NEUMANN September 2018
Das Magazin für Kultur & Lifestyle
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LESUNGEN<br />
Slam-Poetin Julia Engelmann feiert die Macht der (einfachen) Worte<br />
Du bist, was du denkst<br />
Nach meiner Zeit bei der Fernsehserie „Alles was<br />
zählt“ [Engelmann spielte für fast 80 Folgen eine<br />
Eishockeyspielerin – d. Verf.] sehnte ich mich nach<br />
einem normaleren, gleichaltrigen Umfeld ohne diesen<br />
ganzen Show-Aspekt. Meine Mutter ist Psychologin,<br />
das Thema interessiert mich schon immer.<br />
Sie hat ihr Studium erst mit 38 Jahren begonnen,<br />
also habe ich es hautnah mitbekommen. Mich interessierte<br />
schon immer, warum ich so und andere<br />
Menschen so sind. Was soll ich sagen, da war dieses<br />
Studium einfach naheliegend.<br />
Dennoch haben Sie es abgebrochen, um sich auf<br />
ihre Karriere zu konzentrieren, die ja wieder unter<br />
dem Show-Aspekt läuft...<br />
Ja, aber das geschah schrittweise und wohlüberlegt.<br />
Anfangs habe ich nur mal eine Klausur nachgeschrieben<br />
oder ein Urlaubssemester eingelegt.<br />
Damals hat sich das alles keinesfalls nach großer<br />
Karriere angefühlt, da wollte ich nicht einfach alles<br />
hinschmeißen. Aber vielleicht mache ich es ja eines<br />
Tages fertig.<br />
Deutschlands bekannteste Slam-Poetin wird man nicht irgendwie. Man muss zur<br />
richtigen Zeit mit den richtigen Worten am richtigen Ort sein. Julia Engelmann war<br />
es. Und ist seither nicht aus der Öffentlichkeit verschwunden.<br />
Sind Sie glücklich, Frau Engelmann?<br />
Ja. Rundum und wunschlos. Ich bin so dankbar für<br />
alles, ich fände es echt schade, wenn ich morgen<br />
vor einen Bus laufen würde.<br />
Wenn Sie auf Tournee sind, ist das nicht immer<br />
einfach. Wo setzen Sie ganz bewusst Ruhepausen?<br />
Die setze ich immer wieder. „Musik braucht auch<br />
Pausen“, sagt meine Mutter in letzter Zeit immer.<br />
Ich versuche, morgens und abends offline zu sein,<br />
pflege Freundschaften und nehme mir bewusst Zeit<br />
für mich.<br />
Offline sein, gelingt das einer 26-Jährigen?<br />
Immer und immer besser. (lächelt)<br />
Seit vielen Jahren beschäftigen Sie sich in ihren<br />
Texten mit der Frage, wie wir unser Leben leben<br />
sollen und ob wir unsere Möglichkeiten auch<br />
nur annähernd ausschöpfen. Hat dieser „carpe<br />
diem“-Gedanke Sie verändert?<br />
Ja, aber es war ein langwieriger Prozess. Das macht<br />
meine Liebe zum Wort allerdings nur noch größer,<br />
denn es stimmt eben doch: Du bist, was du denkst.<br />
Deine Worte können dich verändern.<br />
Viele Menschen kritisieren Ihre Texte dennoch<br />
für ihre Plattitüdenhaftigkeit. Wie gehen Sie mit<br />
dieser Kritik um?<br />
Ich habe demnächst meinen zehnten Poetry-Slam-Geburtstag<br />
und weiß mittlerweile, wie<br />
ich das alles einzuordnen habe. Kritik an sich ist gut<br />
und wichtig, es ist toll, dass es einen Diskurs gibt.<br />
Meinungen können gut koexistieren – zumindest<br />
solange sie bei der Wahrheit bleiben.<br />
Sie haben vor einigen Jahren ein Psychologiestudium<br />
begonnen. Was war ausschlaggebend dafür?<br />
Bis es soweit ist, werden Sie sich aber wohl mit<br />
Worten und ihrer Wirkung auseinandersetzen,<br />
mehr und mehr auch auf den großen Bühnen.<br />
Sie wirken heute sehr sicher bei Ihren Auftritten.<br />
War das schon immer so?<br />
In der Schule war ich sehr still. Aber bühnenaffin<br />
war ich wohl schon immer. Mein Motor ist und<br />
bleibt aber meine Liebe zum Wort. Ich habe immer<br />
noch super viele Fragen an die Welt und weiterhin<br />
große Lust, über sie nachzudenken. Und dass sich<br />
viele Menschen in meinen Worten wiederfinden,<br />
macht es für mich erst sinnvoll.<br />
Was erwartet uns bei Ihrer Show in Stuttgart?<br />
Obwohl ich noch nie auf einer Weinprobe war, stelle<br />
ich mir sie so vor wie auf einer. Da bekommt man<br />
doch auch zwischen den Weinen Kaffee zum Riechen<br />
gereicht, um den Geschmack zu neutralisieren.<br />
Meine Gedichte sind der Wein und die Musik<br />
ist der Kaffee. Obwohl es mittlerweile vielleicht ein<br />
wenig öfter den Kaffee gereicht gibt. jono<br />
JULIA ENGELMANN<br />
23.09.<strong>2018</strong> | 19 Uhr | Liederhalle | Stuttgart<br />
Foto: © Ben Wolf 2017<br />
<strong>September</strong> <strong>2018</strong>