syndicom magazin Nr. 7 - Gestalte mit uns die Arbeit von morgen
Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.
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syndicom
Nr. 7 September–Oktober 2018
magazin
Gestalte
mit uns
die Arbeit
von morgen
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Inhalt
4 Teamporträt
5 Kurz und bündig
6 Die andere Seite
7 Gastautor
8 Dossier: Neue Arbeit
16 Arbeitswelt
17 GAV für die Callcenter
22 Hände weg von den FlaM
24 Das Zukunftsprojekt
26 Freizeit
27 1000 Worte
28 Bisch im Bild
30 Aus dem Leben von ...
31 Kreuzworträtsel
32 Inter-aktiv
Liebe Leserinnen und Leser
Wie wird unsere Arbeit in Zukunft aussehen?
Wenn in den grossen Industrieländern bis 2020
tatsächlich 5 Millionen Arbeitsplätze verschwinden,
wie es das World Economic Forum voraussagt,
werden wir dann mehr Gelegenheit für
Aus- und Weiterbildung und andererseits mehr
Freizeit haben? Oder bleiben durch die Digitalisierung
noch mehr Arbeitende auf der Strecke?
Wenn wir jetzt entschlossen handeln, können
wir verhindern, dass die auf Internet-Plattformen
verteilte Arbeit weiter Prekarität erzeugt.
Was die Weiterentwicklung der traditionellen
Berufsbilder betrifft, engagiert sich syndicom
schon jahrelang – zusammen mit Mitgliedern –
in den paritätischen Berufsbildungsstellen. Zum
Beispiel in der grafischen Industrie (S. 13). Denn
wer sonst als jene, die diese Berufe ausüben,
soll definieren, wie sich die Aus- und Weiterbildung
bestmöglich entwickeln kann, um künftigen
Bedürfnissen Rechnung zu tragen?
In diesem Sinne laden wir alle unsere Leserinnen
und Leser ein, sich am Projekt «Wir machen
Zukunft» (S. 24) zu beteiligen. Wie sollte die Gewerkschaft
der vierten industriellen Revolution
begegnen? Was kann sie für dich, an deinem
Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit, in der Politik
noch unternehmen? Wir brauchen deine Fragen,
deine Anregungen und Vorschläge. Schicke sie
bis 30. September an Redaktion@syndicom.ch.
Wir werden dir antworten, denn nur gemeinsam
gestalten wir die Gewerkschaft des digitalen
Zeitalters.
4
8
22
Sylvie Fischer, Chefredaktorin
4
Teamporträt
Weiterkämpfen bis zum GAV
Luca Thürler (51 Jahre)
Geboren in Olten, aufgewachsen in
Chur, arbeitet seit 1999 als Typograf/
CTP-Operator bei Tamedia Zürich
(direkte Übertragung digitaler Originale
auf Druckplatten mit dem «Computer
to Plate»- oder CTP-Verfahren). Seit
zwei Jahren ist er Vizepräsident der
Betriebskommission und seit 1991 Mitglied
von syndicom.
Marco Günther (43 Jahre)
Geboren in Deutschland in Finsterwalde
(Brandenburg), lernte Energieelektroniker
und arbeitet seit 2012 als Elektroni
ker im Technischen Dienst von
Tamedia Zürich. Seit zwei Jahren ist er
Mitglied der Betriebskommission und
seit diesem Jahr gehört er syndicom
an.
Balz Grassi (45 Jahre)
Geboren in Zürich in eine Druckerfamilie,
absolvierte erst eine Ausbildung
als Motorradmechaniker. Seit 2000 ist
er bei Tamedia Zürich als Speditionsmitarbeiter
angestellt. Er präsidiert die
Betriebskommission seit zwei Jahren
und ist seit 2002 Mitglied von syndicom.
Text: Sylvie Fischer
Bild: Tom Kawara
«In den Druckzentren
waren 90 % bei den
Protesten dabei.»
«Vor zwei Jahren sind der Präsident
und mehrere Mitglieder der Betriebskommission
von Tamedia Zürich zurückgetreten
und riefen Jüngere auf,
sich zu engagieren. Für uns war es
keine einfache Zeit: Tamedia hatte
sich aus dem Arbeitgeberverband
Viscom zurückgezogen, weshalb wir
seit 2016 nicht mehr durch einen Gesamtarbeitsvertrag
geschützt sind.
Die Vereinbarungen zum 13. Monatslohn,
5 Wochen Ferien, zu Schichtzuschlägen
oder Mindestlöhnen sind
in einem Betriebsreglement festgehalten,
das noch auf dem alten GAV
basiert. Das Reglement muss aber
bis April 2019 neu verhandelt werden.
Wir wissen nicht, was dann sein
wird – sicher ist einzig, dass man
die Vorteile für die Mitarbeitenden
beschränken will und dass die Verhandlungen
schwierig werden.
Gleichzeitig werden die Leute vor
Ort immer mehr unter Druck gesetzt
und mussten zum Beispiel eine Erhöhung
der Wochenarbeitszeit um
2 Stunden akzeptieren. Die Freizeit
wird eingeschränkt, da auch am
Samstag gearbeitet werden muss.
Viele Mitarbeitende sind an ihre
Grenzen gelangt.
Deshalb beschlossen wir, zusammen
mit syndicom zwei öffentliche
Aktionen durchzuführen: Bei der
ersten trugen die Leute der Druckzentren
in Zürich, Bern und Bussigny
rote Schirmmützen und forderten
damit eine Rückkehr unter den GAV,
bei der zweiten liessen wir die Angestellten
einen übergrossen GAV
unterzeichnen, auf dem nur die
Unter schrift der Arbeitgeber fehlte.
Über 90 % der Angestellten haben
sich an den Aktionen beteiligt.
Der Entscheid für die Proteste fiel
nach einer Sitzung mit der Direktion,
wo wir unsere Forderungen präsentieren
wollten. Sie nahmen unser Papier
entgegen und erklärten: ‹Unsere
Antwort ist Nein› – und das, ohne es
überhaupt gelesen zu haben.
Diese Aktionen zeigen der Direktion,
dass die Mitarbeitenden uns
breit unterstützen, obwohl die zweite
Aktion in der Ferienzeit lag. Weitere
Proteste sind schon geplant. Wir werden
weiterkämpfen, bis wir wieder
einen GAV haben. Die Direktion hat
noch nicht reagiert. Wenn es einen
Warnstreik gäbe, würde dies sicher
ganz schnell ändern.»
Kurz und
bündig
Investitionen der Publica unter Kritik \ Wiedereinstellungen bei der SDA \
Nachzahlungen für Postauto-Chauffeure \ Weiterentwicklung des GAV Swisscom
\ Jugendkonferenz 2018 \ Solidaritätsfonds für das Giornale del Popolo
5
ETH-ProfessorInnen kritisieren
Pensionskasse Publica
166 Persönlichkeiten der Eidgenössischen
Technischen Hochschulen (ETH),
darunter 128 Professorinnen und Professoren,
kritisieren die Pensionskasse des
Bundes, Publica, für ihre Investitionen
in Firmen aus dem Bereich der klimaschäd
lichen fossilen Energien. Dies betrifft
Kapital in Höhe von 800 Millionen
Franken, fast 2 % der Gesamtanlagen
(40 Milliarden Franken). Die WissenschaftlerInnen
fordern, dass Publica
diese Investitionen beendet, unter anderem
auch, weil sie ein finanzielles
Risiko bedeuten. Publica hat für den
Herbst eine Antwort in Aussicht gestellt.
Wiedereinstellungen bei SDA
Die Einigungsstelle hat die Ergebnisse
ihrer Schlichtung mitgeteilt. Erstmals in
der Geschichte der Medienbranche
werden entlassene Redaktorinnen und
Redaktoren, die älter als 60 sind, zu den
gleichen Konditionen wie zuvor wieder
eingestellt. Sie erhalten aus ser dem
einen Kündigungsschutz bis zur ordentlichen
Pensionierung. Der Sozialplan
wurde deutlich verbessert, und es wird
ein Härtefonds eingerichtet. Mitarbeitende,
die ihr Pensum reduzieren mussten,
werden bei Neubesetzungen vorrangig
berücksichtigt.
Lohnnachzahlungen für
Postauto-FahrerInnen
Mehrere Postauto-Fahrerinnen und
-Fahrer haben mit ihrem Juli-Gehalt
Nachzahlungen in Höhe von einigen
Hundert bis mehreren Tausend Franken
erhalten. syndicom hatte darauf bestanden,
dass der GAV-Artikel, der ein
Gebiet von 8 Kilometern Radius als
Dienst ort definiert, nicht zulässig ist.
PostAuto hat nun in die Auszahlung der
Zeitzuschläge und Mahlzeitenspesen
bei Pausen ausserhalb des Dienstortes
eingewilligt. Die Zahlung erfolgt rückwirkend
bis 1. 1. 2016. Bei auswärtigen
Einsätzen ist in jedem einzelnen Fall zu
prüfen, ob die Wegzeiten und Autospesen
geschuldet sind. Möchtest du wissen,
ob dies bei dir der Fall ist? Wende
dich an sheila.winkler@syndicom.ch.
Anforderungen an den
künftigen GAV Swisscom
An den 29 Info-Lunches, an denen der
GAV Swisscom 2018 vorgestellt wurde,
wurden Inputs für seine Weiterentwicklung
gesammelt. Zu den Themen
und Forderungen aus den Workshops
gehören die deutliche Verkürzung der
heutigen 40-Stunden-Woche, mehr
Jobsharing und Teilzeitarbeit, die Möglichkeit
einer unbezahlten Auszeit für
alle Mitarbeitenden (und nicht nur für
das Kader) sowie ein besserer Schutz
für Angestellte ab 50 Jahren.
Jugendkonferenz syndicom
Die Jugendkonferenz 2018 von syndicom
findet am 22. und 23. September
im Pfadiheim in Bern statt. Thema ist
Gleichstellung und Diskriminierung am
Arbeitsplatz. Die Konferenz wird sich
mit Strategien für die Jungen beschäftigen,
sich gegen Ungleichbehandlung
zu wehren und die Gleichstellungspolitik
voranzutreiben. Die Jungen werden
auch ihren Beitrag zur Lohngleichheitsdemo
vom 22. September vorbereiten
und natürlich an der Demo teilnehmen.
Anmeldungen online: bit.ly/2MDJXIB.
Ein Solidaritätsfonds für das
Giornale del Popolo
Nach dem Konkurs des Giornale del
Popolo wurde zur Unterstützung des
Personals der katholischen Tageszeitung
ein Verein gegründet. Die Beschaffung
der Mittel läuft nach einem
Aufruf befriedigend. Eine Kommission
aus VertreterInnen von Redaktion und
Gewerkschaften wurde gebildet. Diese
hat einen Verteilschlüssel für die gesammelten
Gelder an die ehemaligen
Angestellten ausgearbeitet. Eine Anzahlung
von 5000 Franken haben diese
bereits erhalten; der Rest wird in zwei
Raten ausgezahlt.
Agenda
September
Noch bis zum 16.
«museum schaffen»
In die ehemalige Loki-Montagehalle
Winterthur lädt das «museum schaffen»
ein: «Zeit. Zeugen. Arbeit.», eine
performative Ausstellung zum Wandel
der Arbeit, ist als Betriebsbesichtigung
konzipiert. «SchichtarbeiterInnen» berichten
von persönlichen Erfahrungen.
Man lässt sich bewegen und reflektiert
den eigenen Werdegang.
museum schaffen Winterthur, Lokstadt
Halle Rapide, vis-à-vis Zürcherstr. 42
15.–27.
«10 Jahre
Fotografieren macht Schule»
Die Wanderausstellung wandert in das
Mythenforum Schwyz, wo sie 153 Fotografien
von 52 Mitwirkenden zeigt.
Die Bilder sind allesamt mit digitalen
Kameras entstanden und laden die
kleinen und grossen Besuchenden ein,
sich mit den Gestaltungsmitteln und
der Bildsprache der Fotografie zu befassen.
22.
Nationale Demo für
Lohngleichheit
Eine breite Allianz aus Gewerkschaften
und Frauenorganisationen ruft auf zur
nationalen Kundgebung in Bern. Bauen
wir Druck auf, damit es endlich vorwärts
geht. 13.30 Uhr Treffpunkt auf
der Schützenmatte Bern, 15 Uhr
Schlusskundgebung auf dem Bundesplatz.
Du kannst als syndicom-Mitglied
gratis anreisen.
Oktober
4.
Zusatzkurs Social Media
Der Workshop «So funktioniert Social
Media für Publisher und Journalisten»
vom Verband SFJ findet Anklang. Ein
Zusatzkurs wird am 4. Oktober angeboten.
Anmelden: bit.ly/2LjcFcX
syndicom.ch/agenda
6 Die andere
Roland A. Müller
Seite
Jurist und Rechtsanwalt, ist seit 2007 in der Geschäftsleitung
des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, seit 2013
dessen Direktor. Müller ist Titularprofessor für Arbeits und
Sozialversicherungsrecht an der Uni Zürich.
1
«Sozialpartnerschaft sollte von Vertrauen
geprägt sein»: Was meinen Sie
damit?
Früher haben sich die Sozialpartner
vorwiegend hinter verschlossenen
Türen verständigt. Dadurch sind tragfähige
Kompromisse entstanden.
Diese gelebte Sozialpartnerschaft war
stark von Vertrauen und Lösungsorientierung
geprägt. Leider haben
sich die Gewerkschaften vermehrt
davon verabschiedet. Im Wettbewerb
um Mitglieder suchen sie verstärkt
das mediale Rampenlicht.
2
Welches wären die «lebensnahen
Lösungen», für die Sie plädieren?
Die Branchen und innerbetrieblichen
Sozialpartner sind am Puls der
Arbeitswelt und kennen die wahren
Bedürfnisse ihrer Klientel. Aus einem
Austausch fernab von ideologischen
Grabenkämpfen resultieren pragmatische
und praktikable Lösungen.
Ihr Verständigungswille ist zentral
für eine funktionierende Sozialpartnerschaft
und entscheidend für das
Erfolgsmodell Schweiz.
3
Ist die Partnerschaft gescheitert,
wenn Arbeitnehmende für eine Verbesserung
der sozialen Abfederung
streiken? So wie bei der SDA?
Eine Sozialpartnerschaft, die auf Vertrauen
und Dialog beruht, erhält mit
einem Streik einen herben Dämpfer.
Streik ist eine Belastung für die Beziehungen,
im Falle eines GAV kann er
gar einen Vertragsbruch darstellen.
Meist verständigen sich die Parteien
in der Folge dann unter Ausschluss
der Öffentlichkeit auf eine Lösung –
so geschehen im Fall der SDA.
4
Welche Vorteile haben Gesamtarbeitsverträge?
Die tragende Säule eines GAV ist die
Friedenspflicht, welche Streiks untersagt.
GAV zeigen Lösungen der Streitschlichtung
auf, die beiden dienen,
Arbeitnehmenden und Arbeitgebern.
Text: Sina Bühler
Bild: Johanna Bossart
5
Und welches könnten die Schwierigkeiten
sein?
Da GAV einen Eingriff in die unternehmerische
Freiheit darstellen,
müssen sie auch die Interessen der
Arbeitgeberseite berücksichtigen.
Letztlich sind sie das Resultat einer
gelebten Sozialpartnerschaft, bei der
sich alle Parteien lösungsorientiert
an einen Tisch setzen.
6
Was stört Sie an den Gewerkschaften?
Dass sie auf partnerschaftliche Lösungen
pochen, solche aber häufig
über den politischen Prozess erschweren.
Ich wünschte, sie würden
wieder mehr auf die Sozialpartnerschaft
setzen. Und sie sollten offener
sein, für neue Entwicklungen, und
nicht nur auf Besitzstandswahrung
bedacht. Ich wünsche mir starke Gewerkschaften,
die als zuverlässige
Partner auftreten, um in einer konstruktiven
Sozial partnerschaft die
Herausforderungen unserer Zeit zu
meistern.
Gastautor
Bei ihren 1.-August-Reden haben
zweifellos wieder viele VolksvertreterInnen der
Rechten den Grundsatz von Treu und Glauben
beschworen und die Vorteile der Sozialpartnerschaft
für unser Land gelobt. Dabei steht es
nicht so gut um diese beiden Werte. Man konnte
das an den Entlassungswellen sehen, sei dies
bei Tamedia, der SDA oder auch Nestlé. Die meisten
dieser Arbeitsplätze wurden nämlich nicht
gestrichen, weil die Arbeitgeber in Schwierigkeiten
sind und ihre Belegschaft verringern müssen,
um nur überleben zu können. Vielmehr sind
es Arbeitgeber, denen es bestens geht und die
nur ein Ziel vor Augen haben: Rentabilität und
Dividenden steigern, auch wenn diese schon
jetzt deutlich über dem Branchendurchschnitt
liegen. Aber das hat einige nicht abgehalten, ihr
Personal ohne jeden Respekt zu behandeln.
Sie stellen ihre Leute vor vollendete Tatsachen,
behaupten, es gäbe keine Optionen mehr, weigern
sich zu verhandeln und lassen so jeden
Rest von Treu und Glauben schnöde fallen. Und
wenn die Angestellten die Courage haben, sich
zu wehren, wird ihnen vorgeworfen, die Öffentlichkeit
skrupellos unter Druck zu setzen. Diese
anstössigen Praktiken führen zu sozialen Schäden
und Folgekosten, die von den Verantwortlichen
nicht übernommen werden. Erst werden
sie auf die betroffenen Arbeitnehmenden überwälzt
und dann auf die Gemeinschaft. Um dem
ein Ende zu setzen, müssen die Sanktionen bei
missbräuchlicher Massenentlassung deutlich
verschärft werden. Aktuell beträgt die Entschädigung
maximal zwei Monatslöhne für jede entlassene
Person. Diese Sanktionen müssen wirklich
abschreckend werden, wie dies ein Vorstoss
verlangt, den ich im Nationalrat eingereicht hatte
und der von Mathias Reynard (SP/VS) übernommen
wurde. Es versteht sich von selbst,
dass die Arbeitgeber der Rechten eine Verschärfung
der Sanktionen ablehnen und dabei ihre
schönen Worte über Treu und Glauben und die
Sozialpartnerschaft geflissentlich vergessen.
Treu und Glauben sind
nur schöne Worte
Jean Christophe Schwaab, Dr. iur.,
Alt-Nationalrat (SP/VD), ehemaliger
Präsident der Kommission für Rechtsfragen
des Nationalrats, Gemeinderat
und Vorsteher der Abteilung Soziales,
Arbeit und industrielle Betriebe in
Bourg-en-Lavaux (VD). Geboren 1979,
verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft in
Riex. Autor zahlreicher wissenschaftlicher
Artikel zum Arbeitsrecht.
7
Dossier
Wie Berufe untergehen oder neu erfunden werden.
Weshalb die Plattformarbeit die Arbeitnehmenden prekarisiert.
Wie syndicom sehr alten Professionen zu einer Zukunft verhilft:
das Beispiel der grafischen Industrie.
9
Zusammen
schaffen wir
neue Berufe
10 Dossier
Wie Berufe verschwinden, sich wandeln
oder ganz neu entstehen
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt
rasant – die Anforderungen an die Arbeitnehmenden
steigen ebenso rasant. Der Wandel
bringt zwar auch Chancen mit. Doch damit alle
profitieren können, müssen jetzt die Rahmenbedingungen
angepasst werden.
Text: Basil Weingartner
Bilder: Bertrand Rey
Wo in Autowerkstätten früher geschraubt und geölt wurde,
werden heute immer öfter Kabel eingesteckt und Daten
ausgelesen. Und wenn die Mechanik durch moderne
Technik abgelöst wird, ändern sich auch die Berufsbilder.
So wurde aus dem Automechaniker der Automobil-Mechatroniker.
Und wurden Dächer früher schlicht mit Ziegeln
gedeckt, erzeugen die Dächer heute mit eingebauten
Solar zellen gleich noch Strom. Und immer mehr Dachdeckerinnen
lassen sich zu Solartechnikerinnen weiterbilden.
Während neue Berufsbilder entstehen, wandeln sich
andere Tätigkeiten – die Netzelektrik etwa wird durch die
vielfältigere Verwendung der Leitungen immer komplexer
–, oder sie verschwinden. Der Grund ist auch hier der
Fortschritt – und die Digitalisierung im Speziellen.
Auch die Arbeit am Rückbau ist einmal zu Ende
Seit 33 Jahren verbinden rund 1600 unscheinbare, meist
nur kühlschrankgrosse Schaltkästen die Schweiz. Untergebracht
sind sie in Kellern von Bürogebäuden oder in
Beton häuschen am Strassenrand. Wenn sich ein Liebespaar
über hundert Kilometer Entfernung Gute Nacht sagt,
zwei ältere Menschen am Nachmittag einen Schwatz am
Telefon halten oder jemand eine Notrufnummer wählt –
alle Festnetzverbindungen wurden lange Zeit ausschliesslich
über die Aussenzentralen der sogenannten Festnetzplattform
der Swisscom weiterverbunden. Bald werden
diese Zentralen allesamt verschwunden sein.
Ihr Verschwinden steht auch für den Wandel in der Arbeitswelt.
Denn damit in der Schweiz über Festnetz telefoniert
werden kann, arbeiten im Hintergrund Technikerinnen
und Techniker. Vor zehn Jahren waren es noch 145
Personen. Heute sind es noch 40. Schon vor einiger Zeit
wurde parallel zur bestehenden eine neue Festnetzplattform
aufgebaut, über die immer mehr Gespräche laufen.
Das neue System leitet die Gespräche vollständig digitalisiert
und automatisiert weiter. Nun braucht es statt 1600
Aussenstandorten schweizweit nur noch zwei – und für
den Unterhalt nur noch 20 Personen.
Abgestellt werden soll das alte System in den nächsten
3 bis 5 Jahren, sagt René Hirt. Der Personalvertreter ist bei
Swisscom auch stellvertretender Leiter des Plattformteams.
Er selbst werde bald pensioniert, sagt Hirt, der syndicom-Mitglied
ist. Für seine Mitarbeiter habe der technische
Wandel aber konkrete Folgen. «Die verbleibenden
Mitarbeiter sind sich bewusst, dass manche von ihnen irgendwann
keinen Job mehr haben werden.» Man informiere
das Personal transparent, jüngere Mitarbeiter würden
umgeschult. Der Rest werde dereinst für den Rückbau
zuständig sein. «Doch auch dieser ist einmal vorbei.»
Als Personalvertreter mache ihm der Wandel schon gewisse
Sorgen. Wichtig sei es, die Mitarbeiter frühzeitig
vorzubereiten, sie weiterzubilden. Auch im eigenen Konzern
erkennt er diesbezüglich noch Nachholbedarf. Denn
eines ist für Hirt klar: «Aufzuhalten ist der technologische
Wandel nicht.» Und der Takt der Veränderungen werde
immer schneller.
Roboter erbringen zunehmend auch Dienstleistungen
Der Wandel, der bei der Swisscom passiert, findet ähnlich
auch sonst statt. Man spricht von der Industrie 4.0. Der
Ausdruck spielt einerseits auf die Hauptursache des Wandels
an, auf die Digitalisierung. Andererseits drückt er
aus, dass wir uns mitten in der vierten industriellen Revolution
befinden. Nach der Erfindung des mechanischen
Webstuhls im Jahr 1784, nach der Einführung der Massenproduktion
um das Jahr 1880 und nach dem Siegeszug der
Elektronik ab den 1970er-Jahren sorgt diesmal der
flächen deckende Einzug von Informations- und Kommunikationstechnologie
für einen Umbruch von Arbeitswelt
und Gesellschaft.
Die Revolution basiert auf dem starken technologischen
Fortschritt in mehreren Bereichen. Die enormen
Verbesserungen von digitalen Speichermedien und Prozessoren
schaffen völlig neue Anwendungsmöglichkeiten
für Software – etwa in der Kommunikation und in der
Automati sierung. Gleichzeitig entwickelt sich auch die
künstliche Intelligenz. Maschinen und Software sind zunehmend
in der Lage, unstrukturierte Informationen
auto nom zu verstehen und zu verarbeiten. Manche Software
kann Informationen in Texten schon so gut verstehen
wie ein 10-jähriges Kind. Und Computer verfügen zunehmend
über die Fähigkeit, selber dazuzulernen.
Weil parallel auch in der Sensorik grosse Fortschritte
erzielt wurden, können Roboter oder Software immer anspruchsvollere
Aufgaben selbständig oder semiautonom,
also in Zusammenarbeit mit Menschen, erledigen. Waren
solche Anwendungen bisher in erster Linie in der industriellen
Produktion im Einsatz, ist das immer häufiger
auch im Dienstleistungssektor der Fall. Zentral für die In-
Menschen
müssen das
können, was
Maschinen
nicht können.
dustrie 4.0 ist auch die zunehmende Vernetzung von Informationen
und Gegenständen. Produktionsanlage, Produkte,
Logistik, Marketing, Verkauf und Dienstleistung
– alle sind miteinander verknüpft. Auch Forschungsprozesse
können effizienter und flexibler gestaltet werden.
Dazu tragen auch neue Technologien wie etwa 3D-Drucker
bei.
Zentral ist auch, dass sich die Entwicklungen in den
einzelnen Bereichen gegenseitig antreiben. Werden etwa
bei den Prozessoren Fortschritte erzielt, beschleunigt
dies auch die Entwicklung der intelligenten Vernetzung –
und anschliessend umgekehrt. Dieser Mechanismus
sorgt für eine immer grösser werdende Beschleunigung
der Digitalisierung.
Ohne Fachhochschul-Abschluss kein Job
Bereits in den vergangenen zwei Jahrzehnten gingen
350 000 Arbeitsplätze verloren; gleichzeitig wurden aber
860 000 Stellen neu geschaffen. Der Bundesrat ortet nebst
Chancen auch viele Risiken. Dies aus guten Gründen: Die
neu geschaffenen Stellen entsprechen vom Anforderungsprofil
her nicht den wegfallenden. Die Stellen verlagern
sich in Branchen, in denen gut ausgebildete Personen
gefragt sind. Und auch innerhalb der bestehenden Branchen
werden die Anforderungen an die Angestellten
immer grösser. «Für Personen ohne Fachhochschul-Abschluss
wird es immer schwieriger, bei uns eine Stelle zu
finden», sagt Swisscom-Manager René Hirt. «Was früher
kompliziert war, ist heute komplex.»
«Die Anforderungen sind gestiegen – und wir stehen
erst am Anfang des Wandels», sagt auch Vera Rentsch, Leiterin
des kantonalen Berufsberatungs- und Informationszentrums
(BIZ) Bern. Dieses berät und begleitet Jugendliche
und Erwachsene bei der Berufswahl und der
Karriereplanung. Kognitive, analytische und soziale Fähigkeiten
würden immer wichtiger, sagt Rentsch. Kreative
Tätigkeiten nähmen zu, repetitive fielen weg. «Reines Faktenwissen
verliert an Relevanz.» Menschen müssen das
können, was Maschinen nicht können.
Die Effizienzgewinne sollen auf alle verteilt werden
Nur wenn die Effizienzsteigerungen nicht nur den Arbeitgebern
und ihren Investoren zugutekommen, profitieren
alle davon. Etwa durch eine Senkung der Arbeitszeit, die
auch Arbeitsplätze erhalten würde. Eine weitere Massnahme
kann die gesetzliche Verankerung des Rechts auf
Weiterbildung sein. Für Berufsberaterin Rentsch ist es
unerlässlich, dass sich Arbeitnehmende auch nach der
Ausbildung immer weiterbilden. Diese Notwendigkeit zu
vermitteln, sei Teil einer zeitgemässen Ausbildung. «Laufbahngestaltungsfähigkeiten»
nennt sie das. Dazu gehöre
unter anderem, sich über die ständige Veränderung des
eigenen Berufes im Klaren zu sein, anstehende Veränderungen
frühzeitig zu erkennen und sich auf diese vorzubereiten
– auch indem man vom Arbeitgeber Weiterbildungen
einfordere.
Elf neue Berufslehren seit 2003
Die Veränderungen der Technologie bilden sich in den
Berufs profilen bisher nur bedingt ab. Zwar wurden in den
letzten 15 Jahren gemäss Angaben des Staatssekretariats
für Bildung, Forschung und Innovation elf neue Berufslehren
mit Fähigkeitszeugnis bewilligt. Wenige Neuerungen stehen
aber in Zusammenhang mit dem Wandel. So kann man seit
dem Jahr 2009 etwa eine Lehre als Bühnentänzer machen.
2014 kam die Lehre als Entwässerungstechnologin hinzu.
Dort lernt man, Rohre, Kanäle und Leitungen zu unterhalten,
zu prüfen und zu reinigen, auch mit ferngesteuerten Kameras
und Robotern. Zumindest in einem gewissen Zusammenhang
mit dem technologischen Wandel stehen die Ausbildungsgänge
HotelKommunikationsfachmann, Fachfrau
Kundendialog oder SystemgastronomieFachmann. Konkret
zeigt sich die technologische Transformation dagegen in der
Automobilbranche. Wer bisher eine vierjährige Automechanikerlehre
absolvierte, macht heute eine Lehre als Automobil
Mecha tronike rin. Denn die Mechanik unter der Motorhaube
wurde zu grossen Teilen durch Software ersetzt.
12
Dossier
Kein Vertrag, keine Versicherung, kein Kündigungsschutz
Die Digitalisierung verändert nicht nur Anforderungen
und Tätigkeitsprofile, sie pflügt die Arbeitswelt auch
sonst stark um. Neue Arbeitszeitmodelle entstehen: Teilweise
oder ganz von zu Hause arbeiten wird für immer
mehr Angestellte zum Standard. «Home Office» kann den
Bedürfnissen der Angestellten entsprechen: Diese werden
autonomer, Grossraumbüro-Hektik und Pendlerwege
entfallen. Gleichzeitig steigt das Risiko, dass die berufliche
Tätigkeit immer weiter ins Privatleben vordringt.
Der Gesetzgeber kann hier durch klare Vorgaben und die
Pflicht zur Arbeitszeiterfassung Gegensteuer geben. Doch
jüngste Entscheide des Bundesparlaments zeigen, dass
die Entwicklung derzeit in die andere Richtung geht.
Auch im Bereich des Datenschutzes bringt die Industrie
4.0 Risiken mit sich – auch für die Angestellten. Durch
die Möglichkeit, grosse Datenmengen auszuwerten, können
auch die Arbeitsleistungen immer genauer analysiert
werden. Dadurch drohen am Arbeitsplatz Überwachung
und Vorschriften in bisher unbekanntem Ausmass.
Die Digitalisierung ist weiter dabei, die Anstellungsmodelle
zu verändern. Über Online-Plattformen wird
Crowdworking möglich. Personen arbeiten – von unterschiedlichen
Orten aus – zeitlich befristet und ohne Anstellung
an einem gemeinsamen Projekt. Solche Modelle
sind in der Schweiz bereits etablierter als in anderen Ländern
(S. 15). Modelle wie Crowdworking können für die
Arbeitskräfte neue Freiheiten schaffen. Es droht aber
auch eine Prekarisierung. Etwa weil Geschäftsrisiken an
die Mitarbeitenden ausgelagert werden. So auch bei den
Velokurieren. Hier drängen neue Firmen auf den Markt,
deren Kuriere zwar einen Arbeitsplan haben und per App
Aufträge erhalten, aber dennoch als Selbständige arbeiten.
Dabei entgehen den Angestellten Sozialleistungen
und Versicherungsschutz. Auch ein Kündigungsschutz
existiert nicht.
Home Office und
OnlinePlattformen
machen die Arbeit
autonomer. Doch es
droht Prekarisierung.
Das neue Modell hat auch Auswirkungen auf die alteingesessenen
Mitbewerber. «Die Billigkonkurrenz bereitet
mir Kopfzerbrechen», sagt Peter Tomasek, der in Basel
eine Velokurierfirma mit 60 Angestellten betreibt. Er wirft
der Konkurrenz unlautere Geschäftspraktiken vor. Und
tatsächlich urteilte das Bundesgericht im Vorjahr, dass
die «selbständigen» Fahrer eines Zürcher Taxiunternehmers
sozialversicherungsrechtlich als «unselbständig
Erwerbs tätige» zu betrachten sind. Für das Velokuriergewerbe
existiert kein Urteil. Tomasek hofft, dass in der
Branche ein Umdenken stattfindet. Denn die Billigkonkurrenz
bringe die sowieso schon tiefen Margen weiter
unter Druck. Über Arbeit können sich die Velokuriergeschäfte
aber nicht beklagen. Immer mehr Menschen kaufen
im Internet ein. Auch hier ist die Digitalisierung in vollem
Gang.
https://bit.ly/2LeBKGd
Dossier
Z. B. grafische Industrie:
Unser Engagement für neue Berufe
13
Diesen Sommer haben die allerersten
Interactive Media Designer ihre Ausbildung
beendet. Ab 2019 werden die Druck neu als
Medientechnologinnen ausgebildet. Bildung
steht auch heute noch im Zentrum der Arbeit
von syndicom.
Text: Michael Moser
Nach vier Jahren Lehrzeit beendeten diesen Sommer die
ersten Interactive Media DesignerInnen EFZ ihre Ausbildung
und treten nun, als erste AbgängerInnen ihres Berufes,
in die Arbeitswelt ein. Interactive Media Designer gestalten
die digitale Welt. Sie gestalten alles, was uns im
Alltag digital begegnet. Von Apps über Benutzeroberflächen
bis hin zur interaktiven Grafik im Fernsehen. Sie definieren,
wie die digitale Welt in unserem Alltag aussieht,
und oft auch, wie sie funktioniert. Neben der reinen Gestaltung
hinterfragen die Interactive Media Designer, wie
etwa das Anwendungsverhalten ist und wie sich ihre Werke
möglichst benutzerfreundlich aufbauen und gestalten
lassen.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung
Wie sich die Digitalisierung und somit auch die Arbeit der
Interactive Media Designer bereits in unserem Alltag etabliert
hat, zeigt etwa der SBB-Fahrplan. Wo früher fast in
jedem Haushalt ein gedrucktes Kursbuch stand, wischen
wir heute nur kurz mit dem Finger über das Smartphone
und erhalten die gewünschte Verbindung binnen Zehntelsekunden,
tagesaktuell und erst noch inklusive eventueller
Verspätungen.
Für die Nutzer der App ist das ein einmaliges Umgewöhnen,
und nachdem man sich die App zweimal erklären
liess, beherrscht man sie, als hätte es nie etwas anderes
gegeben. Für die Berufsleute der grafischen Branche
aber liegen zwischen dem gedruckten Fahrplan und der
digitalen App vier neue Berufe, etliche Berufsrevisionen
und unzählige Weiterbildungen und Software-Updates,
welche ihre Berufswelt in den letzten 50 Jahren komplett
umgestaltet haben.
Gewerkschaftliche Mitgestaltung
deines Berufs
syndicom trägt in der Paritätischen Berufsbildungsstelle für
visuelle Kommunikation (PBS) fünf Berufsbilder mit: Interactive
Media Designer, Polygrafin, Druck/Medientechnologe,
Printmedienverarbeiterin und Printmedienpraktiker. Die Lehrinhalte
werden im Zusammenspiel von Bund, Kantonen, Berufsschulen
sowie der Organisationen der Arbeitswelt definiert
und gestaltet. Mit dem aktiven Engagement einer
Gewerkschaft in diesem Prozess kann die Arbeitswelt bereits
in ihren Grundanlagen mitgestaltet werden. Organisierte Mitglieder
tragen in Arbeitsgruppen sowohl zu Revisionen wie
auch zur Weiterentwicklung von Berufen bei. Interessierte
Berufsleute, die selber aktiv an der Entwicklung ihrer Berufe
mitarbeiten möchten, können sich gerne beim Autor melden.
Dagegen hatte bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Technologie
des Buchdrucks, seit ihrer Erfindung durch Gutenberg
vor 500 Jahren, kaum eine Änderung erlebt. Im
Bleisatz musste jeder einzelne Buchstabe gesetzt und
beim Fahrplanwechsel jede geänderte Abfahrtszeit von
Hand ausgewechselt werden. Anstatt mit Blei wird heute
mit Code und Software gestaltet, und zwar responsiv, also
so, dass die Darstellung sich allen möglichen Ausgabegeräten
automatisch anpasst. Dass dies einen enormen
Wandel in den Berufsbildern und der Ausbildung mit sich
brachte, versteht sich daher von selbst.
Die Gewerkschaft ist Trägerin der Berufsbilder
Bei allen Veränderungen und Berufsrevisionen immer dabei
war die Gewerkschaft, die zusammen mit dem Arbeitgeberverband
seit dem 19. Jahrhundert und der Gründung
des Schweizerischen Typographenbundes Trägerin
der Berufsbilder der grafischen Industrie ist. So prägten
1000 verloren
plötzlich den Job,
weil es den Beruf
nicht mehr gab.
14
Dossier
syndicom und ihre vielen Vorgängerorganisationen den
Weg der Berufe vom Schriftsetzer zum Interactive Media
Designer durch diesen Wandel entscheidend mit, und immer
im Sinne der Berufsleute.
Als in den 1990er-Jahren mit dem Wechsel vom Filmsatz
zum Desktop-Publishing am Computer Hunderte von
Berufsleuten ihre Stelle verloren, weil ihre Unternehmen
den technologischen Wandel nicht überlebten, organisierte
die Gewerkschaft die Umschulung von etwa tausend
Berufsleuten, die plötzlich mit einem Beruf auf dem
Arbeitsmarkt standen, den es so nicht mehr gab.
So war und ist Bildung und Weiterbildung auch heute
noch ein zentraler Pfeiler der Gewerkschaftsarbeit von
syndicom in der grafischen Branche. Mit Helias führt syndicom
darum auch heute noch die Weiterbildungsplattform
weiter, die in den 90er-Jahren gegründet wurde, um
eben jene Berufsleute auf den Computer umzuschulen.
Heute sehen die Kurse ähnlich aus, aber die Programmversionen
sind um 20 Ziffern höher. Mit der vollständigen
Verlagerung von Arbeiten in die rein digitale Welt findet
nun erneut ein struktureller Wandel in der Branche statt.
Die Unterstützung unserer Mitglieder in dieser Phase der
Digitalisierung ist gerade deshalb wieder aktueller denn
je.
Digitaldruck bietet heute die Möglichkeit, jedes Produkt
zu individualisieren und so zu etwas Einzigartigem zu machen.
So kann der Nutzen des Druckens von einer reinen
Verbreitung von Information zu etwas Grösserem erweitert
werden.
Dass die Leute, die einen Beruf ausüben, bei dessen
Weiterentwicklung aktiv beteiligt sind, ist die Grundidee
des gewerkschaftlichen Engagements in der Berufsbildung.
Hinweis:
Der Autor hat seine Masterarbeit zur technologischen und
strukturellen Veränderung der grafischen Branche und der
Auswirkung auf ihre Berufe in der Schweiz zwischen 1965
und 2015 geschrieben. Die Arbeit kann bei Interesse beim
Autor bezogen werden: michael.moser@syndicom.ch
bit.ly/2KRmHli
Der Drucker: ein archetypisch «analoger» Beruf wurde
komplett umgekrempelt
Mit der Weiterentwicklung zum Medientechnologen
befindet sich auch der Beruf des Drucktechnologen momentan
in Revision. Ab 2019 heisst der Beruf neu Medientechnologin/Medientechnologe,
und die Ausbildung ist
vermehrt technologieübergreifend ausgerichtet. Das
heisst, ein urtypisch analoger Beruf, der nämlich Information
und Gestaltung auf Papier festhält, soll weiter an die
Gegebenheiten der digitalen Welt angepasst werden.
Mit der digitalen Welt verändern sich die Ansprüche
an die zukünftigen MedientechnologInnen in vielen Bereichen.
Die Branche hat das Monopol auf die Verbreitung
von Information verloren. Die möglichst schnelle Verbreitung
von Information in gedruckter Form in einer möglichst
hohen Quantität wird daher wohl der Vergangenheit
angehören. Das Internet ist dafür schlichtweg besser
geeignet.
Das bedeutet aber keineswegs das Ende des Druckens.
Es wird in Zukunft bloss niemand mehr drucken, weil er
muss, sondern nur noch, weil er oder sie will. Das ist nicht
per se eine negative Entwicklung und ein Verlust von Aufträgen,
sondern auch die Chance für den Beruf, sich neu
zu positionieren und sich weiterzuentwickeln. Gerade der
Die Leute, die einen
Beruf ausüben,
sollen bei dessen
Weiterentwicklung
aktiv beteiligt sein.
Fotostrecke
Der Walliser Fotograf Bertrand Rey hat diese Reportage zum
Thema neue Berufe bebildert. Die Aufnahmen wurden zusammen
mit dem Solarinstallateur von Sunwatt in Le Brassus
(VD) und PlanlesOuates (GE), den Netzelektrikern der Firma
DuvoisinGroux in SaintCergue (VD) und den Entwässerungstechnologen
des Unternehmens CandLandi an einem Nestlé
Standort in La ClaieauxMoines (VD) realisiert. Dabei sind
das Titelbild, die Fotos auf den Seiten 8 bis 14 und das kleine
Foto unter dem Inhaltsverzeichnis entstanden. Wir danken
den genannten Unternehmen für ihre Unterstützung.
Bertrand Rey realisiert seit vielen Jahren interessante Arbeiten
mit Einzel und Gruppenporträts für die Tagespresse
(Reportagen) und Zeitschriften oder im Auftrag. Unter anderem
hat er für das Musée de la Vigne et du Vin in Sierre (VS)
Winzerinnen und Winzer bei der Arbeit porträtiert und eine
Reportage über den neuen Campus Energypolis der EPFL in
Sion bebildert.
www.bertrandrey.com
15
Management statt Administration, Informatik statt Unterhaltung:
5 Millionen Jobs werden verschwinden
Beschäftigungsaussichten nach Berufsgruppen, verlorene/zusätzliche Arbeitsplätze 2015–2020 (Prognose 2016)
–4 759 000
5 Millionen
Jobs werden
verschwinden
7,1
Mio.
2
Mio.
Büro und Verwaltung
–1609 000
Produktion und Fertigung
–497 000
Bauwesen und Rohstoffindustrie
–151000 Kunst, Design, Medien, Unterhaltung und Sport
–109 000 Recht
–40 000 Montage und Wartung
Betriebswirtschaft und Finanz +492 000
Management +416 000
Informatik und Mathematik +405 000
Architektur und Ingenieurwesen +339000
Verkauf und verwandte Tätigkeiten +303 000
Aus- und Weiterbildung +66 000
Quelle: WEF-Report «Future of Jobs» über 15 grosse Industrie- und Schwellenregionen mit total 13 Millionen Beschäftigten
Die Dienstleistungsgesellschaft wächst
immer noch weiter ...
Beschäftigte Personen, in Tausend
Wir werden in mehreren Berufen tätig sein
Anteil der Personen in Prozent, die mehr als eine berufliche
Tätigkeit ausüben
4000
12
3500
3000
2500
2000
Dienstleistungen
11
10
9
8
7
6
Frauen
Total
1500
Bau und Industrie
5
4
1000
3
500
Landwirtschaft und Rohstoffe
2
1
Männer
0
0
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
2007
2009
2011
2013
2015
2017
... und die Industrie reduziert sich um die Hälfte
Die Schweiz ist bei dieser Entwicklung schon weiter
Beschäftigung nach
Sektoren 1960–2016,
in Prozent
Dienstleistungen
Bau und Industrie
Landwirtschaft
14,5
39
21,2
3,1
46,5 75,7
7,6%
10% 4,4%
4,0%
5,5% 3,8%
1960 2016 Schweiz
EU
Quelle: BFS März 2018 (neue Berechnungsmethode ab 1991)
Quelle: Schweizerische Arbeitskräfte-Erhebung (SAKE), Bundesamt für Statistik,
Mehrfacherwerbstätigkeit in der Schweiz, 2017
Lockruf der Crowd
Arbeit wird mehr und
mehr über Internet-
Plattformen vermittelt
Wöchentliches
Crowdworking
Monatliches
Crowdworking
Crowdworking
im letzten Jahr
Crowdworking
suchend
0% 5% 10 % 15 % 20% 25% 30% 35% 40%
Grossbritannien
Schweden
Niederlande
Deutschland
Österreich
Schweiz
Quelle: Crowdwork in der Schweiz, Studie in
Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft syndicom
und der Stiftung sovis, Bern, November 2017
16
Eine bessere
Arbeitswelt
Jetzt ist es genug!
Nationale Grossdemo
am 22. September
1981 wurde die Gleichstellung der Geschlechter
in der Bundesverfassung
verankert. Zehn Jahre später streikten
die Frauen in der Schweiz – weil es so
langsam vorwärtsging damit. «Wenn
Frau will, steht alles still!», hiess es,
und eine halbe Million Frauen streikten.
2018 ist der Gleichstellungsartikel
schon 37 Jahre alt, die Politiker
und Politikerinnen in Bern debattieren
über das Gesetz und machen nicht
vorwärts: Statt von Lohnkontrollen,
weil den Frauen national jedes Jahr
7 Milliarden Franken ent gehen, reden
sie weiter von «Freiwilligkeit». Aber
das reicht nicht, wie wir sehen!
Die Löhne müssen für alle, für
Männer und Frauen, fair sein und fair
bleiben! Kämpfen wir gegen Dumping
und schlechte Praktiken. In der Druckbranche
etwa sind noch immer grosse
Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern
vorhanden. Darum gehen
wir an die Gross demo der Gewerkschaften
und Frauenorganisationen:
am 22. 9. in Bern. Helft mit, zu mobilisieren,
und kommt solidarisch mit euren
Arbeitskolleginnen, mit Partnern
und Familie!
Patrizia Mordini
Gleichstellungsgesetz: Die Politik muss jetzt wirklich vorwärts machen. (© Margaretha Sommer)
bit.ly/2MobZbI
Die FlaM schützen uns.
Schützen wir sie auch!
Nach dem Nein zum EWR nahm der
Bundesrat mit der EU Verhandlungen
auf, um in wichtigen Wirtschaftssektoren
trotzdem noch einen diskriminierungsfreien
Marktzugang für
Schweizer Unternehmen zu sichern.
Das Abkommen sicherte auch die
Personen freizügigkeit zwischen der
Schweiz und den EU-Ländern. Die
Stimmbevölkerung nahm die bilateralen
Verträge im Jahr 2000 an.
Die Gewerkschaften verknüpften
ihre Zustimmung mit der Forderung,
dass mit der Personenfreizügigkeit
auch die üblichen Löhne und Arbeitsbedingungen
in der Schweiz vor missbräuchlicher
Unterbietung geschützt
werden müssten. Genau dafür schuf
der Bundesrat 2004 die «flankie renden
Massnahmen» (FlaM).
Mit dem Abschluss des neuen GAV
der Netzinfrastruktur-Branche, für
den die Sozialpartner die Allgemeinverbindlich
keit beantragt haben, gewinnen
die FlaM auch für syndicom
an Bedeutung. Dagegen ist die von den
Bundesräten Schneider-Ammann und
Cassis beabsichtigte Schwächung der
flankierenden Massnahmen, welche
die Arbeitnehmenden in der Schweiz
schützen, realitätsfremd und gefährlich.
Giorgio Pardini, Leiter Sektor ICT
und Mitglied der Geschäftsleitung
3500 Beschäftigte profitieren per sofort von schweizweit
geregelten Arbeitsbedingungen.
17
Endlich ein Gesamtarbeitsvertrag
für die Callcenter der Schweiz
Am 8. Juni 2018 hat der Bundesrat die Allgemeinverbindlichkeit
des GAV Contact- und Callcenter-Branche beschlossen.
Am 8. Juni, kurz vor Feierabend, geht
bei syndicom überraschend ein E-Mail
ein. Vom Staatssekretariat für Wirtschaft,
Ressort Gesamtarbeitsverträge.
Kurz und knapp besagt die Mitteilung:
der Bundesrat habe heute die
Allgemeinverbindlich erklärung des
GAV für die Contact- und Call center-
Branche beschlossen. Sie trete in Kraft
am 1. Juli 2018.
Für wen gilt der Gesamtarbeitsvertrag
und was regelt er?
An den allgemeinverbindlichen Teil
des branchenweiten GAV müssen sich
seit dem 1. Juli alle Unternehmen in
der Schweiz halten, die mehr als zwanzig
Mitarbeitende beschäftigen und
für Dritte Contact- und Call center-
Dienst leistungen erbringen.
Leitende und beaufsichtigende Angestellte
sind nicht unterstellt, für die
anderen Mitarbeitenden gelten die Bestimmungen:
so die Regelung des
Beschäf tigungs grades, die verlängerten
Kündigungsfristen, die 42-Stunden-
Woche, Mindestlöhne, bis 5 Wochen
Ferien, bezahlte Feiertage und
Absenzen, Lohnfortzahlung bei Krankheit
und Unfall, Sozialplan bei wirtschaftlichen
Entlassungen in grösserer
Anzahl.
Dass der Vertrag eingehalten wird,
dafür sorgen jetzt Kontrollen
Entscheidend ist ab jetzt, dass syndicom
im Auftrag der Vertragsparteien
kontrollieren kann, ob die Unternehmen
den Gesamtarbeitsvertrag einhalten.
Dank dem Bundesratsbeschluss
kann syndicom auch in
Unternehmen kontrollieren, die sich
bisher nicht über einen Verband am
GAV beteiligen wollten – denn die allgemeinverbindlichen
Artikel gelten
jetzt auch für sie.
Die paritätische Kommission, in
der alle Vertragsparteien vertreten
sind, stellt sicher, dass es in der Branche
keine unsaubere Konkurrenz mit
Lohn- und Sozialdumping gibt. In
ihrem Auftrag kann die bei syndicom
angesiedelte GAV-Vollzugsstelle auf
Verdacht hin verlangen, dass das Unternehmen
die Belegschaft deklariert
– mit Lohn- und weiteren Daten.
Bei einer ersten Kontrolle am
Schreibtisch wird der Inspektor die
Daten unter die Lupe nehmen und
vielleicht feststellen, dass das Unternehmen
nicht allen Mitarbeitenden
den Mindestlohn zahlt: Das wäre ein
klares Indiz, dass der GAV nicht respektiert
wird. Dann begibt sich der Inspektor
zur Beweis aufnahme vor Ort
ins Unternehmen, wo er seine Investigationen
der Lohnbücher und Arbeitszeitrapporte
vornimmt. Er berichtet
an die paritätische Kom mis sion, die
dann über die Firma richtet und z. B.
eine Busse sprechen kann.
Doch am Beginn dieser jahrelangen
Geschichte, wie damals noch die
Gewerkschaft Kommunikation ansetzte,
die Callcenter-Branche kollektiv
zu organisieren, waren viele Verhandlungen
nötig, ein klares Ziel vor
Augen und ein langer Atem.
Zunächst gab es nicht einmal einen
Arbeit geber-Verband
Damals sah sich Avocis/Capita vor die
Wahl gestellt, entweder einen Gesamtarbeitsvertrag
abzuschliessen oder
einen schweren Image-Schaden zu riskieren.
Die Offenheit für einen ersten
GAV entsprang also prinzipiell dem
Eigen interesse.
Die Gründung des Arbeitgeberverbandes
in der Branche war dagegen
weitsichtiger. Die Akteure waren Peter
Weigelt und Milo Stössel von Contactswiss
auf der einen sowie Giorgio Pardini
und Daniel Münger von syndicom
auf der anderen Seite.
Am 1. September 2015 konnte der
erste Branchen-Gesamtarbeitsvertrag
in Kraft treten. Doch vorerst fehlte
ihm die nötige Abdeckung.
Erst als mit dem Branchenverband
CallNet.ch und seinem Präsidenten
Dieter Fischer eine Einigung gelang
und CallNet.ch per 1. Juli 2017 dem
GAV beitrat, stand dem Gesuch um die
Allgemeinverbindlicherklärung endlich
nichts mehr im Weg. In regem
Aus tausch mit dem SECO wurde die
Publi kation des Gesuchs vorbereitet.
Dann ging es auf einmal schnell
Es folgte noch eine Einsprache des
Personalverbandes Transfair – eingereicht
fast ohne ein einziges Mitglied
in der Branche. Sie wurde abgelehnt.
Und plötzlich also das E-Mail des
SECO, welches der Bundeskanzler per
offiziellem Brief bestätigte. Noch ein
paar Tage später erscheint die Meldung
im Handelsamtsblatt.
Und schliesslich folgte der schriftliche
Bundesratsbeschluss im Bundesblatt,
der den Gesamtarbeitsvertrag
in seinen allgemeinverbindlichen
Bestimmungen zum Gesetz erhebt.
So kann eine Branche geschaffen
werden, die gute Arbeitsplätze bietet
und Zukunft hat.
Daniel Hügli, Zentralsekretär ICT
Ab jetzt wird auch kontrolliert, dass die Unternehmen den Gesamtarbeitsvertrag einhalten.
(© Alexander Stertzik)
bit.ly/2vC4u5O
18 Arbeitswelt
«PostAuto erhöht die niedrigsten Löhne zuerst und
schafft so Lohngerechtigkeit von unten her.» David Roth
Wird der Postbote der
Zukunft eine Drohne
steuern?
Die Art, wie wir kommunizieren und
wie wir konsumieren, hat sich mit der
technischen Entwicklung grundlegend
verändert. Auch die Logistikbranche
hat diesen grundlegenden Wandel erlebt,
und sie wird sich weiterhin verändern.
Was für uns heute wie eine
mögliche oder wahrscheinliche Entwicklung
aussieht, mag das infolge
dieses drastischen Umbruchs schon
bald nicht mehr sein.
Die Frage, ob der Logistikdienstleister
der Zukunft eine Drohne bedienen
wird, können wir schon jetzt mit
Nein beantworten: denn das wird die
künstliche Intelligenz übernehmen.
Diese Antwort eröffnet jedoch neue
Perspektiven, auch hinsichtlich der
Berufsbilder. Die zunehmende Informatisierung
und Robotisierung der
Arbeitsplätze in der Logistik ist eine
Chance, die Berufsprofile der Zukunft
neu zu erfinden: in Zusammenarbeit
mit den Sozialpartnern und im Interesse
der gesamten Gesellschaft.
Ohne dieses Bewusstsein aufseiten
der Firmen, welche die Ausbildungen
auf einem veralteten Stand belassen,
besteht die Gefahr einer sozialen
Ausgrenzung der nächsten Generation.
Es ist an der Zeit, Räume für Weiterbildung
entlang des gesamten beruflichen
Werdegangs zu schaffen,
um die Menschen auf eine positive,
schöpferische Art in die Veränderungen
einzubeziehen.
Matteo Antonini ist Leiter des Sektors Logistik
und Mitglied der Geschäftsleitung
Ein langer Weg bis zu gerechten
Löhnen bei PostFinance
Bei PostFinance läuft einiges anders als im Stammhaus.
Nicht unbedingt besser.
Erst drei Monate nach dem Resultat
der Lohnverhandlungen mit dem
Post-Stammhaus wurde auch endlich
bei PostFinance die Lohnerhöhung
festgelegt. Nach wie vor weigert sich
PostFinance aber, ein transparentes
und gerechteres System der Lohnverteilung
einzuführen.
PostFinance stellt sich stur
Das letzte Angebot aus den Lohnverhandlungen
mit PostFinance konnte
syndicom nicht akzeptieren und
wandte sich an die Schlichtungsbehörde.
Das war die richtige Entscheidung.
Die erreichten 1,0 Prozent fallen
merklich höher aus als die von
PostFinance vor der Schlichtungsbehörde
angebotenen 0,4 Prozent.
Dennoch kann die Gewerkschaft
syndicom nicht vollkommen zufrieden
sein. Es ist bedauerlich, dass der
in den übrigen Konzernteilen angewendete
Verteilmechanismus von der
PostFinance-Führung prinzipiell abgelehnt
wird.
PostFinance hat sogar behauptet,
es seien «kapitale Denkfehler», dass
man Anspruch auf Lohnerhöhung
habe und man die Verteilung mit den
Gewerkschaften bespräche. Hier
muss PostFinance wohl beim
Post-Konzern in den Nachhilfeunterricht.
Bei Post und PostAuto gehts
Im April kam im Stammhaus und bei
PostAuto ein neues System der Lohnerhöhung
zur Anwendung. Dieses
wurde auf Druck von syndicom eingeführt.
Das Verteilungsprinzip ist noch
nicht perfekt, aber die vorliegenden
Resultate sind vielversprechend.
Kurz zusammengefasst: Je tiefer
man innerhalb der Funktionsstufe
positio niert ist, desto höher ist die
Lohnerhöhung. Auch langjährige Mitarbeitende
profitieren. Von der individuellen
Lohnerhöhung sind sie nicht
mehr ausgeschlossen, wie es vorher an
vielen Orten der Fall war.
Transparenz dank Lohnrechner
Zudem wissen nun alle Personen, wie
viel Geld für individuelle Lohnerhöhungen
im eigenen Team zur Verfügung
steht. Jetzt können sie mit den
Vorgesetzten auf Augenhöhe diskutieren
und auch die Vorgesetzten erhalten
eine gewisse Orientierungshilfe.
syndicom bekam von vielen Seiten
Lob für den Online-Lohnrechner. Wir
verbessern ihn weiter und sind weiterhin
froh um eure Rückmeldungen.
David Roth
PostFinance-Chef Hansruedi Köng wünscht keine Diskussion über die Lohnverteilung. (© Die Post)
https://bit.ly/2Bf7JX5
«Teilzeitarbeit wird gelobt für die vielen sozialen Vorteile.
Es wird Zeit, dass wir auch die Kehrseite sehen.» Christian Capacoel
19
Unterbeschäftigung
und überdehnte Flexibilität
In der Post-Zustellung wird die Teilzeitarbeit sehr mangelhaft
umgesetzt, das zeigt jetzt eine Umfrage von syndicom.
kurzfristig bekannt gemacht werden.
Ein gutes Viertel der Teilzeit-ZustellerInnen
erhalten den Dienstplan nur
eine Woche im Voraus oder gar erst in
der Einsatzwoche selbst.
Und ein Drittel möchte mehr arbeiten,
um das Einkommen zu verbessern,
darf aber nicht. Das alles verursacht
Unsicherheit und Stress.
Teilzeit wird gelobt – zu Unrecht?
Teilzeitarbeit scheint viele Vorteile zu
haben. Sie befördere die Rückkehr ins
Erwerbsleben nach einem Unterbruch
bei Frauen wie Männern. Sie fördere
die «Life-Work-Balance». Für die Unternehmen
scheint sie sich immerhin
auszuzahlen: Studien zeigen geringere
Fehlzeiten, niedrigere Fluktuation
und höhere Produktivität des Teilzeitpersonals.
Doch Teilzeitarbeitende
haben häufig ungesicherte Arbeitsverhältnisse,
sie nehmen eine geringere
soziale Absicherung und schlechtere
Weiterbildungsmöglichkeiten hin.
Ein heisses Thema: Über tausend Personen haben den Fragebogen ausgefüllt. (© Die Post)
«Ich würde gern mehr arbeiten. Doch
eine fixe Pensumserhöhung wird mir
verwehrt. Dabei muss ich immer wieder
Mehrarbeit leisten.» Oder: «Ich arbeite
Teilzeit, damit ich mehr Zeit für
meine Familie habe. Aber wenn ich
die Einsatzpläne so kurzfristig erhalte,
dann kann ich nichts planen.»
Diese und ähnliche Aussagen sind
immer wieder an syndicom herangetragen
worden. Wir wollten es genau
wissen. Deshalb haben wir eine Umfrage
gestartet. Über 1000 Betroffene
haben daran teilgenommen, ein sehr
hoher Rücklauf, der für sich spricht.
Die Teilzeitpensen werden viel zu
wenig respektiert
Die breit abgestützte nationale Umfrage
bei den ZustellerInnen offenbart,
dass die Umsetzung der Teilzeit im Bereich
Zustellung mangelhaft ist. Sehr
viele KollegInnen mit Teilzeitpensum
beklagen, dass dieses von der Post
nicht respektiert wird. So haben rund
drei Viertel der KollegInnen angegeben,
dass sie Dienstpläne erhalten, die
nicht ihrem Beschäf tigungs grad entsprechen.
Weit verbreitet ist auch der Missstand,
dass die Einsatzpläne nur (sehr)
Hilf mit, dass es besser wird
Für syndicom ist klar: Wir brauchen
Massnahmen, um die Teilzeitarbeit
besser zu schützen. syndicom ruft deshalb
regionale Arbeitsgruppen ins Leben.
In 2 bis 3 Gesprächen wollen wir
mit betroffenen ZustellerInnen pragmatische
Lösungen entwickeln, die
sich in der Praxis umsetzen lassen.
Wer also bei der Post in der Zustellung
arbeitet und etwas für bessere
Teilzeitarbeit machen will, meldet
sich bei Matteo Antonini! Wir freuen
uns auf dich.
Christian Capacoel
matteo.antonini@syndicom.ch
https://bit.ly/2KSDXqm
Tugenden für den
Streik und das Leben
Die Westschweizer Tamedia-Redaktionen
zeigten mit ihrem Streik seit
Juli Mut und Solidarität. Mut braucht
es, einem vermeintlich allmächtigen
Arbeitgeber Stopp zu sagen: gegen die
Einstellung des Matin, gegen die Entlassung
der 41 KollegInnen und für
echte Mitwirkung.
Solidarität funktioniert: denn auch
die Redaktionen der anderen Zeitungen
beteiligen sich am Streik, der zu
Redaktionsschluss sistiert ist. Die Personalkommissionen
aller Redaktionen
und der Editorial Services solidarisieren
sich. Solidarität gefällt den
Mächtigen nicht. In Frankreich sollte
ein Gesetz das Engagement für Migran
tInnen ohne Aufenthaltstitel unter
Strafe stellen. Das französische Verfassungsgericht
urteilte aber im Juni:
Wer MigrantInnen ohne Bleiberecht
uneigennützig, ohne Gegenleistung
hilft, darf dafür nicht bestraft werden.
Es begründet dies mit der «Fraternité»
– der Solidarität, welche einen der drei
Staatsgrundsätze darstellt.
Solidarität in allen Lebenslagen:
innerhalb der Gewerkschaft, um sich
gemeinsam für unsere Branchen einzusetzen;
in den Betrieben, wenn
überrissene Renditeziele gegen die
Medien vielfalt, gegen Informationsfreiheit
und die Rechte der Arbeitnehmenden
prallen; international, wenn
es darum geht, sich für Menschen in
Not zu engagieren.
Stephanie Vonarburg leitet die Branche Presse
und elektronische Medien und ist Mitglied der GL.
20 Arbeitswelt
«Kann Tamedia Le Matin wirklich nicht stemmen? Sie hat in
zehn Jahren fast 1,5 Milliarden Gewinn gemacht.» Christian Capacoel
Sand im Getriebe der
Gewinnmaschine Tamedia
Was Tamedia besonders auszeichnet unter den Verlegern,
ist das rücksichtslose Vorgehen – zuletzt zu beobachten bei
Le Matin. Journalistinnen und Drucker werden jetzt deutlich.
Für die Streikenden der Tamedia-Redaktionen
in der Romandie war es ein
Moment der Hoffnung. Die Streikversammlung
hatte gerade Nuria Gorrite,
Regierungsratspräsidentin der Waadt,
und ihren Ratskollegen Philippe
Leuba, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements,
begrüsst, die ihre Vermittlung
im Konflikt angeboten hatten.
Nach drei Tagen Streik mit
Kündigungsdrohungen und Kriminalisierung
schien die Vermittlung
durch die Politik eine gangbare Option
zu sein.
Auch wenn die Streikenden nicht
danach gefragt hatten. Die Politiker
strahlten Selbstbewusstsein aus. Sie
versicherten den KollegInnen des
Matin, sie seien die einzige Chance auf
eine einvernehmliche Lösung. So
stimmte die Belegschaft der Mediation
zu und sistierte den Streik. In der
Hoffnung, Tamedia würde unter dem
Einfluss der Politik wieder Verhandlungen
aufnehmen, statt nur Beschlüsse
zu diktieren.
Tamedia versprach die Kündigungen
bis zum Mediationsende zurückzunehmen
und auf Repression zu verzichten.
Das allein würde zwar weder
die Schliessung noch den Abbau verhindern,
aber zumindest hätten die
KollegInnen ein oder zwei Monate
weiter den Lohn.
Tamedia zeigte sich in den Verhandlungen
unnachgiebig. Wie schon
im Konsultationsverfahren, das dem
Streik vorangegangen war, stellte sie
sich auf den Standpunkt, zur Einstellung
der Printausgabe und Erhaltung
nur einer Online-Kleinredaktion
existierten keine Alternativen.
«Arme» Tamedia
Der akkumulierte Verlust von 34 Mio.
Franken der letzten zehn Jahre sei zu
gross. Tamedia erweckte den Eindruck,
sich Le Matin nicht leisten zu
können. Das stimmt nicht. Der Tamedia-Gewinn
im gleichen Zeitraum beträgt
nahezu 1,5 Milliarden Franken.
Geld ist vorhanden. Geld, mit dem
man einen guten Sozialplan alimentieren
oder Zeit für Verhandlungen gewinnen
könnte, statt durch Rücksichtslosigkeit
die Eskala tion zu
fördern.
Tamedia spielt mit der Regierung
Die Mediation durch die Waadtländer
Regierung liess Tamedia kurzerhand
platzen. Sie sehe keine Notwendigkeit,
weiter zu diskutieren. Alternativen
seien keine in Sicht und die Mediation
sei nicht branchengerecht. Nun
versucht Tamedia, die Kündigungen
wirksam zu machen und den Streikenden
Lohnkürzungen aufzuerlegen.
Die juristischen Abklärungen laufen.
Am Ende bleibt der Eindruck,
dass Tamedia die Politik benutzt hat,
um den Streik zu stoppen.
Weitere Konflikte im Haus
Die Berner Redaktionen von Bund und
BernerZeitung, die aufgrund der neuen
Mantelredaktion in Zürich mit
Kündigungen rechnen müssen, solidarisierten
sich in einem Brief. Tamedia
reagierte und versuchte die Initiative
zu unterdrücken. Ohne Erfolg.
Und auch beim Zürcher Tages-Anzeiger
wächst die Erkenntnis heran, dass
es sie treffen könnte.
Am 8. August teilte Tamedia mit,
bei den Editorial Services in Zürich
und Bern nun doch 31 Personen entlassen
zu wollen (siehe Link).
Die Drucker in Aktion
Die Drucker sind einen Schritt weiter.
Sie fordern Tamedia auf, sich wieder
dem Gesamtarbeitsvertrag der grafischen
Industrie anzuschliessen. Tamedia
weigert sich, darüber zu sprechen.
So veranstalteten die KollegInnen
zuerst eine «Chäppli-Aktion». Die
Druckzentren in Bern, Zürich und
Bussigny zogen unter dem Motto
«Ohne GAV lupft’s mer de Huet» im
Betrieb rote Mützen an. Tamedia reagierte
nicht. Die Kollegen suchten
deshalb die Öffentlichkeit.
Und wieder machten alle drei
Tame dia-Druckzentren mit. Gleichzeitig
veranstalteten sie Protest-Pausen
und forderten die Leitung auf, ihre
Unterschrift unter einen symbolischen,
übergros sen Gesamtarbeitsvertrag
zu setzen (s. auch S. 4).
Dann unterschreibt eben die
Belegschaft den GAV
Die Chefs zeigten kein Gehör. Dafür
unterschrieben über 120 Mitarbeitende
die symbolischen Verträge und
setzten damit ein starkes Zeichen, das
von der Öffentlichkeit nicht ignoriert
wurde. Ein Fernseh-, ein Radio- und
über 30 Textbeiträge bestätigten die
Kolleginnen und Kollegen in ihrer
Haltung, ihren Kampf öffentlich zu
machen. Tamedia hat nun die nächste
Gelegenheit, zu zeigen, dass sie auch
zu deeskalierenden Konzernhandlungen
in der Lage ist.
Christian Capacoel
Ein grosses Medienecho bestärkt die Kolleginnen und Kollegen. (© syndicom)
https://bit.ly/2MbgANG
«Wenn es uns nicht gehen soll wie den indischen Fahrern,
müssen wir das Uber-Modell aufhalten.» Dominik Fitze
21
Uberisierung und
Widerstand in Indien
Weltweit breitet sich die «Gig-Economy»
aus. Auf Plattformen wie Uber
bieten Arbeitnehmende ihre Dienstleistungen
an – meist deklariert als
selbständige Arbeit. Die Plattformen
folgen meist derselben Logik:
Investoren geld hilft die Plattform aufbauen.
Am Anfang werden etablierte
Anbieter unterboten – mit genug Kapital
ausgerüstet geht das. Arbeitnehmenden
wird versprochen, es könne
in wenigen Stunden auf der Plattform
gutes Geld verdient werden.
Was dies für Arbeitende bedeuten
kann, zeigte im Frühling der Streik der
Uber-FahrerInnen in Indien. Uber versprach
ein Mittelklasseeinkommen,
und Hunderttau sende nahmen Kredite
auf, um sich ein Auto und ein Smartphone
zu kaufen. Doch bald begann
Uber, 30 Prozent des Umsatzes als Gebühr
abzuziehen, senkte die Tarife.
Statt den versprochenen 50 blieben
oft nur 5 Franken Lohn pro Tag. Und
das, obwohl Uber in Indien letztes Jahr
mehr als 300 Millionen Franken Gewinn
machte. Dagegen regt sich Widerstand.
100 000 Uber-FahrerInnen in
ganz Indien streikten im März mehrere
Tage lang. Im Juni kam es erneut zu
Streiks. Bisher ist Uber nicht kompromissbereit.
Das Geschäftsmodell von
Uber gibt es auch in Europa und der
Schweiz. Als Gewerkschaft sind wir gefordert:
Damit es uns nicht geht wie
den indischen Uber-FahrerInnen.
Dominik Fitze, Zentralsekretär Jugend
Schluss mit den ärgerlichen
«Mystery-Kunden»
Testkunden, die versteckte, personalisierte Kontrollen der
Chauffeure vornehmen, sind kein gutes Evaluierungssystem.
In der Schweiz sind Bus- und Carfahrer
und -fahrerinnen ganz besonders von
verdeckten Leistungstests (SQDQ) betroffen.
Seit zehn Jahren setzt PostAuto
200 Test- oder Mystery-Kunden ein,
um die Qualität des Fahrpersonals zu
beurteilen.
Dabei werden diese Personen, die
inkognito unterwegs sind, dafür bezahlt,
anhand einer detaillierten Kriterienliste
Fragen zu Fahrstil, Verhalten
oder auch Erscheinung des
Fahrpersonals zu beantworten.
Ab 2019 verzichtet PostAuto auf
diese Praxis, die von syndicom bereits
seit der Einführung als ärgerlich und
unfair bemängelt wird.
Kaum nachvollziehbare Resultate
Die Resultate der Erhebungen kamen
oft Wochen oder Monate später bei
den Betroffenen an, wodurch diese sie
kaum mehr nachvollziehen konnten.
Weiter hat syndicom die unprofessionelle
statistische Auswertung kritisiert.
Das Personal war umso unzufriedener,
als dieses willkürliche und
unfaire Beurteilungssystem als Kriterium
für die individuelle Lohnerhöhung
verwendet wurde.
Im Frühling 2016 hat das Bundesamt
für Verkehr selbst ein neues Testkunden-System
in den Unternehmen
des öffentlichen Regionalverkehrs
von mehreren Schweizer Kantonen
eingeführt (BE, FR, JU, NE, SG, TG und
die beiden Appenzell). Die restlichen
Kantone sollten bis Juli ebenfalls eingebunden
werden. Das Ziel bestand
darin, die Pünktlichkeit, Sauberkeit
und die Informationen für die Reisenden
zu beurteilen. Die Gewerkschaft
des Verkehrspersonals (SEV) protestierte
dagegen in den Bahnhöfen. Sie
kritisierte den Einsatz eines Druckmittels
gegen Unternehmen des öffentlichen
Verkehrs, von denen Bund
und Kantone eine Optimierung der
Kosten verlangen.
Scheinselbständige Tester
Was für ein Management-Instrument
sind Mystery-Kunden, wenn die Resultate
von den Mitarbeitenden als willkürlich
wahrgenommen werden,
wenn die Mitarbeitenden nicht in das
Verfahren einbezogen werden, und
wenn sich die Erhebungen auf Nebensächliches
beziehen?
In der Schweiz sind Personen, die
als Mystery-Kunden eingesetzt werden,
oft Scheinselbständige, die auf
Plattformen von internationalen Konzernen
eingeschrieben sind. Einige
habe keinerlei Garantie, konkret beschäftigt
zu werden.
Sylvie Fischer
Die Beurteilungen der Testkunden sind bis heute lohnwirksam. (© Die Post)
https://bit.ly/2vEo3ex
22 Politik
Finger weg von den
Flankierenden!
Die rechte Mehrheit im
Bundesrat spielt falsch:
SVP und FDP nehmen die
Verhandlungen mit der EU
zum Vorwand für eine
Attacke auf die Löhne und
die Arbeitsbedingungen
in der Schweiz
Text: Bo Humair
Bild: Schweizerisches Sozialarchiv
Bürgerliche Bundesräte legen Feuer
an den sozialen Frieden
Die Schweizer
Massnahmen
könnten für immer
mehr EU-Länder
sogar zum Vorbild
werden.
FDP-Wirtschaftsminister Johann
Schneider-Ammann möchte die
Massnahmen, die Arbeitende in der
Schweiz vor Lohn- und Sozialbeschiss
schützen, in sieben Punkten
aufweichen. So steht es in vertraulichen
Papieren seines Departements.
Angeblich, um der EU entgegenzukommen.
Die das in dieser Form
aber gar nie gefordert hatte. Bis
FDP-Aussenminister Ignazio Cassis
ohne Not und gegen einen Beschluss
des Bundesrates die FlaM
zur Verhandlung feilbot.
Staatssekretär Robert Balzaretti,
der Schweizer Chefunterhändler,
räumt ein, dass man in den Gesprächen
über ein Rahmenabkommen
mit der EU, das bis Ende Jahr stehen
sollte, den Schweizer Lohnschutz
noch gar nicht traktandiert hat. Für
immer mehr EU-Länder und immer
mehr europäische Parteien könnten
die Schweizer Massnahmen sogar
zum Vorbild werden, im EU-Wahlkampf
2019. Erst kürzlich haben
sich die Mitgliedstaaten auf eine
verschärfte Entsenderichtlinie
inner halb der EU geeinigt. Sie
kommt dem Prinzip der Schweizer
Gewerkschaften, Schweizer Löhne
für Arbeit in der Schweiz zu fordern,
sehr nahe.
Dennoch wollte Schneider-Ammann
mit Arbeitgebern, Kantonen
und Gewerkschaften über die Revision
der FlaM sprechen. Angeblich,
um sie zu sichern. Doch dann entwischte
ihm die Bemerkung, die
heute gültige 8-Tage-Regel sei Makulatur.
Diese Regel verlangt, dass
entsandte Arbeitende aus der EU
acht Tage vor Arbeitsantritt den
Schweizer Behörden gemeldet werden
müssen, damit die Kantone den
Arbeitsvertrag kontrollieren können.
Diese Praxis verhindert jedes
Jahr Tausende Fälle von Lohnbeschiss,
wie die Statistik des SECO
zeigt. Indem Schneider-Ammann sie
öffentlich beerdigte, enthüllte er
seine wahre Absicht und stellte die
Signale klar auf Sozialabbau und
Lohndumping. Darauf weigerte sich
der SGB, an diesen Gesprächen teilzunehmen.
Schneider-Ammann tobte. Der
Affront war stark und für Berner
Verhältnisse schroff. Also auf Höhe
der Sache, um die es da geht. Denn
die flankierenden Massnahmen
sind die Grundlage des sozialen
Kompromisses, auf dem die moderne
Schweiz seit der Jahrtausendwende
steht – und der sie noch reicher
gemacht hat.
Schluss mit der Baracken-Schweiz
Damals öffnete sich das Land seinen
Nachbarn, mit denen es heute
pro Werktag für eine Milliarde Franken
Güter und Dienstleistungen
tauscht. Im Jahr 2000 stimmte das
Volk den bilateralen Verträgen 1
und der Personenfreizügigkeit zu.
Das setzte dem menschenverachtenden
Saisonnierstatut und anderen
Kontingentslösungen ein Ende. Mit
aggressiver Anwerbung hatte die
Schweiz Hunderttausende Arbeiter
ins Land geholt. Bleiben durften sie
aber höchstens 9 Monate pro Jahr,
um ihre Integration zu verhindern.
Die Familie musste draussen bleiben,
ein Stellenwechsel war verboten.
Das war die Baracken-Schweiz,
die Schweiz der versteckten Kinder
und der rechtlosen Arbeitenden. In
Krisen wie Mitte der 1970er-Jahre
wurde eine Viertelmillion Menschen
einfach wieder weggeschickt – exportierte
Arbeitslosigkeit.
Die Gewerkschaften, die in den
ausländischen Kolleginnen und
Wieder wird lauthals gemotzt über angeblichen Druck der EU, «rote Linien» und die flankierenden
Massnahmen. In Wahrheit hat das mit der EU wenig zu tun, mit Innenpolitik und Konzernprofiten
aber alles. Denn nicht in Brüssel sitzen die Feinde von korrekten Löhnen, Gesamtarbeitsverträgen
und Arbeits markt kontrollen in der Schweiz, sondern an der Bahnhofstrasse und im Bundeshaus.
23
In den 1970ern
schickten wir eine
Viertelmillion
Menschen einfach
wieder weg – und
exportierten die
Arbeitslosigkeit.
Kollegen lange eine unerwünschte
Konkurrenz gesehen hatten, setzten
sich ab den späten 80er-Jahren für
ihre rechtliche Gleichstellung und
die Personenfreizügigkeit ein. Ohne
den aktiven Zuspruch der Gewerkschaften
wären die bilateralen Verträge
nie zustande gekommen. Im
Gegenzug musste der Bundesrat
flankierende Massnahmen einrichten,
die Schwarz arbeit und Lohndrückerei
verhindern. In mehreren
Abstimmungen bestätigte das hiesige
Stimmvolk die vertragliche Erweiterung
der Bilateralen und ihre
Ausdeh nung auf neue EU-Mitgliedsländer,
und seit 2004 wurden die
Flankierenden viermal verschärft.
Ohne FlaM gibt es keine bilateralen
Verträge mit der EU mehr.
Im Kern geht es bei den FlaM
also nicht um Immigration. Die
Zuwande rung folgt, von wenigen
Flüchtlingen abgesehen, den Bedürfnissen
der Arbeitgeber. Sie
machen die Immigration. Selbst in
Zeiten strenger Kontingentierung
haben die Patrons alle Arbeitenden
bekommen, die sie brauchten – notfalls
via Kontingentsschacher und
Korruption.
Nicht die Ausländer stören sie ...
Vielmehr sind die FlaM ein Mass dafür,
wie zivilisiert der Arbeitsmarkt
und die Gesellschaft der Schweiz die
Beziehungen zwischen Kapital und
Arbeit regeln.
Darum möchten SVP, Grossbanken,
etliche Grosskonzerne, ein
Teil der Arbeitgeberlobbys und der
neoliberalen Eiferer-Flügel der FDP
um Stefan Brupbacher, Generalsekretär
von Schneider-Ammann, die
Flankierenden kippen (Brup bacher
beriet früher Novartis-Chef Daniel
Keine schleichende Rückkehr zum unwürdigen Saisonnierstatut! (© Schweizerisches Sozialarchiv)
Vasella). Sie wissen, dass dies ein
Bruch des Schweizer Gesellschaftsvertrages,
also des sozialen Friedens
wäre. Doch sie suchen für ihre neoliberale
Revolution bewusst die Konfrontation
mit den Gewerkschaften.
Die SVP machte schon 2014
klar, was sie an den Bilateralen
stört. Die Ausländer? Ach was! Die
FlaM, wie SVP-Banker Thomas Matter
im «Blick» bekannte: die Einschränkung
der Schwarzarbeit, die
tripartiten und sozialpartnerschaftlichen
Arbeitsmarktkontrollen. Matter
bekämpft, was der Ausbeutung
der Arbeiten den Grenzen setzt.
Avenir Suisse, der Thinktank
der Konzerne, beklagte die wachsende
Zahl von Mindestlöhnen –
diese Neoliberalen wollen einen
fetten Tiefstlohnsektor. Darum verlangte
Avenir Suisse den rabiaten
«Rückbau der FlaM».
... sondern der Gesellschaftsvertrag
Das waren nur Vorgeplänkel. Brupbacher
organisiert jetzt, zusammen
mit einigen Arbeitgebervertretern,
die Offensive des rechten Blocks.
Zuerst jammerte die SVP über die
wachsende Zahl Gesamtarbeitsverträge.
Dann kam Cassis ins Spiel,
schliesslich sekundierte der offenbar
überfahrene Schneider-Ammann.
Für die Gewerkschaften gilt
es, zweierlei zu verhindern: Den Sozialabbruch,
aber auch die nationalistische
Regression. Die Falle ist
gestellt.
bit.ly/2wofaFJ
24 50 Fragen und 100 Versuche, zu antworten:
Das Zukunftsprojekt des syndicom-Magazins
Wir machen Zukunft
Die nächsten 10 Jahre werden die Welt stärker
verändern als die letzten 100 Jahre, sagen
Sciencefiction-Autoren und Futurologen. Vermutlich
haben sie Recht.
Nur verschleiert die Rede von den nächsten
zehn Jahren das Entscheidende. Erstens hat
die Zukunft längst begonnen. Und zweitens ist
an dieser laufenden Veränderung nichts
zwangsläufig – sie wird gemacht. Ob Algorithmen
und Roboter bezahlte Arbeit und damit
Wohlstand und Sicherheit zerstören, oder
ob sie mehr Freizeit, mehr soziale Gerechtigkeit
und neue Entfaltungsmöglichkeiten
bieten, wird gerade in Verwaltungsräten und
Regierungspalästen entschieden.
Wie wir die Technik nutzen, darüber entscheiden
wirtschaftliche und politische
Machtverhältnisse, gesellschaftliche Visionen
und unsere Bereitschaft, für die Gestaltung
der Zukunft Konflikte zu führen, notfalls auch
sehr harte.
Aus unserer eigenen Geschichte, der Geschichte
der Gewerkschaften und der Arbeitendenbewegung,
wissen wir, dass es auf uns
ankommt. In Zeiten grosser gesellschaftlicher
Umbrüche haben wir starken Einfluss ausgeübt,
etwa die AHV und andere Sozialversicherungen
durchgesetzt, kürzere Arbeits zeiten
und längere Ferien erzwungen, einen ausgebauten
Service public und den Schutz der
Wir machen Zukunft!
Arbeitenden vor Arbeitgeberwillkür errungen.
Voraussetzung dafür war die Fähigkeit, uns zu
organisieren. Und die richtigen Themen auf die
Agenda zu setzen.
Das ist heute nicht anders. Wir können das.
Die Futurologen, aber auch die Wissenschaftlerinnen,
die Konzerne und manchmal sogar
die Politikerinnen und Politiker stützen ihre
Arbeit stark auf unsere Exper tise ab: auf Umfragen
und Sorgenbarometer, auf Social Media
und die ausgeklügelten Vorschlagssysteme
der Unternehmen.
Wir wissen, wie man die Arbeitswelt besser
organisiert, denn wir schaffen mit unserer
Arbeit Tag um Tag den ökonomischen Wert.
Wir haben es in der Hand, entgrenzte Arbeitszeiten,
Datenklau und prekäre (Heim-)Arbeitsformen
zu verhindern. Unsere Erfahrung lehrt
uns, wie man Solidarität organisiert … und
noch einiges mehr.
Darauf setzen wir bei unserem Projekt «Wir
bauen Zukunft». Wir zählen auf eure Kompetenzen
und auf unsere kollektive Intelligenz.
In einem ersten Schritt wollen wir gemeinsam
50 Fragen an die Zukunft und 100 mögliche
Antworten formulieren. Etwa: Wie soll
sich die Gewerkschaft für die digitale Epoche
neu aufstellen? Welche politischen Forderungen
wollen wir durchsetzen? Wie verhindern
wir, dass wir Algorithmen auf zwei Beinen,
Datensklaven oder verlängerte
Roboterteile werden?
Wie erstreiten wir mehr
Gerechtigkeit, Autonomie,
Solidarität? Was muss die
Gewerkschaft für dich tun?
Was können wir für Gleichstellung
und Ökologie tun?
Es soll ein offenes, kollektives
Brainstorming darüber
werden, wie wir leben und
arbeiten wollen.
Schickt eure Fragen,
Lösungs modelle, Thesen an
redaktion@syndicom.ch.
Recht so!
25
Fragen an den syndicom-Rechtsdienst:
Guten Tag
In unserem Betrieb wird gestreikt, mit Unterstützung der
Gewerkschaft syndicom. Ich bin mir nicht ganz sicher,
ob ich diesen Streik unterstützen will. Ich habe gelesen,
dass Streiken verboten ist, und befürchte daher, dass ich
meine Stelle verliere, wenn ich am Streik teilnehme.
Arbeits kollegen haben mir allerdings ver sichert, dass
Streiken erlaubt ist. Nun bin ich verun sichert und bitte euch
um Klärung dieser Frage.
Antwort des syndicom-Rechtsdienstes
In Art. 28 der Bundesverfassung ist
die Zulässigkeit des Streiks ausdrücklich
festgehalten. Der Streik ist ein
Grundrecht, das jedem Arbeitnehmer
und jeder Arbeitnehmerin zusteht.
Aber nicht jeder Streik ist «erlaubt».
Mehrere Voraus setzungen müssen
erfüllt sein: Erstens muss der Streik
von einer Gewerk schaft getragen werden
und klar die Arbeitsbeziehungen
betreffen, dann darf keine Friedenspflicht
im GAV dem Streik entgegenstehen,
und weiter muss er das «letzte
Mittel» sein, darf also nicht leichtfertig
und ohne vorangehende Verhandlungen
ergriffen werden. Wenn syndicom
einen Streik unterstützt und ihn
mitträgt, dann dürfen die Arbeitnehmenden
davon aus gehen, dass dieser
zulässig ist. Wir haben gut geprüft,
ob alle Voraus setzungen erfüllt sind.
Gibt es Punkte, welche ich unbedingt beachten muss,
falls ich mich dazu entscheide, am Streik teilzunehmen?
Womit muss ich rechnen?
Du musst dir bewusst sein, dass der
Arbeit ge ber für die Dauer des Streiks
den Lohn verweigern darf. syndicom
unterstützt die streikenden Mitglieder
aus dem Streikfonds. Das Streik-
Geld ist aber weniger als der Lohn.
Ich habe gehört, dass ich mit der Kündigung rechnen muss
und sogar fristlose Kündigungen ausge sprochen werden
können.
Es kann nie ganz ausgeschlossen werden,
dass es zu Kündigungen kommt.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass dies
kaum je der Fall ist. Je geschlossener
ein Streik durchgeführt wird, desto
geringer ist das Risiko von «Strafaktionen»
der Betriebe. Werden doch
Kündigungen ausgesprochen, sichert
syndicom den betroffenen Mitgliedern
die nötige rechtliche Unter stützung
zu. Die Kündigungen wären
zwar gültig und beenden das Arbeitsverhältnis,
doch sind sie missbräuchlich
bzw. bei fristloser Kündigung
ungerecht fertigt und ziehen hohe finan
zi elle Ansprüche der entlassenen
KollegInnen nach sich, welche syndicom
für die Mitglieder durchsetzt.
syndicom.ch/recht/rechtso
26
Freizeit
Tipps
Neue Kurse: PK, Krankenkasse
und Ausländerpolitik
Viele Arbeitende wissen nicht genau,
worauf sie achten müssen,
wenn sie den Vorsorgeausweis ihrer
Pensionskasse lesen. Geht es dir
auch so? Der Movendo-Kurs «Wie
funktioniert meine Pensionskasse?»
sollte das Ganze leichter machen.
Am 2. Oktober um 9.15 Uhr wird Referentin
Sia Lim vom SEV im Hotel
Ambassador Bern erklären, wie die
2. Säule aufgebaut ist.
Die Rechtsgrundlagen der Pensionskassen
werden vorgestellt und
die verschiedenen Leistungsarten
im Detail erklärt. Die Teilnehmenden
nehmen den Vorsorgeausweis
ihrer Pensionskasse mit und lernen,
ihn zu lesen. Der Kurs ist kostenlos
für syndicom-Mitglieder (410 Franken
für die anderen).
Die Kranken- und die Unfallversicherung
sichern uns finan ziell ab.
Der Kurs «Krankenkasse und Unfallversicherung
– ein Überblick» gibt
ein für alle Mal klare Sicht über die
Funktionsweise der beiden Versicherungen,
die rechtliche Situation
und die Lohnfortzahlung bei Krankheit
oder Unfall (am 4. Oktober im
Hotel Ge rolds wil, Geroldswil, kostenlos
für syndicom-Mitglieder).
Die Schweizer Migrations- und
Ausländerpolitik ist charakterisiert
durch ein duales System. Für EU-
Staatsangehörige gilt Personenfreizügigkeit.
Für die anderen gilt das
neue Ausländergesetz. Was läuft auf
der Dauerbaustelle Ausländerpolitik?
(Kurs «Migrationspolitik und
Migrationsrecht: Fakten, Wertungen,
Perspektiven», 8./9. November
in Männedorf ZH, Hotel Boldern,
Kursgebühr, Verpflegung und Übernachtung
für Mitglieder kostenlos,
sonst 820/140/170 Franken).
syndicom.ch/mitgliederservice/
aus-und-weiterbildung
10 Jahre nach der Finanzkrise
Kurztagung: KURZSEMINAR Nachdenken
über den nächsten Crash
Vor genau 10 Jahren, am 15. September
2008, ging die US-Investment
bank Lehman Brothers pleite.
Es war der Höhepunkt einer der
grössten Finanzkrisen der Geschichte.
Innerhalb von wenigen Wochen
mobilisierten Nationalbanken und
Regierungen die unglaubliche Summe
von 11 324 Mrd. US-Dollar (rund
20 % des Welt-BIP), um die Finanzmärkte
vor dem Kollaps zu bewahren.
Doch wurde damit die Krise
eher verschoben als bewältigt.
Was also droht, wenn die Wirtschaft
demnächst in eine neue Rezession
gerät? Wie kann und soll
sich die Linke darauf vorbereiten?
Mit Attac Schweiz lädt das
Denknetz, der linke, sozial kritische
Thinktank der Schweiz, zu einem
Kurzseminar zu diesem Thema. Es
findet statt am Samstag, 15. September,
von 13.45 Uhr bis 18 Uhr in Zürich,
Ladenlokal, Langstrasse 200,
Ecke Neugasse.
Die ReferentInnen sind: Joachim
Bischoff, Soziologe aus Hamburg,
Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative
Wirtschaftspolitik («Memorandum-Gruppe»)
und Autor diverser
Bücher (u. a. «Ist der Kapitalismus
am Ende?», «Europas Rechte»);
Min Li Marti, Nationalrätin SPS;
Markus Flück, Attac Schweiz und
Denknetz-Fachgruppe Politische
Ökonomie.
Die Eintritt ist frei, Kollekte wird
organisiert. Unterstützt von Multiwatch,
Décroissance Bern, Junge
Grüne Schweiz, SP Schweiz,
SP Kanton Zürich, Juso Schweiz.
Anmeldung per E-Mail an tagung@
denknetz.ch bis am 7. September.
Bitte Name und Anzahl Personen
angeben (Platzzahl beschränkt).
© Films for the Earth
Filmfestival «Filme für die
Erde» am 21. September
Die Themen des Festivals «Filme für
die Erde» sind hochaktuell: Waldbrände,
Trockenheit und Überschwemmungen
als Folgen des
Klima wandels, Vogel- und Insektensterben.
Das 8. Umweltfilmfestival
zeigt an einem Tag 7 Filme parallel
in 20 Städten der Schweiz und in
Liechtenstein.
Den Auftakt bildet am Mittag
«The Empire of Red Gold», der die
unbekannte Geschichte der weltweit
meistkonsumierten Frucht, der
Tomate, aufdeckt. «Blue Heart» zeigt
mutige Menschen, die für die letzten
wilden Flüsse Europas kämpfen.
«The Messenger» beleuchtet die
Schönheit und Bedeutung der gefährdeten
Singvögel und die globalen
Ursachen für ihren dramatischen
Rückgang. Das Highlight am
Abend ist die Premiere «The Human
Element»: Mit sensationellen Aufnahmen
dokumentiert der weltbekannte
Fotograf James Balog, wie
die Umweltveränderungen sich auf
Natur und Menschen auswirken.
Der Verein Filme für die Erde ist
eine von der Unesco ausgezeichnete
Initiative, die Erwachsene und Jugendliche
gemeinsam bewegen will,
damit Visionen für eine nachhaltigere
Gesellschaft entstehen.
Die Festivalorte: Affoltern, Basel,
Bern, Biel, Chur, Genf, Horgen, Interlaken,
Konstanz, Luzern, Rheinfelden,
Solothurn, St. Gallen, Thun,
Winterthur, Zug und Zürich. Nur
Schulkino in: Balzers, Schaan, Steffisburg
und Wolfhalden.
https://bit.ly/2LcOugq
denknetz.ch/die-naechste-krise
1000 Worte
Ruedi Widmer
27
28 Bisch im Bild Im Juli und August 2018 engagierte sich syndicom
an der Seite der Angestellten der grafischen Industrie, die den GAV zurückfordern,
zusammen mit den Streikenden des Matin und den Protestierenden aus weiteren
Redaktionen sowie am Präsentationstag für Lernende bei Swisscom.
1
3
2
4
5
1, 2 Die Aktion in Zürich zählte viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer
aus dem Tamedia-Druckzentrum, die ihre Forderung nach einem
GAV zum Ausdruck brachten. (© Christian Capacoel)
3 Die Unterschriftensammlung im Tamedia-Druckzentrum von
Bussigny (VD) dauerte bis zum frühen Abend. (© syndicom)
4, 5 Im Tamedia-Druckzentrum in Bern wurden nicht nur
Unterschriften gesammelt, es wurde auch gegrillt. (© syndicom)
6, 7 Die Kundgebung in Lausanne gegen das Aus der gedruckten
Ausgabe von Le Matin und die Entlassungen führte die Avenue
de la Gare hinauf. Auf zahlreichen Plakaten und Transparenten
wurde die Haltung der Verlegerin angeprangert. (© syndicom)
8, 9 Am 9. August konnte syndicom in Bern den Swisscom-Lernenden
die Vorteile einer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft vorstellen.
(© Alexander Egger)
29
6
7
8
9
30
Aus dem
Leben von ...
Van Tuan Tran
Gute Chancen in einem völlig neuen Beruf
Der 1981 in Wittenbach (SG) geborene
Van Tuan Tran absolvierte zuerst eine
Lehre als Autolackierer und arbeitete
drei Jahre in dieser Branche. Danach
liess er sich bei Swisslife intern zum
Vorsorgeberater ausbilden und war bis
2009 in diesem Unternehmen tätig.
Es folgte eine Reise nach Vietnam, wo
er Verwandte hat und seine heutige
Ehefrau kennenlernte. Zurück in der
Schweiz, arbeitete er erst temporär bei
Sika, bis allen temporär Angestellten
gekündigt wurde. Im Juli 2012 wurde er
als Spleissergehilfe bei Cablex eingestellt.
Und 2015 nahm er schliesslich
eine Lehre als Netzelektriker mit
Schwerpunkt Telekommunikation
in Angriff, die er in diesem Sommer
erfolgreich abgeschlossen hat.
Text: Sylvie Fischer
Bild: Tom Kawara
Nach 3 Jahren Einsatz
haben wir eine faire
Spesenvergütung
auch für die Lernenden
Der Beruf des Netzelektrikers – meine
zweite EFZ-Ausbildung – interessierte
mich, weil es eine völlig neue
Lehre war. Sie wurde erst vor vier
Jahren aufgegleist und für mich war
dies eine Chance, mir gute Arbeitsperspektiven
zu eröffnen. Neu können
sich Netzelektriker spezialisieren
auf Energie, Telekommunikation
– wofür ich mich entschieden habe –
oder Fahrleitung. Dabei lernt man,
Niederspannungs- und Hochspannungskabelanlagen
zu verlegen,
einzu ziehen, zu warten sowie Freileitungen
instand zu halten, womit
ich mich nur in der Lehre beschäftigt
habe. Ein weiterer Bereich ist die
Installa tion von Schalt- und Transformatorenstationen,
öffent lichen
Beleuchtungen sowie Fahrleitungsanlagen
des öffentlichen Verkehrs.
In diesen drei Jahren wird alles behandelt,
was mit Strom zu tun hat.
Mir hat es sehr gefallen, einen so
breiten Überblick über diese Branche
zu erhalten. Jetzt kann ich die
Verbindungen zwischen den einzelnen
Bereichen besser verstehen.
Weil ich bereits eine Lehre absolviert
hatte, war ich vom allgemeinbildenden
Unterricht befreit.
Heute arbeite ich in der LWL-
(Licht wellenleiter-)Spleissung. Es
geht darum, zwei Teilstücke von
Glasfasern sicher und sauber miteinander
zu verbinden. LWL ist die modernste
Technologie für die Übertragung
von digitalen Daten, die die
höchste Übertragungsrate bietet.
Ich würde diesen sehr interessanten
Beruf allen Jugendlichen empfehlen,
auch wenn er anspruchsvoll
ist, weil man dabei überall in der
Schweiz, drinnen und draussen, bei
jedem Wetter und manchmal auch
nachts zum Einsatz kommt.
Ich bin seit Lehrbeginn Mitglied
von syndicom, weil ich die Situation
der Lernenden verbessern wollte.
Damals erhielten die anderen Mitarbeitenden
350 Franken Spesenvergütung,
die Lernenden aber nur
175 Franken.
Mit der Gewerkschaft haben wir
uns drei Jahre lang eingesetzt und
uns auch mit dem CEO von Cablex,
Daniel Binzegger, getroffen. Da die
Lernenden einmal pro Woche in der
Berufs schule sind, schien es mir
gerecht, wenn sie 80 % der Spesenvergütung
erhalten. Mit dem neuen
GAV ist das nun Tatsache geworden
und die Lernenden profitieren seit
August von dieser Regelung.
Ohne die Hilfe von syndicom, die
die Gespräche mit Cablex organisiert
hat, wären wir nicht ans Ziel gekommen.
Auch andere Punkte wie etwa
Vaterschaftsurlaub, Ferientage oder
auch Löhne wurden verbessert. Ich
habe meine Kollegen und Kolleginnen
von einem Beitritt zur Gewerkschaft
überzeugt, denn wenn man
nicht gemeinsam handelt, erreicht
man nichts. Die Lernenden bekommen
viel mehr Unterstützung und
Hilfe von der Gewerkschaft, als sie
die Mitgliedschaft kostet.
www.netzelektriker.ch
Impressum
Redaktion: Sylvie Fischer, Giovanni Valerio,
Marc Rezzonico, Marie Chevalley
Tel. 058 817 18 18, redaktion@syndicom.ch
Lektorat deutsch: Rieke Krüger
Porträts, Zeichnungen: Katja Leudolph
Fotos ohne ©Copyright-Vermerk: zVg
Layout und Druck: Stämpfli, Bern
Adressänderungen: syndicom, Adressverwaltung,
Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern
Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17
Inserate: priska.zuercher@syndicom.ch
Abobestellung: info@syndicom.ch
Abopreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für
Nichtmitglieder: Fr. 50.– (Inland), Fr. 70.– (Ausland)
Verlegerin: syndicom – Gewerkschaft Medien und
Kommunikation, Monbijoustrasse 33, Postfach,
3001 Bern
Das syndicom-Magazin erscheint sechsmal im Jahr.
Ausgabe Nr. 8 erscheint am 9. November 2018.
Redaktionsschluss: 1. Oktober 2018
31
Das syndicom-Kreuzworträtsel
Für alle, die sich verwöhnen wollen:
Zu gewinnen gibt es ein beliebtes Cold
Pack, gespendet von unserer Dienstleistungspartnerin
KPT. Das Lösungswort
wird in der nächsten Ausgabe zusammen
mit dem Namen der Gewinnerin
oder des Gewinners veröffentlicht.
Lösungswort und Absender auf einer
A6-Postkarte senden an: syndicom-
Magazin, Monbijoustrasse 33, Postfach,
3001 Bern. Einsendeschluss: 16. 10. 18.
Der Gewinner
Die Lösung des syndicom-Kreuzworträtsels
aus dem syndicom-Magazin
Nr. 6 lautet: GRATIS.
Gewonnen hat Werner Steiner aus
Frutigen. Die Hotelcard unserer
Partnerin Hotelcard ist unterwegs.
Wir gratulieren herzlich!
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RABATT: - 4,5 Rp/Lt. Treibstoff (Bleifrei und Diesel)
Jahresgebühr CHF 10.- offeriert
-4.5
Montliche Rechnungsgebühr CHF 2.50 offeriert
Verlangen Sie Ihren Kartenantrag beim Zentralsekretariat
Rp pro Liter
+41 (0)58 817 18 18 - mail@syndicom.ch
32 Interaktiv
syndicom social
LeMatin.ch: Meilenstein von Apple 3.8.2018
an der Wall Street
Am Donnerstag hat Apple an der Wall Street Geschichte
geschrieben und als erstes privat geführtes Unter nehmen
die Bewertungsmarke von 1 Billion Dollar an der Börse geknackt.
Dieser Erfolg krönt die jahrzehntelangen Entwicklungsarbeiten
eines Konzerns, dessen Produkte unser
Verhältnis zur Technik revolutioniert haben.
rts.ch: Nr. 1 der Hitparade 3.8.2018
ohne eine einzige verkaufte CD
Der Song «079» der Berner Lo &
Leduc hält sich seit 20 Wochen an
der Spitze der Schweizer Hitparade
und bricht den Rekord von DJ Bobo.
Die Rapper haben keine einzige CD
verkauft. Alles lief über soziale
Medien und von Smartphone zu
Smartphone …
Künstliche Intelligenz versteht noch nichts 15.07.2018
von Fussball
Goldman Sachs hatte mithilfe von künstlicher Intelligenz
den Gewinner der FussballWM 2018 vorausgesagt.
Gewonnen hätte demnach … Brasilien. Voll daneben!
@syndicom: Der meistgelesene 31.7.2018
Post im Juli war …
«Westschweizer Redaktionen von Tamedia
treten in den Streik» vom 3. Juli wurde 2792
Mal angeklickt. An zweiter Stelle noch ein
TamediaBericht mit 2282 Mal. Vielen Dank!
Viviane Hösli @VivianeHoesli 5.7.2018
Mein Paps fragt mich gerade ob er sein @tagiAbo
verlängern soll oder ob er aus #Solidarität mit den
streikenden #TamediaAngestellten vorerst darauf
verzichten soll.
Was meint ihr dazu, @syndicom_de?
#ENOUGH18 25.7.2018
Reserviere dir den 22. September in
deiner Agenda und folge dem Hashtag
#enough18! An diesem Tag findet in Bern
eine Grossdemo statt, welche die schon
längst überfällige Lohngleichheit einfordert.
Wir werden zusammen mit dir
vor Ort sein – und wenn du Mitglied bist,
wird dir die Fahrt mit den öV offeriert!
Sergio Ferrari @sergiooferrari 26.7.2018
Solidarität mit den Entlassenen der Presseagentur TELAM!
Protestschreiben von syndicom an die Adresse des
argentinischen Präsidenten. @inside_sda @syndicom_fr
@syndicom_de @CTAGlobal.
syndicom.ch: 31.7.2018
Teilzeitarbeit belastet
syndicom @syndicom_de 26.7.2018
Wir suchen per 1. 11. oder n. Vereinbarung
engagierte Persönlichkeit in den Rechtsdienst
(50–60%). syndicom.ch/ueberuns/offen…
#Stellenangebot #syndicom
Unsere aktuelle Umfrage – mit 1000
Teilnehmenden! – hat gezeigt, dass
Teilzeitarbeit (zu) grosse Flexibilität
verlangt und Stress macht. In Teilzeit
an gestellte ZustellerInnen
und BriefträgerInnen haben unter
Planungs unsicher heit und Unterbeschäftigung
zu leiden.
«1918.CH – 100 Jahre Landesstreik» 31.7.2018
Die Stadt Olten steht seit Ende Sommer im Mittelpunkt
eines grossen mehrsprachigen, nationalen Theater ereignisses:
«1918.CH – 100 Jahre Landesstreik»! Aufführungen
nur noch bis zum 23. September in der ehema ligen
SBBHauptwerkstätte in Olten. Hingehen!
LeTemps.ch: Google testet 3.8.2018
eine zensierte Suchmaschine
Der amerikanische InternetRiese will nach
8 Jahren Exil wieder zurück nach China.
Dazu will er sich offenbar den Behörden
beugen und eine zensierte Version von
Google anbieten. «Don’t be evil»? Nicht nur
intern gibt das Konflikte.