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2018_36

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6 Dorfspiegel Dietlikon / Wangen-Brüttisellen<br />

Kurier Nr. <strong>36</strong> 7.9.<strong>2018</strong><br />

Friedliche Festival-Stimmung: Für viele war das Zürich Open Air ein Pflichttermin, darunter auch für Besucher aus den Kuriergemeinden. (Foto lni)<br />

Kolumne<br />

Mysterium um den Festival-Besuch<br />

Die Kuriergemeinden waren am Zürich Open Air gut vertreten.<br />

Kurier-Redaktionsleiter Leo Niessner machte am Festival<br />

geheimnisvolle Begegnungen.<br />

Leo Niessner<br />

Auf Reportage bekommt<br />

man ja so<br />

allerhand mit. Das<br />

liegt sicher auch<br />

daran, dass man<br />

mit Leuten das Gespräch<br />

sucht. Zum<br />

Beispiel am Zürich<br />

Open Air vorletzte<br />

Woche. Die Kontaktaufnahme gestaltet<br />

sich an solchen Anlässen mitunter<br />

einfacher als sonstwo. So erregte<br />

eine Gruppe junger Festivalbesucherinnen<br />

meine Aufmerksamkeit,<br />

die lauthals feststellten: «Sie<br />

sind überall, diese Wangemer, Brüttiseller<br />

und Dietliker!». Sie lobten<br />

das Festival «unmittelbar vor unserer<br />

Haustüre», wie sie sagten. «Die<br />

paar Stationen mit der S-Bahn bis<br />

nach Rümlang zählen wir jetzt mal<br />

nicht», lachte eine Mittzwanzigerin<br />

in schicken Sneakers, die vom Erdreich<br />

braun gefärbt waren.<br />

Ob ich denn Dietlikon und Wangen-<br />

Brüttisellen kenne, wollten sie wissen.<br />

Als ich mich als Vertreter der<br />

Lokalzeitung ebendieser Gemeinden<br />

zu erkennen gab, war die Freude<br />

gross. Gross war aber auch der<br />

plötzliche Respekt: Auf keinen Fall<br />

Fotos, und auch ihre Namen wollten<br />

die fünf jungen Damen nicht in<br />

der Zeitung lesen. Schade, dachte<br />

ich, das hätte ein schönes Porträt<br />

gegeben. Umso erstaunter war ich<br />

über die Begründung: «Mein<br />

Freund darf eben nicht wissen,<br />

dass ich hier bin», lautete die Antwort<br />

einer der jungen Besucherinnen.<br />

«Eigentlich wollten wir genau<br />

in dieser Woche in die Ferien reisen.<br />

Doch als ich sah, dass genau<br />

dann das Festival in Rümlang stattfindet,<br />

habe ich eine Notlüge erfunden,<br />

nämlich, dass ich an einen<br />

Geschäftsanlass muss.»<br />

Dass den fünf jungen Brüttisellerinnen<br />

das Open Air wichtig ist,<br />

wurde schnell deutlich. Die Musik<br />

spielt ihnen dabei nicht einmal eine<br />

so grosse Rolle. Wobei, die Pop-<br />

Headliner Imagine Dragons wollen<br />

sie dann doch noch sehen.<br />

«Sonst wäre es ein teures Cüpli,<br />

wenn wir nur hierher kämen, um zu<br />

quasseln», lachen sie. Doch es<br />

gebe einige, die genau aus dem<br />

Grund aufs Gelände kämen, und<br />

nicht des Sounds wegen. «Das ist<br />

schon fast eine Art Klassentreffen<br />

für junge Dietliker, Wangemer und<br />

Brüttiseller», haben sie beobachtet.<br />

Eine Frage der Privatsphäre<br />

Natürlich die Privatsphäre respektiert<br />

man als Zeitungsmacher in einem<br />

solchen Fall. Ich tröstete mich<br />

damit, dass es ja noch weitere Besucher<br />

aus den Kuriergemeinden<br />

am Open Air hatte. Zwei davon traf<br />

ich etwas später auch: in der Freitagnacht,<br />

im grossen Dance-Zelt.<br />

Hier kam ich mit zwei Jungs ins<br />

Gespräch, zwischen Bier und Cola.<br />

Was ich Anfangs noch nicht wusste:<br />

Am Ende sollte ich auch von ihnen<br />

enttäuscht werden.<br />

Auch für die 18 – 24-Jährigen aus<br />

Wangen war der Festivalbesuch<br />

Pflicht. «Näher kannst du ein solches<br />

Festival nicht haben», frohlockten<br />

sie. Das finde ja schon fast<br />

in ihrem Wohnzimmer statt. Ihre<br />

weiteren Worte wurden vom Technosound<br />

von DJ Vaal übertönt. Etwas<br />

später gingen wir nach draussen,<br />

Luft schnappen. Auch die drei Jungs<br />

freuten sich, mit jemandem von der<br />

Lokalzeitung aus ihrer Region zu<br />

reden. Gleichzeitig wollten auch sie<br />

ihre richtigen Namen plötzlich nicht<br />

in der Zeitung lesen. Hier war die<br />

Begründung noch plausibler – aber,<br />

entschuldigen Sie geschätzte Leserschäft,<br />

auch dreister.<br />

«Ich habe bei uns in der Bude gesagt,<br />

ich sei krank», sagt einer leicht<br />

verlegen. Sein Kollege zeigt auf sein<br />

Handy: Sie seien aber nicht die einzigen.<br />

Im Festival-Blog der Pendlerzeitung<br />

«20 Minuten» hätten sie von<br />

ähnlichen Schicksalen gelesen.<br />

Die Notlüge ist es dem Trio wert.<br />

«Denn eigentlich hatten wir uns<br />

einmal in den Kopf gesetzt, ebenfalls<br />

ein Festival zu organisieren,<br />

in Dietlikon. Oder in Brüttisellen<br />

auf dem Walderareal, wo das Dorffest<br />

stattgefunden hat. Das war<br />

sehr stimmungsvoll und würde<br />

auch sonst wohl keine Anwohnerinnen<br />

und Anwohner stören», erzählen<br />

sie. Aus dem Grunde seien sie<br />

heute schon am frühen Nachmittag<br />

aufs Gelände des Zürich Open Airs<br />

gekommen, um «mal zu schauen,<br />

was es dazu alles braucht».<br />

Ein eigenes Festival? Unmöglich!<br />

Und – werden die Kuriergemeinden<br />

dereinst in den Genuss eines<br />

eigenen Megafestivals kommen?<br />

«Nie im Leben, wenn wir das sehen!»,<br />

lachen die drei los. Sie seien<br />

zugegeben etwas naiv gewesen und<br />

hätten die Grösse eines solchen<br />

Events masslos unterschätzt. «Und<br />

wenn wir ehrlich sind – dazu fehlen<br />

uns auch die finanziellen Mittel!»,<br />

fügen sie hinzu. Doch träumen<br />

darf man.<br />

«Und vielleicht machen wir halt<br />

mal was Kleines in unserer Gemeinde»,<br />

sagen sie. Inspiriert seien sie<br />

jedenfalls. Darauf prosteten sie mir<br />

zu und huschten ins Zelt zurück.<br />

Ich blieb konsterniert zurück. Und<br />

plötzlich wurden Erinnerungen an<br />

die eigene Jugend wach: Oh, ja,<br />

auch wir hatten uns unter einem<br />

Vorwand gelegentlich weggeschlichen,<br />

um ein Konzert zu sehen. Allerdings<br />

«nur» von zuhause. Die<br />

Schule oder später die Arbeit<br />

schwänzen? Das war für mich zumindest<br />

ein Tabu. Denn «wer festen<br />

kann, kann auch arbeiten», hiess es<br />

bei uns. Oder bin ich da altmodisch?<br />

@<br />

Weitere Fotos:<br />

www.facebook.com/<br />

kurieronline

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