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kurz mit seiner rechten Hand über den kahlen Schädel und<br />

fingert schließlich noch eine Weile im grauen Vollbart herum,<br />

bevor er weiterspricht. ›Man muss es so klar sagen: Es gibt<br />

keine unabhängigen Medien in Deutschland.‹<br />

Das klingt nach hartem Tobak, doch auf Nachfrage<br />

verweist der Medientheoretiker auf diverse Fachaufsätze<br />

seriöser Autoren, legt glaubwürdige Statistiken vor und<br />

veranschaulicht seine These anhand einiger Beispiele. Eines<br />

dieser Beispiele ist eine Reportage aus der taz, in der äußerst<br />

drastisch die Geschichte eines 27-jährigen Politikstudenten<br />

geschildert wird, der im Anschluss an den Hamburger<br />

G-20-Gipfel angeblich Opfer von willkürlicher Polizeigewalt<br />

gewesen sein soll. ›Das Problem ist‹, sagt von Godesdorf,<br />

›trotz intensiver Recherche sind alle meine Versuche, diesen<br />

Menschen ausfindig zu machen und selbst zu befragen,<br />

gescheitert – und zwar aus einem einzigen Grund: Dieser<br />

27-jährige Politikstudent existiert überhaupt nicht.‹<br />

Das klingt nun sehr arg nach Verschwörungstheorie,<br />

warum sollte die taz eine Fake-Reportage schreiben? ›Ganz<br />

einfach: Es geht um politische Interessen‹, sagt der Professor<br />

und verweist auf ein weiteres Beispiel: eine Sendung der<br />

Tagesschau vom 23. Februar 2018 – ein Beitrag über ein<br />

Attentat der Hamas auf eine jüdische Siedlung im Westjordanland.<br />

›Sehen Sie das?‹, von Godesdorf stoppt das Video,<br />

deutet auf ein paar Bäume im Hintergrund. ›Diese Bäume<br />

haben mich stutzig gemacht, eigentlich dürften sie im Februar<br />

noch nicht blühen. Deshalb haben wir dieses Video analysiert<br />

und festgestellt, dass es aus dem Sommer 2015 stammt.‹<br />

Doch wieso verwendet die Tagesschau fast drei Jahre altes<br />

Videomaterial in einem Bericht über ein aktuelles Attentat?<br />

Für von Godesdorf ist die Sache wieder ganz einfach – es<br />

gebe kein Videomaterial zu dem Attentat. Und warum nicht?<br />

›Weil es an diesem Tag kein Attentat gegeben hat. Aber es gab<br />

an diesem 23. Februar israelische Angriffe aufs Westjordanland,<br />

und um diese als Reaktion bezeichnen zu können,<br />

braucht es ein palästinensisches Attentat, das den israelischen<br />

Angriffen vorausgegangen sein soll.‹<br />

Wäre es nicht denkbar, dass in dem Beitrag versehentlich<br />

falsches Videomaterial verwendet worden ist? Sicher, sagt von<br />

Godesdorf, möglich wäre das, aber es sei doch Aufgabe der<br />

Tagesschau ihr Bildmaterial und die dazugehörigen Quellen zu<br />

prüfen oder zumindest im Nachhinein sich selbst zu berichtigen,<br />

wenn sich das Ganze als Fehler herausgestellt hätte.<br />

›Doch nichts dergleichen ist passiert. Und warum nicht? Weil<br />

der Beitrag ganz gezielt mit diesen Bildern ausgestattet<br />

wurde, und zwar im Interesse Israels.‹<br />

Je weiter das Interview mit dem erfahrenen Medientheoretiker<br />

voranschreitet, desto unheimlicher wird das Ganze;<br />

denn als würden die zwei genannten Beispiele nicht bereits<br />

genügen, um das Vertrauen in die deutsche Medienlandschaft<br />

nachhaltig zu erschüttern, liefert von Godesdorf innerhalb von<br />

zwanzig Minuten noch ein knappes Dutzend weiterer Beispiele<br />

– aus Nachrichtensendungen wie dem Heute-Journal,<br />

überregionalen Tageszeitungen wie der Süddeutschen und<br />

dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. Der Großteil seiner<br />

Erklärungen wirkt überzeugend, auch die Quellen scheinen<br />

seriös zu sein und die Aufsätze des 1961 in Bad Kleinen<br />

geborenen Professors lassen in ihrer Argumentation nichts zu<br />

wünschen übrig. Befragt man andere Medienexperten nach<br />

von Godesdorf und konfrontiert sie mit dessen Aussagen,<br />

dann nicken die meisten und bestätigen, dass dessen Thesen<br />

zu 90 Prozent stichhaltig und nicht zu widerlegen seien.<br />

Aber wenn dem tatsächlich so ist, wo bleibt dann der<br />

Aufschrei? ›Nun ja, das ist so‹, sagt ein anderer bekannter<br />

47 Falschmeldungen! Das<br />

müssen Sie sich einmal<br />

vorstellen. Und<br />

Sie glauben ja wohl<br />

nicht, dass das Zufall ist.<br />

Professor, der wie alle anderen Interviewten nicht namentlich genannt<br />

werden will, ›letztlich will niemand seinen Ruf oder seine Stelle<br />

gefährden.‹ Es sei eigentlich schon ein Wunder, dass von Godesdorf<br />

noch seine Professur innehabe. Allerdings werde schon fleißig an dem<br />

Ast gesägt, auf dem er sitze.<br />

Von Godesdorf bestätigt diese Behauptung. Die staatlichen<br />

Zuschüsse für die Hochschule Bad Meinershagen seien in diesem Jahr<br />

drastisch gekürzt worden und sollen im nächsten Jahr angeblich noch<br />

weiter zusammengestrichen werden, vor allem in seinem Fachbereich,<br />

dem dadurch die Schließung drohe.<br />

›Aber wissen Sie was‹, sagt von Godesdorf, ›ich lasse mich nicht<br />

unterkriegen oder gar mundtot machen.‹ Auch hier setzt er wieder<br />

gezielt eine Pause, lässt sich erneut in den Sessel zurücksinken, der<br />

schon seinem Urgroßvater gehört habe, lächelt sein süffisantes<br />

Lächeln und löst sich auf.<br />

Löst sich auf? Ja, Sie haben richtig gelesen. Aber wie, werden Sie<br />

sich nun vermutlich fragen, kann sich ein 57-jähriger Professor für<br />

Angewandte Medientheorien auflösen. Ganz einfach: Weil er nie<br />

existiert hat! Von Godesdorf ist eine Erfindung des Autors, der sich an<br />

dieser Stelle für den äußerst geringen Wahrheitsgehalt dieses Artikels<br />

entschuldigt. Alles, was in diesem Artikel steht, ist reine Erfindung.<br />

Überrascht Sie das oder denken Sie jetzt, dass Ihnen dieser von<br />

Godesdorf von Anfang an suspekt und der komplette Artikel arg<br />

spanisch vorkam? Haben Sie während des Artikels mal im Internet<br />

nach dem Mann gesucht oder nach einer Hochschule für Kunst und<br />

Medien Bad Meinershagen? Oder hätten Sie zumindest im Anschluss<br />

nach der Lektüre dieses Artikels die angeblichen Fakten recherchiert,<br />

sich den erwähnten Beitrag der Tagesschau noch einmal angeschaut<br />

oder versucht, die taz-Reportage im Netz zu finden? Hätten Sie?<br />

Wirklich? Sind Sie sich ganz sicher? Oder hätte es auch sein können,<br />

dass Sie alles geglaubt und den Artikel vielleicht gar (mit einem<br />

empörten Kommentar versehen) bei Facebook geteilt hätten?<br />

Professor Maximilian von Godesdorf blickt jedenfalls sehr skeptisch in<br />

die Zukunft: ›In Zeiten, in denen es ein Leichtes ist, Verschwörungstheorien<br />

und Fake-News unter die Leute zu bringen, bedarf es<br />

eigentlich eines äußerst kritischen Lesers, der jederzeit bereit und in<br />

der Lage ist, die Fakten und Quellen zu prüfen. Doch in einer unter<br />

Dauerstress stehenden Empörungsgesellschaft, die mit Informationen<br />

überflutet wird, fehlt den meisten der Überblick und die Ruhe, um den<br />

Dingen auf den Grund zu gehen. Für Leute wie mich ist das natürlich<br />

ein gefundenes Fressen.‹<br />

Jens Laloire ist Bremer Autor,<br />

Kulturjournalist und Moderator sowie Betreiber<br />

des Blogs ›Die Tanztendenz des Geistes‹.

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