Rundbrief der Emmausgemeinschaft - Ausgabe 03|18
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Thema | 5<br />
Wo soll ich hin?<br />
Verdeckte Wohnungslosigkeit von Frauen<br />
Armutsgefährdung von Frauen führt oft zu Wohnungslosigkeit. Frauen sind armutsgefährdet,<br />
weil sie häufig jahrzehntelang ein Leben in traditionellen Frauenrollen<br />
geführt, ihre Erwerbsarbeit jahrelang unterbrochen und unbezahlte Hausund<br />
Familienarbeit geleistet haben.<br />
von Rita Olah<br />
Viele wohnungslose Frauen konnten<br />
sich außerdem – als Folge von<br />
traumatischen Kindheits- und Sozialisationserfahrungen<br />
– nie eine gesicherte<br />
Existenz aufbauen. Ihr Leben ist<br />
von ständigem Weglaufen geprägt.<br />
Frauen sind oft jahrelang „verdeckt wohnungslos“.<br />
Um Wohnungslosigkeit zu<br />
vermeiden, ihre Not zu verbergen und<br />
ihre Grundbedürfnisse abzudecken, entwickeln<br />
sie unauffällige Problemlösungsstrategien.<br />
Sie kommen bei Bekannten<br />
unter, bei Verwandten, Zweckpartnern<br />
und Zufallsbekanntschaften. Diese privaten<br />
Lösungen führen jedoch häufig in<br />
neue Abhängigkeiten, oft verbunden mit<br />
körperlicher, psychischer o<strong>der</strong> sexueller<br />
Gewalt. Aus Scham o<strong>der</strong> von Schuldgefühlen<br />
geplagt nehmen viele Frauen Gewalt<br />
und Nötigung in Kauf, weil sie glauben,<br />
dass die Gesellschaft ihre Armut als<br />
persönliches Versagen und als Schande<br />
sieht.<br />
Annas Weg<br />
Die 35-jährige Anna ging den Weg von<br />
<strong>der</strong> verdeckten Wohnungslosigkeit zur<br />
Sichtbarkeit im Hilfssystem. Anna war<br />
von einem Bekannten, <strong>der</strong> sie eingesperrt<br />
und geschlagen hatte, zu einer Freundin<br />
geflüchtet. Schon davor hatte sie fünf Mal<br />
im Frauenwohnheim angerufen: „Kann<br />
ich kommen?“ Sie tat es nie. Auf Anraten<br />
ihrer Freundin kam sie nach zwei Wochen<br />
doch in die Notschlafstelle. „Ich gebe es<br />
gleich zu, ich habe Alkohol getrunken“<br />
sagte sie, „ich hätte es sonst nicht geschafft,<br />
herzukommen. Mein Vater hat<br />
mir immer gesagt, ich bin ein Versager,<br />
aus mir wird nie etwas. Ich habe alles versucht,<br />
damit er nicht Recht hat. Jetzt ist es<br />
aber so weit: Ich bin ein Versager.“<br />
Aber Anna hat nicht versagt, nur weil sie<br />
institutionelle Hilfe in Anspruch genommen<br />
hat. Jetzt, zwei Jahre später, hat sie<br />
eine eigene Wohnung und einen Job –<br />
und sieht es auch so.<br />
Rita Olah leitet das Emmaus-<br />
Frauenwohnheim in St. Pölten.<br />
Foto: Monkey Business Images/shutterstock.com