sPositive_06_web
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
DIE GESCHICHTE DES STÖCKLI<br />
Sind sie ganz<br />
aus Stein, spricht<br />
man von «Herrenstöckli».<br />
im Seeland wurden im Emmental und im<br />
Oberaargau beim Erbgang die Höfe nicht<br />
«zerstückelt». Hier herrschte die geschlossene<br />
Vererbung vor. So konnte sich<br />
das Erbrecht durchsetzen, dass dem<br />
jüngsten Sohn der gesamte Hof zusteht.<br />
Seine Geschwister mussten gehen, anderorts<br />
Arbeit suchen oder blieben als ledige<br />
Knechte auf dem Hof.<br />
Dank diesem ganz besonderen Erbrecht<br />
hat es bereits in den 1600er Jahren<br />
im Oberaargau geschlossene Bauerngüter<br />
von 60 bis 80 Jucharten gegeben. Nur<br />
bei einem Hof mit einer gewissen Ausdehnung<br />
machte ein Stöckli Sinn. Das Stöckli<br />
konnte sich also nur in Gegenden mit<br />
einer geschlossenen Vererbung und stattlichen<br />
Bauerngütern einbürgern. Mit<br />
Ausnahme des Sensebezirkes ist deshalb<br />
das Stöckli ausserhalb des Bernbietes nirgends<br />
anzutreffen.<br />
AUSGEPRÄGTER FAMILIENSINN<br />
Es spielt wohl auch eine Rolle, dass den<br />
Bauern im Bernbiet, im Oberaargau, das<br />
Bewusstsein vom Wert der Familie und<br />
des bäuerlichen Standes traditionell stark<br />
war und im Grunde noch immer ist. Das<br />
Besondere dieses Bauerntums liegt in der<br />
Tiefe des bernischen Charakters und Gemütes.<br />
Bei Gotthelf lesen wir: «Ein alter<br />
herumziehender Schnapsbruder aus dem<br />
Luzernischen sagte, allemal wenn er in<br />
den Kanton Bern herüberkomme, so sei es<br />
ihm, als komme er in eine warme Stube».<br />
So hatte sich im Bernbiet und gerade<br />
im Oberaargau der «Hofgeist» entwickelt.<br />
Der Hof bleibt, die Menschen<br />
ZUSATZINFOS<br />
Bis 1960 keine Gerichtsfälle<br />
Wir können davon ausgehen,<br />
dass eine Hofübergabe<br />
mit dem<br />
Rückzug ins Stöckli in<br />
den alten Zeiten, noch<br />
bevor es die AHV gab<br />
– die kam ja erst nach<br />
mehreren Volksabstimmungen<br />
1948 – so vorbildlich<br />
über die Bühne<br />
gegangen ist, wie wir es<br />
in der Erzählung «Mys<br />
Dörfli» von Carl Albert<br />
Loosli (1877 bis 1959)<br />
nachlesen können. In<br />
den alten Zeiten hatte<br />
der Gemeindeschreiber<br />
noch die Autorität und<br />
Vollmacht, um eine Hofübergabe<br />
vorzunehmen.<br />
FAMILIENSACHE<br />
«Was, Du wotsch<br />
ds’Heimet abhäyche?<br />
Was Du nid seisch, Sepp!<br />
Isch dr de d’s Pure verleidet?»<br />
meinte der<br />
Gmeinschryber ganz<br />
verdutzt. «Säb nid, aber<br />
der Fritz chunt jietz so<br />
süferli us de Chauberjahre-n-use-un<br />
isch<br />
mannber, u do tüechts<br />
mi es syg Zyt das er<br />
Meister wird.» –<br />
«Z’letztscht am Änd<br />
hesch rächt», entgegente<br />
der Gmeinschryber ,<br />
«we’s anger Lüt ou eso<br />
mieche su gäbs auwäg<br />
a mängem Ort minger<br />
Verdruss…» meint der<br />
Gmeinschryber» …<br />
«Auso i übergibe-n-uf<br />
nächschti Liechtmäss<br />
em Fritz Huus mit Schiff<br />
u Gschir u Waar u Heimet<br />
z’eige. Es ghöre<br />
feufenachzg Jucherte<br />
Acher- u Mattland,<br />
dreiesächzg-un ä haubi<br />
Jucherte Waud, drei<br />
Jucherte-un-es Vierteli<br />
Ried, d’s Wohnhuus,<br />
beed Schüre un aui<br />
Ofehüsli u Schöpf derzue.<br />
D’s Stöckli hingägä<br />
u d’Husmatt wott i mer<br />
bis zu mym Abläbe vorebha.<br />
Derzue mues mer<br />
der Fritz d’s Wasserrächt<br />
am Husbrunne lah<br />
u de bhäbeni no d’s Bargäut<br />
für mi, bis i mues<br />
d’Bei strecke. D’s Muetterguet<br />
hingägä, es sy<br />
feufevierzg tuusig Franke,<br />
zahle-n-im uf Lichtmäss<br />
us».<br />
Ist diese Hofübergabe,<br />
die uns da der grosse<br />
Dichter erzählt, bloss<br />
Romantik? Nein, es war<br />
ein Teil der bäuerlichen<br />
Kultur, die Dinge so zu<br />
regeln. Ja, es brachte<br />
gar Schande, wenn man<br />
einen der nichtsnutzigen<br />
Advokaten zur Regelung<br />
eines Geschäftes beiziehen<br />
musste, das anständige<br />
Leute «öppä wys dr<br />
Bruuch isch» unter sich<br />
regelten. Es ist bemerkenswert,<br />
dass es kaum<br />
je zu gerichtlichen Auseinandersetzungen<br />
über<br />
den Umzug ins Stöckli<br />
und die Hofübergabe<br />
gekommen ist.<br />
DIE GUTE, ALTE ZEIT<br />
Professor Hermann Rennefahrt,<br />
der wohl beste<br />
Kenner der bernischen<br />
und oberaargauischen<br />
Rechtsgeschichte sagte<br />
1960, er habe gar nie<br />
einen Rechtsfall um ein<br />
Stöckli gefunden. Das<br />
war halt noch die gute<br />
alte Zeit. Heute werden<br />
Rechtshändel um ein<br />
Stöckli wohl höchstens<br />
mit den Bauvögten der<br />
Gemeinde und des Kantons<br />
ausgefochten, wenn<br />
es ums Umbauen geht.<br />
26 s’Positive 6 / 2018