Irgendwo <strong>im</strong> <strong>Wald</strong> des Nachts, wo kein menschliches Auge je gewesen. Irgendwo <strong>im</strong> <strong>Wald</strong> des Nachts, zur Stunde der Ewigkeit, wo Traum die Wirklichkeit wird. Irgendwo in diesem <strong>Wald</strong> lebte ...
Es war bereits dunkel und finster, als wir das Zuhause vom <strong>kleine</strong>n Licht erreichten. Obwohl, bei genauerem Betrachten, Zuhause konnte das hier niemand nennen. Es war kein Haus, in dem das <strong>kleine</strong> Licht lebte, es war kein nasses Loch, mitnichten der Tümpel. Es kam einem Moor bedeutend nahe und war dennoch ganz anders. Eine Halle der ewigen Lichter mitten <strong>im</strong> <strong>Wald</strong> aus Bäumen erschaffen. Unzählige Wanderer kamen hier vorbei und mitten hindurch. Für blinde Augen, die nicht sahen, taube Ohren, die nicht hörten und schweigsame St<strong>im</strong>men, die nicht sprechen konnten, blieb dieser Ort für alle Zeit hinter dem Schleier der Wirklichkeit verschlossen. Dem <strong>kleine</strong>n Licht begegnete niemand, der blind, taub und stumm war. Dem <strong>kleine</strong>n Licht begegnete nur - ein Tourist. Irgendwo nah dem lodernden Höllengartenzaun reihte sich ein junges, weibliches Licht ein. „Verdammt, was mache ich hier?“ Aufmerksam guckte sie sich um, vor ihr staute sich eine heftig blinkende Lichterkette. „Äh, auf was warten wir?“, fragte sie den nervös Flackernden vor sich, ignorant drehte er sich weg und tat so, als hätte er sie weder gesehen noch gehört. „Oh, sind wir uns zu fein, was!“, grummelte sie und schwang ihre züngelnden Strahlen in einer fließenden Bewegung nach hinten. Dabei fiel ein gelber Zettel zu Boden. „Was war das?“ Neugierig segelte sie dem Papier nach. „Wieso bin ich überhaupt hier? Vor wenigen Sekunden versumpfte ich gemütlich über meinen Lieblingstümpel, inhalierte ... und jetzt?“ Vorsichtig nahm sie den Zettel und entzifferte die krakelige Schrift: Du bist das <strong>kleine</strong> Licht und ein Tour-Guide der Firma Silva Light Kooperation. Der besten und größten Firma jenseits der petzenden Eiche. Vermutlich treibst du dich wieder rum. Also beeile dich und schwirr ab zur Arbeit auf Ast zehn. Deine Tante Sunja. Angestrengt dachte sie nach. Wer ist diese Tante Sunja und wieso steckt sie mir Zettel zwischen die Strahlen? Eine Unendlichkeit schien zu vergehen, die Zikaden st<strong>im</strong>mten bereits ein neues Lied an, da rief sie aus: „Tante Sunja! Ach, ich muss zur Arbeit!“ Grübelnd blickte sie zur Baumkrone, die sich gemütlich über ihr <strong>im</strong> lauen Lüftchen wog. Die Sterne waren durch das undurchdringliche Blätterwerk kaum zu erkennen. Zischend sog sie die Luft ein, sodass sie kurz aufloderte, was macht ein Tour-Guide? Qualvolle Schreie, eine riesige Sense und ein diabolisches Lachen stahlen sich verzerrt in ihre Erinnerung. Blut spritzte ihr entgegen. Entsetzt wich sie aus. Was war denn das? Angewidert schüttelte sie sich, dabei fiel ihr einer ihrer hellen Strahlen vor die Augen. In schwarzen Großbuchstaben stand darauf „DU MUSST ZUR ARBEIT!“. „Arbeit? Wer von euch Schmierfinken kritzelt auf mir rum?“, fauchte sie zuckend, doch die bunten Blinker vor ihr schaukelten unbeeindruckt und stumm vor sich her. „Wieso haltet ihr euch überhaupt an den Händen?“, blaffte sie den Gl<strong>im</strong>menden vor sich an. Schlagartig gingen alle Lichter aus und sie stand <strong>im</strong> Dunkeln da. Fassungslos rutschten ihr ein paar Flammentropfen aus dem Gesicht. „Was zum ...“ Eine ältere Frau mit einem mächtigen Marmornudelholz in den Händen kam aus dem Gartenhäuschen gestapft. „Wieso Lilith? Wieso?“, murmelte sie. Mit trippelnden Schritten verschwand sie kopfschüttelnd um die Ecke. <strong>Das</strong> <strong>kleine</strong> Licht stierte ihr bleich nach. „Verdammt, wo bin ich hier gelandet?“ Wie vom Blitz getroffen schoss sie in den <strong>Wald</strong>. Abrupt musste sie abbremsen, vor ihr trieben unzählige zuckende Flammen planlos hin und her. Zaghaft berührte sie das eine neben sich, sofort motzte es: „Hey! Anfassen ist nicht.“ „T’schuldigung“, stammelte sie kleinlaut. Ein rhythmisches Blinken raste an ihr vorbei, dann kam das Nächste. Vorsichtig schwebte sie hoch, um einen Blick zu riskieren. An einer alten Buche glomm schwach ein pfirsichfarbenes Funkeln. „Ist das mein Nachbar?“, fragte sie sich bestürzt. Gedankenverloren schwang sie einigen hektisch Zuckenden hinterher oder wurde sie von ihnen verfolgt? Nach unzähligen Baumausfahrten, diversen Büschen und fl<strong>im</strong>mernden Wutausbrüchen war sie mit den Nerven völlig am Ende und ließ sich auf einen altersschwachen Ast nieder. „Willkommen bei Silva Light, Haupteingang. We light you up!“ Augenblicklich blinkten die Buchstaben auf und tanzten wirbelnd um das <strong>kleine</strong> Licht herum. Empört versuchte sie, die taktlosen Lettern wie lästige Mücken zu verscheuchen: „Husch, macht, dass ihr wegkommt.“ Innerhalb weniger Sekunden war die Vorführung beendet. Tuschelnd pendelten die Buchstaben elegant gegen den Uhrzeigersinn auf ihre Plätze zurück. Die kommen mir bekannt vor? Aber woher? „Sagt mal ihr Hupfdohlen, verfolgt ihr mich?“ „Wer wir? Nein, wie kommst du darauf?“ Misstrauisch behielt sie die Schriftzeichen <strong>im</strong> Blick und glitt rückwärts ins Astloch, welches direkt hinter ihr war. Sie musste