung <strong>eine</strong>r<br />

größeren Rechtssicherheit;<br />

• der Vorbereitung <strong>eine</strong>r Zusammenlegung der Grundstücke (Verkoppelung),<br />

verbunden mit <strong>eine</strong>r gerechteren Steuerveranlagung;<br />

• der Vorbereitung <strong>eine</strong>r Aufteilung der Gemeinheiten und Koppelweiden, sowie<br />

<strong>eine</strong>r Urbarmachung der Moore und Heiden;<br />

• zur Ermöglichung <strong>eine</strong>r rationellen, individuell gestalteten Wirtschaftsweise und<br />

dadurch deutlichen Ertragssteigerungen. 152<br />

Einen anderen Weg ging man in Kurhannover wenige Jahrzehnte später mit der<br />

Kurhannoverschen Landesaufnahme, die auf der Basis <strong>eine</strong>r vergleichsweise<br />

großmaßstäblichen Karte (1:21.333) <strong>eine</strong> Übersicht des gesamten Landes mit<br />

kultivierten und nicht kultivierten Flächen, Wegen und Straßen, ländlichen und<br />

städtischen Siedlungen (einschließlich der Feuerstellen) enthielt, allerdings auf <strong>eine</strong><br />

exakte Erfassung der agrarischen Verhältnisse verzichtete. Analoge Kartenwerke zu<br />

den braunschweigischen entstanden in Oldenburg, Osnabrück und Schaumburg-<br />

Lippe. 153<br />

Mit der kartographisch exakten Erfassung des eigenen Staatsgebietes<br />

korrespondierte die flächendeckende Erfassung der Einwohner <strong>–</strong> jenseits steuerlicher<br />

Einschätzung wie noch im Fall der hannoverschen Kopfsteuerbeschreibung von<br />

1689 154 <strong>–</strong> und erlaubte damit zum ersten Mal präzise Angaben über Einwohnerzahl,<br />

Fläche, Struktur, topographische Verhältnisse, Besiedlungsdichte und Wegenetz.<br />

Gleichzeitig gingen von solchen Erhebungen Impulse für <strong>eine</strong> stärkere<br />

Vereinheitlichung und Normierung gegen regionale und lokale Sonderregeln aus. 155<br />

Für <strong>eine</strong> in internationaler Konkurrenz befindliche, auf die Steigerung der eigenen<br />

Einkünfte zielende und damit die effektivere Nutzung der vorhandenen Ressourcen<br />

148 Vgl. die Personensteuerverordnung für die Fürstentümer Calenberg und Göttingen vom<br />

9.8.1763; abgedruckt in OBERSCHELP (1985),148-156. Als lokales Beispiel siehe Fritzemeier,<br />

Korporation, 112 f.<br />

149 Oberschelp, Revolution, Textband, 125-142 mit Beispielen aus niedersächsischen Territorien.<br />

150 OBERSCHELP (1983), 107 f.<br />

151 Dazu ALBRECHT (1980) für Braunschweig hinsichtlich der Maße und Gewichte.<br />

152 JORDAN (1955), 149.<br />

153 Eine gute Übersicht mit Einzelbeispielen liefert LEERHOFF (1985).<br />

154 Hauptmeyer, Hannover, I, XX.<br />

155 ALBRECHT (1980). XX<br />

93


zielende „Volks“-Wirtschaft, musste die konkrete Situation jenseits theoretischer<br />

Wirtschaftsmodelle 156 zur Überprüfung bestehender Nutzungsformen führen und<br />

Verbesserungsversuche anregen. Allerdings waren das noch im wahrsten Sinne begrenzte<br />

Modernisierungsversuche, die nur mit Vorsicht im Verständnis neuerer<br />

Modernisierungstheorien interpretiert werden sollten. 157<br />

Dies wird dann schnell deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass der „Staat“ als<br />

handlungsfähiges Subjekt im Sinne „absolutistischer“ Vorstellungen nicht überbewertet<br />

werden darf. Er stieß an vielfältige, bewusst wahrgenommene oder zunächst als normal<br />

bewertete Grenzen. 158 Auf das Verhalten <strong>eine</strong>r an <strong>eine</strong>r moralischen Ökonomie und<br />

dem Herkommen orientierten Bevölkerung, besonders den zurückhaltenden,<br />

vorsichtigen „Landmann“ ist oft genug verwiesen worden. Über das Verhalten der<br />

ländlichen Bevölkerung wird noch näher einzugehen sein, jedoch ist schon hier der<br />

Verweis notwendig, dass es kaum allein der Bevölkerung anzulasten ist, wenn<br />

Reformansätze stecken blieben. Tatsächlich waren die beschriebenen mentalen,<br />

politischen und administrativen Grenzen mindestens ebenso mächtig wie die<br />

Verhaltensweisen der Untertanen.<br />

Diesen gleichsam äußeren Faktoren gesellten sich innere hinzu, die in der Struktur<br />

der frühneuzeitlichen Staaten begründet lagen. Nicht ob es Domänen gab, war die<br />

entscheidende Frage des 18. Jahrhunderts, sondern wie sie bewirtschaftet wurden. Die<br />

in den niedersächsischen Territorien übliche Verpachtung der Domäne an den<br />

ortsansässigen Amtmann mochte unter den Bedingungen des frühen 18. Jahrhunderts<br />

durchaus sinnvoll sein, wies aber im Sinne <strong>eine</strong>r effektiveren Administration und<br />

systematischen Bewirtschaftung des Domaniallandes Nachteile auf. 159 Zum <strong>eine</strong>n<br />

vereinte der Amtmann mehrere Funktionen in sich: als Vertreter der landesherrlichen<br />

also hoheitlichen Verwaltung, als Inhaber der niederen Gerichtsbarkeit, als Vertreter<br />

des Domaniums und als privater Pächter des Vorwerks. Damit hatte er viele<br />

Möglichkeiten auf s<strong>eine</strong>r Seite, während <strong>eine</strong> sinnvolle Kontrolle s<strong>eine</strong>r Aktivitäten<br />

durch die Kammer oder die Regierung erschwert war. 160 Hinsichtlich agrarischer<br />

Veränderungen hatten die Amtleute <strong>eine</strong> wichtige, häufig übersehene Position. Zwar<br />

mussten auch sie, als Domänenpächter, an <strong>eine</strong>r Ertragssteigerung interessiert sein,<br />

jedoch kaum an <strong>eine</strong>r Erhöhung der Pacht und nur begrenzt an <strong>eine</strong>r Veränderung<br />

<strong>eine</strong>s Systems, dass ihnen <strong>eine</strong>n großen Handlungsspielraum ließ. Ob Dienste effektiv<br />

oder ineffektiv waren, blieb für die Amtleute solange von geringer Bedeutung, wie sie<br />

je nach ihren Bedürfnissen aus unterschiedlichen Formen <strong>–</strong> Naturaldienst, Geldleistung<br />

<strong>–</strong> die für sie jeweils günstigste auswählen konnten.<br />

Die an fiskalischen Interessen orientierte Politik der Staaten, vielfach gebrochen<br />

durch das Herkommen, durch Verwaltungstraditionen und ständische Mitwirkung, sah<br />

sich zudem <strong>eine</strong>r komplexen, im Verlauf des 18. Jahrhunderts nicht zuletzt durch die<br />

eigenen Aktivitäten radikal ändernden sozialen und ökonomischen Realität gegenüber.<br />

Hierzu zählten besonders die sozialen und demographischen Veränderungen in Folge<br />

des aktiv geförderten schnellen Bevölkerungswachstums. Die Frage nach den Gründen<br />

für den schnellen und im gesamteuropäischen Vergleich herausragenden deutschen<br />

Bevölkerungsanstieg hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten intensiv<br />

156 Wie sie Achilles in s<strong>eine</strong>m Handbuch, ACHILLES (1993), XX, kritisiert.<br />

157 SCHMIDT (2002), 91. NB: Ist es die 2. Auflage?<br />

158 Darauf verweist erneut Clemens Zimmermann; ZIMMERMANN (1996).<br />

159 Hierzu RIESENER (1991).<br />

160 OBERSCHELP (1983), 108.<br />

94


eschäftigt. 161 Neben der staatlichen Bevölkerungspolitik durch die Ausweisung neuer<br />

Hausstellen dürften besonders ökonomische Anreize von Bedeutung gewesen sein. Die<br />

Rolle der so genannten Protoindustrialisierung, also der gewerblichen Durchdringung<br />

des flachen Landes besonders durch die L<strong>eine</strong>nherstellung, ist zwar weiterhin<br />

umstritten, aber es dürfte k<strong>eine</strong>m Zweifel unterliegen, dass die exportorientierte<br />

L<strong>eine</strong>nweberei <strong>eine</strong> wichtige Rolle bei der Bevölkerungszunahme spielte, die regional<br />

durch die Hollandgängerei ergänzt wurde 162 . Die Reichweite dieses spezielles<br />

Erklärungsansatzes ist indes zu gering, denn auch in anderen Gebieten mit geringer<br />

Exportorientierung wie im Calenberger Land gab es ein deutliches<br />

Bevölkerungswachstum, wobei wir auch hier <strong>eine</strong>r in hohem Maße sozial und<br />

ökonomisch differenzierten Bevölkerung begegnen. 163 Der Garnverkauf war in diesen<br />

Gebieten noch bis in das 19. Jahrhundert von großer Bedeutung für die<br />

unterbäuerlichen Schichten. 164 „ … viele Kötner als die Brinksitzer und Häuslinge sind<br />

um so mehr auf das Spinnrad angewiesen, da sie oft fast k<strong>eine</strong> andere Produkte als<br />

Garn zum Verkauf haben“. 165<br />

Mochte unter den Bedingungen <strong>eine</strong>r geringen Bevölkerungszahl die Ansetzung<br />

neuer Anbauer noch unproblematisch ersch<strong>eine</strong>n, so verschärften sich mit der weiteren<br />

Bevölkerungszunahme die sozialen Probleme und zeigten, dass im vorhandenen<br />

agrarischen System <strong>eine</strong> beliebige Stellenausweitung und Bevölkerungszunahme zu<br />

systembedingten Konflikten führte. Zwar wäre die Vorstellung <strong>eine</strong>s „bäuerlichen“<br />

Dorfes schon für die Zeit um 1600 reichlich abwegig, aber es gab offenkundig Grenzen<br />

für <strong>eine</strong> anwachsende ländliche Unterschicht. Damit hatte die staatliche Politik zu <strong>eine</strong>r<br />

Dynamik beigetragen, in ihrer gesellschaftlichen Reichweite spätestens mit der großen<br />

Krise der 1770er Jahre offenkundig wurde.<br />

Zwei aufeinander folgende Mißernten in Folge schlechter Witterung sorgten 1770<br />

und 1771 nicht nur für Getreideknappheit, sondern auch für schnell und drastisch<br />

steigende Getreidepreise, unter denen besonders die unterbäuerliche Bevölkerung zu<br />

leiden hatte. Aufgrund der weiträumigen Ausdehnung der Krise konnten<br />

Getreideimporte nur <strong>eine</strong> geringe Entlastung bringen. Zugleich zeigte sich, dass<br />

Nordwestdeutschland Teil <strong>eine</strong>s überregionalen Marktsystems war, wodurch es auch zu<br />

<strong>eine</strong>m Abfluß des Getreides in Regionen mit vergleichsweise hoher Kaufkraft und<br />

Nachfrage kam. Versuche, durch Exportverbote und Maximalpreise die sozialen Folgen<br />

der Krise zu dämpfen, zeigten nur <strong>eine</strong> begrenzte Wirkung, denn entweder wurden sie<br />

umgangen und blieben damit wirkungslos, oder sie führten zu empfindlichen<br />

Einkommensverlusten bei der bäuerlichen Bevölkerung, was sich wiederum zu Lasten<br />

der unterbäuerlichen gewerblichen Bevölkerungsschicht auswirkte, der nun<br />

zahlungskräftige Kunden fehlte. 166<br />

Kurz nach dem für Norddeutschland verlustreichen 7jährigen Krieg stellte die Krise<br />

<strong>eine</strong> Herausforderung an den staatlichen Apparat und die vorhandenen<br />

Lenkungsmechanismen zur Bewältigung von Agrarkrisen dar. Zwar stand der Staat der<br />

Krise k<strong>eine</strong>swegs tatenlos gegenüber, sondern setzte die vorhandenen Instrumente ein:<br />

Verteilung von billigem Getreide aus Kornmagazinen, Ausfuhrsperren für Getreide,<br />

161 DIPPER (1994), 42-45.<br />

162 Siehe oben S. 25.<br />

163 HAGENAH (1985).<br />

164 GÜLICH (1827), 21-22.<br />

165 GÜLICH (1827), 22.<br />

166 Dazu Abel, Massenarmut mit <strong>eine</strong>r detaillierten Schilderung des Verlaufs der Krise; ABEL<br />

(1974), XX.<br />

95


Erhebung von statistischen Daten zur Bevölkerung. Aber er musste auch erkennen,<br />

dass die ökonomischen Interessen der Bevölkerung teilweise weit auseinander klafften<br />

und zugleich miteinander verbunden waren: die bäuerliche, marktorientierte<br />

Bevölkerung benötigte gerade nach dem Krieg hohe Preise, die unterbäuerliche<br />

Bevölkerung wiederum war auf billige Nahrungsmittel ebenso angewiesen wie auch<br />

Nachfrage nach gewerblichen Produkten. Abhilfe gegen ähnliche katastrophale<br />

Entwicklungen konnte nur <strong>eine</strong> grundlegende Förderung der Landwirtschaft<br />

bringen. 167<br />

khs: dies als Aufhänger der gesamten Arbeit?<br />

Ein zweiter, mit den vorhandenen Strukturen eng verbundener Aspekt scheint<br />

dagegen nicht wahrgenommen worden zu sein, denn das Anwachsen der<br />

unterbäuerlichen Bevölkerung war in Teilgebieten Niedersachsens nur durch die<br />

internationalen Handelsbeziehungen möglich geworden. 168 Jede Maßnahme, die die<br />

gewerblichen Tätigkeiten der „kl<strong>eine</strong>n Leute“ förderte, setzte die weitere Existenz<br />

dieser Märkte für Arbeitskräfte oder gewerbliche Produkte voraus; erst die mit der<br />

englischen Industrialisierung einsetzende Wirtschaftskrise im 19. Jahrhundert<br />

offenbarte die fundamentale Schwäche dieser Form der Anpassung.<br />

Die Erfahrung der Krise traf auf <strong>eine</strong> für landwirtschaftliche Fragen sensibilisierte<br />

Öffentlichkeit und Verwaltung, was den nun einsetzenden bzw. sich verstärkenden<br />

Lernprozeß beschleunigte. So boten sich für die zuvor entwickelten theoretischen und<br />

praktischen Überlegungen zur Intensivierung der agrarischen Produktion, sei es die<br />

Besömmerung der Brache oder die <strong>Einführung</strong> der Kartoffel, nachhaltig und<br />

jedermann erkennbare Anwendungsmöglichkeiten. Gleichzeitig erwies sich nun das<br />

vorhandene grundherrschaftliche System als idealer Anknüpfungspunkt, um erste<br />

Feudalismuskritik zu üben, und damit die archaischen Zustände, die „Versclavung“ der<br />

Bauern anzuprangern und <strong>eine</strong> Befreiung aller Untertanen zu verlangen. Dagegen blieb<br />

die englische Landwirtschaft noch lange Zeit kein Vorbild für hannoversche<br />

Reformversuche. Zwar wurde das englische Beispiel von hannoverschen bzw.<br />

deutschen Agrarwissenschaftlern aufmerksam, aber auch kritisch betrachtet; Impulse<br />

sch<strong>eine</strong>n aber zunächst kaum von England ausgegangen zu sein. Erst um die<br />

Jahrhundertwende änderte sich dies mit dem Ersch<strong>eine</strong>n der „Englischen<br />

Landwirtschaft“ von Albrecht Thaer. 169<br />

Die durch Agrarkrise von 1771/72 forcierte Beschäftigung mit agrartechnischen<br />

und agrarrechtlichen Fragen erhielt in den folgenden Jahrzehnten weiteren<br />

Aufschwung durch das Marktgeschehen. Die seit der Mitte der 1770er Jahre zwar<br />

langsam, aber kontinuierlich steigenden Agrarpreise boten für diejenigen, die <strong>eine</strong><br />

Marktquote erwirtschaften konnten, also die Großbetriebe des Adels, die Domänen<br />

und die größeren Bauernhöfe, <strong>eine</strong>n wichtigen Anreiz, die Produktivität des Betriebes<br />

zu heben. Es sind zudem nicht zufälligerweise die Jahre nach 1780, in denen die<br />

wissenschaftliche und öffentliche Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft an<br />

Intensität gewann und die Cellische Landwirtschaftsgesellschaft ihre Aktivitäten<br />

verstärkte. 170<br />

167 Siehe oben S. 42. Vgl. auch HENNING (1979), 1, 289? Dipper, Landwirtschaft und ländliche<br />

Gesellschaft, S. 289.<br />

168 Hierzu jetzt HAUPTMEYER (1994).<br />

169 Dazu umfassend ULBRICHT (1980).<br />

170<br />

ACHILLES (1982),<br />

96


Die staatlichen Eingriffe bzw. Modernisierungsversuche griffen aber noch weiter.<br />

Neben der Ausweisung neuer Stellen muss vor allem die Intensivierung der<br />

Domanialwirtschaft berücksichtigt werden, in der zunehmend neuere<br />

betriebswirtschaftliche Methoden Eingang fanden, wodurch die Einnahmen der<br />

Domäne in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich stiegen. 171 Diese<br />

Einnahmesteigerung durch die Verbesserung der Domänenbewirtschaftung und durch<br />

Erhöhung der steuerlichen Belastung hinterließ natürlich auch Spuren bei den<br />

Betrieben, wobei die größeren etwas besser als die kl<strong>eine</strong>ren abschnitten. 172<br />

3. Die Rolle der Bauern<br />

Im 18. Jahrhundert lebten immer noch 80 % der Menschen auf dem Lande. Auf den<br />

vorhergehenden Seiten wurde dargelegt, wie wichtig die Landwirtschaft für die<br />

damaligen Staaten war und wie sich daraus die unterschiedlichen Reformvorstellungen<br />

entwickelten. Die Bauern wurden indes als Partner bei den verschiedenen<br />

Reformbemühungen nicht ernst genommen. Es galt allgemein die Ansicht, dass unter<br />

den Bedingungen herrschaftlicher Abhängigkeit von den Bauern k<strong>eine</strong> Eigeninitiative<br />

erwartet werden könne. Daraus entstand das Bild vom widerspenstigen Bauern, der zu<br />

s<strong>eine</strong>m Glück gezwungen werden müsse. Ist dies berechtigt? 173<br />

Die neuere Forschung verharrt bei <strong>eine</strong>m eindeutigen „Sowohl-Als-Auch“. Rudolf<br />

Schlögl schreibt: „Es ist wohl an der Zeit, das Bild vom naturverbundenen,<br />

rückwärtsgewandeten, in s<strong>eine</strong>n Entscheidungen blindlings an Traditionen orientierten<br />

Landmann hinter sich zu lassen und sich damit von Vorstellungen zu befreien, in<br />

denen ein vom Modernisierungsschock wundgeschlagenes Bewußtsein seit der<br />

Romantik Zuflucht sucht.“ 174<br />

Die Vorstellung, dass Bauern eher modernisierungshemmend gewirkt hätten, bleibt<br />

bis heute selbst dort vorherrschend, wo der Befund zumindest zu <strong>eine</strong>r Abmilderung<br />

dieser Vorstellung führen müsste. So schreibt Rainer Prass in s<strong>eine</strong>r Studie: „Die im 18.<br />

Jahrhundert zu beobachtenden Bemühungen bürgerlicher und adeliger<br />

Landwirtschaftsreformer, den Bauern neue agrarische Methoden nahezubringen,<br />

stehen in enger Verbindung mit dem aus der ‚Aufklärung‘ kommenden Anstoß zum<br />

praktischen Handeln.” 175 Die Bauern ersch<strong>eine</strong>n an dieser Stelle wieder als die<br />

störrischen Esel, denen ohnehin nicht zu helfen sei: „Ökonomische Probleme und die<br />

Haltung der Bauern ließen zahlreiche Ratschläge ins Leere laufen, so dass viele gut<br />

m<strong>eine</strong>nde Agronomen schier über die Widerborstigkeit der Bauern verzweifelten.” 176<br />

Nach der Reformfähigkeit und Reformbereitschaft der übrigen, an den frühen<br />

Agrarreformen beteiligten Gruppen wird hingegen selten gefragt, deren<br />

Modernisierungsmodell kaum diskutiert. Dabei steht der von Rainer Prass formulierte<br />

Befund in deutlichem Gegensatz zu s<strong>eine</strong>n übrigen Ergebnissen: nicht allein die<br />

Bauern, sondern speziell der hannoversche Staat vermochte es nicht, <strong>eine</strong><br />

Reformstrategie zu entwickeln, die <strong>eine</strong>rseits praxis- und zielorientiert, andererseits<br />

171 ACHILLES (1972a), etwa 148<br />

172 Ebd., S.182.<br />

173 Dazu als Diskussionsanregungen ZIMMERMANN (1989), SCHLÖGL (1989); TROSSBACH (1993),<br />

44-50.<br />

174 SCHLÖGL (1989), 113.<br />

175 PRASS (1997b), 50.<br />

176 Ebd., 51.<br />

97


ereit war, vorhandene Strukturen in Frage zu stellen. Die vielfältigen Blockaden etwa<br />

seitens der Amtmänner sind auf den vorhergehenden Seiten dargelegt worden. 177<br />

Der Landesherr hatte mithin zwar ein Interesse an Reformen, aber die Fähigkeit,<br />

neue Grundsätze zumindest im eigenen Herrschaftsbereich, also auf den Domänen<br />

durchzusetzen, war selbst nur begrenzt vorhanden, zudem fehlte es an eindeutigen<br />

Kriterien für die Realisierung der Reformen. Aus Clemens Zimmermanns<br />

Untersuchung badischer Reformmaßnahmen kennen wir die großen Probleme des<br />

„absolutistischen“ Staates, gesellschaftliche Reformansätze tatsächlich zu realisieren,<br />

bzw. wissen um die diesen Bemühungen immanente Tendenz zum Scheitern. 178 Der<br />

hannoversche Staat stand zwar insbesondere seit dem Siebenjährigen Krieg unter<br />

verstärkten finanziellen Zwängen, die sich reformfördernd auswirkten, 179 aber es fehlte<br />

an <strong>eine</strong>r zielstrebigen Strategie zur Realisierung <strong>eine</strong>r neuen gesellschaftlichen<br />

Konzeption. Aber hätte ein im Lande lebender Herrscher tatsächlich diese Defizite<br />

ausgleichen können, wäre es ihm gelungen, die grundlegende Umgestaltung der<br />

Gesellschaft in die Hand zu nehmen, den Adel aus s<strong>eine</strong>r herausgehobenen sozialen<br />

wie ökonomischen wie politischen Position herauszunehmen?<br />

Ansätze zu diesen Reformen sind zwar zu erkennen, aber was hervorsticht, sind die<br />

Hindernisse, die sich überall auftaten, wo im Sinne <strong>eine</strong>r neuen rationellen<br />

Landwirtschaft gehandelt werden musste.<br />

Nur wenig wissen wir über den Adel, aber doch immerhin so viel, dass der Adel<br />

nicht als durchweg reformfreudige Gruppe zu charakterisieren wäre. 180 Weshalb sollte<br />

dann aber ein eindeutiges Verhalten der Bauern erwartet werden? Und schließlich: die<br />

Reformmodelle <strong>eine</strong>r individualisierten Nutzung des Landes 181 dürfen nicht zu<br />

schematisch gesehen werden, sondern als Teil <strong>eine</strong>s gesellschaftlichen Lernprozesses,<br />

der eingebunden war in <strong>eine</strong> verstärkte Dynamik der Gesamtgesellschaft. Im Rahmen<br />

der beschriebenen Prozesse des Bevölkerungsanstiegs, der sozialen Differenzierung<br />

und der verstärkten Markteinbindung der verschiedenen ländlichen Sozialgruppen<br />

bekam die Modernisierung der Landwirtschaft bzw. deren Verhinderung <strong>eine</strong> neue,<br />

grundlegende Bedeutung, die sich aber erst aus der ökonomischen und sozialen Praxis<br />

ergab und für die verschiedenen, durch den Prozess erfassten Gruppen <strong>eine</strong><br />

abweichende Bedeutung hatte. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte und der<br />

Tatsache, dass die regionale Vielfalt erheblich, der Einfluss naturräumlicher und<br />

verkehrlicher Strukturen nicht zu unterschätzen war, wird verständlich, dass es kein<br />

einheitliches Verhalten der Bauern geben konnte.<br />

Allerdings muss auch gefragt werden, warum die Landbevölkerung nicht selbständig<br />

zu Reformen griff, wie dies in den benachbarten Gebieten Lauenburgs und Holsteins<br />

geschah? 182 Lag dies daran, dass hier der Druck der Landesherrschaft auf die Dörfer zu<br />

gering war? Aber warum blieb es dann auch im absolutistisch regierten Schaumburg-<br />

Lippe so ruhig? 183<br />

Eine wichtige Rolle spielte ohne Zweifel der Bevölkerungsanstieg als Ausdruck<br />

tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen. Er destabilisierte zunehmend das<br />

177 SCHNEIDER (1995a), XX.<br />

178 ZIMMERMANN (1983),<br />

179 OBERSCHELP (1983), 107 f.<br />

180 BUCHHOLZ (1952), XX.<br />

181 SCHLÖGL (1989), 113; allgemein dazu Brakensiek, Individualisierung,<br />

182 AST-REIMERS (1965); PRANGE (1971).<br />

183 [=148 - Schneider 1983 Die landwirtschaftli...=], XX.<br />

98


innerdörfliche Gleichgewicht und die Beziehungen der dörflichen Gruppen<br />

zueinander.<br />

Aber <strong>eine</strong> Zweiteilung in Bauern und „Landarme“ wird vermutlich nicht den<br />

komplexeren Strukturen vieler Dörfer gerecht, in denen sich nicht nur Landbesitzende<br />

und Landlose gegenüberstanden, sondern auch Mittelbauern und Kleinbauern, deren<br />

Interessenlage sich von der der großen Landbesitzer ebenso unterschied wie von der<br />

der Landlosen, die als Tagelöhner, L<strong>eine</strong>weber oder Hollandgänger ihre Einkommen<br />

sicherten. 184 Vor der Annahme <strong>eine</strong>r Polarisierung der dörflichen Gesellschaft in<br />

Bauern und „Habenichtse“ (Heuerlinge) hat Christoph Reinders-Düselder zu Recht<br />

gewarnt. 185<br />

Nicht nur das Anwachsen der ländlichen Unterschichten war ein Kennzeichen dieser<br />

Phase, sondern auch Veränderungen in der Schicht der eigentlichen Bauern. In der<br />

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stiegen aufgrund des schnellen<br />

Bevölkerungswachstums die Agrarpreise stark an. Nur Bauern, die größere<br />

Getreidemengen auf den städtischen Märkten verkaufen konnten, profitierten hiervon.<br />

Das waren aber vergleichsweise wenige. Die meisten mittleren und kl<strong>eine</strong>ren<br />

Bauernhöfe hatten dagegen kaum Vorteile von den hohen Preisen, da sie nur geringe<br />

Überschüsse erwirtschafteten. So gesellte sich in den Dörfern zu dem Gegensatz<br />

zwischen Bauern und nichtbäuerlicher Bevölkerung noch ein zweiter zwischen reichen<br />

und armen Bauern. Allerdings wird hinsichtlich der kl<strong>eine</strong>n Betriebe zu fragen sein, ob<br />

diese nicht auf andere Weise von den ökonomischen Trends profitieren und damit ihre<br />

Einnahmen steigern konnten. Gleichwohl dürften zumeist die reichen Bauern von<br />

Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen Nutzen gezogen haben.<br />

Vor allem sind die steigenden Agrarpreise zu berücksichtigen. Diese nutzten in<br />

erster Linie den größeren Betrieben. „In Perioden des Bevölkerungswachstums und<br />

Agrarpreisanstiegs profitierten c.p. immer weniger … Großbauern immer mehr,<br />

während das (Real-) Einkommen von immer mehr kl<strong>eine</strong>n und kleinsten bäuerlichen<br />

Stellen, ähnlich wie das der r<strong>eine</strong>n Lohneinkommensbezieher, immer mehr<br />

zurückging.“ 186<br />

Walter Achilles hat auf der Basis der differenzierten Ertragsberechnungen<br />

kurhannoverscher Bauernhöfe aus dem Jahr 1765 und unter Berücksichtigung der bis<br />

1800 erfolgten Preissteigerungen ebenfalls nachweisen können, dass vom<br />

Getreidepreisanstieg lediglich <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Gruppe großer Höfe profitierte, während die<br />

kl<strong>eine</strong>n Betrieben nur in geringem Maße ihre Einkommen steigern konnten: „Es waren<br />

die großen Betriebe mit hohen Verkaufsquoten, denen die Preiskonjunktur zugute<br />

kam.“ 187<br />

184<br />

RÖSENER (1993), 200; zur Differenzierung s.a. ACHILLES (1982), 137-139; FREIBURG (1977),<br />

321-324.<br />

185 , 69 und 71.<br />

186<br />

FREIBURG (1977), 323. Freiburg wendet sich mit diesen Aussagen gegen <strong>eine</strong><br />

vereinfachende Darstellung der positiven Folgen <strong>eine</strong>r Agrarkonjunktur wie sie von<br />

Wilhelm Abel vertreten wurde (Abel, Agrarkrisen), allerdings wird dabei übersehen, daß<br />

schon Abel auf die unterschiedlichen Folgen hoher Preise hingewiesen hat (23-25).<br />

187<br />

ACHILLES (1982), 133.<br />

99


Abbildung 2 Einkommensentwicklung von 56<br />

Vollerwerbsbetrieben<br />

Betriebe<br />

14<br />

13<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

Allerdings zeigen die von Achilles mitgeteilten Daten (siehe Abbildung 2188 ), dass die<br />

Verhältnisse offenbar nicht so einfach gesehen werden können, denn insgesamt<br />

verschob sich das Einkommensniveau nach oben. Zugleich sollte der Begriff der<br />

Agrarkonjunktur vorsichtig verwendet werden wie der Blick auf die Entwicklung der<br />

niedersächsischen Getreidepreise zeigt (siehe Abbildung nächste Seite) 189 , die zwar<br />

insgesamt zwischen Mitte der 1760er Jahre und dem Jahr 1800 <strong>eine</strong> deutliche<br />

Steigerung aufweisen, aber nicht gleichförmig, sondern als zyklischer Prozeß. Aus dem<br />

diesem ragen die Krisenjahre 1770 bis 1772 mit ihren drastischen Preissteigerungen<br />

ebenso heraus wie die ihnen vorweggehenden und folgenden Jahre mit sehr niedrigen<br />

Preisen. Anschließend stiegen die Preise zwar langfristig an, jedoch erneut in <strong>eine</strong>m<br />

zyklischen Wechsel von sehr hohen und sehr niedrigen Preisen. Erst in den 1790er<br />

Jahren gab es <strong>eine</strong>n starken und anhaltenden Preisanstieg. Die kurzfristigen,<br />

erheblichen Preisschwankungen werden durch die üblichen Zehnjahresdurchschnitte<br />

verdeckt190 , dürften aber für die Betriebe <strong>eine</strong> große Bedeutung gehabt haben. Für die<br />

betriebswirtschaftliche Entwicklung mußte nicht nur das langfristige Geschehen<br />

relevant gewesen sein, sondern auch das kurzfristige, entschied es doch über das<br />

konkrete Betriebsergebnis.<br />

Dennoch gibt es weitere Indizieren dafür, daß der Konjunkturaufschwung <strong>eine</strong><br />

Realität war und positive Folgen für die größeren Betriebe hatte. Helmut Ottenjann hat<br />

für das Osnabrücker Artland nachweisen können, daß in den 1770er Jahren <strong>eine</strong><br />

intensive Bautätigkeit einsetzte, die bis in die Zeit des Vormärz anhielt. 191<br />

2<br />

1<br />

0<br />

Un- Über Über Über Über Über Über Über Über Über Über Über<br />

ter 80 11 141 171 201 231 261 291 321 381 561<br />

80<br />

Einkommensgruppen in Rtlr.<br />

188 Die Abbildung bei ACHILLES (1982), 132, wurde umgezeichnet; für 1765 ließen sich auf der<br />

Vorlage allerdings nur Daten für 50 Betriebe ermitteln).<br />

189 Erstellt auf der Basis der von OBERSCHELP (1986), 86 f, mitgeteilten Daten.<br />

190 Etwa bei ABEL (1978b), Abb. 47, 182.<br />

191 OTTENJANN (1987), 12 f.<br />

1765<br />

1800<br />

100


50,0<br />

45,0<br />

40,0<br />

35,0<br />

30,0<br />

25,0<br />

20,0<br />

15,0<br />

10,0<br />

5,0<br />

Getreidepreise in Hannover<br />

November und Dezember<br />

0,0<br />

1765 1769 1773 1777 1781 1785 1789 1793 1797<br />

1764 1768 1772 1776 1780 1784 1788 1792 1796 1800<br />

Die Wirkung dieses Preisschubs dürfte in den einzelnen Regionen Niedersachsens<br />

unterschiedlich gewesen sein, je nachdem welchen Zugang zu Märkten die Bauern<br />

hatten. In der Nähe größerer Marktorte war dieser eher gegeben als in den stadtfernen<br />

Geestgebieten, wo allerdings der Getreideanbau <strong>eine</strong> untergeordnete Rolle spielte. Hier<br />

traten insbesondere Wanderarbeiter als Verbraucher, Gläubiger und Geldgeber zugleich<br />

auf.<br />

Das von Abel entwickelte und von Wehler übernommene Modell, wonach Betriebe<br />

mit <strong>eine</strong>r hohen Marktquote von niedrigen Ernten und den entsprechend hohen<br />

Preisen profitierten, wirkt zwar schlüssig, dürfte aber in der Anwendung nicht geringe<br />

Probleme verursachen. Vermutlich wirkten sich für die Betriebe mittlere Ernten am<br />

günstigsten aus, weil dann die Preise und die Erntemengen relativ hoch waren, so daß<br />

ein größerer Teil der Betriebe überhaupt <strong>eine</strong> Marktquote erwirtschaften konnte. 192<br />

Andererseits muss berücksichtigt werden, dass nicht allein Getreide von der<br />

ländlich-bäuerlichen Bevölkerung auf den Märkten verkauft wurde, sondern <strong>eine</strong><br />

Vielzahl anderer agrarischer Produkte wie Vieh, Butter, Wolle, Heu, Stroh, Torf und<br />

Handelsgewächse. 193 Aus dem schaumburg-lippischen Amt Hagenburg hieß es Mitte<br />

der 1830er Jahre: „… wohnen hier Mehre[re], welche ein eigenes Gewerbe daraus<br />

machen, dergleichen Viktualien hier im Amte aufzukaufen und auf die hannoverschen<br />

Wochenmärkte zu bringen”. 194<br />

Entscheidendes Merkmal des gesamten Reformprozesses war <strong>eine</strong><br />

Individualisierung der Landnutzung, die die bisherige genossenschaftliche Nutzung<br />

ersetzte. Doch bedeutete diese Individualisierung nicht, daß der Prozeß selbst allein<br />

192 GÜLICH (1827), 11 f.<br />

193 GÜLICH (1827), 12.<br />

194 Schreiben des Amtes Bückeburg vom 13.5.1835 in: STAB L 3 Sg 2.<br />

101


von Individuen getragen wurde. Es war vielmehr die Gemeinde der Bauern, die <strong>eine</strong><br />

zentrale Rolle spielte. Die bäuerliche Gemeinde bildete vor den Agrarreformen nicht<br />

nur <strong>eine</strong>n sozialen, sondern auch <strong>eine</strong>n ökonomischen Verband, was nicht zuletzt die<br />

Folge der komplexen Nutzungsrechte der Feldmark war. Sie betraf aber auch viele<br />

andere Bereiche des dörflichen und privaten Lebens, wie den Hausbau, die Geburt<br />

oder den Tod. Das Aufeinanderangewiesensein bedeutete aber weder, daß es sich um<br />

konfliktfreie noch um gleichberechtigte Strukturen handelte. Die vielfältigen<br />

Nutzungsrechte, wie sie am Beispiel der Dannenberger Gemeinheide Nebenstedt<br />

beschrieben worden sind (s. oben S. ) führten gerade bei steigender Bevölkerungszahl<br />

nahezu zwangsläufig zu Konflikten. 195 Zugleich sorgte die Binnendifferenzierung des<br />

Dorfes in die unterschiedlichen Besitzklassen für ein ausgeprägtes Oben und Unten,<br />

das zudem durch Verwandtschaftsbeziehungen ergänzt wurde. Es gab mithin <strong>eine</strong> Fülle<br />

von Konfliktlinien, die aber gemeinschaftliches Handeln k<strong>eine</strong>swegs behinderten, da es<br />

Regelungsmechanismen in den Fällen gab, wo aufgrund äußerer Einflüsse organisiertes<br />

Verhalten notwendig war. 196<br />

Die bäuerliche Gemeinde war indes kein autonomes soziales Gebilde, sondern<br />

landesherrlichen und adeligen Einflüssen unterworfen, es unterstand insbesondere der<br />

Aufsicht des Amtes bzw. des Gutes. Die aus Schleswig-Holstein schon seit Jahren<br />

vorliegenden Studien über die dortigen Agrarreformen vermögen wichtige<br />

Erkenntnisse zu liefern über den Zusammenhang von kommunalem Verhalten und<br />

Reformtätigkeit. 197<br />

Ingeborg Ast-Reimers kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, daß die<br />

Verkoppelung in Schleswig-Holstein „k<strong>eine</strong>swegs nur <strong>eine</strong> rein agrartechnische<br />

Maßnahme war, sondern … Teil jener umfassenden Umformung der sozialen Struktur,<br />

die zur Ausbildung des modernen Staates … führte“ 198 . An diesem Prozeß war die<br />

Gemeinden nicht passiv beteiligt, sondern aktiv, indem sie von sich aus<br />

Verkoppelungen initiierten. Allerdings dürften die sozialen Veränderungen in den<br />

Gemeinden <strong>eine</strong>n wesentlichen Schub in diesem Prozeß dargestellt haben. Für<br />

Niedersachsen fehlen vergleichende Untersuchungen, <strong>eine</strong> Reduktion der<br />

innerdörflichen Dynamik auf Streitigkeiten scheint wenig angemessen, hier müssen wir<br />

auf einzelne Beobachtungen zurückgreifen. 199 Dabei zeigt <strong>eine</strong> genauere Untersuchung<br />

der Reformakten, dass ähnlich wie in Schleswig-Holstein auch in Niedersachsen die<br />

Dorfbewohner sich zunehmend als gleichberechtigte Partner der Verwaltung sahen, ja<br />

sogar in zumindest <strong>eine</strong>m Fall gleichsam mit der Verwaltung „spielten“, d.h. die<br />

vorhandene Verwaltungsstruktur und innere Konkurrenz zu ihrem Nutzen<br />

auszuspielen verstanden. 200<br />

195 Siehe auch PRASS (1997b), 97. Grundlegend WUNDER (1986).<br />

196 DÜLMEN (1999).<br />

197 PRANGE (1971) sowie insbesondere AST-REIMERS (1965).<br />

198 AST-REIMERS (1965), 321.<br />

199 PRASS (1997b), 102-104. Leider geht diese neueste Studie so gut wie nicht auf die internen<br />

Entwicklungen in den Gemeinden ein, sondern macht sich weitgehend die Perspektive der<br />

Verwaltung zu eigen. Untersuchungen, die Aufschluss über die innere Prozesse in den<br />

Dörfern im Zusammenhang mit den Agrarreformen geben könnten, fehlen bislang. M<strong>eine</strong><br />

eigenen Stichproben zum Amt Blumenau und schaumburg-lippischen Verfahren Anfang<br />

des 19. Jahrhundert lassen aber Grund zu der Annahme, dass dieser Aspekt größere<br />

Beachtung verdient. SCHNEIDER (1994), 1, 91 f.<br />

200 SCHNEIDER (1995a), XX.<br />

102


Die dörfliche Genossenschaft bildete ein dynamisches Gleichgewicht, welches sich<br />

nicht allein in fortwährender Bewegung befand und durch die internen Entwicklungen<br />

sowie die neuen ökonomischen Möglichkeiten immer neue Impulse erfuhr. Nach außen<br />

traten die Gemeinden in längeren Verfahren durch Syndici auf, die sich jedoch offenbar<br />

nicht immer ihrer Gemeindegenossen sicher sein konnten. Die neuen ökonomischen<br />

Möglichkeiten dank steigender Getreidepreise und neuer Bewirtschaftungsformen<br />

wurden nicht von allen, sondern nur einzelnen Dorfbewohnern genutzt.<br />

V. Ein Zwischenergebnis<br />

Der ländliche Raum erfuhr am Ende des 18. Jahrhunderts komplexe Prozesse der<br />

Anpassung an interne und externe Faktoren, er befand sich in <strong>eine</strong>m dynamischen<br />

Gleichgewicht, war also in hohem Maß anfällig für Veränderung. Gleichwohl geht von<br />

diesem komplexen Gebilde ein hohes Maß an Faszination aus. Die Anpassung an die<br />

jeweiligen regionalen und lokalen Gegebenheiten hatte <strong>eine</strong>n Prozesscharakter und war<br />

durch Krisenphasen gekennzeichnet. Eine dieser Krisen war die europaweite<br />

Hungersnot Anfang der 1770er Jahre, die in ihren konkreten Auswirkungen zunächst<br />

zu <strong>eine</strong>m Rückgang der Geburtenzahlen und <strong>eine</strong>m deutlichen Anstieg der<br />

Sterbezahlen führte. Sodann belegte sie, dass die traditionellen<br />

Krisenregelungsmechanismen der Terrtorialstaaten (insbesondere der Verkauf von<br />

magaziniertem Getreide zu verbilligten Preisen und das Getreideausfuhrverbote)<br />

unzureichend waren. Waren schon die kurzfristigen Auswirkungen gravierend, so traf<br />

dies erst recht auf die mittelfristigen zu, denn nach 1772 lässt sich <strong>eine</strong> Zunahme von<br />

Reformbemühungen in der Landwirtschaft erkennen, die auf <strong>eine</strong> Erhöhung der<br />

agrarischen Produktivität zielten.<br />

Diese Reformen legten allerdings die inneren Widersprüche dieser Gesellschaft<br />

bloß, worauf schon am Beispiel des Verhältnisses von Reformen zur Grundherrschaft<br />

verwiesen wurde. Aber auch die dörfliche Sozialstruktur widersetzte sich teils einzelner<br />

Reformen oder erzwang deren Änderung. Hier zeigte sich ein zweiter innerer<br />

Widerspruch. Einerseits nahmen die Marktbeziehungen erkennbar zu, was hinsichtlich<br />

der gewerblichen Komponente bei den Unterschichten nahe liegend ist, aber auch für<br />

<strong>eine</strong> zunehmende Anzahl bäuerlicher Betriebe galt, die die günstigen Agrarpreise als<br />

Folge des allgem<strong>eine</strong>n Bevölkerungsanstiegs Nutzen wollten. Als Konsequenz aus<br />

dieser Marktorientierung gab es gerade bei den vollbäuerlichen die Tendenz zur<br />

Aushöhlung der feudalen und der genossenschaftlichen Bindungen, was im letzten Fall<br />

zwar mit den Interessen der Territorialstaaten an <strong>eine</strong>r Erhöhung der agrarischen<br />

Produktivität korrespondierte, aber nicht mit den Interessen der ländlichen<br />

Unterschichten. Diese sicherten ihre gewerbliche Existenz durch die Nutzung der<br />

genossenschaftlichen Flächen und konnten durch Gemeinheitsteilungen in <strong>eine</strong><br />

existenzgefährdende Situation geraten. Die Konflikte um die Osnabrücker<br />

Markenteilungsordnung von 1785 zeigen diesen Widerspruch ebenso wie einzelne<br />

örtliche Verfahren. 1 Andererseits konnten solche Teilungsverfahren Impulse für <strong>eine</strong><br />

weitere gewerbliche Durchdringung des ländlichen Raumes auslösen, wenn sie die<br />

Voraussetzungen dafür schufen, dass die Produktivität der Betriebe erhöht und<br />

siedlungswilligen Angehörigen der Unterschichten die Chance zur Ansiedlung gegeben<br />

wurde. 2<br />

1 Markenteilungsordnung von 1785, Mooser, Brakensiek, Schneider.<br />

2 Brakensiek.<br />

103


Somit ergibt sich für das Ende des 18. Jahrhunderts ein differenziertes Bild<br />

ländlicher Verhältnisse. Das Dorf war kein Bauerndorf mehr, es hatte <strong>eine</strong> mehr oder<br />

weniger ausgeprägte gewerbliche Komponente, so dass die Unterschichten bzw. die<br />

landarmen Bevölkerungsgruppen auf ein Ensemble von Tätigkeiten zurückgreifen<br />

mussten, um ihre Existenz zu sichern. Diese Tätigkeiten lagen entweder außerhalb des<br />

Dorfes (Wanderarbeit) oder waren von außerdörflichen, überregionalen Absatzmärkten<br />

abhängig (L<strong>eine</strong>nweberei).<br />

Bäuerliche und nichtbäuerliche Bevölkerung blieben aufeinander bezogen, zeigten<br />

aber Verhaltensweisen, die durch Abgrenzung gekennzeichnet waren und die in ihrer<br />

langfristigen Entwicklung auseinander liefen.<br />

So sehr Veränderungsbedarf bestand, so wenig gab es in sich geschlossene<br />

Konzepte der Modernisierung. Das wäre allerdings auch überraschend gewesen, denn<br />

zum Wesen der Reform gehört auch ihr Prozesscharakter. Bei all ihren Schwächen<br />

hatte die alte Agrarverfassung auch Vorteile aufzuweisen, weshalb <strong>eine</strong> einfache<br />

Ablösung kaum in Frage kam. Nicht so sehr die Theorie, sondern die Praxis warf<br />

Probleme auf, die erst in <strong>eine</strong>m langwierigen Lernprozeß bei sich gleichzeitig<br />

verändernden Rahmenbedingungen gelöst werden konnten. Dies macht besonders die<br />

frühen Agrarreformen so interessant, bieten sie doch k<strong>eine</strong> einfache Lösung, sondern<br />

Lösungswege auf, die nicht geplant waren, sondern sich entwickelten, wobei <strong>eine</strong> Reihe<br />

von Faktoren die Entwicklung beeinflussten. Sie lassen sich in folgende Gruppen<br />

zusammenfassen:<br />

1. Lernprozesse der wichtigsten Gruppen (Adel, Bauern, Beamte): sie alle mussten<br />

erst lernen, welche Vorteile die einzelnen Reformen für sie boten, wie sie neue<br />

Techniken sinnvoll einsetzen konnten;<br />

2. die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen änderten sich im Verlauf<br />

des 18. Jahrhunderts; der Anstieg der Bevölkerung, die zunehmende<br />

Vergewerblichung des flachen Landes und die Marktorientierung der bäuerlichen<br />

Bevölkerung gehörten dazu; sie schufen <strong>eine</strong>n zunehmenden Innovationsdruck;<br />

3. nur geringen Druck übten bis etwa 1790 die politischen Rahmenbedingungen<br />

aus. Zwar zielte die landesherrliche Politik seit ca. 1750 auf die Ausdehnung der<br />

eigenen Handlungsräume; jedoch wurde die gesellschaftliche Ordnung nie in Frage<br />

gestellt; dies geschah erst nach 1790 unter dem Druck der französischen Revolution.<br />

VI.Wie dies Buch entstand<br />

Dieser Text hat <strong>eine</strong> lange Vorgeschichte: sie reicht in das Jahr 1989 hinein, als der<br />

dritte „Baustein zur Regional- und Lokalgeschichte“ über die Agrarreformen in<br />

Niedersachsen erschien. Er wurde damals verfasst von Prof. Hans-Heinrich Seedorf<br />

und dem Autor dieses Bandes. Dank der Tatsache, dass der Band auch von der<br />

Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung in ihr Programm<br />

aufgenommen wurde, erfuhr er schnell <strong>eine</strong> relativ große Verbreitung. Seit einiger Zeit<br />

ist dieser Band vergriffen. Aufgrund der vielen Nachfragen begann ich vor einigen<br />

Jahren damit <strong>eine</strong>n neuen Text zu schreiben, der im Laufe der Zeit aber <strong>eine</strong><br />

Eigendynamik entwickelte. Zunächst stellte ich fest, dass der alte Text weit stärker<br />

überarbeitet werden musste, als ich zunächst angenommen hatte. Doch damit wurde er<br />

automatisch länger. So entstand die Idee, aus dem <strong>eine</strong>n Band zwei zu machen. Doch<br />

104


dieser erste Band, „Am Vorabend der Bauernbefreiung“, blieb liegen, andere Dinge<br />

kamen dazwischen. Manchmal ist dies aber auch von Vorteil, denn die Frage war, für<br />

wen dieser Text eigentlich geschrieben werden soll. Für den Laien, den interessierten<br />

Laien, war der erste Text 1989 geschrieben worden, doch die Überarbeitung sollte auch<br />

die KollegInnen erreichen.<br />

In den Jahren, in denen der vorhandene Text liegen blieb, arbeitete ich auf anderen<br />

Feldern, wie der regionalen Industrialisierungsgeschichte, oder ich fragte nach dem<br />

Nutzen, den das Internet für Historiker haben kann. Dabei verschob sich mein Blick<br />

auf die Agrargeschichte, und nun, 2003, wird mir in neuer Form bewusster, wie wichtig<br />

nicht nur die Agrargeschichte ist, sondern wie wenig neuere Forschungen und<br />

Erkenntnisse die breitere Bevölkerung erreichen. Dabei gibt es fast überall diese<br />

immanenten Bilder früherer Wirklichkeit von Dorf und Landwirtschaft. Sie sind meist<br />

einfach, plastisch und wirken plausibel. Dass sie den neuerem Forschungsstand nicht<br />

standhalten können, ist kaum bewusst, wobei selbst Forschungen zur Agrargeschichte,<br />

insbesondere den Reformen, noch teilweise diesen alten Bildern verhaftet sind.<br />

So ist dies Buch, selbst wenn es mehrere Schichten enthält, doch vor allem <strong>eine</strong>m<br />

Aspekt verpflichtet: der Freude an der Agrargeschichte, dem Erzählen und Berichten<br />

von Neuem, das weit über die einfachen Bilder hinausgeht, welche immer noch in<br />

vielen Köpfen präsent sind.<br />

Es ist aber auch der Überzeugung verpflichtet, dass die Vergangenheit und ihre<br />

Erforschung für uns heute wichtig ist, weil sie uns konfrontiert mit Ansichten und<br />

Bildern, die wenig mit der historischen Wirklichkeit zu tun haben, aber<br />

handlungsleitend wirken. 1 Die Korrektur dieser falschen Bilder sollte weiterhin <strong>eine</strong><br />

wichtige Aufgabe des Historikers sein. Eine andere wichtige Aufgabe wird dagegen nur<br />

selten erwähnt: den Menschen vermitteln, dass jeden Tag etwas Neues beginnt, und<br />

damit <strong>–</strong> bei aller Wirkung der Vergangenheit in die Gegenwart hinein <strong>–</strong> auch Abschied<br />

von der Vergangenheit genommen werden kann.<br />

VII.Ländliche Gesellschaft und Agrarreformen<br />

Am Anfang von Untersuchungen zu den Agrarreformen des 18. und 19. Jahrhunderts<br />

steht zuweilen ein Hinweis auf die aktuelle Situation der Landwirtschaft. 1 Und in der<br />

Tat drängt sich die Vermutung auf, dass die damaligen Prozesse in <strong>eine</strong>r direkten<br />

Verbindung mit den aktuellen Verhältnissen stehen. Aber in welcher? Dass die heutige<br />

Agrarpolitik <strong>eine</strong> Genese hat, die auf jene Reformprogramme zurückzuführen sei,<br />

wäre erst einmal zu überprüfen und kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden.<br />

1 Man kann es auch anders formulieren: wenn in Büchern, die sich der aktuellen Lage der<br />

Gesellschaft und ihrer Weiterentwicklung derart groteske Fehleinschätzungen finden wie<br />

bei Henzler, Herbert A./ Lothar Späth, Die Zweite Wende. Wie Deutschland es schaffen<br />

wird. Weinheim und Berlin 1998, dann muss man wohl fragen, welche weiteren eklatanten<br />

Fehleinschätzungen <strong>eine</strong> solche Darstellung noch aufzuweisen hat. Siehe etwa S. 18: „In<br />

der Mitte des 18. (!) Jahrhunderts verursachte der Zusammenbruch ein Massenelend, weil<br />

die Agrarwirtschaft zusammenbrach. Für die Millionen von Arbeitslosen, die damals<br />

hungernd in die Städte drangen, konnte sich niemand neue Arbeitsplätze vorstellen.“ Von<br />

dem schlechten Deutsch einmal abgesehen: im 18. Jahrhundert gab es k<strong>eine</strong>n<br />

„Zusammenbruch“, sondern wenn, dann im 19. Jahrhundert, und dann strömten die<br />

Menschen nicht in die Städte, sondern wanderten aus, vornehmlich in die USA.<br />

1 PRASS (1997b), S.<br />

105


Dass die Agrarpolitiker sich der früheren Reformansätze bewusst waren und somit aus<br />

der Vergangenheit lernten, ist bislang ebenfalls noch nicht bewiesen worden (und ich<br />

halte es für fraglich). Fragen dieser Art werden aber meist gar nicht gestellt, sondern es<br />

bleibt bei dem allgem<strong>eine</strong>n Hinweis auf die Bedeutung des agrarischen Sektors.<br />

Diese Arbeit will <strong>eine</strong>n anderen Weg gehen. Sie beginnt, nach <strong>eine</strong>m Blick auf die<br />

alte Agrarverfassung, mit <strong>eine</strong>r Darstellung des frühen Reformprozesses und sieht in<br />

den Reformen des 19. Jahrhunderts mehr als ein endlich nach vielen Widerständen<br />

durchgesetztes Reformprogramm. Die Darstellung folgt der Annahme, dass die<br />

Agrarreformen <strong>eine</strong>n komplexen Prozess darstellten, in dem unterschiedliche<br />

Zukunftsperspektiven, Wahrnehmungsformen, Mentalitäten, Verhaltensweisen und<br />

Interessen in <strong>eine</strong>m zeitlichen Kontext wirkten. Die Erfahrung der Vergangenheit<br />

spielt in diesem Szenario zwar auch <strong>eine</strong> Rolle, aber <strong>eine</strong> begrenzte, da sie über<br />

Wahrnehmungsformen, Mentalitäten und Verhaltensweisen in Erscheinung tritt, aber<br />

nicht in der Form <strong>eine</strong>r systematischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.<br />

Dies schließt aber nicht aus, dass sich in verschiedenen Phasen einzelne Leitbilder und<br />

Werturteile durchgesetzt haben, die gleichsam das Substrat vergangener Erfahrungen<br />

bildeten und deshalb <strong>eine</strong> große Wirkung auf das jeweilige Handeln der Betroffenen<br />

hatte.<br />

Geht man von dieser Überlegung aus, so enthalten die Reformen <strong>eine</strong> neue<br />

Perspektive, denn nicht allein die Realisierung des Reformprogramms des 19.<br />

Jahrhunderts steht dann im Vordergrund, sondern die Frage, welche Mechanismen<br />

wirkten, damit die schließlich durchgeführten Reformen verwirklicht wurden und wie<br />

das um 1850 erkennbare Ergebnis im Vergleich zu den Ansätzen um 1750 und der<br />

weiteren Entwicklung zu bewerten ist.<br />

1850 ist im übrigen bis in neueste Untersuchung das Grenzjahr geblieben, wofür<br />

spricht, dass um diese Zeit die letzten gesetzlichen Regelungen erfolgt sind. 2 Jedoch<br />

spricht gegen diese zeitliche Grenze, dass um 1850 weder die Ablösungen noch die<br />

Verkoppelungen und Gemeinheitsteilungen abgeschlossen waren. Sie ragten vielmehr<br />

weit in die Industrialisierung hinein, und müssen deshalb in ihrer Wechselbeziehungen<br />

zu den allgem<strong>eine</strong>n ökonomischen Veränderungen gesehen werden. In dem hier<br />

vorzulegenden Überblick wird die Grenze aber noch weiter hinausgeschoben, nämlich<br />

bis in die Nachkriegszeit. Die Elemente der Reformen und die damit verbundenen<br />

Wahrnehmungen der agrarischen Wirklichkeit hatten während des Kaiserreichs <strong>eine</strong><br />

neue Qualität erreicht, die sie durchaus von den Reformansätzen des 18. Jahrhunderts<br />

unterschied, ja unterscheiden mussten. Trotz der Industrialisierung behielten die<br />

Intensivierung der Produktion, der Ausbau der agrarischen Nutzfläche und die<br />

Anerkennung <strong>eine</strong>r arbeitsintensiven Produktion bis in die Nachkriegsjahre <strong>eine</strong><br />

unangefochtene Priorität.<br />

Nicht nur die Leitbilder, sondern auch die Agrarprogramme reflektierten <strong>eine</strong><br />

Agrarstruktur und <strong>eine</strong> Agrarpolitik, die das Ergebnis der industrialisierten<br />

Landwirtschaft des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts war. In dieser nahm der<br />

kl<strong>eine</strong> und mittlere Landwirt <strong>eine</strong> zentrale Stellung ein, nicht allein, weil er ökonomisch<br />

von Bedeutung war, sondern als Gegenbild <strong>eine</strong>r industrialisierten Gesellschaft dienen<br />

konnte. Die Angst vor dem Proletariat und die Hoffnung auf den „gesunden“<br />

Bauernstand verband die Agrarpolitiker und Agrarsoziologen der 1950er Jahre mit<br />

einigen Agrarreformern des Vormärz, unter denen Carl Bertram Stüve gewiss <strong>eine</strong><br />

herausragende Stellung, zumindest in Niedersachsen, einnahm.<br />

2 Für Norddeutschland bietet die Untersuchung von PRASS (1997b), den besten Überblick.<br />

106


Eine engere Verknüpfung der Reform mit dem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld<br />

bietet die Möglichkeit, die Reform stärker als <strong>eine</strong>n Prozess zu begreifen, der nicht<br />

linear verlief, sondern sowohl durch die Erfahrungen und daran sich orientierenden<br />

Zielvorstellungen der handelnden Personen als auch durch gesellschaftliche<br />

Entwicklungen beeinflusst war. Beides waren gleichsam Variablen in diesem Prozess<br />

und deren Stellung zueinander entschied über die Richtung und Geschwindigkeit des<br />

Reformprozesses. Die enge Verknüpfung von Reformzielen, Reformerfahrungen und<br />

gesellschaftlichem Wandel hat zur Folge, dass damit auch die Erkenntnis verbunden ist,<br />

dass die bisherigen Erfahrungen nicht auf die Gegenwart übertragbar sind. Die Muster<br />

der Konfliktbewältigung waren selbst in der Vergangenheit nicht allein das Ergebnis<br />

<strong>eine</strong>s einheitlichen Reformkonzeptes noch können sie es in der Gegenwart sein.<br />

In den letzten 250 Jahren wurde die Landwirtschaft durch <strong>eine</strong> Reihe von<br />

allgem<strong>eine</strong>n und speziellen Veränderungen erfasst und derart umgeformt, dass <strong>eine</strong><br />

Bewertung der einzelnen Entwicklungen nicht einfach ist. Die Frage, welche<br />

Phänomene dörflicher Existenz nur über <strong>eine</strong>n längeren Zeitraum grundlegend<br />

veränderbar waren, welche dagegen auch von kurzfristigen Entwicklungen erfasst und<br />

umgeformt wurden, ist k<strong>eine</strong>swegs leicht zu beantworten. Die Bedeutung der<br />

grundlegenden Veränderungen sollte gewiss nicht unterschätzt werden. Heutige<br />

Landwirte lehnen teilweise die Annahme, ihre Vorfahren vor 200 Jahren seien<br />

Abhängige, ja teilweise sogar Leibeigene gewesen, strikt ab. Die Vorstellung von<br />

bäuerlicher Freiheit ist inzwischen derart selbstverständlich geworden, dass damit<br />

konkurrierende Wahrnehmungen kaum akzeptiert werden. Andererseits werden in der<br />

aktuellen Planung, in der Agrarpolitik, in der öffentlichen Diskussion, ja selbst in der<br />

Werbung immer wieder Bilder und Vorstellungen des „alten”, scheinbar statischen<br />

Dorfes verwandt, die sich schon bei oberflächlicher Prüfung als verfehlt und irrig<br />

erweisen, bzw. in Teilelementen der Phase der Hochindustrialisierung um die Wende<br />

zum 20. Jahrhundert zugeordnet werden können. 3<br />

Die Veränderungen der letzten 240 Jahre erfolgten nicht kontinuierlich im Rahmen<br />

<strong>eine</strong>s gleichmäßig verlaufenden Prozesses, sondern sprunghaft, es lassen sich<br />

regelrechte Entwicklungsschübe, dann wieder Phasen langsamer Veränderung<br />

voneinander unterscheiden. Die Erkenntnis, dass der ländliche Raum wie die ihn<br />

umgebende frühneuzeitliche Gesellschaft nicht statisch waren, trifft mehr noch auf die<br />

neuzeitliche Landwirtschaft zu, scheint aber immer wieder in Konflikt zu geraten mit<br />

<strong>eine</strong>m Gesellschaftsmodell, welches gerade vom Dorf und dem ländlichen Raum Statik<br />

verlangt. 4<br />

Im Vergleich zu den späteren Veränderungen mag die frühneuzeitliche Gesellschaft<br />

relativ statisch gewirkt haben, denn bis Ende des 18. bzw. Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

gab es einzelne Konstanten, die den ländlichen Raum kennzeichneten. Zu diesen<br />

gehörten:<br />

• die Bindung der bäuerlich-ländlichen Bevölkerung in starker rechtlicher („feudaler”)<br />

Abhängigkeit von Grundherren, Leibherren, Dienstherren und Gerichtsherren,<br />

3 Zu den Modernisierungen der Jahrhundertwende bieten ein eindrucksvolles regionales<br />

Beispiel HANSEN, TILLMANN (1990).<br />

4 Beispiele dafür bieten die verschiedenen Ansätze im Rahmen der Dorferneuerung, die u.a.<br />

als Reaktion auf massive Modernisierungsprozesse in den 1960er und 1970er Jahren zu<br />

sehen. Einen Überblick der Diskussionen Ende der 1980er Jahre geführt wurden bieten<br />

die Studieneinheiten „Dorfentwicklung“ des Deutschen Instituts für Fernstudien,<br />

Tübingen 1989.<br />

107


• die ausgeprägten genossenschaftlichen Binnenbeziehungen im Dorf, die sich sowohl<br />

auf die Nutzung rein gemeindlicher Einrichtungen (Gemeinweide, Anger etc.) als<br />

auch vorwiegend individuell genutzter Flächen erstreckten (Acker),<br />

• die enge Bindung agrarischer Existenz an die naturräumlichen Voraussetzungen,<br />

• die starke soziale Differenzierung der dörflich-ländlichen Bevölkerung mit <strong>eine</strong>m<br />

hohen und weiter steigenden Anteil klein- und nichtbäuerlicher<br />

Bevölkerungsgruppen, die in hohem Maße auf gewerbliche Tätigkeiten angewiesen<br />

waren.<br />

Zwar gab es hinsichtlich der konkreten Ausprägung dörflicher Existenz und<br />

Abhängigkeit <strong>eine</strong> Fülle von regionalen und lokalen Besonderheiten, die selbst <strong>eine</strong><br />

Typisierung erschweren, aber es lässt sich ein Grundmuster erkennen, in dem die<br />

genannten Elemente in unterschiedlicher Ausprägung unter wechselnder Beziehung<br />

zueinander zu erkennen sind.<br />

Gleichwohl sollte nicht übersehen werden, dass es auch vor 1800 Veränderung in<br />

der agrarischen Welt gab, wie die nordwestdeutsche Agrarverfassung ebenso wie die<br />

internationalen Wirtschaftsbeziehungen belegen, denen der ländliche Raum<br />

unterworfen war (vgl. unten Kapitel Dorf und Landwirtschaft vor der<br />

Industrialisierung) und die, soweit die Vermutung in <strong>eine</strong>m fließenden Prozess in die<br />

erste Reformphase übergingen.<br />

1. <strong>„Bauernbefreiung“</strong> und „liberale Agrarreformen“<br />

Die in dem Titel dieses Bandes genannten Bezeichnungen Agrarreformen und<br />

Bauernbefreiung können zu Irritationen Anlass geben, handelt es sich doch um<br />

konkurrierende bzw. gegenseitig ausschließende Begriffe. Es gibt dennoch gute<br />

Gründe, beide Begriffe zu benutzen. Um deren Bedeutungsgehalt richtig einschätzen<br />

zu können, ist es notwendig, sich ihrer historiographischen Dimension zu<br />

vergegenwärtigen. Von „Bauernbefreiung” sprach Georg Friedrich Knapp, damals<br />

Hochschullehrer am Staatswissenschaftlichen Seminar in Straßburg, zum ersten Mal<br />

1887, als er in s<strong>eine</strong>m Werk mit dem bezeichnenden Titel „Über die Bauernbefreiung<br />

und den Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens“ die preußischen<br />

Agrarreformen <strong>eine</strong>r kritischen Prüfung unterzog. 5 Ausgehend von <strong>eine</strong>r Analyse der<br />

früheren Zustände und ersten Reformansätze im 18. Jahrhundert widmete er sich<br />

speziell den aus dem Oktoberedikt von 1807 hervorgegangenen Reformgesetzen in<br />

den Preußen. 6 Das Oktoberedikt, vor allem jedoch das Edikt von 1811 und die<br />

Deklaration zu diesem Edikt von 1816 schufen zwar trotz massiver adeliger<br />

Gegenwehr die Voraussetzungen für die Auflösung der Gutsherrschaft als intensivster<br />

Form feudaler Herrschaft in Europa. 7 Die Befreiung fand jedoch unter Bedingungen<br />

statt, die vornehmlich den Gutsherren nützte und den Bauern gegenüber ihren<br />

ehemaligen Herren kaum Schutz bot.<br />

5<br />

KNAPP (1887). Die neueste Gesamtdarstellung unter Ausklammerung der<br />

Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen bietet DIPPER (1980), dort S. XX-XX ein<br />

Überblick zur Forschungsgeschichte. Die bislang umfassendste neuere Studie bietet<br />

HARNISCH (1984), siehe jetzt auch ACHILLES (1993).<br />

6 Deshalb findet sich der Hinweis auf die Entwicklung in den „älteren Theilen” Preußens<br />

im Titel der Arbeit.<br />

7 Allerdings wurde die Gutsherrschaft in anderen Territorien, wie im benachbarten<br />

Mecklenburg noch intensiver ausgeübt, Mager, Mecklenburg.<br />

108


Eine vollständig entschädigungslose Befreiung der Bauern war indes ohnehin<br />

illusorisch, denn selbst in den von Frankreich dominierten bzw. beeinflussten Gebieten<br />

des Rheinbundes wurde zur gleichen Zeit lediglich die persönliche Abhängigkeit<br />

(Leibeigenschaft) entschädigungslos aufgehoben.<br />

Die Festlegung von Landabtretungen an der Stelle von Geldzahlungen (wie in den<br />

französischen dominierten oder beeinflussten Gebieten Deutschlands) war angesichts<br />

der unleugbaren Geldknappheit ostelbischer Bauern verständlich. Allerdings bedeutete<br />

die Abtretung von der Hälfte bis zu <strong>eine</strong>m Drittel des Landes, dass die bäuerliche<br />

Bevölkerung besonders schwer betroffen wurde, zumal der Bauernschutz nicht weiter<br />

bestand. Die Konsequenzen aus diesem Reformansatz waren nach Knapps Ansicht<br />

unverkennbar: Die Bauern wurden gleichsam doppelt befreit, denn neben den<br />

bisherigen feudalen Belastungen verloren sie zudem ihr Land, wodurch <strong>eine</strong> nicht<br />

geringe Anzahl von ihnen zu Landarbeitern herab gestuft wurden. Gleichzeitig waren<br />

die bisherigen Gutsbesitzer zwar ihrer alten feudalen Rechte enthoben, konnten aber<br />

ihre ökonomischen und politischen Rechte weitgehend sichern.<br />

Knapp verband mit s<strong>eine</strong>r Darstellung der Agrarreformen <strong>eine</strong> heftige Kritik an<br />

<strong>eine</strong>m liberalen Staat, der nicht nach den sozialen Folgen s<strong>eine</strong>r Aktivitäten fragte, und<br />

damit millionenfaches Elend auslösen konnte <strong>–</strong> ein Elend, welches zu Beginn s<strong>eine</strong>s<br />

Jahrhunderts die dörfliche Bevölkerung, gegen dessen Ende die Arbeiterbevölkerung<br />

erfasste.<br />

S<strong>eine</strong> Analyse hielt allerdings <strong>eine</strong>r kritischen Überprüfung nicht stand, was nicht<br />

verhinderte, dass die preußischen Reformen in Folge des Oktoberedikts lange Zeit als<br />

gleichsam idealtypische Form der Bauernbefreiung verstanden wurden. S<strong>eine</strong> Schüler,<br />

unter ihnen Werner Wittich, untersuchten in den folgenden Jahrzehnten bis zum<br />

Ersten Weltkrieg die Verhältnisse in anderen Territorien Deutschlands und gelangten<br />

zu <strong>eine</strong>m wesentlich milderen Befund, denn hier kam es nicht zu den Landabtretungen<br />

wie in den älteren Teilen Preußens, somit auch nicht zu <strong>eine</strong>r massenhaften Entstehung<br />

<strong>eine</strong>s Landarbeiterproletariats. 8<br />

Damit konzentrierte sich die Forschung weiter auf die altpreußischen Reformen<br />

und konnte bald das von Knapp skizzierte Bild in wichtigen Elementen korrigieren.<br />

S<strong>eine</strong> Annahme, erst durch die Reformen sei <strong>eine</strong> nennenswerte Landarbeiterschaft<br />

entstanden, konnte widerlegt werden, denn schon im 18. Jahrhundert nahm die Zahl<br />

der Landarbeiter erkennbar zu. 9 Auch s<strong>eine</strong> Vermutung, die Bauern seien die<br />

eindeutigen Verlierer der Reformen gewesen, ließ sich in dieser pauschalen Form nicht<br />

aufrecht erhalten. Knapps Thesen müssen vor allem in drei Bereichen korrigiert<br />

werden:<br />

• Eine stärkere Landarbeiterschaft gab es schon im 18. Jahrhundert,<br />

• die Befreiung der Gutsbauern in Folge des Oktoberedikts bis zum<br />

Regulierungsedikt von 1816 betraf nur <strong>eine</strong>, wenngleich starke Minderheit der<br />

gesamten bäuerlichen Bevölkerung,<br />

• für <strong>eine</strong> Bewertung der bäuerlichen Landverluste müssen neben den eigentlichen<br />

Landregulierungen zusätzlich die Veränderungen in Folge der Gemeinheitsteilungen<br />

und Verkoppelungen berücksichtigt werden. 10<br />

Genau 70 Jahre nach Knapp veröffentlichte Werner Conze <strong>eine</strong>n Aufsatz, in dem er<br />

<strong>eine</strong> inhaltliche und begriffliche Ausweitung vornahm. Conze berücksichtigte dabei,<br />

8 Schüler nennen, WITTICH (1896), LUDWIG (1896).<br />

9 Beleg!<br />

10 Dazu zusammenfassend HARNISCH (1984).<br />

109


dass Knapp nur <strong>eine</strong>n Teilaspekt des gesamten Reformprozesses analysiert hatte,<br />

nämlich die Befreiung der gutsuntertänigen Bauern in den ostelbischen Gebieten<br />

Preußens. 11 Was aber war mit den Bauern in den anderen Gebieten Deutschlands und<br />

Europas geschehen, deren herrschaftliche Abhängigkeit (Grundherrschaft) wesentlich<br />

geringer war und die zugleich nicht nur ihre herrschaftlichen, sondern auch ihre<br />

genossenschaftlichen Beziehungen auflösten? Conze befreite die Wahrnehmung des<br />

Reformprozesses aus der Enge der Knappschen Definition und erweiterte sie auf die<br />

<strong>eine</strong>s grundlegenden epochalen und europaweiten Prozesses. Für diesen umfassenden<br />

Prozess benutzte er den Begriff der „liberalen Agrarreformen“, womit sowohl die<br />

Tatsache gemeint war, dass die Reformen <strong>eine</strong> Befreiung von bisherigen<br />

Abhängigkeiten bedeuteten, als auch der Umstand berücksichtigt wurde, dass die<br />

wesentlichen treibenden Kräfte hinter den Reformen liberale Politiker und Beamte<br />

waren. Zugleich fasst der Begriff der „Agrar”-Reformen den betroffenen<br />

Personenkreis weiter, denn nicht nur die im eigentlichen Sinn „bäuerliche”<br />

Bevölkerung, sondern die gesamte ländliche Bevölkerung und über sie hinaus die<br />

gesamte Gesellschaft wurde durch die Reformen verändert. Gleichzeitig aber wurden<br />

durch diese Interpretation der Reformen die skeptischen, sicherlich aus der s<strong>eine</strong>r<br />

zeitigen innenpolitischen Situation entstandenen Bewertungen von Knapp stark<br />

relativiert und ihnen damit die Schärfe genommen, vielmehr der Eindruck <strong>eine</strong>s in sich<br />

geschlossenen und stimmigen Konzeptes vermittelt.<br />

Schon dieser kl<strong>eine</strong> Ausflug in die Begriffsgeschichte zeigt, dass die zu<br />

behandelnden Phänomene komplex und vielschichtig sind und sich <strong>eine</strong>m einfachen<br />

Zugriff entziehen. Bauernbefreiung und Agrarreformen weisen auf einzelne Aspekte<br />

des gesamten Reformkomplexes hin, sie betonen dabei jeweils unterschiedliche Seiten<br />

etwas stärker, sind zugleich aber ambivalente Begriffe (die Bauernbefreiung in höherem<br />

Maße), deren Bedeutung sich nicht auf den ersten Blick erschließt.<br />

Die jüngere Forschung hat zu <strong>eine</strong>r weiteren Differenzierung des Reformprozesses<br />

beigetragen. Diese neuen Beiträge beziehen sich vor allem auf drei Aspekte: Zum<br />

<strong>eine</strong>n zeigen diese Arbeiten, dass die Reformphase wesentlich länger gedauert hat, als<br />

lange Zeit angenommen wurde. 12 Zwar waren bis 1850 die wichtigsten Reformgesetze<br />

veröffentlicht, aber die Realisierung der entsprechenden Reformmaßnahmen zog sich<br />

bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte hin. 13<br />

Zum zweiten konnte die starke regionale Differenzierung des Reformprozesses<br />

nachgewiesen werden, die über die altbekannte Zweiteilung in Gebiete mit Guts- bzw.<br />

Grundherrschaft hinausgingen. Da die agrarischen Verhältnisse sich ebenfalls dieser<br />

einfachen Zweiteilung entziehen, ist es letztlich nicht verwunderlich, dass auch der<br />

Reformprozess starke regionale Aufsplitterungen aufwies.<br />

Drittens konnte schließlich der Zusammenhang zwischen agrarischen und<br />

gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, insbesondere der Übergang zu <strong>eine</strong>r<br />

industriellen Gesellschaft stärker entwickelt werden, wobei die Wechselbeziehungen<br />

zwischen Industrialisierung und Agrarreformen besondere Aufmerksamkeit<br />

verdienen. 14<br />

11 CONZE ([1947]).<br />

12 Diese enge zeitliche Zuordnung spiegelt sich bis heute in entsprechenden Buchtiteln<br />

wider, die <strong>eine</strong> Reformdauer von 1750 bis 1850 nahe legen (so etwa BRAKENSIEK (1991),<br />

dessen Titel eben diesen Zeitraum wiedergibt, während die Darstellung <strong>eine</strong>n anderen<br />

Befund nahelegt). Zu Recht weist ACHILLES (1993), S. XX auf diesen Befund hin.<br />

13 Dazu mehrfach Walter Achilles, zuletzt in: VOGTHERR (2001).<br />

14 PIERENKEMPER (1989),<br />

110


Viertens wurde endlich viel stärker nach den Akteuren gefragt. Waren es nur die<br />

„großen Männer“ der Handbücher wie Albrecht Daniel Thaer, oder spielten nicht auch<br />

die Bauern <strong>eine</strong> größere Rolle als früher angenommen wurde. 15<br />

Bislang nur unzureichend diskutiert wurde über <strong>eine</strong>n neuen Perspektivenwechsel,<br />

obwohl die aktuelle Situation des ländlichen Raumes und der Landwirtschaft die Frage<br />

aufwirft, in welchem Kontext die aktuellen Entwicklungen zu sehen sind. So ist etwa zu<br />

fragen, wie die deutschen, insbesondere die niedersächsischen Reformen im Kontext<br />

europäischer Veränderungen zu bewerten sind, wobei speziell an die englischen und die<br />

dänischen Wege in die Moderne zu denken ist. Im Vergleich mit diesen beiden Ländern<br />

wird deutlich, dass die strukturellen Prozesse der niedersächsischen Reformen <strong>eine</strong><br />

Grenze hatten, die bis heute weitreichende Auswirkungen auf die Gliederung des<br />

ländlichen Raumes und die öffentliche Wahrnehmung des Dorfes hat. Die Bewahrung<br />

<strong>eine</strong>r dörflich-bäuerlichen Struktur statt <strong>eine</strong>r Trennung von Dorf und<br />

landwirtschaftlichem Betrieb ist k<strong>eine</strong>swegs selbstverständlich, wie das dänische und<br />

englische Beispiel zeigen.<br />

Das Festhalten an der Einheit von Dorf, Landwirtschaft und bäuerlichem<br />

Familienbetrieb ist ein spezifisches Kennzeichen der deutschen Verhältnisse und so<br />

nicht ohne weiteres in anderen Ländern Westeuropas anzutreffen. Es hat bis heute<br />

weitreichende Folgen, wie die noch immer nicht aufgegebene Absicht, durch<br />

Dorferneuerungsmaßnahmen die landwirtschaftliche Struktur zu stärken, obwohl die<br />

Praxis zeigt, dass gerade dies Ziel nicht erreicht werden kann. 16<br />

Von erheblicher Bedeutung waren ebenfalls die durch die Reformen des 19.<br />

Jahrhunderts zwar initiierten, aber teilweise erst im 20. Jahrhundert abgeschlossenen<br />

Eingriffe in die Kulturlandschaft. Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen zielten<br />

auf <strong>eine</strong> rationale Feldbewirtschaftung und lösten die alten Feldstrukturen zugunsten<br />

neuerer auf. Dadurch wurde <strong>eine</strong> intensivere Nutzung der Feldmark erreicht und die<br />

„Ödländereien“ erheblich reduziert. 17 Trotzdem scheint sich das Bild der<br />

Kulturlandschaft im 19. Jahrhundert vergleichsweise wenig verändert zu haben,<br />

zumindest wenn man es mit den strukturellen Wandlungen nach 1945 vergleicht. 18<br />

Dennoch sollte die Bedeutung der Reformmaßnahmen des 19. Jahrhunderts nicht<br />

unterschätzt werden, wurden doch damals Feldstrukturen (Graben- und Wegenetz)<br />

geschaffen und Denk- und Handlungsmuster entwickelt, die unter den Bedingungen<br />

und mit den technischen Möglichkeiten der Nachkriegszeit zu <strong>eine</strong>m radikalen<br />

Landschaftswandel mit weitreichenden ökologischen Folgen führte.<br />

Die Agrarreformen waren nicht daraufhin konzipiert, die Landwirtschaft im<br />

Rahmen <strong>eine</strong>r kapitalistisch-industriellen Volkswirtschaft effektiver zu gestalten.<br />

Zumindest in Niedersachsen wollten die handelnden Personen bis Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts k<strong>eine</strong>swegs die Voraussetzungen für <strong>eine</strong> industrielle sondern für <strong>eine</strong><br />

effektivere agrarische Gesellschaft schaffen. Die Realität war <strong>eine</strong> andere, denn<br />

Agrarreformen und Industrialisierung standen in <strong>eine</strong>m engen wechselseitigen<br />

Verhältnis, jedoch wirkten die ideologischen Grundlagen der Agrarreformen insofern<br />

noch lange nach, als sie zu <strong>eine</strong>r massiven Kritik an der Industriegesellschaft führten,<br />

15 Siehe jetzt dazu JbW, vielleicht auch m<strong>eine</strong> Arbeiten, außerdem Prass, Agrarreform.<br />

16 Dazu Literatur noch nennen!<br />

17 Literatur!<br />

18 Hierzu etwa die Beispiele von Wöbse in dem Profil. Andere Aussagen von Schubert,<br />

Niedersachsen, S. XX. KÜSTER (1996),<br />

111


nicht bedenkend, dass dieser Industriegesellschaft wichtige ökonomische Impulse zu<br />

verdanken waren.<br />

VIII.Die Bauernbefreiung als Prozess<br />

Die Erkenntnis, dass die Reformen in sich komplexer waren, als es die ältere Forschung<br />

angenommen hatte, fand in der früheren Auflage dieses Buches s<strong>eine</strong> Entsprechung in<br />

<strong>eine</strong>m relativ umfangreichen Kapitel, welches sich mit den frühen Reformen<br />

auseinander setzte. Dahinter stand die Vermutung, dass die Annahme <strong>eine</strong>r von oben<br />

durchgesetzten und auf Verwaltungswege realisierten Reform nicht zutreffen könne. 1<br />

Zumindest zwei Indizien bietet die Situation vor 1800 für diese Annahme. Zum<br />

<strong>eine</strong>n fällt auf, dass es k<strong>eine</strong>swegs so einfach ist, herauszufinden, welche<br />

Personengruppen für oder gegen die Reformen waren, wie die ältere Forschung<br />

annahm. Sie sah vor allem in den Bauern Gegner jeder Veränderung, Befürworter von<br />

Reformen vermutete man im Adel und besonders in der Beamtenschaft sowie dem<br />

agrarisch interessierten Bürgertum und nicht zuletzt in der Agrarwissenschaft 2 .<br />

Zweifellos waren unter den Befürwortern Adelige, Bürgerliche und nicht zuletzt die<br />

landesherrlichen Beamten. Allerdings waren nicht alle Angehörige dieser Gruppen<br />

Reformbefürworter und zudem unterschieden sich ihre Positionen z.T. deutlich<br />

voneinander. 3 Viele Beamte befanden sich in <strong>eine</strong>r doppelten, manchmal dreifachen<br />

Rolle: Erstens waren sie Träger der unteren, lokalen landesherrlichen bzw. staatlichen<br />

Verwaltungsebene, zweitens waren sie Aufsichtsbeamte für die landesherrlichen<br />

Eigenwirtschaften und die dem Landesherrn in s<strong>eine</strong>n grundherrlichen Funktionen<br />

zustehenden Abgaben, und drittens waren sie häufig Pächter der landesherrlichen<br />

Amtsvorwerke. Das Rollenverständnis des Pächters, der möglichst hohe Einnahmen<br />

aus dem gepachteten Vorwerk erwirtschaften wollte, konnte nicht immer mit dem des<br />

landesherrlichen Beamten, der die Politik des Landes zu vertreten hatte,<br />

übereinstimmen. Oder anders ausgedrückt: betriebswirtschaftliche Aspekte konnten in<br />

Konkurrenz zu volkswirtschaftlichen und politischen treten.<br />

Uns begegnet dies Dilemma etwa dort, wo die Vorwerkspächter große Schafherden<br />

hielten, die auf die Weiderechte an den Ackerländereien angewiesen waren, so dass<br />

landesherrliche Versuche zur Zusammenlegung der Felder mit den<br />

betriebswirtschaftlichen Zielen der Pächter kollidierten. 4<br />

Zugleich gab es hinsichtlich der praktischen Umsetzung vieler Neuerungen häufig<br />

Unsicherheit, da es <strong>eine</strong>rseits an Erfahrungswerten mangelte, andererseits bei vielen<br />

Verbesserungen häufig übersehen wurde, dass sie an Voraussetzungen gebunden<br />

waren, die es nicht überall gab. So konnte <strong>eine</strong> auf Bördeböden sinnvolle Maßnahme<br />

auf Geestböden scheitern. 5 Zielkonflikte konnten ebenfalls zu Schwierigkeiten führen.<br />

Grundsätzlich wurde <strong>eine</strong> stärkere Individualisierung der Feldnutzung angestrebt, aber<br />

war dies Ziel auch bei den Wäldern sinnvoll? Oder drohte hier durch <strong>eine</strong> individuelle<br />

1 „Von oben“ muß sicherlich präzisiert werden, gemeint sind bürgerliche und staatliche<br />

Reformvorstellungen und Reformansätze, wie sie bis jüngst im Vordergrund stehen<br />

(Schubert in HUCKER, SCHUBERT, WEISBROD (1997), S. 349-352).<br />

2 Die sich in dieser Zeit erst etablierte!<br />

3 Eindrucksvolle Belege für diese Position bieten: BUCHHOLZ (1952), S. XX und BRAKENSIEK<br />

(1991), S. XX)<br />

4 Dazu habe ich einiges XX.<br />

5<br />

ULBRICHT (1980), S. XX bietet dazu ein schönes Beispiel anhand der Umsetzung englischer<br />

Erfahrungen auf die Lüneburger Heide, siehe dazu unten S. .<br />

112


Nutzung nicht deren Zerstörung, obwohl Ende des 18. Jahrhunderts angesichts <strong>eine</strong>s<br />

mehr oder minder akuten Holzmangels Aufforstungen besonders auf den Heideböden<br />

dringend notwendig waren. 6<br />

In den letzten Jahren hat sich unsere Kenntnis über bäuerliche Verhaltensweisen<br />

und Lebensstile in der frühneuzeitlichen Gesellschaft erheblich erweitert. 7 Die schon<br />

vor Jahren an einzelnen regionalen Beispielen sich abzeichnende Tatsache, dass Bauern<br />

und Landbewohner nicht so waren, wie zeitgenössische Publizisten sie darstellten <strong>–</strong><br />

faul, störrisch, ohne eigene Initiative <strong>–</strong> , sondern, dass sie durchaus in der Lage sein<br />

konnten, ihre rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen, wurde<br />

insbesondere durch neuere Studien zur ostdeutschen Agrargeschichte eindrucksvoll<br />

untermauert. Die Handlungsfähigkeit der Landbevölkerung war selbst dort gegeben,<br />

wo nach bisheriger Lehrmeinung ein System herrschaftlicher Unterdrückung bestand,<br />

nämlich in Gebieten mit Gutsherrschaft. Schon vor Jahren konnte Hans Heinrich<br />

Müller zudem nachweisen, dass der agrarische Fortschritt auch von Bauern getragen<br />

wurde; <strong>eine</strong> Erkenntnis, zu der Forscher aus Schleswig-Holstein ebenfalls wichtige<br />

Beiträge geliefert haben. 8<br />

Die bisherigen Untersuchungen zu den Reformen in der frühen Neuzeit deuten<br />

darauf hin, dass sie weit weniger von oben gesteuert wurden, sondern dadurch<br />

gekennzeichnet waren, dass von Angehörigen unterschiedlicher Gruppen schrittweise<br />

Versuche zur Lösung konkreter Probleme unternommen wurden. Es gab zwar in den<br />

Schriften der Agrarwissenschaftler <strong>eine</strong> differenzierte Programmatik, die die rechtliche<br />

Abhängigkeit der Bauern ebenso anprangerte wie sie Vorschläge für <strong>eine</strong> moderne und<br />

rationelle Feldwirtschaft entwickelte. Aber was wurde davon realisiert bzw. auf welcher<br />

Grundlage entwickelten sich die konkreten Reformmaßnahmen? Die Erkenntnis, dass<br />

<strong>eine</strong> rationellere Landwirtschaft notwendig war, um die vielfältigen neuen<br />

Anforderungen erfüllen zu können, war zwar gegeben, aber wie ließ sich diese<br />

Erkenntnis in praktisches Handeln umsetzen? Und andersherum, mussten diejenigen,<br />

welche praktisch handelten, dies auf der Basis theoretischen Wissens tun oder nicht<br />

aus eigener Erfahrung bzw. unter dem Druck äußerer Bedingungen handeln? Und<br />

warum betrachten wir immer die Impulse der Theorie auf die Praxis und fragen nicht<br />

stärker, welche Impulse von der Praxis ausgingen?<br />

Gerade weil wir inzwischen genauer die strukturellen Elemente des frühmodernen<br />

Staates kennen mit s<strong>eine</strong>m Gegenüber von Anspruch und Wirklichkeit, müssen wir<br />

vorsichtig sein in der Bewertung von Absichtserklärungen im agrarischen Sektor.<br />

Es spricht vieles dafür, dass die Reformen in <strong>eine</strong>m komplexen Prozess stattfanden,<br />

welcher durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Kräfte gekennzeichnet war. Der<br />

schrittweise, prozesshafte Charakter wird an vielen Beispielen deutlich: Während<br />

Gemeinheitsteilungen durchgeführt wurden, blieben die vorhandenen Dienste<br />

bestehen, wurde die Leibeigenschaft nicht angetastet. Angesichts der Komplexität der<br />

alten Agrarverfassung mit sich räumlich und sachlich überlagernden und ineinander<br />

verschachtelten Rechten war ein solches schrittweises Vorgehen vermutlich <strong>eine</strong><br />

sinnvolle Lösung, wobei die Realisierung einzelner Schritte weitere Reformen<br />

notwendig werden ließ.<br />

6 Hierzu Diskussion über Holzmangel und mein Beispiel über Northen und Ditterke. Dazu<br />

jetzt auch NEUBER (2002).<br />

7 Einen guten neueren Überblick bieten PETERS (1999); PETERS, KRUG-RICHTER (1995);<br />

HOLENSTEIN (1996).<br />

8 AST-REIMERS (1965), PRANGE (1971), MÜLLER (1967).<br />

113


So wurde Schritt für Schritt die alte Agrarverfassung zur Disposition gestellt. Damit<br />

waren diese Reformen eher ein allgem<strong>eine</strong>r Lernprozess, der durch Versuch und<br />

Irrtum geprägt war, an dem alle ländlichen Bevölkerungsgruppen sich, wenngleich in<br />

unterschiedlicher Intensität, beteiligten und gewiss auch voneinander lernten. Dieser<br />

Befund, dass die soziale Praxis von grundlegender Bedeutung war, 9 lässt die frühe<br />

Reformphase als eigenständige Phase von den späteren Reformen abgrenzen, weshalb<br />

sie als sozialer Prozess bezeichnet werden soll. Ungeklärt blieb bis zum Ende des Alten<br />

Reiches dagegen die Frage, wie die Machtfrage zu lösen sei, denn <strong>eine</strong> komplette<br />

Auflösung der alten Abhängigkeiten hätte auch die vorhandene gesellschaftliche<br />

Ordnung in Frage gestellt, vor allem den Adel <strong>eine</strong>n Teil s<strong>eine</strong>r Privilegien gekostet.<br />

Die Frage, ob der deutsche Weg auch ohne den Einfluss Frankreichs zum gleichen<br />

Ziel gelangt wäre, bleibt müßig, allerdings zeigt die weitere Entwicklung im 19.<br />

Jahrhundert, dass es dem Adel gelang, wichtige Positionen zu halten. Andererseits<br />

wurden die einzelnen Reformschritte heftig durch die Bauern bzw. die ländliche<br />

Bevölkerung erkämpft, es bedurfte also nach 1815 weiter des Druckes „von unten“, um<br />

den Reformprozeß zu beschleunigen bzw. wieder in Gang zu setzen.<br />

Andererseits unterscheiden sich die Reformen besonders seit den 1830er Jahren<br />

signifikant von den früheren Ansätzen. Zunehmende Professionalisierung,<br />

Bürokratisierung und Vereinheitlichung sind die Kennzeichen dieser Verfahren. Nicht<br />

mehr einzelne Amtleute, Adelige oder Bauern „probieren“ Reformen aus, sondern neu<br />

geschaffene Behörden mit ausgebildeten Fachleuten agieren auf der Basis detaillierter<br />

gesetzlicher Vorschriften. Zwar findet auch auf diese Weise die Reform nicht in <strong>eine</strong>m<br />

einzigen großen Schritt statt, sondern besteht weiterhin aus mehreren Ansätzen und<br />

braucht für die praktische Umsetzung mehrere Jahrzehnte. Aber das waren praktische<br />

Probleme, konnte doch angesichts der umfassenden und flächendeckenden<br />

Neugestaltung der Landwirtschaft nicht binnen weniger Jahre realisiert werden.<br />

Unterschiede bestehen auch bei den Ablösungen, die mehr als die<br />

Gemeinheitsteilungen in <strong>eine</strong>m politischen Prozess verwirklicht wurden. Deren<br />

gesetzliche Realisierung erfolgte um 1830 und 1848/49 in zwei großen Schüben und<br />

wurde eingeleitet durch ländliche Unruhen, die es den reformbereiten bürgerlichen<br />

Politikern und Beamten ermöglichte, ihre Reformkonzepte zu realisieren. Nicht so sehr<br />

der Inhalt dieser Reformgesetze, sondern die Tatsache, dass sie überhaupt zustande<br />

kamen, war die Folge der bäuerlich-ländlichen Unruhen. Zudem fanden die<br />

Auseinandersetzungen in diesem Bereich in <strong>eine</strong>r deutschlandweiten Öffentlichkeit<br />

statt, so dass zwar die einzelstaatlichen Gesetze jeweils Eigenheiten beibehielten, aber<br />

viele Gemeinsamkeiten aufwiesen. Insbesondere in der 1848er Revolution verbreiteten<br />

sich Neuigkeiten über Agrarreformen in kürzester Zeit. Trotz dieser Einflüsse „von<br />

unten“ bleibt unverkennbar, dass die Reformen selbst von liberalen Bürokraten und<br />

Politikern entscheidend geprägt und betrieben wurde. Nicht mehr das gleichsam<br />

individuelle Ausprobieren einzelner Reformansätze, seien es Dienstabstellungen oder<br />

Gemeinheitsteilungen, sondern die in <strong>eine</strong>r größeren Öffentlichkeit diskutierte<br />

Ablösung des alten Feudalsystem war das Kennzeichnende dieser Phase. Nicht mehr<br />

soziales Lernen, sondern politische Aktivitäten sind damit für diese Phase<br />

kennzeichnend, weshalb von den Reformen als politischer Prozess gesprochen wird.<br />

Die mit der Revolution verbundenen gesetzlichen Maßnahmen stellen auf<br />

gesetzlicher Ebene in der Tat den Abschluss der Reformen dar; die damit erreichte<br />

9 Dazu jetzt BIRTSCH (1996), etwa S. 44 (Beitrag Zimmermann, Abstract) oder 107 (Beitrag<br />

Birtsch).<br />

114


Auflösung des Feudalismus veränderte die politische Haltung der Landbevölkerung in<br />

signifikanter Weise. Der Reformprozess selbst war damit k<strong>eine</strong>swegs abgeschlossen,<br />

sondern benötigte für die Realisierung teilweise noch weitere Jahrzehnte.<br />

Bemerkenswert sind die Unterschiede im 19. Jahrhundert zu anderen europäischen<br />

Territorien. Auffällig ist der Unterschied zwischen der englischen und der deutschen<br />

Entwicklung: Hier <strong>eine</strong> Dreiteilung in Großgrundbesitzer, große Pächter und<br />

Landarbeiter verknüpft mit <strong>eine</strong>r dezentralen Siedlungsstruktur, dort zwar auch<br />

Großgrundbesitzer, daneben aber freie Bauern (vom Großbauern bis zum<br />

Kleinbauern) und Tagelöhner. 10 Wenn der englische Weg Element des dortigen<br />

Übergangs zum modernen Industriekapitalismus war, dann müssen die deutschen<br />

Reformen, deren Ansätze im späten 18. Jahrhundert zu suchen sind, nicht nur in der<br />

Selbstwahrnehmung der Zeitgenossen, sondern auch in der nachträglichen Bedeutung<br />

als Reformen <strong>eine</strong>r agrarischen Gesellschaft gewertet werden, die nicht im Übergang<br />

zur Industrialisierung begriffen war (und sie teilweise sogar bewusst ablehnte). Die<br />

scheinbare Modernität der Landwirtschaft, wie sie in bisherigen Forschungen immer<br />

wieder betont wird, gerät dann tatsächlich zu <strong>eine</strong>m Paradoxon. Entstanden für und in<br />

<strong>eine</strong>r agrarischen Gesellschaft schufen die Reformen 50 Jahren später die<br />

Voraussetzungen für erhebliche Produktivitätssteigerungen in <strong>eine</strong>r industriellen<br />

Gesellschaft. Gleichzeitig entwickelte der agrarische Sektor <strong>eine</strong> ausgeprägte<br />

Ablehnung der modernen industriellen Gesellschaft, welche in auffälligem<br />

Widerspruch zu den Vorteilen stand, die gerade er dieser Gesellschaft zu verdanken<br />

hatte. Ist es vielleicht diese Ansynchronität zwischen Reformprozess selbst und<br />

späterer Industrialisierung, die sowohl die Widerständigkeit des agrarischen Sektors im<br />

Kaiserreich und der Weimarer Republik als auch die Probleme nach 1945 mit erklären<br />

können? Zwar wurde der Zusammenhang zwischen Industrialisierung und Reformen<br />

schon lange diskutiert, aber dabei im Sinne <strong>eine</strong>s in sich stringenten Reformprozesses,<br />

ohne dass die Unterschiede hinsichtlich Intention und Wirkung ausreichend<br />

berücksichtigt wurden.<br />

Angesichts <strong>eine</strong>s in Deutschland seit 1950 massiv einsetzenden und bis heute<br />

anhaltenden Strukturwandels der Landwirtschaft mit umfassenden sozialen,<br />

ökonomischen und ökologischen Auswirkungen stellt sich erneut die Frage, in welchem<br />

Kontext die Agrarreformen gesehen werden müssen und welche Schlussfolgerungen<br />

sich daraus ergeben, dass sie k<strong>eine</strong> industrielle Landwirtschaft beabsichtigten.<br />

Schließlich gibt es <strong>eine</strong> dritte Phase, die bislang eher unterschlagen wurde. 11 Die<br />

bisherigen Darstellungen zugrunde liegende Annahme, die Reformen seien mit der<br />

Verkündung von Gesetzen abgeschlossen gewesen, ist irrig, und gleich aus mehreren<br />

Gründen. So gab es in Deutschland, bzw. in Niedersachsen durchaus Regionen, in<br />

denen der politische Prozess sich bis über das Jahr 1850 hinaus erstreckte. 12<br />

Andererseits genügte es nicht, die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen zu<br />

erlassen, sondern entscheidend war die konkrete Umsetzung, d.h. Ablösungen mußten<br />

durchgeführt, das Land vermessen, bewertet und neu umgelegt werden. Die zwischen<br />

1830 und 1850 eingerichteten Behörden begannen erst seit den 1850er Jahren in<br />

stärkerem Maße zu arbeiten, so dass ein großer Teil der Reformen erst nach 1850<br />

10 Zur englischen Entwicklung siehe den guten Überblick bei MINGAY (2000).<br />

11 Siehe aber ACHILLES (1993), S. xx.<br />

12 In Schaumburg-Lippe und der ab 1866 zu Preußen gehörenden Grafschaft Schaumburg;<br />

in beiden Gebieten brachte erst die preußische Zeit <strong>eine</strong>n Abschluss der Reformtätigkeit<br />

(SCHNEIDER (1995b), S. XX).<br />

115


ealisiert wurde. Insofern könnte man von <strong>eine</strong>r administrativen Phase sprechen.<br />

Nichts wäre aber unrealistischer als die Annahme, dass diese Phase nur durch die<br />

Umsetzung vorher erlassener Regelungen gekennzeichnet war.<br />

Mit der Industrialisierung wirkte ein neues Element zunehmend auf den ländlichen<br />

Raum ein und führte zusammen mit den Reformen zu weitreichenden ökonomischen<br />

und sozialen Veränderungen. Dabei ist besonders bemerkenswert, in welcher Weise<br />

sich die in der vor- bzw. frühindustriellen Phase entwickelten Reformkonzepte unter<br />

den veränderten Bedingungen <strong>eine</strong>r industriellen Gesellschaft auswirkten. Die<br />

Wechselbeziehungen zwischen Industrialisierung und Landwirtschaft waren nicht<br />

einseitig, denn die Landwirtschaft profitierte nicht nur von den neuen Absatz- und<br />

Produktionsmöglichkeiten, sondern sie förderte durch ihre Nachfrage nach Maschinen<br />

und Gerät ihrerseits den Industrialisierungsprozeß. Gleichwohl stellte die<br />

Industrialisierung spätestens seit den 1890er Jahren die bisherige soziale wie<br />

ökonomische Rolle der Landwirtschaft in der Gesellschaft infrage. Der nicht zuletzt<br />

durch die Agrarreformen erleichterte Aufschwung der Jahre 1850 bis 1880 erhielt <strong>eine</strong>n<br />

entscheidenden Schlag, auf den die Interessenvertreter insbesondere aus<br />

Ostdeutschland mit <strong>eine</strong>r radikalen Politik reagierten.<br />

Die Untersuchung und Darstellung der Agrarreformen als Prozess bietet die Chance,<br />

das historische Geschehen differenzierter und offener wahrzunehmen. Es gab, das ist<br />

die Grundannahme dieser Darstellung, weder von Anfang an ein Ziel, welches durch<br />

beharrliche Reformarbeit letztlich verwirklicht wurde, noch <strong>eine</strong> absolute Offenheit der<br />

Entwicklung. Vielmehr waren die Reformen eingebettet in grundlegende<br />

gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, sie lassen sich in mehrere Phasen unterteilen,<br />

sie wiesen innerhalb dieser Phasen regionale Unterschiede auf und sie hatten ein im<br />

internationalen Vergleich typisches Profil, das sie wiederum von anderen europäischen<br />

Reformwegen trotz vieler Übereinstimmungen unterschied.<br />

116


Literatur<br />

ABEL, Wilhelm, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land-und Ernährungswirt<br />

schaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter. Berlin 3. Auflage 1978b.<br />

ABEL, Wilhelm, Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters. (Quellen und Forschungen zur<br />

Agrargeschichte 1) Stuttgart 3 1976.<br />

ABEL, Wilhelm, Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19.<br />

Jahrhundert. Stuttgart 3 1978a.<br />

ABEL, Wilhelm, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch <strong>eine</strong>r<br />

Synopsis. Hamburg und Berlin 1974.<br />

ABELSHAUSER, Werner, Wilhelm BARTMANN, Buchbesprechungen - Die BASF -- Eine<br />

Unternehmensgeschichte. in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 49 (2004), 93-94.<br />

ACHILLES, Walter, Agrarkapitalismus und Agrarindividualismus - Leerformeln oder Abbild der<br />

Wirklichkeit? in: Vierteljahresschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch., 81 (1994), 494-544.<br />

ACHILLES, Walter, Aufklärung und Fortschritt in der niedersächsischen Landwirtschaft. in:<br />

Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 59 (1987), 229-252.<br />

ACHILLES, Walter, Deutsche Agrargeschichte im Zeitalter der Reformen und der Industrialisierung.<br />

(Deutsche Agrargeschichte Stuttgart 1993.<br />

ACHILLES, Walter, Die Lage der hannoverschen Landbevölkerung im späten 18. Jahrhundert.<br />

(Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 34, 9)<br />

Hildesheim 1982.<br />

ACHILLES, Walter, Die niedersächsische Landwirtschaft im Zeitalter der Industrialisierung 1820-<br />

1914. in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 50 (1978), 7-26.<br />

ACHILLES, Walter, Die steuerliche Belastung der braunschweigischen Landwirtschaft und ihr Beitrag<br />

zu den Staatseinnahmen im 17. und 18. Jahrhundert. Hildesheim 1972b.<br />

ACHILLES, Walter, Die steuerliche Belastung der braunschweigischen Landwirtschaft und ihr Beitrag<br />

zu den Staatseinnahmen im 17. und 18. Jahrhundert. Hildesheim 1972a.<br />

ACHILLES, Walter, Georg III. als Königlicher Landwirt - <strong>eine</strong> Bestätigung als Beitrag zur<br />

Personalunion. in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 73 (2001), 351 - 408.<br />

ACHILLES, Walter, Landwirtschaft in der Frühen Neuzeit. (Enzyklopädie deutscher Geschichte 10)<br />

München 1991.<br />

.<br />

AKERLOF, George A, Hajime MIYAZAKI, The implicit contract theory of unemployment meets the wage<br />

bill argument. in: Review of Economic Studies, 47 (1980), 321-338.<br />

.<br />

ALBRECHT, Peter, Die Förderung des Landesausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im<br />

117


Spiegel der Verwaltungsakten des 18. Jahrhunderts: (1671 - 1806). (Braunschweiger Werkstücke / A<br />

58) Braunschweig 1980.<br />

ASCH, Ronald G., Der Absolutismus - ein Mythos?: Strukturwandel monarchischer Herrschaft in<br />

West- und Mitteleuropa (ca. 1550 - 1700). (Münstersche historische Forschungen 9) Köln [u.a.]<br />

1996.<br />

AST-REIMERS, Ingeborg, Landgemeinde und Territorialstaat: der Wandel der Sozialstruktur im 18.<br />

Jahrhundert dargestellt an der Verkoppelung in den königlichen Ämtern Holsteins. (Quellen und<br />

Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 50) Neumünster 1965.<br />

BARING, Albrecht Friedrich Georg, Bemerkungen zu der Schrift des Herrn Advocaten Gans: Ueber<br />

die Verarmung der Städte und des Landmanns. in Beziehung auf Steuerzahlungen. im Königreich<br />

Hannover. Hannover 1831.<br />

BARTEL-TRETOW, Karin, Frielingen: ein Dorf erzählt. Mit <strong>eine</strong>m Vorwort von Carl-Hans Hauptmeyer.<br />

Braunschweig 1985.<br />

BAUER, Leonhard, Herbert MATIS, Geburt der Neuzeit: vom Feudalsystem zur Marktges. (Dtv 4466)<br />

München 1988.<br />

BAVEL, Bas J. P. van, Erik THEON, Land productivity and agro-systems in the North Sea area. Middle<br />

Ages - 20th century. Elements for comparison. (CORN, Comparative Rural History of the North<br />

Sea Area 2) Turnhout 1999.<br />

BÉAUR, Gérard, From the North Sea to Berry and Lorraine: Land productivity in Northern France,<br />

13th-19th century, in: Bas J.P. VAN BAVEL, THOEN, Erik, Hrg., Land productivity and agro-systems in<br />

the North Sea Area. Middle Ages - 20the centrury. Elements for Comparison. (CORN,<br />

Comparative Rural History of the North Sea Area 2) 1999, S. 136-167.<br />

BECK, Rainer, Unterfinning: ländliche Welt vor Anbruch der Moderne. München 1993.<br />

BECKER, Rudolf Zacharias, Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute. (Die bibliophilen<br />

Taschenbücher 207) Dortmund Nachdr 1980 = 1788.<br />

BECKMANN, Johann, Beyträge zur Oekonomie, Technologie, Polizey und Cameralwissenschaft 1.<br />

Göttingen 1779.<br />

BEKAR, Cliff T., Clyde G. REED, Open fields, risk, and land divisibility. in: Explorations in economic<br />

history, 40 (2003), 308-325.<br />

BIRTSCH, Günter, Hrg., Reformabsolutismus im Vergleich: Staatswirklichkeit -<br />

Modernisierungsaspekte - verfassungsstaatliche Positionen, (Aufklärung, Bd. 9,1), Hamburg<br />

1996.<br />

BISCHOFF, Wolfgang, Die Geschichte des Anerbenrechts in Hannover von der<br />

Ablösungsgesetzgebung bis zum Höfegesetz vom 2. Juni 1874. Diss. Göttingen 1966.<br />

BLÄNKNER, Reinhard, „Absolutismus“ und „frühmoderner Staat“. Probleme und Perspektiven der<br />

Forschung, in: Rudolf VIERHAUS, Hrg., Frühe Neuzeit - Frühe Moderne? Forschungen zur<br />

Vielschichtigkeit von Übergangsprozessen. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für<br />

Geschichte 104) Göttingen 1992, S. 48-74.<br />

118


BLICKLE, Peter, Hrg., Gemeinde und Staat im alten Europa, (Beihefte, Bd. N.F., 25), München<br />

1998.<br />

BLOHM, Richard, Die Hagenhufendörfer in Schaumburg-Lippe. (Veröffentlichungen //<br />

Provinzialinstitut für Landesplanung und Niedersächsische Landes- und Volksforschung Hannover-<br />

Göttingen, Reihe A, Forschungen zur Landes- und Volkskunde, Schriften des Niedersächsischen<br />

Heimatbundes e.V. 10) Oldenburg i. O 1943.<br />

BLUM, Jerome, The end of the old order in rural Europe. Princeton, NJ 1978.<br />

BODE, Karl, Agrarverfassung und Agrarvererbung in Marsch und Geest. dargetan an Hand der<br />

Verhältnisse in den hannoverschen Unterelbekreisen. Jena 1910.<br />

BOETTICHER, Manfred von, „Nordwestdeutsche Grundherrschaft” zwischen Frühkapitalismus und<br />

Refeudalisierung. in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 122 (1986), 207-228.<br />

BOETTICHER, Manfred von, Freigrafschaften im mittleren Niedersachsen. (Quellen und Darstellungen<br />

zur Geschichte Niedersachsens 108) Hannover 1992.<br />

BOETTICHER, Manfred von, Kloster und Grundherrschaft Mariengarten. Entstehung und Wandel <strong>eine</strong>s<br />

kirchlichen Güterkomplexes im südlichen Niedersachsen vom 13. bis ins 19. Jahrhundert. (Quellen<br />

und Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 12) Hildesheim 1989.<br />

BÖLSKER-SCHLICHT, Franz, Die Hollandgängerei im Osnabrücker Land und im Emsland. Ein Beitrag<br />

zur Geschichte der Arbeiterwanderung vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. (Beiträge zur neueren<br />

Geschichte 3) Sögel 1987.<br />

BOSSE, Theo, Die Register und Kataster der Ämter Gifhorn, Fallersleben und Isenhagen ab 1563/64.<br />

Gifhorn 1988.<br />

BRAKENSIEK, Stefan, Agrarreform und Ländliche Gesellschaft. die Privatisierung der Marken in<br />

Nordwestdeutschland 1750 - 1850. (Forschungen zur Regionalgeschichte 1) Paderborn 1991.<br />

BRAUDEL, Fernand, Frankreich 1: Raum und Geschichte. Frankfurt am Main [u.a.] [ca. 1995]a.<br />

BRAUDEL, Fernand, Frankreich 2: Die Menschen und die Dinge. Frankfurt am Main [u.a.] [ca.<br />

1995]b.<br />

BREMEN, Lüder von, Abgaben und Dienste der Bauern im westlichen Niedersachsen im<br />

18.Jahrhundert. (Jahresheft der Albrecht Thaer-Gesellschaft 15) 1971.<br />

BUCHHOLZ, Ernst-Wolfgang, Die Bevölkerung des Raumes Braunschweig im 19. Jahrhundert. Ein<br />

Beitrag zur Sozialgeschichte der Industrialisierungsepoche. Phil. Diss. 1952.<br />

BUCHHOLZ, Werner, Geschichte der öffentlichen Finanzen in Europa in Spätmittelalter und Neuzeit:<br />

Darstellung, Analyse, Bibliographie. Berlin 1996.<br />

BURCHARD, Max, Herbert MUNDHENKE, Hrg., Die Ämter Blumenau, Bokeloh, Rehburg, Ricklingen,<br />

die Städte Rehburg und Wunstorf, die Klöster Loccum und Marienwerder und das Stift Wunstorf,<br />

jetzt zu den Kreisen Hannover gehörig, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für<br />

Niedersachsen (Bremen und die ehemaligen Länder Hannover, Oldenburg, Braunschweig und<br />

Schaumburg-Lippe), Bd. 27), Hildesheim 1960.<br />

CERMAN ; Markus; Sheilagh C. Ogilvie, Hrg., Proto-Industrialisierung in Europa. Industrielle<br />

119


Produktion vor dem Fabrikszeitalter, (Beiträge zur historischen Sozialkunde: Beiheft; 5 Wien<br />

1994.<br />

CONRADY, Sigisbert, Die Wirksamkeit König Georgs III. für die hannoverschen Kurlande. in:<br />

Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 39 (1967), 150-191.<br />

CONZE, Werner, Die liberalen Agrarreformen Hannovers im 19. Jahrhundert: Vortrag.<br />

(Agrarwissenschaftliche Vortragsreihe 2) Hannover [1947].<br />

CORDES, Rainer, Die Binnenkolonisation auf den Heidegemeinheiten zwischen Hunte und<br />

Mittelweser (Grafschaft Hoya und Diepholz) im 18. und frühen 19. Jahrhundert. (Quellen und<br />

Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens / Rainer Cordes 93) Hildesheim 1981.<br />

DEIKE, Ludwig, Ilse DEIKE, Die Entstehung der Celler Landwirtschaftsgesellschaft. ökonomische<br />

Sozietäten und die Anfänge der modernen Agrarreformen im 18. Jahrhundert. (Quellen und<br />

Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 113) Hannover 1994.<br />

'DER CURIEUSE PASSAGIER''. (Beiträge zur Geschichte der Literatur und Kunst des 18. Jahrhunderts 6)<br />

Heidelberg 1983.<br />

DIPPER, Christof, Die Bauernbefreiung in Deutschland: 1790 - 1850. (Urban-Taschenbücher<br />

Stuttgart [u.a.] Fotokopie. 1980.<br />

DIPPER, Christoph, Deutsche Geschichte: 1648 - 1789. (Edition Suhrkamp 1253 = N.F., 253)<br />

Frankfurt am Main Erstausg 1994.<br />

DITTRICH, Erhard, Die deutschen und österreichischen Kameralisten. (Erträge der Forschung 23)<br />

Darmstadt 1974.<br />

DREITZEL, Horst, Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland: ein Beitrag zu Kontinuität<br />

und Diskontinuität der politischen Theorie in der frühen Neuzeit. (Beiheft 24) Mainz 1992.<br />

DÜLMEN, Richard van, Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. 2. Dorf und Stadt: 16. - 18.<br />

Jahrhundert. München 2 1999.<br />

DUPLESSIS, Robert S., Transitions to capitalism in early modern Europe. (New approaches to<br />

European history Cambridge [u.a.] 1997.<br />

EBELING, Dietrich, Wolfgang MAGER, Protoindustrie in der Region: europäische Gewerbelandschaften<br />

vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. (Studien zur Regionalgeschichte 9) Bielefeld 1997.<br />

ECKELMANN, Wolf, Christiane KLAUSING, Die Böden im Kirchspiel Schledehausen, in: Klaus J. BADE,<br />

BEHR, Hans-Joachim, Hrg., Schelenburg, Kirchspiel, Landgemeinde: 900 Jahre Schledehausen.<br />

Bissendorf 1990, S. 493-404.<br />

EGGERS, Christian, Grundherrschaft als Unternehmen : die Wirtschaft des Klosters Loccum im 17.<br />

und 18. Jahrhundert, in: Carl-Hans HAUPTMEYER, Hrg., Hannover und sein Umland in der frühen<br />

Neuzeit: Beiträge zur Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Bielefeld 1994, S. 17-46.<br />

EHLICH, Hans, Das Erbregister des Amtes Neustadt von 1620: ergänzt aus dem Erbregister von 1584<br />

und 1621. (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 98) [Hannover] 1984.<br />

EIYNCK, A., u.a., Hrg., Wanderarbeit jenseits der Grenze. 350 Jahre auf der Suche nach Arbeit in der<br />

Fremde, Assen, Cloppenburg, Hoorn, Lingen 1993.<br />

120


ENGEL, Franz, Tabellen alter Münzen, Maße und Gewichte zum Gebrauch für Archivbenutzer.<br />

(Schaumburger Studien 9) Rinteln 1965.<br />

FISCHER, Wolfram, Andreas Werner KUNZ, Grundlagen der historischen Statistik von Deutschland:<br />

Quellen, Methoden, Forschungsziele. (Schriften des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche<br />

Forschung der Freien Universität Berlin 65) Opladen 1991.<br />

FRANZ, Günther, Zur Struktur des niedersächsischen Landvolks im ausgehenden 17. Jahrhundert. Ein<br />

Vorbericht, Wirtschaftliche und soziale Strukturen im saekularen Wandel. Fs. Wilhelm Abel. 1)<br />

1974, S. 224-236.<br />

FRAUENDORFER, Sigmund, Ideengeschichte der Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im deutschen<br />

Sprachgebiet Bd. 1. Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg. München [u.a.] 2 1963.<br />

FREIBURG, Hubert, Agrarkonjunktur und Agrarstruktur in vorindustrieller Zeit: die Aussagekraft der<br />

säkularen Wellen der Preise und Löhne im Hinblick auf die Entwicklung der bäuerlichen<br />

Einkommen. in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 64 (1977), 289-327.<br />

FRITZEMEIER, Arnd, Die Korporation der Freien im Amt Ilten bei Hannover vom 17. bis zum 19.<br />

Jahrhundert. (<strong>eine</strong> Gemeinschaft von Bauern als Teil der Amtsverwaltung und als<br />

Interessenvertretung). Univ., Diss.--Hannover, 1992 1992.<br />

FUDENBERG, Drew, Jean TIROLE, Game Theory. Cambridge, MA 1 1991.<br />

GAGLIARDO, John G., From pariah to patriot: the changing image of the German peasant, 1770 -<br />

1840. Lexington, Ky. 1969.<br />

GANS, Salomon Philipp, Ueber die Verarmung der Städte und des Landmanns und den Verfall der<br />

städtischen Gewerbe im nördlichen Deutschland besonders im Königreiche Hannover: Versuch<br />

<strong>eine</strong>r Darstellung. und der Mittel zur Abhilfe. Braunschweig 1831.<br />

GOLKOWSKY, Rudolf, Die Gemeinheitsteilungen im nordwestdeutschen Raum vor dem Erlaß der<br />

ersten Gemeinheitsteilungsordnungen: dargestellt an den kurhannoverschen Landschaften Hoya-<br />

Diepholz, Kalenberg und Lüneburg. (Reihe A, Forschungen zur Landes- und Volkskunde<br />

81Schriften der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens e.V.)<br />

Hildesheim [u.a.] 1966.<br />

GREES, Hermann, Unterschichten mit Grundbesitz in ländlichen Siedlungen Mitteleuropas, in:<br />

Gerhard HENKEL, Hrg., Die ländliche Siedlung als Forschungsgegenstand der Geographie. (Wege<br />

der Forschung 616) Darmstadt 1983, S. 193-223.<br />

GRESKY, Reinhard, Die Finanzen der Welfen im 13. und 14. Jahrhundert. (Institut für Historische<br />

Landesforschung (Göttingen, Univ.). Veröffentlichungen 22) Hildesheim 1984.<br />

GROPP, Volkmar, Der Einfluß der Agrarreformen des beginnenden 19. Jahrhunderts in Ostpreußen<br />

auf Höhe und Zusammensetzung der preußischen Staatseinkünfte. (Schriften zur Wirtschafts- und<br />

Sozialgeschichte 9) Berlin 1967.<br />

GÜLICH, Gustav v., Ueber die Verhältnisse der Bauern im Fürstenthume Calenberg. Hannover 1831.<br />

GÜLICH, Gustav von, Ueber den gegenwärtigen Zustand des Ackerbaus, des Handels und der<br />

Gewerbe im Königreiche Hannover. Hannover 1827.<br />

121


HAGENAH, Ulrich, Ländliche Gesellschaft im Wandel zwischen 1750 und 1850, das Beispiel<br />

Hannover. in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 57 (1985), 161-206.<br />

HAHN, Peter-Michael, Fürstliche Territorialhoheit und lokale Adelsgewalt: die herrschaftliche<br />

Durchdringung des ländlichen Raumes zwischen Elbe und Aller (1300 - 1700). (Veröffentlichungen<br />

der Historischen Kommission zu Berlin 72) Berlin [u.a.] 1989.<br />

HANSEN, Nils, Doris TILLMANN, Dorferneuerung um 1900. (Dithmarscher Heide 1990.<br />

HARNISCH, Hartmut, Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution. (Veröffentlichungen<br />

des Staatsarchivs Potsdam 19) Weimar 1984.<br />

HÄRTER, Karl, Gesetzgebungsprozeß und gute Policey. Entstehungskontexte, Publikation und<br />

Gestaltungskraft frühneuzeitlicher Policeygesetze. (Policey Working Papers 3) 2002.<br />

(2.6.2005).<br />

HAUPTMEYER, Carl-Hans, Calenberg. Geschichte und Gesellschaft <strong>eine</strong>r niedersächsischen<br />

Landschaft. Hannover 1983.<br />

HAUPTMEYER, Carl-Hans, Dorf und Territorialstaat im zentralen Niedersachsen, in: Ulrich LANGE,<br />

Hrg., Landgemeinde und frühmoderner Staat: Beiträge zum Problem der gemeindlichen<br />

Selbstverwaltung in der frühen Neuzeit. Sigmaringen 1988, S. 217 - 235.<br />

HAUPTMEYER, Carl-Hans, Hrg., Hannover und sein Umland in der frühen Neuzeit: Beiträge zur<br />

Alltags-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, (Hannoversche Schriften zur Regional- und<br />

Lokalgeschichte, Bd. 8), Bielefeld 1994.<br />

HAUPTMEYER, Carl-Hans, Niedersächsische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im hohen und späten<br />

Mittelalter (1000-1500), Geschichte Niedersachsens. 2, Teil 1: Politik, Verfassung, Wirtschaft vom<br />

9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert. 1997, S. 1039 - 1279.<br />

HAUPTMEYER, Carl-Hans, Souveränität, Partizipation und absolutistischer Kleinstaat: die Grafschaft<br />

Schaumburg-(Lippe) als Beispiel. (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 91)<br />

Hildesheim 1980.<br />

HAUPTMEYER, Carl-Hans, Ulrike BEGEMANN, Quellen zur Dorf- und Landwirtschaftsgeschichte. Der<br />

Raum Hannover im Mittelalter und in der Neuzeit. (Hannoversche Schriften zur Regional- und<br />

Lokalgeschichte 3) Bielefeld 1992.<br />

HENKEL, Gerhard, Die ländliche Siedlung als Forschungsgegenstand der Geographie. (Wege der<br />

Forschung 616) Darmstadt 1983.<br />

HENNING, Friedrich-Wilhelm, Die Verschuldung westfälischer Bauernhöfe in der zweiten Hälfte des<br />

18. Jahrhunderts, in: Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Geschichte und Gegenwart :<br />

Festschrift Wilhelm Abel, Hrg., Hannover 1964, S. 11-25.<br />

HENNING, Friedrich-Wilhelm, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland. (Uni-<br />

Taschenbücher Paderborn 1979.<br />

HESSE, Richard, Entwicklung der agrar-rechtlichen Verhältnisse im Stifte, späterem Herzogtum<br />

Verden. (Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des<br />

Staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a.d.S. 27) Jena 1900.<br />

122


HINRICHS, Ernst; Rosemarie KRÄMER, Christoph REINDERS, Die Wirtschaft des Landes Oldenburg in<br />

vorindustrieller Zeit: <strong>eine</strong> regionalgeschichtliche Dokumentation für die Zeit von 1700 bis 1850.<br />

Oldenburg 1988.<br />

HIRSCHFELDER, Heinrich, Herrschaftsordnung und Bauerntum im Hochstift Osnabrück im 16. und 17.<br />

Jahrhundert. (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen 16) Osnabrück 1971.<br />

HOLENSTEIN, André, Bauern zwischen Bauernkrieg und Dreissigjährigem Krieg. München 1996.<br />

.<br />

HOSKINS, W. G., The making of the English landscape. London [u.a.] Repr 1985.<br />

HÖTZSCH, Otto, Der Bauernschutz in den deutschen Territorien vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. in:<br />

Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Bd. 26 (1902),<br />

1137-1169.<br />

HUBATSCH, Walther, Das Zeitalter des Absolutismus: 1600 - 1789. Braunschweig 2 1965.<br />

HUCKER, Bernd Ulrich; Ernst SCHUBERT, Bernd WEISBROD, Hrg., Niedersächsische Geschichte,<br />

Göttingen 1997.<br />

JANTKE, Carl, Dietrich HILGER, Die Eigentumslosen. Der deutsche Pauperismus und die<br />

Emanzipationskrise in Darstellungen und Deutungen der zeitgenössischen Literatur.<br />

Freiburg/München 1965.<br />

JENSSEN, Monika, Viehhaltung um 1800 im Zeichen der Aufklärung, in: Ulrich HUCKER; SCHUBERT,<br />

Ernst, WEISBROD, Bernd, Hrg., Niedersächsische Geschichte. Göttingen 1997, S. 352-362.<br />

JORDAN, G., Die alten Teilungs- und Verkoppelungskarten im Raum Niedersachsen, in:<br />

Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Hrg., C.F. GauSS und die Landesvermessung in<br />

Niedersachsen. Hannover 1955,.<br />

KAAK, Heinrich, Die Gutsherrschaft: theoriegeschichtliche Untersuchungen zum Agrarwesen im<br />

ostelbischen Raum. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Berlin [u.a.] 1991.<br />

KALTHOFF, Edgar, Alheidis von ROHR, Calenberg: von der Burg zum Fürstentum. Hannover 2 1983.<br />

KAPPELHOFF, Bernd, Absolutistisches Regiment oder Ständeherrschaft? Landesherr und Landstände in<br />

Ostfriesland im 1. Drittel des 18. Jahrhunderts. (Veröffentlichungen der historischen Kommission<br />

für Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Bremen ; 24,4 Hildesheim 1982.<br />

KEARNEY, Michael, Michael J. WATTS, Rethinking Peasants. A Dialog. in: Österreichische Zeitschrift<br />

für Geschichtswissenschaft, 13 (2002), 51-61.<br />

KLEMM, Volker, Eine ''THAER-Renaissance''? in: Zeitschrift für Agrargeschichte und<br />

Agrarsoziologie, 42 (1994), 1-9.<br />

KLEMM, Volker, Günther MEYER, Albrecht Daniel Thaer: Pionier der Landwirtschaftswissenschaften<br />

in Deutschland. Halle (Saale) 1 1968.<br />

KLOENTRUP, Johann Aegidius, Alphabetisches Handbuch der besonderen Rechte und Gewohnheiten<br />

des Hochstifts Osnabrück. mit Rücksicht auf die benachbarten westfälischen Provinzen. Osnabrück<br />

1798-1800.<br />

KNAPP, Friedrich, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen<br />

123


Preußens T. 1: Überblick der Entwicklung. Leizpzig 1887.<br />

KOHL, Johann Georg, Reisen durch das weite Land: nordwestdeutsche Skizzen 1864. (Alte<br />

abenteuerliche Reiseberichte) Stuttgart [u.a.] 1990.<br />

KOMITEE ''1000 Jahre Mandelsloh'', Mandelsloh, 985-1985. Beiträge zur älteren Geschichte des<br />

Dorfes und s<strong>eine</strong>r Umgebung. Neustadt a. Rbge 1985.<br />

KÖNIGLICHE LANDWIRTSCHAFTSGESELLSCHAFT, Hrg., Festschrift zur Säcularfeier der Königlichen<br />

Landwirtschaftsgesellschaft zu Celle am 4. Juni 1864, Hannover 1864.<br />

KÖSTER, Erika, Historisch-geographische Untersuchung des Orts- und Flurgefüges zweier Dörfer im<br />

Kreise Rotenburg Wümme. (Sonderband 24) 1977.<br />

KRAATZ, Hartwig, Die Generallandesvermessung des Landes Braunschweig von 1746 - 1784: ihre<br />

Ziele, Methoden und Techniken und ihre flurgeographische Bedeutung. (Forschungen zur<br />

niedersächsischen Landeskunde N.F., 104) Göttingen 1975.<br />

KRASCHEWSKI, Hans-Joachim, Wirtschaftspolitik im deutschen Territorialstaat des 16. Jahrhunderts.<br />

Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (1528 - 1589). (Neue Wirtschaftsgeschichte 15)<br />

Köln [u.a.] 1978.<br />

KRIEDTE, Peter; HANS MEDICK; JÜRGEN SCHLUMBOHM, JÜRGEN SCHLUMBOHM, Eine Forschungslandschaft<br />

in Bewegung: die Proto-Industrialisierung am Ende des 20. Jahrhunderts. in: Jahrbuch für<br />

Wirtschaftsgeschichte, 1998 (1998), 9-20.<br />

KRIEDTE, Peter; Hans MEDICK, Jürgen SCHLUMBOHM, Industrialisierung vor der Industrialisierung.<br />

Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus. Göttingen<br />

1977.<br />

KROESCHELL, Karl, Zur rechtlichen Bedeutung der Amtsbücher vom 16. bis 18. Jahrhundert, Im<br />

Dienst an Recht und Staat. Fs. Werner Weber zum 70. Geb. Berlin 1974, S. 69-101.<br />

KROKER, Werner, Wege zur Verbreitung technologischer Kenntnisse zwischen England und<br />

Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. (Schriften zur Wirtschafts- und<br />

Sozialgeschichte 19) Berlin 1971.<br />

KRÜGER, Kersten, Finanzstaat Hessen 1500 - 1567: Staatsbildung im Übergang vom Domänenstaat<br />

zum Steuerstaat. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 5) Marburg 1980.<br />

KÜCHENTHAL, Werner, Bezeichnung der Bauernhöfe und der Bauern, die Klasseneinteilung der<br />

Bauern, im Gebiete des früheren Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel und des früheren<br />

Fürstentums Hildesheim. (Niedersächsische Dorfbücher 1965.<br />

KÜSTER, Hansjörg, Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa: von der Eiszeit bis zur Gegenwart.<br />

München 11 1996.<br />

LATHWESEN, Heinrich [Bearb.], Das Lagerbuch des Amtes Blumenau von 1600: ergänzt aus dem<br />

Lagerbuch von 1655. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und<br />

Bremen 4) Hildesheim 1978.<br />

LE ROY LADURIE, Emmanuel, Die Bauern des Languedoc. (dtv 4555) München 1990.<br />

LEERHOFF, Heiko, Niedersachsen in alten Karten: <strong>eine</strong> Auswahl von Karten des 16. bis 18.<br />

124


Jahrhunderts aus den niedersächsischen Staatsarchiven. Neumünster 1985.<br />

LINNEMEIER, Bernd-Wilhelm, Landwirtschaft im nördlichen Westfalen um 1800: <strong>eine</strong> Untersuchung<br />

des Freiherrn vom Stein aus s<strong>eine</strong>r Mindener Amtszeit. (Beiträge zur Volkskultur in<br />

Nordwestdeutschland 84) Münster [u.a.] 1994.<br />

LUDWIG, Theodor, Der badische Bauer im 18. Jahrhundert. (Abhandlungen aus dem<br />

staatswissenschaftlichen Seminar zu Strassburg 16) Strassburg 1896.<br />

LÜTGE, Friedrich, Geschichte der deutschen Agrarverfassung vom frühen Mittelalter bis zum 19.<br />

Jahrhundert. Stuttgart 2 1967.<br />

MARTEN, Horst-Rüdiger, Die Entwicklung der Kulturlandschaft im alten Amt Aerzen des<br />

Landkreises Hameln-Pyrmont unter besonderer Berücksichtigung der Siedlungen und der<br />

Bevölkerung. (Horst-Rüdiger Marten 1) Göttingen 1965.<br />

MASSBERG, Karl, Die Dörfer der Vogtei Groß Denkte, ihre Flurverfassung und Dorfanlage. (Studien<br />

und Vorarbeiten zum historischen Atlas Niedersachsens 12) Göttingen 1930.<br />

MAUERSBERG, Hans, Beiträge zur Bevölkerungs- und Sozialgeschichte Niedersachsens. (Studien zur<br />

Volkskörperforschung Niedersachsens 1) Hannover 1938.<br />

MAURER, Gudrun, Zum Getreideabsatz südniedersächsischer Amtsgüter an Hafenplätze an der Weser<br />

und an den fürstlichen Harzbergbau im 17. und 18. Jahrhundert. in: Niedersächsisches Jahrbuch für<br />

Landesgeschichte, 67 (1995), 237-268.<br />

MAURER, Michael, O Britannien, von d<strong>eine</strong>r Freiheit <strong>eine</strong>n Hut voll: deutsche Reiseberichte des 18.<br />

Jahrhunderts. (Bibliothek des 18. Jahrhunderts München [u.a.] 1992.<br />

MEIBEYER, Wolfgang, Die Verbreitung und das Problem der Entstehung von Rundlingen und<br />

Sackgassendörfern im östlichen Niedersachsen. 1964.<br />

MENDELS, Franklin, Proto-Industrialization: The First Phase of the Industrialization Process. in:<br />

Journal of Economic History, 32 (1972), 241-261.<br />

MEYER, Gerhard, Die Verkoppelung im Herzogtum Lauenburg unter hannoverscher Herrschaft: <strong>eine</strong><br />

Abhandlung zur Agrar- und Landesgeschichte. (Quellen und Darstellungen zur Geschichte<br />

Niedersachsens 66) Hildesheim 1965.<br />

MIDDENDORF, Der Verfall und die Aufteilung der gem<strong>eine</strong>n Marken im Fürstentum Osnabrück bis zur<br />

napoleonischen Zeit. in: Osnabrücker Mitteilungen, (1927), 1-157.<br />

MILITZER, Stefan, Klima - Klimageschichte - Geschichte. Status und Perspektiven von<br />

Klimageschichte und Historischer Klimaentwicklungsforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und<br />

Unterricht, 47 (1996), 71-88.<br />

MINGAY, Gordon E., The Victorian countryside. 2 Vols. London 2000.<br />

MITTELHÄUSSER, Käthe, Ländliche und städtische Siedlungen, in: Hans PATZE, Hrg., Geschichte<br />

Niedersachsens. Bd. 1: Grundlagen und frühes Mittelalter. Hildesheim 1977, S. 259-437.<br />

MITTELHÄUSSER, Käthe, Zur Frage der Halbmeierhöfen in Niedersachsen. in: Neues Archiv für<br />

Niedersachsen, 4 (1950), 404-410.<br />

MÖLLER, Horst, Fürstenstaat oder Bürgernation: Deutschland 1763 - 1815. (Die Deutschen und ihre<br />

125


Nation 1Siedler Deutsche Geschichte) Berlin [West] 1989.<br />

MONTANARI, Massimo, Der Hunger und der Überfluss: Kulturgeschichte der Ernährung in Europa.<br />

(La fame e l'abbondanza dt. München 2. Auflage 1995.<br />

MOOSER, Josef, Ländliche Klassengesellschaft 1770 - 1848. Bauern und Unterschichten,<br />

Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft<br />

64) Göttingen 1984.<br />

MÜLLER, Hans-Heinrich, Domänen und Domänenpächter in Brandenburg-Preußen im 18.<br />

Jahrhundert, in: Otto BÜSCH, NEUGEBAUER, Wolfgang, Hrg., Moderne Preußische Geschichte 1648-<br />

1947. Eine Anthologie. Bd. 1. Berlin-New York 1981, S. 316-359.<br />

MÜLLER, Hans-Heinrich, Märkische Landwirtschaft vor den Agrarreformen von 1807:<br />

Entwicklungstendenzen des Ackerbaues in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.<br />

(Veröffentlichungen des Bezirksheimatmuseums Potsdam 13) Potsdam 1967.<br />

MÜNCHHAUSEN, P. A. F. von, Ueber Lehnherrn und Dienstmann. Leipzig 1793.<br />

MUSSMANN, Hermann, Geschichte des Dorfes Luthe: nebst Namen- u. Sachreg. Wunstorf [1969].<br />

NEESON, J.M., Commoners: common right, enclosure and social change in England, 1700 - 1820.<br />

Cambridge [u.a.] 1996.<br />

NEUBER, Dirk, Energie- und Umweltgeschichte des Niedersächsischen Steinkohlenbergbaus. von der<br />

Frühen Neuzeit bis zum Ersten Weltkrieg. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für<br />

Niedersachsen und Bremen 206) Hannover 2002.<br />

NOLTE, Hans-Heinrich, Die <strong>eine</strong> Welt: Abriß der Geschichte des internationalen Systems. Hannover<br />

1982.<br />

OBERSCHELP, Reinhard, Beiträge zur niedersächischen Preisgeschichte des 16. bis 19. Jahrhunderts.<br />

(Veröffentlichungen der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover 6) Hildesheim 1986.<br />

OBERSCHELP, Reinhard, Niedersachsen 1760 - 1820 : Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur im Land<br />

Hannover und Nachbargebieten. (Reinhard Oberschelp, Veröffentlichungen der Historischen<br />

Kommission für Niedersachsen und Bremen, 35, Quellen und Untersuchungen zur allgem<strong>eine</strong>n<br />

Geschichte Niedersachsens in der Neuzeit 2) Hildesheim 1982.<br />

OBERSCHELP, Reinhard, Niedersächsische Texte 1760-1820. (Veröffentlichungen der<br />

Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover) Hildesheim 1985.<br />

OBERSCHELP, Reinhard, Politische Geschichte Niedersachsens [1]: 1714-1803. (Veröffentlichungen<br />

der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover [1]) Hildesheim 1983.<br />

OEHR, Gustav, Ländliche Verhältnisse im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im 16.<br />

Jahrhundert. Berlin 1903.<br />

OPPERMANN, Heinrich Albert, Sammlung sämmtlicher im Fürstenthum Calenberg, Grubenhagen,<br />

Göttingen, Lüneburg und in den Grafschaften Hoya und Diepholz in Beziehung auf des Meierrecht<br />

erlassenen Gesetze, Verordnungen, Ausschreiben und Resolutionen von der ältesten bis auf die<br />

neueste. Nienburg 2. stark verm. Aufl 1861.<br />

OTTENJANN, Helmut, Die Artländer Wehlburg: ein Beitrag zur Siedlungsarchäologie und Volkskunde<br />

126


des Osnabrücker Nordlandes. Cloppenburg 1975.<br />

OTTENJANN, Helmut, Erforschung und Dokumentation der historischen Volkskultur Niedersachsens.<br />

Hannover 1987.<br />

OTTENJANN, Helmut, Lebensbilder aus dem ländlichen Biedermeier: Sonntagskleidung auf dem<br />

Lande. (Historische Alltagskultur in Niedersachsen Cloppenburg Sonderausg 1984.<br />

PANNE, Kathrin, Hrg., Albrecht Daniel Thaer - Der Mann gehört der Welt, . Celle 2002.<br />

PETERS, Jan, Barbara KRUG-RICHTER, Konflikt und Kontrolle in Gutsherrschaftsgesellschaften: über<br />

Resistenz- und Herrschaftsverhalten in ländlichen Sozialgebilden der Frühen Neuzeit.<br />

(Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte Göttingen 1995.<br />

PETERS, Jan, Hrg., Gutsherrschaft als soziales Modell, Bd. ISSN 0085-2341, Bd. 21), 1999.<br />

PFISTER, Christian, Im Strom der Modernisierung: Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt im Kanton<br />

Bern 1700 - 1914. Bern [u.a.] 1995.<br />

PIERENKEMPER, Toni, Landwirtschaft und industrielle Entwicklung. zur ökonom. Bedeutung von<br />

Bauernbefreiung, Agrarreform u. Agrarrevolution. Stuttgart 1989.<br />

PRANGE, Wolfgang, Die Anfänge der großen Agrarreformen in Schleswig-Holstein bis um 1771.<br />

(Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 60) Neumünster 1971.<br />

PRASS, Rainer, Reformprogramm und bäuerliche Interessen. Die Auflösung der traditionellen<br />

Gemeindeökonomie im südlichen Niedersachsen, 1750-1883. (Veröffentlichungen des Max-Planck-<br />

Instituts für Geschichte 132) Göttingen 1997a.<br />

PRASS, R<strong>eine</strong>r, Reformprogramm und bäuerliche Interessen. die Auflösung der traditionellen<br />

Gemeindeökonomie im südlichen Niedersachsen, 1750 - 1883. (Veröffentlichungen des Max-<br />

Planck-Instituts für Geschichte 132) Göttingen 1997b.<br />

PRESS, Volker, Kriege und Krisen: Deutschland 1600-1715. (Neue deutsche Geschichte 5) Frankfurt<br />

am Main [u.a.] 1991.<br />

Proto-Industrialisierung. (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1998,2) Berlin 1998.<br />

PRÖVE, Heinrich, Dorf und Gut im alten Herzogtum Lüneburg. Göttingen 1929.<br />

RASMUSSEN, Eric, Games and Information - An Introduction to Game Theory. Oxford 1989.<br />

REINDERS, Christoph, Grundherren, Bauern und Heuerlinge. Aspekte von Herrschaftsverhältnissen im<br />

Niederstift Münster im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. in: Oldenburger Jahrbuch, 90<br />

(1990), 65-81.<br />

REINDERS-DÜSELDER, Christoph, Ländliche Bevölkerung vor der Industrialisierung. Geburt, Heirat<br />

und Tod in Steinfeld, Damme und Neuenkirchen, 1650 bis 1850. (Materialien und Studien zur<br />

Alltagsgeschichte und Volkskultur Niedersachsens 25) Cloppenburg 1995.<br />

REINHARD, Wolfgang, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte<br />

Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1999.<br />

REINHARD, Wolfgang, Kriegsstaat - Steuerstaat - Machtstaat, in: Ronald G. ASCH, DUCHHARDT, Heinz,<br />

Hrg., Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und<br />

Mitteleuropa (ca. 1550-1700). Wien 1996, S. 277-310.<br />

127


RICHARZ, Irmintraut, Herrschaftliche Haushalte in vorindustrieller Zeit im Weserraum. (Beiträge zur<br />

Ökonomie von Haushalt und Verbrauch 6) Berlin 1971.<br />

RICHTER, Gregor, Lagerbücher oder Urbarlehre: hilfswiss. Grundzüge nach württemberg. Quellen.<br />

(Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 36) Stuttgart 1979.<br />

RIESENER, Dirk, Das Amt Fallersleben. Regionalverwaltung des fürstlichen Staates vom 16. bis zum<br />

19. Jahrhundert. (Texte zur Geschichte Wolfsburgs 22) Braunschweig 1991.<br />

RISTO, Ulrich, Abgaben und Dienste bäuerlicher Betriebe in drei niedersächsischen Vogteien im 18.<br />

Jahrhundert. 1964.<br />

RÖMER, Christof, Das Zeitalter des Hochabsolutismus (1635-1735), in: Horst-Rüdiger JARCK,<br />

SCHILDT, Gerhard, Hrg., Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick <strong>eine</strong>r<br />

Region. Braunschweig 2. Auflage, 2000, S. 535-574.<br />

RÖMER, Christof, Niedersachsen im 18. Jahrhundert (1714-1803), in: Christina VAN DEN HEUVEL, VON<br />

BOETTICHER, Manfred, Hrg., Geschichte Niedersachsens. Bd. 3,1. Politik, Wirtschaft und<br />

Gesellschaft von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Hannover 1998, S. 221-<br />

346.<br />

RÖPKE, Wilhelm, Beiträge zur Siedlungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der bäuerlichen<br />

Bevölkerung in der ehemaligen Grafschaft Hoya. in: Niedersächsisches Jahrbuch für<br />

Landesgeschichte, 1 (1924), 1-96.<br />

RÖSENER, Werner, Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter.<br />

(Enzyklopädie deutscher Geschichte 13) München 1992.<br />

RÖSENER, Werner, Bauern im Mittelalter. München 1985.<br />

RÖSENER, Werner, Die Bauern in der europäischen Geschichte. (Europa bauen) München 1993.<br />

ROTHE, Hans Werner, Zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft im Schaumburger. (Schaumburger<br />

Studien 56) Melle 1998.<br />

RUND, Jürgen, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Gifhorn. (Veröffentlichungen der<br />

Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 5) Hannover 1996.<br />

SAALFELD, Diedrich, Wilhelm ABEL, Bauernwirtschaft und Gutsbetrieb in der vorindustriellen Zeit.<br />

(Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 6) Stuttgart 1960.<br />

SCHAER, Friedrich-Wilhelm, Albrecht ECKHARDT, Herzogtum und Großherzogtum Oldenburg im<br />

Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (1773-1847), in: Albrecht ECKHARDT, SCHMIDT, Heinrich,<br />

Hrg., Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch. Oldenburg 4. Auflage, 1993, S. 271-332.<br />

SCHAER, Friedrich-Wilhelm, Die ländlichen Unterschichten zwischen Weser und Ems vor der<br />

Industrialisierung - ein Forschungsproblem. in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte,<br />

50 (1978), 45-69.<br />

SCHEEL, Heinrich, Doris SCHMIDT, Das Reformministerium Stein: Akten zur Verfassungs- und<br />

Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08 Bd. 2. (Reihe 1, Allgem<strong>eine</strong> und deutsche<br />

Geschichte 31,B) Berlin 1967.<br />

SCHEEL, Heinrich, Süddeutsche Jakobiner: Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im<br />

128


deutschen Süden Ende des 18. Jahrhunderts. (Schriften des Zentralinstituts für Geschichte 13)<br />

Berlin 3 1980.<br />

SCHEUERMANN, Ulrich, Flurnamenforschung. Baust<strong>eine</strong> zur Heimat- und Regionalgeschichte.<br />

(Schriften zur Heimatpflege 9) Melle 1995.<br />

SCHLÖGL, Rudolf, Kommentar zu Clemens Zimmermann, Entwicklungshemmnisse im bäuerlichen<br />

Milieu, in: Toni PIERENKEMPER, Hrg., Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft. Stuttgart 1989, S.<br />

113-119.<br />

SCHLUMBOHM, Jürgen, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des<br />

frühneuzeitlichen Staates? in: Geschichte und Gesellschaft, 23 (1997), 647-663.<br />

SCHLUMBOHM, Jürgen, Lebensläufe, Familien, Höfe. Die Bauern und Heuerleute des Osnabrückischen<br />

Kirchspiels Belm in proto-industrieller Zeit, 1650-1850. (Veröffentlichungen des Max-Planck-<br />

Instituts für Geschichte 110) Göttingen 1994.<br />

SCHMIDT, Georg, Der Dreißigjährige Krieg. (Beck'sche Reihe 2005) München Orig.-Ausg 2002.<br />

SCHNATH, Georg, Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession<br />

1674 - 1714. Im Anschluß an Adolf Köchers unvollendete Geschichte von Hannover und<br />

Braunschweig 1684 - 1714. Hildesheim 1938.<br />

SCHNEIDER, Karl H., Äußerungswesen und bäuerliche Wirtschaft in Schaumburg-Lippe 1770-1800.<br />

in: Schaumburg-Lippische Mitteilungen, 25 (1982), 55-83.<br />

SCHNEIDER, Karl H., Die Wiedenbrügger Halbmeierhöfe der v. Münchhausen im 17. und 18.<br />

Jahrhundert. in: Schaumburg-Lippische Heimatblätter, 40 (1989), 84-86.<br />

SCHNEIDER, Karl H., Frühe Agrarreformen im Raum Hannover im 18. Jahrhundert. in: Jahresheft der<br />

Albrecht-Thaer-Gesellschaft, 27 (1995a), 67-82.<br />

SCHNEIDER, Karl H., Hans Heinrich SEEDORF, Bauernbefreiung und Agrarreformen in Niedersachsen.<br />

(4 Hildesheim 1989.<br />

SCHNEIDER, Karl H., Schaumburg in der Industrialisierung. Teil 1. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

bis zur Reichsgründung. (Schaumburger Studien Melle 1994.<br />

SCHNEIDER, Karl H., Schaumburg in der Industrialisierung. Teil 2. Von der Reichsgründung bis zum<br />

Ersten Weltkrieg. (Schaumburger Studien Melle 1995b.<br />

SCHNEIDER, Karl H., Siedlung und Sozialstruktur - Erläuterungen zur Geschichte von Wehrbleck, in:<br />

Heinar HENCKEL, U.A., Hrg., Kirchdorf. Eine interdisziplinäre Untersuchung ländlicher Lebenswelt<br />

am Beispiel <strong>eine</strong>r niedersächsischen Gemeinde. Hannover 1991, S. 21-36.<br />

SCHNEIDER, Karl Heinz, Die Arbeit mit Fachliteratur. Baust<strong>eine</strong> zur Heimat- und Regionalgeschichte.<br />

(Schriften zur Heimatpflege 1) Hannover 1987.<br />

SCHNEIDER, Karl Heinz, Die landwirtschaftlichen Verhältnisse und die Agrarreformen in<br />

Schaumburg-Lippe im 18. und 19. Jahrhundert. (Schaumburger Studien 44) Rinteln 1983.<br />

SCHNIER, Detlef, Sabine SCHULZ-GREVE U.A., Wanderarbeiter aus dem Eichsfeld. Zur Wirtschafts- und<br />

Sozialgeschichte des Ober- und Untereichsfeldes seit Mitte des 19. Jahrhunderts (Beiträge zur<br />

Geschichte der Stadt Duderstadt 1) 1990. Duderstadt 1990.<br />

129


SCHREINER, K., “Grundherrschaft”. Entstehung und Bedeutungswandel <strong>eine</strong>s<br />

geschichtswissenschaftlichen Ordnungsbegriffes, in: Hans PATZE, Hrg., Die Grundherrschaft im<br />

späten Mittelalter. Sigmaringen 1983, S. 11-74.<br />

SCHUBERT, Ernst, Steuer, Streit und Stände. Die Ausbildung ständischer Repräsentation in<br />

niedersächsischen Territorien des 16. Jahrhunderts, in: Niedersächsisches Jahrbuch für<br />

Landesgeschichte, 63 (1991), 1 - 58.<br />

SCHULZE, Winfried, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert: 1500 - 1618. (Edition Suhrkamp 1268<br />

= N.F., Bd. 268) Frankfurt am Main Erstausg 1987.<br />

SCHWERZ, Johann Nepomuk von, Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen. Münster-Hiltrup<br />

Faksimile circa 1980 = 1836.<br />

SEEDORF, Hans Heinrich, Die Veränderung des Siedlungs - und Flurbildes durch die<br />

Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen, in: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Hrg., Der<br />

Landkreis Verden. Amtliche Kreisbeschreibung. (Die Landkreise in Niedersachsen 20) Bremen-<br />

Horn 1962, S. 155-157.<br />

SEEDORF, Hans Heinrich, Historisch-landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen. Blatt<br />

Rotenburg/Wümme. (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der<br />

Universität Göttingen 2,11) Hildesheim 1989.<br />

SEEDORF, Hans-Heinrich, Hans-Heinrich MEYER, Landeskunde Niedersachsen. Natur- und<br />

Kulturgeschichte <strong>eine</strong>s Bundeslandes. Bd. II: Niedersachsen als Wirtschafts- und Kulturraum.<br />

Bevölkerung, Siedlungen, Wirtschaft, Verkehr und kulturelles Leben. Neumünster 1996.<br />

SERAPHIM, Hans Jürgen, Das Heuerlingswesen in Nordwestdeutschland. (Reihe 1, Wirtschafts- und<br />

verkehrswissenschaftliche Arbeiten Münster 1948.<br />

SOMMER, Ulrike, ''Bauernschutz'' im Territorialstaat des 16. Jahrhunderts - Das Beispiel<br />

Braunschweig - Wolfenbüttel. Mag. Bochum 1983.<br />

SPANGENBERG, Ernst Peter Johann, Sammlung der Verordnungen und Ausschreiben: welche für<br />

sämmtliche Provinzen des Hannoverschen Staats, jedoch was den Calenbergischen, Lüneburgischen<br />

und Bremen- und Verdenschen Theil betrifft, seit dem Schlusse der in denselben vorhandenen<br />

Gesetzsammlung. Hannover 1820.<br />

SPITTLER, L. T., Geschichte des Fürstenthums Hannover seit den Zeiten der Reformation bis zu Ende<br />

des siebenzehnten Jahrhunderts Theil 1. Göttingen 1786.<br />

SPITTLER, Ludwig Timotheus von, Karl von WÄCHTER, Geschichte des Fürstenthums Calenberg, unter<br />

der Regierung des Lüneburgischen Hauses. (Ludwig Timotheus Freiherrn von Spittler's Sämmtliche<br />

Werke / hrsg. von Karl Wächter 7) Stuttgart ;Tübingen 1835.<br />

STOELTING, Gustav, Boerries Frhr von von MUENCHHAUSEN, Die Rittergüter der Fürstentümer<br />

Calenberg, Göttingen und Grubenhagen. Hannover 1912.<br />

STONE, Lawrence, The family, sex and marriage in England 1500-1800. (Penguin history London<br />

[u.a.] Abridged ed 1990.<br />

STÜVE, Johann Karl Bertram *1798-1872*, Wesen und Verfassung der Landgemeinden und des<br />

130


ländlichen Grundbesitzes in Niedersachsen und Westphalen: geschichtliche und statistische<br />

Untersuchungen mit unmittelbarer Beziehung auf das Königreich Hannover. Jena 1851.<br />

TACK, Johannes, Die Hollandsgänger in Hannover und Oldenburg: ein Beitrag zur Geschichte der<br />

Arbeiter-Wanderung. (Volkswirtschaftliche und wirtschaftsgeschichtliche Abhandlungen 2) Leipzig<br />

1902.<br />

TAUTSCHER, Anton, Staatswirtschaftslehre des Kameralismus. Bern 1947.<br />

THAER, Albrecht Daniel, Albert Thaer's Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Neue Ausg<br />

1880.<br />

THAER, Daniel Albrecht, Hrg., Annalen der niedersächsischen Landwirthschaft I, 1799.<br />

THIRSK, Joan, The rural economy of England: Coll. essays. (History series 25) London 1984.<br />

.<br />

TIETZE, Wolf [Bearb.], Erhard KÜHLHORN, Historisch-landeskundliche Exkursionskarte von<br />

Niedersachsen 6: Blatt Wolfsburg: Erläuterungsheft. (Veröffentlichungen des Instituts für<br />

Historische Landesforschung der Universität Göttingen 2) Hildesheim [u.a.] 1:50 000 1977.<br />

TROSSBACH, Werner, Bauern 1648 - 1806. (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 19) München 1993.<br />

TURNER, George, Das Calenberger Meierrecht: Geschichte und System. Diss. Göttingen 1960.<br />

ULBRICHT, Otto, Englische Landwirtschaft in Kurhannover in der zweiten Hälfte des 18.<br />

Jahrhunderts: Ansätze zu historischer Diffusionsforschung. (Schriften zur Wirtschafts- und<br />

Sozialgeschichte 32) Berlin 1980.<br />

VIERHAUS, Rudolf, Staaten und Stände: vom Westfälischen bis zum Hubertusburger Frieden 1648 bis<br />

1763. (Ullstein-Buch 33143) Frankfurt am Main [u.a.] 1990.<br />

VOGTHERR, Hans-Jürgen, Hrg., Christian Freiherr von Hammerstein und die Modernisierung der<br />

Landwirtschaft in der Lüneburger Heide im 19. Jahrhundert, (Uelzener Beiträge, Bd. 15), Uelzen<br />

2001.<br />

VOIGT, Otto, Die Entwicklung der heutigen Siedlungen, In: Der Landkreis Verden. Amtliche<br />

Kreisbeschreibung. Bremen-Horn 1962,.<br />

VÖLKSEN, Gerd, Landschaftsentwicklung der Lüneburger Heide, in: Niedersächsische Landeszentrale<br />

für politische Bildung, Hrg., Die Lüneburger Heide. (Landschaften Niedersachsens und ihre<br />

Probleme 3) Hannover 1984, S. 5-33.<br />

WALTER, Rolf, Wirtschaftsgeschichte: vom Merkantilismus bis zur Gegenwart. (Wirtschafts- und<br />

sozialhistorische Studien 4) Köln [u.a.] 1995.<br />

WASSERMANN, Ekkehard, Aufstrecksiedlungen in Ostfriesland: e. Beitr. zur Erforschung d.<br />

mittelalterl. Moorkolonisation. (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 61)<br />

Aurich 1985.<br />

WEHLER, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis<br />

zur defensiven Modernisierung der Reformära 1700 - 1815. (Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1)<br />

München 1987.<br />

WEIS, Eberhard, Der Durchbruch des Bürgertums. 1776-1847. (Propyläen-Geschichte Europas,<br />

131


Ullstein-Buch 4) Frankfurt am Main [u.a.] 1982.<br />

WINKLER, Klaus, Landwirtschaft und Agrarverfassung im Fürstentum Osnabrück nach dem<br />

Dreißigjährigen Kriege. <strong>eine</strong> wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung staatlicher Eingriffe in die<br />

Agrarwirtschaft. (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 5) Stuttgart 1959.<br />

WINNIGE, Norbert, Von der Kontribution zur Akzise, in: Bernhard R. KROENER, PRÖVE, Ralf, Hrg.,<br />

Krieg und Frieden: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Paderborn u.a. 1996, S. 59-83.<br />

WISWE, Mechthild, Veränderungen des Flurgefüges durch die Braunschweigische General-<br />

Landesvermessung. Dargestellt am Beispiel Salzgitter-Thiede. 1965.<br />

WITTICH, Werner, Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland. Leipzig 1896.<br />

WRASE, Siegfried, Die Anfänge der Verkoppelungen im Gebiet des ehemaligen Königreichs<br />

Hannover. (Veröff. des Institut für Hist. Landesforschung der Univ. Göttingen 5) 1973.<br />

WRASMANN, Adolf, Das Heuerlingswesen im Fürstbistum Osnabrück. in: Osnabrücker Mitteilungen,<br />

44 (1944),.<br />

WRASMANN, Adolf, Das Heuerlingswesen im Fürstentum Osnabrück. Teil II. in: Osnabrücker<br />

Mitteilungen, 44 (1921), 1-154.<br />

WUNDER, Heide, Die bäuerliche Gemeinde in Deutschland. (Kl<strong>eine</strong> Vandenhoeck-Reihe 1483)<br />

Göttingen 1986.<br />

ZIMMERMANN, Clemens, Entwicklungshemmnisse im bäuerlichen Milieu: die Indvidualisierung der<br />

Allmenden und Gemeinheiten um 1780, in: Toni PIERENKEMPER, Hrg., Landwirtschaft und industrielle<br />

Entwicklung. Stuttgart 1989, S. 99-112.<br />

ZIMMERMANN, Clemens, Grenzen des Veränderbaren im Absolutismus. Staat und Dorfgemeinde in<br />

der Markgrafschaft Baden, in: Günther BIRTSCH, Hrg., Reformabsolutismus im Vergleich.<br />

Staatswirklichkeit - Modernisierungsaspekte - Verfassungsstaatliche Positionen. (Aufklärung 9,1)<br />

Hamburg 1996, S. 25-45.<br />

ZIMMERMANN, Clemens, Reformen in der bäuerlichen Gesellschaft: Studien zum aufgeklärten<br />

Absolutismus in der Markgrafschaft Baden 1750 - 1790. (Studien zur Wirtschafts- und<br />

Sozialgeschichte 3) Ostfildern 1 1983.<br />

132

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!